Handbuch der praktischen Genealogie/340

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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fehlt. Die älteste Form der Aristokratie bei unseren germanischen Vorfahren dachte daran nicht. Der germanische Adel ergänzte sich — immer wieder. Er beruhte geradezu auf der beständigen Erneuerung der genealogischen Tradition durch neue Glieder der ausgezeichneten und allbekannten Familien, nahm auch sicherlich mitunter neue Mitglieder auf: der Herzog im Kriege war nicht immer der König; er wurde besonders gewählt und da konnte persönliche besondere Tüchtigkeit auch genealogisch Unbekannte in die Lage bringen, sich und den Nachkommen den Ruhm adeliger Qualität zu verschaffen.

      In der Zeit da wir zuerst imstande sind einzelne Geschlechter und Familienbeziehungen zu unterscheiden, das ist auf Grund der Berichte des Tacitus, finden wir, vielleicht infolge römischer Einflüsse, schon gewisse Herrscherneigungen bei den Mächtigsten im Volke, die mit der älteren Stellung der Aristokratie nicht mehr vereinbar sind. Es ist kein Zufall, daß Tacitus zuerst einige germanischen Häuptlinge »reges" nennt: dem Römer war „König" schon ein Begriff, der verknüpft war mit der Vorstellung von einer erblichen Sonderlage des Königshauses hoch über allen anderen Familien. Aber die Familien des „Königs" Armin und der anderen, die sich damals so nannten, hielten sich nicht in ihrer privilegierten Stellung. Die germanischen Könige, von denen wir in den folgenden Jahrhunderten hören, sind, soweit es möglich ist auf Grund der dürftigen Nachrichten zu urteilen, wieder aus edlen Geschlechtern gewählte Häuptlinge.[1]

      Erst in der Periode der Völkerwanderung tritt bei den germanischen Stämmen die alte Bedeutung der „Genealogie" zurück. Bei jedem der einzelnen Stämme brachte ein Geschlecht die Obergewalt an sich. Die Ursache lag nahe. Diese Könige der Völkerwanderungszeit gingen hervor aus den Herzögen; die Herzöge brachten bei den Eroberungen einen besonders großen Teil der Beute (an Landbesitz, unfreien Leuten und an Schätzen) in ihren persönlichen Besitz. Es bildete sich geradezu ein Recht des Erobererkönigs heraus, einen Löwenanteil der Beute zu behalten. So war eine materielle Grundlage für ein Königtum geschaffen: der König hatte eine Masse Leute, die ihm als Sklaven gehorchen mußten und hatte einen Schatz, aus dem er belohnen konnte. Und diese Möglichkeit, die ihn hoch über alle anderen Volksgenossen stellte, übernahm sein Erbe.

      Ganz deutlich sehen wir diese Wurzeln einer neuen Königsgewalt bei den Franken. Chlodwig stammte aus einem edlen Häuptlingsgeschlecht. Es gelang ihm, andere edle Häuptlinge in anderen Frankenstämmen mit Gewalt zu beseitigen. Er usurpierte überall die Häuptlingsstellung. Auf seinen Eroberungszügen brachte er dann ungeheure Schätze und Güter an sich. Von diesem Grundstock konnten seine Nachkommen jahrhundertelang verschwenden.


  1. Das Doppelkönigtum, das einige Forscher als spezifisch germanische Einrichtung aus den Quellen herauslesen wollen, scheint mir recht problematisch. Eine eingehende, fast unbekannt gebliebene Untersuchung der Frage hat Eduard Heyck geliefert (Heidelberger Jahrbücher, 1899).