Nadrauen

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Prußische Stammesgebiete
Baltische Stammesgebiete


Geografische Lage

Nach der samländischen Teilungsurkunde von 1312 sind Nadrauens Grenzen im Norden die Memel, im Nordwesten die Gilge, im Südwesten die Stammesgebiete Natangen und Barta und im Süden das Stammesgebiet Galindien. Die tatsächlichen prußischen Begrenzungen sind jedoch etwas anders, da das nördlich der Gilge und südlich der Memel liegende Gebiet der Schalauer in dieser Teilungsurkunde außer Acht gelassen wurde. Der südlichste nadrauische Ort ist der Wald Kirno (prußisch "kirno" = Strauch).


"Die Grenze zwischen Galinden und Nadrauen ging vom Ausfluß der Angerapp aus dem See Swokiske in gerader Richtung nach Osten zur litauischen Grenze. Nadrauen hat jedoch niemals an Litauen gegranzt, da sich zwischen ihm und Schalauen einerseits und Litauen andererseits die prussische Landschaft Sudauen schob. Die Grenze zwischen Nadrauen und Galinden bildeten Wälder, deren Überreste wir noch in der Rominter Heide und einigen anderen Forsten haben. Über die weiter nach Norden sich hinziehende Grenze Nadrauens gegen Schalauen fehlen Urkunden. [1]

Nadrauen wurde 1275 von Wehlau aus mit der Einnahme der Feste Kamswykus erobert.

Sage

Wie Widewuto das Land unter seine Söhne theilte

  • "Nadrau, der vierte Sohn, huldigte auch, wie seine Brüder, und ihm ward zugetheilt das Land zwischen Skara, Boiko und Curtono, was von ihm Nadrauen genannt ward und in dem er eine Feste, genannt Staymto, erbaute."

Name

Der Name bezieht sich auf die zahlreichen Gewässer dieser Region: da wo viel zusammenfließt.

  • prußisch "na, no" = viel-, zusammen-
  • indogermanisch "dreu-/ dru-" = laufen, eilen


Geschichte

Nadrauen wurde die „Große Wildnis“ genannt, die man sich aus den unterschiedlichsten Vegetationsformen zwischen völliger Offenheit und undurchdringlichem Dickicht vorstellen muss. Neben dem richtigen Urwald gab es feuchtgründige Formen des „Grauden“ und lichte „Damerauen“ mit Wäldern und Buschwald, deren Bestand an Eichen erheblich war. Eine erstaunlich große Verbreitung hatten auch Heideflächen und Heuwiesen. Zeugnisse geben zahlreiche Ordensberichte, denn um in ihre Ordensburgen im Nordbaltikum zu gelangen oder um gegen die kämpferischen Litauer anzutreten, mussten die Ritter durch die Wildnis. Zwar bewältigten sie die Strecken auch per Schiff oder im Winter über das zugefrorene Haff, aber der bequeme Weg am Strand entlang war nicht ungefährlich, weil stets mit blutigen Überfällen aus dem zemaitischem Hinterhalt zu rechnen war. Das Durchqueren der Wildnis dauerte mitsamt dem Tross mehrere Tage und erforderte großes logistisches Geschick:

  • „Meylisskenfeld...do ist wassers gnug, sunder man müs off eyne nacht futer mete nehmen...“
  • „die Milow...do findet man füters genug, das müs man die helfte behalden vf die wedirreise“
  • „die erste nacht...ken dem Noyken, do let ma czu eyner nacht cost vf den wedirweg...Die dritte nacht liet man zur Splitter..., do let man die andir cost...czu Wyste do let man die dritte cost.“

Das Fehlen menschlicher Siedlungen sowie der Verlust von Nahrungsmitteln konnten durchziehende Heere und Einzelgruppen in die größte Verlegenheit bringen, Hungertod in der Wildnis war keineswegs selten. Diese Wildnis war keineswegs unbewohnt, es lebten an ihrem Rande teilweise verstreut siedelnde und/oder nomadisierende Ureinwohner, für die die Wälder die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildeten. Sie bewohnten oft mehrere einfache Holzbuden, die, wenn man weiter nomadisierend herumzog, sorgsam verrammelt wurden, während Vorräte in tönernen Gefäßen im Sand vergraben oder in Kleten, das sind kleine Lagerschuppen, aufbewahrt wurden. Neben den Heuwiesen, der Jagd und dem Pelzhandel spielte die Waldbienenzucht als zusätzliche Wirtschaftsgrundlage eine nicht unbedeutende Rolle, denn von Seiten des Ordens herrschte eine große Nachfrage nach Bienenwachs zur Herstellung von Kerzen für den Gottesdienst. Auch der Haus- oder Budenbau erforderte Erfindungsreichtum: Steine waren zum Bau ungeeignet, da sie auf Nimmerwiedersehen im Boden verschwanden. Stattdessen fällte man Kiefern und Tannen und steckte die Stümpfe in den Boden, so dass die breiten Flachwurzler-Stubben nach oben schauten. Darauf wurden eine Erdschicht festgetrampelt und Holzwände gesetzt. Das Haus hatte neben der Tür nur ein Fenster und nur eine große Diele, der Rauch zog durch das Dach ab.

Auch Kaufleute hatten die Wildnis zu durchqueren, wobei sie sich, so sie einheimisch waren, meist der Wasserwege bedienten. Waren sie jedoch Fremde, so brauchten sie wie die Heere Kundschafter, sogenannte Struter, die zunächst eine irreguläre Truppe waren, später auch aus übergelaufenen Einheimischen bestand und nicht beritten war, sondern zu Fuß ging und am Wegrand Markierungen hinterließ. Von diesen Strutern sind zahlreiche Berichte überliefert:

  • „...das die lute von Prussin mogin czin in das land czu Sameiten do selbins czu kouffslagen, des selbin glich zulle wir von Sameiten ouch wedir czin ken Jorgenburg, ken Ragnith und ken der Memil...“
  • „Der dritte hawffe was gekomen in die wiltenis, do karten sie wedder unde czogen wedder heym...wendyn woren czithunge gekomen, das die Samayten legen vor der wiltenisse“.

Mit der planmäßigen Besiedlung wurde ab 1540 begonnen. Die Bevölkerung war durch die Kriege und Aufstände ohnehin stark dezimiert, einige große Pestwellen taten das Übrige, so dass sich die Ordensritter und später die preußischen Herrscher gezwungen sahen, das Land mit ausländischen Kolonisten zu besiedeln, indem sie interessante Angebote machten: steuerliche Freijahre, nach Bodenbeschaffenheit genauestens gestaffelt, und teilweise auch die Bereitstellung des landwirtschaftlichen Gerätes, Saatgutes und Viehs. Die Bodenbeschaffenheit des Ackers bereitete einer intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung Probleme, die sich erst später mit den Salzburgern und dem technisch neuen „deutschen“ Ackergerät änderte. Als zum Beispiel die Kartoffel eingeführt wurde, versanken die Knollen einfach in der Erde, nur auf halbmeterhohen mit Sand angereicherten Beeten hatte man eine Chance zur Ernte. Eine Vermischung der unterschiedlichen ethnischen Gruppen fand nur langsam statt: im Süden Ostpreußens früher als „im Litauischen“. Herzogliche Dekrete verboten den Prußen den Aufenthalt, d.h. den ständigen Aufenthalt, in den deutschen Dörfern und Städten. Sie durften kein Handwerk lernen, die Dienstherren wurden angewiesen, mit dem prußischen Gesinde nur deutsch zu reden.

Eine Möglichkeit zur Selbstintegration bot den Einheimischen das Militär. Beim Militär lernte man schließlich auch die deutsche Kultur und Sprache kennen.

  • „Wirklich ist der Littauer ein ebenso loyaler Unterthan wie leichteinexercierbarer Soldat. Bei seinem gefügigen und willfährigen, fast willenlosen Wesen, bietet er ein Drillmaterial, wie man es sich besser nicht wünschen kann; er hat sich auch in allen Schlachten mit Tapferkeit und Unerschrockenheit geschlagen; wer von ihnen Soldat gewesen, betrachtet sich zeitlebens mit Stolz und einem Selbstgefühl, dem er zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit mündlichen Ausdruck und handgreiflichen Nachdruck giebt.“
  • „Jeder Littauer, der zum Heere gezogen wird, kehrt mit einer mehr oder weniger ausreichenden Kenntniß deutscher Sprache und deutschen Wesens zurück, er ist fortan seinen Landsleuten gegenüber stolz darauf, dünkt sich darum gescheiter und vornehmer als sie.“

Wichtig für Ahnenforscher

Da eine hohe Zahl der Neusiedler Flüchtlinge aus Polnisch-Litauen waren, nannte man Nadrauen später Preußisch-Litauen oder nur kurz "Litauen". Für Ahnenforscher ist es deshalb wichtig zu erfahren, dass meistens Nadrauen, Schalauen und das Memelland gemeint sind, wenn ihre Vorfahren erzählen, sie kämen aus Litauen. Nadrauen hat nie zum Staat Litauen gehört!

Sprachdenkmäler

Vaterunser im nadrauischen Dialekt (nach Simon Prätorius)

  • Tiewe musu, kursa tu essi Debsissa,
  • Szwints tiest taws Wards;
  • Akeik mums twa Walstybe;
  • Tawas Praats buk kaip Debbesissa taibant wirszu Sjemes;
  • Musu dieniszka May e duk mums ir szen Dienan;
  • Atmesk mums musu Griekus, kaip mes pammetam musi Pardokonteimus;
  • Ne te wedde mus Baidykle;
  • Bet te passarge mus mi wissa Louna (Pikta)

Siehe auch


Weblinks

Literatur

Einzelnachweise

  1. Hermanowski, Georg: Ostpreußen Lexikon, Adam Kraft Verlag Mannheim 1980S.215