Lehrbuch der gesammten wissenschaftlichen Genealogie/078

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Lehrbuch der gesammten wissenschaftlichen Genealogie
Inhalt
Vorwort | Einleitung
Erster Theil: Kap. 1234
Zweiter Theil: Kap. 1234
Dritter Theil: Kap. 123456
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Lehrbuch der gesammten wissenschaftlichen Genealogie.djvu
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      In darstellender Form wird jene Betrachtungsweise, welche von dem Individuum aufwärts steigend die sich verdoppelnden Elternpaare aufsucht, die „Ahnentafel“ genannt, während die Nachweisung der von einem Elternpaare abstammenden Nachkommenschaft den Namen der „Stammtafel“ trägt. Jede Verwechslung beider Begriffe, oder auch nur der Bezeichnung derselben , erschwert das richtige genealogische Verständnis und gibt Anlaß zu ganz falschen Folgerungen und Irrthümern aller Art.

      Der Begriff der Stammtafel umfaßt nur solche Darstellungen von Blutsverwandtschaften, die sich im Kreise der Descendenten d. h. jener Geschlechtsreihen bewegen, die vom Elternpaare ausgehen, die abstammenden Kinder aufzeichnen und diese immer wieder in ihren elterlichen Eigenschaften als Väter oder Mütter neuer Geschlechtsreihen betrachten. Auch die Bezeichnung „Stammbaum“ gebührt eigentlich durchaus nur dieser Art genealogischer Vorstellung, doch ist der Gebrauch dieses Wortes ein so vielfältiger, daß die erwünschte Einschränkung des Ausdrucks auf den bezeichneten Begriff der Stammtafel wol nicht leicht zu erreichen sein mag.

      Im Gegensatze zur Stammtafel stellt sich der Begriff der Ahnentafel als die Darstellung der Ascendenten dar, d. h. der Väter und Mütter eines oder mehrerer durch geschwisterliche Bande verbundener Individuen, und zwar in der Weise, daß die Eltern des Elternpaares, und immer wieder in aufsteigenden Linien deren Väter und Mütter zur Kenntnis gebracht werden.

      Wenn man zur Unterscheidung dieser beiden Grundformen aller genealogischen Wissenschaft die Bezeichnung Stammtafel und Ahnentafel gewählt hat, so ist zwar nicht zu läugnen, daß der gewöhnliche Sprachgebrauch in der Anwendung dieser Worte wenig genau und streng zu sein pflegt[1] und daß auch in älteren Zeiten


  1. Das Grimmsche Wörterbuch setzt ohne weiteres Ahnentafel dem Geschlechtsregister und Stammbaum gleich. Ein Beleg ist nicht gegeben; während unter Geschlechtsregister und Geschlechtstafel ganz allgemein „genealogia“ verstanden wird. „Geschlechtstafel“ wird von Fischart im Sinne der Ahnentafel und von Kleist im Sinne der Stammtafel gebraucht. Im Wörterbuch von Heyne wird Stammtafel als eine Tafel bezeichnet, auf der ein Geschlecht nach Abstammung und Ausbreitung verzeichnet ist, eine Definition, die streng genommen in der That nur auf die Descendenz anwendbar ist; aber das Wort Ahnentafel ist daneben ganz unbekannt. Das Wort Stamm bezeichnet aber nach Heyne etwas feststehendes, woraus anderes sich entwickelnd abzweigt, hervorgeht, und woran hinzutretendes sich anschließt, was dafür die feste Grundlage, Stütze, Kern, Mittelpunkt bildet. In diesem Sinne darf man es also durchaus für sprachlich gerechtfertigt halten, von Stammtafel nur im Sinne der Descendenz zu sprechen, obwol der bestehende Sprachgebrauch überall unsicher und willkürlich ist und auf einen großen Mangel an Sachkenntnis schließen läßt. Im Französischen macht table genéalogique den Unterschied der Descendenz und Ascendenz ebenfalls nicht deutlich erkennbar. Doch unterscheidet man beim „Arbre généalogique“ sehr bestimmt ascendant und descendant. Sehr merkwürdig ist, daß die Geste des Normands on Roman de Rou eine Chronique ascendant um 1160–1174 enthalten, worin die Herzöge bis auf Rollo hinaufgeführt werden. Vgl. Gaston Paris, I,itterature francaise au moyen age No. 93 p. 134, Romania IX. 598.