Handbuch der praktischen Genealogie/371

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
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Genealogie und Sozialwissenschaft.

Von Dr. Armin Tille (Dresden).

ALLE Wissenschaft bildet einen einheitlichen großen Bau, in dem jedes Steinchen alle anderen voraussetzt und bedingt. Die Spaltung in verschiedene Wissenschaften und deren Teildisziplinen hat lediglich ihre Ursache in der Unvollkommenheit alles Menschlichen, in der Unmöglichkeit, daß ein Mensch allenthalben aus eigener Erfahrung zu schöpfen, mit eigenen Gedanken zu arbeiten vermag. Da überdies die Begabung der Menschen in verschiedenen Richtungen verläuft und Jahrhunderte lang der auf das Praktische gerichtete Lehrberuf, die Vorbildung für bestimmte Aufgaben des Lebens, auf das engste mit der wissenschaftlichen Forschung verbunden gewesen ist, so haben wir uns an die Spaltung der Wissenschaft in viele Wissenschaften gewöhnt und pflegen die mehr oder weniger willkürlich gestalteten Grenzen zwischen den Forschungs- und Unterrichtsfächern wohl gar als etwas im Wesen der Sache Begründetes zu betrachten. Nur diese gewohnheitsgemäß geübte Irreleitung im systematischen Denken hat es verschuldet, daß überhaupt die Frage nach Wechselbeziehungen verschiedener Wissenschaften zu einander aufgeworfen werden konnte. Bei der jeweiligen Antwort handelt es sich in der Tat darum, die künstlich und oft recht willkürlich nach praktischen Bedürfnissen abgegrenzten Wissenschaftsgebilde wiederum in ihre natürliche organische Verbindung miteinander zu bringen, um dadurch die alten Fehler in der Systematisierung der Wissenschaft nach Kräften wieder gut zu machen.

      Unter diesem Gesichtswinkel wollen auch die folgenden Ausführungen, die im Grunde nur Selbstverständliches enthalten, betrachtet sein; sie sollen lediglich dem Leser zu Gemüte führen, daß die dem Genealogen geläufigen Gedankenreihen dem gründlichen Sozialwissenschaftler unentbehrlich sind, und daß umgekehrt kein wissenschaftlicher Genealog des sozialwissenschaftlichen Wissens entraten kann[1].


Sozialwissenschaften und Soziologie      Die Sozialwissenschaft, mit der die Worte Gesellschaftswissenschaft und Soziologie fast gleichbedeutend gebraucht werden, hat die Anschauung zur Voraussetzung, daß es eine „Gesellschaft“, „Gesellschaften“ oder „gesellschaftliche


  1. Eine Literatur über diesen Gegenstand gibt es auf beiden Seiten noch nicht; ich kann nur auf meine eigenen Arbeiten hinweisen, deren Inhalt hier z. T. wiederholt wird, nämlich: Genealogie als Wissenschaft (Mitteilungen der Zentralstelle für deutsche Personen- und Familiengeschichte, Heft 2 [1906], S. 32-40); Die sozialwissenschaftliche Bedeutung der Genealogie (Ebenda, Heft 6 [1910], S. 1-19) sowie „Bericht über den II. Kurs mit Kongreß für Familienforschung, Vererbungs- und Regenerationslehre in Gießen vom 9. bis 13. April 1912“ (Halle 1912), S. 146-147.