Handbuch der praktischen Genealogie/356

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
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mit einer Frau aus einer Familie, die nicht zur Kaste gehörte, war einfach nicht Ehe. Die Kirche stand vollständig unter dem Gesetz dieser Kaste. Kein Fall ist überliefert, in dem sie damals eine Dynastenverbindung, bei der die Frau aus geringerem Volkskreise stammte, eingesegnet hätte.

      Aber der Dynastenstand begann schon um 1100 sich aufzulösen. Es handelt sich da um eine bis heute wenig erforschte Entwicklung, die sich vorläufig nicht in kurzen Sätzen überzeugend klarlegen läßt.[1] Jedenfalls finden wir seit Mitte des 12. Jahrhunderts verarmte Dynastenfamilien, die offenbar aus ihrer Kaste ausschieden. Wir hören, daß sich Erbtöchter solcher Häuser mit Dienstmannen verheirateten und ihnen Grundbesitz ihres Hauses vererbten. Es scheint, daß damals auch schon in ganz vereinzelten Fällen eine verarmte Linie eines Dynastenstammes sich geradezu in die Dienstmannschaft eines Fürsten hat aufnehmen lassen (urkundlich zweifellos belegt ist allerdings bisher kein Fall). Außerdem scheint es, daß um diese Zeit die Anschauung aufkam, daß Verbindung eines Dynasten mit einer Frau aus dienstmännischem (unfreiem) Stande Ehe mit allen familien- und erbrechtlichen Folgen der Ehe sein konnte, doch unter Wahrung des sogenannten Grundsatzes der „ärgeren Hand", d. h. so, daß die Kinder dann Dienstmannen des Herrn der Mutter wurden. Das wäre dann ein Gegenstück zum Prinzip der morganatischen Ehe gewesen; praktisch von ganz anderer Bedeutung: denn die spätere morganatische Ehe wurde für die bedeutenden Fürstenhäuser geschaffen, während jene Art der Deklassierung eines Dynastenhauses nur die kleinsten, die herabgekommenen, traf. Es wäre sehr interessant, wenn die Genealogie hier noch einiges aufklären könnte, denn vollkommen urkundlich sichergestellt scheint mir auch da bisher kein Fall, wenngleich oft genug in der genealogischen und in der rechtshistorischen Literatur mit dem Ausdruck „entfreit" gearbeitet wird.

      Seit dem 13. Jahrhundert können wir dagegen deutlich verfolgen, wie die gesellschaftliche Gleichstellung des dynastischen mit bevorzugten Kreisen des niederen Adels zunahm, der, wie bereits betont, verfassungsrechtlich damals schon vereinzelt ganz in die Stellung des hohen Adels aufgerückt war. Wir finden, daß in immer zahlreichen Fällen Töchter angesehener niederadeliger Häuser in hochadelige Häuser hineinheirateten, ohne daß die Kinder solcher Ehen dadurch in das der Familie der Mutter anhaftende besondere Unterwerfungsverhältnis irgend einem Fürsten gegenüber eintraten.[2] Andererseits finden wir, daß man seitdem bei herabgekommenen Familien offenbar infolge von derartigen Heiraten den Nachkommen nicht mehr die besonderen Rang- und Titelehren gab, die man im allgemeinen auch dem verarmten Dynastensprößling im Unterschied zum niederadeligen Herrn zuererkannte: Vortritt, Anrede „Freier" oder auch nur „Herr". Daß auf diese Weise verfassungsmäßige Rechte verloren gingen, läßt sich wiederum nicht nachweisen.


  1. Vgl. meinen oben zitierten Aufsatz aus der Festschrift für Zitelmann, 1913.
  2. Einige merkwürdige Freiungsurkunden für Kinder solcher Ehen, die für die Zeit von Rudolf von Habsburg bis Sigismund überliefert sind, müssen rechtsgeschichtlich noch kritischer beleuchtet werden als es bisher geschehen.