Herforder Chronik (1910)/268

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Herforder Chronik (1910)
<<<Vorherige Seite
[267]
Nächste Seite>>>
[269]
Herforder Chronik 1910.djvu
Hilfe zur Nutzung von DjVu-Dateien
Texterfassung: korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Bevor dieser Text als fertig markiert werden kann, ist jedoch noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.



ihm erfuhr, berufen zu sein schien, ihre schwärmerischen Gedanken und Wünsche zu verwirklichen.

Jean de Labadie war gleich Descartes ein gewesener Jesuit. Auch ihn hatte das Leben, nachdem er aus dem Orden ausgetreten war, hin- und hergeworfen, bis er in den Schoß der reformierten Kirche gelangte. An mehreren Orten wegen seiner Schwärmereien und seines heftigen Eiferns seiner Ämter als Prediger entsetzt, war er nach Holland gekommen, wo er einen günstigeren Boden für seine Lehren zu finden hoffte. Unter den dortigen Reformierten hatte sich eine strenggläubige Richtung ausgebildet, deren Anhänger in dem über eine glänzende Beredsamkeit verfügenden Manne von tadellosem, streng kirchlichem Wandel den Propheten für ihre Ansichten gefunden zu haben glaubten. Man berief ihn als Prediger - unter den Berufenden befand sich auch Anna Maria von Schurmann mit ihrem religiös gleichgesinnten Bruder - nach Middelburg in Zeeland, wohin Maria nun ihren Wohnsitz verlegte.

Voll übereinstimmend mit Labadie in der ernsten Auffassung des Christentums, bot die jetzt schon 50jährige die Hand zu der Gründung einer Gemeinde der „Wiedergeborenen“, die zwar äußerlich von der Lehre der reformierten Kirche nicht abwichen, aber in katholisch-klösterlichem Wandel, in Gütergemeinschaft lebend und von ihrer Hände Arbeit sich nährend einen hohen Grad gottseliger Vollkommenheit zu erreichen trachteten. Ihre Lehren fanden infolge der überzeugenden und hinreißenden Predigten Labadies viele Anhänger, allein die dadurch hervorgerufene Spaltung in der Gemeinde Middelburg zog ihnen den Haß und die Verfolgung Andersgesinnter zu. Ihres Bleibens war daselbst nicht länger; in Begleitung der ihn schwärmerisch verehrenden Anna Maria von Schurmann, der sich drei andere Damen anschlossen, verlegte Labadie seinen Wirkungskreis nach Amsterdam. Hier lebten sie alle zusammen in einem Hause. Als aber die über dies Zusammenleben aufgetauchten schlimmen Gerüchte nicht zu beschwichtigen waren, weil das aufgeregte Amsterdamer Volk gerade in solcher Lebensweise einen scharfen Widerspruch mit der öffentlich betonten Sittenstrenge erblickte, beschlossen sie, auch hier zu weichen.

Die Augen der Obdachlosen wurden auf Veranlassung von Anna Maria von Schurmann auf Herford gelenkt, wo die Freundin ihrer Jugend, die Genossin ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen, Elisabeth von der Pfalz, seit drei Jahren die hohe Würde der Äbtissin des freiweltlichen Reichsstifts bekleidete. Elisabeths ziemlich unabhängige Stellung innerhalb des Abteigebietes, der Freiheit, und ihre sich gleichfalls von der Lehre der Reformierten absondernde religiöse Überzeugung schienen der Freundin und ihrem Anhange die Gewähr für eine sichere Unterkunft und dauernde Niederlassung zu bieten. Der Bitte Anna Maria von Schurmanns um Aufnahme für sich, Labadie und seine Gläubigen entsprach eine herzliche Einladung.

Die Labadisten in Herford. Im November 1670 kam die kleine Gemeinde der „Wiedergeborenen“, 50 an der Zahl, hier an. Elisabeth hatte ihnen Haus und Hof des Stiftsamtmanns Steinmeier, die jetzige Brackmeiersche