Drojental/Berichte

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Brief von Marschand

Besuch in Drojental

6. Mai 1992

Um 9:00 Uhr Frühstück im Hotel Baltica (Königsberg). Anschließend wird ein Taxi gemietet.

Wir fahren in Richtung Insterburg-Drojental. Von Georgenburg geht es nach Mittelwarkau. Von dort nach Buchhof. In Buchhof fragen wir die Leute nach Drojental. Da waren 2 Frauen, die kannten den Ort. Sie hatten dort Beeren gesammelt. Sie wollten uns dort hinfahren, aber nicht von Buchhof sondern von Schuiken. Wir fahren nach Schuiken.
Von dort beginnt um 13:00 Uhr die Wanderung über die Felder nach Drojental. Wir sind 5 Personen, die beiden Frauen, der Taxifahrer, Hilde und ich. Die eine Frau ist 72 Jahre, die andere 30 Jahre alt. Wir gehen 1 Stunde, wir gehen auch noch eine Stunde. Wir wollen schon aufgeben, aber die beiden Frauen sind sich ihrer Sache so sicher, sodass wir weiter gehen.

Um 15:30 Uhr finden wir die Drojebrücke. Sie ist der Mittelpunkt von Drojental. Die Brücke ist noch befahrbar, nur das Brückengeländer fehlt. Die Sonne scheint. Die Dorfstraßen sind noch gut zu erkennen. Sie werden auch jetzt noch benutzt. Es sind in der Umgebung Traktoren zu hören. Sie bestellen wohl die Felder. Von Drojental war nicht viel zu sehen. Von den Häusern sah man nur die Fundamentsteine. Einen kleinen Teich haben wir noch gesehen. Er gehörte wohl zur Schmiede. Das Dorfgelände war, außer den Straßen, mit Buschwerk und dünnen Bäumen bewachsen. Die Drojebrücke war mit roten Ziegeln verblendet. Dies konnte man noch gut erkennen.
Wir traten dann den Rückmarsch an. Um 19:00 Uhr waren wir in Schuiken. Um 20:30 waren wir wieder im Hotel in Königsberg.

Wir hatten Drojental gefunden!

Abschrift eines Briefes von Marschand (durch Heinz Richter)

Bericht von Dieter Keddigkeit

Meine Reise nach Drojental im Kreis Insterburg

Sonntag, den 13. Juni 1993

Vom Hotel Kaliningrad in Königsberg versucht Dolmetscherin Angela einen Bus oder eine Bahnverbindung nach Insterburg zu bekommen. Ergebnis: Erst mittags geht vielleicht ein Zug. Busse haben ca. 3 Std. Verspätung. Mit einem Taxi geht es deshalb über Tapiau nach Insterburg. Wie eine typische russische Stadt sieht Insterburg aus. Der „alte Markt“ wirkt öde und unfreundlich. Es gibt keine alten Häuser mehr und keine Kirche, stattdessen ein paar russische Einheitsbauten. Erkannt habe ich den „alten Markt“ an einer Mauer mit Bogendurchgängen, die neben der Kirche war.

Nach kurzer Stadtrundfahrt geht’s über Georgenburg, Zwion nach Birken. An der Kirche lasse ich halten. An einer Außenwand der Kirche ist ein Schuppen angebaut. Jetzt soll das Kirchenschiff als Lagerhalle genutzt werden. Die Kirchturmspitze fehlt. Auf dem Turm sind zwei Storchennester mit Störchen. Sprachlos fahren wir weiter. Die alte Straße nach Tiesfelde, gesäumt von Bäumen, fahren wir ca. 2 km. Nun folgen wir den linken Treckerspuren mit tiefen Schlaglöchern. Der Taxifahrer fährt trotz meiner Mahnungen munter drauflos. Er meint, kein Problem für ihn als alten Panzerfahrer. Außer einem Haus in Kleinbirken sind kein Dorf, kein Haus und kein Mensch zu sehen. Die Felder sind unbewirtschaftet. Dann kommen wir zu einem Abzweig, vermutlich nach Neuwalde. Der Weg wird von schönen Bäumen gesäumt, ist aber verwachsen und erscheint unpassierbar. Wir fahren jetzt schon ein Stück geradeaus auf einer alten Straße. Da liegt ein Kieshaufen auf der Straße und versperrt uns den Weg. Der Taxifahrer holt einen Klappspaten aus dem Taxi und schaufelt unermüdlich den halben Kieshaufen beiseite. Mit weitem Anlauf fährt er gefährlich nah an Kieshaufen und Graben vorbei. Das war also geschafft. Der weitere Weg weist aber sehr tiefe Traktorenspuren auf, 50 bis 80 cm tief. Ich gehe vor, den weiteren Weg zu erkunden. Tiefe Schlaglöcher, Mulden, dann gehen die Spuren weiter neben der alten Straße im Feld. Hier aber ist das Gras, oder besser gesagt Unkraut, meterhoch und die Spuren verlieren sich. Die alte Straße mit Baumreihen an den Seiten ist ebenfalls verwachsen. Meterhohes Unkraut, dicke Äste umgestürzter Bäume machen die Straße unbefahrbar. Der Taxifahrer fährt seinen Lada durch diesen Dschungel. Nur das Wagendach ist noch zu erkennen. Endlich lässt er den Wagen stehen, und nun gehen wir westwärts durch hohes, nasses Gestrüpp. Die Drojewiesen bis zum Wald, mit riesigen Weidensträuchern bestanden, vermitteln einen unbekannten Eindruck. Im Nordosten wird ein Wald mit hohen Bäumen sichtbar. Sind wir vielleicht zu weit nach Norden gekommen? Die Gegend erscheint unbekannt im trüben Licht des Tages. Aufgeschichtete Betonplatten lassen einen Futterlagerplatz erkennen. Am Wäldchen vorbei führen die Wegspuren über einen ausgetrockneten Bach. Sollte dies die Droje sein mit dem Dorfteich? Aber im Dorfteich wachsen hohe Bäume.
Beim Absteigen ins Bachbett ist die gemauerte Brücke zu erkennen. Es ist tatsächlich die Drojebrücke in Drojental. Doch die kleinen Wälder passen nicht in die Landschaft. Beim Blick von der Brücke nach Westen ist die Weggablung erkennbar, dazwischen hohe, sehr hohe Bäume. Zweifel über Zweifel. Der rechte Weg könnte zu unserem Hof führen, aber ein hoher Wald mit Bäumen, 10-20 m hoch, und einem undurchdringlichen Dickicht zerschlagen die Vermutung. Jedoch die überaus hohe Baumreihe am Waldrand könnte unsere Lindenhecke sein. Wo früher die Hofauffahrt, der Vorgarten, der Hofplatz war, ist hoher Wald. Das Unkraut und Gestrüpp ist meterhoch, die Bäume stehen dicht bei dicht. Mückenschwärme umkreisen uns und peinigen uns unablässig. Im trüben Licht dieses Dschungels kommen Fundamentreste zum Vorschein. Umgestürzte Bäume, Rankengewächse und immer wieder die Mücken erschweren unser Vorankommen. Fundament- und Mauerreste des Wohnhauses können wir entdecken. Der Stall zur rechten wird durch eine stehende kleine Mauerecke, gefügt aus Naturstein, gut erkannt. So durchstreifen wir das ganze Fundament des Stalles. Auch der Hofplatz sieht urwaldähnlich aus. Im Dunkel dieses Waldes finden wir gegenüber die Fundamente des zweiten Stallgebäudes besser erhalten. Rotes Ziegelmauerwerk, ca. 1 m hoch auf der linken Seite des Stalles. Da ein ganz markanter Punkt: Im Mauerwerk wird von außen ein kleines gemauertes Gewölbe erkennbar, daneben in der Wand ein eiserner Ring. Hier hat früher der Hofhund Tommie seinen Platz gehabt. Ich bin überwältigt, in dieser Wildnis, diese Entdeckung gemacht zu haben. Zerstochen von blutgierigen Mücken, durchnässt vom feuchten Gestrüpp kämpfen wir uns durchs Unterholz. – Und dann steht im Bereich der Hofauffahrt eine wunderschöne Lilie in diesem Dschungel. Unfassbares ist auf uns eingestürmt.
Durch hohe Brennnesseln hindurch bahne ich mir einen Weg zur früheren Schule. Das Fundament ist gut erkennbar. Die Hecke ums Schulgebäude ist inzwischen 15 m hoch geworden und höher.
Nun gehe ich über die Dorfstraße zur Brücke, den „Berg hinauf“. Wo früher Gärten und Häuser standen, steht dichter Wald. Das alte Pflaster der Straße ist in den Fahrspuren gut zu erkennen. Bei der Mühle drehe ich um. Beim Rückweg bin ich doch sehr betrübt. Auf unserem Weg von Birken hierher und in Drojental haben wir keinen Baum, kein Dorf, keinen Menschen und kein Tier gesehen.
Wir gehen wieder in Richtung Tiesfelde. Der Hof von Franz Keddigkeit ist mit meterhohen Brennnesseln bedeckt. Die Bäume im Scheunenbereich und im Garten haben sich zu Riesen entwickelt. Da steht ein kleines viereckiges Wäldchen mit hohen Bäumen. Durch meterhohes nasses Gras komme ich zu unserem Friedhof. Jedoch ist auf ihm kein Grabstein zu finden, statt dessen Verwüstungen, ausgehobene Gräber und mehr. Dies hat mich völlig erschüttert.
Mühsam kämpfen wir uns durch die feuchten Drojewiesen durchs meterhohe Gras zum weit entfernten Taxi. Wir alle, die Dolmetscherin, der Taxifahrer und ich sind völlig durchnässt und verschmutzt und von Mücken arg zerstochen.

Dies ist wohl ein Tag, den ich nie vergessen werde, und dabei hatte ich mir das Wiedersehen mit der Heimat nach 48 Jahren doch ganz anders vorgestellt.

Dieter Keddigkeit (Juni 1993)

Johannes Sembrzycki

Sitten und Gebräuche in Padrojen vor 40 Jahren (um 1850)

Auszüge aus: Altpreußische Monatsschrift, Königsberg: Rosbach, Bd. 26 (1889), S. 491-501 [1]
Zum Schutze gegen den Teufel malte man drei Kreuze an die Thür; auch wurde jedes Stück Vieh im Stalle bekreuzt. Man fegte eine Schaufel Gemüll zusammen und warf dies über die Nachbarsgrenze; dadurch wurde man von den Flöhen im Hause befreit, indem diese zum Nachbar wanderten.

Wer in der Neujahrsnacht um zwölf Uhr durch das Astloch eines eichenen Brettes sah, erhielt dadurch die Gabe, Geister zu sehen; doch trachtete niemand nach derselben, da die Männer in der Gegend, welche Geister auf den Kirchhof tragen mußten, dies als etwas entsetzliches schilderten.

Am Palmsonntage wurden zu Mittag Glumskeilchen gekocht, gewöhnliche Keilchen, die mit Schmand und Glums begossen wurden. Kisseel wurde an jedem heiligen Abende gemacht und am Erstfeiertage Mittags mit Milch, Abends mit Speck aufgebraten gegessen. Szupinis gab es zu Fastnacht und zwar mit geräuchertem Schweinskopf; dagegen war Szaltenos vollständig unbekannt. Von sonstigen besonderen Speisen hatte man noch Klösse aus feingemahlenen Schweinsbohnen.

Wenn die Kuh kalbte, wurde das Beest (die erste Milch) durch Heede gegossen und mit Mehl Keilchen davon gekocht; diese mußten aber bis zum völligen Erkalten stehen bleiben, hätte man auf sie gepustet, so wäre der Kuh das Euter geplatzt.

Fladen backte man auf hölzernen Schaufeln; man bestreute dieselben mit Kleie, breitete den Kuchenteig flach auf ihnen aus, bestrich ihn mit Honig oder Syrup und schob ein. Der Syrup wurde nicht gekauft, sondern aus Mohrrüben und Runkeln selbst gekocht. Das Brot wurde auf einer durch ein Kumstblatt oder Calmus gebildeten Unterlage in den Ofen geschoben, wodurch es größeren Wohlgeschmack bekam. Das Getreide wurde so weit angänglich auf dem Quirl selbst gemahlen, eine langweilige Arbeit! Ueberhaupt machten sich die Leute damals alles selbst und gebrauchten nur Eigenes. So zogen sie sich im Garten Birken-, Birnen- und Eschenbäume; sollte eine Tochter heirathen, so hieben sie die Bäume ab, schnitten sie in Bretter und ließen hieraus vom Tischler die Aussteuer­sachen fertigen. Die ganze Kleidung bestand aus selbstgemachten Stoffen, doch wurde zur Herstellung der Anzüge ein Landschneider in's Haus genommen, der ihnen einen möglichst städtischen Schnitt gab; nur die Alten trugen noch ihre besondere Tracht: die Männer lange Wandröcke bis zum Knöchel, an den Schultern faltig gekraust, lange Stiefel und hohe Filzhüte, in denen sie bei der Kirchfahrt ihr Taschentuch aufbewahrten; die Frauen stattliche Kopftücher und Marginnes (Röcke).

Die Gebräuche bei Hochzeiten unterschieden sich nicht von den bekannten; zu erwähnen ist nur das Recht, welch es Bauern, deren Besitzung zu beiden Seiten des Weges lag, geltend machten: sie sperrten dem Hochzeitszuge durch eine Stange den Weg, bis ihnen Fladen und Branntwein gereicht wurde. Einen gleichen Tribut erhielten die alten Weiber, welche an passenden Stellen, z. B. an einer Brücke, aufgestellt, aus Leibeskräften "krieschten". Daß dem Hochzeitszuge geputzte Marschälle vorausritten, an jedem Kruge angehalten, einmal herumgetanzt und getrunken und dann weiter gefahren, richtiger gerast, wurde, kam nur noch selten und nur bei echt litauischen Hochzeiten vor.
Den neu geborenen Kindern wurden die Köpfe leicht zusammengepreßt, indem man sie mit flachen Händen an der Stirn und am Hinterkopfe faßte.
Wurde jemand krank , so war das erste, Johanniskraut, weißen Steinklee und blakutes (Coriander) auf glühende Kohlen zu streuen, ein reines Hemde darüber durch Hin- und Herwenden einzuräuchern und dem Kranken zum Anziehen zu geben. Von Arzt und Apotheke hielt man nicht viel, sondern nahm seine Zuflucht zu allerlei Hausmitteln; nur Hoffmannstropfen hatte man stets im Hause.

War jemand gestorben, so mußte jeder, der die Leiche besehen kam, Schnaps und Fladen erhalten. Beim Begräbnisse wurde der Sarg unter Absingen geistlicher Lieder durch das Dorf getragen und zwar, wenn es die Leiche eines Wirths oder seiner Frau, eines Altsitzers oder einer Altsitzerin war, von sämmtlichen Wirthen des Dorfes. Der Lehrer hielt die Grabrede und bekam dafür außer Speise und Trank einen Gulden. Alten litauischen Leuten gab man, wenn ihre Kinder sich dem Deutschen zugewendet hatten, ihre litauischen Gesangbücher und Bibeln mit in den Sarg, ein Gebrauch, der auch heute noch in jener Gegend besteht.


Auszüge aus dem Buch von Georg Lenuweit

Von Ostpreußen bis in Mecklenburgs Nossentiner Heide - Vom Kindheitstraum Förster zum Staatsjäger bei Honecker

[2]

Wie es in Padrojen einmal war

Mit einigen Erläuterungen zu Begriffen und Sitten aus dem o. g. Aufsatz von Johannes Sembrzycki

Meine Vorfahren, die alten Padrojer, waren scheinbar ein bemerkenswertes Völkchen. Warum sollte denn sonst der bekannt ostpreußische Volkskundler, Johannes Sembrzycki, ausgerchnet nach Padrojen gegangen sein, um über Sitten und Gebräuche in einem beachtenswerten Aufsatz in der Altpreußischen Monatsschrift, Jahrgang 1889 zu berichten. Seine Beschreibungen beziehen sich auf die Zeit um 1850.

"… Die Grützwurst wurde aus auf dem Quirl selbstgemahlener Gerstengrütze bereitet,…". Der Quirl war eine aus 2 Mühlsteinen von ca. 60 cm Durchmesser bestehende handbetriebene Mühle der kleinen Leute. Ein die Zeiten überdauerndes Exemplar stand immer noch auf unserer "Lucht" (Hausboden). Als wir im Sommer 1946 nach der Flucht und des Umherirrens wieder in unser Haus zurückgekehrt waren, war dieser Quirl eine unschätzbare Hilfe beim Überlebenskampf.

"… Zu den Ziburei (Leuchtspäne) hatte er (Großvater) möglichst lange, astfreie Stücke Tannen- (durchaus nicht Fichten-) Holz ausgesucht, …". Da der Großvater auch "Tannenzapfen" sammelte und trocknete, ist der Schluss zulässig, dass der Autor sich der landläufigen Baumartenbezeichnung bediente. Hierbei war die "Tanne" botanisch die Fichte und die "Fichte" war die Kiefer. Die Zapfen der Tanne zerfallen in der Baumkrone und lassen sich im Gegensatz zur Fichte nicht am Boden aufsammeln. Es gab in Ostpreußen kaum Bestände der Weißtanne, da ihr natürliches Verbreitungsgebiet nördlich nicht über die deutschen Mittelgebirge hinausreicht. Bei der Fichte war es anders, ganz Ostpreußen gehörte zum baltischen natürlichen Verbreitungsgebiet.

Bei "Bruken" handelt es sich um Kohlrüben (Wruken). So konnte man eine marktschreierische Bäuerin auf dem Markt in Insterburg rufen hören: "Madamke, wenn se Bruke bruke (brauchen), bruke se von mine Bruke."
"… Am Palmsonntage wurden zu Mittag Glumskeilchen gekocht,…." Glums = Quark, Keilchen = länglich ausgerollte, an den Enden sich verjüngende Klöße.
"… Kisseel wurde an jedem heiligen Abende gemacht…". Kisseel war im litauisch beeinflussten nördlichen Ostpreußen etwas Besonderes. Hafermehl wurde in einem Steintopf mit Wasser und Sauerteig angesetzt und auf dem warmen Herd zum Säuern (Gären) gestellt. Zum richtig abgepassten Zeitpunkt wurde die Masse durch ein Seihtuch ausgedrückt und die so gewonnene gesäuerte Hafermehlflüssigkeit so lange gekocht bis abgekühlt hieraus eine puddingartige Masse entstand. Auf dem Teller wurde Milch frisch von der Kuh darüber gegossen und alles mit Zucker bestreut. Alle aßen ihn gerne, aber Kochen konnte ihn nicht jeder. Gekocht wurde reichlich, und wenn der Kisseel gut geraten war, wurde ein Teil an die Nachbarschaft verteilt. Wir Kinder waren von dieser Art Pudding nicht begeistert. Der kleine Franz aber aus Tante Anna´s Nachbarschaft hatte meist Hunger. Er hatte eines Tages eine Nachricht zu überbringen und stand auf der Türschwelle zur großen Wohnküche, wo Tante Anna und Onkel Fritz genüsslich ihren Kisseel aßen, der mit seinem fein säuerlichen Geruch den Raum füllte. Schließlich fasste sich Franz ein Herz und sagte: "Kisseel ät ek jern!" (Kisseel ess ich gern!). Auf diesen Spruch gab Tante Anna zunächst nicht viel und als nichts passierte, trampelte Franz ungeduldig hin und her und schließlich kam wieder: "Kisseel ät ek jern!" Nun ging Tante Anna ein Licht auf: der Bengel hatte Hunger! Nun saß er bald am Tisch bei Tante Anna vor einem großen Teller Kisseel.
"... Szupinis gab es zu Fastnacht...." = Erbsenbrei.
Weiter wird mitgeteilt: "... Überhaupt machten sich die Leute damals alles selbst und brauchten nur Eigenes. Die ganze Kleidung bestand aus selbstgemachten Stoffen, doch wurde zur Herstellung der Anzüge ein Landschneider in´s Haus genommen, der ihnen einen möglichst städtischen Schnitt gab; ….". Unsere Tante Anna hatte als junges Mädchen Schneiderin gelernt. Auch als spätere Bäuerin und Jahre nach der Flucht hat sie es geschafft, uns 3 Kinder immer vollständig einzukleiden.

Aus der Sichtweise der Menschen um das Jahr 2000 mag manches, was aus jener Zeit und aus jenem fernen, östlichsten ehemals deutschen Land zu berichten ist, nachsichtiges Lächeln hervorrufen. Aber gemach - es hatte alles seinen tieferen Sinn. Nehmen wir die alte verwitterte Klätkesche. Da rachulte (schuftete) sie auf ihrem kleinen Kartoffelacker gleich hinter dem Dorf. Sie war ehrgeizig und bestrebt, die Bauern in der Kartoffelernte zu übertreffen. Zu diesem Zweck hatte sie auf dem Acker im "Vorzeigesack" obenauf die größten und schönsten Kartoffeln gelegt. Kam jemand vorbei, und von Kartoffeln verstand in Padrojen jedermann etwas, rief sie schon von weitem: "Kohme se kicke, kohme se kicke, so wat von Kartoffelkes!" Dann öffnete sie voller Stolz den Sack mit den obenauf liegenden Elitekartoffeln. Es kamen anerkennende Worte des Betrachters oder auch ein nachsichtiger Hinweis darauf, dass sie durchschaut war.

Der Bauer Puschkoweit war ein rechter Kupscheller (durchtriebener Pferdehändler). Mit seinem Gaul stand er in Insterburg auf dem Markt und wollte ihn nicht nur verkaufen, sondern dabei auch noch ein gutes Geschäft machen. Da trat ein interessierter Zigeuner zu ihm und Puschkoweit fing sogleich an, die Vorzüge seines Pferdes zu preisen: "Dat es e echter Trakehner, em fehlt man bloß de Brand. Oaber dat es egol, Trakehner es Trakehner. To riede un to fohre jeit he joa nich so oaber to lide wie e Lamm ", (zu reiten und zu fahren geht er ja nicht so aber zu leiten wie ein Lamm). Das Geschäft kam zustande. Der Zigeuner wollte aber auch ein gutes Geschäft machen und abends, als der Markt sich langsam leerte, stand er mit seinem "Trakehner" immer noch auf dem Markt und man hörte: "To riede un to fohre.....".

Lehrer Walter von der Schule Auxkallen (Nachkriegsaufnahme)

Die Tage in der Schule waren, den allgegenwärtigen Rohrstock mal beiseite gelassen, erträglich. Das Schulgebäude in Padrojen war ein Ende der dreißiger Jahre neu errichtetes schönes Gebäude. Vor dieser Zeit gab es in dem Ort keine Schule. Hier wurde ich noch 1941 eingeschult und kaum, dass ich das erste Schuljahr beenden konnte, war unsere Lehrerin fluchtartig aus Padrojen, und wohl auch aus Ostpreußen, entflohen. Sie war noch jung und stammte irgendwo "aus dem Reich". Diese ostpreußischen Bauernlümmels täglich zur Räson zu bringen und ihnen dann auch noch das kleine und große Einmaleins einbläuen zu müssen, ging über ihre Kräfte. Eine neue Lehrerin oder gar einen neuen Lehrer gab es nicht. Wir wurden auf zwei Nachbarschulen aufgeteilt. Der östliche Teil von Padrojen, und dazu gehörten wir, ging nach Ringelau (Auxkallen) zu Herrn Lehrer Walter in die Schule. Auxkallen war nicht weiter als 2 km von Padrojen entfernt.

Vom ersten bis zum achten Schuljahr saßen wir in einem Raum, vorne saß das erste, hinten das achte Schuljahr, zusammen waren wir so an die vierzig Schüler. Je mehr Schüler in einem Raum sitzen, umso weniger Lehrer entfällt auf einen Schüler. Wir hatten damit also ein recht günstiges Verhältnis zu Gunsten der Schüler. Unterschätzen wir unseren Herrn Lehrer Walter nicht. Er war ein älterer, mit einem angegrauten Nasenbärtchen verschönter Preuße, streng und vielleicht auch mehr oder weniger gerecht, obwohl ich das Empfinden für die Gerechtigkeit damals nicht so hatte. Mit dem Rohrstock wusste er umzugehen. In den drei Jahren meiner, dieser Schulzeit hat er mir 11-mal mit dem Rohrstock mein Gedächtnis oder das brave Benehmen aufgefrischt. Ich habe genau mitgezählt. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass in meinem Falle schon kleinere Anlässe reichten, um solches zu tun. Vater war mit Lehrer Walter gut Freund, und hier hatten sich wohl beide mit mir viel vorgenommen. Jedenfalls beschweren konnte ich mich zu Hause nicht, da hätte es unter Umständen "Nachschlag" mit dem Siebenzagel gegeben. Der reguläre Schulunterricht war für uns in Padrojen etwa im November 1944 zu Ende.

Unsere Flucht

Am Abend dieses neunzehnten Januar war Padrojen leer. Nur beim Müller Lenuweit brannte in der Stube eine Stalllaterne und breitete ihr gedämpftes Licht über eine kleine Gruppe verängstigter Menschen: die Müllersfamilie, ein ukrainisches dienstverpflichtetes Mädchen vom Hof unserer Nachbarn und auch Tante Anna und Onkel Fritz hatten sich eingefunden. Warum waren wir eigentlich nicht schon lange im Wald, in unserer Höhle? Draußen war Motorengeräusch zu hören, und dann standen ein paar abgekämpfte Landser in unserer Stube, es waren Hauptmann Jädtkes Leute. „Was machen sie denn noch hier?“ fragte in barschem Ton der Anführer. Vater wollte ihm klar machen, dass wir hier auf die Russen warten. Damit kam er bei unserem Landser an die verkehrte Adresse: „Die Russenpanzer befinden sich ein paar Kilometer von hier entfernt, sie sind schon in Aulowöhnen eingedrungen. Das hier wird Frontgebiet. Können sie sich überhaupt vorstellen, was hier vielleicht schon in ein paar Stunden los sein wird? Morgen früh sind sie hier verschwunden!“ Ja, das war eindeutig, Widerspruch war zwecklos.

Am nächsten Vormittag stand der voll bepackte Flüchtlingswagen von Tante Anna und Onkel Fritz an unserer Mühlenrampe. Henry, Ruth und ich saßen schon eingemummelt in Pelzdecken auf dem Wagen. Bevor Onkel Fritz „hü“ sagte, wendete Vater sich zu uns und in einem bisher nicht gekannten Ton sagte er: „Kinder, seht euch euer zu Hause noch einmal an, wer weiß, ob wir es wiedersehen!“ Das war eine Aufforderung, die, wie wir später sehen werden, seine Berechtigung hatte.

Onkel Fritz stieg auf den Wagen, wedelte ein wenig mit der Peitsche und sagte „hü!“ Vater, Mutter und Tante Anna gingen nebenher oder hinter dem Wagen. Onkel Fritz war schlecht zu Fuß, er saß vorne auf dem Wagen und führte das Gespann. Diese Situation in seiner ganzen Tragweite konnte ich sicher nicht erfassen, denn ich saß zufrieden auf dem Wagen und schaute auf die hinterher stapfende Mutter, die ich zum ersten Mal in langen Hosen laufen sah.

Dieser 21. Januar war ein entscheidendes Datum beim Kampf um Ostpreußen, es war ein Sonntag und zu allem Überfluss mein 10. Geburtstag. Es ging auf den Abend zu, an diesem späten Winternachmittag des 21. Januar. Auf verschneiten, schwierigen Landwegen hatten wir das Gut Taplacken erreicht. Bis hier sind wir auf den einsamen Landwegen gut vorangekommen, wir waren ja Nachzügler, weit hinter den großen Flüchtlingstrecks. Von hier sollte es auf der Chaussee in gerader Richtung auf Königsberg weiter gehen. Aber erst einmal brauchten Hans und Lotte eine Ruhepause, sie sollten gefüttert und getränkt werden, und auch wir wollten die Pause nutzen, um schnell etwas Essbares auf einem Feuerchen zu bereiten. Onkel Fritz lenkte unsere treuen, aber auch schon müde und schwitzig gewordenen Rosse auf den Gutshof, der hier aber schon mit Flüchtlingswagen vollgestopft war. Im großen Gutsstall fanden wir für unsere treuen Pferdchen noch eine freie Ecke, um sie notdürftig zu versorgen und wo sie etwas Ruhe finden konnten. Nachdem sie die Wassereimer gierig ausgesoffen hatten, wurden ihnen die mitgebrachten Tröge vorgestellt und mit Hafer und Häcksel gefüllt. Dann sollten sie noch Heu bekommen, aber dazu kam es nicht mehr. Um die Stallecke herum, an einer geschützten Stelle, hatten wir unser kleines Lagerfeuer entfacht und Tante Anna war gerade dabei, dem Kochtopf die erforderliche Menge geräucherten Speck hinzuzufügen, als sich unter den Flüchtlingen eine nervöse Geschäftigkeit ausbreitete. Die alten Bauern, Frauen oder oft auch noch kindhafte Rosslenker rannten zu ihren Pferden und Wagen, machten sie marschbereit. Nachdem sich die Wagenbesatzungen vollzählig eingefunden hatten, fuhren sie in großer Hast vom Gutshof hinunter auf die Chaussee Richtung Westen, auf Königsberg zu - Russenpanzer waren im Anmarsch! Der sowjetische Oberst Sommer hatte es geschafft, uns bei Taplacken einzuholen. Nun rannten auch wir zu unserem Wagen. Vater war vorneweg, und als wir hinzukamen stand er fassungslos im Stall vor unserer Lotte. Der Hans war weg! Und nu - ?? Nachdem wir unsere Lotte zum Wagen geführt hatten, ging Vater eilig wieder in den Gutsstall. Es dauerte nicht lange und da kam er mit einem vollständig aufgesielten Gaul wieder heraus. Ob dieses Pferd nun von seinem Besitzer stehen gelassen wurde, weil er es für den weiteren Fluchtweg für untauglich hielt, oder ob auch wir ein armes Bäuerlein der letzten Fluchthoffnung beraubt hatten, blieb ungeklärt.
Onkel Fritz und Vater hatten eiligst angespannt, die ganze Familie saß auf dem Wagen und so schnell es ging, fuhren wir vom Gutshof hinunter auf die schon vollgestopfte Straße Richtung Königsberg.

Die Front holt uns ein

Die Straße hatte eine spiegelglatte, festgefahrene Schneedecke und langsam kroch die Flüchtlingskolonne dahin, in die wir uns mühsam einreihten. Auf dem Gutshof trafen wir tatsächlich noch einen Wagen aus Padrojen, es war die alte Klätkesche mit ihrem Einspännerwagen vom Bauern Franz Keddigkeit. Auf dem Wagen saß auch ihre Nichte aus Insterburg, eine nicht mehr ganz junge dürre Ziege mit einem lahmen Bein und flottem Maulwerk. So habe ich sie als Zehnjähriger in Erinnerung – Entschuldigung! Die Klätkesche schaffte es, sich hinter uns in die Kolonne der dicht gedrängt fahrenden Flüchtlingswagen einzureihen. Inzwischen war es ein schöner, mondheller Winterabend geworden. Die Flüchtlingswagen waren in hektischer Eile unter sich, von Militärfahrzeugen war nichts mehr zu sehen. Das war doch bedenklich!? Aber da war des Rätsels Lösung schon hinter uns zu hören: schwere Panzermotoren, rasselnde und kreischende Panzerketten. Sie wurden lauter und lauter und - verstummten! Wenige 100 Meter hinter uns hatten sie ihren Vormarsch unterbrochen und fingen an, mit ihren Panzerkanonen in unseren Treck oder über uns hinweg nach vorn auf vermutete Ziele zu schießen. Und tatsächlich war vor uns scheinbar ein zurückgebliebener Rest der Verteidiger, die mit Rücksicht auf unsere Flüchtlingskolonne zwar einige Kanonenschüsse abfeuerten, uns aber dann doch dem Schicksal überlassen mussten. Der russische Oberst Sommer, denn der war uns von Aulenbach und, wenn man so will, von Padrojen auf den Fersen geblieben, hatte diese Probleme nicht. Er schoss, was das Zeug hielt ohne Rücksicht über uns hinweg oder auch in den Flüchtlingstreck hinein. Als die Schießerei begann, war unsere Wagenbesatzung kopfüber vom Wagen heruntergerutscht und nahm in einer tiefen Schlucht am Chausseerand Deckung. Meine Schwester Ruth, unser Hund Moritz und ich hatten den Anschluss bei der Flucht vom Wagen verpasst. Da krachte eine Granate genau über mir in den Telefonmast, ein Draht fiel mir auf den Kopf. Jetzt hast du auch eins abgekriegt, dachte ich. Vorher schon jaulte unser Hund Moritz auf und sprang vom Wagen. Wir sahen ihn nie wieder. Dann trat Ruhe ein. Unten aus der Schlucht neben der Chaussee hörten wir Vater: „Kinder, seid ihr noch alle da?“ „Ja!“ schrie ich, packte Ruth und kopfüber fanden wir uns in der Schlucht bei den Eltern wieder. Jetzt lagen wir zusammen in guter Deckung und lauschten in die plötzlich eingetretene unheimliche Stille. Und dann waren, erst entfernt, dann näher, menschliche Stimmen zu hören. Was war das, - deutsch, russisch? - Es war russisch! Nachdem die Panzerspitze Feindberührung hatte und Flüchtlingskolonnen die Straßen verstopften sprangen die sowjetischen Panzergrenadiere von ihren T 34, schwärmten aus - und dann waren sie bei uns. Über den oberen Böschungsrand unserer vielleicht zwei Meter tiefen Schlucht erschien ein Stahlhelm, darunter ein Schneehemd und eine MP, die gefährlich mit ihrem Lauf zu uns herunterzeigte. Jetzt sprang Vater mit erhobenen Armen auf, und rief: „Nicht schießen - Zivil!“ Egal, was er davon verstanden hat, er schoss nicht. Der Lauf seiner MP machte eine Bewegung, die nicht misszuverstehen war. Wir kletterten der Reihe nach aus der Schlucht und wurden oben von drei Russen in Empfang genommen. „Uhri!“ Das war befehlend gesagt, denn noch hätte man uns nicht geglaubt, dass wir keine Uhren haben. Später sagte man: „Uhri?“ Allerdings mit dem entsprechenden Nachdruck! Nach einer nicht allzu gründlichen Leibesvisitation bei den Erwachsenen holte einer der Soldaten eine Flasche Schnaps aus der Manteltasche und reichte sie herum, nachdem er selbst einen ordentlichen Zug gemacht hatte. Jeder musste „na sdarowje“ sagen und auch einen Schluck aus der Flasche nehmen. Als ich an der Reihe war, gab Vater zu verstehen, dass ich noch keinen Schnaps trinke, womit er denn auch zufrieden war.

Rückkehr nach Hause

Trotz der Heimatnähe, in einem Gewaltmarsch wären wir an diesem Tage noch gut in Padrojen angekommen, legten wir doch noch eine Pause ein, um dann am nächsten Morgen die schon vor uns zurückgekehrten Padrojer in der Heimat zu begrüßen. In einem kleinen Häuschen etwas abseits der Heerstraße nahmen wir Quartier. Vater beschloss, nicht in unser Haus zurück zukehren, da es direkt am Weg dorfeinwärts stand. Der Hof von Tante Anna und Onkel Fritz Kairies wäre bestimmt besser. Er lag abseits der Ortsverbindungswege, nicht weit vom Wald, verdeckt durch Bäume und Sträucher. Das Bauernhaus war in seinem Grundriss gar nicht so klein, aber es stand geduckt mit weit ausladendem Strohdach auf starken Balken im Viereck des Hofes. Um dorthin zu gelangen mussten wir auch nicht in das Dorf marschieren. Der Hof lag seitlich unseres Weges etwa einen Kilometer vor dem Dorf. Dort gingen wir nun hin, dort waren doch Tante Anna und Onkel Fritz zu Hause, und deshalb waren auch wir dort ein bisschen zu Hause.

Es war ein ruhiger Wintertag mit wolkenverhangenem Himmel und leichten Frosttemperaturen. Als wir auf den Zufahrtsweg zum Hof einbogen, kam eine leise freudige Erregung auf - endlich sind wir wieder da, wir haben es geschafft! Hier bleiben wir, hier warten wir auf unsere Padrojer und werden die Ersten gewesen sein. Dass unsere Padrojer wieder zurückkommen würden, stand außer Frage. Sicher nicht alle, denn trotz aller Fährnisse hatten wir doch immer wieder großes Glück gehabt. So marschierten wir denn ahnungslos voller Zuversicht durch das Hoftor.

Eigenartig - hier sind doch Fußspuren - frisch im Schnee! Unsicher geworden, gingen wir trotzdem bis zum Brunnen mitten auf dem Hof. „Da ist jemand drin;“ sagte Vater. Hinter der Fensterscheibe zur Küche hatte er eine Bewegung gesehen. Dann sagte er: „Bleibt hier man stehen, ich kuck nach!“ Als er den Flur betrat, war die Tür zur Küche einen Spalt geöffnet und der Lauf einer Maschinenpistole der deutschen Wehrmacht wurde herausgesteckt.

Fünf deutsche Soldaten, bis an die Zähne bewaffnet, hatten sich hier einquartiert. Die Front war hier vor fünf Tagen durchgezogen und stand 20 km vor Königsberg, also zu diesem Zeitpunkt 60 bis 70 km Luftlinie entfernt. Aber das wussten wir nicht und die Soldaten auch nicht. Vater wurde sich mit den Soldaten einig. Wir suchten uns eine Unterkunft auf einem anderen Gehöft, das jenseits dem Landweg nach Berschkallen lag und über dem Acker 500 m entfernt von diesem Soldatennest war. Auf der Hälfte dazwischen führte also unser Landweg nach Berschkallen, der vor einer Woche unser Fluchtweg war und jetzt scheinbar dem Nachschub der Sowjetarmee diente. Die Soldaten wollten in zwei oder drei Tagen Richtung Westen ziehen und sich nach vorn durch die Frontlinie durchschlagen.

Am nächsten Tag bahnte sich die Katastrophe an. Schon wieder kam eine russische Nachschubkolonne aus dem Dorf herausgekrochen. Sie mussten also genau zwischen dem Soldatennest auf Tante Annas Bauernhof und unserem Ausweichquartier hindurch. Wieder hatten wir ausreichend Vorsorge getroffen. Nicht auszudenken, wenn wir im Zusammenhang mit den Soldaten auf der anderen Wegseite entdeckt worden wären! Wir standen im Zimmer in angemessener Entfernung vom Fenster, voller Angst, hoffend, dass die Kolonne ohne Argwohn ihren Marsch fortsetzten würde. Oh Gott! da haben wir es - sie hatten Argwohn geschöpft. Etwa vier oder fünf Russen lösten sich aus der Kolonne und gingen über den verschneiten Acker auf das Soldatennest zu. Kaum waren sie auf der Hofauffahrt hinter den Büschen verschwunden, als auch schon das Feuer eröffnet wurde. Wie lange hatte die Schießerei wohl gedauert? Die Russen kamen jedenfalls vollzählig wieder zum Vorschein, wurden von der grauen Masse der Kolonne aufgesogen und ohne Unterbrechung und scheinbar ohne von dem Vorfall Notiz zu nehmen, zog sie weiter. Tante Anna und Onkel Fritz interessierte nicht mehr die davonziehende Kolonne, wie versteinert schauten sie auf das, was ihnen mehr noch als Heimat und zu Hause war. Rauchwolken stiegen auf, wurden schnell größer und als das Strohdach in Flammen aufging, hatte das Inferno bald alle Gebäude überzogen. Der Rest war Schutt und Asche.

Da saßen wir nun auf dieser Klitsche und wussten nicht wohin. Ins Dorf gehen, in unser Haus? Nein, das war zu gefährlich. Aber erst einmal erkundeten wir das Dorf, gingen von Hof zu Hof auf der Suche nach etwas Essbarem oder irgendeinem Lebewesen. Ganz erfolglos blieb die Exkursion nicht. Hinter dem Stall von Franz Keddigkeit lag eine tote Kuh. Seit unserer Flucht bis zu diesem Tag hatte es mehr oder weniger starken Frost gegeben. Die Kuh war also seit der Flucht des Bauern, und das war sicher ihr frühester Todestag, gefroren und seitdem nicht mehr aufgetaut. Mit dem Messer war an der Kuh nichts auszurichten, eine Axt musste her. Es dauerte nicht lange, und Onkel Fritz kam mit einer Axt vom Hof und hieb der Kuh eine Keule vom Leib. Jetzt hatte alle Not ein Ende, jeden Tag zogen Düfte von Rinderbraten durch das Haus.
Nach einigen Tagen der Ruhe erschienen zu Fuß drei Russen auf unserem Hof, ein Offizier, ein Karabinerträger und ein einigermaßen deutsch sprechender Dolmetscher. Alle Anwesenden wurden der Reihe nach in Augenschein genommen und dann legten sie sich auf Vater fest. Vater musste sich nun mit den drei Russen an einen Tisch setzen und es begann ein Verhör. Zuvor wurde er einer Leibesvisitation unterzogen. Man wurde fündig. Ein kleines Taschennotizbüchlein holten sie aus seiner Joppentasche. Und was stand darin? Sieben Namen! Diese sieben Namen gehörten zu seiner Volkssturmgruppe. Verdammt! Er hatte diesem Büchlein überhaupt keine Bedeutung mehr beigemessen - und nun das! Eigentlich wollte er auch bei den Russen nicht als der Dorfmüller und Mühlenbesitzer, als Kapitalist, in Erscheinung treten, aber nun kam er in Erklärungsnot. Er entschloss sich, seine tapferen Volksstürmer in den großen Sack der Mühlenkundschaft zu stecken. Ob Volksstürmer, Mühlenbesitzer oder Proletarier, seinem Schicksal hätte er so oder so nicht entgehen können. Nach einer Vernehmungszeit von etwa einer Stunde sagte dann der Dolmetscher: „Fritz, du Spezialist, komm mit nach Insterburg arbeiten.“ An Mutter gerichtet: „Mann kommen zurück.“

Vater machte sich marschbereit, indem er sich seine alte Joppe anzog und die Mütze auf den Kopf setzte. Die drei Russen nahmen ihn in ihre Mitte, und so marschierten sie durch den Schnee auf das Dorf zu. Mutter war fassungslos, sie ahnte wohl, dass Vater von uns geht und dass wir jetzt auf uns allein gestellt waren, mitten in der Heimat, in einer extrem feindlichen Umgebung. In ihrer Ratlosigkeit nahm sie uns drei Kinder und so liefen wir in angemessenem Abstand hinter der Truppe her. Kamen wir näher, drohte der Dolmetscher und forderte uns energisch auf zurückzugehen. Wir sahen noch, wie Vater mit seiner Begleitung auf unseren Hof und dann in die Mühle ging. Jetzt war es wohl klar, man hatte einen richtigen Kapitalisten gefangen, für Sibirien gerade der Richtige. Hier mussten wir unsere Verfolgung abbrechen und konnten nur noch der sich langsam in der Schneelandschaft entfernenden Truppe hinterher schauen. Von Vater haben wir nie wieder etwas gehört. Was wir nicht wussten und was die Betroffenen nicht wussten: Während dieser Zeit, beginnend Ende Januar 1945, wurde eine groß angelegte Verschleppungsaktion deutscher Zivilpersonen aus den besetzten deutschen Ostgebieten organisiert und durchgeführt. Diese Aktion fand im Februar ihre Fortsetzung und hatte jetzt ihren Höhepunkt erreicht.

Die Wiederentdeckung der alten Heimat

Die nach der Wende gewonnene Freiheit und das neue Russland eröffneten uns überraschend Möglichkeiten, an die wir nicht mehr geglaubt hatten: eine Reise in die verlorene Heimat. Während das heute polnische südliche Ostpreußen (Masuren) auch dem DDR-Bürger offen stand, war unser nördliches Ostpreußen sowjetisches, militärisches Sperrgebiet mit höchster Geheimhaltestufe. Auch nicht im Entferntesten gab es die Hoffnung, jemals unseren Fuß auf heimatliche Erde setzen zu können. Nun war es anders, und kaum zu glauben, das russische Ostpreußen, die „Kaliningradskaja Oblast“, war geöffnet! 1993 hatten die drei Lenuweit-Geschwister mit ihren Ehepartnern eine Reise in das nördliche Ostpreußen gebucht. Unsere Vorstellung über das, was uns hier erwarten wird, war so weit von der erlebten Wirklichkeit entfernt, dass die Enttäuschung lange nicht verdrängt werden konnte. Die Heimat-Nostalgiker hatten im 8-tägigen Programm einen Tag zur freien Verfügung, und das sollte für uns unser Padrojentag werden. Im Familienverband waren wir also sechs Personen. Rudi, ein weiteres Mitglied unserer Reisegruppe, der kein Ostpreuße, aber Ostpreußen-Fan war, schloss sich uns an. Unser Quartier war ein Hotel im Ostseebad Rauschen. Von hier sollte unsere Reise nach Padrojen in einem „Mercedes“-Kleinbus beginnen. Der Fahrer war ein junger Mann, der uns der deutschen Sprache kundig (das war natürlich stark übertrieben) empfohlen wurde. Unsere Fahrt verlief auf der direkten Verbindungsstraße Königsberg - Insterburg. Und so kamen wir auch an Taplacken vorbei, unserem Schicksalsort, dort, wo der sowjetische Oberst Sommer mit seinen Panzern unserer Flucht ein Ende gesetzt hatte. Unsere kindlichen Erinnerungen waren derart widersprüchlich, dass an eine Lokalisierung der Endstation unseres Trecks nicht zu denken war. Ruth und Henry glaubten, nach links vom Wagen und in die Schlucht gesprungen zu sein, ich behauptete, dass es nach rechts geschah. Links und rechts der Straße war viel Gestrüpp, von Bauernhäusern keine Spur. Aber eines davon war ja damals schon über unseren Köpfen abgebrannt. Wir fuhren durch Insterburg über die Insterbrücke an Georgenburg vorbei auf der Tilsiter Straße, um irgendwo bei Blüchersdorf links abbiegend nach Padrojen zu gelangen. Nichts, es gab keinen Weg, der erkennbar und befahrbar in dem vermuteten Straßenabschnitt links abbog. Erst in Schackenau war wieder ländliches Leben erkennbar. Rechts der Straße befanden sich ein paar verlodderte doppelstöckige Wohnhäuser im kommunistischen Beton-Platten-Baustil, links, auf den weitläufigen Weiden graste weit auseinander gezogen eine Milchviehherde. Einzeln und in kleinen Gruppen kamen Frauen mit Eimern von der Viehherde Richtung Dorf. Es kam die Erinnerung aus unserer Sowchosenzeit. Hat hier die Zeit total still gestanden? Schwager Heinz angelte sich einen Russen und versuchte, ihn mit seinen sehr brauchbaren Russischkenntnissen nach unserem Padrojen zu befragen. Schließlich hatte Drojental auf der uns zur Verfügung stehenden Karte aus neuerer russischer Zeit einen ordentlichen russischen Namen bekommen: Gornostaevo. Also muss es doch wohl ein Ort sein, in dem auch Menschen wohnen, und die Entfernung von hier war doch sicherlich nicht mehr als etwa vier km. Der Mann wusste mit dem Ort „Gornostaevo“ nichts anzufangen. Dann aber kam ihm eine Idee: „Dort, in dem Haus an der Straße wohnt eine alte deutsche Frau. Gehen Sie hin, sie wird wissen.“ So übersetzte Schwager Heinz die Rede. Das wäre doch etwas, hier eine Frau aus jener vergangenen Zeit. Ich war gespannt! Vor dem Haus wurden wir von einer wilden Kinderschar empfangen, die durch milde Gaben auch nicht beruhigt werden konnte, aber jetzt erst recht wie Kletten an uns hingen. Uns empfing ein trostloses Treppenhaus. Wir waren verunsichert. Sergej, unser Kraftfahrer aus Königsberg, war bereit, nach der deutschen Frau zu suchen und stieg mutig die Treppe hoch. Es dauerte nicht lange und er war wieder da. Er winkte enttäuscht ab: „Frau besoffen.“ Also, da kommen wir hilflos in das Land der Väter und die einzige ostpreußische Frau weit und breit, die uns eventuell hätte helfen können, ist besoffen, ausgerechnet hier und jetzt. Da war aber doch eine schmale Kopfsteinpflasterstraße, die von der Chaussee links abbog, ein Hoffnungsschimmer. Wir waren ein Stück auf dieser Straße in den blauen Dunst gefahren, als wir einer Gruppe Russen begegneten. Sie waren zu Fuß unterwegs, scheinbar vom Acker kommend. Wir hielten an, holten unsere Karten heraus und versuchten, mit der „Ortskenntnis“ der Burschen etwas über den Ort „Gornostaevo“ herauszubekommen – zwecklos! Da nimmt mich einer dieser Russen beiseite und fordert mich auf, ihm zu folgen, zurück auf der Pflasterstraße. Wir marschierten in flotter Gangart, er immer ein paar Meter voraus, so an die 400 oder 500 m. Und da, an der rechten Seite, versteckt hinter allerlei Gebüsch zeigte er mir eine alte Wellblechhütte. Quer über dem Dach war ein großes Schild mit der verblichenen, aber noch gut lesbaren Inschrift „Buchhof“ zu erkennen. Buchhof war ein Haltepunkt unserer Kleinbahn von Insterburg nach Liebenfelde. Nun schien alles klar zu sein, unsere mitgebrachten Karten (Messtischblätter aus deutscher Zeit, 1:25 000 – 1 cm = 250 m) gaben Auskunft darüber, dass Padrojen etwa drei Kilometer links quer über der verwilderten Ackerfläche liegen muss. Eine alte Russin erzählte uns, dass im vorigen Jahr schon einmal jemand dagewesen sei, der nach dem „Dorf mit der Steinbrücke“ gefragt hätte. Sie zeigte mit dem ausgestreckten Arm über die Felder: „Dort ist eine Treckerspur und da gehen sie zur Steinbrücke.“ Es war nur eigenartig, dass die Russen mit der Ortsbezeichnung „Gornostaevo“ nichts anzufangen wussten und immer nur von der „Steinbrücke“ sprachen. Also gehen wir los. Unseren Sergej mit seinem Mercedes ließen wir zurück. Er sollte warten. Gleich unterhalb von Buchhof übersprangen wir in einer Wiesenschlenke einen Bachlauf ohne Wasser. Und das sollte für die nächsten Stunden und die Erreichung unseres Zieles schicksalhaft sein Dieser kleine Bachlauf ohne Wasser war unsere Droje nicht weit von ihrem Ursprung entfernt, und keiner ahnte das. Also glaubte ich, dass wir immer noch links der Droje wanderten und dass wir uns rechts haltend nichts verkehrt machen können. So hielten wir uns immer schön rechts und drifteten also auch an Padrojen rechts vorbei. Wer konnte uns sagen, ob wir uns immer noch auf der „vorgeschriebenen Treckerspur“ befanden, denn Treckerspuren gab es viele. Links hinter Hügeln in einer Talsenke waren große Bäume zu sehen. Aber das war links – und was geht uns links an. Wir brachen ab und wanderten zurück zu unserem Sergej mit seinem Mercedes. Wie sich später herausstellte, waren die großen Bäume in der Talsenke tatsächlich die Bäume an unserer Drojebrücke, und wir wanderten nur wenige 100 m an Padrojen vorbei und drifteten dabei immer weiter nach rechts ab.

Bis hierher waren wir gekommen, Die Sonne hatte zwar ihren Zenit um einiges überschritten, aber jetzt, kurz vor dem Ziel, aufgeben? Von der östlichen Seite an Padrojen heranzukommen, war gescheitert, also versuchen wir es von Westen über Berschkallen (Birken) auf unserem Fluchtweg. Wir fuhren zurück Richtung Insterburg. Diesseits des Pregel führte eine heruntergekommene, schmale alte Teerstraße nach Zwion. Zwion gehörte, ebenso wie Georgenburg, zum weltberühmten Gestüt Trakehnen und war Hengstprüfungsanstalt. Und dann war Zwion mir aus schon etwas dunkeler Knabenzeit in Erinnerung. Wir brauchten ein Schaf, denn auf selbst gestrickte Schafwollsocken für Jung und Alt konnte auf dem ostpreußischen Lande nicht verzichtet werden. Die Domäne Zwion verkaufte zu dieser Zeit Schafe. Und so fuhren Vater, Henry und ich mit Tante Annas Gespann und der Mehrzweckbauernkutsche nach Zwion und brachten glücklich ein schönes, junges Schaf nach Hause.

Georg Lenuweit und der Ehemann seiner Schwester Ruth, Heinz Richter, bei der Erkundung von ehemals Drojental (1993)

Von Zwion nach Berschkallen waren es noch etwa 8 km. Im halb verfallenen Ort kamen wir an einem größeren Gebäude vorbei. Und da, am Mauergiebel zur Straße war in Bruchstücken eine alte Inschrift zu erkennen: „Molkereigenossenschaft“. Hierher brachte also unser Ignaz Tag für Tag die Padrojer Milch in die Molkerei. Am Ende des Ortes auf der linken Seite sehen wir unsere Kirche. Ein erschreckendes Bild. Die gesamte Holzkonstruktion des Turmes fehlte. Das Dach war flach herabgesetzt und mit Platten abgedeckt. Die Fenster waren zum großen Teil zugemauert und längsseits davor unter einem hohen Schleppdach beschäftigten sich zwei junge Russen mit einem Trecker. Der Aufenthalt war kurz, wir wollten ja nach Padrojen. Wir fanden einen mit Kies sehr gut instand gesetzten Landweg, den wir der Karte nach und auch nach unserer noch recht brauchbaren Erinnerung als unseren alten Landweg erkannten. Und rechts in einem breiten Wiesental schlängelte sich unsere Droje. Nun kamen wir in freudiger Erwartung gut voran. Jetzt waren wir in Tiesfelde, hier macht der Weg einen rechten Winkel nach links um ein Bauerngehöft herum, alles so, wie erwartet, nur das Bauerngehöft war nicht mehr da. Es war kein Haus zu sehen, die ehemals verstreut liegenden Bauernhöfe waren weg, es gab sie nicht mehr. Abrupt hörte auch der schöne Kiesweg auf, und es begann anhaltsweise ein von Treckerspuren gekennzeichneter Weg am Rande der vernässten Drojeniederung. Auf der rechten Seite kam die Waldecke der Padrojer Forst dicht heran und von hier waren es doch nur noch etwa zwei km bis zur Drojebrücke. Bis hierher waren wir gekommen. Jetzt doch nur nicht aufgeben, wenn sich auch die Sonne im Westen bedenklich senkte. Henry hatte „Hufverschlag“, er wollte und konnte nicht mehr, Ruth hatte wohl kein Vertrauen zu meiner Lokalisierung der Lage, und so bildete sich die tapfere Dreiergruppe: Schwager Heinz, unser Ostpreußenfan Rudi und ich. Wir schritten tapfer aus auf dem nun beginnenden, oft nur andeutungsweise durch alte Treckerspuren erkennbaren Weg am Wiesenrand, eingesäumt von einzelnen alten Birken und Baumweiden. Und tatsächlich, nach relativ kurzer Wegstrecke begann mir die Gegend drum herum bekannt vorzukommen. Wir befanden uns an der Stelle, wo rechts der Hof von dem Bauern Franz Keddigkeit stehen müsste und ein bisschen weiter links, dort, wo vor uns der Weg leicht abfallend den Bogen nach links macht, müsste doch unsere Schule stehen. Aber weit und breit war kein Haus zu sehen, kein Schornstein rauchte Es gab keinen russischen Neupadrojer zu begrüßen. Unser Dorf, und scheinbar auch die Dörfer der näheren Umgebung, so wie die vielen auf ihren Äckern ausgebauten Bauernhöfe gab es nicht mehr, die russischen Neusiedler hatten sich geholt, was für sie nützlich war, bis zum letzten Ziegelstein und bis zur letzten Dachpfanne, und die Natur hatte sich zurückgeholt, was sie in grauer Vorzeit besessen hat. Und so empfand ich Genugtuung, dass links und rechts unseres alten Kopfsteinpflasters Wildschweine den Boden aufgebrochen hatten und hier auch Trittsiegel vom Rotwild zu erkennen waren. Wir gingen auf unserem alten Kopfsteinpflasterweg durch die gesamte ehemalige Dorflage, bis wir auf der anderen Dorfseite dort angekommen waren, wo einstmals unser Haus gestanden hat. Für eine intensivere Erkundung des Areals hatten wir nun keine Zeit mehr, der Tag neigte sich und unsere übrigen Expeditionsmitglieder saßen mit Sergej im alten Mercedes am Rande der Padrojer Wildnis und warteten.

Mit freundlicher Genehmigung von Irma Lenuweit, der Witwe des Autors dieses Buches, Georg Lenuweit, (Buch erschienen 2008 in Books on Demand)