Die teuflische Runde 13

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<<<Erzählungen aus Schmelz


Die teuflische Runde 13

Von Gerhard Krosien


Wie schon so oft treffen wir Schmelzer Bowkes - zwischen acht und zehn Jahre alt - uns vor der uralten, runden Kapelle aus großen Natursteinen mit breiten Mörtelfugen auf dem alten Götzhöfener Friedhof „Krähenwald". Ihr massives Eichentor mit rostigen Metallbeschlägen ist geschlossen. Es sieht sehr bejahrt aus. Mehrere kleine Maueröffnungen am oberen Rand der Kapelle sind mit dicken angerosteten Eisenstäben versehen. Innen ist es stockdunkel - wenn jemand überhaupt hineinzublicken vermag oder wagt.

Draußen führt im Abstand von etwa drei Metern eine halbverfallene, aus Feldsteinen aufgeschichtete, etwa einen Meter hohe, ziemlich verfallene Mauer rund um die Kapelle. Nur vor dem Eingang ist sie gerade um anderthalb bis zwei Meter unterbrochen, vermutlich um dort die Särge mit den Verstorbenen hineintragen zu können. An manchen Stellen ist die Mauer, die am oberen Rand einen verkrauteten Trampelpfad erkennen lässt, von Faulbaum- oder Fliederbuschästen überwuchert.

Wir Bowkes stehen im Haufen beieinander und reden lauthals aufeinander ein. Drei oder vier aus der Meute steigen kurz darauf an der einen Seite des Einganges auf die Mauer. Sie beginnen, die Kapelle linksherum auf dem Mauerkamm zu umrunden. Am Eingang angekommen, geht's rechts herum wieder zurück (zur zweiten Runde usw.). Die anderen lümmeln sich währenddessen vor der Mauerlücke auf dem Rasen herum. Es ist wieder einmal „Tag der Mutprobe" - für einige „Neue".

Nach der fünften Runde steigt der erste Bursche von der Mauer. Unter nur einigen Beifalls-, aber zahlreichen Schmährufen reiht er sich in der Meute an einer Stelle ein, an der „seinesgleichen" in der Rangordnung hingehört.

Nach der achten Runde springt der nächste von der Mauer herab. Für ihn gibt es schon mehr Beifall und weniger Schmähungen der „Lümmelnden". Er lagert sich bei den „Mutigeren" in der Rangordnung.

Nach Runde zehn steigt der vorletzte Bowke vom Mauerkamm. Er erhält fast nur noch Beifall der „alten Hasen" und den ihm gebührenden Platz in unserem Kreis.

Star ist jedoch der letzte seinen Mut Beweisende. Dennoch: Nach der zwölften Umrundung springt auch er – ein bisschen blass - von der Mauer herab. „Er hätte ja noch können, aber ...", meint er großspurig. Jedenfalls: Er ist der „Mutigste" von den Neuen. Respekt! Ein toller Kerl!

Aber - warum hat er dann schon nach Runde zwölf die Mauer verlassen, anstatt die alte Kapelle weiter zu umrunden? Ganz einfach: Ab Runde drei, spätestens aber nach Runde dreizehn sollte doch nach Aussage von Leuten, die es nun wirklich wissen müssen und die es uns Bowkes auch hatten wissen lassen, der leibhaftige Teufel aus der Kapelle herauskommen. Und dieses Risiko war allen von uns, aber auch allen und zu allen Zeiten zu groß! Es genügte ja auch, nach Runde zwölf der „Mutigste" der Neuen zu sein, wenn bis dahin noch nichts passiert war. Ohne Risiko. Das wusste jeder von uns. Das wurde von uns allen toleriert! So war es schon immer gewesen, und so war es auch gut!

(Nach dem Buch „Merkwürdiges im heutigen Gestern – Kurzgeschichten aus dem Memelland – Titel 'Mutprobe' “).