Letzte Nachricht aus Eggleningken

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Frau Schäfer aus Hansruh (Jänischken) schrieb zwei Briefe[1] an Familie Boehme aus Kiefernberg (Eggleningken).
Auf dem zweiten Brief an Minna Schmetzer fügte Frau Maria Boehme handschriftlich die Zeile: „Letzte Nachricht über Eggleningken“ ein.

Erster Brief (Abschrift)

Kiggen, 14.9.46

Liebe Frau Boehme!

Mir ist die Karte, die Sie an Tante Emma geschrieben haben, in Händen gekommen. Da auch weiter kein anderer da ist, will ich Ihnen Nachricht geben so gut ich kann. Von Eggleningken ist nur Frau Ehmer u. Jessat zurück, Jessat ist zwar verstorben. Von Jänischken sind der Girrulat, alleine, Franz Schön u. Frau Kasimir u. Tochter, Quednau, Ger-wenat jung und wir; Kehler aus Draugupönen. Von Spullen niemand. Kiggen niemand. Kussen ganz wenige. Urlau ist Frau Becker, Post u. Grigoleit.

Liebe Frau Boehme. Von Ihrem Hof stehn nur beide großen Ställe u. der Schweinestall. Jetzt sind es bald 2 Jahre daß der Krieg da getobt hat. Die Gebäude, die stehn, verwittern auch. Rings um den Hof u. Gärten Kletten und Disteln 2m hoch? Das Friedhofshäuschen unsre stille Klause ist auch abgebrannt auch an der Straße, wo Perreys wohnten. Nur Mauri-schats steht. Eggleningken ist fast alles abgebrannt. Emil Ramminger steht. Kl. Ramminger, Frau Ehmer alles abge-brannt. Kirstein steht wohl, hat aber auch Treffer. Friedrichs stehn auch nur beide Ställe, Räders Haus, Jessat sein Haus, Theophil steht nur der Schweinestall. Von Reiners steht Haus, Stall und weiter auf dem Hof der Schuppen. Also über Eggleningken wissen Sie bescheid. Wir sind hier zu einer Kolkosischen Wirtschaft zusammen gezogen. Die Kolkosse ist Kussen. Wir bebauen auch Eggleningker Felder. Ich u. Siegfried sind Pferdekutscher. Anneliese macht andere Feldarbeit. Jetzt sind wir beim Roggen säen. Es ist aber in diesem Jahr schwer ackern, es regnet bald alle Tage und die Arbeit geht nicht so vorwärts wie sie soll. Mir geht es augenblicklich nicht gut, bin schon seit 8 Tagen krank. Von Tante Emma ist nichts zu hören gewesen. Kirstein u. Frau ist verstorben. Könnte ich vielleicht die Adresse von Lieschen Holm haben die Sie in Sachsen hatte.

Viele liebe Grüße von Kiggen sendet Ihnen sowie Ihren Kindern Frau Schäfer


Zweiter Brief (Abschrift)

Zweiter Brief an Minna Schmetzer[1]. Sie arbeitete auf dem Hof Boehme im Haushalt und war über die Ostsee nach Kopenhagen geflüchtet. Nach ca. drei Jahren konnte der Kontakt mit Familie Boehme wieder hergestellt werden.


Zella, d. 15.5.49
(letzte Nachricht über Eggleningken)

Liebe Minna!

Heute komme ich endlich mal dazu Deinen Brief zu beantworten, habe mich wirklich gefreut von Dir auch etwas zu hö-ren, von uns kann ich sagen, wir sind gesund und der Zeit entsprechend geht es uns ganz gut. Die Hauptsache man hat Arbeit und es bessert sich ja alles von Tag zu Tag ... Wenn nur immer das Geld so reichlich da wäre. Jetzt gab es 14 Tage lang Ware ohne Punkte, wer da so Geld hatte konnte sich ganz schön bekleiden. Ich habe auch für Anneliese Stoff zum Kleid und für uns beide zu Jacken gekauft. Mit der Zeit wird schon werden. Habe meine Schwiegereltern durch den Such-dienst gefunden, die sind in Sachsen. Ich war vor Ostern dort und die Kinder waren jetzt zum ersten Mai. Schäfer seine Brüder sind alle zurück nur er allein fehlt. Meine Schwiegermutter hat mir mit vielem geholfen. Sie gab mir ein Oberbett und auch Wäsche. Die haben all ihre Sachen was sie sich mitgebracht haben auch behalten. Die Kinder sind auch der eine hier der andre dort. Die Jungens haben alle gesiedelt. Ja liebe Minna! Du möchtest vieles aus der Heimat wissen. Euer Wohnhaus sowie Scheune ist abgebrannt, der Speicher und beide Ställe stehen auch etwas beschädigt. Dort auf den Ställen haben wir das Heu eingefahren, das wir aus den Roßgärten geerntet haben. Der Garten am Haus ist auch sehr mitgenommen überall Schützengräben. Das, was vergraben war, ist auch ausgegraben, ich fand noch in der Hecke eine Bratenschüssel. Ja die hatten eine Spürnase. Oft haben wir uns Blumen aus dem Garten geholt, auf dem Winterbett blühte immer so alles mögliche. Das Wäldchen hinter der Scheune steht dort waren 4 Bunker gebaut eure Stühle und Tische waren dort drin aber alles schwamm im Wasser. Im Weidegarten an Hellmigs in der ganzen Ecke ein großer Heldenfriedhof. Es ragten 3 hohe Kreuze die Hügelkreutze waren schon damals zu teil abgeschlagen. Ja da wird niemand mehr erfahren wer die Toten sind.

Das Häuschen ist auch abgebrannt auch das Perreysche auch nur Sahms steht. Der Friedhof eine Wüste von Unkraut nur Disteln u. Kletten. Die Lebensbaumhecken sind zum Teil alle abgebrannt, als die Felder abgebrannt wurden.

1946 zog das Feuer auch über den Friedhof. Das alte Getreide wurde alles abgebrannt und wir mußten hungern.. Eine Mäuse und Rattenplage war dort schrecklich, was noch 45 gemäht wurde, wurde alles in Haufen zusammen getragen, das war innerhalb paar Wochen von dem Ungeziefer aufgefressen. Paul Friedrich ist dort nicht gewesen, Friedrichs ist auch Haus und Scheune abgebrannt. Theophils steht nur der Schweinestall, Räders nur das Haus. Adamschecks abgebrannt. Reimers Haus und Scheune. Das Haus ist erst 47 abgebrannt, wie ist uns unbekannt. Tante Schmetzer ihre Anna ist auch tot, auf dem Wege zur Heimat gestorben auch Kirsteins beide alten. Spuller Büchlers Haus und Kuhstall steht. Draugupöner auch Haus und Speicher Pritzkehmen stand alles aber 47 ist auch die Scheune abgebrannt. Scheidereiter ist auch zu hause gestorben. Gustav Endrikat starb in Kiggen August Schmidt war auch dort. Otto Girulat, Willy Gerwenat, Fam. Köhler kamen mit unserem Transport mit. Ida Preukschat von Dauden ist auch gestorben. Frau Ehmer ist im Gefängnis in Insterburg Jessat in Urlau gestorben. Frau Grigoleit ist schon bei der Erna. Frau Becker mit beiden Kindern ist auch tot auch Martha Post. Müller seine Schwester, die Frau Werning ist auch tot. Kessler ist auch tot. Briefträger Seewald auch. Unsere Kirche ist auch niedergeschossen. Schloßberg nur ein Trümmerhaufen. Du frägst wie wir uns genährt haben, 45-46 war ja eine Hungersnot aber nachher wurde es besser, die Litauer kamen zum Markt und verkauften Eier, Butter, Speck, Mehl, Fleisch, Fisch, Käse und vieles mehr. Da hatten wir auch nicht das Geld um uns das alles zu kaufen. Aber ich war mit den Kindern in Litauen ein ganzes Jahr uns gings ganz gut. Wir haben auch nur fürs Essen gearbeitet, aber weiter wollten wir auch nicht. Ich habe auch müssen die Nerven manches mal zusammen reißen, um nicht den Mut sinken zu lassen, es war schwer. Siegfried war 12 Jahre und mußte auch genauso die Arbeit verrichten wie ich auch, er ist die Jahre so verkommen. Die Arbeitszeit war zu lang von dunkel bis dunkel auch im Sommer denk den langen Tag mit trockenem Brot. Dort lebte keine Katze mehr, alle waren gegessen die Raben haben gefehlt die sind verschwunden aber Frösche gabs u. Sperlinge eine Delikatesse, Storch habe ich auch gegessen, schmeckt wie Gänsefleisch. Für heute will ich mit meiner Plauderei aufhören. Pfingsten ist bei uns Konfirmation Annelies und Siegfried werden konfirmiert, laden Dich herzlichst ein.

Viele Grüße von Frau Schäfer


Fußnoten

  1. 1,0 1,1 Genehmigung für die Veröffentlichung in GenWiki im „Portal Pillkallen“ unter der Auflage der ausschließlich nicht-kommerziellen Nutzung liegt von der Rechteinhaberin Frau Dr. Kathrin Boehme vom 24.02.2012 vor.



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