Handbuch der praktischen Genealogie/269

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI
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waren vielfach, was aber nicht so bekannt ist, verbunden mit halbgeöffnetem Munde und auch besonders dicker Zunge.[1]

      In deutlich nachweisbarer und ausgeprägter Form findet sich die Habsburger Unterlippe bekanntlich bei dem Kaiser Maximilian und seinem spanischen Enkel vor. Zwar gibt es eine Vermutung, daß auch schon Rudolf von Habsburg eine starke Unterlippe gehabt hätte; doch ist weder bei ihm noch bei seinen Nachkommen von einer Anomalie im eigentlichen Sinne die Rede, wie sie seit Maximilian allerdings als solche bezeichnet werden kann.

      Dieses Lippenkennzeichen ist ausführlich behandelt in dem umfangreichen Werke von Galippe, L'hérédité des Stigmates de Dégénerescence et les familles Souveraines, Paris 1905. In deutscher Sprache würde der Titel etwa so lauten: „Die Vererblichkeit der Kennzeichen der Entartung und die regierenden Familien“. Die vorstehende Unterlippe und der hervortretende Unterkiefer sind für Galippe ein Kennzeichen der Entartung überhaupt. Wie beim Hunde im Typus der englischen Bulldogge, so beim Menschen. Schon in dieser Einleitung offenbaren sich Methode und Ziel! Galippe verfolgt die „Habsburger Lippe“ von ihrem ersten Auftreten durch die Jahrhunderte bis zur Gegenwart. Er untersucht ihre Herkunft und ihre Verzweigung in die von den Habsburgern im Weiberstamm sich ableitenden Familien. Auch abgesehen von den Fehlern in der Methode und dem Gewimmel der tatsächlichen Irrtümer in genealogischer Beziehung verdient dieses umfangreiche Buch nach keiner Richtung hin als eine wissenschaftliche Leistung angesehen zu werden. Es ist einfach ein Pamphlet gegen die regierenden Häuser Europas. Überall, wo Galippe die Habsburger Lippe findet, und er findet sie überall, liegt nach seiner Ansicht Entartung vor. Immerhin hat Galippe ein gewisses Verdienst in zwei Richtungen. Einmal darin, daß er einen außerordentlich großen Stoff an Bildnissen beigebracht hat. Zwar ist dieser Stoff nicht gründlich gesichert. Es ist nicht unterschieden zwischen gleichzeitigen und späteren Bildnissen, zwischen verläßlichen und unverläßlichen. Aber es ist doch auf diese Weise auf eine Unzahl von Bildnissen aufmerksam gemacht, die allerdings in getreuer Nachbildung durch Photographie dem Leser vor Augen geführt sein müßten, nicht durch Klischees, bei denen man nicht ohne weiteres wissen kann, inwieweit sie mit den Originalen übereinstimmen. Das zweite Verdienst Galippes, und dieses ist ein wirkliches, ist, aufmerksam gemacht zu haben auf eine Stelle in Brantômes „Memoiren“, die von der Herkunft der Habsburger Unterlippe spricht und den Bearbeitern dieses Gegenstandes bisher entgangen war.

      Über die Herkunft der Habsburger Lippe gibt es mehrere Theorien. Nicht ernst zu nehmen ist diejenige Theorie, die sie auf Margarete Maultasch, die letzte Herrin von Tirol, † 1369, zurückführt, und ebenso diejenige Theorie, die von einer „Jagellonen-Lippe“ spricht und sie als durch Anna Jagello, † 1547, Gemahlin Ferdinands I, auf die Habsburger vererbt hinstellen


  1. Jahresbericht des Thüringisch-Sächsischen Vereins f. Erforschg. d. vaterland. Altert. Halle 1912, Seite 107.