Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte/3/271

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte
Register  |  1. Band  |  2. Band  |  4. Band
3. Band  |  Inhalt des 3. Bandes
<<<Vorherige Seite
[270]
Nächste Seite>>>
[272]
SH-Kirchengeschichte-3.djvu
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht korrekturgelesen und kann somit Fehler enthalten.


Verhältniß auffaßten. Man wird jedoch kaum leugnen können, daß diese Auffassung nicht immer eine ganz klare war, und daß sie auch in Berücksichtigung der Zeitumstände mehrfach eine schwankende war. Wir wollen auch denen nicht widersprechen, welche ausführen, „daß bei den Reformatoren selbst die organisatorische Begabung, ihre Ideen im Leben praktisch durchzuführen, nicht im Verhältniß stand mit der Gabe, der Wahrheit principiell wieder zum Durchbruch zu helfen“[1].

Neuere Schriftsteller haben Luther vorgeworfen, daß er in seinen Gedanken über die Principien einer protestantischen Kirchenverfassung so geschwankt, daß er den Schwerpunkt bald in die monarchische Staatsgewalt, bald in die geistliche Aristokratie, bald in die Demokratie der Gemeinde gelegt habe, und man hat sich zum Beweise auf verschiedene seiner Schriften berufen. Wenn wir auch jede gedruckte Äeußerung von ihm wissenschaftlich zu vertreten nicht gesonnen sind, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß er keine kirchliche Verfassungstheorie und keine Kirchenrechtslehre schrieb, und daß er auf der neuen Bahn, welche er betreten hatte, neue Erfahrungen machen mußte, die zu berücksichtigen waren. Seine berühmten Schriften, aus denen man prägnante Sätze als Beweismittel zur Kritik hergeholt hat, sind zum größten Theil volksthümliche Flugschriften, die aus geschichtlichen Anlässen entstanden, und worin Rücksicht genommen ist auf die derzeitigen Vorkommenheiten und Zeitströmungen, welche ihn in seinem lebhaftgen und tiefen Gemüthe mitunter sehr aufregten und aufregen mußten.

Die von Luther anfänglich ausgesprochene Ansicht, nachdem die Idee von dem allgemeinem Priesterthum aller Schriften in ihm lebendig geworden, und somit die Vorstellung von der Nothwendigkeit eines besonders bevorrechteten Priesterstandes hinfällig geworden war, gestaltete sich so, daß die Obrigkeit als eine christliche wie ein wesentlicher Bestandtheil der allgemeinen Kirche anzusehen sei, nach göttlicher Ordnung: „die Bösen zu strafen und die Frommen zu schützen“. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen; in dieser Gemeinschaft findet wie der Lehrstand, so auch der obrigkeitliche


  1. Vgl. F. Heinrich Geffcken (Professor in Straßburg), Staat und Kirche in ihrem Verhältniß geschichtlich entwickelt. Berlin 1875, S. 223.