Deutsche und französische Kultur im Elsass/078

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Deutsche und französische Kultur im Elsass
Inhalt
<<<Vorherige Seite
[077]
Nächste Seite>>>
[079]
Kultur elsass.djvu
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien
Texterfassung: korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Bevor dieser Text als fertig markiert werden kann, ist jedoch noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.



Bildunterschrift:
Mme E. GEROLD: St. Thomaskirche in Strassburg.
(Radierung.) - E. d'Oleire's Verlag.

hier zeigt es sich, wie sehr der Geschmack und das künstlerische Streben dem Deutschen des 19. Jahrhunderts fehlt. Während das französische Kunsthandwerk vermöge dieser Eigenschaften einzelne seiner Zweige, wie die Edelschmiederei, die Marquetterie, die Glasbearbeitung und die Kunsttöpferei, bis zu selbständigen Künsten erhoben hat, erschöpft sich das deutsche Kunstgewerbe in fruchtlosen Stilexperimenten. Höchstens die deutsche Baukunst macht, insofern als sie sich streng an ältere Muster anschliesst, eine vorteilhafte Ausnahme. Die sinnliche Kultur der nicht selbst künstlerisch thätigen Bevölkerung, also der grossen Masse, offenbart sich in der Wohnungsausstattung, der Kleidung, der Ordnung des Hauswesens, der Küche und mancherlei Sitten des täglichen Lebens und Verkehrs. Die unteren Klassen und der Mittelstand entbehren diese Sinnenkultur fast völlig, bei den höheren Klassen, dem reicheren Adel und der höheren Bourgeoisie, ist sie zwar vorhanden, steht aber in völliger Abhängigkeit vom Ausland und besitzt trotzdem zahlreiche ästhetische und praktische Mängel.

Früher kaum beachtet, ist der niedere Stand der sinnlichen Kultur in Deutschland mit der zunehmenden Wohlhabenheit des Volkes immer fühlbarer geworden, und zahlreiche Kreise, besonders die Künstler, sind bemüht, hier Besserung zu schaffen. Aber auch in diesen Bestrebungen macht sich eine grosse Unsicherheit und Zerfahrenheit bemerkbar. Bald sucht man völlig ratlos das Ausland möglichst getreu nachzuahmen, bald zieht man sich trotzig auf die nationale Eigenart zurück und will einen neuen ganz nationalen Stil schaffen, der in allen Zweigen der Kunst und des Kunstgewerbes massgebend sein soll. Es wird dabei meist vergessen, dass nicht irgend ein Stil als solcher den Höhepunkt künstlerischen Schaffens bedeutet, sondern dass jeder Stil gut ist, wenn nur in demselben vollendete Kunstwerke geschaffen werden. Der Weg, der zu dem vollendeten Kunstwerk und überhaupt zur höheren sinnlichen Kultur führt, ist der, den alle hohe Kunst, die wenigen grossen deutschen Künstler und die künstlerisch hochstehenden Völker gegangen sind, nämlich für alle, liebevolle Vertiefung in die sinnliche Erscheinung der Dinge und damit in enger Verbindung Verfeinerung der eigenen Sinne, für den Künstler speziell, unablässige Arbeit mit Auge und Hand und möglichste Enthaltsamkeit von unkünstlerischer Spekulation.

Es ist nun für unsere Betrachtung nicht weiter wichtig, ob diese Bestrebungen zu einer Hebung der sinnlichen Kultur in Deutschland führen, da die Thatsache ihres Tiefstandes bis in die jüngste Zeit feststeht. Dem ist nicht immer so gewesen. Auch das deutsche Volk hat früher eine hohe sinnliche Kultur besessen. Die herrlichen Baudenkmäler der deutschen Vergangenheit, von den romanischen und gothischen Domen bis zu den Fürstenschlössern des 17. und 18. Jahrhunderts, die Blüte der deutschen Malerei im 15. und 16. Jahrhundert, die reizvollen Schöpfungen des deutschen Kunstgewerbes im Stil der Renaissance, des Barok und Rokoko legen davon hinlänglich Zeugnis ab. Allerdings war auch in den Epochen ihrer Blüte die deutsche Kunst nicht stilschöpferisch wie die italienische und französische. Den Stil, d. h. die Form künstlerischen Ausdrucks, hat sie immer von aussen entlehnt und dann ihrer Eigenart entsprechend weiterentwickelt. Auch in der Plastik hat sie niemals die Höhe der italienischen oder französischen