Handbuch der praktischen Genealogie/351

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
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Kräften leistete, wie sich das unter Gleichgestellten ziemt, von denen der eine dem anderen wegen materieller Vorteile, die er empfangen, Gegendienst schuldig ist — moralisch, aber nicht von Gesetzes wegen. Deshalb sind denn auch, obwohl der Ruf des Lehnsherrn zur Lehnsfolge nirgends so oft mißachtet wurde wie in Deutschland bis zur staufischen Periode, die Verfolgungen wegen formell erklärter Felonie bei uns selten gewesen, und die Strafen waren in der Regel lange nicht so hart, wie die alten Lehnsrechte sie androhten und wie sie in Nachbarländern verhängt wurden. Deshalb mußten aber auch der König und ebenso die anderen Großen trachten, sich unabhängig zu machen von der Notwendigkeit, an die Lehnspflicht ihrer Vasallen zu appellieren. Sie suchten sich lieber aus ihren unfreien, das heißt persönlich abhängigen, jedem Befehl gehorsamen Hintersassen ein Ritterheer zu organisieren.

      Solche unfreien Hintersassen waren vor allem die Ministerialen, die jeder Großgrundherr, ob weltlich oder geistlich, hatte. Das Charakteristikum der Ministerialen war durchaus nicht, wie man lange, durch den Ausdruck verleitet, angenommen hat, ihr Dienst, insbesondere nicht ihr Hofdienst: den besorgten Knechte. Wo wir Ministerialen als Kämmerer, Truchsessen, Schenken, Küchenmeister finden, da waren neben ihnen andere untergeordnete Elemente, die den wirklichen Dienst in Haus, Hof und Keller versahen, und der war dann durchaus nicht ganz besonders ehrenvoll. Wie eigentlich die Ehren-Hofämter der Ministerialen entstanden sind, ist heute noch nicht recht klar, außer beim Marschall, in dessen Hand — das ist urkundlich wenigstens für das 13. Jahrhundert bezeugt — die Organisation des militärischen Aufgebots der kaiserlichen, fürstlichen und herrschaftlichen Hintersassen lag. Auch die anderen dienstmännischen Hofbeamten werden ihren Titel als Inhaber eines Amts (nicht eines „Dienstes") an der Spitze der grundherrlichen Organisation geführt haben. Auf diese überaus komplizierten — vor allem auch durch böse Irrungen der rechtsgeschichtlichen Forschung erschwerten Probleme kann hier natürlich nur hingedeutet werden; aber es soll doch wenigstens gesagt werden, daß es absolut verfehlt und ein grobes Mißverständnis ist, von einem höfischen Lakaien- oder Stallknechtsdienst die rechtliche Emanzipation des niederen Adels im 12. und 13. Jahrhundert herzuleiten; wie man das lange gesagt und wie es sonst ernsthafte Forscher gedankenlos nachgeschrieben haben. Tatsächlich waren die alten Ministerialenfamilien im 11. Jahrhundert schon wirtschaftlich recht unabhängige Gutsbesitzer. Eben als kleine Gutsherren, die nur rechtlich abhängig waren, bildeten sie eine besondere Klasse der großgrundherrlichen Hintersassen, lebten auf vorgeschobenen Posten im neuerschlossenen großgrundherrlichen Rodungsgebiet, im Kolonialland, auf Grenz- Zoll- und Wachtburgen; oder als Meier auf Zentralwirtschaftshöfen; als Verwalter und Richter im Hofgericht auf den Pfalzen. Sie bildeten miteinander — je die Ministerialen eines Großgrundherrn — nicht nur faktisch eine Klasse für sich, sondern waren auch schon organisiert, hatten ihr eigenes Ministerialenrecht und wußten jedenfalls um 1100 schon ihren Willen sehr energisch im Rat des Herrn — und wenn