Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer/E-Book

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Info
Dieses E-Book ist noch unvollständig, da ein Glossar und Orts-/Namensregister fehlen. Hilf mit, es zu vervollständigen.



GenWiki - Digitale Bibliothek
Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer
Autor(en):Hermann Spamer
Titel:Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer
Untertitel:mit vorangehender Studie zur Chronik der Schottener Familie Spamer und mit nachfolgenden Gedichten und Aufzeichnungen seines Vaters Christian Spamer, Pfarrer in Hermannstein
Druck:von Münchow'sche Hof- und Universitätsdruckerei (Otto Kindt.)
Ort:Gießen
Jahr:1904
Umfang: 255 Seiten
GenWiki E-Book
Editionshinweise zum E-Book:
Das Digitalisat (DjVu) dieses E-Books können Sie hier herunterladen.
Zur Druckversion des Textes gelangen Sie in der linken Navigation unter „Werkzeuge“.
Benutzerhinweise zu E-Books
Chronik Spamer.djvu
unvollständig
Dieser Text ist noch nicht vollständig erfasst. Hilf mit, ihn aus der angegebenen Quelle zu vervollständigen!


(Titel ≡)


Chronik


der Schotten-Crainfelder Familie


Spamer


mit vorangehender Studie zur


Chronik der Schottener Familie Spamer


und mit nachfolgenden Gedichten und Aufzeichnungen

seines Vaters Christian Spamer, Pfarrer in Hermannstein


zusammengestellt von Hermann Spamer.






Gießen 1904.
von Münchow'sche Hof- und Universitätsdruckerei (Otto Kindt.)
(Inhalt ≡)




Inhalt.
  Seite
Studie zur Chronik der Schottener Familien Spamer 1
Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer 7
Autobiographie Christian Spamer's 107
Studenten und Soldatenstreit in Gießen am 4. März 1821 von Christian Spamer 151
Die drei Rosen von Christian Spamer 163
Wahre und wunderbare Erlebnisse, aufgezeichnet für seine Kinder, von Christian Spamer 235


(1 ≡)

Studie zur Chronik der Schottener Familien Spamer.

Bei den Ermittelungen über die Geschichte der Familien Spamer[1] und die Entstehung ihres Namens hat man sich wohl zunächst daran zu erinnern, daß bezüglich aller Familien, für deren Genealogie nicht besondere alte Urkunden vorliegen, nachträgliche geschichtliche Feststellungen erst mit der Bildung ihres Familiennamens und auf Grund vorhandener Kirchenbücher beginnen können. Die Einführung der bürgerlichen Familiennamen nun war in Deutschland nicht früher als im 15. Jahrhundert soweit vorgeschritten, daß die Familien zu bleibenden Namen gelangten. Sehr vielfach wurden diese bürgerlichen Familiennamen von der Heimat der Betreffenden entlehnt, doch auch Beschäftigung, persönliche Eigenschaften ec. gaben hierzu die Veranlassung.

Fragt man nun bezüglich des Namens Spamer, wie seine Entstehung zu erklären sein könnte, so führt keine der gegebenen Entstehungsweisen zu einer Erklärung der heutigen Form dieses Namens, und mußte deshalb bislang angenommen werden, daß die Entstehungsform desselben eine andere war als die heutige Form Spamer. Diese Annahme ist nun neuerdings aus den Kirchenbüchern der Stadt Schotten[2] als völlig zutreffend nachgewiesen.

Vor Eingehen hierauf möchte ich indes auf die Stadt Schotten als auf diejenige Örtlichkeit hinweisen, in welcher die Entstehung des Namens Spamer schon aus äußeren Wahrscheinlichkeitsgründen angenommen werden muß.

Diese Wahrscheinlichkeit beruht auf folgenden Tatsachen:

Der seltene, außerhalb des Großherzogtums Hessen für nur wenige Familien vorkommende Name Spamer ist allein in der Stadt Schotten ein viel vertretener. Zur Zeit gibt es in der Kirchengemeinde-Vertretung der etwa 2000 Einwohner zählenden Stadt 20 Wahlberechtigte, demnach auch ca. 20 Familien dieses Namens. Es sind dies durchweg kleinbürgerliche, alteingesessene Familien. Demnächst ist der Name auch in der näheren Umgegend Schottens häufiger zu finden, er wird aber mit der wachsenden Entfernung von dort seltener, und weiterhin sind nur wenige Familien Träger desselben. Diese jedoch, soviel deren mir bekannt geworden, sind auch durchweg solche, welche ihren ehemaligen Wohnsitz auf die Stadt Schotten oder die umliegenden Kreise Schotten und Nidda[3] zurückführen. Als Lehrer, Geistliche, Forstleute ec. sind frühere Glieder dieser Familien in die Beamtenlaufbahn und höhere bürgerliche Stellungen eingetreten, womit die Verschiebung ihrer Wohnsitze auf größere Entfernungen naturgemäß Hand in Hand ging. Die Mitteilungen, welche ich diesbezüglich von meinen Herren Namensvettern erhalten habe, sind nun

(2 ≡)

zwar sehr verschieden in ihrer Ausführlichkeit, doch enthalten, wie gesagt, alle Nachweise für die Abstammung ihrer Familien aus der Stadt Schotten und deren Umgegend.

Geheimer Regierungsrat Adolph Spamer in Bingen führt seinen Stammbaum zurück auf seinen Ahn in der 6. Generation Jacob Spamer, Einnehmer in Ulfa (Kreis Schotten), geb. ca. 1650; diesem folgten in chronologischer Reihe vom Vater zum Sohn:

Valentin Spamer, Präzeptor in Ober-Mockstadt (Kreis Nidda), geb. 1680;

Johann Wilhelm Spamer, Schulmeister in Ulfa, geb. 1704;

Johann Spamer, Schulmeister in Langd (Oberamt Nidda);

Konrad Spamer, Pfarrer und geistlicher Inspektor in Kirtorf (Kreis Alsfeld), geb. 21. Juni 1764, gest. 6. Februar 1832;

Gustav Spamer, Kreisrat in Wimpfen, geb. 8. April 1807, gest. 5. April 1870;

Adolph Spamer, Geh. Reg.-Rat in Bingen, geb. 8. August 1834; ihm folgt sein einziger Sohn

Carl Gustav Spamer, Kreisamtmann in Friedberg, geb. 21. November 1871. —

Gymnasial-Oberlehrer K. Spamer in Wiesbaden führt seinen Stammbaum auf seinen 4. Ahn, den Vater seines Urgroßvaters, zurück, welcher seinen Wohnsitz in Langd (Oberamt Nidda) hatte;

Oberstabsarzt Dr. Hermann Spamer in Worms teilte mir mit, daß seine Vorfahren in Schotten lebten und noch sein Großvater dortiger Bürger war;

Verlagsbuchhändler Hugo Spamer in Berlin, Sohn des bekannten Verlagsbuchhändlers und Jugendschriftstellers

Otto Spamer in Leipzig, schreibt, daß er einer älteren Schottener Linie entstamme, welche ihre Vorfahren bis auf den Ausgang des 30jährigen Krieges verfolgen könne; dieselbe habe später in Darmstadt und dem Kreise Starkenburg gelebt. Ein Urahn solle dem Landgrafen Philipp von Hessen bei einer Saujagd das Leben gerettet und aus Dank dafür eine Erbförsterei erhalten haben. Dadurch sei es zur Familientradition geworden, daß der älteste Sohn Forstmann werden müßte, und erst sein Vater habe sich, nachdem er in Gießen einige Semester Forstwissenschaft studiert, derselben entzogen. Als seine nächsten Vorfahren führt Hugo Spamer an: seinen Ururgroßvater Oberforstmeister und französ. Oberst Spamer in Lorsch oder Germersheim,

Urgroßvater Geh. Forstrat Joh. Philipp Spamer, geb. in Darmstadt,

Großvater Geh. Forstrechnungs-Provisor Helfrich Joh. Spamer, geb. in Darmstadt,

Vater Verlagsbuchhändler Franz Otto Spamer in Leipzig, geb. in Darmstadt am 29. August 1820 —

dann folgt Hugo Spamer, Verlagsbuchhändler in Berlin, geb. in Leipzig; er hinterläßt, nachdem sein Sohn Otto, der ein Pate des Fürsten Bismarck war, gestorben ist, nur noch seine am 7. Oktober 1883 geborene Tochter Rosamunde. Auch sein Bruder Otto hinterläßt keinen Sohn. Es lebt noch ein Stiefonkel von ihm, Wilhelm Spamer, der jüngste Sohn seines Großvaters aus dritter Ehe. Hugo Spamer starb (nach Abfassung dieser Schrift) am 30. Januar 1901 in Berlin im Alter von 54 Jahren.

Oberlehrer Dr. Albert Spamer in Düren, welcher sich schon vor 5 Jahren an den oben genannten Namensvetter in Bingen um Aufschluß über den Stammbaum der Familie Spamer gewandt hat, besaß zur Zeit einen Großonkel und Paten

Gustav Spamer in Nidda. Dr. Albert Spamer, vormals Oberlehrer an der Oberrealschule in Düren, starb, nach Niederschrift dieses, am 2. September 1901 in Gießen im 43. Lebensjahre. Als Hinterbliebene betrauerten ihn

Else Spamer, geb. Scheuern,

Konrad Heinrich Spamer, Reallehrer i. P.

(3 ≡)

Für meine nach meinem in Schotten geborenen Großvater

Christian Spamer, Pfarrer in Crainfeld, Kreis Schotten, sich außerhalb Schottens verzweigende engere Familie habe ich deren Vorfahren als Schottener Bürger neuerdings bis Mitte des 17. Jahrhunderts — also ebenfalls bis Ausgang des 30jährigen Krieges — zurück verfolgen können und will ich am Schlusse dieses meinen Stammbaum von Vater zu Sohn anfügen.

Nach Aufzählen dieser Mitteilungen, welche auf die Stadt Schotten als den Ort hinweisen, an welchem aller Wahrscheinlichkeit nach alle Familien Spamer ihren gemeinsamen Ursprung gehabt haben, möchte ich wieder zur Erörterung über die Entstehungsform des Namens Spamer zurückkehren.

Vor etwa 8 Jahren, während mein Sohn Karl das Gymnasium in Celle besuchte, wurde ihm von seinem Lehrer Dr. Zimmermann, einem tüchtigen Etymologen, gelegentlich eines Vortrags über die Entstehung der Familiennamen, dessen Ansicht dahin ausgesprochen, daß der Name Spamer aus Spanheimer und danach Spanemer entstanden sein werde. Und schon früher war mir von meinem jetzt verstorbenen Onkel Karl Spamer mitgeteilt, daß unser Name früher Spanemer gesprochen worden sei.

Nun fand ich in Übereinstimmung hiermit unlängst in der Gießener Universitäts-Matrikel aus den Jahren 1664 bis 1706, welche in den Jahrgängen 1890/4 der Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins in Gießen erschienen sind, folgende Schottener Namen unter den Immatrikulierten:

1664 Johannes Justus Spanheimer, Schottensis 15. April,
1664 Johannes Henricus Spanemer, Schottensis 14. Oktober,
1697 Johannes Adamus Spaenemerus, Schotta-Hassus 3. September,
1706 Johannes Nicolaus Spanemer, Schottensis-Hassus 12. Mai.

Hieraus war ersichtlich, daß in Schotten im 17. Jahrhundert außer der ersten Namensform Spanheimer auch die abgeleiteten Formen Spanemer und Spaenemer in Gebrauch waren; und es erübrigte, um obige Mitteilung meines Onkels und Schlüsse des Etymologen als richtig festzustellen, nur noch den Nachweis zu erbringen dafür, daß diese Formen in die heutige kürzeste Form Spamer übergegangen sind.

Ich wandte mich zu diesem Zwecke, wie ich das schon früher bezüglich meines Stammbaumes getan hatte, an Herrn Dekan Münch in Schotten, dessen Güte ich folgende Auskunft verdanke:

„Schotten, 8. November 1900.

Die Kirchenbücher dahier gehen zurück in Betr. der Getauften bis 1647, in Betr. der Kopulierten und der Verstorbenen bis zum Jahre 1629; doch sind sie unvollständig, es fehlen in verschiedenen Jahren Einträge, wahrscheinlich sind diese durch den Tod oder die Versetzung des Geistlichen veranlaßt. Die beiden

„Johann Konrad Spamer“ des 17. Jahrhunderts kommen im Taufbuch vor und zwar unter folgendem Eintrag:

Johann Konrad, Söhnlein des

Johann Spanemers des Glöckners, bapt. d. 3. Mai 1653, Pathe H. M. (Magister) Johs. Koch, Pfarrer zu Wingershausen.

Joh. Konrad, Söhnlein des Johannes Spamers, des Jüngeren, bapt. d. 29. Nov. 1669, Petter: Konr. Rieck. —

Was die Schreibart des Namens anlangt, so finden sich in den hiesigen Kirchenbüchern fünf Formen: 1. Spanheimer, 2. Spenemer, 3. Spanemer, 4. Sponemer, 5. Spamer.

(4 ≡)

Die 1. Form „Spanheimer“ kommt im Kopulations-Protokoll vom Jahre 1632 vor, nämlich: den 18. Juli 1632 ist Johann Spanheimer und Katharina, Konr. (?) Lehmanns filia getraut worden. Vom Jahre 1633 an wird der Name im Kopulations-Protokoll „Spenemer" und „Spanemer" geschrieben und zwar von der Hand desselben Pfarrers (den 18. Febr. 1633 ist Johann Spenemer und Sabine, weiland Herrn Magisters Johs. Gerhard's, gewesenen Pfarrers zu Breungeshain, relicta filia copuliert worden). Kurz darauf wird schon geschrieben „Spanemer“ (den 13. Martii 1633 ist Konrad Spanemer und Elisabethe, Johs. Schu- (?) relicta filia copuliert worden). Die 4. Form „Sponemer“, obwohl das „o“ ziemlich deutlich geschrieben ist, scheint mir nur ein Schreibfehler zu sein, da dieselbe nur ein einzigmal, nämlich 1649, vorkommt, doch wäre auch diese Form möglich, da in Eigennamen oft das „a“ in „o“ übergeht.

Es kommt diese Namensform „Sponemer“ im Taufbuche vor und zwar, wie folgt: Baptizati 1649. 3) d. 6. Januar Henrich Sponemers, des Stadtschreibers, Töchterlein, Großgevatterin: Georg Rahn's uxor Catharine von Altenhain.

Die kurze Form „Spamer“ kommt im Taufbuch zum erstenmal im Jahre 1648 vor, darauf folgt aber wieder einigemal die längere Form „Spanemer“, im Kopulations-Protokoll kommt die kurze Form „Spamer“ zum erstenmal im Jahro 1661 vor (den 7. Juni 1661 ist Nickels Spamer und Lehna, Heinrich Useners S. rel. ? ? getraut worden).

Was die in den alten Gießener Matrikeln verzeichneten 4 Schottener Spamer anlangt, so habe ich, obwohl ich die Geburts-Einträge von 1647—1687 durchsucht habe, nur den Geburtstag des letzten, des Johann Nicolaus Spanemer, gefunden; die beiden ersten sind wahrscheinlich vor 1647, dem Beginn des Geburts-Registers, geboren; der Geburtstag des dritten (Joh. Adamus Spaenemerus, Schotta-Hassus) muß in eine der erwähnten Lücken des Kirchenbuchs fallen. „Der Johannes Nicolaus Spanemer Schottensis-Hassus (1706 matrik) ist getauft in Schotten als der Sohn des Hans Caspar Spamer der Löber, den 3. Februar 1687, Nicolaus Usner ist Petter gewest.“ —

Stellt man aus diesen höchst interessanten Mitteilungen des Herrn Dekan Münch die gebrauchten Namensformen in chronologischer Reihe zusammen, so traten auf die Formen

im Kopulations-Protokoll:
  • Spanheimer 1632 als Johann Spanheimer, vielleicht der Vater des 1664 immatrikulierten Joh. Justus Spanheimer,
  • Spenemer 1633 als Johann Spenemer,
  • Spanemer 1633 als Konrad Spanemer,
  • Spamer 1661 als Nickels Spamer (erstes Auftreten dieser Form im Kopulations-Protokoll).
im Tauf-Protokoll:
  • Spamer 1643 erstes Auftreten dieser Form im Tauf-Protokoll,
  • Sponemer 1649 als Henrich Sponemer,
  • Spamer 1653 als Joh. Konrad Spamer, Sohn von Johann Spanemer, dem Glöckner,
  • Spanemer folgt hiernach einige Male,
  • Spamer 1669 als Joh. Konrad Spamer, Sohn von Joh. Spamer dem Jüngeren,
  • Spanemer 1687 als Joh. Nicolaus Spanemer, Sohn des Hans Caspar Spamer, und 1706 in Gießen immatrikuliert.

Hieraus geht m. E. zweifellos hervor, daß aus dem ursprünglichen Namen Spanheimer die Abkürzungen und Lautveränderungen Spenemer, Spanemer, Sponemer und Spamer entstanden sind, und daß die gebräuchlichsten Formen Spanemer und Spamer nicht etwa zum Unterschiede einzelner Zweigfamilien unter einander, sondern in derselben Einzelfamilie abwechselnd gebraucht wurden.

(5 ≡)

Sollten die seltenen, im Vokal abweichenden Formen Spenemer und Sponemer zum Unterschiede für einzelne Zweigfamilien gebraucht und festgehalten worden sein — was aber wenig wahrscheinlich ist — so müßte, da diese Namensformen später verschwinden, angenommen werden, daß die Träger derselben ihren Stamm nicht weiterhin erhalten haben. Die heutige Form Spamer, welche im Kopulations-Protokoll im Jahre 1661, im Taufbuch im Jahre 1648 zum erstenmal auftritt, hat offenbar wegen ihrer Kürze über die ältere Form Spanemer den Sieg der allgemeinen und dauernden Anwendung davon getragen. — Ist man nach diesem allem berechtigt, als Tatsache anzunehmen, daß der Name Spamer in Schotten selbst aus Spanheimer entstanden ist, so erklärt und bestätigt sich damit auch wiederum die vorher besprochene Erscheinung, daß alle oben angeführten Spamer aus der Stadt Schotten und weiterhin aus deren Umgegend herstammen.

Um nun fernerhin den ersten Namen Spanheimer zu deuten, so weist derselbe wohl ohne Zweifel darauf hin, daß mit demselben ein solcher Mann belegt wurde, welcher aus der früheren Grafschaft Sponheim stammte, die im 17. Jahrhundert, wie a. a. O. aus Merian, Topographia Hassiae et regionum vicinarum 1655 ersichtlich, Spanheim genannt wurde.

Diese häufig geübte Bildung der Familiennamen nach Heimatsorten war inzwischen nur dann eine bezeichnende, wenn auf den Benannten allein der betreffende Heimatsname paßte, und wird deshalb zugleich anzunehmen sein, daß es zur Entstehungszeit der Familiennamen nur einen Mann in Schotten gab, welcher aus der Grafschaft Spanheim stammte.

Übrigens finden sich im 17. und 18. Jahrhundert auch anderwärts Familiennamen, welche auf die Grafschaft Sponheim bezw. Spanheim als den Heimatsort ihrer Träger zurückweisen. Im Kirchenbuche der Pfarrei Heuchelheim bei Gießen z. B. sind verzeichnet: Johannes Sponheimer, welcher am 26. März 1694 ein Töchterchen taufen ließ, und ein Johann Eberhard Sponheimer, der am 15. April 1717 ebenfalls ein Töchterchen zur Taufe brachte und am 7. Oktober 1767 fast 80 Jahre alt gestorben ist. Diese Eintragungen des Namens Sponheimer im Heuchelheimer Kirchenbuch sind vereinzelt geblieben.

Ferner finden sich in Meyers Konversationslexikon verzeichnet die beiden als Staatsrechtslehrer und Kirchenhistoriker bedeutenden Gebrüder Spanheim, welche in den Jahren 1629 und 1632 in Genf geboren wurden und in Leyden studierten. Ersterer starb 1710 als preußischer Gesandter in London, letzterer als Professor der Theologie in Heidelberg.

Um hier einiges über Belegenheit und Geschichte des Ursprungslandes der Spanheimer bezw. Spamer einzuschieben, so lag die frühere Grafschaft Sponheim zwischen Nahe, Mosel und Rhein, stand unter Pfalzgrafen, war reichsunmittelbar und gehörte zu dem oberrheinischen Kreise. Als Erster seines Geschlechts ist Graf Stephan von Sponheim im Jahre 1075 hervorgetreten. Er nannte sich nach der bei dem Dorfe Sponheim, etwa 12 Kilometer westlich von Kreuznach gelegenen Burg Sponheim und stiftete im Jahre 1101 mit seinem Sohne Meginhard auf dem nahen Feldberg ein Mönchskloster — die Abtei Sponheim. Diese wegen ihres gelehrten Abtes Trithemus ihrer Zeit berühmte Abtei unterstand dem Erzbischof von Mainz und wurde 1124 mit 12 Mönchen der Benediktiner-Abteien St. Alban und St. Jakob bei Mainz besetzt. Nach der Reformation 1565 erfolgte die erste Aufhebung des Klosters.

Indessen später im 30jährigen und dann im orleanischen Kriege wurde das Kloster den Benediktinern wieder eingeräumt und fristete sein Dasein noch bis zur französischen Revolution, in welcher seine Aufhebung erfolgte. — Von Burg Sponheim ist heute nur noch ein mächtiger viereckiger Turm übrig geblieben — einer der ältesten, wenn nicht der älteste und wohl auf die Zeit der Karolinger zurückzuführende Burgbau am Rhein —, der fünf Stockwerk hoch aus einem Trümmerhaufen emporragt. (Schnegans, Geschichte des Nahetals.)

(6 ≡)

Im Jahre 1437 starb mit Graf Johann V. von Sponheim das Geschlecht aus und fiel die Grafschaft nach langen bis ins 18. Jahrhundert dauernden Streitigkeiten zu 3/5 an Baden und zu 2/5 an Kurpfalz. Im Jahre 1801 kam sie an Frankreich, 1814 an Preußen, das sie 1817 an Oldenburg abtrat, mit dessen Fürstentum Birkenfeld sie zum Teil zusammenfällt.

Fragt man nun endlich, zu welcher Zeit und aus welchem Grunde ein Spanheimer sich in Schotten niedergelassen haben mag, so ist man bei dem nicht weit genug zurückgehenden Bestehen der Schottener Kirchenbücher zur Zeit nur auf Vermutungen und Schlußfolgerungen beschränkt.

Bezüglich der Zeit muß man annehmen, daß dies vor Bestehen der Familiennamen, also etwa im 14. Jahrhundert geschehen ist, weil der Eingewanderte seinen Familiennamen Spanheimer ja erst in Schotten, nach seiner früheren Heimat, erhielt bezw. annahm. Auch wird aus der ersten Namensform „Spanheimer“ geschlossen werden dürfen, daß die Niederlassung in Schotten zu jener Zeit erfolgte, in welcher als Name der Grafschaft Spanheim, nicht, wie später, Sponheim üblich war. Der Grund der Zuwanderung dürfte sich am natürlichsten in dem Reisetrieb finden lassen, welcher ja in früherer Zeit die jungen Leute aller Künste und Gewerbe zu ihrer Lust und Ausbildung auf die Wanderschaft führte und ihr Verbleiben in der Fremde gewiß oft genug zur Folge hatte.

Hierfür darf ja auch das Auftreten des wohl auf die gleiche Weise entstandenen Namens Sponheimer in Heuchelheim als Beispiel angeführt werden. Als ein besonderer Grund aber zu solchem Verbleiben in Schotten dürfte die Erbauung der heutigen Schottener Stadtkirche gelten können, welche nach geschichtlichen Feststellungen in der Zeit von 1340—1360 zur Ausführung kam.

Indem ich nun noch meinen Stammbaum hier folgen lasse, so ist als ältester meiner Vorfahren festgestellt der in dem zitierten Briefe des Herrn Dekan Münch vorkommende

Johann Spanemer, Glöckner in Schotten; ihm folgen von Vater zu Sohn
Johann Konrad Spamer in Schotten, getauft am 3. Mai 1653;
Johann Heinrich Spamer in Schotten, getauft am 17. April 1679;
Johann Peter Spamer, Stadtknecht und Tuchmacher (Wollenweber) in Schotten, getauft am 14. September 1705;
Jacob Spamer, Stadtleutnant und Tuchmacher in Schotten, geb. am 18. Juli 1738, gest. am 16. Februar 1800;
Christian Spamer, Pfarrer in Crainfeld, geb. in Schotten am 12. August 1770, gest. in Crainfeld am 30. März 1847;
Joh. Heinr. Georg Christian Spamer, Pfarrer in Hermannstein, geb. in Burkhards am 2. Februar 1803, gest. in Wetzlar am 29. April 1886;
Hermann Spamer, Hüttendirektor in Groß-IIsede, jetzt Rentner in Gießen, geb. in Hermannstein am 3. Juni 1839;
Karl Spamer, einziger Sohn, z. Z. Gerichtsreferendar in Göttingen, geb. in Groß-Ilsede am 9. März 1874.[4]


Gießen, den 4. Dezember 1900.


H. Spamer

Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer.

Mit obigem Namen glaube ich die Familie Spamer, welcher ich angehöre, bezeichnen zu dürfen. Eine Verzweigung derselben, so lange ihre Glieder in Schotten wohnten, ist nicht bekannt. Erst von meinem in Schotten geborenen und als Pfarrer in Crainfeld gestorbenen Großvater Christian Spamer ab hat eine Verzweigung und zwar in drei Zweige stattgefunden. Dementsprechend werden diese drei Zweiglinien getrennt, dem Alter der Kinder meines Großvaters folgend, im Nachstehenden aufgeführt.

Wie aus der allgemeinen Chronik der Familien Spamer ersichtlich, trug der älteste im Kirchenbuch nachweisbare Ahn der Schotten-Crainfelder Linie den Namen

Johann Spanemer,

also die zweite Form des aus Spanheimer entstandenen Familiennamens Spamer. Derselbe ist im Schottener Taufbuche, gelegentlich der Taufeintragung seines Sohnes, „der Glöckner“ genannt. Er scheint hiernach mit dem städtischen Glöcknerdienste betraut gewesen zu sein. Sein Sohn

Johann Konrad Spamer

wurde am 3. Mai 1653 in Schotten getauft. Sein Pate war Magister Johs. Koch, Pfarrer zu Wingershausen. Joh. Konrad Spamer ist der Erste der Schotten-Crainfelder Linie, welcher die heutige, kurze Namensform Spamer trägt, nachdem dieselbe im Jahre 1648 zum ersten Male in die Schottener Kirchenbücher eingetragen ward. Es folgte ihm sein Sohn

Johann Heinrich Spamer.

Von diesem enthält das Taufbuch Folgendes: „den 17. April 1679 Konrad Spamer ein Söhnlein Johann Heinrich taufen lassen; ist Heinrich Burk, der Becker, Petter.“ Joh. Heinrich Spamer verheiratete sich am 31. Juli 1704 mit Elisabethe Leunig, und folgte aus ihrer Ehe

Johann Peter Spamer,

welcher am 14. September 1705 getauft ward. Gevatter war Peter Spamer. Wie aus der nachfolgenden Taufeintragung seines Sohnes hervorgeht, war Joh. Peter Spamer Stadtknecht und Wollweber oder Tuchmacher, wie man die Wollweber, zum Unterschiede von den Leinewebern, nannte. Die Weberei war zu jener Zeit ein in kleinen Städten sehr verbreitetes Gewerbe; auch von Alsfeld und Gießen wird dies berichtet. Unter Stadtknecht hat man sich wohl den Magistratsdiener vorzustellen, und unter dem mit dessen Obliegenheiten Betrauten einen in bescheidenen Erwerbsverhältnissen lebenden, aber zuverlässigen Mann. Joh. Peter Spamer verheiratete sich am

(8 ≡)

27. November 1732 in zweiter Ehe mit Anna Margarete Bixberger, und wurde ihm von dieser am 18. Juli 1738 sein Sohn

Jacob Spamer

als einziges Kind geboren. Über die Taufe dieses letzteren weist das Schottener Taufbuch folgenden Eintrag auf: „den 18. Juli 1738 Peter Spamer, der Stadtknecht und Wollweber, taufen lassen; mater: A. Marg. geb. Bixbergerin; bei der den 19. Juli geschehenen Taufhandlung war Petter: Jacob Schütz, Bürger und Rothgerber allhier“. Jacob Spamer betrieb, hierin seinem Vater folgend, die Wollweberei und stand, wie man aus seiner Wahl und Bestätigung zum Offizier der Schottener Bürgerschaft schließen darf, in gutem Ansehen. Nach der damaligen hessischen Kriegsverfassung formierten die wehrfähigen Bürger (alte und junge Mannschaft) besondere Kompagnieen. Die Offiziere und Unteroffiziere derselben wurden von den Bürgersoldaten aus ihrer Mitte gewählt und bedurften der Bestätigung der Regierung bezw. des Landesherrn. Solcher Bestätigungen für Jacob Spamer sind in den Familienpapieren noch zwei enthalten: 1. seine Ernennung durch Landgraf Ludwig IX. vom Adjutanten zum Fähndrich bei der Bürgerschaft zu Schotten, datiert den 16. Oktober 1789; und 2. seine Ernennung durch Landgraf Ludwig X., späteren Großherzog Ludwig I., vom Fähndrich zum Lieutenant, datiert vom 23. Oktober 1799. — Am 29. Oktober 1765 ward Jacob Spamer getraut mit Anna Elisabethe Stoffel, Tochter des Bürgers und Hufschmieds Joh. Wilhelm Stoffel in Schotten, welche, ohne Kinder zu hinterlassen, starb und am 12. Juni 1767, im Alter von 27 Jahren 9 Monaten, begraben wurde. Am 1. September 1769 heiratete er seine Schwägerin Agnesa Margaretha Stoffel und brachte sie ihm zwei Söhne: Christian und Georg Wilhelm. Der letztere, jüngere, ward geboren am 31. Januar 1781, eodem getauft, starb aber schon im Alter von 7 Monaten und ward am 6. September 1781 begraben. Jacob Spamer starb am 16. Februar 1800, seine zweite Frau am 9. Juli 1813 im Alter von 63 Jahren 7 Monaten und 9 Tagen an der Wassersucht. Die Eltern der letzteren waren der schon genannte Joh. Wilhelm Stoffel, geboren am 2. Januar 1708, gestorben am 2. Juni 1763 im Alter von 55 Jahren 5 Monaten, und dessen Ehefrau Anna Elisabethe, gestorben am 18. Januar 1793, 85 Jahre und 11 Monate alt. Dieselben hatten, außer den beiden Töchtern, noch einen Sohn, den Hufschmied Wilhelm Stoffel, der unter dem Namen Schmied's Wilhelm als ein außergewöhnlich starker Mann bekannt war. Einst warf er einen französischen Reiter, welcher ihm auf dem Fußpfad nicht ausweichen wollte, samt dem Gaul in den nebenherlaufenden Hohlweg, mußte sich dafür aber auch einige Zeit im Walde versteckt halten. Der ältere und nach dem frühen Tode seines Bruders einzige Sohn von Jacob Spamer war

Christian Spamer,

Pfarrer in Crainfeld, geboren in Schotten am 12. August 1770 und am 14. August getauft. Sein Pate war Christian Stoffel, Hausmeister im Armenhaus in Fstb (?), dessen Stelle Hufschmied Joh. Wilhelm Stoffel, der Großvater des Täuflings, vertrat. Christian Spamer erwählte sich den geistlichen Beruf und erhielt zur Vorbereitung für sein Studium beim Pfarrer in dem etwa ¾ Stunden abgelegenen Einartshausen Unterricht im Latein. Mit dem Cornelius Nepos als Lektüre beschäftigt, bezog er die Universität Gießen. Er wohnte daselbst in dem Neubauer'schen Stift, einem alten weitläufigen Gebäude in Nähe der Schulstraße, welches in den 1850er Jahren noch bestand, später aber der Erweiterung dieser Straße zum Opfer gefallen ist. Musikalisch beanlagt, liebte es Christian Spamer, sich zum Gesange mit der Harfe zu begleiten und nahm er dies sein Lieblingsinstrument auch zur Universität mit. Ein, wie anzunehmen ist, wenige Jahre später angefertigter und noch erhaltener Schattenriß stellt ihn uns — wohl als Schottener Rektor —

(9 ≡)

mit seiner Harfe vor Augen. Daß sich bei ihm schon während seiner Studienzeit einzelne graue Haare zeigten, mag, als eine in der Familie weiter vererbte Erscheinung, hier berichtet sein.

Über seinen Lebensgang und insbesondere seine Amtstätigkeit ist nach seinem Tode in der „Allgemeinen Kirchenzeitung“ 1847, Nr. 98, Seite 831 und 832, später auch im Nekrolog der Deutschen[5], ein von Pfarrer Lehr verfaßter Nachruf erschienen, der in seiner warm geschriebenen und gewiß auch zutreffenden Weise zunächst hier wörtlich folgen mag:

„Christian Spamer,

evangelischer Pfarrer zu Crainfeld im Großherzogtum Hessen, geb. den 12. August 1770, gest. den 30. April 1847[6]. Der Verstorbene war der Sohn einer armen, aber braven bürgerlichen Familie zu Schotten. Nach Vollendung seiner Studien wurde ihm am 30. Dezember 1789 die Rektoratsstelle an der Stadtschule zu Schotten, am 21. Januar 1797 die Pfarrstelle zu Burkhards, am 7. April 1815 die zu Crainfeld übertragen, welche er bis zu seinem Tode bekleidete. Spamer zeichnete sich zwar nicht durch theologische Gelehrsamkeit und literarische Tätigkeit aus, wohl aber durch eine während der langen Reihe von 57 Dienstjahren bewährte musterhafte Amtstreue und segensreiche Wirksamkeit. Sein schlichter, bescheidener, frommer Sinn, sein biederer und sanfter Charakter erwarb ihm die Achtung und Liebe seiner Amtsgenossen und der ihm anvertrauten Gemeinden. Seine musterhafte Amtstreue wurde bei der im Jahre 1840 stattgehabten Feier seines 50jährigen Dienstjubiläums von der kirchlichen Behörde auf ehrende Weise anerkannt, wie auch die Amtsgenossen und das Kirchspiel ihm Beweise ihrer Anhänglichkeit und Achtung bei dieser Gelegenheit gaben. Der 70jährige Greis hielt es indeß für seine Pflicht, in dem Berufe, an welchem er mit ungeteilter Liebe hing, fort zu wirken so lange es seine Kräfte nur irgend gestatteten, und er wirkte in ihm mit solcher Treue, daß ihm die kirchliche Oberbehörde vor zwei Jahren nach einer abgehaltenen Kirchenvisitation abermals ihre besondere Zufriedenheit zu erkennen gab, und sich in seinem Kirchspiele die musterhafte kirchliche Ordnung und der kirchlich fromme Sinn bis an seinen Tod ungeschwächt erhalten hat. Wie seine Predigten und sein ganzes Wesen ein biblisch frommer Sinn durchdrang, so blieb ihm die Bibel immer das liebste Erbauungsbuch, aus welchem er sich, als er im Anfange dieses Jahres die Abnahme seiner Kräfte fühlte, im Vorgefühl seines nahen Todes auf sein Lebensende vorbereitete. Unter allgemeiner Teilnahme seines Kirchspiels, für welches mit seinem Tode ein schönes, wahrhaft patriarchalisches Leben sich auflöste, wurde am Charfreitage seine irdische Hülle dem Schoße der Erde übergeben, wobei Pfarrer R. über Hiob 4.3.4. eine ergreifende Predigt in der Kirche hielt, Pfarrer B. eindringliche Worte am Grabe sprach. Für die Kirche ist in ihm ein treuer Diener, für die Gemeinde ein würdiger Seelsorger, in welchem sie den treuen Hirten ehrte, und den sie wie einen Vater liebte, heimgegangen.“

Wie auch aus diesem Nachrufe ersichtlich, wurde dem von der Universität zurückgekehrten, erst im 20. Lebensjahre stehenden Kandidaten theologiae die Rektoratsstelle seiner Vaterstadt übertragen, welche Stelle bestimmungsgemäß mit Theologen besetzt werden mußte. Sieben Jahre später erhielt er die Pfarrstelle in Burkhards und führte am 5. Mai 1797 seine Braut Katharina Barbara Rühl, die ältere Tochter des Bürgers und Metzgermeisters Johann Konrad Rühl in Schotten, zur Trauung und in sein Pfarrhaus heim. Da zu jener Zeit österreichische und französische Kriegsvölker zwischen Schotten und dem etwa 2 Wegstunden entfernten Burkhards feindlich gegenüber lagerten und den Fahrweg sperrten, so mußten die jungen Eheleutchen des Abends zu Fuß, und begleitet von Dienstboten, welche den nötigsten Hausrat auf dem Kopfe trugen, in aller Stille ihre Heimstätte aufsuchen. Diese Heimstätte nun, das freundliche Burkhardser Pfarrhaus, hatten sie, wie auch die Pfarrpfründe, während der ersten zehn Jahre ihres Dortseins noch mit dem schwer gichtkranken Vorgänger, Pfarrer Schuchard, zu teilen. Derselbe bewohnte

(10 ≡)

mit seiner Familie das Obergeschoß. Doch flossen diese zehn, wie auch die ferneren acht Jahre ihres Verbleibens in Burkhards abgesehen nur von Verdrießlichkeiten, welche die öftere Einquartierung französischer Truppen mit sich brachte, glücklich und ohne ernste Sorgen dahin. Drei gesunde Söhne erhöhten das Glück der Eltern. Es wurde ihnen Theodor am 10. Februar 1798, Christian am 2. Februar 1803 und Karl am 3. Februar 1810 geboren. Auch war, nach dem am 16. Februar 1800 in Schotten erfolgten Tode des Vaters Jacob Spamer, dessen Witwe Agnesa Hausgenossin ihrer Kinder in Burkhards. — Förster Schmidt, Amtmann Geist, Schullehrer Schmehl in Burkhards bildeten den engeren, die Pfarrer Schmidt in Herchenhain, Löber in Breungeshain und andere den weiteren Bekannten- und Freundeskreis der Familie. Bei Gesprächen und Solospiel, denen die Frauen als fleißige Spinnerinnen beiwohnten, wurde mancher gesellige Abend verbracht. Doch trug auch die musikalische Begabung des Hausvaters, dem Fertigkeit auf Klavier, Harfe und Flöte zu Gebote stand, oft und viel zur Freude im engeren häuslichen Kreise bei. Es ließen dann der Vater, seine zwei älteren Söhne und Schullehrer Schmehl im Konzert Klavier, zwei Geigen und den Baß (des Sohnes Christian's Teil) erklingen, zuweilen in Begleitung ihrer eigenen Singstimmen, sowie derjenigen der Frau Pfarrin und der mit hohem Sopran begabten Frau Schullehrer Schmehl. — Eine gerne gepflegte Beschäftigung Christian Spamer's war die Wiederinstandsetzung von Uhren, zu welchem Zwecke er sich besonderen Handwerkszeugs bediente. Vielleicht besaß er diese Geschicklichkeit in mechanischen Dingen als ein Erbstück aus der Beschäftigung seiner Vorfahren. — Als der älteste Sohn Theodor konfirmiert war und einen Beruf ergreifen sollte, wünschten seine Eltern, daß derselbe auf der Papiermühle seines Onkels Dornemann in Kesselbach die Papiermacherei erlerne, und ward auch der Anfang hiermit gemacht. Doch konnte Theodor mit dieser Beschäftigung sich durchaus nicht befreunden. Er kam wieder nach Hause zurück und ward nun der Entschluß gefaßt, daß die beiden älteren Söhne studieren sollten. Nachdem zu diesem Behufe der Vater einige Zeit die Söhne im Latein unterrichtet, brachte er sie Ostern 1815 nach Breungeshain in das Institut des Pfarrers Löber. Christian besuchte hier auch die Christenlehre, wurde jedoch Ostern 1816 zu Crainfeld, wohin die Eltern inzwischen als Pfarrleute übergesiedelt waren, konfirmiert. Nach 1 ½ jährigem Verbleib in Breungeshain, also zu Herbst 1816, bezogen die beiden Brüder die Sekunda des Pädagogs zu Gießen. Theodor, weil er fünf Jahre älter war, ward in die erste, Christian in die zweite Ordnung dieser Klasse gesetzt. Zu Ostern 1820 erhielten beide von der Prima zweiter Ordnung ab, auf Grund einer abgelegten Prüfung, das Zeugnis der Reife für die Universität und bezogen diese als studiosi theologiae. — Auch ihrem jüngsten Sohne Karl gewährten die Eltern später die Mittel, sich dem Studium zu widmen.

Mit dem Beziehen der Hochschule seitens ihrer Söhne wurden die geldlichen Opfer der treusorgenden Eltern naturgemäß größer. Ihre einfache und sparsame Lebensweise, wie das unausgesetzte Streben, ihre Vermögenslage zu bessern, hatten sie indes glücklicherweise in den Stand gesetzt, ihren Söhnen dauernd die nötige finanzielle Stütze zu sein. So war, auch als sorgender Familienvater, der Crainfelder Pfarrherr ein nachahmenswertes Beispiel, und wurde er bei dieser Fürsorge in hohem Maße unterstützt von seiner fleißigen und tatkräftigen Gattin. Die Vermögenslage seiner Eltern war eine nur bescheidene gewesen, und wohl allein aus dem Umstande, daß Jacob Spamer das einzige Kind seiner Eltern war, und sich dies bei dem Sohne Christian (nachdem ein Brüderchen Georg frühe gestorben) wiederholte, entfloß die Möglichkeit, daß Jacob Spamer seinem Sohne die Mittel zum Studium hatte gewähren können. In günstigerer Lage befand sich Joh. Konrad Rühl, der Schwiegervater Christian Spamer's, welcher seiner Tochter, außer dem Hausrat, 600 Gulden als Mitgift aussetzen konnte. Auch ist anzunehmen, daß aus dessen Hinterlassenschaft später ein verhältnismäßig erheblicher Vermögenszuwachs für die Familie

(11 ≡)

seines Schwiegersohns erfolgte. — Die Pfarrei Burkhards, deren Einkünfte zudem während der ersten zehn Jahre noch zur Hälfte an den pensionierten Vorgänger abgegeben werden mußten, stand bezüglich ihrer Besoldung zweifellos der Crainfelder Pfarrei nach, und letztere brachte, nach einer Aufstellung Christian Spamer's, jährlich nur rund fl. 900, oder Mk. 1540.— ein. Trotzdem haben die haushälterischen Pfarrleute es verstanden, außer den zum Studium ihrer drei Söhne nötigen Aufwendungen, ein für jene Zeit und Umstände erkleckliches Vermögen zu erwerben. Über die Aufwendungen für seine Kinder gibt eine Vermögensbestimmung Christian Spamer's Aufschluß, welche aus dem Jahre 1840 in den Familienpapieren vorliegt. Schon wegen der geübten korrekten Rechnungsführung verdient dieselbe hier Platz zu finden. Sie lautet:

„Geschehen: Crainfeld, den 22. Januar 1840.

Ich habe beschlossen, im Laufe des Jahres 1840 meine beiden Söhne Christian und Karl und die Kinder meines verstorbenen Sohnes Theodor, rücksichtlich des von mir bisher erhaltenen Vermögens, gleich zu stellen. Ich werde also die zu machenden drei Teile jeden auf die Summe von viertausendfünfhundertundfünfzig Gulden (4550 fl.) festsetzen und beziehungsweise erheben.


Mein verstorbener Sohn Theodor, und dessen Familie, hat bis Ende des

Jahres 1839 erhalten die Summ von.....................
hat also noch zu erhalten...................................

Summa
4339 fl. 10 kr.
  210 fl. 50 kr.
____________
4550 fl. — kr.


Mein Sohn Christian hat bis Ende des Jahres 1839 erhalten die Summe von
hat im Jahre 1840 erhalten........................................

Summa
3991 fl. 46 kr.
  689 fl. 39 kr.
___________
4681 fl. 25 kr.

NB. Diese Ueberzahlung von 131 fl. 25 kr. soll demselben, im Laufe dieses Jahres, an dem von mir zu erhaltenden ¼ der gesammten Kapitalzinsen in Abzug gebracht werden.

Mein Sohn Karl hat bis Ende des Jahres 1839 erhalten die Summe von
hat also noch zu erhalten ..................................

Summa
4439 fl. 38 kr.
  110 fl. 22 kr.
___________
4 550 fl. — kr.

Indem ich obige Berechnung als richtig anerkenne, bemerke ich zugleich, daß ich von den Gesammtzinsen meiner ausstehenden Kapitalien, vom 1. Januar 1840 an und fernerhin, jedem meiner Söhne ¼ der wirklich erfolgten Zinseneinnahmen und ebenso der Familie meines verstorbenen Sohnes ¼ derselben verabreichen will. Dreiviertel meiner Kapitalzinsen werde ich also fortan abgeben und Einviertel für mich behalten. Gegenwärtige Berechnung und Entschließung habe ich nebst meiner Frau, mit deren Bewilligung dieses geschehen ist, und meinen beiden noch lebenden Söhnen Christian und Karl eigenhändig unterschrieben.

Ch. Spamer, Pfarrer allda
Catharina Barbara Spamer
Johann Heinrich Georg Christian Spamer
Johann Karl Wilhelm Friedrich Spamer.“

Nach einer Abrechnung, welche Christian Spamer seinem Sohne Christian am 18. Januar 1841 erteilt hat, belief sich der Betrag der eingegangenen Kapitalzinsen im Jahre 1840 auf 941 fl. 33 kr., und betrug die bezügliche Summe im folgenden Jahre 1841 937 fl. 5 kr. oder rund Mk. 1600.— Es entspricht dies, bei einem Zinsfus von 4%, einem Kapitale von Mk. 40 000.— als Errungenschaft der Eltern, nachdem sie für Studium, Ausstattung usw. ihrer

(12 ≡)

Söhne bezw. Enkel rund Mk. 23 350.-- verausgabt hatten. Dieser wirtschaftliche Erfolg ihrer Lebensführung gereicht den beiden Ehegatten sicherlich zur Ehre.

Wohl als Ausfluß seines Strebens, sich weiter zu bilden, pflegte Christian Spamer mit Vorliebe die in der Nähe stattfindenden Bücherauktionen zu besuchen und seine Bibliothek zu bereichern. Hierbei erstand er mit der Zeit recht viele Bücher, so daß seiner Frau derselben zu viele wurden. Als nun wieder mal ein Büchernachlaß, und zwar der eines benachbarten Kollegen, zur Versteigerung kam, worunter ein Buch, welches er gerne haben wollte, führte dies zu folgendem ergötzlichen Auftritte. Die Frau Pfarrin, fürchtend, daß ihr Eheliebster nicht nur das eine Buch, sondern eine Reihe derselben ersteigern würde, schlug vor, Sohn Christian möge zur Auktion gehen und das Gewünschte erwerben. Dieser übernahm den Auftrag und bot auf das bewußte Buch zum ersten Male und zum zweiten Male ohne Mehrgebot zu erfahren. Da ward er, kurz vor dem Zuschlag, von einem just Eintretenden überboten, und als er zusah, war es sein Vater. Dieser, von dem Wunsche getrieben, das Buch sicher zu erhalten, war doch nachgekommen und ließ, als er dasselbe ausrufen hörte, ohne weiteres ein Mehrgebot ertönen. „Nun, wenn Sie mich überbieten, lieber Vater“, rief Christian ihm lachend zu, „will ich stille sein!“

Es mögen nunmehr aus den mir vorliegenden, aus den Jahren 1823—1842 stammenden Zuschriften und Briefen Christian Spamer's an seinen Sohn Christian in Hermannstein — meinen Vater — Auszüge folgen, welche Denkungsart und Gemüt des Crainfelders Pfarrers und seiner Gattin, sowie den im Hause derselben waltenden Sinn erkennen lassen.

Am 2. Februar 1826 widmet der Vater seinem noch in Crainfeld weilenden Sohne zu dessen 23. Geburtstagsfeste folgende herzliche Verse:

Es sind heut 23 Jahre, da Du das Licht der Welt erblickt.
Ich freue mich, da ich erfahre, daß Du zu dem Beruf geschickt,
Wozu ich Dich bestimmet hab, Dir Gott geschenket seine Gab'.
Fahr' fort, Verstand und Herz zu bilden zu größerer Vollkommenheit,
Geh' auf den irdischen Gefilden als Weiser stets zur Ewigkeit!
Dann wartet Deiner nach der Zeit des Himmels große Herrlichkeit!
Empfehle alle Deine Sachen dem Vater, der im Himmel thront,
Stets wird er es mit Dir so machen, wie er den guten Kindern lohnt,
Die ihm gehorchen, ihm vertrau'n, und fest auf seine Güte schau'n.
Er leite Dich durch dieses Leben an seiner treuen Vaterhand,
Sollt' er Dir Kreuz zu tragen geben, so sei es Dir ein Unterpfand
Von seiner Weisheit, Lieb' und Güt', die Dich dadurch zum Himmel zieht.
Führt er Dich auf des Glückes Wegen zur höheren Vollendung hin,
Dann danke ihm für seinen Segen und brauche ihn zu dem Gewinn
Auch Andern damit beizustehn, und ihre Freude zu erhöhn.
So suche dann Dein übrig Leben, das Dir Dein Gott noch ferner gönnt,
Nur ihm alleine zu ergeben, und zwar bis einst Dein Ende kömmt,
Dann geht Dir auf bei Deinem Tod des Himmels schönes Morgenroth!
Und wenn wir uns dereinstens trennen, wenn unser Todestag erscheint,
Wenn wir uns nicht mehr sehen können, wenn Einer um den Andern weint,
Dann trösten wir uns jener Welt, wo keine Trennung mehr vorfällt.
Dort werden wir uns wiederfinden, in jener ganz vollkommnen Welt,
Dort werden wir ganz frei von Sünden, in jenem hohen Sternen-Zelt,
Den Ewigen mit Preiß erhöhn und ewig Himmels Wege gehn.
Erinn're Dich bei diesen Zeilen, die Dir Dein bester Vater schreibt,
So oft Du dabei wirst verweilen, wenn seine Asche längst verstäubt,
An ihn, der Dich so sehr geliebt — und der für Dich gern Alles giebt.
Zum Schlusse will ich diesen Abend mit Dir mich meines Lebens freun,
Recht heiter, fröhlich und auch labend genießen ein Glas guten Wein;
Ergreif das Glas, stoß mit mir an! Beglückt sei stets mein Christian!“

In einem Briefe vom 11. August 1827, der bereits nach Hermannstein gerichtet war, lautet eine Stelle: „Morgen Abend, zwischen 9 und 10, zähle ich 57 Lebensjahre! Wie viele wird mir die Vorsehung noch hinzusetzen? — ich bin nicht ängstlich darum besorgt; sondern denke wahrhaftig, mit Gottergebenheit: „Herr, wie Du willst, so schicks mit mir!“ - Da ich indessen, in Rücksicht meiner Lebenskraft, bis jetzt noch nicht die mindeste Abnahme spüre: so läßt wohl dieses, zwar nicht mit Gewißheit, noch auf mehrere Jahre hoffen; und in dieser Hinsicht bin ich Willens, künftigen Montag oder Dienstag mir in Schotten, auf dem Sommermarkt, ein schönes Füllen zu kaufen, und es zu einem Reitpferd für mich zu erziehen. — Denn da ich in meiner Jugend gegangen habe: so darf ich ja wohl in meinem Alter reiten! wie das Sprüchwort erlaubt.“

Hierbei möge bemerkt sein, daß zur Pfarrei Crainfeld zwei Filialdörfer gehörten: Grebenhain, in etwa 1 ½ Kilometer, und Bermuthshain, in etwa 2 ½ Kilometer Entfernung, daß ferner die öfter zu besuchende Kreisstadt Schotten in der Luftlinie 22 Kilometer von Crainfeld entfernt liegt, — also, da alle diese Orte andernfalls zu Fuß erreicht werden mußten, die Beschaffung eines Reitpferdes wohl am Platze war. — An dieser Stelle möge auch der Beginn eines launigen Briefes eingefügt sein, welcher am 15. Juli 1828 an die Verwandten auf der Rabenauer Papiermühle in Kesselbach gerichtet ist:

„Mein lieber Herr Schwager, liebe Frau Schwägerin, lieber Herr Schwiegervater, liebes Katharinchen und Christianchen! Euch Allen herzlichen Gruß, Kuß und Händedruck von meiner Frau und mir! Indem ich dieses schreibe, sitze ich ganz allein in der Stube, vor der warmen Ofenplatte — und thue mir dadurch recht Bene! — mein liebes Weib, das eine weit hitzigere Complexion hat, als ich, sitzt mit dem Emilchen in der anderen kleinen Stube, wo es kalt ist, und strickt; Jene an einem Strumpf und dieses an einem Strumpfbändel, und sind dabei blau gefroren! — Doch genug davon! — denn wer das Angenehme verachtet, empfindet nicht unbillig das Unangenehme! — wahrscheinlich wird auch bei Euch der heutige Tag ein kalter Regentag sein?! — Es regnet hier immer fort, — es schlägt gerade Zwölf im Mittag; — und heute Nachmittag um 4 Uhr muß ich doch nach Bermuthshain und ein Mädchen daselbst taufen; — ich fürchte mich vor dem Wetter! — Doch ich muß es so machen, wie die Nürnberger, die gehen, wann's daselbst regnet, unter dem Regen hin! — falls es also fort regnen sollte: so hänge ich meinen langen grauen Mantel um mich, und gehe gestiefelt und den Regenschirm über mir haltend, getrost nach Bermuthshain, — und dabei bleibt's! - Ey, ey! das ist schlecht Zeug, das der Mann jetzt schreibt, werdet Ihr sagen!? — sagt was Ihr wollt! man muß auch manchmal gerade so schreiben, wie man eben gelaunt ist, wie es geht, was man thut, - und thun will, — und wie's im menschlichen Leben unter einander geht! und gehen kann; bald trocken, bald naß. Soeben ruft mir meine Frau, indem sie in die kleine kalte Stube geht: der Kaffee ist fertig! — ich will also hinüber gehen und denselben mit ihr trinken; - in der

(14 ≡)

Hoffnung, daß er gut sein wird! Nach dem Kaffeetrinken will ich besser schreiben! — Der Kaffee ist getrunken; es war aber nichts Sonderliches daran! obgleich meine Frau versicherte: sie habe zwei Mäschen Kaffeebohnen genommen; sie giebt die Ursache des nicht angenehmen Geschmacks in der geringen Güte der Kaffeebohnen an; — wovon ich auch selbst überzeugt bin, obgleich das Pfund davon „32 kr.“ in Frankfurt gekostet hat. — Jetzt geht eine ernstere Schreiberei an!“

Am 23. November 1828 richtet der Vater folgenden Freudenbrief an seinen Sohn in Hermannstein, nach dessen, am 24. Oktober genannten Jahres, erfolgter Verlobung mit Katharina Dornemann:

„Mein Allerliebster! Du wirst Dir leicht vorstellen können, welches Freudengefühl Dein Schreiben vom 31. v. M. das Herz Deiner Dich so zärtlich liebenden Eltern erregte! Diese Stunde, in welcher wir den so wichtigen Entschluß, für das Glück Deines Lebens, von Dir erfuhren, ist eine der glücklichsten Stunden unseres Lebens gewesen; und zwar um so mehr, weil Dein eigenes Gefühl, Deine eigene Ueberzeugung so ganz mit unserem Wunsche und unserer Ueberzeugung überein gestimmt hat. Du kannst daher des herzlichsten Beifalls und des zärtlichsten Segens Deiner Eltern, die Dich so innig lieben, in dieser wichtigen Angelegenheit Deines Lebens, gewiß versichert sein! Katharinchen hat sich bei dieser so wichtigen Sache sehr vortheilhaft benommen, welches uns, so wie Dir, recht erfreuend gewesen ist! Du schreibst: „auch gegen die scheinbare Verzögerung des K. bis auf künftige Ostern, wünschtest Du den Vollzug dieser Sache zu beschleunigen“. — Es kommt also ganz auf Dich an: zu welcher Zeit und an welchem Tage Du und ich auf der Rabenau in dieser Absicht zusammen kommen wollen, um das zu diesem Zweck Erforderliche einzuleiten, zu bereden und zu schreiben. — Auf heute bin ich der Amtsarbeiten herzlich statt: ich habe heute vor der Morgenkirche eine Privatbeichte, dann Predigt, Abendmahl, wieder drei Privatcommunionen gehabt, Personalien geschrieben, Betstunde gehalten und eine Taufe gehabt, — und morgen habe ich wieder eine Leichenpredigt in Bermuthshain zu halten. Manchmal kommen die Arbeiten mit Haufen — daß man beinahe unwillig werden muß! — doch gut, daß es nicht jeden Tag so gehet! — Ich empfehle Dich dem Schutz des Allerhöchsten! - sehe einem baldigen Schreiben von Dir entgegen, — grüße, küsse und drücke Dich an mein Herz! — und das Nämliche thut auch Deine treue, Dich herzlich liebende Mutter!“

Zum 2. Februar 1831 überbringt der väterliche Geburtstagsbrief dem Sohne folgende Verse:
Der Monat Februar ist wichtig für mein Leben;
Vor acht und zwanzig Jahr, da hat er mir gegeben
Den Sohn, an dem ich stets mit ganzem Herzen hing,
Weil er mir folgsam war und Tugendwege ging.
Mariä Reinigung, dies war der Tag der Freude,
An dem geboren ward der, den ich liebe heute —
Und bis in Ewigkeit: mein zweiter braver Sohn,
Der Himmel gebe ihm stets seinen besten Lohn!
Gott lasse ihn noch lang auf dieser Erde leben,
Er leite ihn so fort, dem Guten nachzustreben
Wie er's bisher gethan in allem seinem Thun,
So wird auf ihm allzeit der Gottheit Segen ruhn.
In seinen, Amte laß ihn Deinen Segen spüren,
Daß Deines Wortes Lehr' in Kirch' und Schul' mög' rühren
Zu Deines Namens Ruhm und zu der Menschen Heil,
Sie Alle, die daran von Herzen nehmen Theil.
Und wenn sein Lauf vollbracht, wenn seine Kräfte schwinden,
So bringe ihn zur Ruh', befreit von allen Sünden,
In jene bess're Welt, den Ort der Seligkeit,
Wo er dann glücklich ist durch alle Ewigkeit.
Dort werden wir vereint mit Gattinnen und Kindern,
Uns trennet kein Geschick, nichts wird die Freude mindern
In unsers Vaters Haus, dort vor des Höchsten Thron,
Da scheidet ewig nichts den Vater und den Sohn.“

Am 11. Dezember 1831 schreibt Christian Spamer seinem Sohne als Erwiderung eines Geburtstags-Angebindes des letzteren für seine Mutter und mit Bezug auf Beendigung des Vikariats der Pfarrei Blasbach, welches der Hermannsteiner Pfarrer während eines Interimistikums in jener Nachbargemeinde übernommen hatte:

„Lieber Christian! Durch Dein Angebinde hast Du vielen Dank bei Deiner Mutter verdient, welchen ich, in ihrem Namen, Dir hiermit zu erkennen geben soll. Auch haben uns Allen — Kühn, dem Theodor, Deiner Mutter und mir, — und noch Mehreren — Deine Verse, womit der Löffel begleitet war, sehr wohl gefallen! — Deßwegen holte ich auch den alten Baß aus dem Schwarzzeug-Kämmerchen und bezog ihn mit 4 neuen Saiten, — welche ich nach seinem Schnurren und Rasseln wieder abgezogen, und ihm wieder sein altes Logis angewiesen habe. — Deine Mutter nebst Theodor und ich freuen uns recht sehr, daß Du nunmehr von der Pfarrei Blasbach entbunden bist. Wie wohl wird es Dir thun, wenn Du des Sonntags Morgen hübsch ausschlafen — gemächlich Deinen Kaffee trinken — ein Pfeifchen Tabak in bona pace rauchen — über Deinen Vortrag noch ruhig nachdenken kannst; und dann in 10 — 15 Schritten aus dem Pfarrhaus in der Kirche bist! — Dann mag das Wetter sein, wie es will; Du kannst zufrieden damit sein. Werden gleich Deine Einkünfte durch den Verlust von Blasbach etwas vermindert, so hast Du in Rücksicht der Bequemlichkeit — des Aufwandes an Kleidern — und Schonung Deiner Gesundheit, mehr gewonnen, als jener Verlust werth ist; zumal da Du auch ohne den Zuschuß von Blasbach dennoch als ein ehrlicher Mann bestehen und leben kannst!“

Der nächste, am 17. Januar 1832 geschriebene, Crainfelder Brief hat folgenden gemüthlichen Eingang:

„Ihr Lieben in Hermannstein! Wie oft reden wir von Euch — besonders wann wir bei den langen Winterabenden so ganz allein bei dem warmen Ofen sitzen und uns mit allerlei Gesprächen die Zeit verkürzen. Mich deucht, es müßte Euch deßwegen manchmal vor Eueren Ohren klingeln! — und geschieht dieses zuweilen (wie ich sicher vermuthe) — so denkt: jetzt denken und reden unsere besten Freunde in Crainfeld an und von uns! — Bei den schönen Tagen, die wir vor einiger Zeit hatten — und jetzt wieder haben, hatten wir zuweilen die angenehme Vorstellung: vielleicht kommt der Christian jetzt einmal! — und wir vergnügten uns an diesem bloßen Gedanken! Ja, wann Er jetzt käme, sagte gestern meine Frau, und hätte seinen kleinen Karl auf dem Rücken hangen!“

Der Crainfelder Pfarrer legte, wie viele seiner Amtsbrüder damaliger Zeit, besonderen Wert auf eine gute Tasse Kaffee, was sich, außer in manchen anderen Briefstellen, auch deutlich im Anfange seines Briefes vom 17. Oktober 1832 ausdrückt:

„Lieber Sohn! Bei der günstigen Witterung, die wir haben, ist alle Herbstarbeit gut von statten gegangen, und Alles nach Wunsch eingeerntet worden. Obgleich die Kartoffeln nicht so dick waren wie das vorige Jahr, so sind sie doch recht gut; wir haben 143 Säcke voll bekommen. Aber wahrscheinlich war auf das Kaffee-Surrogat — die gelben Rüben — ein

(16 ≡)

Mehlthau gefallen; denn diese sind über alle Beschreibung schlecht, so klein und dünn, daß wir nie dergleichen gehabt haben: doch auch dieses kann auf der anderen Seite die gute Folge haben, daß nicht viele Rüben zum Kaffee können genommen werden, und folglich der Kaffee desto besser werden wird.“

Der Wunsch, auf einer besser dotierten Pfarrstelle, als es die Crainfelder war, seine Einnahme zu erhöhen, was er als die Pflicht eines treuen Familienvaters ansah, veranlaßte Christian Spamer mehrfach, und auch noch in vorgerückten Jahren, sich um solche bessere Stellen zu bewerben. Doch nahm er es mit Gleichmut auf, wenn eine solche Bewerbung ohne Erfolg blieb. So schreibt er am 24. Februar 1833:

„Lieber Christian und liebes Katharinchen! Der vormalige Pfarrer Dippel dahier schrieb oft in dem alten, die Pfarrgüter, Besoldungen ec. enthaltenden Buche, zu seiner Erheiterung:

Wie's Gott gefällt, so lauf's hinaus,
Ich lasse die Vögelein sorgen;
Kommt mir das Glück nicht heut zu Haus,
So kommt's, ob Gott will, morgen.
Was mir ist beschert, bleibt unverwehrt,
Ob sich's schon thut verziehen:
Dank Gott mit Fleiß, — soll's sein, so sei's,
Er kann mein Glück wohl fügen!

Dieses Verschen steht, von 1622 an, vor jedem folgenden Jahreswechsel in dem Buche. So denke ich auch bei meinem Wunsche — noch in meinem Alter auf eine andere Pfarrstelle zu kommen. Ich kann mich über das Glück durchaus nicht beschweren; dasselbige ist mir schon lange in's Haus gekommen; ich erkenne es dankbar an und bin auch wahrhaft zufrieden! — Hingegen hat der Mensch — es mag so gut mit ihm stehen, als er es nur verlangen kann, — immer noch Wünsche zum Besseren. — Nun, wie's Gott gefällt, so lauf's hinaus!“

Am 30. Januar 1834 schreibt der Vater seinem Sohne unter anderem auch über einen heftigen Anfall von Rheumatismus, dieses erblichen Familienübels, von welchem auch der Hermannsteiner Pfarrer in der Folge lange und schmerzhaft heimgesucht wurde:

„Mein lieber Sohn! Deine Kinder haben uns Traurigkeit und Freude verursachet: Traurigkeit durch ihre Leiden; Freudigkeit durch die glückliche Befreiung von denselben. — Auch ich habe seit dem 12. d. M. mein altes Uebel im Rückkreuz wieder! — Jedoch es hat schon viel von seiner Stärke verloren; und ich habe gegründete Hoffnung, in wenigen Tagen ganz davon befreit zu werden. Ich hatte mir solches durch Erkältung zugezogen. Seit Anfang dieses Kirchenjahres predige ich nämlich über das 5te, 6te und 7te Kapitel Matthäi, oder die sogenannte Bergpredigt, und bin bis jetzo gekommen bis zu Ende des 16. Verses im 5. Kapitel. Bei diesem Stande der Dinge kann ich also keine Zuflucht zu meinem alten Schatzkästchen nehmen, sondern es muß jeden Samstag Abend eine neue Disposition ausgearbeitet werden, welches mir wahres Vergnügen macht. Allein — bald werde ich damit früher, bald später fertig, und am 11. d. M. beschäftigte mich diese Ausarbeitung bis zum Sonntag Morgen 2 ½ Uhr. Während der Nacht war es nun kalt in der Stube geworden, weil ich in der Andacht an's Feuerschüren nicht gedacht hatte. Durch das Stillsitzen und durch die kalte Stube war mein Körper aber so kalt wie Eis geworden, welches ich erst merkte, wie ich mit der Arbeit fertig war und aufstehen wollte: wo ich dann auch zu gleicher Zeit eine große Steifheit im Rückkreuz empfande. — Der nämliche Fall trat nun abermal in der Nacht vom vorigen Samstag auf den Sonntag ein: — und so wurde dieses Uebel auf den höchsten Punkt gesteigert: dennoch hielt ich am vorigen Sonntag

(17 ≡)

meine Morgenpredigt, die Betstunde, und hatte auch noch eine Kindtaufe in einem hiesigen Hause. Aber am Sonntag Abend traten nun alle erdenklichen Schmerzen in meinem Rückkreuz mit solcher Heftigkeit auf, daß ich's nicht genug beschreiben kann. — Doch genug davon! — Was schadet, das lehret! - In Zukunft will ich meine Predigtdisposition des Samstag Nachmittags, nach dem Kaffeetrinken, beginnen, — dann brauche ich nicht mehr so lange in der Nacht daran zu arbeiten. — Lerne auch Du daraus: nicht zu lange in der Nacht zu studieren — damit Dir nicht vielleicht etwas Aehnliches passiren möge! — Könnten wir dann nicht wohl bald wieder einmal etwa auf der Rabenau eine Zusammenkunft haben? — Deine Mutter hat ein herzliches Verlangen, Euch und Euere lieben Kinder zu sehen. Ich würde diesesmal hier bleiben und Karl und seine Mutter könnten dahin kommen. Ich besuchte Euch dann v. d. in Hermannstein auf eine andere Zeit in diesem Jahre! Wäre ich doch künftigen Sonntag bei Dir, um Dir auf Deinen 31ten Geburtstag recht herzlich Glück wünschen zu können! — Wie innig wollten wir uns freuen! — Nun, wir wollen Deinen und den Geburtstag des Karl, auf künftigen Sonntag des Nachmittags und Abends zusammen dahier feiern, und dabei die Gläser des Sonntags Abends um 8 Uhr auf Dein Wohl dergestalt anstoßen, daß Ihr den Schall davon in Euerer Stube in Hermannstein hören sollt! — Wir Alle grüßen Euch herzlich und ich insbesondere bleibe Dein treuer Vater Ch. Spamer.“

Das Hermannsteiner Pfarrhaus mit seinen meterdicken Mauern und meist voll Wasser stehenden Kellern war eine ungesunde Wohnung, und geschah es wohl mit aus diesem Grunde, daß die Crainfelder Großeltern, nach dem schon am 9. August 1834 erfolgten Tode ihrer Hermannsteiner Schwiegertochter, deren zweiten Sohn Eduard, einen besonders schönen und geweckten, aber zarten Knaben, zur Pflege mit sich nach Crainfeld nahmen. Der damals 2 Jahre alte Eduard war der Liebling seines Vaters und wurde auch bald die besondere Freude seiner Großeltern. Dies kommt in den Briefen des Crainfelder Großvaters an seinen Hermannsteiner Sohn aus jener Zeit vielfach zum Ausdruck. Am 6. September nahmen die Großeltern ihr Enkelchen nach Crainfeld mit und schon am 17. jenes Monats meldet ein großväterlicher Brief folgendes über Reiseverlauf und Befinden des lieben Pfleglings nach Hermannstein:

„Gott zum Gruß! An den Christian und die beiden Karls! Es ist Zeit, daß ich Euch Nachricht ertheile, vom 6. bis 17. d. M. Den 6. kamen wir wohl und gesund, Abends um 6 Uhr in Crainfeld an, ohne daß uns Eduard auf der Reise im Geringsten incommodirt hätte, vielmehr war er äußerst zufrieden und recht munter; nur äußerte er einiges Mißfallen über die Trennung seines Vaters von ihm: „Vater fort!“ sagte er mehrmal, und machte mit ausgestreckten Aermchen ein Fäustchen: „Du Du Vater! haue!“ - Hierauf fragten wir ihn, bist Du denn deinem Vater nicht gut? soll er gehauen werden? Da verwandelte sich sogleich seine Heftigkeit in Lächeln und Liebe, und er sagte: „Vater gut, nicht hauen!“ — Dieses hat er mehrere Tage lang noch so geäußert. Wir zeigten ihm des Vaters Silhouette unter dem Spiegel; hierüber gerieth er in die größte Freude, schmeichelte dem Bildniß mit rührender Zärtlichkeit, küßte es mit Heftigkeit oft und vielmal — und wir Alle mußten es auch mehrmals küssen. Aber was sagt Ihr dazu? so wie ihm Euere Mutter das Gemälde des Vaters auf der oberen Stube gezeigt und ihn gefragt hatte, wer ist denn das? „Vater“ war sogleich die Antwort, und hatte er es herbeigezogen und drunter und drüber geküßt und geschmeichelt. Mein Gemälde hatte er auch sogleich erkannt „Großvater!“ Euerer Mutter Gemälde hatte er aber für seine Goth gehalten. — Nur einigemal habe ich ihm die Kupferstiche von Goethe, Klopstock, Schiller, Wieland, Gellert, Beethoven und Kühnöl genannt, und schon lange nennt er jedes Bildniß mit dem rechten Namen, mag man ihn fragen in oder außer der Reihe, wie sie an der Wand hängen. Der Name Klopstock war ihm gleich zum erstenmal, wie ich ihn nannte, äußerst auffallend — und er sah mich, wie ich ihn ausgesprochen hatte, etwas schüchtern und furchtsam an. Ich sagte ihm aber

(18 ≡)

sogleich, sieh das soll kein Klopstock sein, womit man schlägt, sondern der Mann heißt Klopstock, so wie du Eduard Spamer heißt; du brauchst dich vor ihm nicht zu fürchten! Nun sage, Klopstock! — Hierauf sagte er herzhaft „Klopbock!“ — und lachte laut dabei. Die anderen Namen der oben genannten Bildnisse aber spricht er deutlich aus — bis auf Kühnöl, welcher noch nicht recht fließen will. So oft er aber den Namen „Klopbock“ nennt, so oft lacht er darüber. — Eduard ist sehr einnehmend bei Allen, die ihn noch gesehen haben; an meiner Frau, mir und Theodor hängt er am meisten und liebsten. Ich muß ihn, wann ich auf dem Klavier spiele, auf den Schooß nehmen, — er spielt — und, wann ich dabei singe, singt er auch mit. - Er bekommt von Zeit zu Zeit (Anfangs täglich) mehrmalen etwas guten Wein; übrigens ißt und trinkt er Alles mit gutem Appetit, was man ihm giebt, und was wir essen und trinken; kurz Hausmannskost ist ihm dienlich; und die Kartoffeln mit Butter darauf (Butterbrod drauf, sagt er) ißt er besonders gerne; auch zieht er Brodbröckchen zum Kaffee dem mürben Weck vor. Um 12 Uhr des Mittags — wann wir gegessen haben, wird er (der Fliegen wegen) auf die Oberstube auf's Bette gelegt; und hier schläft er ruhig 2, 3 auch manchmal 4 Stunden lang. Meine Frau hat ihm die Wiege zurecht gemacht, welche des Abends aus der Kammer in die Wohnstube gestellt wird; darin schläft er die ganze Nacht recht ruhig, unter leichter Bedeckung; und des Morgens, wann er in seiner Wiege aufwacht, ist gewöhnlich sein erstes Wort, das er hören läßt: „Paffee (Kaffee) esse“. — Sogleich steht seine Großmutter auf, nimmt ihn, zieht ihn an und macht in seiner Gesellschaft Kaffee; ein „Bomp“ (Brocken Zucker) muß alsdann mehrmalen in's Kaffeeköpfchen unter die Weck- und Brodbröckchen geworfen werden; und so trinkt und ißt er sein Portionsköpfchen voll mit vieler Zufriedenheit aus, — und dann spricht er „satt!“ — Um diese Biographie in's Kurze zu ziehen, versichere ich Euch, daß die Vogelsberger Luft, Kost und Behandlung bisher einen so günstigen Einfluß auf ihn gehabt haben, daß er hier schon beträchtlich zugenommen, festes Fleisch bei ihm hervorgebracht, und ein rothes, gesundes Aussehen an seinem vorher blassen Gesichtchen bewirkt hat. Kurz, wir freuen uns recht herzlich über ihn! Er läßt Euch grüßen! ec.“

Hierzu sei bemerkt, daß die im obigen Briefe angeführten und noch heute im Familienbesitze befindlichen Oelgemälde der Crainfelder Pfarrleute und ihres Hermannsteiner Sohnes im Jahre 1834 vom Maler Volkmar angefertigt wurden.

Ein Brief vom 30. Mai 1835 erzählte dem Hermannsteiner Sohne von Eduard folgendes: „Eduard wird uns, wenn wir ihn nicht mehr hier haben werden, gewiß unbeschreiblich leid thun, — denn er hat zuweilen solche naive Einfälle, die uns Wochen lang, wenn wir uns daran erinnern, recht herzlich erfreulich sind; e. g. vor einigen Wochen ließ der hiesige Bürger­meister durch den Ortsdiener bekannt machen: wer dem Sebastian Franz seine Güter kaufen wolle, der sollte gleich zum Bürgermeister kommen; — sowie der Ortsdiener nach dem Zeichen mit der Schelle dieses bekannt gemacht und ausgeredet hatte, — und meine Frau zufällig mit dem Eduard an der Hinterthüre des Pfarrhauses (nach der Straße zu) steht, so ruft Eduard dem Ortsdiener zu: „Eduard kauft keine Güter, der Bürgermeister mag sie behalten!“ — Hierauf fragt ihn meine Frau: ja weißt du denn auch, was Güter sind? — darauf sagte er gleich: „Aecker und Wiesen“. — Sodann wollte er vor einigen Wochen meinen Hut und Stock haben; ich gab ihm beides; — er setzte den Hut auf seinen Kopf, nahm den Stock in die Hand, und ging nach der Stubenthüre, die ich ihm aufmachen sollte. Ich fragte ihn, wo willst du denn mit meinem Hut und Stock hin? — Ganz ernstlich erwiderte er: „ich will nach Bermuthshain und ein Kind taufen!“ — Kurz, es ist ein allerliebster Bube, dem Jedermann, der ihn siehet und beobachtet, gut ist. — Wenn wir ihn nicht mehr hätten, würden wir wenig lachen und froh sein; so aber macht er uns gar oft ein recht fröhliches Herz!“

(19 ≡)

Am 5. November 1835 schreibt Christian Spamer unter Anderem: „Daß Karl das Minchen (die 2. Frau Christian Spamer's II) schon respectirt, wie Du schreibst, ist ein gutes Omen! — auch Eduard ist seiner neuen Mutter gut und hält bei ihr; e. g.: Vor einigen Tagen war die Hindel (Löb Stein's Frau) bei uns, wo zufällig die Rede von Minchen war. Eduard hörte dem Gespräch meiner Frau und der Hindel zu. Die Hindel sagte nun zum Eduard: Dein Vater hat die neue Mutter fort gejagt und ist ihr gar nicht mehr gut. Mit der lautesten Stimme rief ihr sogleich Eduard entgegen: „Du lügst, Hindel!“ und wie die Hindel solches wiederholte, rief ihr Eduard mit grimmiger Miene und noch lauter zu: „Du lügst wieder! der Vater ist der neuen Mutter gut!“ — Bist du ihr denn auch gut? sagte Hindel; „ja ich bin ihr auch gut!“ war die Antwort. Wir freuten uns Alle über diese unverstellte und herzliche Liebe Eduards zu seiner neuen Mutter.“

Ein Brief vom 12. März 1836 theilt dem lieben Sohne und dem lieben Minchen mit, daß die Crainfelder Eltern ihr Ackerland verpachtet, somit von dem lästigen Ackerbau befreit seien, und sich nur Wiesen zum nötigen Gefütter für drei Stück Rindvieh vorbehalten hätten. Eduard sei, zeitweiligen Husten und Schnupfen abgerechnet, gesund und lasse herzlichst grüßen. Doch im Mai desselben Jahres wurde Eduard von seiner Großmutter und Onkel Karl in's väterliche Haus zurück gebracht. Der folgende Brief seines Großvaters, dem außerdem noch betrübende Nachrichten betreffs seines jüngsten Sohnes zugekommen waren, zeigt, wie schmerzlich er den Verlust des geliebten Enkels empfand:

„Crainfeld, den 30. Mai 1836. Lieber bester Sohn! Die Last, die ich seit der Abreise des lieben Eduard — und seit dem 28. d. M. Abends, wo Constantin von der Rabenau zurückkam, zu tragen habe, ist unbeschreiblich schwer!!! Denn die Abwesenheit dieses lieben Kleinen, an dem mein ganzes Herz hing, und der meine einzige Freude war, -— hat mich unbeschreiblich traurig und mißvergnügt gemacht. — In dieser traurigen Gemüthsbewegung kam nun Constantin (Enkel) am vorigen Samstag Abend, und mußte mir von der Rabenau etwas sagen, — es fehlte nicht viel daran, daß ich nicht ohnmächtig zu Boden sank! — Grüße an Euch Alle — denn hoffentlich wird Eduard nebst sicherer lieber Begleitung bei Dir angekommen sein, — küsse ihn statt seines Crainfelder Großvaters — und schreibe mit erster Post Deinem treuen — unglücklichen Vater Ch. Spamer.“

Leider mußten Christian Spamer und seine Frau an ihrem ältesten und jüngsten Sohne Betrübnis erleben. Beide vollendeten, zumeist wegen zu früher, den Eltern unerwünschter Heiraten, ihre Studien nicht, und mußten danach, obgleich es ihnen an Begabung zu Besserem keineswegs fehlte, mit unbefriedigenden Lebensstellungen und Verhältnissen vorlieb nehmen. Christian allein hat den Herzen der Eltern nur Freude bereitet. — Nach der Rückkehr seiner Frau und seines Sohnes Karl, welche Eduard nach Hermannstein geleitet hatten, meldet dieses dem Vater Eduard's ein längerer Brief Christian Spamer's vom 25. Juni 1836, der mit folgenden Sätzen beginnt:

„Mein lieber Sohn! Vorerst benachrichtige ich Dich, daß Deine Mutter und Karl am 14. d. M. Abends um ¾ auf 11 wieder glücklich angekommen sind: der Postbote hatte wegen noch zwei anderen Personen aus Schotten, welche von Giessen in der Chaise mitgefahren, und anderen Sachen, welche nicht leicht gewesen, nur sehr langsam fahren können — und sie waren erst des Nachmittags um 5 Uhr in Schotten angelangt; wo dann Beide nach 6 Uhr den Weg von da nach Crainfeld zu Fuß angetreten — und Deine Mutter so ermüdet nach Hause kam, daß sie nichts von essen und trinken hören wollte, sondern sich augenblicklich auszog und in's Bette legte. — Der Umstand, daß sie von Eduard keinen Abschied hatte nehmen können — und der Umstand wegen Karl, hatte sie hart, hart angegriffen. —- Hingegen wird die Zukunft hoffentlich das Alles bei meiner Frau und mir, wo nicht ganz vertilgen, doch nach und nach erträglicher machen.“

(20 ≡)

Einem vom 26. Februar 1838 datierten Briefe an den Hermannsteiner Sohn, welcher zu jener Zeit mit seiner späteren dritten Frau, meiner Mutter, verlobt war, entnehme ich Folgendes:

„Lieber Sohn! Wir hofften schon im vorigen Jahre auf einen Besuch von Dir, und da dieser nicht erfolgte: so glaubten wir gewiß, daß Du doch zu Anfang dieses Monats zur Feier Deines Geburtstages bei uns eintreffen würdest. Wir ließen deßwegen auch 2 Bretzeln backen; mit der Einen solltest Du, mit der anderen Dein Bruder Karl angebunden werden. Da Du in­dessen bis zum 2. d. M. nicht eintrafest: so haben wir am Abend des besagten Tages, in Gesellschaft einiger guten Freunde, doch Deinen Geburtstag gefeiert — und auf Dein Wohlsein getrunken. — Nach dieser schon so langen Erwartung auf Deine Ankunft, freut es uns nun um so mehr, daß wir demnächst, nach deiner Versicherung vom 12. d. M., auf Deinen Besuch — und zwar in Gesellschaft Deiner Geliebten, ganz sicher rechnen können. — Mein Schwager auf der Rabenau schrieb mir, er hoffe, daß Du ihn demnächst besuchen — und von da nach Crainfeld reisen würdest, wo er in Deiner Gesellschaft mit hierher kommen werde. Wenn Du derowegen Deinen Hierherweg über die Rabenau einrichten willst und kannst, so gebe meiner Schwägerin den ernstlichen Wunsch zu erkennen, daß sie, sowie mein Schwager dahier erwartet würden. — Auch bemerke ich, daß ich auf Martini v. J. angefangen habe, täglich nur drei Pfeifen Tabak zu rauchen, nämlich des Morgens nach dem Kaffeetrinken eine, des Nachmittags nach dieser Arbeit eine und des Abends nach dem Essen eine. — Nur der Sonntag ist von dieser Regel ausgenommen, an welchem Tage ich vier rauche — die zweite nach gehaltener Morgenpredigt, vor dem Mittagessen. Vom 11. November v. J. bin ich diesem Vorsatz bis jetzt treu geblieben und werde auch in Zukunft dabei bleiben. — Dein Karl befindet sich wohl und hat seine besondere Freude am Lesen. Er hat zwei kleine Büchlein, „die Beatushöhle“ und „das Blumenkörbchen“ ganz durchgelesen. Daß Ihr eine Kirchenorgel bekommt, freut mich sehr! Uebrigens unseren herzlichsten Gruß von Haus zu Haus und besonders von Deinem Vater Chr. Spamer.“

Am 19. September 1838 berichtet der Vater einen erlittenen schweren Unfall, dessen Folgen der bereits 68jährige Mann jedoch glücklich überwunden hat. Er schreibt:

„Lieber Sohn! Ich hatte mir vorgenommen erst nach Verlauf von etwa 8—14 Tagen an Dich zu schreiben und Dir mein Schicksal bekannt zu machen, mit dem ich heimgesucht worden bin; allein ich habe mich besonnen, und will es doch nun früher thun, damit die gewöhnlich übertreibende Fama nicht möglicher Weise die Sache auf eine vergrößerte Art früher zu Deinen Ohren bringen möge, als die Nachricht von mir bei Dir anlangt. Höre also die traurige, — und doch noch äußerst glücklich abgelaufene Begebenheit: Am 4. d. M. Nachmittags zwischen 5—6 Uhr gehe ich in die hiesige Pfarrscheuer und will zwei Gerüstbalken, welche beim Heu­abladen von dem Fuhrmann aufgehoben worden waren, wieder an ihre Stelle legen (dieses habe ich alle Jahre gethan); — ich stieg also die Tennleiter hinauf auf das Gerüste. Indem ich nun mit dem rechten Fuß auf dem letztliegenden Gerüstbalken stand, und mit dem linken Fuß auf einen Riegel an der Seitenwand trat — und glaubte mit diesem linken Fuß einen sicheren Tritt zu thun: so hatte sich der Pantoffel, den ich anhatte, von dem Fuß handbreit verschoben, welches ich nicht gefühlt noch bemerkt hatte; der Pantoffel kam nun wohl richtig auf den Riegel, aber der Fuß war nicht gehörig darin; mithin ging der linke Fuß augenblicklich aus dem Pantoffel heraus, und ich fiel 16 Schuhe hoch von da herab in's leere Tenn. (Hätte ich Schuhe oder Stiefel angehabt, worin der Fuß nicht zurück gehen konnte, so wäre mein Tritt sicher gewesen — und ich wäre nicht gefallen.) Ich fiel nun gerade auf die posteriora, doch vorzüglich auf den rechten Theil. Es war Niemand weder in der Scheuer noch in dem Haus; meine Frau war bei dem Gerstenbinden am Rödchen beschäftigt; die Emilie und Magd waren im Feld, und der Karl war den nämlichen Tag des Morgens nach Schotten vor's Landgericht in Sachen verschiedener

(21 ≡)

Schuldner. — Ich versuchte sogleich nach dem Fall aufzustehen — um zu erfahren, ob ich nichts entzwei gefallen hätte; und da ich nahe an der Tennwand lag, so gelang es mir, mittelst des Haltens an der Wand; Ich spürte nun, daß ich wahrscheinlich nichts entzwei gefallen, denn auf dem linken Bein konnte ich sicher stehen, aber das rechte Bein wollte mich nicht tragen; ich konnte es zwar heben und vor- und rückwärts bewegen, aber darauf treten — oder damit fortgehen war mir unmöglich. — Da stand ich nun, mich an die Wand haltend, auf dem linken Bein — und konnte nicht weiter. Zum Glück hing ein Dreschflegel an der Tennwand, den ich mit Mühe ergreifen konnte, ihn herunter nahm und mich mittelst desselben nach einem Stuhl arbeitete, der in der Scheuer stand. Ich setzte mich auf denselben und mußte warten bis mir Jemand zu Hülfe kam. Nach 10 Minuten ungefähr kam meine Frau vom Gerstenbinden, und da ich durch deren alleinige Hülfe nicht fortkommen konnte, so holte sie unseren Nachbar Heinrich Müller, der mich auf seinem Rücken in unsere Stube auf's Bett trug. Meine Frau bähete nun das Kreuz und den Ort, darauf ich gefallen war, mit warmem Kampferspiritus, und den 5. d. M. ließ ich den Herrn Dr. Bork kommen. Dieser magnetisirte mich auf dem Rücken, Kreuz und an dem Bein, welches vorzüglich Noth gelitten hatte, um durch's Magnetisiren die gequetschten Muskeln und Fasern wieder in Thätigkeit zu bringen. Alles Bähen sollte aufhören, und den 7. wollte er wieder kommen. Er kam, magnetisirte wieder, wie das vorige mal, und ordnete nun an, daß mich meine Frau 3-4 mal des Tags mit ganz kaltem Bachwasser auf dem Kreuz, dem Bein — und wo mir's weh thäte, waschen und jedesmal gehörig abtrocknen solle. Dieses Waschen bekommt mir sehr wohl; die innere Hitze wird dadurch abgekühlt, und die Haut und Muskeln werden gestärkt. Den 13. d. hat er mich zum 3. mal magnetisirt, — und er meint nun, es sei genug — das Waschen aber soll noch immer fortgesetzt werden — welches auch bis jetzt geschieht — und noch länger geschehen wird. Die Schmerzen, die ich bei der geringsten Bewegung des Körpers empfunden habe, kann ich nicht beschreiben - besonders in den ersten Tagen; Tag und Nacht konnte ich nicht schlafen, wodurch ich sehr entkräftet wurde; ja es ging mir einmal in der Nacht, wie es Hiob ging, ich wünschte mir vor Ungeduld den Tod. (Gott möge es mir verzeihen!) Seit dem 9. aber haben sich die Schmerzen täglich vermindert, und seit diesem Tage bin ich jederzeit den ganzen Tag über außer Bette. Den 13. spielten Bork, Karl und ich 2 Stunden lang Tarok. Auch kann ich nun schon seit 3 Nächten wieder ziemlich schlafen, wodurch meine Kräfte wieder merklich zunehmen. Ich ließ mir den 10. d. 2 Krücken machen, damit ich nach und nach wieder durch ihre Unterstützung Bewegung und Leben — und das rechte Bein wieder allmählig Kraft zur Tragung des Körpers bekommen möchte. Diese Krücken haben mir gute Dienste geleistet; jedoch habe ich sie nun schon einige Tage gänzlich bei Seite gestellt, und gehe jetzo mit 2, auch oft mit einem Stock in der Stube langsam hin und her, und das rechte Bein erhält jeden Tag wieder mehr Kraft: so daß ich hoffe in Zeit von 14 Tagen wieder ohne Stock, durch Gottes Hülfe, gehen zu können. Soviel für diesmal von meinem Unfall. Wir alle grüßen Dich, Dein liebes Weibchen, den lieben Karl (dessen Briefchen uns viel Spaß machte), wie auch die Lieben zu Aßlar ec. Dein guter Vater Chr. Spamer.“

Am 15. Juni 1839 erfolgte die Erwiderung auf eine Hermannsteiner Geburtsanzeige.

Liebster Sohn! Dein Schreiben vom 4. d. M., worin Du uns die glückliche Niederkunft Deines lieben Weibchens mit einem gesunden Knaben bekannt machtest, hat uns um so mehr recht herzlich gefreut, je besorgter wir seit einigen Wochen wegen diesem Ereigniß für Carolinchen waren. Gott sei Dank! daß Alles so gut und erwünscht ausgefallen ist. Hoffentlich wird auch noch Alles wohl stehen! — Ich und Deine Mutter haben nun schon 14 Enkel erlebt, wovon noch 9 am Leben — und 5 in eine bessere Welt versetzt worden sind. Es soll uns überaus freuen, wenn wir wenigstens Antheil an der Gevatterschaft nehmen, und zu der Anzahl der

(22 ≡)

Gevattern eingeladen werden; — — möchte doch der liebe Kleine wieder ein Eduard werden; dem Namen und der Person nach!!!“

Einen ferneren Brief vom 18. Januar 1841 schließt der gute Großvater mit folgenden freundlichen Worten für seine beiden Hermannsteiner Enkel:

„Der liebe Karl in Hermannstein und Hermann freuen uns recht sehr, — wegen dem Fortschritte Karls in den Schulwissenschaften — und der sicheren Hand, welche Hermann in seinem Schreiben an uns bewiesen hat; überhaupt stehet Hermann, wegen seiner Herzensgüte, — bei meiner Frau und der Emilie in besonders gutem Andenken: (Mein Christkindchen und Neujahr für Beide wird bei unserer persönlichen Gegenwart auch nicht vergessen werden).“

Der zweitfolgende Brief vom 5. Mai 1841 bezieht sich unter Anderem auf die im Hermannsteiner Pfarrhause erfolgte Ankunft einer Enkelin, und verdient in seinem Haupttheile hier Platz zu finden, wie folgt:

„Lieber Sohn! Wir Alle in unserem Hause haben uns über Dein Benehmen, die Melbacher Präsentationsgeschichte betreffend, recht herzlich gefreut. Du hast Alles gethan, was Dir zukam, Deine Absicht zu erreichen; und wenn dies durch allerlei niedrige Kunstgriffe Anderer nicht gelungen ist, so kann Dir dennoch Deine rechtliche Bemühung in dieser Sache in Zukunft zu einer anderen guten Pfarrstelle verhelfen: weil Dein neuer Kirchenpatron diesen Gegenstand der Gnade unseres Großherzogs recht schön empfohlen hat — und auch den Ministerialräthen solches schreiben will. — Ich erinnere mich hierbei recht wohl, daß der nunmehr verewigte Hauptmann von Schenck ein ähnliches Verfahren bei der Präsentation des Kleeberger nach Melbach beobachtete; indem er diesem, und nicht seinem Pathen Rau, die Präsentation ertheilte; — und Rau erhielt nach einigen Jahren die gute Pfarrstelle in Odernheim. Wenn demnach in Zukunft eine beträchtlich gute Pfarrei erledigt wird, so melde Dich um solche, und ersuche den neuen Herrn Patron von Schenck, die Ministerialräthe an sein ehemaliges Empfehlungsschreiben auf's neue zu erinnern; dann ist wahrscheinlich ein guter Erfolg zu hoffen. — Daß Du den Karl in's Gymnasium nach Wetzlar gethan hast, ist recht wohl gethan, und es freut mich herzlich, daß es ihm in demselben gut gefällt. Sollte in der Zukunft die Lust zur Erlernung der gelehrten Sprachen und übrigen Wissenschaften nicht abnehmen und zu erwarten sein, daß Karl gründliche Kenntnisse darin erlangen werde, so kann er sich irgend einer besonderen Wissenschaft, der Theologie, der Jurisprudenz ec. widmen, zu welcher er die vorzüglichste Lust, Anlage und Vorbereitungs-Kenntnisse hat. Sollte aber diese Lust an dem trockenen gelehrten Kram dieser Wissenschaften in Zukunft bei ihm vergehen, so kann er ja zu einem anderen Berufe ausgebildet werden. Auf jeden Fall — und auch in der letzten Hinsicht — ist ihm aber der Besuch des Gymnasiums nützlich. — Die erwünschte Nachricht von der glücklichen Ankunft Deiner Tochter, und von ihrem und ihrer lieben Mutter Wohlbefinden, hat uns recht sehr erfreuet. Der Himmel segne auch fernerhin Dein liebes Weibchen, Deine lieben Kinder, Dich und alle Mitglieder unserer Familien! Es wäre zu wünschen gewesen, daß die liebe Kleine ihre Ankunft nur noch um einen Tag verzögert hätte; dann würde sie mit Karl — nur 11 Jahre später — auf den nämlichen Datum und Sonntag in dieser Welt angekommen sein. Zu Gevattern — oder Mitgevattern erbieten wir — und gewiß auch die Emilie in Aßlar — uns mit dem aufrichtigsten Wunsche! — Heute sind es 44 Jahre, da ich und Deine Mutter unseren Ehestand angetreten haben. Wir haben Ursache, Gott zu danken, der uns bisher so väterlich in frohen und traurigen Tagen geleitet hat; und haben das feste Vertrauen zu ihm, daß seine Gnade über uns walten werde in Ewigkeit! Wir haben nun schon 16 Enkel erlebet, wovon 5 in die bessere Welt versetzt worden sind. — Es wäre möglich, daß wir noch unsere goldene Hochzeit feiern könnten! — Nun, wie Gott will, so ist mir's recht!“

(23 ≡)

Zum Schlusse dieser Auszüge aus Christian Spamer's Briefen an seinen Hermannsteiner Sohn möge noch Anfang und Ende des am 12. Januar 1842 verfaßten Briefes hier mit­geteilt sein:

„Lieber Sohn! Sehr häufige Amtsgeschäfte und Schreibereien, welche ich im vorigen Monate bis heute unaufschieblich zu besorgen hatte, haben mich verhindert eher an Dich zu schreiben. Dein letzter Brief im November v. J. hat uns allerlei bekannt gemacht, was uns angenehm und erfreulich war; — besonders ist uns das schöne Betragen der Hermannsteiner Frau gegen ihren alten Vater — und die deßfalsige Leichenpredigt, die Du gehalten hast, höchst erfreulich und rührend gewesen; und ebenso die Wünsche und Ergießungen Deines Herzens gegen Deine treuen Eltern. Deine Mutter dankt Dir, daß Du so viel Gutes ihr auf ihren 65. Geburtstag und fernerhin wünschest; wie auch insbesondere für das Pelzchen, welches sie im Winter um ihren Hals gebunden, warm halten soll. Sie hat schon dessen gute Wirkung in der Crainfelder Kirche lobend erwähnt, wie sie nach Haus kam. Unsere Wünsche für Dich, Dein liebes Weibchen und Deine Kinder zum angefangenen Jahre, sind die Besten, die aus dem Herzen treuer Eltern kommen können: Gott segne Euch mit allerlei leiblichem und geistlichem Wohlergehen, so viel Euch gut und nützlich ist, nicht nur in diesem Jahre, sondern auch in Euerem ganzen irdischen Leben! — Die 2 Hausfrauen im hiesigen Pfarrhause (Frau und Schwiegertochter) haben diesen Winter schon zu 60 Ellen leinen breites Tuch gesponnen und wollen von jetzt an diesen Winter noch zu 60 Ellen leinen Schmaltuch spinnen. Die Magd hat Wolle gesponnen und Ahnschwingen — und grobes wirken Garn, das verkauft wird. — Was dünkt Dich von dieser Spinnerei? sind diese fleißigen Leute nicht alles Lobes würdig?! — Zuletzt noch das Wichtigste! Wir sind alle, Gott sei gedankt! noch recht gesund und ich kann meine Amtsgeschäfte noch so munter und kräftig wie vor 20 Jahren versehen. Wie oft wünschen wir, daß wir zu Zeiten bei Euch — oder Ihr nebst Eueren lieben Kindern bei uns sein könnten! Doch, nicht hier — sondern in einer anderen Welt werden unsere Wünsche besser erfüllt werden!

„Unsre Seufzer, unsre Thränen werden ewig da gestillt,
Unsre Wünsche, unser Sehnen, Alles, Alles wird erfüllt!“

Ich schließe mit den herzlichsten Begrüßungen von uns Allen zu Euch Allen und an Dich ganz vorzüglich, und bleibe

Dein treuer Vater
Ch. Spamer.“

Von einem Besuche, den meine Crainfelder Großeltern im Sommer 1842 in Hermannstein ausführten, stammt meine einzige persönliche Erinnerung an meinen Großvater, die freilich nur die eines 3jährigen Kindes ist. Doch sehe ich ihn noch als eine mittelgroße, schlanke Erscheinung, und erinnere mich besonders deutlich seiner schwarzen Strümpfe und gleichfarbigen Kniehosen, welche Kleidung er nach alter Weise beibehalten hatte.

Am 30. April 1847, fünf Tage vor dem 50jährigen Hochzeitstage der Ehegatten, setzte Altersschwäche dem langen treuen Leben und Wirken Christian Spamer's ein Ziel.

Unter den „Todesanzeigen durch blindlings gegriffene Bibelstellen“, welche sein Sohn Christian verzeichnet hat, findet sich als dritte die folgende:

„Im Gefühle der schnellen Abnahme seiner Kräfte wünschte mein guter Vater nur noch seinen goldenen Hochzeitstag, den 5. Mai 1847, zu erleben. In Bezug auf diesen Wunsch griff er, während die letzte Stunde des Jahres 1846 ertönte, ebenfalls mit geschlossenen Augen einen Bibelvers; und welchen hatte sein rechter Daumen gefaßt? Es war: Jesaias 38. 1. „So spricht der Herr: Bestelle dein Haus; denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben!“ — Hierauf sprach mein Vater: „Ich werde meinen goldenen Hochzeitstag nicht erleben“.

(24 ≡)

Als er auf seinem Sterbelager die treue Gattin um ihn weinen sah, tröstete er sie, ihr voraussagend, daß, ehe zwei Jahre vergingen, sie ihm folgen werde — eine wahr gewordene Vorhersage. — Christian Spamer erreichte ein Alter von 76 Jahren 8 Monaten und 18 Tagen. Er war nicht nur seinen Pfarrkindern, sondern war und bleibt auch seiner eigenen Familie, welcher er den Weg zu höheren Lebensberufen eröffnet hat, das schönste Vorbild eines wahrhaft frommen, pflichtgetreuen Mannes und liebevollen, fürsorgenden Gatten und Vaters.

Noch heute bezeugen zwei aufbewahrte Ehrengaben, welche ihm zur Feier seines 50jährigen Dienstjubiläums im Jahre 1840 überreicht worden sind, die Liebe und Verehrung, welche er sich in seinen Gemeinden, wie auch in weiteren Kreisen erworben hat: eine Prachtbibel mit der Widmung „Ehrengeschenk am Jubelfeste des Herrn Pfarrers Spamer von seinen Gemeinden“, und das Diplom, in welchem seine Vaterstadt Schotten ihn zu ihrem Ehrenbürger aufgenommen hat. — Seine Witwe zog am 16. Oktober 1847 zu ihren Kindern nach Hermannstein. Leider wurde sie, die noch rüstig war an Körper und Geist, schon im nächsten Frühjahre von der Grippe ergriffen. Zu dieser Krankheit gesellte sich Lungenentzündung und mußte sie am 23. April 1848, im Alter von 71 Jahren 4 Monaten und 29 Tagen, diesem Leiden erliegen. Katharina Barbara Spamer, geb. Rühl, war, wie dies in ihres Sohnes Christian Autobiographie vielfach geschildert ist, eine besonders kräftige, energische, kluge Frau und eine treue, liebevolle Mutter. Ihrer hohen, schlanken Gestalt erinnere ich mich noch wohl aus ihrer im Hermannsteiner Pfarrhause verbrachten letzten Lebenszeit; — ihre sterbliche Hülle ist auf dortigem Friedhofe zur Ruhe bestattet.

Am 25. November 1776 in Schotten geboren, verheiratete Katharina sich in ihrem 21. Lebensjahre; sie war die ältere zweier Schwestern, der einzigen Kinder von Johann Konrad Rühl. Dieser letztere wurde am 20. Januar 1749 in Schotten geboren, am 21. eodem getauft, und starb am 30. April 1831 auf der Papiermühle bei Kesselbach, im Hause seiner jüngeren Tochter Dorothea Dornemann, in Folge eines Schlagflusses. Er erreichte ein Alter von 82 Jahren 3 Monaten und 10 Tagen. Eine Erinnerung an ihn sind 2 in meiner Münzsammlung befindliche Augsburger Konventionstaler, welche er s. Z. seinen Enkeln Christian Spamer in Hermannstein und Katharina Dornemann als Brauttaler geschenkt hat und von meinem Vater aufbewahrt worden sind.

Von seinen Vorfahren sind noch bekannt:

1. seine Eltern: Joh. Peter Rühl, Bürger und Metzgermeister in Schotten, und Anna Elisabetha Margaretha Hofmann, getraut am 30. November 1747;

2. seine Großeltern: Joh. Konrad Rühl, getraut mit Katharina Spamer am 17. November 1702 in erster Ehe und mit Anna Dorothea Spamer am 13. Februar 1727 in zweiter Ehe. Welche dieser beiden Schwestern die Stammmutter war, ist unbekannt. Interessant für die Wiederkehr der Namen ist es, daß die zwei Urenkelinnen einer dieser beiden Schwestern Katharina Barbara und Anna Dorothea Rühl, — die beiden Töchter des 1749 geborenen Joh. Konrad Rühl — mit den Vornamen ihrer Urgroßmutter und Urgroßtante benannt sind, und eine dieser Urenkelinnen, Katharina Barbara Rühl, wieder einen Spamer geheiratet hat.

Der ältere Joh. Konrad Rühl hatte einen Bruder Ernst Rühl, deren gemeinsame Mutter war Elise Margaretha, geb. Schwalb, und deren Mutter war Anna Kunigunde Schwalbin.

Die Mutter von Katharina Barbara Rühl, Ehefrau des Pfarrers Christian Spamer in Crainfeld, war Eva Gertraud Bechtold, geboren am 11. November 1751 in Schotten, gestorben am 25. Mai 1803; und waren deren Eltern: Joh. Heinrich Bechtold, Bürger und Leineweber in Schotten, und Katharina Barbara, geb. Becker, so daß die Vornamen der Crainfelder Pfarrin auch die ihrer Großmutter mütterlicherseits gewesen sind.

(25 ≡)

Zum Abschiede nun von den lieben Crainfelder Pfarrleuten, Christian und Katharina Spamer, möge hier noch eine poetische Spende ihres Sohnes Christian folgen, die ihnen derselbe am 75. Jahrestage ihrer Hochzeit gewidmet hat:


Den Manen meiner Eltern
am 5. Mai 1872.
1.
O, kämet Ihr aus elysäischen Feldern
Doch heute hernieder, vortreffliche Eltern!
Wie würden sich Enkel und Urenkel freun,
Auf Eurer demantenen Hochzeit zu sein!
Denn heute sind's fünfundsiebzig der Jahre,
Seitdem Euch in Schotten, nicht vor dem Altare,
Herr Limpert als Bräutigam und als Braut
Des Abends hat in seiner Wohnung getraut!
2.
Dann gingt Ihr zusammen als eben Vermählte,
Von denen sich Jedes das Andere wählte,
Sogleich in der maiigen bräutlichen Nacht, —
Weil Schotten war damals sehr strenge bewacht
Von Oestreichs und Frankreichs sich feindlichen Scharen,
Durch welche die Straßen versperret Euch waren, —
Auf Umwegen schleichend in lautloser Ruh'
Nach Burkhards, dem künftigen Heimathsort, zu!
3.
Und weil auch nicht durfte passiren ein Wagen,
So ließ't Ihr von Mädchen das Nöthigste tragen
In Körben, soviel als zum Anfange Ihr
Nicht konntet entbehren im neuen Quartier!
Dort fandet ganz leer Ihr die Zimmer und Wände,
Und wonach auch griffen die suchenden Hände,
das Alles, das Alles war eben nicht da!
Doch fandet das Beste Ihr, selber Euch, ja!
4.
So dürftig in Burkhards Ihr an auch gefangen,
So hat's Euch doch niemals dort übel gegangen;
Im Gegentheil bald Euch die Liebe bewies:
„Wo Ich bin, da ist auch das Paradies!“
Und hat es auch nicht an der Schlange gemangelt,
Die fleißig nach Dir, liebe Mutter, geangelt,
So fand der bezauberte Offizier
Doch keine verführbare Eva an Dir!
5.
Du gabst seine zärtlichen Briefchen dem Gatten,
Bei welchem dieselben die Wirkung nur hatten,
Daß er Deine Treue aus ihnen erkannt,
In seinem Vertrauen nun felsenfest stand.
„So lange Du“, sprach er, „die Briefchen mir zeigest,“
„Und keine mir von seinen Reden verschweigest,“
„So lange, lieb' Weibchen, ist Alles ja gut.“
„Drum laß mir nicht sinken den fröhlichen Muth!“
6.
Als lang das Quartier schon der Fremde verlassen,
Da konntet Ihr manchmal darüber noch spassen,
Wie sehr er sich bei einer Frau von dem Land
Die lüsternen Finger doch habe verbrannt!
Die achtzehn Jahre, in Burkhards verlebet,
Die haben Euch immer vor Augen geschwebet
Als rosige, goldene Jugendzeit;
Im Alter noch habt Ihr Euch ihrer gefreut!
7.
Dann seid Ihr, durch bess're Besoldung bewogen,
Von Burkhards zusammen nach Crainfeld gezogen,
Wo wieder sich Jedes im eigenen Kreis
Hochachtung erworben und Liebe und Preis!
Dort habt Ihr in zweiunddreißig Jahren
Zusammen mitunter zwar Kummer erfahren;
Doch waret Ihr einig und frisch und gesund,
Und danktet dem Schöpfer mit Herz und mit Mund!
8.
Du wolltest mit all Deinen Lieben und Theuern
Dein goldenes Hochzeitsfest gerne noch feiern,
Mein theuerer Vater, doch ehe es kam,
Dein himmlischer Vater Dich zu sich schon nahm!
Und Du auch lagst leider im folgenden Jahre
In Hermannstein auf der Todtenbahre,
Du, theuerste Mutter! die himmlischen Lohn
verdienet sich hatte an jeglichem Sohn!
9.
Du bist schon, nachdem Du Dir diesen erworben,
Vor vierundzwanzig Jahren gestorben!
Und noch ein Jahr früher ging Dir voran
Dein biederer, theuerer Ehemann!
Der sagte Dir: „Du wirst nicht lang um mich trauern!“
„Dein Leben wird keine zwei Jahre mehr dauern!“
Als das er Dir sagte, da sprach ich zwar: „nein!“
Das aber, was Er sagte, traf hernach ein!
10.
Heut werdet Ihr freilich in seliger'n Höhen
Nun Eure demantene Hochzeit begehen!
Doch wohntet noch hier Ihr auf unserem Stern,
Wie wollten wir mit Euch sie feiern so gern!
Wie wollten zum ewigen Angedenken
Wir innigste Liebe zusammen Euch schenken!
Wie wollten wir Alle sammt Kindeskind
Vergelten Euch, was wir Euch schuldig sind!
11.
O, niemals so lange ich athmen noch werde
Auf dieser von Euch schon verlassenen Erde,
Wird sterben mir je in dem Herzen und Sinn
Die Dankbarkeit, welche Euch schuldig ich bin!
Und komme ich zu Euch in höhere Sphären,
So wird mir mein Schöpfer die Wohlthat gewähren,
Daß auch noch persönlich Euch danken ich kann
Für Alles, was je Ihr mir Gutes gethan!
Euer dankbarer Sohn
Christian Spamer
Der auch, wie es heute zum Feste sich schickt,
Mit Maiblumen Euere Bilder geschmückt.       D. O.


Der älteste der drei Söhne Christian Spamer's in Crainfeld war
Friedrich Wilhelm Theodor Spamer,

Lehrer und Organist in Crainfeld. Er wurde am 10. Februar 1798, Mittags zwischen 12 und 1 Uhr, in Burkhards geboren und am 12. eodem getauft, wobei sein Großvater Jacob Spamer und seine Tante, Fräulein Anna Dorothea Rühl aus Schotten, Paten waren. Wie aus früherem hervorgeht, bezog er zu Ostern 1820, im Alter von 22 Jahren, mit seinem jüngeren Bruder Christian die Universität Gießen als stud. theologiae, und schlossen dort beide Brüder sich der landsmannschaftlichen Verbindung Constantia an. In der Autobiographie des jüngeren Bruders und in dessen Beschreibung des am 4. März 1821 in Gießen stattgefundenen Streites zwischen Studenten und Soldaten, bei welchem der Angriff der letzteren sich besonders gegen die Constantia richtete, sind viele gemeinsame Erlebnisse der beiden Brüder aus ihrer Jünglings- und Studienzeit ausführlich und lebhaft geschildert. Theodor Spamer tritt uns in ihnen allen als ein an Leibeshöhe und Körperkraft, wie an Mut und treuester Bruderliebe ausgezeichneter Mann entgegen. Wahrhaft heldenmütig ist der Kampf zu nennen, welchen in obengenanntem Streit er allein gegen eine aufgeregte Soldateska aufnahm, um seinen Bruder aus der von letzterer umlagerten und gestürmten Kneipe der Constantisten zu befreien; ein Kampf, in welchem er erst, nachdem seine Säbelklinge gesprungen und schwere Pflastersteine seine Brust getroffen hatten, gewichen ist. Doch hatte derselbe zur Sicherung des eingeschlossenen Bruders und seiner Genossen wesentlich beigetragen. Diese seine mutige, von Bruderliebe eingegebene Tat sollte jedoch von schweren Folgen für ihn sein. Nach längerem Untersuchen und Beraten verhängte die Behörde, wegen der ausgeteilten Blessuren, über Theodor eine Karzerstrafe. Dieser aber wollte er sich nicht unterziehen, und da er sich zugleich

(28 ≡)

mit seiner späteren Frau, der Tochter eines Gießener Steuerbeamten, bereits so weit eingelassen hatte, daß er sein Verhältnis zu ihr nicht lösen mochte, so brach er mit dem Jahre 1821 seine Studien unvollendet ab und ging nach Crainfeld zu seinen Eltern zurück. — Hier mußte er, nebst seiner inzwischen gegründeten Familie, mit der nur gering dotierten (fl. 241) Stelle des Lehrers und Organisten vorlieb nehmen, und ward ihm auch diese erst im Jahre 1834, am 2. November, durch Dekret definitiv übertragen. Wenn er nun auch, bei dem starken Anwachsen seiner Familie, im Vaterhause treue Hilfe und Stütze fand, so hatte er doch leider durch unzufriedenes und zänkisches Wesen seiner Frau vielen Kummer zu bestehen. Dieses häusliche Mißbehagen in Verbindung mit einer warmblütigen Natur, trieb den, übrigens verständigen Mann, oft und mehr, als es seiner Gesundheit zuträglich war, auf die Jagd und zum Glase. — Hierdurch stellte sich ein böses, dauerndes Halsleiden bei ihm ein, welches seine Kraft erschöpfte und den früher so starken Mann am 28. Januar 1837, im Alter von nicht ganz 39 Jahren, auf die Toten­bahre streckte.

Rührend ist der Brief, in welchem er, drei Monate vor seinem Tode, die Fürsorge für seine Kinder dem Hermannsteiner Bruder übertrug, und wert, hier wiedergegeben zu werden. Er lautet:

„Theuerster Bruder! Meine schwache Hand mag mir jetzt eine unsichtbare Hand führen, daß ich Dir einige meiner letzten Wünsche — ja Bitten an Dich recht nachdrücklich und ernst machen kann. Es ist der letzte Brief, den ich an Dich schreiben kann; wegen meiner Schwäche wird es wahrscheinlich das letzte Schreiben in dieser Welt sein. Dich setze ich, nächst meinem lieben Vater, zum Verwalter und Vormund über mein Vermögen und über meine Kinder — und sollte unser Vater mir auch bald nachkommen, dann, theuerster Christian! — wird die Last allein auf Dich fallen. Aber keineswegs sollst Du nach den gewöhnlichen Formen Vormund werden, sondern ohne Landgericht, ohne einen Eid der Treue, ja ohne ein Handgelöbniß sollst Du der sein, wozu ich Dich hierdurch eingesetzt habe — der Eid unserer Treue steht von Jugend auf in unseren Herzen, und heißt: Echte Bruderliebe. -- Du wirst denken — das ist ein unangenehmes und schweres Geschäft. — Aber sage mir, wem außer Dir kann ich diese Sache übergeben? Sage mir — wer außer Dir wird meinen Kinderchen ein treuer Vater und Rather sein, wenn ich nicht mehr bin?? Ach Herzensbruder! es ist die letzte Bitte Deines treuen Bruders Theodor — schlage sie nicht ab, Du würdest sonst die wenigen Tage, die ich noch da bin, mit großem Kummer füllen. Ach Bruder! ich kann schon jetzt mit Recht sagen mit David: — Meine Leiden gehen über mein Haupt ec. — Meine Kraft hat mich verlassen. — Ach Du Herr, wie so lange! — Du aber lebe noch viele, viele Jahre gesund, glücklich und zufrieden mit den Deinigen — bis Du auch zu Deinen Vätern versammelt wirst. — O! wie herzlich wird dann unser Wiedersehen sein; dann wird uns nichts mehr trennen. Ein schwerer Abschied muß kurz sein — daher sage ich Dir und den lieben Deinigen hiermit Adieu! Lebet wohl! nimm Dich meiner Kinder an — behalte mich in gutem Andenken!

Dein auch jenseits treuer Bruder
Crainfeld auf Simon Judä 1836.
Th. Spamer.“


Diesen Zeilen Theodors an seinen Bruder in Hermannstein fügte der Vater Christian Spamer eine Nachschrift an, welche mit folgendem Satze begann:

„Lieber Sohn! Du wirst den Wunsch Theodors nicht wohl ablehnen können; schreibe ihm also baldmöglichst, daß Du seine Bitte erfüllen wollest, damit er wenigstens in dieser wichtigen Sache, ganz beruhigt, aus der Zeit in die Ewigkeit gehen kann.“

Auch die Antwort des Hermannsteiner Bruders möge hier noch folgen:

(29 ≡)

„Hermannstein, den 3. November 1836.            Lieber Theodor!

Deinen eben erhaltenen Brief will ich sogleich mit einigen Worten beantworten, und Dir sagen, daß ich Deinen Wunsch rücksichtlich Deiner Kinder herzlich gerne erfüllen will. Der Gott Deiner Väter und Kinder sei mit Dir und mache es mit Dir nach seinem Wohlgefallen; denn so muß es am Besten sein. Er lasse Dich hier oder dort, wo es möglich ist und sein soll, recht bald das reichste Maaß seiner Vaterliebe genießen. Verlasse Dich auf Ihn! Er verläßt die Deinen nicht! Sollte ich Dich nicht diesseits wiedersehen, nun so gehe voran in's Vaterhaus zu unseren lieben Vollendeten und sei selig in ihrer Gesellschaft, bis wir, die wir noch im Leibe wallen, den Pilgerstab auch niederlegen und zu Euch hinauf genommen werden! Ach, es ist mir sehr wehe!! Doch diese Thränen des Abschieds werden sich in Freudenthränen des Willkommens verwandeln! Was haben wir hienieden Seligeres zu erwarten, als das Ende aller Leiden und den Anfang reinster Freuden! Grüße mir, irdisch zu reden, unsere Lieben jenseits! Sei männlich und getrost, hoffe, glaube, und zweifle nicht! Denke auch dort an uns im Besten; Dein etwaiger Abschied von hier werde mir sogleich gemeldet! Gott mit uns!

Dein treuer Bruder Christian.“

Theodor Spamer war verheiratet mit Katharina Stein aus Gießen, geboren in Darmstadt den 10. April 1800, gestorben in Philadelphia am 6. April 1872. Ihr Vater war zuerst Stabs­quartiermeister in Darmstadt, danach Acciser in Gießen und zuletzt Steuereinnehmer in Biedenkopf. Aus ihrer Ehe entsproßten 5 Söhne und 3 Töchter: Christian, Emilie, Constantin, Karl, Henriette, Theodor, Katharina, Christiane und Theodor II.

Der älteste Sohn Theodor Spamer's in Crainfeld war:
Christian Spamer

in Brooklyn bei New-York, geboren am 18. April 1821 in Gießen. Er erlernte die Buchbinderei und ließ sich, um dieselbe zu betreiben, Anfang 1842 in Crainfeld nieder, verlegte seinen Wohnsitz jedoch schon im April desselben Jahres nach dem größeren Orte Altenschlirf, wo er bis zum Jahre 1844 verblieb. Danach war er sieben Jahre Geschäftsführer einer Witwe Ernst in Andreasberg im Harz. Im Jahre 1851 reiste er mit seinem jüngeren Bruder Constantin nach Nordamerika, kehrte aber in demselben Jahre zurück und wanderte 1854 mit seiner Mutter, seinem jüngsten Bruder Theodor und seinem Vetter Wilhelm Spamer aus Altenschlirf für immer nach den Vereinigten Staaten aus. Dort ließ er sich zunächst in der Stadt Philadelphia nieder. 1857 heiratete er obgenannte Witwe Ernst, welche mit Familie nach Nordamerika übergesiedelt war, und erhielt von ihr am 23. Dezember 1858 eine Tochter, die jedoch schon am 8. Juli 1859 starb. — Im Jahre 1878 ging Christian Spamer — inzwischen Witwer geworden — infolge eines günstig lautenden Engagements nach New-York und heiratete dort im Jahre 1884 seine zweite Frau Anna, geborene Oechsner. Diese Ehe brachte ihm einen Sohn, der indes ebenfalls wieder frühe verstorben ist. Leider wurde Christian Spamer, dessen Verhältnisse sich inzwischen gebessert hatten, durch den Konkurs des Hauses, in welchem er beschäftigt war, in gedrückte Lage versetzt. Dazu kam, daß im Jahre 1894 ein Hitzschlag ihn lähmte und zur Arbeit unfähig machte. In dieser traurigen Lage war ihm seine gute und fleißige Frau eine treue Stütze. Sie pflegte ihn bis zu seinem in Brooklyn am 19. August 1899 eintretenden Tode. Nach einem Leben von 78 Jahren 4 Monaten und 1 Tage ward er am 22. August genannten Jahres zur Ruhe bestattet.

Ich erinnere mich dieses meines ältesten Vetters persönlich vom Jahre 1851 her, als mein Bruder Karl und ich mit ihm in Altenschlirf im Hause unseres Onkels Karl Spamer zusammen zu Besuch waren. Er hat mir in einem lieben Briefe vom 2. Februar 1896

(30 ≡)

diese Erinnerung auch seinerseits bestätigt, und fügte dabei hinzu, wie er mich schon als 2½ jährigen Jungen in Hermannstein gesehen und abgemalt habe. Dies Bildnis fand ich auch in des Crainfelder Großvaters Briefschaften noch vor.

Sein zweiter und letzter Brief an mich datiert vom 23. Juli 1898. Aus beiden Briefen entnahm ich großenteils obige kurze Biographie. Christian Spamer war eine große, kräftige Erscheinung, wie dies auch eine noch in meinem Besitze befindliche Silhouette zeigt. Aus seinen Briefen spricht ein treuer, gemütvoller Sinn, erinnernd an seinen Vater. Auch Lust und Anlage zu poetischen Ergüssen war ihm aus seiner väterlichen Familie überkommen. Mehrere seiner Gedichte, welche in einer deutschen, in Philadelphia erscheinenden Zeitung abgedruckt wurden, sind in meiner Hand, und soll eines derselben zur Erinnerung an ihn, dem ich ein treues Gedenken bewahre, hier folgen:

Vögleins Kummer.
1. 2.
Vöglein, bist so still im Bauer,
Hänschen, warum singst du nicht?
Ach, und welche tiefe Trauer
Gar aus deinem Auge spricht!
Klagend hängen deine Schwingen
Nieder und du siehst so matt,
Magst schon lange nicht mehr singen, –
Liebling, bist du lebenssatt?
3. 4.
Sieh' ich geb' Dir guten Samen,
Geb' dir Obst und Zuckerbrod,
Wohnst bei mir in goldnem Rahmen,
Hast doch, denk' ich, keine Not.
Doch es will dir nichts behagen;
Sag' mir, Hänschen, was dich quält?
Ah — du scheinst es zu beklagen,
Daß dir hier die Freiheit fehlt!
5. 6.
Möcht'st zu deinem Völkchen fliegen,
Schwelgen in der Freiheit Glück,
Dich im blauen Aether wiegen, —
Liebling, ja, das sagt dein Blick.
Möchtest frei mit deinen Brüdern
Nord- und südwärts dich zerstreu'n,
Und mit deinen schönen Liedern
And're Menschen auch erfreu'n.
7. 8.
Ja, Es zieht das Herz stets stärker
Hin, wo Lenz und Freiheit blüht.
Klagen sind nur für den Kerker,
Für die Freiheit ist das Lied.
Und so halt' ich dich nicht länger
Mehr in deines Kerkers Qual;
Nimm die Freiheit, kleiner Sänger,
Doch zuvor sing' noch einmal.
9.
Singend scheid' aus meinem Stübchen,
Du mein kleines, liebes Tier;
Findest draußen du ein Liebchen
Sei so gut und grüß' es mir.

Das 2. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld ist

Emilie Spamer,

Witwe des Lehrers Otto in Darmstadt. Sie wurde am 20. Oktober 1822 in Crainfeld geboren und war bis zu ihrer Verheiratung in verwandten Familien: zuerst im großväterlichen Hause in Crainfeld, danach bei den Schwiegereltern ihres Hermannsteiner Onkels in Aßlar, zuletzt bei ihrer Großtante auf der Papiermühle in Kesselbach, im Haushalte eine willkommene Hilfe und Gesellschafterin.

(31 ≡)

Am 20. Oktober 1861 verheiratete sie sich mit Lehrer Eduard Otto, geboren den 31. Mai 1835 und verstorben in Darmstadt am 29. Juni 1902.

Aus ihrer Ehe gingen hervor 1. Georg Karl Theodor Emil Eduard Otto, geboren am 4. Juli 1862, Schuldirektor, und 2. Henriette Elisabeth Wilhelmine Johanne Katharine Emilie Otto, geboren am 9. September 1863, verheiratet mit Professor Leidolf am 25. März 1899.

Das 3. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld ist
Constantin Spamer

in Philadelphia, geboren am 24. November 1823 in Crainfeld. Er erlernte in Schotten, wohin sein Crainfelder Großvater ihn am 22. August 1837 zu diesem Behufe brachte, die Bäckerei und wanderte im Jahre 1851 nach Nordamerika aus. Dort ließ er sich in Philadelphia nieder und heiratete eine aus Württemberg stammende Katharina Bessemer. Ein Sohn und vier Töchter gingen aus ihrer Ehe hervor, von welcher der Sohn und eine Tochter starben. Drei Töchter, deren eine den Namen Elise trägt, haben sich mit Amerikanern verehelicht.

Das 4. Kind Theodor 5pamer's in Crainfeld war
Heinrich Karl Spamer,

geboren zu Crainfeld am 29. Juli 1826, gestorben daselbst am 29. September 1832. Er war ein aufgeweckter freundlicher Knabe, eine besondere Freude seines Vaters.

Das 5. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
Henriette Spamer,

geboren in Crainfeld am 28. Oktober 1829. Nachdem sie, vom 3. Januar 1844 ab, längere Zeit im Hause ihres Onkels Christian Spamer in Hermannstein zur Hilfe gewesen war, ging sie am 11. Oktober 1847 die Ehe ein mit dem damals in Heisters angestellten Lehrer Friedrich Leithäuser. Derselbe wurde später als Lehrer nach Alten-Buseck und danach nach Butzbach versetzt, wo er am 1. April 1890 zum Oberlehrer daselbst ernannt wurde. Sie hatten drei Kinder: Eduard Leithäuser, welcher nach Illinois in Nordamerika verzog, Theodor Leithäuser, der ebenfalls nach Nordamerika auswanderte und am 24. September 1881 in New-York verstarb, und Emilie Leithäuser. Letztere ist seit dem 24. September 1887 mit Lehrer J. Wehrheim in Butzbach verheiratet und seit dem 15. Juli 1888 Mutter einer Tochter: Henriette Emilie Elisabeth Wehrheim. — Henriette Leithäuser, geb. Spamer, starb am 9. Juni 1893, ihr Gatte Friedrich Leithäuser am 12. Februar 1896 in Butzbach. — Zur Zeit ihres Wohnens in Alten-Buseck habe ich von Gießen aus Vetter und Bäschen Leithäuser mehrmals besucht und stets sehr freundliche Aufnahme bei ihnen gefunden. Besonders gerne erinnere ich mich des treuherzigen, heiteren Wesens meiner guten Kousine.

Das 6. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld,
Ludwig Wilhelm Theodor Spamer,

starb schon in frühem Kindesalter; sein Leben dauerte nur vom 24. April 1832 bis zum 4. Januar des folgenden Jahres.

Das 7. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
Katharina Christiane Spamer,

geboren in Crainfeld am 9. Dezember 1833. Von ihrem 22. Lebensjahre ab war Käthchen zumeist, mit ihrer älteren Schwester Emilie, im Haushalte ihrer Großtante Dornemann in Kesselbach im Hauswesen behilflich, verlobte sich dort mit dem Bergverwalter Heinrich Karl Maximilian Kinzenbach in Wetzlar und wurde am 20. Juni 1858 in der Pfarrkirche zu Londorf mit demselben getraut. In ihrem Wohnsitze zu Wetzlar sind ihnen sieben Kinder geboren worden: 1. Johann Christian Theodor, geboren am 12. Februar 1859, zur Zeit Amtsrichter in Rüdesheim; 2. Gustav Emil Karl, geboren am 10. September 1860; 3. Henriette Johanne

(32 ≡)

Auguste, geboren am 10. Mai 1862, gestorben am 27. Juli 1864; 4. Johannette Katharina Marie, geboren am 19. April 1863 (gestorben); 5. Friederike Christiane Johanne, geboren den 24. November 1865; 6. Elisabeth Wilhelmine Emilie, geboren am 31. Mai 1867; 7. Wilhelm Eduard Otto, geboren am 28. August 1868. — Katharina Kinzenbach, geb. Spamer, starb in Wetzlar am 21. November 1869 in dem noch frühen Alter von 35 Jahren 11 Monaten und 12 Tagen und wurde am 24. eodem zu Grabe geleitet. Ihr Gatte starb 1889.

Käthchen, wie meine Kousine in der Familie genannt ward, verband mit einer anmutigen Erscheinung ein sehr sympathisches, herzliches Wesen und wird ihrer wohl niemand anders, als in Liebe gedenken.

Das 8. Kind Theodor Spamer's in Crainfeld war
Friedrich August Theodor Spamer,

geboren in Crainfeld als posthumus, am 22. August 1837. Er wanderte mit seiner Mutter und ältestem Bruder im Jahre 1854 nach Nordamerika aus, zunächst nach Philadelphia, wo er sich verheiratete. Nach dem Tode seiner Mutter (1872) verzog er nach Mount Holly im Staate New-Jersy und ist dort, Mitte der 1890er Jahre, auf einer Jagdpartie am Herzschlage plötzlich verschieden. Er hinterließ als einziges Kind eine Tochter, und so wird, da auch seine älteren Brüder Söhne nicht hinterlassen, bezw. hinterlassen haben, die Familie Theodor Spamer, Crainfeld, mit dem zweitältesten Sohne Constantin in männlicher Linie aussterben.

Der zweite der drei Söhne Christian Spamer's in Crainfeld war
Johann Heinrich Georg Christian Spamer,

Pfarrer in Hermannstein, mein Vater. Er wurde geboren zu Burkhards am 2. Februar 1803, morgens zwischen 7 und 8 Uhr und am 6. desselben Monats getauft. Gevattern waren Förster Schmidt in Burkhards, Frau Pfarrer Löber zu Ilbeshausen, Pfarrer Diefenbach zu Ostheim und Papierfabrikant Christian Dornemann zu Lauterbach.

Der Lebensgang unseres Christian Spamer bis zum Bezuge der Hochschule ist bereits in den Mitteilungen über seinen Vater Christian Spamer in Crainfeld im wesentlichen mitenthalten. Wir sehen daraus, daß er, nach seiner zu Ostern 1816 in Crainfeld stattgefundenen Konfirmation, im Herbst genannten Jahres, also im Alter von 16½ Jahren, in die 2. Ordnung der Sekunda des Gießener Pädagogs eintrat. Wir sehen ferner, daß er zu Ostern 1820, mit dem Zeugnis der Reife versehen, zum Studium der Theologie auf die Landesuniversität überging. Das noch vorhandene Reifezeugnis ist vom 23. März 1820 datiert; auch liegt noch eine Monatszensur des Scholaren Spamer II. in Sekunda vom 22. September 1817 vor, welche im Betragen, Fleiß und Ausarbeitungen das Prädikat „Gut“ aufweist. Vor Fernerem darf ich nun hier hinweisen auf die Autobiographie meines Vaters, in welcher er besonders die Erlebnisse seiner Jugend, vom Vaterhause an und während seiner Studenten- und Kandidatenzeit, in Versen für seine Kinder beschrieben hat, wie auf seine metrische Beschreibung des im Jahre 1821 in Gießen stattgefundenen Studenten- und Soldatenstreites, in welchen die beiden Brüder Spamer verwickelt wurden. Wie wir aus diesen beiden Schriften ihn als jungen Mann in seinem ganzen Denken, Fühlen und Tun lebenswahr kennen lernen, ebenso ist dies für sein zunächst folgendes Mannesalter der Fall aus seinen „drei Rosen“, diesen schönen poetischen Erinnerungsschriften an seine drei Frauen. Es mögen darum auch aus seinem dichterischen Nachlasse diese Schriften der vorliegenden Chronik angefügt werden. Und es soll dies um so mehr und lieber geschehen, als auch die so dankenswerten Aufzeichnungen der drei Rosen zwar gewiß in erster Linie dem treuen Andenken an seine von ihm ebenso hoch verehrten, als innig geliebten Frauen entsprungen sind, aber doch zugleich auch dem liebevollen Wunsche des Vaters, durch die Schilderung des Wesens seiner Frauen und

(33 ≡)

des mit ihnen Erlebten — hohen Glückes und tiefen Leides — ein innigeres Band der Erinnerung zwischen Eltern und Kindern zu knüpfen.

Zum Lebenslaufe Christian Spamer's uns weiter wendend, so erfolgte seine Inskription als akademischer Bürger am 24. März 1820, unter dem Rektorate Diefenbachs, und besuchte er in den vier Semestern bis Herbst 1822 die theologischen und kirchengeschichtlichen Vorlesungen der Professoren D. Palmer, D. Diefenbach und Dr. Schmidt. In welchem Maße er es dabei verstand, die Freuden des Studentenlebens mit untadelhafter Führung und ernstem Studium zu verbinden, möge aus den nachstehenden Zeugnissen hervorgehen, welche ihm, nach abgelegtem Fakultätsexamen, bei seinem Abgange von Gießen ausgestellt worden sind. Chronologisch einander folgend, lauten dieselben:

1.

„Daß der stud. theol. Christian Spamer aus Crainfeld sich während seines Aufenthaltes auf der hiesigen Universität eines ordentlichen und gesitteten Lebenswandels befleißigt habe, und daß dem unterzeichneten Gerichte nichts bekannt geworden sei, was ihm zum Nachtheil gereichen könnte, wird demselben hierdurch auf Verlangen öffentlich bezeugt.

Giessen, den 5. May 1823.

Großherzl. Hessisches akadem. Disciplinar-Gericht daselbst
gez. Dr. August Friedr. Wilh. Crome
d. 3. Rector der Academie.“

2.

„Der stud. theol. Herr Christian Spamer aus Crainfeld ist zwar Mitglied der dahier bestandenen landsmannschaftlichen Verbindung unter dem Namen Constantia gewesen, hinsichtlich politischer Verbindungen und Umtriebe fällt indessen Demselben nichts zur Last.

Giessen, den 7. Mai 1823.

gez. Dr. Ahrens
als
Gr. Hess. Reg. Commissarius bei der Universität Giessen.“

3.

„Der Candidat der Theologie Christian Spamer, aus Crainfeld, hat sich der vorgeschriebenen Prüfung bei der Fakultät unterworfen. Er hat in der Exegese des Alten und neuen Testaments, in der Kirchengeschichte, Dogmatik, Moral und Symbolik sehr gut bestanden. Dieses wird durch gegenwärtiges mit dem Siegel der Fakultät versehene Zeugniß bekundet.

Giessen, d. 14. May 1823.

Der Dekan und die übrigen Doktoren und
Professoren der theologischen Fakultät.“


Mit diesen ehrenden Zeugnissen verließ Christian Spamer im Mai 1823 Gießen und kehrte, bis zum Erhalt einer amtlichen Berufung, ins Elternhaus zurück. Hier widmete er sich zunächst der Vorbereitung seines Bruders Karl zum Eintritt in das Gymnasium, betrat öfter, zur Aushilfe seines Vaters und benachbarter Geistlichen, die Kanzel und lebte auch seiner Neigung zur Dichtkunst und Musik, deren Musen mit gütigen Händen an seiner Wiege gestanden hatten.

(34 ≡)

In seiner Autobiographie sagt Christian Spamer:

„Sonst hab' in den Candidatenjahren
Ich der Dichtkunst und Musik gelebt,
Und nicht selten auch an mir erfahren,
Wie ein schönes Kind das Herz erhebt.
Damals sah ich Dora mit Entzücken,
Denn sie war bewundernswürdig schön,
Und aus ihren zauberischen Blicken
Konnt ich, was ich wünschte, leicht ersehn.“

So möge denn auch eines seiner jugendlichen Gedichte aus jener Zeit hier Stelle finden, welches gewiß einer begeisternden Liebesempfindung sein Entstehen verdankte. Es ist überschrieben

Der liebende Jüngling.
„Zum Gott erhebt den Jüngling seine Liebe,
In ihrem eignen Himmel sieht er sich;
Er tauschte nicht mit einem Gott die Triebe,
Und wer wär' es, dem er an Größe wich?!
Er schätzt gering alltägliche Gedanken,
Er will und muß ein höh'res Wesen sein;
Sein Geist entschwingt sich kühn des Körpers Schranken,
Nur eine Göttin kann den Gott erfreun!
O nur Ein Band verknüpft ihn dieser Erde,
Nur Eine Sehnsucht schwellt den edlen Sinn;
Er fühlt etwas, dem gleichet nichts an Werthe,
das gäb' er nicht um tausend Welten hin:
„Der sanfte Zug, der freie Seelen bindet,
„das Luftgespräch, das durch die Myrte weht,
„Die Allgewalt, womit sich's ihm verkündet;“
Das ist das Band; so stark zieht kein Magnet!
Es widerstrebt sein Zartgefühl der Holden,
Die an Cytherens Gängelband ihn zieht,
Die seines Himmels Azur soll vergolden,
Die fern er sucht und in der Nähe flieht.
Sieht er Sie an, so hat er schon gestanden,
Was er Ihr doch nicht zu gestehen wagt,
Und wenn er meint, sein Blick sei halb verstanden,
Wird er so froh — deßhalb, und so verzagt!
Sein Leben, das doch Ihr allein gehöret,
Das gäb' er augenblicklich für Sie hin, —
Doch, daß er Ihr nur mündlich Liebe schwöret, —
Das kann er nicht, da fehlen Muth und Sinn!
Am weitsten ist er Ihr, wenn Sie zugegen.
Am nächsten, wann er einsam Blumen pflückt;
Da schwört er Ihr, da ist er nicht verlegen
Und weiß sich zu benehmen, wie's sich schickt.
Drum wandelt er zu den bekannten Orten,
Und setzt sich hin, wo er Sie sitzen sah;
Er wiederholt gedächtnißtreu in Worten,
Was auf der heil'gen Stätte einst geschah,
Er sucht die Spur, die Ihre Sohle drückte,
Er kennt sie noch, wenn Sie schon längst verschwand,
Er sieht den Fuß, der diese Spuren schmückte,
Und bleibet stehn, weil Sie ja auch hier stand!
Sein Blick durchschweift nun jenen Himmelstempel,
Der Thau auf Ihre Pfade niedergießt,
Und glückberauscht fühlt er der Gottheit Stempel
In einem Herz, das jetzt sich selbst vergißt.
Kein größ'res Glück erheischt er sich hinieden: —
Zufriedenheit vollendet die Natur, —
Ja Götterlust genießt er so in Frieden;
Zum Gott erhebt den Jüngling Liebe nur!

Am 14. Dezember 1826 erließ der Großherzogliche Kirchen- und Schulrat der Provinz Oberhessen an den Kandidaten Spamer in Crainfeld die Aufforderung, das Pfarrvikariat zu Hermannstein zu übernehmen. Am 6. Februar 1827 traf letzterer, dieser Aufforderung folgend, in Hermannstein ein, hielt am 11. Februar seine erste Predigt daselbst und wurde am 11. März von Inspektor Brumhard ordiniert. Danach folgte am 19. April noch eine feierliche Verpflichtung vor dem gesamten Kirchenrate in Gießen. — Vom Mai ab übernahm Christian Spamer auch das Vikariat der damals unbesetzten Pfarrei Blasbach, und zwar bis zu der nach 4½ Jahren eintretenden Wiederbesetzung desselben. — Am 2.Juli starb der bisherige Inhaber des Hermannsteiner Pfarramtes, Herr Steinberger, und erhielt Christian Spamer von dem zeitigen Kirchen­patron, Herrn Hauptmann von Schenck, die Präsentation zu der erledigten Stelle zugesagt, nachdem schon zuvor eine Deputation der Gemeinde bei genanntem Herrn hierum eingekommen war.

Die definitive Anstellung zum Pfarrer in Hermannstein erfolgte durch Dekret vom 7. Januar 1828 folgenden Wortlauts: „Ludwig, von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein p. p. Nachdem Wir den von Unserem Patrimonialgerichtsherrn Hauptmann Freiherrn von Schenck zu Schweinsberg auf Hermannstein, zum Pfarrer in Hermannstein präsentirten bisherigen Candidaten der Theolgie und Pfarr-Vicar Christian Spamer aus Crainfeld, kraft dieses landesherrlich gnädigst bestätigt haben, so ist sich hiernach in Unterthänigkeit zu achten. Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und des beigedruckten Staatssiegels.

Darmstadt am 7. Januar 1828.
gez. Ludwig
von Grolman.“

Am 17. Februar 1828 ward Christian Spamer durch Inspektor Brumhard und Landrat Ouvrier der Gemeinde als Pfarrer vorgestellt.

Das Einkommen seiner Pfarrei betrug in runder Summe fl. 1000; das Pfarrhaus stand zu seiner alleinigen Verfügung, und so entschloß er sich dann auch noch im selbigen Jahre, der­jenigen, welche ihm von allen Jungfrauen die liebste und beste erschien, Herz und Hand anzu­tragen. Es war dies sein Geschwisterkinds-Bäschen Katharina Dornemann auf der Papiermühle in Kesselbach, und der 24. Oktober 1828 war der Tag, an welchem er ihr seine Liebe erklärte. — Katharina Dorothea Dornemann war geboren in Kesselbach am 2. Juli 1804 als Tochter

(36 ≡)

des Papierfabrikanten Friedrich Jacob Dornemann und dessen Ehefrau Anna Dorothea geborene Rühl daselbst. Die Dornemann'schen Familiennachrichten sind der Chronik Christian Spamer's angeschlossen. Bezüglich des Näheren über Katharina Dornemann verweise ich auch hier auf „die drei Rosen“ meines Vaters, deren erste er ihr, seiner ersten Frau, zum Andenken geschrieben hat. Am 30. Juni 1829 wurde Christian Spamer mit Katharina Dornemann von dem befreundeten Pfarrer Oeser in Londorf in dortiger Kirche getraut, und am 25. April des folgenden Jahres erschien als erster Sproß ihr Karl, ein prächtiger, gesunder Junge. Am 26. kündigt der junge Vater dies den Verwandten auf der Rabenau mit folgenden frohen und dankerfüllten Zeilen an:

Geliebte Freunde!

„Ich beeile mich, die frohe Begebenheit, welche unsere Herzen einer großen Angst entrissen und dem freudigsten Danke gegen Gott hingegeben hat, so bald als möglich mitzutheilen; damit Sie mit uns außer Sorge sein und sich mit uns Fröhlichen freuen können, über die Ankunft des gesunden, wohlgebildeten Sohnes, von welchem mein geliebtes Katharinchen, nach langen Schmerzen, jedoch ohne ärztliche Hilfe, gestern um 5¾ Uhr des Abends glücklich entbunden worden ist. Gott sei Dank, daß er alle früheren Besorgnisse und Schmerzen durch seine leitende, schützende Vaterhand in hohe Freude und Gesundheit umgewendet hat! Möge Er diesen lebendigen Beweiß seiner unschätzbaren Gnade mit derselben Liebe im Leben fortführen, mit welcher er ihn in dasselbige eingeführt hat! Möge Er unseren neugeborenen Liebling einst in das zweite Dasein versetzen, wie er ihn unschuldig und vollkommen in unserer Mitte erscheinen ließ!

Des Erbpringen Heidnische Majestät geruhen aber noch in fremden heidnischen Tönen dero hohen Befehle zu erlassen. Ich selbst muß sehr aufpassen, wenn ich seine Sprache verstehen will. Das habe ich indessen deutlich verstanden, daß er mir aufgetragen hat, ihm doch seinen Urgroßpapa, Großvater und Dlle. Tante recht schön zu grüßen und Sie zu versichern, daß er für seine Person dieselbe Freundschaft mit Ihnen anknüpfen und forthalten wolle, deren Sie seine Eltern gewürdigt hätten. Er selbst könne noch nicht Deutsch schreiben —; sobald er Sie aber das Vergnügen hätte zu sehen, würde er Sie alles dessen mündlich versichern.

Personalien des Prinzen:
Alter: 1 Tag netto,
Größe: 5 und ½ Viertel Elle — neues Darmstädter Maaß,
Schwere: 8 Pfund netto — neues Darmstädter Gewicht,
Farbe: eine gesunde, frische, rothe,
Haare: blond,
Augen: blau,
Nase: mannhaft stark,
Mund: schön, mit zierlich erhobener Oberlippe,
Hände: wohlgestaltet und kräftig,
Füße: gerade,
Stimme: durchdringend,
Appetit: gut,
Betragen: keine Klage,
Besondere Zeichen: keine.
In fidem: Dorothea Dornemann
Katharina und Christian Spamer.“

Nach Verlauf von etwas über zwei Jahren, am 11. August 1832, erhielt Karl ein Brüderchen: Eduard. Doch sollte leider das so glückliche Familienleben schon nach Verlauf von abermals zwei Jahren zerstört werden. Im Juli 1834 erkrankte die junge, blühende Frau und Mutter an Störungen des Blut- und Nervensystems, welche Appetitlosigkeit und Abnahme der Kräfte zur Folge hatten und am 9. August abends 6 Uhr ihren frühen Tod herbeiführten.

Die Großherzoglich Hessische Zeitung vom 19. August 1834 brachte die Anzeige des Todes in folgenden Worten:

„Am 9. d. Mts. nahm mir der Herr meine tugendhafte, theuere Gattin, Katharina, eine geborene Dornemann, im 31sten Jahre ihres Lebens, im 6sten unserer glücklichen Ehe, am 17ten Tage ihres Krankenlagers. Zwei verwaiste Knaben wissen ihren Verlust noch nicht zu schätzen. Wer aber meinen unnennbaren Schmerz aus näherer Bekanntschaft mit der Frühvollendeten zu würdigen vermag — dem widme ich diese Anzeige.

Hermannstein, am 13. August 1834.
J. H. G. C. Spamer, Pfarrer.“

Auch die Gesundheit Eduards ließ zu wünschen übrig. Die nach Hermannstein gekommenen Crainfelder Großeltern nahmen denselben deshalb zu besserer Pflege auf ihrer Rückreise mit nach Crainfeld. So wurde dem trauernden Vater auch die Freude an diesem besonders geliebten Kinde beschränkt. Doch gedieh, wie derselbe am 11. November 1834 an seine Schwiegermutter Dornemann schrieb, die großmütterliche Pflege gut an Eduard und gab der Großvater Spamer, wie wir schon aus dessen Briefen an seinen Hermannsteiner Sohn sahen, auch öfter und gerne Nachricht über Befinden und Entwicklung des von Allen, die ihn kannten, geliebten Knaben. — Im Hermannsteiner Pfarrhause aber waren nur Sohn und Bruder Karl, welch letzterer zur Zeit theologischen Studien oblag, die Hausgenossen des vereinsamten Gatten.

Zu den Familien in Hermannstein und Umgegend, mit welchen Chr. Spamer schon vor seiner Verheiratung freundschaftlich verkehrt hatte, gehörte diejenige des Kreisbürgermeisters Emmelius in dem ½ Wegesstunde dillaufwärts gelegenen Aßlar. Außer dem Elternpaare und einer älteren unverheirateten Schwester des Bürgermeisters, der Tante Bethchen, gehörten zur Zeit dem Familienkreise zwei Töchter, Wilhelmine und Caroline, und zwei Söhne an. Der ältere Sohn Wilhelm sollte das väterliche Gut übernehmen, der jüngere, Karl, Kaufmann werden, und nahm letzterer auch eine Zeit lang an Privatstunden teil, welche der junge Hermannsteiner Pfarrer einer Anzahl Kinder der besser gestellten Familien erteilte. Die älteste Tochter des Hauses, Henriette, war mit dem Hofgerichts-Advokaten Ludwig Steinberger in Gießen verheiratet, der älteste Sohn, Louis, in die preußische Richterlaufbahn eingetreten. — Es hatte nun schon, während dieses früheren Verkehrs mit der Familie Emmelius, die ältere Tochter Wilhelmine tieferen Eindruck auf das Herz Chr. Spamers gemacht, wenn auch, bei der Wahl seiner Frau, die ihm näher stehende Rabenauer Kousine die Palme erhielt. So lag es nahe, daß Wilhelmine Emmelius diejenige war, welche in dem jungen Witwer zuerst und allein den Wunsch erweckte, sich und seinen Kindern eine glückliche Häuslichkeit zurückzugewinnen. — Nachdem er am 9. September 1835 das Jawort der Geliebten, und folgenden Tages, durch ihre Vermittlung, dasjenige ihrer Eltern erhalten hatte, fand am 14. Januar 1836 seine Trauung mit Jeannette Wilhelmine Jacobine Emmelius statt. Pfarrer Niedermayer von Aßlar führte die Feier aus, und waren der Vater, beide Brüder und der erste Schwiegervater des Bräutigams bei derselben zugegen. Wilhelmine war am 26. April 1806 in Aßlar geboren als Tochter des Kreisbürgermeisters Ludwig Ernst Emmelius und dessen Ehefrau Justine Philippine, geb. Remy, daselbst. — Der 26. November brachte den jungen Ehegatten nun zwar das gewünschte Töchterchen, welches den Namen der Mutter, Wilhelmine erhielt; leider mußte aber, infolge der Niederkunft, auch

(38 ≡)

diese junge Mutter nach kurzer Zeit, am 11. Dezember 1836, im Tode erblassen — ein tief trauriges Geschick! Zum zweitenmale, in weniger Jahre Zeit, traf den zurückbleibenden Gatten dieser betäubende Schlag, zum zweitenmale ward ihm ein sein ganzes Herz erfüllendes Glück zerstört!

Die Großherzoglich Hessische Zeitung vom 16. Dezember 1836 brachte die Anzeige dieses Todes in folgenden Worten:

„Heute Morgen nach 6 Uhr schlummerte meine Gattin Wilhelmine, eine geborene Emmelius, an den Folgen der Niederkunft, zu einem höheren Dasein hinüber. — Ihr Leben war ihre Krone, ihre Liebe mein Stolz, und ihr Tod, der im 31. Jahre ihres Alters und im ersten unserer vollkommen glücklichen Verbindung erfolgte, ist darum die härteste Prüfung der Vorsehung für mich. Gott lasse ihren Geist auf dem Mädchen ruhen, welches sie mir zum Pfande ihrer Liebe hinterläßt.

Hermannstein, den 11. Dezember 1836.
Christian Spamer, Pfarrer.“

Und noch ruhte die Hand des Todes nicht um den schwer Geprüften. Das kleine Minchen, obgleich es in Aßlar, besonders von seiner Tante Caroline, sorgsamst behütet und gepflegt ward, folgte seiner Mutter schon am 22. Juli 1837 im Tode nach, nachdem am 4. desselben Monats auch Eduard einer tückischen Krankheit in wenigen Tagen erlegen war. Über diese Trauerfälle enthält obgenannte Zeitung vom 10. Juli und 9. August 1837 nach­stehende Anzeigen:

„Gestern in der Mittagsstunde starb, nach achttägigem Unwohlsein und zweitägigem Krankenlager, mein zweiter Sohn Eduard an der häutigen Bräune, welche er, nebst anderen schweren Krankheiten, früher glücklich überstanden hatte. Er war 4 Jahre, 10 Monate und 23 Tage alt.

Wer ihn kannte, liebte ihn als einen durch äußere Anmuth, innere Reinheit und Geistesfähigkeit ausgezeichneten Knaben. Das holde Lächeln der Unschuld umschwebt noch verklärend die Züge der theueren Leiche, die nun bald die letzte Ruhestätte an der Seite der beiden vorangegangenen Mütter finden wird. Diese drei Lieblinge meines Herzens, nebst mehreren Blutsfreunden, nahm mir der unerforschliche Vater in einem Zeitraume von nicht vollen drei Jahren. Wer ein Herz hat, zu empfinden, der empfinde.

Hermannstein, am 5. Juli 1837.
Christian Spamer, Pfarrer.“

„Vorgestern Abend um 8 Uhr starb mein Töchterchen Wilhelmine, acht Monate weniger 4 Tage alt, an den Folgen der falschen Bräune, der Mundfäule, des weißen Friesels und anderer aus diesen hervorgegangenen Krankheiten.

Von diesem wiederholten Schlage eines unbegreiflichen Geschicks, das innerhalb acht Monaten zum drittenmale über mich verhängt wird, stehe ich betäubt an der zum Todtenbette gewordenen Wiege des theueren einzigen Mädchens, in welchem seine gebeugten Großeltern und Freunde mit mir den Leib, wie die Seele der frühe verklärten Mutter bisher noch, als in einem lebendigen Bilde, fortlieben konnten.

Hermannstein, am 24. Juli 1837.
Christian Spamer, Pfarrer.“

Hätte sich in Chr. Spamer mit einem liebevoll fühlenden Herzen nicht auch ein starker Geist und ein festes Gottvertrauen vereinigt, die Wucht der Schicksalsschläge hätte wohl vermocht, in ihm die Kraft der Wiederaufrichtung zu ertöten. Er stand nun allein mit seinem siebenjährigen

(39 ≡)

Söhnchen Karl, der wohl mit ihm weinen, aber nicht die unendliche Leere erfassen noch erfüllen konnte, welche der Vater, der so viel des Beglückenden verloren hatte, um sich fühlte.

In der Familie seiner nahe wohnenden Schwiegereltern in Aßlar, bei den dortigen gleichgestimmten Herzen suchte und fand er zumeist die wohltuende Aussprache und Beruhigung. So kam besonders seine anmutige Schwägerin Caroline, die schon seine Frau Wilhelmine in aufopferungsvoller, schwesterlicher Liebe gepflegt und danach, in gleicher Liebe, die Pflege des kleinen Minchens übernommen hatte, in der gemeinsamen Trauer um die Gestorbenen seinem Herzen nahe. Und es knüpfte sich hierbei ein Herzensbund, der anfänglich im Stillen empfunden und genährt, doch in nicht langer Zeit zur Verbindung fürs Leben und zu einem Erstehen neuen Ehe- und Familienglücks für Chr. Spamer geführt hat.

Am 3. Juli 1838 wurde er in der Kirche zu Aßlar durch Herrn Pfarrer und Vetter Reinhard mit Friederike Louise Jeanette Caroline Emmelius, der am 31. Mai 1815 zu Aßlar geborenen Tochter des obgenannten Ehepaares Emmelius, meiner lieben Mutter, getraut.

Von der Familie Emmelius besitze ich einen Stammbaum, der bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, und auf welchen ich bezüglich der Familienverzweigungen verweise. Die Reihe der direkten Voreltern meiner Mutter ist, im Anschlusse an die genealogischen Nachrichten der Familie Dornemann, in diese Chronik aufgenommen.

Caroline Spamer, die neue Hausfrau im Hermannsteiner Pfarrhause, war, wie es in der letzten Rose heißt, „nicht eine hochragende Statur, sie war nur eine kleine, doch kräftige Natur“. Und ferner ist dort der Ausspruch einer Frau über sie eingeflochten: „hat sie nicht Mannesgröße, hat sie doch Mannesverstand“. So bezeugt auch an dritter Stelle ihr Eheherr selbst, daß er sie oft in Amtsgeschäften um Rat befragt und denselben jederzeit gut befunden habe. Vom Elternhause brachte sie Freude am Hauswesen und an der Landwirtschaft mit. Es war ihre Lust zu letzterer so groß, daß der Gatte auf ihren Wunsch einige Acker des übrigens verpachteten Pfarrgutes zurück behielt, welche sie dann mit Hilfe eines braven Hermannsteiner Ackerbürgers selbst bewirtschaftete. Emsig und fleißig von früh bis spät, suchte sie stets die Güter des Hauses zu mehren. - Häufig pilgerten die Ehegatten nach Aßlar ins vertraute Elternhaus, und wie dies — es war am 3. Juni 1839 - der Pfarrin etwas schwer werden wollte, schickten die Aßlarer ihre Chaise zum Abholen. Da geschah es, abends gegen 9 Uhr, daß das erste Kind dieser Ehe, Hermann, im Preußenlande geboren und danach auch getauft ward. Hermannstein gehörte damals zum Großherzogtum Hessen und ist erst 1866 zu Preußen gekommen. — Im folgenden Jahre 1840, zur Zeit der Entwöhnung Hermanns, machten, wie Chr. Spamer in seiner dritten Rose erzählt, die Eltern eine Reise über Frankfurt, Darmstadt, Heidelberg, Wiesbaden und Rhein abwärts bis Neuwied — großenteils zum Besuche von Verwandten. Bei ihrer Rückkehr habe Hermann seine Mutter zuerst nicht wiedererkannt und dadurch sehr betrübt, bis in gemeinsamem Weinen sich dieser Schmerz gelöst habe. — Von Ostern 1841 ab besuchte der nunmehr elfjährige Sohn Karl das Gymnasium zu Wetzlar und wenige Tage danach, am 24. April, erschien ein gesundes, munteres Mädchen, „mit dunkelbraunen Augen und rabenschwarzem Haar“, an die verstorbene Wilhelmine erinnernd, und ward darum auch Wilhelmine genannt.

Wie einst im Burkhardser und Crainfelder Pfarrhause, so wurde auch, und zwar besonders nach Carolinens Einzug, in demjenigen zu Hermannstein Musik und Gesang gerne gepflegt. Beide Gatten waren musikalisch im Klavierspiel und Gesang, und bezeugte eine große Zahl geschriebener wie gedruckter Noten und Lieder den Umfang dieser gemeinsamen musikalischen Unterhaltungen. Auch erweiterten sich dieselben seit Anfang 1843, durch den Hinzutritt zweier befreundeter Fräulein Meyer aus dem von Schenck'schen Pachthofe und des Schulvikars Vogel,

(40 ≡)

zu einem Spinn- und Singverein, an dessen frohes Bestehen Chr. Spamer noch in späterer Zeit sich gerne erinnerte.

Der 6. April 1843 brachte den Eltern ihren zweiten Sohn, der auf der Mutter Wunsch nach ihrem Vater Ludwig Ernst getauft wurde, auch in seinen ersten Lebensjahren eine sichtliche Ähnlichkeit mit seinem Aßlarer Großvater zeigte. Ihm folgten am 7. April 1845 die Schwester Caroline und am 16. September 1847 die Schwester Anna, beide zur Freude der Eltern gesunde Kinder. Eine heitere Episode aus jenen Jahren, in welcher sich zugleich die Beliebtheit der Pfarrin ausdrückt, bildete eine Schlittenfahrt nach Aßlar. Schöne Schneebahn und ein großer, einsitziger Schlitten waren vorhanden, — es fehlte aber am nötigen Pferde im Stalle. Da rief Vogel seine Schulbuben zusammen, spannte sie vor den Schlitten, und in frischem Laufe brachten diese, den Schulvikar zur Seite, ihre Pfarrersfrau nach Aßlar hin. — Am 30. März 1847 hatte Chr. Spamer den Tod seines von ihm hochverehrten Vaters zu beklagen und war es ihm, des vorliegenden Osterfestes wegen — die Beerdigung fand am Charfreitage statt — auch nicht mäglich, denselben auf seinem letzten Wege zu begleiten. — Diesem schmerzlichen Todesfalle sollten leider in den beiden nächsten Jahren zwei fernere folgen: Am 23. April 1848 starb in Hermann­stein, wohin sie zu ihren Kindern verzogen war, die Mutter Chr. Spamer's, und am 12. September 1849 ereilte ihn das Bitterste, was ihn treffen konnte: Bei der Geburt eines toten Knäbchens wurde ihm auch seine liebe, dritte Frau Caroline durch einen Nervenschlag entrissen. — Ich erinnere mich noch jener schrecklichen Nacht. Halb im Schlafe hatte ich während derselben den Vater sich ankleiden und weinen sehen mit der Klage, nun schon zum dritten Male im Verlaufe dreier Jahre solches Leid erleben zu müssen. Am Morgen — wir lagen Alle noch zu Bette — sagte er uns Kindern, es wäre das Schrecklichste geschehen, was wir uns denken könnten. Da rief ich aus: „die Mutter ist gestorben!“ und brach mit meinen jüngeren Geschwistern in lautes Weinen aus. Verstanden wir Kinder auch nur unvollkommen, wieviel wir an unserer vortrefflichen, lieben Mutter verloren hatten, so war der arme Vater um so schwerer getroffen. Zum drittenmale war ihm sein Liebstes auf Erden genommen, das häusliche Glück vernichtet worden. — In schlichten Worten teilte er in der Darmstädter Zeitung die Trauerkunde mit:

„Heute früh um ein Uhr starb während der Entbindung von einem toten Knäbchen am Nervenschlage meine gute Gattin Caroline, geborene Emmelius.

Hermannstein, am 12. September 1849.
Spamer. Pfarrer.“

Meine liebe Mutter, am 31. Mai 1815 geboren, erreichte ein Alter von nur 34 Jahren, 3 Monaten und 12 Tagen. Am 14. September, morgens 10 Uhr, haben wir sie zur letzten Ruhe geleitet. Mit ihr und ihrem kleinen Söhnchen umschloß die gemeinsame Grabstätte nunmehr die Mutter, drei Frauen und drei Kinder des erst 46 Jahre alten Vaters.

Zur Fortführung seines Haushaltes mußte Chr. Spamer nun eine Haushälterin — Fräulein Amalie Fuchs ward hierzu gewählt — annehmen. — Hermann, den er bislang selbst im Latein unterrichtet hatte, brachte er Ostern 1850 zu seiner weiteren Ausbildung nach Gießen, und im Hause von Schwager und Schwägerin Steinberger unter. Karl war schon im Jahre 1846 von dem Wetzlarer auf das Gießener Gymnasium übergegangen. — So blieben die vier jüngsten Kinder noch um ihn, bis er im Herbste 1855 auch seinen Sohn Ludwig nach Gießen, zum Besuche des Gymnasiums, und im Jahre 1856 seine älteste Tochter Minchen — nach deren Konfirmation — in die Pension des Fräuleins Spitz nach Hanau brachte. — Ehe dies letztere geschah, und zwar am 28. November 1855, traf das Herz des Vaters ein neuer Schlag in dem plötzlichen Tode seines ältesten Sohnes Karl, der, nach seinen theologischen Studien, auf dem Gute

(41 ≡)

seiner Großmutter Dornemann zur Landwirtschaft übergegangen war. In seinem 26. Lebensjahre kam der jugendlich starke Mann beim Heimfahren von Bauholz aus dem Walde durch Umstürzen des Wagens zu Tode. — Zu diesen wiederholten seelischen Erschütterungen waren für Chr. Spamer schon seit dem Jahre 1847 heftige körperliche Schmerzen hinzugetreten; rheumatische Leiden in Rücken, Hüften und dem linken Beine, die einen ungewöhnlich hohen Grad erreichten und keinem Mittel weichen wollten. Er entschloß sich darum im Frühjahre 1857, nach zurückgelegtem 30. Dienstjahre, seine kirchliche Behörde um Zuweisung eines Vikars zu bitten und erhielt einen solchen am 10. Mai jenes Jahres in der Person des Pfarrvikars Fr. Krauß.

Die ihm hierdurch gewordene freie Zeit benutzte er nun bald zur Ausführung einer Badekur in Salzhausen für sich und seine Tochter Lina. Dies liebe, sanfte Kind war bis zu seinem 10. Jahre ein gesundes kräftiges Mädchen. In jenem Alter jedoch wurde sie, nach vorausgegangener Frosterscheinung, von einer Krankheit befallen, die, erst nach längerer Behandlung, als von inneren Drüsen herrührend, erklärt ward und der Kunst zweier Ärzte widerstand. Nach halbjährigem, vergeblichem Medizinieren war Lina nur schwächer geworden, das Einstellen desselben schien Besserung zu bringen, und war die Badekur in Salzhausen auch wesentlich von dem Wunsch aus beschlossen, Linas Gesundheit zu fördern. Wie gerne und zuversichtlich der Vater auf ihre Genesung hoffte, zeigt folgender, zu jener Zeit an seine beiden in Gießen weilenden Söhne gerichteter, gereimter Brief:

„Liebe Söhne, ich will Euch schreiben,
Wie wirs jetzo mit Lina treiben,
Damit Ihr dies sollt selber wissen
Und der Tante sagen mit unsren Grüßen.
Dem Doctor erklärte ich heut vor acht Tagen,
Ich wollte nun seinen Mixturen entsagen,
Nachdem ich ein halbes Jahr sie gebraucht
Und gesehen hätte, daß sie nichts getaugt.
Der Doctor war dies sogleich zufrieden,
Und so sind wir nun von ihm geschieden.
Seit Freitag nimmt Lina, sowie fortan
Noch Emser Wasser und Leberthran;
Dagegen mit anderer Arzenei
Ist es seit jenem Tage vorbei.
Und wie hat Lina seit jenen Stunden
Sich ohne Arzeneien befunden?
Als hätte es abgeschnitten ein Messer,
So wards vom Tage an mit ihr besser;
Seitdem sie nicht mehr medizinirt
Hat sie sich täglich wohler gespürt;
Und gestern ging sie schon wiederum
Im Hofe und Clausengarten herum,
Und pflückte da einen Veilchenstrauß;
Und wer sie erblickte außer dem Haus,
Der blieb bei der seltnen Erscheinung stehn
Und freute sich über ihr Wohlergehn.
Sechs Stunden schon bleibt sie außer Bette,
Und brauchen wir keinen Doctor, so wette
Ich nun mit Jedem, der Lust dazu hat,
Sie wandelt auch fort den Genesungspfad.
Mit dieser Hoffnung will ich jetzt schließen,
Und Euch von uns allen recht herzlich grüßen.
Dem Bruder Louis läßt Lina danken,
Daß er so viel Gut's gesendet der Kranken;
Sie habe sich innig darüber gefreut,
Und vergesse es nicht in Ewigkeit.
Lebt wohl! Wie's weiter geht, schreibt Euch spater,
Wenn er's erst selber weiß,
Euer Vater.“

Am 9. Juli 1857 ward, wie die von Vater und Tochter geführten Badejournale berichten, die Reise nach Salzhausen ausgeführt und am folgenden Tage die Trink- und Badekur begonnen. Lina befand sich zuerst auch verhältnismäßig wohl bei ihrer Kur, doch zeigte sich leider schon bald wieder eine Anschwellung ihres einen Knöchels, welche sie schmerzte und auch, nach der am 7. August erfolgten Rückkehr nach Hermannstein, noch bestand. Diese glaubte der Arzt durch Einreibung einer Salbe rasch beseitigen zu können. Es trat aber das Umgekehrte des erhofften Erfolges leider ein: Lina mußte bald, weil sie das Bein nicht mehr gebrauchen konnte, das Bett aufsuchen — um nicht wieder zu gesunden. Nach einem über Jahresfrist geduldig ertragenen Krankenlager ward sie von Gehirnentzündung ergriffen, die ihr das Bewußtsein nahm und am 6. September 1858 das frühe Ende der liebevollen Tochter und Schwester herbeiführte. Ihr irdisches Teil ruht als das letzte, das achte, in der Grabstätte unserer Lieben auf dem Hermannsteiner Friedhofe. In der Darmstädter Zeitung vom 8. September erschien die Anzeige ihres Todes in folgenden Worten:

„Den heute frühe ¼ vor 6 Uhr im 14. Jahre ihres Alters erfolgten Tod meiner guten Tochter Caroline zeige ich meinen auswärtigen Freunden und Bekannten hiermit an.

Hermannstein, am 6. September 1858.
Christian Spamer, Pfarrer.“

Schon im Jahre 1857, nach Verheiratung der ersten Haushälterin, hatte Minchen, die aus der Pension zurückgekehrte nun 16jährige Tochter, die Führung des väterlichen Haushaltes übernommen und es in trefflicher Weise verstanden, den ihr übertragenen Pflichten gerecht zu werden. Gar bald aber wurde das liebliche, frohherzige Pfarrerstöchterchen dem Vaterhause entführt. Am 30. Dezember 1857, auf einem Kasinoballe in Wetzlar, knüpfte sich ein Herzensband zwischen ihr und Julius Kellner, welcher, aus Roßleben in Thüringen stammend, vor nicht langer Zeit ein Tuch- und Bankgeschäft in Wetzlar erworben hatte. Der Vater gab, wenn auch nach Bedenken wegen der Tochter Jugend, dem liebenswürdigen und geachteten Bewerber seine Zustimmung. Die Hochzeit wurde am 17. Oktober 1858 in Hermannstein, und wegen der Trauer um Tochter Lina, in stiller Weise gefeiert.

Die Führung des Haushaltes ward nunmehr einer Frau Pauli übertragen; ihr folgte Fräulein Brauneck und von März 1863 bis 1864 Fräulein Emilie Loeber, letztgenannte die Tochter einer befreundeten Familie. Dem Vater blieb, nach Minchens Heirat, nur mehr sein jüngstes Töchterchen Anna im Hause zurück, und wanderte er mit ihr nun auch oft ins Haus seiner Wetzlarer Kinder, wo sie ein immer mit Freude empfangener Besuch waren. Auch für die Folgezeit und alle Familienglieder bot das gastliche Haus Kellner einen stets lieben und oft besuchten Aufenthalt. — Zu Ostern 1858 hatte Hermann zum Studium bergwissenschaftlicher Fächer die Universität Gießen bezogen, Ludwig besuchte noch das Gymnasium; beide aber

(43 ≡)

verließen zu Herbst 1859 Gießen, um sich in praxi für ihre gewählten Berufe, ersterer für das Berg- und Hüttenwesen, letzterer für die Landwirtschaft auszubilden.

Am 11. Mai 1861 verlor Chr. Spamer seine gute Schwiegermutter Dornemann, eine ihm auch als Schwester seiner Mutter liebe Verwandte. Dieselbe hatte beabsichtigt, ihrem Schwiegersohne, welcher der Erbe seines Sohnes Karl — des letzten Nachkommen der Familie Dornemann — geworden war, zum alleinigen Erben ihrer Hinterlassenschaft einzusetzen, und den Familien ihrer Neffen Theodor und Karl Spamer in Crainfeld und Altenschlirf nur Legate auszusetzen. Auf die Bitte Chr. Spamer's änderte sie ihr Testament zu dessen Ungunsten dahin ab, daß dieser nur 4/6 und die genannten Familien seiner Brüder je ⅙ ihres Nachlasses als Miterben erhalten haben. Der Anteil Chr. Spamer's, von welchem er 5 % an Kollateralsteuern mit 1 976 fl. 2 kr. zu bezahlen hatte, betrug hiernach fl. 39 520.— oder Mk. 67 737.

Im selben Jahre 1861 wurde Anna in Hermannstein konfirmiert und brachte der Vater diese seine liebe jüngste Tochter nach Hanau in die früher von Minchen besuchte Pension, holte sie auch am 21. Oktober des folgenden Jahres wieder nach Hause zurück. — Die Jahre 1859 bis 1862 brachten für Chr. Spamer viele einsame Stunden; das Jahr 1858 hatte ihm seine beiden älteren Töchter von der Seite genommen und in 1861 und 1862 mußte er auf Jahresfrist auch noch die jüngste im Hause entbehren. Zudem war durch den im Jahre 1857, am 16. Juli, erfolgten Wegzug der Familie seines Schwagers Karl Emmelius von Aßlar, zunächst nach Neuwied, 1861 nach Gießen, ein oft und gern besuchtes Haus aus seinem Nahverkehre ausgeschieden. So ergingen seine Gedanken sich um so öfter und lieber in den Erinnerungen an seine verstorbenen Lieben und seine verflossene Lebenszeit. Es haben uns diese Jahre darum auch die umfangreichsten und schönsten seiner dichterischen Aufzeichnungen gebracht. Ich meine hier vor Allen seine schon an früheren Stellen erwähnten drei Rosen, diese gemütvollen, poetischen Erinnerungsschriften an seine drei Frauen. Er schrieb dieselben im Jahre 1859 nieder und sammelte im folgenden Jahre die den einzelnen Rosen noch zugehörenden und im Druck angefügten Blätter. Im Jahre 1862 vollendete er seine Autobiographie; ebenso trägt seine metrische Beschreibung des Studenten- und Soldatenstreites zu Gießen das Datum des 4. März 1862. War ihm sonach die Muse der Dichtkunst eine freundliche Gefährtin, besonders in diesen einsamen Jahren, so blieb sie ihm auch treu bis in sein höheres Alter. Zwei dicke Bücher, von seiner Hand geschrieben, bewahren die vielen schönen Gedichte auf, mit welchen er Viele, vornehmlich aber seine Kinder und Enkel, zu festlichen Tagen ihres Lebens beschenkte und erfreute. Sie alle reden die Sprache seines treuen, liebevollen Herzens, seines frohen, Gott vertrauenden Gemütes. — Zudem waren die Freude am Schönen, Humor und sinniges Empfinden Grundzüge von Chr. Spamer's Eigenart. Sie offenbarten sich nicht zum wenigsten in seiner Vorliebe an Gartenpflege und Blumenzucht. In dem von hoher Mauer umschlossenen, die hintere Hausseite begrenzenden Clausengarten, wie in dem von ihm angelegten Hofgärtchen, verbrachte er mit Jäten, Pflanzen, Beschneiden und Begießen gar manche angenehme Stunde. Im Clausengarten erblühten alljährlich weiße Lilien, die in den Linien K, W und C gepflanzt, die Anfangsbuchstaben der Namen seiner drei Frauen darstellten. Von Außen umpflanzte er sein Pfarrhaus mit Rosen, die an Spalieren, teils bis zur Dachkante aufgerankt, zur Blütezeit eine herrliche Zierde bildeten. Im Innern schmückte er gerne die Zimmer mit Bildern, vorzüglich mit denjenigen seiner Lieben, Verwandten und Freunde, die im Wohnzimmer die Wände fast völlig bedeckten, und immer zeigten zur Zeit der Blumenblüte die Bilder seiner Eltern und Frauen durch ihren Schmuck die treu gedenkende Liebe des Gatten und Sohnes. Ende Mai 1862 kam dem einsamen Pfarrherrn längerer lieber Besuch ins Haus: Tochter Minchen mit ihren beiden Kindern Julius und Anna. Größere bauliche Veränderungen in dem großen und stattlichen, aber, besonders in dem Erdgeschoß, den

(44 ≡)

zeitigen Ansprüchen nicht entsprechenden Kellner'schen Hause, ließen es am besten erscheinen, daß Mutter und Kinder während der Bauzeit nach Hermannstein übersiedelten. Mit Freuden empfangen, waren sie dort dem Vater und Großvater, und später der heimgekehrten Schwester und Tante Anna eine liebe Hausgenossenschaft bis zum 20. Februar 1863, an welchem Tage Strohwitwer Kellner die Seinigen in einer Chaise wieder heimholte.

Frühe am Morgen, wie in der Abenddämmerstunde pflegte Chr. Spamer sich ans Klavier zu setzen, und oft erweckte ein von ihm gespielter Choral die noch schlummernden Haus­genossen; manchmal begleitete er auch mit Gesang die gespielte Weise. — Schon im Jahre 1857 hatte er sich, an Stelle des ersten, alt gewordenen, ein neues gutes Instrument beschafft, und als nun im Oktober 1862 Anna aus der Pension zurückgekehrt war, lebten die früher so gerne geübten musikalischen Abendunterhaltungen von neuem auf. Die Montag- und Donnerstagabende wurden für Lesekränzchen, die Dienstag- und Freitagabende für Solokränzchen, die Mittwoch- und Sonntagabende für musikalische Unterhaltungen ausersehen, und fanden sich zu letzteren, außer Insassen der Häuser Spamer und Kellner, Fräulein Mathide Kißner, sowie zur Zeit Fräulein Emma Eckstorm aus dem Pachthofe ein. Mathilde Kißner und Anna spielten dabei vierhändig oder wechselten in ihren Vorträgen ab, beides zur Freude der Zuhörer; besonders aber gefiel Annas Spiel durch sympathischen Anschlag und Ausdruck. — Vom Jahre 1864 ab nahm, während ihrer Besuchszeit, auch Hermine Vomhof, Hermanns musikalische Braut, an diesen Auf­führungen tätigen und vollwertigen Anteil.

Im Juni des letztgenannten Jahres wurde der Haushalt im Hermannsteiner Pfarrhause, durch Aufgeben der bis dahin noch betriebenen Landwirtschaft, vereinfacht und nach Weggang der Haushälterin in die Hände der ebenso emsigen, wie verständigen Tochter Anna gelegt. Im Juli 1864 beendete Hermann seine akademischen Studien in Leoben, erbat sich noch von dort aus die väterliche Einwilligung zu seiner Verlobung mit Hermine Vomhof, und erhielt am 28. genannten Monats auch in Burbach die Einwilligung von Herminens Mutter. Vater und Bruder Ludwig hatten ihn dorthin begleitet. Bis zum Frühjahr 1867 war Hermann, zwei längere Aufenthalte auf Hütten im Harz und im Dilltale abgerechnet, wieder im Vaterhause, und da zur gleichen Zeit zwei Gymnasialfreunde desselben, erst Koch, später Reitz, als Vikare des Vaters amtierten, so gestaltete sich das häusliche Leben um Chr. Spamer lebhaft genug. Wenigstens zweimal wöchentlich pilgerte er, von seinem Vikar und Sohne, oft auch von Anna begleitet, nach dem nahen Wetzlar ins Haus Kellner, oder zu einem Glase Bier, und schlossen sich dort zwei junge befreundete Ärzte, Dr. E. Groos und Dr. A. Reinhard, den Hermannsteinern öfter an. Diese beiden Herren ließen sich auch manchmal als abendlicher Besuch im Hermannsteiner Pfarrhause sehen, doch — die Folgezeit ließ es erraten — wohl nicht allein dem Herrn des Pfarrhauses zu Liebe. — In diesen Jahren kam oft auch das Kartenspiel, und zwar fast ausschließlich der Solo, als anregende Abendunterhaltung zu seinem Rechte. Chr. Spamer liebte dies Spiel und war dabei der beste Spieler und der eifrigste. Längere Unterhaltungen neben dem Spiele her und nachlässiges Betreiben desselben mochte er nicht leiden; Spielfehler aber rügte er meist nur im Spiele mit seinen Kindern, deren Lehrmeister er war - andere ließ er lieber mit einem Kopfschütteln durch.

Im Jahre 1865, zur Sommerszeit, führte Chr. Spamer mit dem Ehepaare Kellner, seiner Tochter Anna und Mathilde Kißner eine achttägige Reise in die Schweiz aus. Vom 4. bis 11. August ging die wohl allzu hastige Fahrt über Basel, Bern, Thun, Interlaken, Grindelwald, Brienz, über den Brünig nach Luzern, auf den Rigi, über Küßnacht nach Luzern zurück, dann nach Schaffhausen zum Rheinfall und über Basel, Mühlhausen, Straßburg nach Hause. Hermann hütete inzwischen Haus und Kinder seiner Wetzlarer Geschwister.

(45 ≡)

Im folgenden Jahre 1866 brachte der, glücklicher Weise rasch verlaufende, deutsche Krieg mancherlei Aufregung. Im Dill- und Lahntale fanden Truppendurchzüge und Einquartierungen seitens der beiden sich gegenüber stehenden Streitkräfte, speziell der Preußen und Badenser, statt. Die Hermannsteiner Pfarre hatte einmal mit der Gemeinde einer Abteilung Badenser „Zugebröd“ zu liefern und später einige Zeit preußische Landwehr-Kavallerie ins Quartier zu nehmen. Hermannstein, damals noch hessisch, und Wetzlar gehörten getrennten Lagern an, und wenn auch der Verkehr zwischen den Häusern Spamer und Kellner keinerlei Störung erlitt, so stand doch ein jedes derselben auf der Seite seines Landesherrn. In den Köpfen und Herzen des hessischen Volkes wohnte noch zu fest der großdeutsche Gedanke, und war die Notwendigkeit der Ausscheidung Österreichs aus dem deutschen Bunde noch zu wenig erkannt, als daß man sich mit dem Kriege gegen letzteres hätte einverstanden fühlen können. Übrigens war Chr. Spamer kein eifernder Politiker und blieb stets ruhigen Urteils in dem Widerstreit der Meinungen. — Der Friedensschluß brachte Hermannstein mit dem sogenannten hessischen Hinterlande an Preußen, und Chr. Spamer in den preußischen Untertanenverband und Staatsdienst. Hierbei wurde den nach Preußen übertretenden Pfarrern die Zusage gemacht, daß sie ohne Beeinträchtigung ihrer bisherigen Rechte aufgenommen werden sollten. — Selbstverständlich wurden durch die Annexion ihres Geburtsortes auch die drei noch unselbständigen Kinder, wie Minchen schon früher durch ihre Heirat nach Wetzlar, preußische Staatsangehörige. Auch der zeitige Pfarrvikar Reitz trat nach Preußen über und behielt seine Stelle in Hermannstein bei.

Ludwig hatte, nach seinem Abgange vom Gymnasium, bis zum Jahre 1861 eine zweijährige Lehrzeit in Appenborn und danach die landwirtschaftliche Schule zu Friedberg absolviert. Später war er auf verschiedenen Gütern in Hessen und Thüringen praktisch tätig und studierte in den Jahren 1866 und 1867, zur Vollendung seiner Ausbildung, drei Semester auf der landwirtschaftlichen Akademie in Halle. Hermann fand Anfang April 1867, nach lange vergeblichem Bemühen, eine Volontärstelle auf dem Neubrücker Eisenwerk bei Finnentrop, und am 10. Dezember genannten Jahres eine Anstellung als technischer Direktor der Aktiengesellschaft Ilseder Hütte zu Groß-Ilsede in der Provinz Hannover. — Als nun der von Halle nach Hause zurückgekehrte Sohn Ludwig am 11. Januar 1868 zu seinem Vetter Wilhelm Steinberger, auf dessen neugepachtetes Klostergut Thron, übersiedelte, blieb von Chr. Spamer's Kindern wieder nur Anna im Vaterhause zurück. Doch war oder wurde es deshalb keineswegs stille oder eintönig in demselben. Das warme Herz und der heitere Sinn des Hausvaters führten ihm und seinem lieben jüngsten Töchterchen, nach wie vor, häufig und gerne den Besuch der Wetzlarer und Gießener Verwandten und Bekannten ins Haus, und eben so gerne wurden diese Besuche von den Hermannsteinern erwidert. Manche Briefe an die auswärtigen Söhne bezeugen jene frohen Besuchstage.

Am 11. Mai 1868 wurde die Hochzeit Hermanns und Herminens in Burbach, im zahlreichen Kreise beiderseitiger Verwandten und Freunde, sehr vergnügt gefeiert. Chr. Spamer übergab dabei seiner Tochter Hermine eine goldene Uhr und Kette als Hochzeitsgeschenk, nebst nachfolgenden festlichen Versen an beide jungen Ehegatten:

Zum elften Mai 1868.
1.
Erlaubt mir Apollo den Pegasus nicht,
So mache ich doch, ihm zum Trotz, ein Gedicht,
Und singe zu Fuße zur Leier;
Denn da ich Freund Hymen versprochen ein Lied,
So liefere ich es dem Hochzeitenschmied
Auch pünktlich zur heutigen Feier!
2.
Was wäre auf dieser so bräutlichen Erd'
Für mich eines froheren Sanges wohl werth,
Wenn ich sie auch ringsum besehe,
Als — was für uns Alle, wie selber Ihr wißt,
Doch heute das Neuste und Wichtigste ist —
Herminchens und Hermännchens Ehe?
3.
Ich freue zwar jeglicher Hochzeit mich schon,
Doch, feiert die seine der eigene Sohn,
Dann ist erst die Freude vollkommen!
Besonders da er — die so lang er zuvor
Mit dauernder Treue dazu sich erkor —
Hermine zur Gattin genommen!
4.
Denn wenn sich zwei Leutchen, wie unsere zwei,
Vorher schon so lange gehalten die Treu',
So ist das das sicherste Zeichen,
Daß sie von derselben dann nach der Hand,
Wann fest sie umschlungen das ehliche Band,
Auch selbst in Gedanken nicht weichen!
5.
Deswegen empfinde im Herzen auch heut
Ich eine noch um so viel größere Freud',
Weil immer, wann rückwärts ich blicke,
Ich da schon verbürget die Zukunft erspäh',
Und daß es in ihr ihnen ebenso geh',
Zu ihrem nur steigenden Glücke!
6.
Zwar zeiget schon heute ihr inniger Blick
Nicht Mangel an einem noch höheren Glück,
Doch will ich es ihnen verkünden,
Weil Liebe nur wächset von Jahr zu Jahr
Bei jeglichem christlichen Ehepaar,
Wie später sie werden empfinden!
7.
Und sollte auch lächeln so Mancher hierbei
Und denken, daß gerade es umgekehrt sei,
Das wäre alltäglich zu sehen;
So stößt die Erfahrung noch lange darum
Die Richtigkeit meiner Behauptung nicht um;
Ich sprach ja von christlichen Ehen!
8.
Und daß eine solche am elften des Mai
Vor unseren Augen geschlossen hier sei,
Das ist ja mein festes Vertrauen;
Das ist auch der einzige sichere Grund,
Worauf ich bei diesem erfreulichen Bund
Will glückliche Hoffnungen bauen!
9.
Der Mai wird der Monat der Wonne genannt,
Und ist als ein solcher uns Allen bekannt,
Er sei's auch den eben Getrauten!
Vor all seinen übrigen ihnen auch mag
Sein elfter verbleiben der wonnigste Tag,
Wann längst ihre Haare ergrauten!
10.
„Beatrix“ oder Glückselige heißt
Derselbe, wie der Kalender beweist,
Und hat er den Namen vergebens?
O, nennt ihn das strahlende Angesicht
Der eben Vermählten uns Allen denn nicht
Den seligsten Tag ihres Lebens?!
11.
Drum nehmet auch Alle am Glücke und Heil
Herminens und Hermanns den innigsten Theil!
Und wünschet auf all ihren Wegen
Denselben vom heutigen Trauungsaltar
Bis einst zu der spätesten Todtenbahr',
Des Höchsten vollkommensten Segen!
12.
Wenn des Vaters Segen auch Häuser erbaut
Den Kindern, wie Jeder aus Sirach erschaut;
So wird er an Euch es beweisen!
Und nicht zu befürchten — das wißt Ihr genug -
Habt wahrlich Ihr beide der Mutter Fluch,
Der nieder sie wieder kann reißen.
13.
Zum Andenken daran, was heut sie erfuhr,
Geb' jetzt meiner Tochter ich Kette und Uhr
Für künftige Jahre zu eigen;
Die Kette soll ihr auf die Treue im Bund,
Die Uhr aber nie eine andere Stund',
Als gold'ne im Ehestand zeigen!
14.
Noch Ein Wunsch liegt mir für Euch in dem Sinn,
Und der, meine Kinder, bestehet darin:
Genießet als Lebensgefährten,
Bis spät Ihr erreicht Euer irdisches Ziel,
Der nicht zu beschreibenden Freuden so viel,
Als mir meine Frauen gewährten!
Amen!
Christian Spamer.“

Wie aus diesen Versen, so spricht auch aus folgenden Zeilen, mit welchen der Vater den ersten aus Ilsede eingetroffenen Brief Herminens beantwortet, die treue, herzliche Liebe desselben:

Hermannstein, am 22. Mai 1868.
Meine liebe glückliche Tochter!

Außer den zwei Briefen, in welchen mir mein Minchen und Carolinchen die Versicherung gaben, daß sie für das ganze Leben mein sein wollten, und dem, in welchem mir Hermann seine feste Anstellung meldete, habe ich nie einen empfangen, der mir so große Freude gewährt hätte, als der Deinige vom 16. c. Mit inniger Rührung und Freudenthränen habe ich ihn gelesen, da er mir und uns Allen bewieß, in welch einem hohen Grade Du Dich glücklich fühlst. Und was könnte auch mich im Leben noch mehr beglücken, als eben die volle Ueberzeugung von Euerem wahren Glücke, die ich aus jeder Zeile Deines ersten Briefes aus Euerem so reizend geschilderten neuen Standquartiere gewinnen muß! Kein Wunder, daß Dich der wahrhaft fürstliche und herzliche Empfang der lieben Ilseder so gewaltig ergriff, daß Du Deiner übergroßen Freude darüber durch einen Thränenstrom Luft machen mußtest! Wie konnten diese, in so hohem Grade nicht erwarteten Ehrenbezeigungen, die Dir, einer Fremden, von lauter Dir noch Fremden dargebracht wurden, anders als verwirrend, erschütternd und überwältigend auf Dein Herz einwirken! Und wie wohl muß es Dir gethan haben, daß Du gerade um Hermanns willen solcher ausgezeichneter Ehren gewürdigt wurdest! Sprach sich dadurch nicht allgemeine Liebe und Achtung gegen ihn aus? Und was könnte Dir lieber sein? Wir hätten Euch hier keinen so glänzenden Empfang bereiten können, wiewohl Du an unserem besten Willen dazu nicht zweifeln wirst! Möge die Freude der Ilseder, die sie über Deinen Eintritt in ihre Mitte so unzweideutig an den Tag legten, oder vielmehr in der Nacht leuchten ließen, ein nachhaltiges Freundschaftsverhältniß zur Folge haben! Ihr werdet gewiß gerne das Eurige dazu beitragen, und „Wie man in den Wald ruft, so schallt's heraus!“ In dieser Beziehung bin ich deswegen ohne Sorgen. Du bist auch ganz entzückt über Euere schöne Wohnung und deren Umgebung, und hast um so mehr Grund dazu, da die Beschaffenheit des Hauses auf die Gesundheit und Gemüthsstimmung seiner Bewohner einen nicht zu unterschätzenden Einfluß hat. Zwar „ist in der kleinsten Hütte“ ec., aber in einem großen Hause ist doch noch mehr Raum für ein glücklich liebend Paar, und wenn ihm ein solches zu Theil wird, so soll es sich darüber um so mehr freuen, als das meist nur vom Glücke abhängt. Mit Freude denke ich schon an den Tag, an welchem meine Augen Euer Domicil und Euch in demselben sehen werden; aber ich werde Euch nicht beneiden; denn ich habe auch in meiner Clause sehr, sehr glücklich gelebt, und setze es, so gut es gehen will, noch fort. Noch gestern war eine kreuzfidele, aus 21, meist weiblichen Personen bestehende Gesellschaft in meiner Conventstube versammelt, die wir kaum darin placiren konnten. Es waren nämlich theils durch An­sagen, theils durch Einladung bei uns erschienen: Cropps Mutter und Frau, Fräulein Sturm mit 2 Küchlein, Kellners sämmtlich, Frau Meyer, die Fräulein Mathilde Kißner, Eckstorm

(49 ≡)

Louise Meyer, Anna Drescher, die kleine Cropp, die Gymnasiasten Eckstorm und 2 Staudinger. Reitz war von seinem Schwager in den Schützengarten beordert und darum abwesend. Als der Maiwein eine höhere Stimmung hervorgerufen und Fräulein Sturm Euere 2 Hochzeitsgedichte gelesen hatte, brachte sie Euere Gesundheit aus, was mit solchem Enthusiasmus aufgenommen und mit solchem Klingen und Klirren der Gläser accompagnirt wurde, daß Ihr es bei günstigem Winde auf der Ilseder Hütte gehört haben müßt. Sodann wurde abwechselnd 2 und 4 händig gespielt und von Louise gesungen, bis wir die 2 Gießer zum letzten Zug auf den Bahnhof begleiteten. Hieraus bitte ich abzunehmen, daß wir noch recht wohl sind. — Daß Hermann mit Arbeit so überhäuft ist, daß er seine junge Frau fast halbetagelang allein sitzen lassen muß, ist zwar allerdings sehr traurig; aber tröstet Euch mit der Hoffnung, daß die Zeiten auch wohl wieder leichter für ihn und gesellschaftlicher für Dich kommen werden.

Gott sei allezeit bei Euch, wie die Liebe
Eueres Vaters
Christian Spamer.“

Im Anschlusse hieran möge auch der zweitnächste Brief Chr. Spamers an seine Ilseder Kinder hier Platz finden, in welchem er eine Fahrt mit Anna in den Vogelsberg beschreibt und seine Erlebnisse gelegentlich der Einweihung des Lutherdenkmals in Worms, welcher er beiwohnte, aufgezeichnet hat.

Hermannstein, am 6. Juli 1868.
Ihr lieben jungen Ehe- und Directorsleute!

Da wir durch unsere liebe Ilseder Correspondentin von Zeit zu Zeit in den Stand gesetzt werden, daß wir uns über Euere Erlebnisse von Herzen mitfreuen können, so wollen wir Euch die unsrigen nicht minder gern mittheilen. Am 30. Mai c. fuhr ich mit Anna über Niederwöllstadt nach Altenschlirf, wo wir am 31. den Geburtstag meines Carolinchens, am 3. Juni den ihres Erstgeborenen feierten, und bis zum 13. recht vergnügte Ausflüge nach Schadges, Herbstein, Stockhausen, Landenhausen, Crainfeld und Grebenhain machten. In Schadges gefielen uns die Menschen und Verhältnisse sehr gut, bis wir in der Nacht auf einem mit lauter lustigen Leuten angefüllten Leiterwagen, auf welchem fast fortwährend heitere Lieder ertönten, zurück gefahren wurden. In Stockhausen, bei Pfarrer Stock, dem Oheim des Bräutigams Thomas Stock, und in Landenhausen bei Pfarrer Windecker und seinem Louischen, sowie bei dem Gastwirth und Großhändler Tuchert in Stockhausen und seinem weit schöner und stärker gewordenen Minchen, dem ehemaligen Minchen Weber von Londorf, und nicht weniger bei Pfarrer Bernbeck und seinem Weibchen in Altenschlirf amüsirten wir uns herrlich und erhielten auch von Allen, mit Ausnahme Windeckers, die freund­lichsten Gegenvisiten. Am 13. frühe um 3 Uhr waren wir, nachdem wir die Altenschlirfer gesund verlassen hatten, per pedes schon in Herbstein, und fuhren von da mit der Post über Ulrichstein und Grünberg nach Gießen und per Bahn hierher.

Am 24. Juni fuhr ich mit dem jungen Pfarrer Allmenröder und von Friedberg auch mit meinem Vikar nach Worms. Karten zu den Concerten à 1 fl., zur Tribüne E. Sitzplatz Nr. 48 und 49 während der Enthüllungsfeier à 2 fl., und zum Essen mit 1 Schoppen Wein in der Festhalle à 2 fl. 42 kr. hatten wir uns vorher kommen lassen, auch die Zusicherung eines freien Logis. Nun holten wir uns bei dem Einweihungscomité Legitimationskarten als Ehren­gäste gratis, mit dem Bemerken unserer Wohnung bei Herrn Chr. Beckerle in Pfiffligheim, ½ Stunde vor Worms, und daß wir frei mit der Bahn nach Worms und zurück fahren könnten. Damit begaben wir uns, um feierlich begrüßt zu werden, in die Dreifaltigkeitskirche, wo wir den begrüßenden Superintendenten Schmitt von Mainz im dichtesten Menschengedränge kaum sehen

(50 ≡)

und noch weniger verstehen konnten. Weshalb wir uns sogleich wieder in die freie Luft retteten, und zur Festhalle eilten, wo ich die 2 Pfarrer von Wetzlar, Professor Hesse von Gießen, Kühn von Schotten, Marx von Echzell, Nebel, Wolf, Groh, Koch von Londorf, der mir sagte, daß er große Hoffnung habe, nächstens Pfarrer in Obbornhofen zu werden, und mit seinem Weibchen höchst glücklich lebe, Briegleb von Heuchelheim mit Tochter, Hofmann von Altenstadt mit Tochter, Bernbeck von Altenschlirf, Prälat Zimmermann, den jungen Drescher von Gießen, Dr. Beck von Darmstadt und andere Bekannten sah. Mit einigen Tausenden trieben wir uns in der hinlänglich geräumigen Halle umher, machten vorübergehende Bekanntschaften, hörten auf die Musik und die von ihrer Bühne begrüßenden Redner, namentlich den Vicepräsidenten Dr. Eich und Professor Schenkel von Heidelberg, der eine sehr kernige, äußerst begeisterte Rede über Luthers Verdienste und die Notwendigkeit, in seinem Geiste und Werke fortzufahren, hielt; worüber Manche, die aller ferneren Reformation abhold sind, zu murren, ihre Antipoden aber ein so lautes, anhaltendes Bravo begannen, und: „Touche! Touche!“ riefen, daß der Redner nach den Worten: „Ja, Luther hats gut, sehr gut gemacht! Und wenn er jetzt käme, so würde er es noch besser machen!“ unter dreimaligem Touche als gefeierter Sieger die Bühne verließ. Ein Amerikaner und ein Russe traten auch als Redner auf, konnten aber ihre Worte nicht mehr an den Mann bringen, da man, allgemein, des Zuhörens müde, sie sogleich mit schallenden Bravo's unterbrach und zum Schweigen nöthigte. Ebenso konnte Prälat Zimmermann nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen durchaus nicht zum Worte kommen. Gegen Mitternacht fuhren wir per Bahn in Gesellschaft Kühns, der mir seinen Schwiegersohn vorstellte, und Bernbecks gen Pfiffligheim, wo unser guter Wirth Beckerle, wohlhabender und nicht ungebildeter Landmann, schon in Morpheus Armen von des Tages Last und Hitze ausruhte, seine beiden Töchter uns aber freundlich empfingen, die jüngere auf meine Bitte noch einige Clavierstücke vortrug und uns dann unsere 2 aneinander stoßenden Schlafzimmer, mit schönen Sophas, Wandgemälden, und weichen Betten versehen, anwies. Am 25. um 6 Uhr tranken wir mit der Familie guten Kaffee, aßen mürben Kuchen dazu, und eilten zum Bahnhöfchen, um nach Worms zu fahren; der heranbrausende Zug war jedoch überfüllt und lieber, als wir seine Rückkehr abwarteten, gingen wir an dem festlich beflaggten Lutherbaum, eine majestätische Ulme, vorüber nach Worms, aus dessen Thor uns die katholische Bevölkerung entgegenströmte, um sich durch ihr Dableiben bei dem Ketzerfeste ums Leben nicht zu verunreinigen. Um 7½ Uhr hörten wir in der übervollen Dreifaltigkeitskirche den Hofprediger Hofmann von Berlin, der sein Möglichstes that vor den Augen und Ohren unseres Königs, des von Württemberg, des Großherzogs von Hessen, der sehr wohl, fast jugendlich aussahe, unseres Kronprinzen und vieler von Gold strotzenden Herrn, auch einer Dame, die als Inhaberin eines Regiments in der Fürstenloge mit Obristen-Epauletten auf beiden Achseln sich präsentirte; ob dieser weibliche Heros unsere Kronprinzessin oder die Erbgroßherzogin Alice von Darmstadt war, weiß ich nicht, wohl aber, daß mir an Herrn Epauletten weit besser gefallen. Um 9 Uhr sollte der Festzug nach dem Monumente beginnen, wurde aber durch das längere Frühstück der Allerhöchsten Herrschaften sehr verspätet. Da angeschlagene Placate die Inhaber der Karten zu bestimmten Sitzplätzen ermahnten, ihre Plätze lieber vor Eröffnung des Zuges einzunehmen, wenn sie derselben gewiß sein wollten, so folgten wir diesem Rathe, und nahmen am Zug der Geistlichen nicht Theil. Endlich setzte sich der Zug unter dem Geläute aller evangelischen Glocken in Bewegung und zog durch das prachtvolle gothische Portal in den weiten mit Schranken und 50 hohen Masten (an welchen die Wappen und Flaggen aller Nationen, die zu dem Denkmal gesteuert, prangten) umgebenen Festplatz, wo er von unserer Tribüne aus mit einem von vielen Gesangvereinen angestimmten und mit Blasinstrumenten accompagnirten Hallelujah empfangen wurde. Als sich die Fürsten in ihren Pavillon und die Geistlichen an ihre Plätze begeben hatten,

(51 ≡)

begann der Biograph Ritschels zu reden, den man von unserem Platze, da das gänzlich ein­gehüllte große Monument zwischen uns und dem Rednerstuhl stand, gar nicht sehen und fast ebenso wenig hören konnte. Ihm folgte mein alter Freund Keim, der Präsident des Vereins, mit einer langen Rede, der einigemal mit dem Rufe „Schluß“ unterbrochen ward, und antwortete: „Ich lasse mir nicht vorschreiben!“ Mit dem Schlusse seiner Rede sank, wie mit einem Schlage, die Umhüllung und das Reformationsdenkmal, das auf Erden nicht seines gleichen hat, stand im brennenden Sonnenglanze vor den erstaunten Augen vieler Tausenden, die in enthusiastischen, anhaltenden Jubel und Bravos ausbrachen, die von Böllersalven begleitet wurden. Und als in diesem feierlichsten Momente der vieltausendstimmige, aus voller Brust und Begeisterung gesungene Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ pp. alle Blasinstrumente unhörbar machte, da sah man in vielen, auch in meinen Augen Freudenthränen glänzen, und eine ansteckende, nie wiederkehrende Exaltation bemächtigte sich der ganzen Versammlung. Nach dieser Culmination des Gefühls mochte ich die nachfolgenden Reden des Prälats Zimmermann und Bürgermeister von Worms, der katholisch ist, aber Luthers Verdienste öffentlich anerkannte, nicht mehr hören, und begab mich, Hörens satt, in die Halle um meinen leiblichen Durst zu löschen. Zwar kam Dr. Beck, der als Mitglied des Darmstädter Singvereins in meiner Nähe war, auf der Tribüne zu mir und ließ mich einen kräftigen Zug aus seinem Weinfläschchen thun; aber dieser Schluck konnte doch nicht lange vorhalten, bei dieser enormen Hitze, auch nicht bei ausgespanntem Regenschirm. Das Essen um 3 Uhr hätte nach dem Gelde besser, der Wein kühler, die Kellnerinnen, deren an jedem Tische drei waren, erfahrener sein sollen. Eine stellte z. B. 3 Schüsselchen mit Caviar vor mich hin. Da sagte ich: Gutes Kind, das ist mir zu viel, vertheilen Sie doch diese Schüsselchen auf der ganzen Tafel. Sie dankte für die Zurechtweisung. Später tranken wir Liebfrauenmilch und Kattenlöcher, der zwar besser, aber nicht vom besten war. Nach Keim suchte ich vergebens, er war nicht in der Halle, vielleicht krank vor Aufregung oder Aerger. Um Mitternacht wanderten wir nach unserem Quartier. Am 26. nahmen wir nach dem Kaffee dankbaren Abschied von unseren freundlichen Wirthsleuten, und hörten um 7½ Uhr auf dem Festplatze die Predigt des Hauptpastors Baur von Hamburg über Ephes. 2, 19—22, unstreitig die Krone sämmtlicher Festpredigten, die aus warmem Herzen und heiligem Geiste entsprang, allgemein verständlich und mit dem bekannten Feuer des Redners vorgetragen, in alle Herzen Licht und Wärme ergoß. Dr. Beck sagte zu mir: „Ich mache mir sonst gerade nicht so viel aus Predigten; aber vor dieser habe ich allen möglichen Respect!“ „Nun Freundchen“, sagte ich, „gehen Sie doch zuweilen in die Kirche, um Aehnliches zu hören!“ Er schüttelte ungläubig lächelnd das Haupt, nahm mich am Arme und eilte mit mir zur Probe des Oratoriums „Paulus“. Kaum gelang es uns, noch in die Kirche einzudringen. In der Kirche nahm ich eine Eintrittskarte à 30 Kr. Die 10 Singvereine, 350 Sänger und Sängerinnen, mit Musikbegleitung unter Lachners Direction machten einen überwältigenden Eindruck auf Ohr und Gemüth. Vorzüglich gefiel mir die Solistin von Mannheim und der Solist Hill. Jene durch die Flötenstimme, die sie bis zur äußersten Höhe und dem stärksten Fortissimo anschwellen und bis zum kaum hörbaren Pianissimo dämpfen und hinsterben lassen konnte, dieser durch seinen klaren markigen Baß, bei dem man jedes Wort verstand. Trotz allem Gefallen ging ich, ehe die Probe zu Ende war, mit Koch aus der Kirche um das Denkmal ungestört zu betrachten. Mündlich und schriftlich sollt Ihr nähere Beschreibung desselben von mir erhalten, wann ich zu Euch komme. Jetzt nur Folgendes: Das Ganze macht einen so großartigen, imposanten Eindruck auf den Beschauer, den dieser weder mit Worten wiedergeben, noch der bloße Leser empfangen kann; er ist über jede Beschreibung und Vorstellung erhaben und unvergeßlich. Unglaublich ist's, daß die Kunst die verschiedenen Gemüthsbewegungen so charakteristisch, sprechend und lebendig in starres Erz gießen kann, wie man hier mit Augen sieht.

(52 ≡)

Besonders hat mich der Anblick der 3 schönen Frauengestalten in Bronce tief ergriffen und gerührt. Mit der trauernden Magdeburg hätte ich sicher geweint, wenn ich ohne Beobachter bei ihr gewesen wäre. Die protestirende Speier drückt in Stellung und Mienen die Unabänderlichkeit ihres Protestes so deutlich aus, daß jede Erklärung weniger sagt, als das Standbild selbst. Das ganze Monument ist die beste Reformationspredigt für die Mit- und Nachwelt. Der Ausdruck der 10½ Fuß, mit dem Postament 27½ Fuß, hohen Lutherstatur ist, da sie nach Oben sieht, in der Nähe weniger erkennbar, als aus der Ferne. Die Reihen von Damen, die in der Nähe des Festplatzes, nach ausgehobenen Ziegeln aus den Dächern bis an die Brust hervorsahen, haben wahrscheinlich seine Physiognomie deutlicher geschaut, als wir in der Nähe, doch sieht auch Jeder in der Nähe deutlich den eisernen Gottesmann. — So geschmückt, wie Worms an den 3 Festtagen war, wird nicht leicht eine Stadt erscheinen. — Am 26. nach 12 Uhr fuhren wir frei zurück bis Frankfurt, und Abends 6 Uhr war ich völlig gesund und befriedigt bei meiner Anna. Am 29. Juni waren Reinhards mit dem Dr. und der Witwe Diehl, Emmelius mit Frau, Tochter und Schwägerin, Jettchen und Hermann Steinberger mit Fräulein Hensler, Kellner mit Minchen und Treff bei uns. Am 27. setzte Kellner ¼ Ohm Wiener d. h. Gießer Bier, das wir mit den Dr. Reinhard, Groos, Schleicher, Neubauer, Schenk und Kreisrichter Theobald leerten. Am 30. dachte ich an meine 39jährige Copulation, am 2. Juli an den 64. Geburtstag meiner ersten und am 3. an den 30jährigen Copulationstag mit meiner letzten Frau. Am 1. und 3. Juli wurde der 50jährige Einzug der Garnison in Wetzlar mit Essen und 2 Bällen gefeiert. Kellners nahmen Theil, wir nicht. Louis will das Feldbergs- und Schützenfest mit­machen. Dazu sandte ich ihm am 1. c. Kleiderstoff und 20 Thaler. Wir sind gesund, wünschen auch Euch diese Gabe Gottes, und es hofft Euch mit Anna bald zu sehen

Euer Vater
Christian Spamer.“

Im August 1868 machte der Vater mit Anna seinen Ilseder Kindern die Freude dieses in Aussicht gestellten ersten Besuches und begrüßte auf der Rückreise von der Hütte die befreundeten Familien Assessor Eckstorm in Homberg a. d. Ohm und Pfarrer Georgi in Ehringshausen, wonach er am 13. September seine und Annas glückliche Heimkunft nach Ilseder Hütte meldete.

In demselben Briefe machte er auch folgende, seine Pensionierung betreffenden Mitteilungen: „Am 10. c. schrieb mir unser Landrath von Strauß vertraulich: Da er gehört, daß ich die Absicht geäußert habe, um meine Pensionirung einzukommen, möge ich in diesem Falle meine Wünsche ihm bald mittheilen. Ich wisse, daß Hermannstein eine sehr arme Gemeinde sei, und da ich sonst nicht unvermögend sei, werde sich wohl die Sache für alle Theile annehmbar arrangiren lassen. Heute sandte ich ihm die Antwort: H. am 13. September 1868. Hochwohlgeborener, Hochgeehrter Herr! Auf Ihre verehrliche Frage vom 10. c. antworte ich, daß ich weder die Absicht hatte, um meine Pensionirung einzukommen, noch eine Aeußerung in dieser Beziehung gethan habe, und zwar um so weniger, da mein bisheriges Verhältniß ebenso angenehm für mich war, als der Abzug von einem Orte, wo ich über 41 Jahre gelebt und 8 Familien­mitglieder begraben habe, unangenehm für mich sein muß. Indessen kann und will ich deswegen meiner Pensionirung nicht entgegen sein, und gerne eine Summe, die der Haltung eines Vicars entspricht, an meinen Nachfolger abgeben. Im Uebrigen, denke ich, müsse jegliche Pensionirung nach allgemeinen Gesetzen und Normen erfolgen, welche Ew. Hochwohlgeboren besser bekannt sein werden, als mir, der ich die Ehre habe, mit vollkommenster Hochachtung zu zeichnen

Ew. Hochwohlgeboren gehorsamster
Spamer, Pfarrer.“

Nun muß ich abwarten, was er, wenn er nächstens herkommt, dazu und weiter sagt. Während wir bei Euch waren, hat er schon mit dem Vicar und Gemeinderath dahier über die Sache gesprochen; was, weiß ich nicht und frage auch nicht, da ich es doch erfahren muß. Minchen wird es wohl recht sein, da es mich schon öfter zu bereden suchte, um meine Pensionirung einzukommen und nach Wetzlar zu ziehen. Ich bin auch nicht an die alten Steine meiner ungesunden Clause angebunden; möchte sie aber doch nur bei annehmbarer Pension mit einer gesünderen Wohnung vertauschen, und so geht es auch Anna. Kellner ist derselben Ansicht, und mit Minchen habe ich in der letzten Zeit nicht darüber sprechen können, was jedoch morgen geschehen soll.“

Nach hessischem Gebrauch und Herkommen durfte Chr. Spamer, wie hier erwähnt werden muß, erwarten, daß er auch fernerhin in Hermannstein verbleiben und die Pfarrei durch einen Vikar werde verwaltet werden. Das Königliche Konsistorium zu Wiesbaden wünschte jedoch eine andere Regelung herbei zu führen und erließ zunächst folgende Verfügung:

„Wiesbaden, den 23. October 1868.

In Folge Verfügung des Großherzogl. Hessischen Oberconsistorii vom 7. April 1857 wurde dem Pfarrer Spamer zu Hermannstein aus Rücksicht auf seine Gesundheit nach seinem Antrage ein Vicar beigegeben. Obwohl diese Vergünstigung selbstredend nur eine vorübergehende sein konnte, so besteht dieses Verhältniß doch gegenwärtig noch fort. Es liegt aber auf der Hand, daß durch den häufigen Wechsel der Vicaren das kirchliche Leben der Gemeinde nicht gefördert werden kann. Erlaubt es die Gesundheit des Pfarrers Spamer, so wird er daher seinem Pfarr­amte nunmehr wieder selbst vorzustehen haben, andernfalls haben wir beschlossen, einen Vicar, wenn möglich, cum spe succedendi, zu bestellen. Diesem Vicar hat der Pfarrer, nach den bestehenden Bestimmungen, neben freier Wohnung, durchaus freie Station oder eine entsprechende Geldentschädigung zu gewähren. Mit Rücksicht auf die gesteigerten Preise der Lebensmittel und die durch Zeitverhältnisse bedingten Ansprüche, müssen wir die an Stelle der freien Station zu gewährende Entschädigung von 3—400 Gulden bestimmen. Euer Hochwürden wollen daher mit dem Pfarrer Spamer darüber verhandeln, ob er im Stande ist, sein Pfarramt selbst wieder zu übernehmen, oder ob er bereit ist, dem zu bestellenden Vicar die bezeichnete Entschädigung zu gewähren und seine Emeritirung nachzusuchen. Euer Hochwürden Anzeige sehen wir binnen 14 Tagen entgegen.

An den Decan Herrn Korndörfer          Königl. Consistorium.
Hochwürden     Gladenbach.

Wird S. p. r. dem Herrn Pfarrer Spamer zu Hermannstein zur Einsicht und Erklärung auf die obigen Fragen innerhalb 8 Tagen mitgeteilt.

Gladenbach d. 26. October 1868.       Korndörfer, Decan.

Hierauf antwortete Christian Spamer:

Hermannstein, am 30. October 1868.

In Folge verehrlicher Verfügung des Königlichen Consistoriums zu Wiesbaden vom 23 c. und der des Königlichen evangelischen Decanats Gladenbach vom 26. c. antworte ich, unter Beischluß des Communicats, daß ich hiermit gehorsamst um meine Emeritirung nachsuchen und dem Vicar an Stelle der freien Station eine Entschädigung von dreihundet Gulden gewähren will.

Christian Spamer, Pfarrer allda.“

In weiterer Folge lief im Januar 1869 durch das Dekanat folgendes Schreiben des Konsistoriums in Hermannstein ein.

Wiesbaden, den 7. Januar 1869.

Die uns unter dem 2. Nov. a. p. vorgelegte Erklärung des Pfarrers Spamer zu Hermannstein vom 30. Oct. a. p., wonach derselbe dem künftigen Pfarrverwalter eine Besoldung von 300 ft. zahlen will, nehmen wir an, insoweit damit die in baarem Gelde zu leistende Vergütung angegeben ist. Da aber zur Anstellung eines Pfarrverwalters, der längere Zeit der Gemeinde als Seelsorger diene, was wir für ein dringendes Bedürfniß erachten, eine Familien­wohnung für denselben beschafft werden muß, so wollen Eure Hochwürden dem Pfarrer Spamer eröffnen, daß derselbe dem Pfarrverwalter außer den 300 fl. noch das Pfarrhaus nebst Hofraithe zu überlassen habe. Euer Hochwürden wollen uns die Erklärung des Pfarrers Spamer baldigst zugehen lassen.

Königliches Konsistorium
v. Prittwitz.“
Die Erwiderung hierauf war folgende:
„Hermannstein, am 13. Januar 1869.

Ob ich gleich bei meinem Uebertritte ins Preußische und bei der Versicherung, daß die übertretenden Beamten mit ihren Rechten übernommen würden, nicht vermuthen konnte, daß ich bei meiner Emeritirung genöthigt werden würde, das Pfarrhaus nebst der Hofraithe zu verlassen, so will ich doch, nach der verehrlichen und hiermit zurückerfolgenden Verfügung des Königlichen Consistoriums zu Wiesbaden vom 7. c., auch dieses thun, sobald ich die dazu erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben werde.

Christian Spamer, Pfarrer allda.“


In dem Briefe, mit welchem Chr. Spamer obiges seinen Ilseder Kindern mitteilte, fügte er folgendes hinzu:

„Da ich und Anna demnach aus unseren Klostercellen ausgeräuchert werden, und kein anderes Logis in Wetzlar schnell finden, so will uns, vor der Hand wenigstens, Minchen, aus angestammter Warm- oder Barmherzigkeit unter sein Obdach aufnehmen. Wir wollten schon nicht mehr backen und schlachten, ehe wir von unserem Abzuge von hier wußten, und ich denke, wir werden uns beide leicht in die neue Ordnung der Dinge finden. Bei Minchen werden wir Mittags- und Abendessen einnehmen; den Kaffee wird Anna extra brauen und für Früh- und Spätstück sorgen. So dachten wir heute Abend vorläufig. Kommt Zeit, kommt Rath. Wir sind so heiter und wohlgemuth, wie vorher. Reitz ist 50% lustiger und hoffnungsreicher, und wir gönnen es ihm von Herzen. Dieser Nachfolger ist uns jedenfalls angenehmer, als ein fremder, und seinem Mathildchen wünsche ich auch das Häubchen. Am Mondtage frühe ging Louis, nachdem er die alte Uhr im Hausflur wieder gehen und schlagen gelehrt, und 2 Schellen für die Magd angebracht, auch eine alte Sackuhr von mir für den Knecht für 4½ fl. gekauft hatte, wieder nach Thron, und eine Stunde später empfing ich obiges Consistorial-Rescript. Am 7. Januar 1828 ward ich decretirt, am 7. Januar 1869 exquartiert als Pfarrer.“

Am 6. März 1869 teilte Chr. Spamer das ihm inzwischen zugegangene Emeritierungsdekret seinem Sohne Hermann mit. Es hatte folgenden Wortlaut:

Wiesbaden, den 22. Februar 1869.

Wir versetzen hierdurch den Pfarrer Christian Spamer zu Hermannstein, auf seinen desfallsigen Antrag, vom 1. März d. J. an in den Ruhestand und entbinden ihn von seinen

(55 ≡)

pfarramtlichen Functionen. Pfarrer Spamer verbleibt unter den nachfolgenden, von ihm an­genommenen Bedingungen und Verpflichtungen in dem Genusse seines Pfarr-Einkommens:

1. derselbe überläßt dem Pfarr-Vicar unentgeltlich die alleinige Benutzung des gesammten Pfarrhauses nebst der zugehörigen Hofraithe und dem zugehörigen Garten.
2. Dem Pfarr-Vicar werden durch den Einnehmer der Pfarr-Einkünfte jährlich dreihundert Gulden aus dem Pfarr-Einkommen und zwar quartaliter postnumerando ausgezahlt.

Diese anderweitige Regelung der dem Pfarr-Vicar für die Versehung des Pfarrdienstes zu gewährende Vergütung tritt, was die Zahlung der Geldentschädigung betrifft, mit dem 1. März c., hinsichtlich der Ueberlassung des Pfarrhauses mit Zubehör, jedoch erst mit dem 1. April d. J. in Wirkung.

Königliches Consistorium
v. Prittwitz.

Noch vor Ende März 1869 siedelte Chr. Spamer, unter Beihilfe seines Sohnes Ludwig, mit Anna nach Wetzlar über ins Haus Kellner, in welchem Minchen ihnen einige Zimmer mit schöner Aussicht in Stadt und Umgegend eingerichtet hatte. Auch fühlten beide Emigranten sich sehr wohl in ihrem neuen Heim und ihrer lieben Umgebung.

Am 30. März langte die telegraphische Nachricht von Groß-IIsede an, daß dort ein Töchterchen eingetroffen sei, und am 14. April reiste, einer Bitte der jungen Eltern folgend, Großvater Spamer, in Begleitung seiner Tochter Minchen, nach Ilseder Hütte, wo er am 25. April, mit Großmutter Vomhof, die Enkelin Hermine über die Taufe hob. Bis zum 23. Mai erfreute er seine Ilseder Kinder durch seine Anwesenheit und zugleich mit folgenden Gedichten, welche sich beziehen auf deren Hochzeitstag und Namen, auf seine am 31. Mai geborene dritte Frau und auf seine Rückreise.

1. Die Bedeutung des Elften im Mai.
Wer kann mir verrathen am Elften im Mai,
Von welcher Bedeutung derselbige sei? —
Wer’s nicht kann errathen, betrachte einmal,
Wie 11 wird mit Ziffern geschrieben die Zahl!
Da siehet er anfänglich 1 nur allein,
Dann aber stellt noch 1 daneben sich ein,
Und wenn sich nun Beide so haben vereint,
Im gleichen Momente ein Paar ihm erscheint,
Weil immer die Beiden zusammen nun stehn,
Wie das ja an 11 ist gar deutlich zu sehn,
Und wird er am Elften im Mai es gewahr,
So ist an demselben entstanden das Paar.
Doch was für ein Paar ist von allen gemeint?
Auch dieses an 11 ihm ganz deutlich erscheint,
Indem es, damit auch kein Zweifel mehr bleibt,
Sogar ihm den Namen des Paares beschreibt.
Zum Zeichen des Paares es völlig genügt,
Daß man einen Querstrich dazwischen nur fügt,
Denn aus dem Verbindungsstrich wird es ihm klar,
Daß vor ihm erscheint ein verbundenes Paar.
Steht nun zwischen 11 der verbindende Strich,
So sage mir weiter, wie zeiget es sich?
Gewiß doch nur so, wie ich immer es sah,
Es bildet ein großes lateinisches H,
Und diese Vereinigungssignatur
Bezeichnet Hermine und Hermann nur,
Weil weit ja und breit, soviel mir ist bekannt,
Kein anderes Paar mehr mit H wird genannt.
Drum stellt dieser Buchstab die Beiden hier dar,
Die heute sind netto vermählet ein Jahr.
Der Strich jedoch, welcher verbindet sie quer,
Das saget mir noch, was bedeutet denn der?
O, dieser bedeutet ihr sichtbares Band,
Christiane Luise, Hermine genannt!
Die Tochter, die Mutter und auch der Papa
Sind drei und doch Eins in dem einigen H,
Und wenn es ihr immerhin glücklich ergeht,
Erfüllt sich mein Wunsch für die H-Trinität.
Kehrt also nun wieder der Elfte des Mai,
So wißt Ihr, von welcher Bedeutung er sei!
Wem habt Ihr es aber zu danken alsdann,
Daß er Euch dies Alles zu wissen gethan? —
Ilseder Hütte, am 11. Mai 1869.                                      C. S.


2. Welches Blümchen?
Ich kenne ein Blümchen im schattigen Hain,
Das möchte ich haben von allen allein.
Und suche mit großem Verlangen die Spur,
Auf der ich es finde in freier Natur.
Was zieht an dem Blümchen so mächtig mich an?
Hat das wohl sein Farbengepraenge gethan?
O, nein, denn es trägt, wie euch Allen bekannt,
Nur immer ein einfaches weißes Gewand.
Und weil es beständig in Weiß ist gehüllt,
Ist's mir von der Unschuld der Engel ein Bild,
Und wenn ich sein schneeweißes Röckchen gesehn,
So kann ich dem Blümchen nicht mehr widerstehn.
Doch ist es noch nicht mit der Farbe genug,
Es hat auch den würzigsten besten Geruch,
Und wenn es noch diesen entgegen mir weht,
Kein anderes Blümchen darüber mir geht.
Und daß so bescheiden zurück es sich zieht,
Und gerne so still im Verborgenen blüht,
Bei all seiner lieblichen Unschuld und Kraft,
Das hat ihm die Gunst meines Herzens verschafft.
Drum nahm ich das Blümchen, erblühet im Mai,
Und liebte es innig und liebe es treu,
Es ward mir so theuer, es ward mir so werth,
Daß nimmer ich habe ein andres begehrt.
Ein plötzlicher Sturm in der schrecklichsten Nacht
Hat mich um das herzige Blümchen gebracht,
Er hat's mir entrissen, ich suche es nur,
Und finde doch nirgends auf Erden die Spur.
Ich habe euch nicht seinen Namen genannt,
Doch habt ihr wohl Alle das Blümchen erkannt,
Wir haben es heut in den Garten gesetzt,
Wo nun es uns jährlich von Neuem ergetzt.
Ilseder Hütte, am 15. Mai 1869.
3. Am 22. Mai 1869.
Länger kann ich jetzt nicht bleiben,
Länger kann ich jetzt nicht ruh'n,
Etwas muß der Mensch doch treiben,
Etwas muß der Mensch doch thun,
Was vor langer Weile schützt,
Und auch Andern etwas nützt.
Immer dem Vergnügen leben,
Einen wie den andern Tag,
Das ist auf die Länge eben
Nicht die allerkleinste Plag',
Nichts thun wird ja bald allein
Zu der allergrößten Pein.
Wechsel ist der Reiz des Lebens,
Ruhe nur der Arbeit Frucht,
Ohne Thätigkeit vergebens
Jeder süße Ruhe sucht,
Dieses werde ich sogar
Hier in Ilsede gewahr.
Ilseder Hütte.
Freundlichere Wirthe finde
Ich ja nirgends in der Welt,
Habe darum alle Gründe,
Daß es hier mir wohl gefällt,
Auch thut mir kein Finger weh
In dem lieben Ilsede.
Aber wenn ich Jeden sehe
Täglich an die Arbeit gehn,
Und alleine müßig stehe,
Kann ich das nicht länger sehn,
Nein, der Spaß ist jetzo aus,
Morgen gehe ich nach Haus.
Deshalb wünsch' ich wohl zu leben
Meinen lieben Wirthen hier,
Sage ihnen Dank daneben
Für so mancherlei Plaisir,
Und dem ganzen Ilsede
Sage ich hiermit Adieu.
Christian Spamer.“
(58 ≡)

Am 31. Mai meldete der Vater den Ilsedern seine glückliche Rückkehr nach Wetzlar und Tochter Anna zugleich ihr Eintreffen auf der Hütte zum 3. Juni. In den Zeilen des ersteren stand die Mitteilung, daß Anna von einem Herrn in Wetzlar einen Heiratsantrag erhalten, denselben aber, weil sie nicht mehr frei sei, abgelehnt habe. Und Anna legte einen Brief bei mit der Bitte, denselben nach Wunstorf weiter zu befördern. Dieser Brief war gerichtet an ihren späteren Gatten, den Stabsarzt Dr. Emil Groos aus Wetzlar, der damals in Wunstorf stationiert war. Die beiden Leutchen hatten sich schon in Hermannstein und Wetzlar kennen und lieben gelernt; der geschehenen Aussprache war inzwischen noch eine Bedenkzeit gefolgt, und hatte Anna nunmehr ihren treuen Liebhaber zur Feier der Verlobung nach Ilsede gebeten. Ein sehr liebes und glückliche Paar ist aus ihnen beiden geworden. Daß Emil dem Vater ein willkommener Schwiegersohn war, bezeugt er seiner Tochter Anna in folgendem Gedicht, welches er ihr nebst einem Erbauungsbuche und zwei Blumenstöcken am 16. September 1869, ihrem 22. Wiegenfeste, als Geburtstagsgabe überreichte:

„Liebe Anna! Dieses Buch empfehle
Gern ich Deiner jungfräulichen Seele,
Denn es hält sie fern von Muckerei,
Macht sie gläubig und von Unsinn frei.
Als sie zweiundzwanzig Jahre zählte,
Die zur letzten Gattin ich erwählte,
Schrieb ich ihr an ihrem Wiegenfest,
Was Ihr in der „letzten Rose“ lest.
Vierzehn Monde und drei Tage später
Trat sie, weil ich weit sie vorzog Jeder,
Fröhlich mit mir zu dem Traualtar,
Und so wurden wir ein glücklich Paar.
Wiederum empfinde ich auch heute
Eine hohe, innigliche Freude,
Daß die Tochter, die sie mir gebar,
Froh erreichte zweiundzwanzig Jahr'.
Und da nicht sie suchet zu verhehlen,
Daß sie nächstes Jahr sich will vermählen,
Schenke, Gott, des Herzensglücks so viel
Doch, wie uns, auch Anna und Emil!
Nur laß ihre Ehe länger dauern,
Als die unsere, daß Keins mit Trauern
Lang beweinen muß des Andern Tod,
Darum bitte ich Dich, lieber Gott!
Denn, Wer je ein solches Herz besessen,
Ueber das er Alles gern vergessen,
Fühlt, wenn es ihm plötzlich wird geraubt,
Einen Schmerz, den nur Erfahrung glaubt!
Drum verschone gütig Beider Herzen
Mit dem schrecklichsten von allen Schmerzen!
Laß zusammen Beide künftighin
Lang vereint wie Blumenstöcke blühn!
Nicht wie diese zwei in irdnen Scherben,
Die nach wenig Wochen schon verderben,
Nein, wie ihrer Herzen Lieb' und Treu',
Unverwelklich ihre Blüthe sei!
Nicht mehr lang wirst Du Dich Spamer schreiben,
Aber immer meine Tochter bleiben!
Mache auch Emil Dich zur Frau Groos;
Ziehst Du nur mit ihm das große Loos!
Suchst Du ihm zu jeder Zeit auf Erden,
Was mir Deine Mutter war, zu werden,
Wird ihm Euer ehlicher Verein
Auch auf Erden schon der Himmel sein!
Und Du wirst ja immer bei ihm wohnen,
Also auch in seinem Himmel thronen,
Wo Ihr mit einander preiset gern
Diese Erde als den schönsten Stern!
Laß Dir nicht vor Deiner Zukunft bangen!
Mit Emil bin oft ich umgegangen,
Und ich habe stets ihn so erkannt,
Daß ich ihn von Herzen Sohn genannt.
Mit dem Manne, den Du Dir erwählet,
Kannst Du, bist Du erst mit ihm vermählet,
Muthig künft'ger Zeit entgegen schaun,
Und Dich seinem Schutze anvertraun!
Was in eines Mannes Kräften lieget,
Er gewiß zu Deinem Besten füget!
Was dem lieben Weibchen Freude macht
Freut noch mehr den Mann, der es erdacht!
Aber — daß es lieb und werth sich mache,
Das ist freilich stets des Weibchens Sache!
Und wenn dieses Eine ihm gelingt,
Preise ich es selig unbedingt.
Mehr, als selig, willst Du doch auf Erden
Auch als Weibchen, denk' ich, niemals werden?
Da ich Dir das Mittel nun genannt,
Brauch' es, liebe Anna, mit Verstand!
Jene Liebe, die Dir stets erschienen
In des Liebsten Augen, zu verdienen,
Das sei täglich Deines Strebens Ziel
Und zugleich Dein wonnigstes Gefühl!
Wirst Du diesen Weg in Zukunft wallen,
Wirst Du täglich ihm noch mehr gefallen,
Und mein Wunsch ist dann für Euch erreicht,
Daß kein Glück das Eure übersteigt!
Wie ein treues Weib mit Seelenblicken
Den geliebten Gatten kann entzücken,
Wünsche ich Emil, dem lieben Sohn,
Blicke als bewährter Treue Lohn.
Denn was kann der Mann bei allen Gaben
Dieser Welt von Herzen lieber haben,
Als der Auserwählten Wonneblick,
Der ihm sagt: Du bist mein volles Glück?!
Dieses Glück mag Gott im Erdenleben
Beiden Euch bis an das Ende geben!
Und vereint setzt es im Himmel dort
Dann durch alle Ewigkeiten fort!
Amen.

Eine ganze Reihe sinniger Gedichte Chr. Spamer's liegen aus jener Zeit vor, in denen sich seine heitere Lebensauffassung, die Zufriedenheit und der Humor seines Gemüts aussprechen, köstliche Gaben, die sich gründen auf sein festes und dankbares Vertrauen auf Gottes Liebe und gütige Führung. Zu seinem Geburtstage 1870 schrieb er folgende frohgelaunte Verse nieder:

Glücklich sollt' ich werden, wie ich glaube,
Da ich hatte eine Westerhaube
Bei dem ersten Eintritt in das Leben,
Die mir dafür Bürgschaft sollte geben.
Heute zähle ich schon siebenundsechzig;
Deshalb, meine Freunde, aber ächz' ich
Nicht, wie viele von so alten Leuten,
Die erstorben sind für alle Freuden!
Nein, mit frohem Dank schau' ich zurücke
Nach dem unaussprechlich großen Glücke,
Das in diesem ziemlich langen Leben
Mir der Herr des Lebens hat gegeben.
Ehe noch ich konnte an ihn denken,
War so gütig er, mich zu beschenken
Mit den besten Eltern, deren Trachten
Immer war, daß sie mich glücklich machten.
Längst schon ruhen sie im süßen Frieden,
Und ich konnte ihnen nicht vergüten
Ihre unaufhörlich treue Liebe,
Die mir bis an ihren Tod verbliebe.
Läßt sich solche Liebe je vergelten,
Will ich's gerne thun in jenen Welten,
Wo sie hin mir sind vorangegangen,
Um den Lohn schon früher zu empfangen.
Da sie längst zum Himmel sind erhoben,
Will ihr Sohn auf Erden sie nicht loben;
Dennoch glaubt er, daß sich über Beide
Auch ihr Vater in dem Himmel freute.
Als ihr zweiter, lieber Ehesprosse
Ich von Kindesbeinen an genosse
Ungehindert und in vollen Zügen
Jedes ländlich-kindliche Vergnügen.
Was das Vaterhaus mir all gewährte,
Fühlte erst ich, als ich es entbehrte,
Als elfjährig Abschied ich genommen,
Und heraus nach Breungeshain gekommen.
Da begann mein zweites Herzensleiden;
Denn das erste fiel in jene Zeiten,
Als die Drobenmutter von mir schiede,
Und ich in Verzweiflung fast geriethe.
Jetzo aber, trotz der Heimath Nähe,
Ueberfiel nach ihr mich solches Wehe,
Daß ich dachte, fern von meinen Alten
Wär's in Breungeshain nicht auszuhalten.
Doch allmählig konnt' ich mich gewöhnen,
Als verschwunden war das bange Sehnen,
Und wie ehemals in Burkhards heiter
Scherzte nun in Breungeshain ich weiter.
Außer meinen lieben Mitscholaren
Noch zwei Mädchen es hauptsächlich waren,
Die mir durch ihr kindlich-frommes Lieben
Da die Zeit so angenehm vertrieben.
Deshalb konnte nachher ich in Gießen
Auch die erste Zeit nicht froh genießen,
Bis mir da ein andres Mädchen lachte
Und den alten Frohsinn wieder brachte.
Doch das schönste Röschen blieb mein Bäschen,
Das ich hatte und behielt im Näschen.
Von demselben will ich jetzo schweigen,
Und auf meine erste Rose zeigen.
Auch in meinen drei Studentenjahren
Habe süße Freuden ich erfahren
Und in den drei folgenden auch thaten
Sie noch wohl dem jungen Candidaten.
Meine Herzensangelegenheiten
Aus den freien Candidatenzeiten,
Die das Blut mir oft in Wallung trieben,
Habe anderwärts ich schon beschrieben.
Soviel will ich nur davon erzählen,
Daß ich doch nicht überall konnt wählen,
Und da doch ich überall willkommen,
Mir das Herz war öfters sehr beklommen.
Deutlicher will ich nicht weiter malen,
Auch nicht mit Eroberungen prahlen,
Sondern nur den Hauptschluß daraus ziehen,
Daß ein seltnes Glück mir war verliehen.
Dieses Glück ist mir auch treu geblieben,
Als ich ward nach Hermannstein beschrieben,
Kaum elf Monde hatt' ich vicariret,
Ward ich da als Pfarrer decretiret.
Doch das Glück, das ich bis hierher priese,
War der Vorhof nur zum Paradiese,
Das in Hermannstein ich sollte schauen
In den Augen der drei liebsten Frauen.
Worin dieses Paradies bestanden,
Schon die Leser meiner „Rosen“ fanden,
Und ich schaue stets nach ihm zurücke,
Als dem allerhöchsten Menschenglücke.
Als dem Glücke, das noch fort bestehet
Und in keiner Ewigkeit vergehet,
Das ich selbst, so oft ich daran denke,
Mir auf’s Neue immer wieder schenke.
Kann in diesen oder spätern Tagen
Ueber Mangel ich an Glücke klagen,
Da ich stets des Glückes beste Gabe
Durch Erinnerung und Hoffnung habe?
Und die Freude noch an meinen Kindern,
Sollte diese wohl mein Glück vermindern?
Oder wenn die Enkel mit mir lachen,
Sollte das mich etwa mürrisch machen?
Oder wenn ich sehe treue Freunde,
Die der Herzenszug mit mir vereinte,
Oder auch auf meine ganze Lage;
Habe dann ich Ursach' wohl zur Klage?
Oder weil ich diesem Freudenleben
Muß wahrscheinlich bald den Abschied geben;
Sollte der Gedanke mich betrüben?
Schau' ich nicht ein seligeres drüben?
Muß nicht immer Eines nach dem Andern
Meiner Liebsten nach der Heimath wandern?
Dürfte ich auch ewig hier verweilen;
Würde ich nicht doch zu ihnen eilen?
Darum muß man nicht von mir verlangen,
Daß ich heut den Kopf soll lassen hangen;
Nein, ich hebe lieber ihn nach oben,
Wo wir Alle einst den Vater loben.
Deshalb mag mir Jedes gratuliren,
Und, wie ich, ein fröhlich Leben führen;
Und, daß es ihm möge auch gelingen,
Darauf laßt die Gläser hell erklingen!

Am 7. Juni 1870 versammelte Chr. Spamer seine Kinder, nahen Verwandten und Freunde im Schützengarten zu Wetzlar zum Hochzeitsfeste seiner Tochter Anna mit Stabsarzt Dr. Emil Groos. Unter den Fröhlichen einer der Fröhlichsten mischte der Hochzeitsvater sich, mit seinem Enkeltöchterchen Herminchen auf dem Arme, unter die tanzenden Paare, und gerne durfte jeder Teilnehmer des schönen Festes gedenken.

Auch zu Anfang des folgenden Monats erschallten Festklänge am gleichen Orte, denen Chr. Spamer zuhörte. Es wurde, wie überall in preußischen Landen, der Jahrestag der sieg­reichen Schlacht von Königgrätz gefeiert. Aber wenige Tage später schon klopfte der neue, schwerere Krieg an die deutschen Türen und scheuchte auch das junge Wunstorfer Ehepärchen aus seinem kaum begonnenen Zusammensein auf. Am 16. Juli erhielt Emil den Befehl, sich am 23. als stellvertretender Regimentsarzt bei den schwarzen Husaren in Braunschweig einzustellen, und Anna besuchte, nach ihres Mannes Abmarsch aus Braunschweig und Aufgabe des eigenen Haushaltes, zunächst ihre Geschwister in Ilsede. Hier traf später auch der Vater von Wetzlar ein, mußte aber, der durch die Kriegstransporte gestörten Personenbeförderung wegen, die Reise über Köln ausführen. Zuvor war er, anfangs wegen Kellner's Abwesenheit, welcher eine Kur in Karlsbad gebrauchte, und danach wegen der schweren, leider mit dem Tode endigenden Erkrankung seines Enkelchens Emil, noch einige Zeit bei Minchen geblieben. Am 27. Juli hatte der Vater den Tod des lieben Kleinen seinem Sohne Hermann mitgeteilt, mit den Schlußzeilen:

(64 ≡)

„Wir unterwerfen uns auch seinem (des Todes) Erscheinen in unserer Mitte mit dem Troste, daß der, der ihn sandte, es wohl mit uns macht in diesem und jenem Leben. Diesen festen Glauben und Trost wünscht auch Euch in diesem und jedem ähnlichen zukünftigen Falle Dein Vater.“ Und dieses Trostes sollten seine Ilseder Kinder leider auch bald bedürftig werden, denn schon am 3. Oktober hatten sie, mit dem anwesenden Großvater, den Verlust ihres ersten, nur 13 Tage alten Söhnchens zu betrauern.

Am 3. November mit Anna nach Wetzlar zurückgekehrt, machte Chr. Spamer am 5. die Ilseder brieflich mit den neuesten Erlebnissen aus Wetzlar bekannt. Seine Mitteilungen schlossen mit folgenden Zeilen: „In diesem Augenblick wurde Anna die Koblenzer Zeitung vom heutigen Tage, und zwar von Koblenz aus, übersandt, in welcher folgender Artikel zu lesen ist: „Wetzlar, 4. Nov. Mit dem Eisernen Kreuze wurde ebenfalls dekorirt der früher in unserer Stadt als Arzt thätige und beliebte Dr. E. Groos, jetzt stellvertretender Regimentsarzt im Braunschweigischen Husarenregiment Nr. 17. Mit eigener Lebensgefahr zeichnete er sich in verschiedenen Schlachten durch Eifer und Sorgfalt für die Verwundeten aus.“ Um Euch diese Neuigkeit sobald als möglich zukommen zu lassen, will ich mein Schreiben schließen mit dem herzlichsten Dank für Alles, seit langer Zeit bei und von Euch empfangene und genossene Liebe und Gute, mit den herzlichsten Grüßen von Louis und der gesammten Kellnerei, mit väterlichem Kusse an Dich und Hermine, und mit großväterlichem Kusse an meinen Schatz, Herminchen Spamer, der aber von den lieben Aeltern in meinem Auftrage und Namen alle Tage wenigstens Einmal zu wiederholen und zu appliciren ist, damit die kleine Herzensmaus ihren Opapa nicht vergessen möge, sondern täglich von Neuem an ihn erinnert werde, bis dieses äußere Erinnerungszeichen nicht mehr nöthig ist.“

An dem ganzen Verlaufe des deutsch-französischen Krieges nahm Chr. Spamer, wie aus seinen Briefen jener Zeit hervorgeht, warmen patriotischen Anteil. Seine Freude an der gewonnenen Einheit des deutschen Vaterlandes spricht er z. B. in einigen Versen aus, welche in dem 1871er Geburtstagsgedicht an seine Tochter Hermine enthalten sind:

Eintracht, die so lang gefehlet,
Hat der Deutschen Muth gestählet;
Seit sie alle sich vereint,
Liegt im Staube Aller Feind!
Nicht mehr Preußen, nicht mehr Hessen,
Diese Namen sind vergessen,
Deutsche sind wir allzugleich
In dem neuen deutschen Reich!
Baiern, Badener und Schwaben,
Alle einen Kaiser haben!
Lange, lange lebe noch
Unser deutscher Kaiser hoch!

Und am 7. März jenes Jahres schreibt er nach Ilsede: „Ich hätte Euere lieben Briefe vom 19. Februar gewiß früher beantwortet, wenn sich nicht in der letzten Zeit bei uns Fest an Fest gedrängt und eine so große und allgemeine Aufregung der Gemüther durch nationale Interessen kund gethan hätte, bei welcher eine ruhige Berücksichtigung der Privat- und Familien­angelegenheiten nothwendig momentan in den Hintergrund treten mußte. Wer hätte seine Gedanken zum Briefschreiben sammeln und ordnen können, während die Pistolen, Flinten und Böller durch alle Straßen donnerten und alle Fenster erzitterten? während die patriotischen Toaste auf dem Buttermarkt und im Herzoglichen Hause erschollen? die Züge mit Fackeln, bunten Laternen und Musik durch die Stadt auf- und ausgeführt wurden? alle Häuser mit Sieges- und Friedensfahnen geschmückt, alle Fenster zur Verherrlichung der Großthaten illuminirt und alle

(65 ≡)

Stadtbewohner, ihre Vaterlandsliebe und Vaterlandsfreude mit möglichstem Effect, Jubel und Pomp zu zeigen, innerlich und äußerlich animirt werden mußten?“

Den Monat August 1871 verbrachte Chr. Spamer bei seinen Kindern Groos in Wunstorf und beschrieb in Prosa und Versen die vergnügten Ausflüge, welche er mit denselben nach dem Steinhuder Meer und dem Badeort Eilsen im Wesergebirge ausgeführt hatte. — Nach Wetzlar zurückgekehrt, empfand er dann besondere Freude an seiner neu erschienenen Enkelin Lina Kellner; auch lobt er in seinem Briefe vom 3. November deren Geschwister Anna und Otto darob, daß sie sich selbst zum Lernen antrieben. Von letzterem, dem damals siebenjährigen, schreibt er: „Otto, das schmale, blasse Kerlchen, spricht gerne von „durchhauen, durchwamsen“ und bildet sich nicht wenig darauf ein, daß er secundus in seiner Ordnung ist; übrigens ist er ein gutes Jüngelchen.“

Am 7. Dezember des in Rede stehenden Jahres sandte Chr. Spamer seinen Wunstorfer und Ilseder Kindern den Vertrag zu, welchen sein Sohn Ludwig mit dem Ökonom Ernst Heller, Pächter des Kinzigheimer Hofes bei Hanau, abgeschlossen hatte. Dieser Vertrag setzte die Übergabe-Bedingungen der Pachtung genannten Domänen-Vorwerks an Ludwig Spamer fest und bestimmte als Termin dieser Übergabe den 23. Januar 1872.

Der Umstand nun, daß der Vater seinem Sohne Ludwig zur Übernahme genannter Pachtung eine größere Geldsumme übergeben mußte, und mehr noch sein Wunsch, von einer tatsächlichen Steuerüberbürdung befreit zu werden, veranlaßten ihn zu jener Zeit, eine Vermögens-Abtretung an seine Kinder vorzunehmen. Er verband hiermit eine Gleichstellung derselben, und ging mit der Vermögensabgabe so weit, daß seine fernere jährliche Gehalts- und Zinseneinnahme den damals zur Heranziehung zur sogenannten klassifizierten Einkommensteuer erforderlichen Betrag von tausend Thalern nicht erreichte. Nach seinen Aufzeichnungen hatten bis dahin für Ausbildung und Aussteuer empfangen: Hermann fl. 10 572; Minchen fl. 6 712; Ludwig (abgesehen von fl. 26 240. — Pachtübernahmegeldern) fl. 7 044; und Anna fl. 7 541. — Zur Gleichstellung mit ihrem Bruder Hermann hatten sonach zunächst zu erhalten: Minchen fl. 3 860; Ludwig fl. 3 520 und Anna fl. 3 030. — Zusammen: fl. 10 418. — Zur Verteilung im Ganzen sollten gelangen:

an Wertpapieren, zum Tageskurs berechnet: fl. 20.801.—
eine Buchforderung an J. Kellner, Wetzlar fl. 7.583.—
obige Forderung an Ludwig fl. 26.240.—
zusammen fl. 54.624.—
Hiervon obige Ausgleichssumme von fl. 10.418.—
in Abzug gebracht, blieben übrig fl. 44.206.—
oder pro Vierteil: fl. 11.051½.—
Hiernach erhielten insgesamt bei dieser Abtretung:
Hermann fl. 11.051.30 kr.
Minchen fl. 11.051.30 kr. und fl. 3860 = fl. 14.911.30 kr.
Ludwig fl. 11.051.30 kr. und fl. 3528 = fl. 14.579.30 kr.
Anna fl. 11.051.30 kr. und fl. 3030 = fl. 14.081.30 kr.

Da die Auszahlung an Ludwig dessen Anteil um (26.240—14 579.30) fl. 11 660.30 kr. überstieg, wurde er zu je einem Drittel dieser Summe Schuldner seiner drei Geschwister. Bemerkt mag hierzu noch werden, daß der Vater am 1. Juli 1872 fernere 5000.— Taler nominal Rumänische Eisenbahnaktien zur gleichmäßigen Verteilung brachte, welche vorher zinslos gewesen

(66 ≡)

waren und nun wieder einen Kurswert von 48½% erlangt hatten. — Im Laufe des Jahres 1872 besuchte Chr. Spamer seine außerhalb Wetzlars wohnenden Kinder nach der Reihe und zwar zuerst den neuetablirten Landpfleger Ludwig auf dem Kinzigheimer Hofe. Im Monat Mai dort eingekehrt, verblieb er bis über das Pfingstfest. Am 17. Mai schrieb er von dem Hofe nach Ilsede: „Mir gefällt es hier so gut, daß ich es bis an das Ende meiner Tage nicht besser verlange.“ Nur wünschte er seinem nunmehr bestallten Sohne, dessen Umsicht und rastlosen Fleiß er lobte, nun auch bald eine liebe Hausfrau, und lautete es in den letzten Zeilen jenes Briefes: „Ich weiß selbst noch nicht, wie lange ich hier noch bleibe; es geht schnell ein Tag wie der andere herum, und geht mir keiner verloren, bei welchen von meinen Kindern ich ihn auch verleben mag. So lange aber L. das beste Theil noch nicht erwählet und im Hause hat, meine ich, wäre es meine Schuldigkeit, ihm die Fehlende durch meine Gesellschaft wenigstens einigermaßen zu ersetzen. Möchte er diesen ungenügenden Ersatz bald nicht mehr nöthig haben.“

Während seines damaligen Aufenthaltes in Kinzigheim schrieb er auch folgendes schöne Erinnerungsgedicht an seine dritte Frau nieder:

Vor meines Carolinchens Bilde
am 31. Mai 1872.
Vergeht mir auch kein Tag, an dem ich Dein nicht dächte;
Der Dein geliebtes Bild mir nicht vor Augen brächte;
So ist alljährlich doch der allerletzte Mai
Der Tag, an dem ich mehr, als sonst, mich seiner freu'!
Ja, theures Linchen, heut an Deinem Wiegenfeste
Seh ich Dich selbst in ihm, Du dritte Allerbeste;
Wie ich Dich ehemals als heißgeliebte Braut
Vor 34 Jahr' in Wirklichkeit geschaut!
Die goldne Kette da, mit der ich Dich gebunden,
Hielt ebenso wie hier Dich damals schon umwunden!
Den gold'nen Ring, den Dir an Finger ich gesteckt,
Man hier zwar mit der Hand im Bilde nicht entdeckt.
Das breite Rosaband hatt'st selber ungezwungen,
So wie im Bilde hier, Du um den Hals geschlungen!
Gewiß auch hattest Du nicht ohne Vorbedacht
Dir eine Schlinge aus dem Rosaband gemacht!
Damit dies zarte Band, das Zeichen treuer Liebe,
Ganz unauflöslich sei und fest geheftet bliebe,
Gab diese Nadel ihm von Silber sichern Halt,
Und Steine blitzten drin von Diamantsgestalt!
Dies schwarze seidne Kleid mit zierlich weißem Kragen,
So wie es ziemte Dir, der Pfarrersbraut, zu tragen,
Umschloß der Jungfrau Leib, den es wie hier im Bild
So züchtig immer hat bis an den Hals verhüllt!
Dies lange schwarze Haar, in einen Zopf gewunden,
Die Locken hinterm Ohr, die Dir so reizend stunden,
Und zwischen diesem Haar der Wangen frisches Roth;
Dies Alles, Dich zu sehn, mir jederzeit gebot!
Doch lag der höchste Reiz für mich in diesen Augen,
In die mit Wonne ich die Blicke durfte tauchen!
Aus ihnen strahlte mich ein Herz voll Liebe an,
Das ich verehren stets, doch nie beschreiben kann!
So sah'st Du damals aus, vor vierunddreißig Jahren!
Ach, und nur elfe wir zusammen glücklich waren!
Doch lieber wurdest Du mir stets in dieser Zeit,
Und bleibest mir es auch in alle Ewigkeit!

Noch vom Kinzigheimer Hofe aus wünschte Chr. Spamer seinen Kindern in Wunstorf und Ilsede Glück zu der am 12. und 14. Juni erfolgten Ankunft je eines Enkelchens, und am 18. Juli vertrat er in Ilsede Patenstelle, für seinen Sohn Ludwig, bei der Taufe der kleinen Anna Spamer. Folgenden Monats setzte er seine Reise fort nach Wunstorf zu seinen Kindern Groos und beschreibt in einem Briefe vom 3. September die dort ausgeführten Ausflüge nach Hagenburg, wie nach den Bädern Rehburg und Nenndorf. Leider grassierte zu jener Zeit in Wunstorf die Ruhr und wurde auch, nach einem bei kühlem Wetter im Freien getrunkenen Glase Bier, der 69jährige Vater von dieser gefährlichen Krankheit ergriffen. Erst nach längerem Krankenlager siegte, unter treuer Sorge und Pflege, seine gute Natur, unterstützt, wie er selbst sagte, durch die kräftigende Wirkung des von Emil ihm verordneten Ruster Weines. Den weißen Vollbart, welcher ihm während dieser Krankheitsdauer gewachsen war, trug er bis an sein Lebensende weiter. Am 21. Oktober war sein Befinden wieder der Art, daß sein Sohn Julius Kellner ihn von Hannover, wo am Tage vorher seine Wunstorfer und Ilseder Kinder nochmal um ihn versammelt waren, nach Wetzlar zurückholen konnte. — Bald darauf vermochte er beim Treppensteigen wieder, wie vordem, zwei Stufen auf einmal vorzunehmen. — Am 29. Dezember jenes Jahres teilte er in seinem Neujahrsbriefe nach Ilsede mit, daß, nach Anna's Brief, die Familie Groos sich in Northeim, wohin Emil inzwischen versetzt worden war, wohl fühle, und ferner, daß er, zu seiner Befriedigung, auf seine Steuerreklamation hin, von der Bezirkskommission in Koblenz aus der 5. in die 1. Stufe der klassifizierten Einkomensteuer zurückversetzt worden sei.

Die zufriedene, frohe Gemütsstimmung Chr. Spamer's spricht sich, wie in früheren Gedichten, auch wieder aufs neue in einer schönen, längeren, poetischen Niederschrift aus, mit welcher der Siebzigjährige zum 2. Februar 1873 seine Kinder beschenkte. Er lenkt darin, von der erreichten Lebenshöhe aus, den Blick gerne hin auf die lange Reihe seiner vergangenen Jahre, gedenkt Gottes gütiger Führung und gedenkt der guten und treuen Seelen, in deren Verbindung er das Glück seines Lebens gefunden habe: seiner Eltern, Frauen, Kinder, wie auch derer, die ihm sonst in Freud und Leid zur Seite gestanden haben, und spricht sein Vertrauen aus auf ein Wiederfinden derselben jenseits des Grabes. Dabei tritt er den materialistischen, Gott, Seele und Unsterblichkeit leugnenden Anschauungen, welche in den Schriften von Strauß sich damals hören ließen, ausführlich entgegen und bekennt sich als überzeugter Anhänger der Lehre Christi in ihrer von fremden Zutaten reinen Gestalt. Er sagt von ihr:

(68 ≡)
Die Wahrheit seines Worts bezeugt
Vernunft mir und Gewissen,
Und wer's zu halten ist geneigt
Und jederzeit beflissen,
Der hat auch in sich den Beweis,
Daß es ist göttliches Geheiß,
Weil es ihn bessre, tröste
Und von den Sünden löste.

Die beiden letzten der 61 Verse des Gedichts lauten:

Daß Gott vor siebzig Jahren schon
Mich wunderbar bereitet
Und auch als einen lieben Sohn
Bis heute hat geleitet,
Das dank' ich ihm mit Herz und Mund,
Und habe deshalb guten Grund,
Ihm ferner zu vertrauen
vom Glauben bis zum Schauen.
Nachdem ich nun mich ausgeruht
Auf meiner Lebenshöhe,
Ergreif ich wieder Stock und Hut,
Damit ich weiter gehe;
Ich gehe nun den Berg hinab,
Bis daß ich komme an das Grab,
Und auf der andern Seite
Erwart' ich Euch mit Freude.

Auch ein humoristisches Gedicht stammt aus dem Januar 1873. Es ist überschrieben: „Die Himmelfahrt des Goethehutes“ und beschreibt in launigem Tone, wie zwei vergnügte Trink­genossen in spätnächtlicher Stunde der in Wetzlar vor dem Dome stehenden barhäuptigen Goethe­büste einen alten Hut aufgesetzt hatten, wie der Wächter des Gesetzes diesen Hut entdeckte und an der Hand des corpus delicti die Täter ermitteln wollte, ein heftiger Windstoß aber ihm den Hut entriß und über alle Dächer entführte.

Im Februar jenes Jahres bereitete leider eine schwere Erkrankung Minchens, eine Folge ihrer Entbindung von einem Knäbchen, dem liebevollen Vater große Sorge; doch konnte er glücklicherweise schon nach sieben Tagen die Freudenbotschaft der Genesung seinen übrigen Kindern kund tun.

Im folgenden Mai bis zum 5. Juni besuchte Chr. Spamer seinen Sohn auf dem Kinzigheimer Hofe und verweilte vom 28. Juni bis Anfang August bei seinen Kindern in Groß-Ilsede und Northeim. Von letzterer Stelle aus unternahm er, teils mit Emil und Anna, teils mit Emil allein, Ausflüge in die Umgegend, namentlich nach den Burgruinen Hardenberg und Scharzfels. — In seinem Weihnachtsbriefe vom 19. Dezember an Hermann schreibt er bezüglich seiner Weihnachtsgabe:

„Als Freund der Bequemlichkeit, der nicht gerne Schachteln packt und die Post mit denselben belästigt, suche ich mir auch dieses Geschäft möglichst leicht zu machen, und händigte deshalb gestern Kellner Dein Christkindchen ein, bei welchem Du dasselbe jeden Tag haben und

(69 ≡)

heben kannst, sowie auch die früheren 500 Gulden, welche ich ihm am 20. November zur Gut­schrift für Dich völlig ausbezahlt habe. Dein Christkindchen besteht aber, wie jedes von den dreien für Deine Geschwister, in 100 Gulden, so daß Du nun bei Kellner über 600 fl. zu verfügen hast.“

Außer den bereits von ihm abgetretenen und den seinen Rückbehalt bildenden Wertpapieren, besaß Chr. Spamer noch Papiere, von welchen keine Zinsen gezahlt, jedoch Kapitalrückzahlungen geleistet wurden. Diese Beträge pflegte er mit seinen Ersparnissen, meist gelegentlich des Weihnachtsfestes, seinen Kindern geschenkweise zu übergeben.

Vom Jahre 1874 ab empfingen Julius und Minchen Kellner zu Anfang Februar jeden Jahres, in liebenswürdiger, gastlicher Weise, ihre auswärtigen Geschwister, — soweit diesen ihre häuslichen und dienstlichen Pflichten die Reise erlaubten, — zur Feier des väterlichen Geburts­tages und mehrtägigem frohem Zusammensein. An dem Geburtstage selbst, dem 2. Februar, stellten sich in der Regel noch Verwandte aus den Familien Emmelius und Steinberger zur Fest­feier ein, und verlief diese stets vergnügt, meist mit Klavierspiel und Gesang. Die Kinder des Jubilars blieben, wie gesagt, mehrere Tage im Hause Kellner um denselben versammelt, freuten sich seines heiteren, liebevollen Sinnes und schieden mit dem ausgesprochenen Wunsche, ihn im Laufe des Jahres im eigenen Heim empfangen zu können. — Dieser Wunsch wurde ihnen, wie in den Vorjahren, so auch wieder im Jahre 1874 erfüllt. Vom 12. Mai ab besuchte der Vater seinen Kinzigheimer Sohn. Am Himmelsfahrtstage fuhr er mit demselben nach Aschaffenburg zur Besichtigung vornehmlich des Schlosses und Pompejaneums, und später, nachdem Ludwig eine mit heftigem Kopfweh verbundene Erkältung glücklich überwunden hatte, zu Wagen nach dem idyllisch gelegenen Wilhelmsbad. Am 28. Mai gedachte er in einem Briefe von Kinzigheim wieder des nahen Geburtstages seiner dritten Frau, und schrieb an seinen Sohn in Ilsede: „Wenn Deine liebe Mutter am 31. c. noch lebte, so wäre sie 59 Jahre alt; aber sie ist schon seit beinahe 25 Jahren in die überirdische Heimath eingegangen; doch werde ich am letzten Mai wenigstens ihr theueres Bild mit frischen Vergißmeinnicht bekränzen. O, wie schön, wie tröstlich und beseligend ist es, daß wahre Liebe zu den Guten nimmer stirbt! Wenn mir eine von meinen Frauen, es sei, welche es wolle, im Traume erscheint, so sehe und höre ich sie immer gerade so wie ehemals mit mir lachen und verkehren, und so behalte ich sie im Geiste immer und verliere ihre Liebe nimmer. Sollte dieß, wann die Seele ihre irdische Hülle verläßt, anders werden können? Sind wohl die Hoffnungslosen zu beneiden? Gewährt die Hoffnung nicht sehr oft ein weit größeres Glück, als die Wirklichkeit selbst? Darum laßt uns festhalten an der Hoffnung eines ewigen Lebens!“

Nachdem er dann im Monat Juli auf der Ilseder Hütte, wo am 9. März sein Enkelchen Karl eingetroffen war, einen lieben Besuch abgestattet hatte, reiste er am 2. August von dort nach Northeim zu seinen Kindern Emil und Anna. Die Gesundheit der letzteren ließ damals, durch Blutarmut und anstrengende Pflege ihres Hermännchens veranlaßt, sehr zu wünschen übrig. Eine Ausspannung und Kräftigung in frischer Waldluft war für sie sehr wünschenswert, und so entschloß sich der Vater, seine liebe Tochter nach Lauterberg in die Sommerfrische zu begleiten. Am 6. August von Emil in genanntem Kurort gut untergebracht und von demselben öfter besucht, verlebten die beiden in dem von Wald und Bergen umgebenen Harzstädtchen drei ebenso angenehme, wie für Annas Befinden wohltuende Wochen. — Am 31. August langte der Vater glücklich wieder in Wetzlar an. — Von dort sandte er im September von seiner reichen, vom Hermann­steiner Pfarrgut erhaltenen, Äpfelernte je vier Körbe voll nach Ilsede und Northeim, und schrieb dabei: „Da ich nun Aepfel und keine Zähne habe, Ihr aber Zähne und keine Aepfel habt, so übersende ich Euch das genannte Quantum mit dem Wunsche, daß Ihr es unbeschädigt erhalten,

(70 ≡)

gesund verzehen und dabei in Liebe denken möget an den emeritirten Pfarrer von Hermannstein Christian Spamer.“ — Im selbigen Herbste hatte er auch eine Wiederverpachtung des Pfarrgutes vorzunehmen. — Folgenden Jahres, 1875, nahm Karl Spamer von Altenschlirf an dem Geburts­tagsfeste seines älteren Bruders Christian in Wetzlar teil. — Anfang Juni finden wir letzteren mit seiner Tochter Anna und deren beiden Söhnchen, Wilhelm und Hermann, auf dem Kinzigheimer Hofe zu Besuch. Auch Emil, welcher zur Zeit eine Kur in Wiesbaden gebrauchte, erschien dort, und führten der Vater und das Groos'sche Ehepaar einen Ausflug nach Frankfurt aus, wo sie sich photographiren ließen und danach mit der befreundeten Frau Landrichter Eckstorm und deren Tochter im Palmengarten zusammentrafen. Von der damaligen in kleinem Format ausgeführten und wohlgetroffenen Aufnahme wurden später die großen Photographieen Chr. Spamers, welche denselben im Vollbarte darstellen, durch Vergrößerung erhalten. Am 28. Juni nahm der Besuch wieder Abschied vom Kinzigheimer Landpfleger und kehrte in Wetzlar ein, wo die Familie Groos noch bis zum 12. Juli, dem Tage ihrer Heimreise nach Northeim, verblieb. — Im September erfreute der Vater seine Ilseder Kinder mit seinem zugesagten Erscheinen und brachte die beiden Wetzlarer Enkel, Anna und Otto, als Ferienkinder mit. — Nicht lange zuvor hatte die Ein­weihung des Hermanndenkmals auf der Grotenburg im Teutoburger Walde stattgefunden, und wurde nun von Vater und Sohn Hermann der bereits geplante Besuch desselben zur Ausführung gebracht. Der erste Tag führte die beiden mit der Eisenbahn über Hannover nach Schieder und von dort mit der Post nach Detmold, wo Nachtquartier genommen wurde. Anderen Morgens früh erstiegen sie die Grotenburg, welche ihren Gipfel etwa 375 Meter über das Meer erhebt, und das auf demselben errichtete 26 Meter hohe Sandsteinpostament, von welchem aus der mächtige, von Bandel in Kupfer getriebene Hermann mit gen Himmel erhobenem Schwerte hinaus schaut in das waldige Bergland, und seine Landsleute aufzurufen scheint zur Vernichtung der eingedrungenen Feinde. — Von der Höhe leitete der nach Schieder zurückführende Weg hinab, zunächst nach den Externsteinen, einer steil aufgerichteten, malerischen Felsengruppe, in deren Nähe ein gutes Hotel den Wanderern Mittagsrast, Speise und Trank darbot. Wie die bisherige, so legte der Zweiundsiebzigjährige auch die bis zur Eisenbahnstation noch verbleibende Wegestrecke — im ganzen etwa 20 Kilometer — rüstigen Fußes und ohne Beschwerden zurück. Sonnenschein erhöhte den Reiz der schönen, waldreichen Gegend. — In Hannover wurden die Ausflügler von Frau Hermine und ihrem Neffen Otto in Empfang genommen und noch selbigen Abends nach Ilsede zurück begleitet. — Im späteren Verlaufe des Jahres 1875 übergab der Vater seinen Kindern je drei­zehnhundert Mark aus bereits in obigem bezeichneten, besonderen Einnahmen. — Am 23. Dezember wurde Chr. Spamer durch die Geburt eines Enkelsöhnchens in Northeim erfreut und, wie auch seine Kinder in Wetzlar, Kinzigheim und Groß-Ilsede, von den Eltern Groos eingeladen, den 1876er väterlichen Geburts- und Familientag mit der Taufe ihres Neuerschienenen in Northeim zusammen zu feiern. Die freundliche Einladung ward allerseits gern angenommen, leider aber der kleine Knabe schon am 28. Januar seinen Eltern wieder genommen. So mußte dieses schön geplante Zusammensein unterbleiben, wie auch die Feier des 2. Februar in Wetzlar hierdurch Einbuße erlitt. Außer den Hannoverschen Kindern nahm auch die Familie Emmelius, und zwar leider wegen Erkrankung beider Eltern, besonders des Vaters, vom Erscheinen am Geburtstage Abstand. Um so mehr schriftliche Glückwünsche liefen bei dem Geburtstäger ein, und verbrachte er sein Wiegenfest im lieben Kreise des Kellner'schen Hauses, zu welchem sich noch sein Kinzigheimer Sohn gesellt hatte, in vergnügter Weise. Der Monat Februar gab ihm auch Veranlassung, der Geburtstage anderer in freundlichen Versen zu gedenken. So schrieb er seiner Tochter Hermine zum 15. Februar 1876 das Folgende:

(71 ≡)
Meine liebe, gute Tochter!
Wie das Bächlein über Kiesel rinnet
Sanft und munter, ungetrübt und klar,
Fließe Dir das Leben, das beginnet
Mit dem heute angetretnen Jahr!
Wie das Fischlein im gewohnten Bache
Sich der Frische und Gesundheit freut,
Fühle Du Dich unter Deinem Dache
Recht behaglich wohl zu jeder Zeit!
Wie das Vöglein unter grünen Zweigen
Seinem Schöpfer Dankeslieder singt,
Mag Dein Mund durch Freudentöne zeigen,
Daß Dein Herz dieselben Opfer bringt!
Wie das Kindlein seiner Mutter trauet,
Und zu ihr sich flüchtet in der Noth,
Traue Dem, der liebend auf Dich schauet,
Und Dich führet über Welt und Tod!
Wie das Bienlein nicht des Dankes wegen
Fleißig ist für seinen ganzen Schwarm,
Bist Du's für Dein ganzes Haus; dagegen
Sei sein Dank dafür doch immer warm!
Wie das Bienlein, Süßigkeit zu saugen,
Gerne auf bekannten Blumen weilt,
Labe ich mich gern an treuen Augen,
Welche Freud und Leid mit mir getheilt!
Wenn ich nur in Deine Augen blicke,
Und Du schauest mir in's Angesicht,
Sehen beide wir zu unserm Glücke:
Uns're alte Liebe rostet nicht!
Ist denn uns're Liebe alt zu nennen?
O gewiß, sie könnt' nicht älter sein!
Denn im Nu, als wir uns lernten kennen,
Zog sie schon in uns're Herzen ein!
Heute vor elf Jahren hatten beide
Wir sie auch schon schriftlich uns erklärt,
Und sie ward seitdem von keiner Seite
Auch nur einen Augenblick gestört!
Nein, sie wuchs seit ihrer ersten Stunde,
Da sie täglich neue Nahrung fand,
Auf der vollen Achtung warmem Grunde,
Wo sie vor Erkältung sicher stand!
Und so lange uns're Herzen schlagen,
Bleibt sie auch gewiß darin zu Haus;
Niemals wird ein Feind sie draus verjagen,
Und von selber zieht sie auch nicht aus!
Aber Einmal muß sie doch im Jahre
Oeffnen ihren sonst verschwiegnen Mund,
Daß sie wenigstens im Februare
Die Geburtstagswünsche thue kund!
Da der Tag nun wiederum erschiene,
Der vor zweiunddreißig Jahren Dich
Hat an's Licht gebracht für uns, Hermine!
Siehe, darum gratuliere ich
Dir und mir und Allen, die verbunden
Sind mit uns durch treuer Liebe Band!
Und ist meine Zeit dahin geschwunden,
Drücke ich im Himmel Dir die Hand!
Lebe wohl mit allen Deinen Lieben!
Und wenn ich bis heute übers Jahr
Unter den Lebendigen geblieben,
Bringe ich Dir neue Wünsche dar!
Dein treuer Vater Christian Spamer.“

Am 7. Mai 1876 mußte Chr. Spamer seinen guten Schwager Karl Emmelius in Gießen, der, erst im 58. Lebensjahre stehend, einem unheilbaren Magenleiden erlegen war, zu Grabe geleiten, nachdem er eine Woche zuvor Abschied für's Leben von ihm genommen hatte.

Die Besuche bei seinen Kindern begann er, der Regel folgend, bei seinem Kinzigheimer Sohn Ludwig, am 21. Mai. Wie er schreibt, gefiel es ihm dort wieder so wohl, als es bei einem Solitär möglich sei, und kehrte er am 18. Juni nach Wetzlar zurück. Am selben Tage war er noch mit Ludwig und Emil, welch letzterer sich in Wiesbaden zur Kur aufhielt, in Frankfurt zusammen gewesen und hatte mit denselben den zoologischen Garten, wie auch das zooplastische Kabinett mit großem Interesse besucht. — In Wetzlar traf am 1. Juli auch Tochter Anna mit ihren Knaben zu Besuch ein, ebenso später Emil von Wiesbaden; und reiste der Vater in deren Begleitung am 13. Juli nach Northeim, und folgenden Tags allein auf die Ilseder Hütte, um zunächst dort Rast zu machen. Diesen Besuch des lieben Vaters benutzten Hermann und Hermine zur Ausführung einer Vergnügungsreise mit demselben nach Hamburg und Kiel. Die ersten drei Reisetage wurden Hamburg gewidmet, das Alsterbassin mit Uhlenhorst, der Hafen, zoologische Garten besucht und eine Fahrt nach Blankenese unternommen. Der vierte Tag brachte die Reisenden in noch früher Zeit nach Kiel und dort, nach Durchwandern der Stadt, auf einem kleinen Dampfer nach dem am Ausgang der Bucht in die offene See gelegenen Laboe. Auf der Rückfahrt stiegen sie unterhalb Bellevue aus und kehrten, über diesen herrlichen Aussichtsort und auf dem schönen Wege durch Düsternbrook, zu Fuß nach der Stadt zurück. Nach guter Unterkunft im Hotel Germania schloß die vergnügt verlaufene Reise am fünften Tage mit der Rückreise zur Hütte. Bei seiner späteren Abreise von dort wurde der Vater von seinen

(73 ≡)

Ilsedern nach Hannover begleitet und in Northeim von Emil am Bahnhofe in Empfang genommen. Dort verweilte er bis zum 24. August, nahm, außer an kleineren Ausflügen mit den Seinigen, an einer Wagenfahrt in größerer Gesellschaft nach Mariaspring[7] teil und bestieg dort die oberhalb gelegene Ruine Plesse. Nach Wetzlar zurückgekehrt, brachte er am 28. August seinem ältesten Jugendfreunde, dem Gymnasialdirektor Dr. Geist in Gießen, zu dessen 50jährigen Doktorjubiläum, persönlich seinen Glückwunsch dar. Zugleich übergab er ihm ein Gratulations­gedicht, worüber dieser so froh und gerührt ward, daß er den alten Freund und Gratulanten ans Herz drückte und küßte. Am 25. November, dem hundertjährigen Geburtstage seiner Mutter, empfing Chr. Spamer zu seiner Freude den Besuch seines Bruders Karl, der mit ihm diesen Gedenktag feiern wollte, und auch von Ilsede traf die Depesche ein: „Froh gedenkt heutigen Säcularfestes Dein Hermann.“

Im folgenden Jahre 1877, zum 2. Februar, fanden sich Hermann, Ludwig und Anna wieder im Kreise der Familie Kellner ein und begingen in und mit derselben das Geburtstagsfest des lieben Vaters in mehrtägigem frohem Zusammensein. Im kommenden Monat Mai nahm letzterer diesmal Ilsede zu seinem ersten Reiseziel, und folgte ihm gegen Ende desselben Monats der Kinzigheimer Landpfleger dorthin nach. In jener, von landwirtschaftlichen Arbeiten freieren Zeit, beabsichtigte letzterer zugleich an einer Reise nach Berlin teilzunehmen, welche der Vater und seine Ilseder Kinder ins Auge gefaßt hatten. Nach dem Pfingstfest kam dieser Plan zur Ausführung. Im Hotel Kaiserhof fanden die vier Reisenden gute Wohnung und besuchten von hier aus die Sehenswürdigkeiten der Metropole und ihrer näheren Umgebung. Namentlich wurden in Berlin selbst die Kunstschätze der Museen, in Charlottenburg das Mausoleum besucht, im Schauspielhause: Minna von Barnhelm, im Opernhause: die Hugenotten, in Krolls Garten ein Lustspiel gesehen, und eine Rundfahrt nach Babelsberg, dem Pfingstberg, Marmorpalais, Sanssouci und Potsdam unternommen. Am fünften Tage, nach Besichtigung vieles Schönen, doch nun des Sehens müde, kehrten die Ausflügler über Magdeburg zur Ilseder Hütte zurück. Hier blieb Chr. Spamer noch bis zum 6. Juni und wurde an diesem Tage von seiner zu Besuch eingetroffenen Tochter Anna nach Northeim ins Groos'sche Heim begleitet und eingeführt. Dort langte am folgenden Tage die Ernennung Emils zum Oberstabsarzt und seine Versetzung nach Düsseldorf an, und wurde dieses Ereignis, mit dem auf denselben Tag fallenden siebenjährigen Hochzeitstag des Groos'schen Ehepaares, bei einer Bowle gefeiert. Infolge dieser Versetzung mußte indes der neue Oberstabsarzt nun ohne Zeitverlust seinen und seiner Familie Überzug nach Düsseldorf in die Wege leiten, und so setzte Chr. Spamer seine Reise schon am 9. Juni nach Wetzlar fort. — Am 22. Juli fuhr er, von seinem Sohne Julius Kellner nach Frankfurt begleitet und dort von Ludwig abgeholt, auf den Kinzigheimer Hof zur sommerlichen Visite und verlängerte diese gerne[8] bis zum letzten Sonntage des August. Dann kehrte er wieder nach Wetzlar heim. Nach längerem Verweilen dort unternahm er am 2. November mit Ludwig, der zu jener Frist seine Erntearbeiten erledigt hatte, eine Reise nach Düsseldorf, zum Besuche der Familie Groos. Die geräumige, bequeme Wohnung der letzteren, die schöne Stadt mit ihren reizenden Anlagen und Kunstgenüssen, besonders aber auch der Verkehr mit den liebenswürdigen Familien Martin, Soest und Meffert machten ihnen, unter der Fürsorge Emils und Annas, den Aufenthalt dort sehr angenehm. Sie verließen Düsseldorf und ihre lieben Wirte erst am 17. November wieder zur Rückkehr über Neuwied nach Wetzlar, bezw. Kinzigheim. Das folgende Weihnachtsfest, zu welchem auch Ludwig sich eingefunden hatte, verlief im Hause Kellner besonders vergnügt. Alle waren erfreut über die am 22. Dezember erfolgte Versetzung des ältesten Sohnes Julius in die erste Ordnung der Sekunda, und das ihm dabei erteilte gute Zeugnis, welches ihn für den einjährig-freiwilligen Militärdienst reif erklärte. Chr. Spamer schrieb hierüber und über die ihm

(74 ≡)

von seinen Kindern verehrten Weihnachtsgeschenke am letzten Sonntage des Jahres nach Ilsede. Den Schluß dieses Briefes bildet folgender freundlicher Vers:

„Für die große Tabaksrolle
Meinen Herzensdank ich zolle;
Für die schönen 40 Nüsse
Ich im Geist den Dichter küsse;
Für das mancherlei Confect,
Welches wie Ambrosia schmeckt,
Für die ganze Weihnachtsspende
Ich Euch hundert Thaler sende.
Euer Vater und Großvater Christian Spamer.“

Am nächsten 2. Februar, im Jahre 1878, vollendete Chr. Spamer sein 75. Lebensjahr. Seine zu diesem Feste herbeigeeilten drei auswärtigen Kinder hatten wieder die Freude, ihn gesund und heiter anzutreffen. Sie verlebten in der Familie der heimischen Geschwister wiederum schöne Tage. — Seine Gegenbesuche begann der Vater am 30. Mai, - nachdem er noch vorher seine Kinder von neuem, mit je dreihundert Mark, beschenkt hatte, — und zwar fand er sich zuerst bei Ludwig in Kinzigheim ein. Hermann, welcher im Vorjahre längere Zeit an rheumatischen Schmerzen zu leiden hatte, reiste wenige Tage später zur Kur nach Wiesbaden und so wurde ein Zusammentreffen an letzterem Orte, an welchem, außer den beiden Kinzigheimern, auch Minchen teilnehmen wollte, verabredet. Am 21. Juni erhielt Hermann in Wiesbaden eine väterliche Karte des Inhalt: „Gestern holten wir Ibbi (Minchen) in Hanau ab, und Dienstag, den 25. c. wollen wir mit ihm zu der von Dir vorgeschlagenen Stunde Dich sehen. Ein Zimmer mit einem und eins mit zwei Betten willst Du auf drei Tage für uns belegen.“ Diese drei Tage waren von schönem Wetter begünstigt. An einem derselben führte das vierblätterige Kleeblatt die bekannte, landschaftlich so schöne Tour über Schlangenbad, das zu Wagen erreicht wurde, Eltville und Biebrich aus. Leider wurde in Schlangenbad die ins Auge gefaßte Postverbindung verfehlt und der lange, für alle, besonders den Vater, ermüdende Weg von Schlangenbad nach dem Rheinboot zu Fuß zurückgelegt. Als Kuriosum aber, und zum Beweise des verdienten Namens, sahen die Touristen in einem Hause jenes Bades eine zahme Schlange in Zimmer und Flur sich frei umher bewegen. — Wegen dieses Zusammenseins mit seinem hannoverschen Sohne in Wiesbaden sah Chr. Spamer von einem diesjährigen Besuche auf der Hütte ab und verbrachte den Sommer ganz in Wetzlar. — Am 15. September berichtete er nach Ilsede über schön verlaufene Ausflüge, welche er mit Kellners auf den Gleiberg und nach Nidda ausgeführt hatte. — Seinen Besuch in Düsseldorf stattete er vom 30. September bis 14. Oktober ab. Dort sah er mit Anna im Theater Figaros Hochzeit. Haus und Ausstattung fanden seinen Beifall, von dem Gesang und Hergang der Handlung konnte er aber nur so wenig verstehen, daß er sich vornahm, nie wieder in eine Oper zu gehen. Dagegen erfreute er sich sehr an dem vierhändigen Klavier­spiele Annas und deren Freundin Fräulein Hahn, sowie an den gemütlichen, teils mit Kartenspiel verbrachten Abenden in der Familie Martin. - Am 17. Oktober feierten Julius und Minchen Kellner ihren zwanzigjährigen Hochzeitstag und überreichte der Vater ihnen zu diesem Feste nach­folgendes herzliche Gedicht:

„Zwanzig Jahre sind verflossen
Seit Ihr Euren Bund geschlossen,
Seit Ihr einst in Hermannstein
Tratet in den Ehstand ein!
Als zur Treue für das Leben
Ihr die Hände Euch gegeben,
Krauß an eben diesem Tag
Ueber Euch den Segen sprach!
(75 ≡)
Und als er dem jungen Paare
Ihn ertheilte am Altare,
Wollte brechen mir das Herz
Vor unsäglich herbem Schmerz!
Denn die Tochter, die nun schiede,
Lag zu fest mir im Gemüthe,
Und ich konnte noch nicht sehn,
Wie's ihr später werde gehn!
Doch unnöthig war mein Bangen,
Denn es ist ihr wohl gegangen,
Wenn auch nicht so hell und klar
Ein Tag wie der andre war!
Da ich nun vor Augen sehe,
Daß sie glücklich in der Ehe,
Die vor 20 Jahr begann,
Lebt mit ihrem lieben Mann,
Wünsche ich dem treuen Paare
Wenigstens noch 30 Jahre,
Daß es fröhlich feiern mag
Seinen gold'nen Hochzeitstag!

Leider sollte durch den zu frühen Tod des lieben Sohnes der treue väterliche Wunsch nicht in Erfüllung gehen.

Zum Weihnachtsfeste ließ der Vater jedem seiner Kinder wiederum zweihundert Mark bescheeren.

In Gesundheit und Frische konnte Chr. Spamer auch sein Wiegenfest des Jahres 1879 begehen, und hatten Hermann, Ludwig und Anna sich wiederum zu demselben in Wetzlar ein­gefunden. Wieviel der Vater zu jener Zeit seiner Widerstandskraft noch zumuten durfte, zeigen zwei Gänge, die er, ohne Schädigung seiner Gesundheit, am 11. Februar und 13. März nach Hermannstein unternahm, um dort die gelieferte Pachtfrucht dem Käufer zuzuwiegen. Zur ersteren Zeit hatte die Lahn große Teile des tiefer liegenden Talgeländes überschwemmt, und fand Chr. Spamer auf seinem Wege auch ein Stück der Chaussee unter Wasser stehen. Um zur zugesagten Stunde in Hermannstein zu sein und im Vertrauen auf seine neuen Schaftstiefel watete er 122 Schritte bis fast zu den Waden durch das Wasser hin und später zurück. Die neuen Stiefel hatten ihn zwar vor nassen, doch gewiß nicht vor kalten Füßen bewahrt. - Seinen zweiten Weg beschreibt er selbst mit folgenden Worten: „Am 13. c. ging ich durch einen Schneesturm nach Hermannstein, wobei mir der eiskalte Nordwind den Schnee dergestalt ins Angesicht schlug, daß ich zuweilen die Augen schließen mußte; bald faßte er mit solcher Gewalt meinen flatternden Mantel, als wolle er mich vom Chaussedamm herabstürzen; bald schlug er mir den Mantelkragen über dem Kopfe zusammen, daß ich nichts sehen konnte und Mühe hatte, den Kragen zu ordnen und Aussicht zu gewinnen; kurz, ich mußte alle Kraft aufbieten, um gegen den konträren Orkan, der Manchen unterwegs zurückjagte, durchzudringen; und da der Schnee in meinem Barte hängen blieb und mein gefrorner Hauch hinzukam und mit ihm zusammenschmolz, so verwandelten sie meinen Bart nach und nach in einen förmlichen Gletscher.“ — Zum 36. Geburtstagsfeste (6. April) seines Sohnes Ludwig, welchem er so sehr eine Frau wünschte, schrieb er demselben:

„Sechs mal sechs ist Sechsunddreißig,
So gewiß und glücklich heiß' ich
In dem Alter einen Mann,
Der ein liebes Weib gewann!“
Und ferner folgendes Akrostichon:
„Lustig wünsche ich das Mädchen
Und gesund an Geist und Leib,
Das Du als Dein Herzensblättchen
Willst zu Deinem Eheweib!
Ist es mit Dir gleichen Sinnes,
Gehe zu ihm und gewinn es!
Schauen werdet dann Ihr Beide
Plötzlich schöner diese Welt;
Alles wandelt sich in Freude,
Mehr, als Ihr Euch vorgestellt;
Erst als Ehegatten eben
Reift Euch volles Glück im Leben!“

Am 8. Juni folgte er der Einladung Ludwigs auf den Kinzigheimer Hof und am 24. schrieb er von dort den Ilsedern, daß er in etwa acht Tagen mit Ludwig bei ihnen eintreffen, und den Tag der Ankunft noch genauer anzeigen werde. Diese Zusage wurde auch erfüllt und der Aufenthalt in Ilsede von Vater, seinen beiden Söhnen und Hermine benutzt, eine zweitägige Tour in den Harz auszuführen. Die Fahrt ging nach Thale und auf die Roßtrappe, im bekannten Hotel Zehnpfund wurde Logis genommen, und anderen Tags über den Hexentanzplatz, Victors­höhe und Ballenstedt der Rückweg gefunden. — Hatte Ludwig dem Vater auf der Reise zur Hütte Gesellschaft geleistet, so erschien später Minchen mit ihrem Töchterchen Lina in Ilsede zu Besuch, und begleiteten sie ihn Ende August nach Düsseldorf zur Einkehr bei Anna und Emil. Diese unternahmen dann mit ihren Gästen gemeinsam Ausflüge nach Grafenberg und Neuß, und, nach Minchens und Linas am 8. September erfolgter Heimreise, auch nach Kaiserswerth. Am 17. September begleiteten Emil und Anna nebst ihren zwei älteren Söhnen den Vater, bezw. Großvater, nach Deutz, zur Rückkehr in sein Winterquartier Wetzlar, wo er am Bahnhofe von Minchen und Lina mit Freuden empfangen wurde. — Im Laufe des Jahres hatte Chr. Spamer, nach Rückzahlung einer Obligation, jedem seiner Kinder neunhundert Mark bei J. Kellner gut­schreiben lassen.

Wie meist zu Anfang eines neuen Jahres, so kam auch am 4. Januar 1880 ein liebes Schreiben des Vaters bei seinen Ilseder Kindern an, in welchem er ihnen zum neuen Jahre Glück wünschte und für die erhaltenen kleinen Christgeschenke dankte. Diesmal hatte ihm die Übersendung eines Pfeifenkopfes, welcher die Photographie seiner Ilseder Enkelin Lina zeigte, besondere Freude gemacht. Sein Glückwunsch hatte folgenden Wortlaut:

„Möget Ihr mit Eueren lieben Kindern das Jahr Christi 1880 gesund und mit fröhlichen Herzen und frohen Hoffnungen angefangen haben, fortsetzen und beschließen, und mir in demselben die Gefühle und Gesinnungen aus den vergangenen Jahren in treuen Herzen bewahren! Der Herr der Zeit und Ewigkeit lasse sein väterliches Angesicht freundlich über Euch leuchten und schenke Euch seinen Segen und Frieden in diesem neuen und allen folgenden Jahren, so lange Ihr hier auf seiner Erde wandelt! Amen!“

Zu seinem Geburtstage, an welchem der Siebenundsiebzigjährige in vollem Wohlbefinden das Alter seines Vaters überschritten hatte — dieser erlebte nur 76 Jahre 7 Monate 18 Tage — waren seine Kinder wieder um ihn versammelt gewesen, und in der zweiten Maiwoche stellte er sich bei seinem Kinzigheimer Sohne zu Besuch ein. Dort erschien am 3. Juni auch Hermann, welcher zuvor einen Kommers seines Gießener Korps in Bingen mitgefeiert hatte, zu mehrtägigem

(77 ≡)

Verbleiben. Am liebsten hätte derselbe auf seiner Rückreise nach Ilseder Hütte den lieben Vater mit heim genommen. Er fand aber zur Zeit mit seiner Bitte noch kein Gehör, besonders weil für den Sommer von den Töchtern Hermine und Anna Besuche in Wetzlar geplant waren. Doch erfüllte der Vater etwa 4 Wochen später den Wunsch der Ilseder und verweilte bei ihnen bis zum 24. Juli. An diesem Tage fuhr er, von Hermine und seinen Enkelchen Anna und Karl Spamer begleitet, nach Düsseldorf ins Quartier Groos. Dieses hatte im laufenden Sommer auch manchen anderen Besuch zu empfangen aus Anlaß einer großen Industrie-Ausstellung, welche in der rheinischen Provinzialhauptstadt abgehalten wurde. So sah man auch den Großvater Spamer mit seinem Enkel Karl in den Ausstellungsräumen umher wandeln und bei einem Glase Bier der Ruhe pflegen. Nach etwa 14tägigem Verweilen unter den Fittichen der Familie Groos reiste Chr. Spamer nach Wetzlar zurück und empfing dort im Hause Kellner seine Reisegefährten von Ilsede wieder, welche eine Woche vor ihm Düsseldorf verlassen und inzwischen bei ihren lieben Verwandten in Elberfeld, Köln und Burbach Einkehr gehalten hatten. In Wetzlar gefiel es denselben noch fernerhin, bis am 14. August die Zeit ihrer Rückkehr zur Hütte gekommen war. Zwölf Tage später hatte der Vater dann die Freude, seine Tochter Anna mit ihren zwei ältesten Jungen ins Haus Kellner einziehen und eine Woche verbleiben zu sehen. — Später, im Oktober, erhielt er zweimal den Besuch Bruder Karls. — Doch auch betrübende Erlebnisse brachte das Jahr 1880 für ihn: seine von ihm sehr verehrten Schwägerinnen Henriette Steinberger und Sophie Emmelius starben am 23. Juli, bezw. am 8. September, und am 23. November schied Frau Friederike Schmidt, die liebenswerte Schwester Julius Kellners, mit welcher ihn herzliche Freundschaft verband, aus diesem Leben. Ein treuer Besucher und Gesellschafter blieb ihm sein Neffe Hermann Steinberger in Gießen, mit dem er gerne und öfter verkehrte, wie auch dieser ihm stets eine aufrichtige Anhänglichkeit bewies. — Die Zuschüsse, welche der Vater seinen Kindern zuwandte, erreichten im besprochenen Jahre, durch Rückzahlung einer seiner Rabenauer Obligationen erhöht, den Betrag von je achthundert Mark.

Am 2. Februar 1881 überreichte Chr. Spamer seinen Kindern, die sich gerne zur gewohnten Feier um ihn eingefunden hatten, nachfolgende schönen Verse, in denen er die, trotz mancher geschwundenen, ihm noch verbliebenen Freuden seines Alters schildert:

„Ihr lieben Kinder! Hier und dort
Geht Einer nach dem Andern fort
Von denen, die wir näher kannten,
Und die wir gute Freunde nannten,
Und Keinen führet eine Brücke
Aus jenem Lande mehr zurücke.
Wer einging in das Reich der Todten,
Dem ist der Rückweg streng verboten;
Die sich im Tode von uns trennen,
Wir nie mehr zu uns rufen können;
Es dringt nicht bis in's tiefe Grab
Zu ihnen unser Ruf hinab. —
Wenn aber zu gewissen Zeiten
Die Lieben schneller von uns scheiden,
Und ihre Lücken hier auf Erden
Um ebenso viel größer werden;
Dann kommt wohl Jedem in den Sinn;
So gehest du auch schnell dahin. —
So kommt es jetzt mir selber vor,
Da ich der Guten fünf verlor
Im letztvergangnen halben Jahr,
Mit welchen auch verwandt ich war; —
Fünf ehrenwerte brave Frauen,
Die ich geachtet mit Vertrauen;
Mit welchen ich gescherzt gelacht,
Und manche Stunde froh vollbracht;
Die nun ich noch in ihrem Grabe
In gutem Angedenken habe. —
„Ihr seid dahin! Es thut mir leid!“
„Wir theilten ja so manche Freud',“
„Und keine, die uns nach der Zeit“
„Nur im Geringsten hat gereut!“
„Ich danke Euch! Ihr ruht in Frieden!“
„Nur für die Zeit sind wir geschieden!“ —
(78 ≡)
Nicht Alle sind sie schon gestorben,
Die ich als Freunde mir erworben;
An Freundinnen auch fehlt mir's nicht,
Die noch bescheint das Sonnenlicht.
O, möchte diesen Guten allen
Mein heutig Loos doch auch noch fallen:
Daß heiter sie und mit Vergnügen
Das Achtundsiebzigste erstiegen! —
Sie zählen meist schon zu den Alten,
Drum möchte gern ich sie behalten.
Wir sind noch nach der alten Mode
Und bleiben's auch bis zu dem Tode.
Da Freud und Leid seit langen Jahren
Zusammen haben wir erfahren,
In sonnigen und trüben Stunden
Uns immer haben treu erfunden,
Ist unser Freundschaftsbund je länger
Geworden auch um so viel enger,
So daß wir eben als die Alten
Noch inniger zusammen halten.
Was liegt daran, wenn auf den alten
Gesichtern auch entstehen Falten?
Wenn jugendlicher Glanz den Wangen
Auch mit den Jahren ist vergangen?
Wenn uns're Haare auch beweisen,
Daß wir gehören zu den Greisen?
Wenn auch Gestalt und Gang und Wesen
Nicht so mehr sind, wie sie gewesen?
Es schlagen doch die alten Herzen
Noch treu in Freuden und in Schmerzen!
Es sprechen doch die alten Zungen
So freundlich noch, wie einst die jungen!
Es zeigt der Druck der welken Hände
Doch, daß man sich noch wohl verstände!
Es leuchtet aus den vielen Runzeln
Doch noch ein wohlgefällig Schmunzeln!
Es lassen's doch die alten Seelen
Nicht am Beweis der Liebe fehlen!
Es sagt doch noch der Augen Licht,
Daß Keins den Bund der Freundschaft bricht!
Das ist der Grund, warum wir Alten
So gern uns noch zusammen halten. —
Doch werden keineswegs die Jungen
Deswegen von mir übersprungen.
Wer hätte nicht die Jugend gern,
Ist selbst von ihr er noch so fern?
Ich Achtundsiebzigjähriger
Bin kein ihr Angehöriger;
Doch freue ich mich gern noch heute
Im Kreise froher, junger Leute;
Ja, sind sie brav sowohl, als heiter,
So bin noch gern ich ihr Begleiter.
Da hör' und seh' ich herzlich lachen,
Und Scherze stets und Witze machen;
Und sitzen wir bei Bier und Wein,
So steigt noch unser Fröhlichsein,
So wird bei Sang und Gläserklang
Auch Keinem mehr die Zeit zu lang.
Doch sitz' ich gern nur bei Bekannten,
Am liebsten bei den Anverwandten;
Und seh' ich gar im kalten Winter
Die Kinder und die Kindeskinder
Um mich versammelt so, wie heute,
Dann schwimmt mein Herz in lauter Freude.
Und kann es größ're Freude geben
Für mich noch in dem Erdenleben,
Als wenn, wie jetzt, in meiner Nähe
Ich meine Kinder um mich sehe,
Die immer treu mir sind geblieben,
Und heute mich noch herzlich lieben?? —
O, hörte diese Liebe auf,
So schlöß' ich gern den Pilgerlauf,
Und ginge lieber aus der Welt
Zu Jenen über'm Sternenzelt,
An deren Liebe, deren Treue
Ich ohne Ende mich erfreue! —
Ich danke meinem Gott und Herrn
Für Euch, Ihr lieben Kinder, gern!
Und habe auch die Zuversicht,
Daß uns're Liebe nimmer bricht! —
Für heute fehlt nur meinem Glücke,
Daß ich nicht Alle hier erblicke,
Die Kinder ich und Enkel nenne,
Und froh als solche anerkenne.
Da aber sie zu uns gehören,
So wollen wir sie nicht entbehren,
Und rufen drum zum Schlusse noch:
Sie sollen mit uns leben hoch!!!
Christian Spamer.“

Daß diese 1881er Geburtstagsfeier, an welcher Emil, welcher seine Gattin begleitet hatte, und Hermann Steinberger teil nahmen, sehr vergnügt verlief, bestätigt der Vater selbst in seinem zum 15. Februar an Hermine in Ilsede gerichteten Geburtsgedicht. Es heißt darin:

„Du warst ja, leider, auch nicht hier,
Als dieser Ruf gegolten mir!
Hast aber doch gehört, gelesen,
Daß kreuzfidel wir sind gewesen;
Daß Alle wir getanzt, gesungen,
Sowohl die Alten, wie die Jungen.
Ich habe bald dem Tanz entsagt
Und dann den Musikant gemacht;
Der Hermann tanzte immer höher,
Dem Candelaber immer näher,
Bis eine Kugel um das Gas
Zerbrach, dieweil sie war von Glas.
Bei einem Licht nach Mitternacht
Hat er den Kehraus noch gemacht.
Es waren leider nur im Ganzen
Drei Damen da, um mitzutanzen,
Die wurden strapazirt so sehr,
Daß sie durchaus nicht konnten mehr;
Sonst hätte die Tarantelwuth
Wer weiß, wie lang, noch nicht geruht.
Als nun Terpsichore verschwand,
Sogleich an ihrer Stelle stand
Die Schwester Polyhymnia,
Und kaum stand diese barfuß da,
So schürte sie in jeder Brust
Gewaltig die Gesangeslust.
Drum sangen alle Festesbrüder
Gar lustige Studentenlieder,
Und alle Damen stimmten fein
In diese Lieder mit uns ein.
Ich selbst am Pianino saß
Begleitend mit Discant und Baß.“

In seinen nach Ilsede gesandten Märzbriefen erzählt er, wie Minchen und ihre Tochter Anna, um einmal einen Maskenball im Schützengarten zu besuchen, sich im Geheimen zwei gleiche Dominos, weiß mit grünem und silbernem Besatze, mit eben solchen hochgewölbten Kopfbedeckungen und dazu passenden Masken, Handschuhen, Sonnenfächern p. p. verschafft und in diesen Costümen unerwartet sich vorgestellt hätten — zur großen Heiterkeit. Auf dem Balle wäre Vieles nett und zum Lachen gewesen, doch hätten die zwei Dominos sich vor der Demaskirung wieder aus dem Staube gemacht. — Ferner schrieb er von der am 4. März angeregt verlaufenen Geburtstagsfeier Hermann Steinbergers in Gießen, an welchem Tage es gerade 60 Jahre waren, seit der Briefschreiber und sein älterer Bruder Theodor, bei dem Streit der Studenten und Soldaten in Gießen, mehrmals in augenscheinlicher Lebensgefahr schwebten. Als das Geburtstagskind immer mehr, zuerst von seinem guten, und dann von seinem noch besseren Wein in die Gläser gegossen und zum Austrinken animirt habe, sei Schreiber ersucht worden, die 60jährige Geschichte des Tages und namentlich seine Erlebnisse an demselben zum Besten zu geben. Es sei dies auch aus treuem Gedächtnis in etwas höherer Stimmung geschehen zur nicht uninteressanten Unter­haltung des Auditoriums. Dieses habe, außer dem Geburtstäger, aus Karl Spamer, dem zu Besuch in Wetzlar weilenden Bruder Chr. Spamers, aus Otto Kellner und Heinrich Emmelius bestanden, und sei in majorem gloriam des Gefeierten bis abends 8¾ Uhr recht heiter zusammen geblieben. - Am 6. Juni, dem ersten Pfingsttage, trafen, nach vorheriger Übereinkunft, von Wetzlar, Kinzigheimer Hof, Düsseldorf und Ilseder Hütte die geschwisterlichen Familien mit dem Vater im Hotel Schirmer in Kassel ein, um diesen und den folgenden Tag gemeinsam zu verleben. Noch am Nachmittag des ersten Tages fand der Aufbruch nach Wilhelmshöhe und, nach dem auf der Schloßterrasse eingenommenen Kaffee, der Gang zum Herkules bei schönem Wetter statt. Von dort folgte die Gesellschaft den Wasserspielen zu Tal, verlor aber leider, in der an jenem Tage herbeigeströmten Menschenmenge, und in der Eile, den Wassern zu folgen, den Vater ganz aus den Augen. Trotz eifrigen Suchens konnte er im ganzen Parke nicht gefunden werden, und so war es eine Freude für die besorgten Seinigen, ihn bei Rückkehr ins Hotel, dort wohlgemut

(80 ≡)

wieder anzutreffen. Er hatte, als er sich allein sah, und wohl des Umhergehens müde, die Rückfahrt nach Kassel einem längeren Verweilen vorgezogen. Am Morgen des zweiten Tages wurden die Sehenswürdigkeiten der alten kurhessischen Residenz gemeinsam besichtigt, und bot dabei die herrliche Aussicht von der Terrasse des hoch über dem Fuldatale gelegenen Felsenkellers einen besonderen Genuß. Nach dem Mittagsmahle schlug die Scheidestunde. Ludwig blieb die kommende Nacht in Wetzlar und nahm folgenden Tages den Vater als lieben Gast mit nach Kinzigheim. — Chr. Spamer verfolgte auf dem Gutshofe stets mit Interesse die landwirtschaftlichen Arbeiten, den Stand der Felder und Früchte seines Sohnes, und machte diesmal mit demselben zwei Wagenausfahrten, nach Marienborn zu der verwandten Familie Koch und nach Wilhelmsbad. Am 30. Juni holten Vater und Sohn die Tochter und Schwester Minchen, welche ihren Otto, zum Lehreintritt bei dem Bankhause Nikolaus Schmidt, nach Frankfurt geleitet hatte, vom Bahnhofe Hanau nach dem Hofe ab, und entführte diese, nächsten Tages, den Vater wieder nach Wetzlar. — Vom 6. bis 17. August verweilte Anna von Düsseldorf mit ihrem kleinen Ludwig, und vom 14. bis 16. auch Ludwig von Kinzigheim bei den Wetzlarer Lieben. — Bald nachher zog dann im Hause Kellner neue Freude ein durch die Verlobung der beiden ältesten Kinder Julius und Anna. Adele Müller von Düsseldorf, die Braut des Julius, wie auch Annas Verlobter, Dr. chem. Hans Wiesinger, gewannen das Gefallen Chr. Spamers, und war Wiesinger von seinem damaligen Wohnsitze Fechenheim aus ein häufiger Besuch im Hause seines Bräutchens. - Eine Reise nach Ilsede oder Düsseldorf lehnte der Vater fürs laufende Jahr ab, weil man mit einem zweimaligen Zusammensein darin zufrieden sein müsse. — Zum Enkeltöchterchen Klärchen, welches ihm am 2. Dezember in Ilsede erschien, wünschte er Glück, und lud die Mutter herzlich ein, zur Lichtmesse des folgenden Jahres, bei seinem Geburtstage, nicht fehlen zu wollen. — Seine letzten Zeilen aus dem Jahre 1881 nach Ilsede, vom 19. Dezember, schließt er mit folgendem Reim:

„Ich will Euch gern bescheeren;
Die Kasse ist nicht stark
Und kann nicht mehr entbehren,
Als nur zweihundert Mark!
Das Christkind.“

Der erste Tag des neuen Jahres 1882 brachte für Chr. Spamer eine große Freude durch die Verlobung seines Sohnes Ludwig mit Fräulein Marie Klingspor in Wetzlar, welche Verbindung schon längst der sehnliche Wunsch des Vaters gewesen war. Seitdem er die nun­mehrige Braut als kleines Mädchen zum ersten Male gesehen, hatte sie ihm wegen ihrer an­ziehenden Lieblichkeit, Geradheit und Freundlichkeit wohl gefallen, und, so oft er sie seitdem gesehen, hatte ihr Anblick und Umgang ihn von neuem erfreut. So gestaltete sich auch die Feier des 2. Februar, an welcher drei Ehe- und drei Brautpaare als Kinder und Enkel den neunundsiebzigjährigen Jubilar umgaben, zu einer besonders fröhlichen. Der Gefeierte las dabei einen auf die drei Brautpaare gedichteten Toast vor mit folgenden Worten:

„Ihr lieben Freunde wünscht mir Glück
Zu meinem Jahrstag heute!
Ich gebe Euch den Wunsch zurück
Mit Herzensdank und Freude!
Wie sollte ich mich auch nicht freu'n
In unser'm traulichen Verein!?
Und immer enger schließen noch
Sich unsre Freundschaftsbande!
Wir werden ja in Kurzem doch
Aus Freunden Anverwandte! —
Das war's, wonach ich längst gestrebt!
Und, Gott sei Dank! ich hab's erlebt!
(81 ≡)
Die Eltern sind ja stets bemüht,
Der Kinder Glück zu gründen;
Und müssen, wenn dasselbe blüht,
Ihr eig'nes darin finden;
Der lieben Kinder Freud und Leid
Ist das der Eltern allezeit.
Was ist das höchste Glück der Welt? —
Wenn zwei getreue Seelen,
Die Liebe fest zusammen hält,
Einander sich vermählen.
Dies Glück vergeht nicht mit der Zeit;
Es geht mit in die Ewigkeit.
Drum müssen Eltern dieses Glück
Auch ihren Kindern gönnen,
Und wünschen, seinen Augenblick
Erleben noch zu können;
Erst wenn sie gut vermählt sie wissen,
Kann sich ihr Auge ruhig schließen.
Ich hatte nun noch einen Sohn,
Der noch kein Weibchen hatte;
Ich wünscht' ihm längst ein solches schon,
Und daß er wäre Gatte;
Fehlt nicht dem Manne ohne Weib
Der allerliebste Zeitvertreib? —
Wie lang ward Adam schon die Zeit
Im Junggesellenstande? —
Er hing den Kopf wie nicht gescheidt,
Bis er die Eva fande;
Er warf auf sie den ersten Blick,
Und unaussprechlich war sein Glück.
Mein Ludwig, Hans und Julius,
Die nahmen dies zu Herzen;
Und jeder faßte den Entschluß,
Sein Glück nicht zu verscherzen;
Zu ihrem Ev'chen wählten sie
Adele, Anna und Marie.
Sie sind im Herzen überzeugt
Von ihrem großen Glücke;
Und wenn es auch ihr Mund verschweigt
So sagen's ihre Blicke;
Und ihre Bräutchen blicken süß,
Als wären sie im Paradies.
Ein Paar hat eben sich so lieb,
Als wie die beiden andern,
Und jedes will aus diesem Trieb'
Vereint durch's Leben wandern;
Herr! zeige jedem seinen Weg!
Und schütze es auf schmalem Steg!
Wir, Herzenskinder, geben Euch
Den besten Elternsegen:
Geht nur mit Gott, so liebereich
Der Zukunft stets entgegen!
Wenn Euch die Liebe nicht verläßt,
Begeht Ihr stets ein Freudenfest!
Wir Alle wünschen Euch nur Gut's
Durch Euer ganzes Leben!
Und wollen Alle frohen Muth's
Die Gläser jetzt erheben!
Stoßt Alle an! und rufet noch:
„Die sechs Verlobten leben hoch!!!“ —

Auch erfreute der Jubilar an diesem Tage sein neues Töchterchen Marie mit goldner Uhr und Kette, in Begleitung nachstehender Verse:

„Weil ich immer habe mein Vergnügen
An dem kleinen goldenen Mariechen,
Will ich heute ihm zum Angedenken
Diese gold'ne Uhr und Kette schenken.
Zeige stets die Uhr ihm gold'ne Stunden!
Und die Kette, die mit ihr verbunden,
Stets den Bund der Liebe und der Treue,
Dessen ich so herzlich mich erfreue! —“

Am 20. Mai wurden zwei der Brautpaare: Ludwig Spamer=Marie Klingspor und Hans Wiesinger=Anna Kellner in Wetzlar getraut, und fand nach der Trauung im Herzog­lichen Hause ein festliches, frohes Mahl statt, an dem, neben vielen anderen Angehörigen der jungen Paare, Chr. Spamer und seine Kinder, mit Ausnahme der bei einer erkrankten Schwester weilenden Hermine, alle teilnahmen.

Nachdem Ludwig und Marie von ihrer Hochzeitsreise nach dem Süden zurückgekehrt und daheim völlig eingewohnt waren, erhielten sie am 12. Juli den Besuch des Vaters. Im folgenden Monat fuhr letzterer, in Begleitung Minchens, von Wetzlar zu den Hüttenleuten in Groß-Ilsede. Nach Minchens Heimkehr langte Anna von Düsseldorf zum Besuche bei Vater und Geschwistern in Ilsede an, und wurde während ihres Bleibens eine gemeinsame Fahrt zu vier nach Harzburg und dem dortigen Burgberg ausgeführt. Anfangs Oktober, nach frohem Zu­sammensein und Annas Heimfahrt, kehrte Chr. Spamer wieder zur alten Reichsstadt an der Lahn zurück. — Im Laufe des Dezember machte ihm das Kinzigheimer Ehepaar seinen ersten Besuch, und begleitete Ludwig den Vater nach Hermannstein, um in gewohnter Weise bei Abnahme der Pachtfrucht behilflich zu sein.

Im Jahre 1883 wurde der Geburtstagsfeier Chr. Spamers die Hochzeitsfeier seines Enkels Julius Kellner angeschlossen, und da letztere in Düsseldorf, dem Wohnorte der Braut, stattzufinden hatte, sah der 2. Februar den Vater, seine Söhne und Töchter, wie auch seine Wetzlarer und Düsseldorfer Enkel im Hause Groos vereinigt. Am folgenden Tage ward die Hochzeit des jungen Paares festlich begangen. — Wenn Chr. Spamer auch an beiden Festen gerne in seiner freundlichen Weise teilnahm, so unterlag die Stimmung des nunmehr Achtzig­jährigen leider doch einer sichtlichen Trübung, welche wohl seinem fortschreitenden Alter zuge­schrieben werden mußte. Indes ging zur Freude der Seinigen diese betrübende Erscheinung in kurzer Zeit wieder vorüber. Am 7. März schrieb er in einem Briefe an seine Tochter Hermine: „Ihr wünscht zu erfahren, wie ich mich befinde, und ich sage Euch: Besser, viel besser, als Ihr mich in Düsseldorf gesehen habt. Dort lag, wie Du bemerkst, ein schwerer Druck auf meiner Seele, von dem ich aber jetzt nichts mehr spüre; und weil ich von ihm befreit bin, hoffe ich auch auf dem Wege der Besserung weiter fort zu schreiten: deswegen macht Euch um mich keine Sorgen.“ — Am 24. Mai kam sein erstes Kinzigheimer Enkelkind, die kleine Else Spamer zur Welt. Er, wie auch sein Sohn Hermann, wurden zu Paten derselben gebeten und reiste der Vater bereits am 5. Juni ins Heim der jungen Eltern ab. Einen Monat später ging die Tauffeier der Kleinen, zu welcher auch Oheim und Tante aus Ilsede erschienen waren, in vergnügter Weise vor sich. — Von hier begleitete der Vater, einer früheren, lieben Zusage gemäß, seine Kinder Hermann und Hermine nach Ilsede. Die Fahrt ging zunächst, und zwar in freundlicher Gesellschaft Ludwig Spamers und Otto Kellners, nach dem Niederwalddenkmal und Bingen, von wo die drei Ilsede-Reisenden anderen Tages auf dem schönen Rhein zu Tale fuhren und in Rolandseck ausstiegen. Dort wurde Nachtquartier genommen und am dritten Reisemorgen zuerst der Rolandsbogen erstiegen und dann nach Königswinter, wo Emil und Anna von Düsseldorf eintrafen, übergesetzt. Ein frohes Zusammensein mit ihnen auf dem Drachenfels und später auf der Veranda des am Rhein gelegenen Gasthauses währte bis zur Abendstunde. Der vierte Tag brachte die drei Ilseder, ohne weitere Unterbrechung, an das Ziel ihrer Reise. — Während des nun folgenden Aufenthaltes auf der Hütte hatte der Vater sich guten Wohlseins zu erfreuen. Er nahm gerne Teil an Ausflügen nach Hannover und Braunschweig, und hatte viele Freude an dem kleinen, munteren Klärchen, welches gleichfalls bei seinem lieben „Upapa“ gerne verweilte. Auch konnten die unruhigen Gedanken, welche ihm zuweilen die in Aussicht stehende Neuverpachtung des Hermannsteiner Pfarrgutes bereitete, durch eingehende Besprechungen zerstreut werden. — Leider

(83 ≡)

kehrte aber im November wieder eine gedrückte Stimmung bei ihm ein, und seine brieflichen Mitteilungen wurden spärlicher. Hierüber schreibt er am 24. November nach Ilsede: „Nehmt mir auch nicht übel, daß ich Euch so lange Zeit gar nicht geschrieben habe! Dies geschah nicht aus Mangel an väterlicher Liebe zu Euch, sondern wegen des niederdrückenden Gefühls der schnellen Abnahme meiner Körper- und Geisteskräfte, durch welches sich meine frühere heitere Gemütsstimmung verlor, ohne die man auch zum Briefschreiben nicht aufgelegt ist. Es ist ja natürlich und ich murre auch nicht darüber, daß der Achtzigjährige an Körper und Geist, an allen Sinneswerkzeugen immer schwächer wird; aber es ist darum doch nicht angenehm für ihn, wenn er nicht mehr hört oder versteht, was andere in seiner Nähe sprechen; oder wenn er das Gehörte und Erlebte bald nicht mehr weiß; oder wenn er das, was ihm vorher leicht ward, nur schwer oder gar nicht mehr tun kann, wie es mir jetzt ähnlich mit dem Schreiben ergeht.“ Doch sagt er im weiteren Verlaufe des Briefes, daß das gemeinschaftliche Bestreben aller seiner Kinder, ihn heiterer zu stimmen, auch wieder eine bessere Stimmung der Saiten seines Gemüts zur Folge gehabt habe. — Die Neuverpachtung des Hermann­steiner Pfarrgutes führte er im September aus, ließ aber die Abnahme und Verwertung der später gelieferten Pachtfrucht diesmal durch Pfarrer Engel in Hermannstein besorgen. — Am 25. Dezember dankte der Vater in einer lieben Karte für die ihm dargebrachten Weihnachtsgaben, nachdem er selbst in Mitte des Jahres jedem seiner Kinder zweihundert Mark zum Geschenk gemacht hatte. — Zum väterlichen Geburtstage des Jahres 1884 waren die Geschwister wiederum in froher Runde um den lieben Jubilar vereinigt, der, wenn auch die Beschwerden des Alters ihn nicht mehr verlassen wollten, doch in heiterer Stimmung unter ihnen war. Besonders erfreute ihn noch Gesang und Klavierspiel, wie auch ein Solospiel im Familienkreise. — Eine Geschwulst am linken Fuße, welche ihn belästigte, verlor sich durch Einreibungen im Laufe des Frühjahrs wieder. Am Geburtstagsfeste hatte der Vater seinen Kindern diesmal je tausend Mark zum Geschenk gemacht. — Als Ende Juli Hermann und Hermine, welche mit ihren Düsseldorfer Geschwistern eine Reise ins Berner Oberland unternommen hatten, auf ihrer Rück­fahrt in Wetzlar Rast machten, gab der Vater ihrer Bitte, sie nach Ilsede zu begleiten, freundlich nach, wenn ihm der Entschluß zur Reise auch nicht mehr leicht ward. Die Beschwerde der langen Eisenbahnfahrt zu mindern, blieben die Reisenden einen Tag in Kassel und besuchten auf einer Wagenfahrt im Sonnenschein wiederum gerne den schönen Park um Wilhelmshöhe. — Im August trafen auch Minchen und ihre Lina zum Besuch auf der Hütte ein. In seinem Verlaufe ward eine gemeinschaftliche Fahrt nach Braunschweig ausgeführt, wo zu den fünf Ilsedern sich noch gesellten Otto Kellner, von einer Reise nach Goslar kommend, und Herminchen Spamer, die zur Zeit in Braunschweig eine Pension besuchte. In Holst's Garten und später im Wilhelmsgarten, wo eine Zigeunerkapelle spielte, war die Gesellschaft vergnügt zusammen. Noch in demselben Monat kehrte der gerne noch länger festgehaltene Wetzlarer Besuch wieder nach Hause zurück, von den Hüttenleuten noch bis Hannover begleitet. — Kurz nachher stattete Anna von Düsseldorf mit ihren drei Söhnen einen lieben Besuch in Wetzlar ab. — Nachdem schon am 8. Juni für Chr. Spamer in Wetzlar ein Urenkeltöchterchen, die kleine Anna Wiesinger, angekommen war, wurde ihm am 18. November durch die Ankunft seines ersten Kinzigheimer Enkelsohnes, Ludwig Spamer, eine große Freude zu teil. — Leider jedoch empfand er in jenem Monat wieder in stärkerem Grade Beschwerden des Alters. In seinem am 28. November nach Ilsede gerichteten Briefe schreibt er auf Herminens Anfrage nach seinem Befinden: „Ihr kennt ja meine leiblichen und geistigen Altersschwächen und Gebrechen: der Kopf will nicht mehr klar denken, der Mund nicht mehr gerne reden, die Hand nicht schreiben, die Ohren wollen nicht recht hören, die Füße nicht mehr gehen, das Gedächtnis will nichts behalten, der Atem geht zuweilen kurz und

(84 ≡)

beschwerlich, auch Schlaflosigkeit und Krämpfe stellen sich bisweilen ein; dies Alles ertrage ich mit Geduld, und bin meist auf meiner Stube, wo ich lese. Wenn Du mir nun da Euer liebes, liebes Klärchen zur Gesellschafterin brächtest, wie würde mich das freuen und zerstreuen! Welches Plaisir für mich, wenn ich das liebliche Gesicht des theueren Kindes und alle seine zierlichen Bewegungen und Beschäftigungen sehen und seinen Gesang von dem kohlpechrabenschwarzen Mohr hören könnte! Leider aber werde ich die herzige junge Sängerin hier sobald noch nicht hören und sehen, weil sie erst am 2. Dezember in ihr viertes Lebensjahr eintritt, zu welchem ich ihr hiermit zugleich von Herzen gratulieren und alles Gute wünschen will, was ihr ihre treuen Eltern wünschen werden.“

Da bereits im Frühjahr 1883 das junge Ehepaar Julius und Adele Kellner, und zu Anfang des folgenden Jahres auch Hans und Anna Wiesinger ihren Wohnsitz in Wetzlar auf­geschlagen hatten, so war der Verkehr im Hause Kellner und um Chr. Spamer ein recht lebhafter geworden; ein Umstand, welcher dazu beitrug, daß es zur Zeit seines Geburtstages auch im Jahre 1885 recht munter und vergnügt zuging. Außer Marie, welche durch ihren Jüngstgeborenen in Kinzigheim festgehalten wurde, waren alle Kinder mit ihren Ehegatten um den lieben Vater versammelt, und traten dadurch für ihn die Schwächen seiner hohen Jahre mehr in den Hintergrund zurück. — Auch sendet er zum 15. Februar und 9. März noch schriftliche Geburtstagswünsche für Hermine und seinen Enkel Karl nach Ilsede; sie waren aber leider die letzten Zeilen, welche von seiner Hand dort angekommen sind. Ihr Wortlaut möge darum hier wiedergegeben werden:

„Zum 15. Februar 1885.
Liebe Hermine!
Was Dich froh und glücklich machen kann,
Finde stets auf Deiner Lebensbahn!
Alle Deine Lieben und Getreuen
Werden dann sich herzlich mit Dir freuen.
Möge Gott, um seiner Liebe willen
Diesen meinen Wunsch an Dir erfüllen!
Und Du selber magst mir freundlich grüßen
Alle, welche hoch Dich leben ließen!
Dein Vater Christian Spamer.“
„Zum 9. März 1885.
Lieber Karl!
Das reinste Glück, das Gott verleiht auf Erden,
Das lasse er auch dir zu Teile werden!
Und lasse mit Dir alle Deine Treuen
Von ganzem Herzen sich darüber freuen!
Mit herzlichem Gruß und Kuß an Euch Alle
Dein Großvater
Christian Spamer.“

Gerne hätte er noch ferner diese Liebeszeichen gespendet, fand sich aber dazu außer Stande, und bat nun Minchen vor jedem Geburtstage seiner auswärtigen Kinder und Enkel, für ihn seine Glückwünsche zu übermitteln.

(85 ≡)

Am 23. Mai fuhr Chr. Spamer in Begleitung seiner beiden Wetzlarer Enkeltöchter, Anna und Lina, nochmal auf den Kinzigheimer Hof, um seine Lieben, und besonders seinen jüngsten Enkel Ludwig, dort zu sehen. Er kehrte aber schon nach einer Woche, von seinem Sohne Ludwig begleitet, nach Wetzlar zurück, wo auch Hermann, eine Reise nach Bingen unterbrechend, zu kurzem Zusammensein eintraf. Zu einer Fahrt nach Ilsede oder Düsseldorf fühlte der Vater sich leider nicht mehr kräftig genug. So schwer es ihm auch ankam, mußte er doch die dahin gehenden Bitten ablehnen. Und so erfreuten ihn Ludwig mehrfach, Anna im August, Emil im November auf einige Tage mit ihrem Besuche in Wetzlar. Minchen suchte stets in treuer Liebe den Vater aufzuheitern und bewog ihn, sich an nahen Spaziergängen, wie an Aus­fahrten nach Hermannstein und Blasbach zu beteiligen. Wenn ihm dies nun auch stets wohl bekam und auch sein Aussehen ein gutes war, so belästigten ihn doch in wechselndem Grade die schon im Vorjahre aufgetretenen Beschwerden. Dazu kam eine größere Schwäche in den Füßen und Unsicherheit beim Gehen, welche ihm das Treppensteigen und jeden Ausgang er­schwerten. Auch die Pfeife, seine vorher ungern vermißte Begleiterin, fand jetzt nur mehr seltenen Gebrauch. So wurde das Leben des lieben, guten Greises immer stiller und verlief, wenn nicht durch Besuch eine besondere Anregung kam, meist in seinem Zimmer bei Lektüre. — Seinen vier Kindern hatte er im Laufe dieses Jahres je vierhundert Mark übergeben. —

Zur Feier des 2. Februar 1886 hatten sich Hermann und Hermine von Ilsede, Ludwig vom Kinzigheimer Hofe und von Düsseldorf Anna mit ihrem damaligen Pflegetöchterchen Herminchen Spamer bei Vater und Geschwistern in Wetzlar eingefunden. Emil und Marie waren leider verhindert, die Kinder aus dem Hause Kellner aber alle zugegen. Inmitten der ihn froh Umgebenden war auch Chr. Spamer heiterer Stimmung; namentlich erfreute er sich, wie im Vorjahre, am vierhändigen Klavierspiel seiner Töchter Anna und Hermine, wie an dem schönen Gesang seiner Enkelin Adele Kellner. Auch beschenkte er wiederum seine Kinder mit je dreihundert Mark, welche Gaben er gerne vorher in Gold bereit legte. — Doch wurde bei den Befürchtungen, welche die zunehmende Schwäche des Dreiundachtzigjährigen erwecken mußte, der Abschied zwischen Vater und Kindern diesmal ein besonders bewegter. — Leider waren diese Befürchtungen auch nicht unbegründet. Zwar lautete die Nachricht, welche Minchen am 10. April nach Ilsede gelangen ließ, noch nicht bedenklich in den Worten: „Vater geht es ziemlich gut, doch waren seine Füße wieder mehr geschwollen. Ich machte ihm ein Fußbad und rieb ihn dann hauptsächlich um die Reihen und Knöchel mit Franzbranntwein ein; Tags darauf rieb ich ihn nochmals ein und sah man schon nach dem ersten Einreiben, daß die Geschwulst gefallen war. Vater legt seine Füße jetzt mehr hoch, doch will ich ihn nachher nochmal einreiben.“ Doch folgte schon drei Tage später eine Karte Julius Kellners mit dem Besorgnis erregenden Inhalte: „Heute Mittag überfiel auf der Treppe beim Heruntergehen den Vater eine arge Schwäche, so daß er allein nicht weiter konnte. Minchen und ich brachten ihn zu Bett, ließen heizen und den Doktor holen, welcher eine Luftröhrenentzündung konstatirte, nicht eben bedenklich, abgesehen freilich vom hohen Alter. Anna in Düsseldorf habe ich nahe gelegt, ob sie nicht vielleicht mal kommen will. Bei Veränderung erhälst Du sofort Nachrichten.“ — Und am 14. schrieb Minchen wieder: „Vater ist heute wieder viel klarer, teilnehmender, und kann sich selbst wieder etwas aufrichten im Bett; ich meine, es geht ihm entschieden besser, als gestern. Dr. Herr sagt, der Schleim sitzt noch fest, er muß mehr lösende Medizin nehmen; bei Vaters Alter könne man immer noch Befürchtung haben.“ — Da in den nächsten Tagen mit Phantasieren verbundenes starkes Fieber eintrat, wurden noch Dr. Ploch und Professor Dr. Riegel von Gießen zugezogen, die aber, wegen des hohen Alters des Kranken, nur Besorgnis äußerten. — Hiervon telegraphisch benachrichtigt, eilte, wie zuvor schon Ludwig und Anna, auch Hermann an das Krankenbett des

(86 ≡)

Vaters und wurde von ihm, den das Fieber verlassen hatte, wieder klaren Geistes und mit noch kräftigem Händedruck empfangen. Die gerne noch festgehaltene Hoffnung auf fernere Erhaltung des teueren Lebens mußte aber leider, bei der immer zunehmenden Schwäche des Körpers und der zeitweise sich einstellenden Benommenheit des Bewußtseins, schwinden und der Erkenntnis des gewissen Verlustes Raum geben. In den Stunden klaren Bewußtseins trat das Nachlassen in den Lebensfunktionen auch deutlich vor die Seele des Kranken; einmal bedrängte ihn, wie er klagte, die Furcht vor dem nahenden Tode, und in seinem Ausrufe: „Herr, nimm mich mit!“ lag seine Bitte um ein Ende des peinlichen Hinsterbens. Lange Tage jedoch widerstand noch die kräftige Natur ihrer Auflösung. Hermann mußte nach zehntägigem schmerzlichen Verweilen wieder nach Hause zurückkehren, während Anna sich noch ferner an der Pflege des lieben Vaters, zu welcher Emil einen tüchtigen Heilgehilfen von Düsseldorf geschickt hatte, beteiligen konnte. Sie sandte auch, nach Hermanns Abreise, zwei Karten nachstehenden Inhalts nach Ilsede:

Wetzlar, den 27. April 1886.

Gestern Abend dachten wir, das Ende käme, so setzte der Atem aus; ebenso war dies in der Nacht einmal der Fall. Jetzt liegt Vater so ruhig und friedlich, wie gestern. Er kennt eigentlich nur Minchen, und freut sich, wenn es kommt; ist aber fast immer in traumhaften Phantasien, jedoch ruhig, sein Blick oft vergnügt in die Ferne gerichtet. Man wird immer noch einige Tage gefaßt sein müssen; wenn er nur so schmerzlos und ruhig bleibt! Er meinte heute Morgen, daß er die Nacht ganz gut geschlafen habe, fragte auch, was hat der Arzt gesagt? Oft spricht er unverständlich und thut es einem dann leid, ihn nicht verstanden zu haben. Der Schleim ist natürlich recht störend, der Husten aber immer noch locker.“

„Wetzlar, den 28. April 1886.

Mit dem lieben Vater geht es ziemlich gleich, er ist sehr matt, meist nicht klar, ganz klar überhaupt wohl nicht. Gestern Abend hatte er starkes Fieber und bekam wieder zehn Tropfen Morphium. Herminens Kommen ist in der Beziehung nicht nötig, als sie gegenseitig nichts von einander haben und ich diese Woche noch hier bleiben will. Will sie den Vater gern noch einmal sehen, so kann sie mich jeden Tag ablösen; man weiß nicht, wann es zu Ende geht.“ —

Am folgenden Tage jedoch, dem 29. April, einem Donnerstag, Mittags um 2 Uhr endigte dies langsame Erlöschen des Lebens in einem ruhigen, schmerzlosen Tode. —

Unter der Begleitung seiner vier Söhne, seines Bruders, vieler Verwandten, Freunde und Bekannten wurde die sterbliche Hülle Chr. Spamers am 2. Mai auf dem Friedhofe zu Wetzlar zur letzten Ruhe bestattet. Pfarrer Schöler legte seiner hierbei gehaltenen Rede den Spruch zu Grunde: „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren,“ und ist dieser Spruch, der auf den begnadeten Lebensgang und das hierfür so dankerfüllte Herz des Verstorbenen treffend hinweist, auch auf dem Grabmale wiedergegeben, welches seine Kinder ihm in Liebe errichtet haben.

Chr. Spamer war in der Tat eine besonders begnadete Persönlichkeit. Neben unge­wöhnlicher Körperkraft und schöner männlicher Erscheinung, waren ihm hohe Gaben, zugleich des Verstandes und des Gemütes verliehen. — Seiner in Frohsinn und ernstem Streben ver­brachten Jugend folgte schon frühe eine dreißigjährige, segenbringende Amtstätigkeit, und an diese schlossen sich noch fast 29 Jahre freundlich verlaufenen Ruhestandes an, von welchen nur die drei letzten ihn die Beschwerden des Alters empfinden ließen. In theologischer Hinsicht stand er fest in der Lehre Christi und war von der göttlichen Wahrheit derselben durchdrungen, lehnte es aber ab, Hinzugefügtes, soweit es seiner Vernunft widersprach, als Dogma anzuerkennen, und

(87 ≡)

bildlich ausgedrückte Bibelstellen ihrem Wortlaute nach für wahr zu halten. Er selbst hat am 29. April 1861 als seine theologische Ansicht folgendes niedergeschrieben:

„Wer ist der wahre Christ?
Du Rationalist? —
Hältst Jesum Du für Gottes Sohn,
Glaubst fest an seine Mission,
Und fehlt es Dir an Wärme nicht,
So leuchtet Dir das wahre Licht!
Irrationalist!
Bist Du der rechte Christ?
Sei noch so warm in Deiner Zunft,
Du glaubst und lehrst die Unvernunft,
Und schließest dem den Himmel zu,
Der nicht auf's Jota glaubt, wie Du!
So fromm die Augen Du verdrehst,
Weil Haß Du statt der Liebe sä'st,
Kannst Du bei noch so heil'gem Schein
Ein wahrer Christ unmöglich sein!
Nur wo sich Licht und Wärme eint,
Die wahre Sonne Christi scheint!! —“

In seinem Familienleben hat Chr. Spamer neben hohem Glück auch tiefes Leid erfahren. Drei innig geliebte und verehrte Frauen, zwei Söhne und zwei Töchter verlor er in dem kurzen Zeitraume von vierundzwanzig Jahren, und schon in seinem siebenundvierzigsten Lebens­jahre wurde er zum drittenmale Witwer. — Doch trug er an die Dahingeschiedenen, zeit seines Lebens, ein treues, liebevolles Andenken im Herzen; ja er lebte in Gedanken mit seinen ver­klärten Frauen fort. In den drei Rosen kleidete er seine Erinnerungen an sie in schöne, innig empfundene Poesien, an den Geburtstagen gedachte er ihrer in Versen treuen Angedenkens und schmückte ihre Bilder mit Blumen. Oft erschienen sie ihm in freundlichen Träumen und, wie er auf ein Wiedersehen mit ihnen fest vertraute, so nahten sie ihm auch in den traumhaften Gesichten seines Sterbelagers. — Den überlebenden Kindern wird er, mit seinem männlich edelen Charakter, seinem heiteren Gemüt und treuen, liebereichen Herzen, für immer das beste Vorbild und ein fester Hort ihrer Liebe und Verehrung bleiben.

Will man zuletzt noch einen Rückblick werfen auf die finanziellen Mittel Chr. Spamers, soweit er dieselben seinen Kindern zur Ausbildung außerhalb des Elternhauses, zur Aussteuer und als Vermögensabgabe in Geld und Wertpapieren zugewendet, bezw. hinterlassen hat, so ergibt sich, in Markrechnung aufgestellt, folgendes Gesamtbild:

1. Ausgaben für Karls Ausbildung und Studium

Mk.    6.395,—
2. Ausgaben für Ausbildung, bezw. Studium, und Ausstattung für Hermann, Minchen, Ludwig und Anna (Einzelbeträge in Obigem

zu ersehen)

Mk.   54.625,—
3. Vermögensabgabe in 1872, bei welcher eine Gleichstellung der vier Kinder erfolgte Mk. 100.900,—
4. Geldgeschenke in den Jahren 1875 bis 1886 an die vier Kinder zu gleichen Teilen Mk.   27.712,—
5. Nachlaß Chr. Spamers an Geld und Wertpapieren Mk.   37.678,—
-----------------------
Mk. 227.310,—
(88 ≡)

Zieht man von dieser Summe die Ausgabe für den schon 1855 verstorbenen ältesten Sohn Karl ab, so entfallen auf jedes der vier überlebenden Kinder, als Aufwendung und Vermögensanteil, Mk. 55 229.—. Bei der, zu Chr. Spamers Zeit, auf nur etwa Mk. 1800 veranschlagten Besoldung der Pfarrei Hermannstein, wäre demselben, auch bei der stets geübten Sparsamkeit, die Ansammlung eines solchen Vermögens nicht möglich gewesen, wenn ihn nicht die Hinterlassenschaften seiner Eltern und Schwiegereltern, und zwar überwiegend diejenige seiner Schwiegereltern Dornemann, hierbei erheblich unterstützt hätten.

Familie Dornemann.

Als Vorfahren der Katharina Dorothea Dornemann, Chr. Spamers in Hermannstein erster Frau, sind bekannt:

Der Großvater Joh. Gottfried Dornemann, Papierfabrikant in Kesselbach bei Londorf, auf der Rabenau, geboren am 24. August 1731, gestorben am 13. März 1824, im Alter von 92 Jahren 6 Monaten 18 Tagen. Er hatte elf Kinder, worunter ein Zwillingspaar. Die Eltern: Friedrich Jakob Dornemann, das vierte Kind des Vorgenannten, Papierfabrikant in Kesselbach, geboren am 9. März 1774, gestorben am 16. Mai 1839; und Anna Dorothea Rühl, geboren in Schotten am 20. März 1784, als Tochter des Bürgers und Metzgermeisters Johann Konrad Rühl daselbst, geboren am 20. Januar 1749 in Schotten, gestorben am 30. April 1831 in Kesselbach (über 82 Jahre alt), und dessen Ehefrau Eva Gertraud Bechtold, geboren am 11. November 1751, gestorben am 25. Mai 1803 in Schotten. Die Geschwister von Katharina Dorothea Dornemann, ihr an Geburtsalter folgend, waren: Christiane Elisabethe Dornemann, geboren 16. Oktober 1807, gestorben 2. September 1834, Gottfried Dornemann, geboren 5. August 1811, gestorben 6. April 1813, Georg Wilhelm Dornemann, geboren 21. April 1818, gestorben 21. Februar 1855, Christian Dornemann, geboren 15. November 1822, gestorben 1. Dezember 1825. — Katharina Dorothea ist auf dem Friedhofe in Hermannstein, ihre Eltern und Geschwister, sowie ihr Großvater Rühl, sind auf dem Friedhofe in Londorf zur Ruhe bestattet.

Ihre Mutter Anna Dorothea, eine kräftige, kernige Frau, starb, als die letzte der Familie, am 11. Mai 1861 auf der Papiermühle in Kesselbach, an der Lungenentzündung, im Alter von 77 Jahren 1 Monat und 21 Tagen. Sie mußte ihren Mann, alle ihre Kinder und Enkel vor sich hinsterben sehen, kein Nachkomme ist ihr geblieben. Von dem vielen Leid, das sie dieserhalb getragen, sagt noch der auf ihrem Grabsteine stehende Spruch aus den Klageliedern, Kap. 1 Vers 12: „Euch sage ich allen, die ihr vorüber gehet: Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei, wie mein Schmerz, der mich betroffen hat.“ —

Familie Emmelius.

Von der Familie Emmelius, welcher die zweite und dritte Frau Christian Spamers in Hermannstein, Wilhelmine und Karoline, angehörten, liegt ein, von meinem Vetter Louis Emmelius aufgestellter, Stammbaum vor und ist in meinem Besitz, welcher bis zum 16. Jahrhundert zurück geht, und auf welchen ich bezüglich der Familienverzweigung verweise. Hier mögen nur die Ehepaare der direkten Voreltern von Geschlecht zu Geschlecht folgen:

1. Johannes Emmelius, Regierungsrat in Braunfels, um 1550, und Elisabethe von Pappenheim, geboren zu Wölfersheim;
2. Nikolaus Emmelius, Inspektor und Hofprediger in Greifenstein, geboren 1586, gestorben am 30. November 1668, im Alter von 82 Jahren, und Anna Margarethe Pfeffers von Grüningen; eingesegnet am 14. Juli 1644;
3. Joh. Jakob Emmelius, Pfarrer in Fleißbach bei Herborn, getauft am 25. September 1646, gestorben im Jahre 1691, und Katharina Boerberg von Dillenburg;
4. Joh. Justus Petrus Emmelius, Präzeptor in Nieder-Girmes, getauft am 17. Januar 1683, gestorben am 10. Februar 1760, und Elise Margaretha, gestorben am 22. November 1747;
5. Joh. Daniel Emmelius, Kommerzienrat in Rotterdam, später in Aßlar, geboren in Nieder-Girmes am 20. Oktober 1718, gestorben am 27. April 1781; 62 Jahre 8 Monate 9 Tage alt, und Susanne Henriette Karoline, geborene Emmelius in Aßlar, gestorben am 25. Januar 1806;
6. Ludwig Ernst Emmelius, Kreisbürgermeister zu Aßlar, geboren am 5. Februar 1776, gestorben am 11. April 1843, vermählt am 23. November 1803 mit Justine Philippine, geborene Remy aus Grenzhausen[9], geboren am 24. Januar 1780 daselbst, gestorben am 29. Januar 1848 in Aßlar.

Diese waren die Eltern von Wilhelmine und Karoline Emmelius, der 2. und 3. Frau Christian Spamers.

Die Geschwister dieser Frauen waren folgende:

Marie Henriette Wilhelmine Emmelius, geboren am 24. September 1804, verehelicht mit Ludwig Steinberger, Hofgerichtsadvokat in Gießen, geboren am 10. Juli 1800 in Hermannstein, gestorben am 24. April 1864 in Gießen;

Louis Emmelius, Kreisrichter in Neuwied, geboren am 29. Januar 1808 in Aßlar, gestorben am 16. September 1857 in Gießen;

Wilhelm Emmelius, Landwirt in Aßlar, geboren am 10. April 1812, gestorben am 4. Oktober 1843 in Aßlar;

Joh. Karl Emmelius, Zigarrenfabrikant in Gießen, geboren am 11. Juli 1818, gestorben am 5. Mai 1876 in Gießen, vermählt am 1. Juni 1849 mit Sophie Luise Friederike Remy, geboren am 3. Februar 1827, gestorben am 8. September 1880 in Gießen;

Ferdinand Emmelius, geboren am 3. Februar 1821, gestorben am 31. März 1822 in Aßlar.

Die Eltern der Mutter, Justine Philippine, geborene Remy, waren Johannes Remy, Handelsmann und Gerichtsschöffe, und seine Ehefrau Anna Maria in Grenzhausen.

Das älteste Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein (aus 1. Ehe) war Johann Friedrich Christian Karl Spamer, Landwirt auf der Papiermühle in Kesselbach bei Londorf, geboren am 25. April 1830, abends 5¾ Uhr, in Hermannstein, getauft am 24. Mai eodem. Taufzeugen waren: Johann Konrad Rühl aus Schotten, z. Z. in Kesselbach (Urgroßvater); Friedrich Jakob Dornemann, Papierfabrikant zu Kesselbach (Großvater), Christian Spamer, Pfarrer zu Crainfeld (Großvater). — Karl Spamer besuchte von 1841 ab das Gymnasium in Wetzlar, von 1846 ab dasjenige in Gießen und bezog nach bestandenem Maturitätsexamen zu Ostern 1851 die Universität Gießen als stud. theologiae. Von Herbst 1852 bis Ostern 1853 studierte er in Heidelberg, kam dann wieder nach Gießen auf die Hochschule zurück und verließ dieselbe Herbst 1854, um sich auf dem Gute seiner Großmutter Dornemann in Kesselbach der Landwirt­schaft zu widmen. Nachdem dort am 21. Februar 1855 sein Oheim Wilhelm Dornemann gestorben war, übernahm er die Bewirtschaftung des Gutes. Leider sollte dies nur für kurze Zeit geschehen sein: am 28. November desselben Jahres stürzte er, auf einem mit Bauholz beladenen Wagen aus dem Walde zurückkehrend, an einer beeisten, schrägen Wegestelle mit dem Wagen um und ward von der schweren, auf ihn fallenden Ladung getötet. Auf dem Londorfer Fried­hofe wurde er zur letzten Ruhe bestattet. Tief betrübte Verwandte und mit ihnen viele seiner Korpsbrüder von der Teutonia in Gießen, der er in Treue und Ehren angehört hatte, folgten trauernd dem Sarge des so früh verblichenen, starken und allgemein geliebten Mannes. Sein

(90 ≡)

Korpsbruder und Studiengenosse Wilhelm Pauli, später Pfarrer und Dekan in Alsheim, widmete ihm folgenden poetischen Nachruf:

„Es ist mir leid um Dich, mein Bruder Jonathan; ich habe große Freude und Wonne an Dir gehabt; Deine Liebe ist mir sonderlicher gewesen, denn Frauenliebe ist. 2. Samuel 1, 26.

So klagte einst ein königlicher Sänger
Als seines Freundes Aug' im Tode brach;
So klag' auch ich, so klag' ich immer länger,
Denk' ich dem Schicksal meines Spamer nach,
Denn er erlag dem Tod in seinen schönsten Tagen,
In früher Jugend wurde er zu Grab getragen.
Von gleichem Streben waren wir durchdrungen,
Nach einem Ziele eilten wir hinan;
In trautem Kreise ward das Band geschlungen,
Und manche Freude teilten wir auf uns'rer Bahn,
Die wir, ach! nur zu kurz zusammen wallten,
Denn Dich begrüßen jetzo edlere Gestalten.
Was Du mir warst, Genosse froher Stunden,
In jener Tage wechselvollem Glück,
Die wir, durch Brudertreue eng verbunden
Zusammen lebten, o denk ich daran zurück:
So netzen Wehmutszähren meine Wangen,
Daß Dich der Tod so frühe mußt umpfangen.
Dein treues Auge glühte stets für Wahrheit,
Es sah sein Glück in seiner Freunde Heil,
Es sprühte Feuer, leuchtete in Klarheit
Und nun ist jäher Tod sein früher Teil.
O, Freund, mit Wehmut denk ich Dein und Trauern,
Daß Dich der Tod so jäh ereilt mit seinen Schauern.
So leb' denn wohl, Du liebe, treue Seele,
So lebe wohl, die Erde sei Dir leicht.
Ich sehe Dich, wenn auf des Herrn Befehle
Die letzte meiner Stunden ist erreicht.
Erinnerung soll Dein Gedächtnis ehren,
Wenn auch vermischt mit herben Abschiedszähren.“

Seit dem 19. August 1856 zeigt ein Marmorkreuz die letzte Ruhestätte Karl Spamers. Sein Leben währte nur 25 Jahre, 7 Monate und 2 Tage.

Das 2. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein (aus 1. Ehe) war Wilhelm Christian Eduard Spamer, geboren zu Hermannstein am 11. August 1832 und getauft am 26. August daselbst. Seine Taufzeugen waren: Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamer, stud. theologiae, aus Crainfeld (Oheim) und Christiane Elisabetha Dornemann, des Papierfabrikanten Friedr. Jakob Dornemann in Kesselbach Tochter (Tante). Nach dem frühen Tode

(91 ≡)

seiner Mutter, im Jahre 1834, nahmen die Großeltern Spamer den zweijährigen Eduard zur Pflege mit nach Crainfeld und gewannen ihn so lieb, daß sie im Mai 1836, als der Vater ihn zurückwünschte, sich nur mit Leid von ihm trennen konnten. Die in Vorstehendem wiedergegebenen Briefe des Großvaters an seinen Sohn in Hermannstein aus den Jahren 1834 bis 1836 sind voll der Freude an dem lieben Enkel. Doch schon am 4. Juli 1837 wurde, zum großen Schmerze seines Vaters und seiner Großeltern, der an Schönheit des Leibes und der Seele besonders begabte Knabe vom Tode ereilt. Er starb, noch ehe er sein 5. Lebensjahr vollendet hatte, in­folge der häutigen Bräune.

Das 3. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das einzige Kind aus der 2. Ehe, war Luise Philippine Christiane Katharina Wilhelmine Spamer, geboren in Hermannstein am 26. November 1836, getauft am 15. Dezember eodem. Ihre Paten waren Ludwig Ernst Emmelius, Kreisbürgermeister in Aßlar (Großvater); Philippine, des Vorigen Ehefrau; Christian Spamer, Pfarrer zu Crainfeld (Großvater) und Katharina Barbara, des Vorigen Ehefrau. Einziges Kind ihrer Mutter Wilhelmine, geborenen Emmelius, überlebte sie dieselbe, welche am 11. Dezember infolge ihrer Niederkunft sterben mußte, nur um 7 Monate und 10 Tage. Schon am 22. Juli 1837 hatte der Vater den Verlust dieses Kindes zu betrauern.

Das 4. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 1. Kind aus 3. Ehe, ist: Wilhelm Christian Eduard Ludwig Philipp Hermann Spamer, Hüttendirektor in Groß-Ilsede, später Rentner in Gießen, geboren am 3. Juni und getauft am 23. Juni 1839 in Aßlar, im großelterlichen Hause, in welchem seine Mutter Caroline, geborene Emmelius, ihre erste Niederkunft erlebte. Pfarrer Niedermayer vollzog die Taufe und waren Paten: Christian Spamer, Pfarrer in Crainfeld; Katharina Barbara, des Vorigen Ehefrau; Ludwig Ernst Emmelius, Kreisbürgermeister in Aßlar; Philippine, des Vorigen Ehefrau (die 4 Großeltern), und Fräulein Elisabetha Emmelius (Großtante). Nachdem seine gute Mutter leider schon am 12. September 1849 sterben mußte, kam Hermann zu Ostern 1850 nach Gießen, in das Haus seines Onkels Steinberger, in die Obhut seiner guten Tante, die Mutterstelle an ihm vertreten hat — zu seiner dortigen weiteren Ausbildung. Er besuchte bis Ostern 1853 das Steinmetz'sche Institut, von da ab das Gymnasium und wurde am 16. Mai 1853 von den Herren Superintendent Fr. Simon und Kirchenrat Dr. Engel in der Stadtkirche zu Gießen konfirmiert. Zu Ostern 1858 bezog er nach bestandenem Maturitätsexamen die Hochschule in Gießen, wo er zur Vorbereitung für das Berg- und Hüttenfach drei Semester naturwissenschaftliche Vorlesungen hörte. Zugleich trat er in das Korps Teutonia ein. Am 12. Januar 1860 ging Hermann, zu seiner praktischen Ausbildung in dem erwähnten Fache, zuerst nach Burbach bei Siegen, und am 1. Oktober von da nach Müsen, Siegen, Ems, Dortmund, Bochum, Essen und Stolberg bei Aachen. Von Herbst 1861 bis dahin 1863 absolvierte er auf der Bergakademie zu Freiberg und von Dezember 1863 bis Juli 1864 auf der Bergakademie zu Leoben in Steiermark seine hüttenmännischen Fachstudien, legte auch gut zensierte Prüfungen in der allgemeinen Hüttenkunde, sowie der Eisenhütten- und der Probierkunde ab. Hierauf kehrte er ins Vaterhaus zurück und holte sich am 28. Juli, in Begleitung seines Vaters und Bruders, bei Frau Luise Vomhof in Burbach die Einwilligung zu seiner Verlobung mit deren Tochter Hermine. Erst nach dreijährigen Bemühungen um eine Anstellung in seinem Fache, und nach Volontärbeschäftigung auf der Josephshütte bei Rottleberode am Harz, der Neuehoffnungshütte bei Sinn und dem Neubrücker Eisenwerk bei Finnentrop, erhielt er am 10. Dezember 1867 die Stelle des technischen Direktors der Bergbau- und Hütten-Aktiengesellschaft Ilseder Hütte zu Groß-Ilsede in der Provinz Hannover. Am 11. Mai 1868 feierten Hermann Spamer und Hermine Vomhof ihr Hochzeitsfest in Burbach im fröhlichen Kreise vieler

(92 ≡)

Verwandten, Freunde und Freundinnen. Hermine Sophie Vomhof ist am 15. Februar 1844 in Burbach geboren; ihre Eltern waren Christian Vomhof, Kaufmann in Burbach, geboren am 10. Dezember 1800 in Burbach, gestorben am 29. Januar 1858, und Luise, geborene Pauly, geboren in Altenkirchen am 15. April 1808, gestorben in Herborn am 1. April 1883. Der Stammbaum der Familie Vomhof, bis zum Jahre 1701 zurückreichend, ist in meinem Besitze und im späteren Verlaufe dieser Schrift auszugsweise mitgeteilt. — Der Ehe von Hermann und Hermine Spamer sind, wie nachstehend berichtet wird, sechs Kinder entsprossen, von denen heute nur mehr vier leben. - Nach 31jähriger Dienstzeit in Groß-Ilsede gab Hermann Spamer seine Stelle auf, zog am 31. Dezember 1898 als Rentner nach Gießen in sein neuerbautes Haus und ward im Frühjahre 1899 von der Generalversammlung in den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft Ilseder Hütte gewählt. Auch wurde ihm nach seinem Abgange von Groß-IIsede der Rote Adler­orden 4. Klasse verliehen.

Das erste Kind Hermann Spamer's ist: Hermine Christiane Luise Spamer, geboren am 30. März 1869 und getauft am 25. April in Groß-Ilsede. Taufpaten waren: Christian Spamer, Pfarrer emeritus in Wetzlar (Großvater) und Luise Vomhof, Witwe des Kaufmanns Christian Vomhof in Burbach (Großmutter). Vom 8. April 1875 bis Ostern 1882 besuchte Hermine die Hüttenschule in Neu-Oelsburg, vom 17. April letztgenannten Jahres ab das Pensionat der Fräulein Müller und die Schule der Fräulein Morich in Braunschweig. Sie trat in die Klasse IIb letzterer Schule ein, wurde Ostern 1883 in die Klasse IIa, Ostern 1884 in die Klasse Ib versetzt, am 20. April desselben Jahres in der Magni-Kirche in Braunschweig von Pastor Clemen konfirmiert, und verließ am 28. März 1885 Schule und Pension. Hierauf verweilte sie zu Hause bis zum 28. September desselben Jahres, an welchem Tage sie zur ferneren Ausbildung in Handarbeiten, Musik und Malerei zu Oheim und Tante Groos nach Düsseldorf ging. Am 21. April 1886 kehrte sie ins Elternhaus zurück. Bereits im folgenden Jahre, am 26. Mai verlobte Hermine sich mit ihrem Vetter Otto Kellner in Wetzlar und wurde am 27. Mai 1889 in der Kirche zu Groß-Ilsede mit demselben getraut. Sie wohnt seitdem in Wetzlar, wo Otto Kellner in das Bankgeschäft seines Vaters Julius Kellner, welchem Geschäft er seit seines Vaters Tode allein vorsteht, eingetreten war. Ihrer Ehe sind entsprossen:

1. Elisabeth Christiane Hermine Wilhelmine Julie Kellner, geboren am 1. Juli 1890, getauft am 20. Juli in Wetzlar; ihre Paten waren die vier Großeltern: Julius Kellner, Bankier in Wetzlar, dessen Ehefrau Wilhelmine, geborene Spamer; Hermann Spamer, Hüttendirektor in Groß-Ilsede und dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof;

2. Anna Caroline Christiane Kellner, geboren am 18. Februar 1895 und getauft am 17. März in Wetzlar. Taufzeugen waren: Anna Groos, Ehefrau des Oberstabsarzts Dr. E. Groos in Düsseldorf (Großtante); Max van der Straeten, Hütteningenieur in Porz am Rhein (Oheim); Karl Spamer, stud. jur. aus Groß-Ilsede (Oheim) und Fräulein Lina Kellner aus Wetzlar (Tante);

3. Hilde Helene Mathilde Caroline Kellner, geboren am 13. Januar 1897 und getauft am 11. März in Wetzlar. Ihre Paten waren: Mathilde Hauzenröder, geborene Spamer, von Mansfield; Fräulein Lina Spamer von Groß-Ilsede (Tante) und Frau Regierungsrat von Rittgen aus Wetzlar. Leider starb die liebe Kleine schon am 21. April 1899 an Gehirnhautentzündung und ward am 23. desselben Monats zur Ruhe bestattet;

4. Margarethe Minna Anna Clara Wilhelmine Kellner, geboren am 12. Juli 1899, getauft am 1. Oktober in Wetzlar. Als Taufpaten waren zugegen: Mina Haberkorn, Ehefrau des Medizinalrats Dr. J. Haberkorn in Gießen; Anna Wiesinger, Ehefrau des Dr. chem. H. Wiesinger; Fräulein Clara Spamer in Gießen (Tante) und Wilhelm Völker, Hütteningenieur in Siegburg (Oheim);

(93 ≡)

5. Otto Ernst Hermann Heinrich Kellner, geboren am 15. Juli 1901, abends 6 Uhr, und getauft am 10. September in Wetzlar. Seine Paten waren: Gymnasialdirektor Neuber von Saarbrücken; Regierungsrat Bödecker von Münster in Westfalen und Rechtsanwalt Schulze von Delitsch.

Das zweite Kind Hermann Spamers war ein Söhnchen, geboren am 20. September 1870 in Groß-Ilsede; dasselbe starb leider schon am 3. Oktober und ward am 6. desselben Monats zur Erde bestattet.

Das dritte Kind Hermann Spamers war: Anna Alwine Luise Spamer, geboren am 12. Juni 1872 und getauft am 18. Juli in Groß-Ilsede. Ihre Paten waren: Ludwig Spamer, Domänenpächter auf Kinzigheimer Hof (Oheim) und Alwine Diehl, geborene Vomhof in Burbach (Tante). Vom 29. April 1878 bis Ostern 1885 besuchte Anna die Hüttenschule in Neu-Oelsburg, ging am 15. April letzteren Jahres in die Pension der Fräulein Müller in Braunschweig und trat in die Klasse IIb der Morich'schen Schule daselbst ein. Ostern 1886 in die Klasse IIa und Ostern 1887 in die Klasse Ib versetzt, wurde sie zu Ostern 1888, am 8. April, in der Magnikirche in Braunschweig von Pastor Clemen konfirmiert und kehrte sodann nach Hause zurück. Am 31. Oktober desselben Jahres wurde sie von ihrer Mutter in das Haus eines Verwandten derselben, des Admiralitätsrats Vogler in Berlin, begleitet, wo sie bis zum 28. März 1889 zu ihrer weiteren Ausbildung in Handarbeiten und Musik verweilte, und kehrte danach nach Groß-Ilsede zurück. — Am 21. August 1890 verlobte Anna sich mit dem Hütteningenieur Max van der Straeten aus Köln, geboren am 7. Juli 1861, und verheiratete sich mit demselben in Groß-Ilsede am 19. April 1892. Das junge Paar schlug seinen Wohnsitz in Porz am Rhein auf, wo Max eine technische Vetriebsstelle als Assistent des Direktors an dem dortigen Hochofen­werke „Adelenhütte“ bekleidete. Leider mußte schon nach kurzer, glücklicher Ehe die liebenswerte, junge Frau bei der Geburt eines toten Knaben, infolge von Herzlähmung, aus diesem Leben scheiden. Der 5. Juli 1893 war ihr Todestag. Am 8. Juli wurde sie mit ihrem Söhnchen auf dem Friedhofe in Melaten bei Köln, in der Familienbegräbnisstätte ihres Mannes beigesetzt, schmerzlich betrauert von ihren Angehörigen und allen, die ihr nahe standen.

Das vierte Kind Hermann Spamers ist: Wilhelm Emil Karl Spamer, geboren am 9. März und getauft am 28. April 1874 in Groß-Ilsede. Seine Taufpaten waren: Frau Betriebsinspektor Emma Rüger, geborene Vomhof aus Deutz (Tante); Frau Bankier Wilhelmine Kellner, geborene Spamer aus Wetzlar (Tante) und Oberstabsarzt Dr. Emil Groos aus Düsseldorf (Oheim). Karl trat am 5. April 1880 in die Hüttenschule zu Neu-Oelsburg und am 29. April 1886 in die Quarta des Gymnasiums zu Celle ein, wurde am 14. April 1889 in der dortigen Stadt­kirche durch Konsistorialrat D. Frommel konfirmiert und bestand zu Ostern 1894 das Maturitätsexamen unter Befreiung von der mündlichen Prüfung. Hierauf bezog er zum Studium der Rechte die Universität Gießen und ließ sich zugleich am 1. April 1894 als Einjährig-Freiwilliger in das 116. Infanterie-Regiment „Kaiser Wilhelm“ einstellen. Ende März 1895 trat Karl als Unteroffizier und mit dem Befähigungszeugnis zum Reserveoffizier aus dem aktiven Militärdienst aus und verließ Anfang August 1896 die Hochschule zu Gießen. Während dieser fünf Semester war er im Korps Teutonia aktiv und bekleidete zwei Semester lang die erste Charge desselben. Am 12. Oktober 1896 bezog er die Hochschule zu Berlin, besuchte dieselbe bis zum 31. Juli 1897, bereitete sich danach in Celle zum Referendarexamen vor und absolvierte dieses daselbst am 9. März 1898, seinem 24. Geburtstagsfeste. Am 28. März zum Gerichtsreferendar ernannt, wurde Karl dem Amtsgericht in Peine überwiesen und am 30. Januar 1899 an das Landgericht in Hannover (Strafkammer I) versetzt. In demselben Jahre, am 1. März, verlobte er sich mit Fräulein Else Scheuch, geboren am 21. März 1880 als Tochter des Schuldirektors Fritz Scheuch

(94 ≡)

und dessen Ehefrau Adolphine, geborenen Brandt in Peine. — Vom 19. Februar 1900 ab arbeitete er an der Staatsanwaltschaft in Hannover und ward am 19. Juni zu den Geschäften des Rechtsanwalts Thomann, sowie des Rechtsanwalts und Notars Dr. Beyer in Göttingen zugelassen. Danach erfolgte am 21. Dezember seine Versetzung an das Amtsgericht in Göttingen und am 1. Oktober 1901 diejenige an das Oberlandesgericht in Celle. Hier am 3. Mai 1902 aus dem Vorbereitungsdienst mit einem guten Zeugnis entlassen, meldete er sich zum Assessorexamen und erledigte die beiden schriftlichen Arbeiten desselben in Göttingen. Am 13. August siedelte er nach Berlin über, zunächst zum Besuch des Cornel'schen Repetitoriums, und sodann zum Eintritt in das mündliche Examen, welches er am 5. November gut bestand. Die hierauf erfolgende Ernennung zum Gerichtsassessor wurde, wegen des durch die Ableistung seines Militärdienstjahres erlittenen Zeitverlustes, vordatiert und zwar auf den 5. März 1902. Zugleich wurde er dem Königlichen Amtsgericht in Hannövrisch-Münden überwiesen. — Am 10. Dezember 1902 wurde Karl Spamer in der Stadtkirche zu Peine von Superintendent Küster mit seiner lieben Else getraut. Der Traurede war, wie s. Z. derjenigen seiner Eltern, der Spruch zu Grunde gelegt: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Der kirchlichen Feier folgte ein schönes Hochzeitsfest. — Nach einem etwa zweiwöchigen Aufenthalte in Berlin verbrachte das junge Paar seine noch übrige freie Zeit bei den Eltern in Peine und Gießen, und siedelte am 8. Januar 1903 nach Münden über. Am 10. Januar trat Karl seinen Dienst auf dem dortigen Amtsgericht an. — Bezüglich seines Militärverhältnisses ist hier noch nachzutragen, daß Karl Spamer am 25. Mai 1896 zum Vizefeldwebel und, mit Patent vom 27. Januar 1899, zum Leutnant der Reserve in der Infanterie ernannt wurde, wonach seine Zuteilung zum 168. Infanterie-Regiment erfolgte.

Das fünfte Kind Hermann Spamers ist: Caroline Emilie Hermine Ida Spamer, geboren am 27. August und getauft am 7. November 1877 in Groß-Ilsede. Ihre Paten waren: Frau Emilie Christ, geborene Vomhof aus Elberfeld (Tante); Frau Ida Vering, geborene Vomhof aus Hannover (Tante) und Hofgerichtsadvokat Hermann Steinberger aus Gießen. — Am 9. April 1883 in die Hüttenschule zu Neu-Oelsburg eingetreten, verließ Lina dieselbe zu Ostern 1890 und kam am 15. April desselben Jahres in die Pension der Frau Pastorin Aßmann zu Braunschweig und in die Klasse IIb der Morich'schen Schule daselbst. Wegen ungünstiger Gesundheitsverhältnisse im Bereich genannter Pension, ward Lina zu Michaelis 1890 nach Celle bei Frau Major Deneke in Pension gegeben und zugleich in die III. Klasse der dortigen höheren Töchterschule aufgenommen. Ostern 1891 in die II. Klasse, Ostern 1892 in die I. Klasse versetzt, wurde sie aus letzterer am Palmsonntag, den 26. März 1893, von Herrn Oberkonsistorialrat Hartwig in der Stadtkirche zu Celle konfirmiert. Sie verblieb sodann zu Hause bis zum 2. Oktober desselben Jahres, an welchem Tage ihre Mutter sie in das Institut des Fräulein Chambordon nach Weimar brachte. Von dort kehrte sie zu Ostern 1894 nach Hause zurück. — Am 3. August 1897 verlobte Lina sich mit Hütteningenieur Wilhelm Völker aus Dresden, geboren in Kreuznach am 13. April 1866, welcher in der Königlichen Geschoßfabrik in Siegburg als technischer Betriebsleiter angestellt war. Das letzte Quartal 1897 verbrachte Lina im Hause von Onkel und Tante Groos in Düsseldorf zu ihrer ferneren Ausbildung in Handarbeiten, und wurde sie am 25. Juli 1898 in der Kirche zu Groß-Ilsede mit ihrem Verlobten getraut. Nach einer Reise über Kopenhagen ins südliche Norwegen kehrten die beiden in ihr Siegburger Heim ein und behielten dies inne bis Mitte des Jahres 1902, zu welcher Zeit Wilhelm Völker seine Stelle mit derjenigen des technischen Direktors der Firma Martin und Pagenstecher, Fabrik feuerfester Steine in Mülheim am Rhein, vertauschte. Wegen des hierdurch bevorstehenden Umzugs reiste Lina vor der Zeit ihrer ersten Entbindung nach Gießen zu ihren Eltern und wurde, da sich

(95 ≡)

eklamptische Anfälle einstellten, in dortiger Frauenklinik durch Professor Dr. Pfannenstiel schwer, aber glücklich entbunden. Es war dies am 10. Juni 1902. Von den beiden erschienenen, wohl­gebildeten Knaben wurde leider nur einer lebend zur Welt gebracht. — Am 20. Juli empfing derselbe im Hause seiner Großeltern durch Pfarrer Euler die heilige Taufe und hierbei die Namen Roland Hermann Franz Johannes. Taufzeugen waren seine vier Großeltern: Franz Völker, Bildhauer in Dresden, dessen Ehefrau Johanna, geborene Braubach; Hermann Spamer, Rentner in Gießen und dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof. — Nachdem Lina sich in einem vierwöchigen Aufenthalte in Langenschwalbach von den Folgen ihrer Niederkunft erholt hatte und nach Gießen zurückgekehrt war, erkrankte sie leider am 3. September schwer an Influenza und Unterleibsentzündung. Nach drei Wochen genas sie hiervon, vermochte am 26. desselben Monats an der Hochzeit ihrer Schwester Clärchen teil zu nehmen und reiste am 5. Oktober mit Mann und Kind nach Mülheim hin. Dort wohnt die Familie Völker seit Juli 1903 in ihrem eigenen behaglichen Hause.

Das sechste Kind Hermann Spamers ist: Bertha Ernestine Lydia Clara Spamer, geboren am 2. Dezember 1881, morgens 7 Uhr, getauft am 17. Februar 1882 zu Groß-Ilsede. Ihre Taufpaten waren: Frau Bertha Schramm, geborene Vomhof aus Herborn (Tante); Frau Lydia Börner, geborene Vomhof aus Münster i. W. (Tante) und Direktor Ernst Mette in Peine (Oheim). Am 9. April 1888 trat Clärchen in die Hüttenschule zu Neu-Oelsburg ein und verließ zu Ostern 1894 die höhere Nebenklasse derselben, um bis Ostern 1895 im Elternhause durch eine Hauslehrerin weiter unterrichtet und für den Lehrplan der später zu besuchenden Schule vorbereitet zu werden. Sodann wurde sie in diese Pension und Schule des Fräuleins von Hern in Hildesheim und zwar in die III. Klasse der letzteren, aufgenommen, ward Ostern 1896 in die II. und Ostern 1897 in die I. Klasse derselben versetzt. Von Ostern bis Herbst 1897 unterbrach sie, zu ihrer Kräftigung und zwecks eines vierwöchigen Kurgebrauchs in Kreuznach, ihren Aufenthalt in Hildesheim, kehrte danach aber wieder in ihre dortige Pension und Schule zurück. Zu Ostern 1898 verließ sie dieselben definitiv und wurde am 17. April in der Lambertikirche in Hildesheim durch Pastor Bartels konfirmiert. Danach kehrte Clärchen nach Hause zurück und zog Ende 1898 mit ihren Eltern nach Gießen. Hier verlobte sie sich am 9. Dezember 1900 mit dem praktischen Arzte Dr. Karl Ploch in Gießen, und wurde am 26. September 1902 in der Johanneskirche daselbst von Pfarrer Euler mit ihrem Verlobten getraut. Karl Ploch wurde geboren am 23. Februar 1872 als Sohn des praktischen Arztes Dr. Fritz Ploch und dessen Gattin Bertha, geborenen Limpert in Gießen. Nach dem Hochzeitsfeste trat das junge Paar eine Reise in die Schweiz und Oberitalien an und zog danach in sein Gießener Heim ein. — Im folgenden Jahre, am 26. Juni 1903, erschien in demselben ein gesundes Töchterchen und wurde am 12. August — dem 133. Geburtstage ihres Ururgroßvaters Spamer in Crainfeld — von Pfarrer Schlosser auf den Namen Ilse Hermine Bertha getauft. Patenstelle vertraten ihre Großeltern: Hermann Spamer, Rentner in Gießen, dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof, und Frau Dr. Bertha Ploch, geborene Limpert in Gießen.

Familie Vomhof.

Die Familie Vomhof, früher vom Hof, welcher Hermine, die Frau Hermann Spamers angehört, stammt, soweit kirchenbuchlich bestätigte Nachrichten vorliegen, aus Laasphe. Sie soll, wie mündliche Familientradition berichtet - hierüber vorhanden gewesene schriftliche Nachrichten sind verloren gegangen — nach Aufhebung des Edikts von Nantes (1688), aus der französischen Schweiz nach Deutschland eingewandert sein und den Namen de la Cour geführt haben. Nach Mitteilung des Oberpfarrers Groos in Laasphe wird in den dortigen Kirchenbüchern der Name

(96 ≡)

bis zum Jahre 1783 getrennt, entweder Vom Hof, oder vom Hof, seit 1783 zusammenhängend und als ein Wort Vomhof geschrieben. Wie ein meinerseits aufgestellter Stammbaum ausweist, teilte sich in der 2. Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Familie in die Burbacher und Hombresser Linie. Letztere behielt die getrennte Schreibweise des Namens bei, während die ältere Burbacher Linie ihren Namen Vomhof schreibt. Genaueres über diese Familien ist aus dem in meinem Besitze befindlichen Stammbaum zu ersehen; hier mögen nur die direkten Voreltern von Hermine Spamer, geborenen Vomhof, sowie ihre Geschwister folgen:

1. Joh. Jacob vom Hof, Meister in Laasphe, getraut am 12. Juni 1708 mit Anna Gertraud Hammer;
2. Joh. Philipp vom Hof, Meister in Laasphe, geboren am 8. November 1709, verehelicht mit Anna Margarethe Hahn;
3. Johann Jacob vom Hof, Bürgermeister in Laasphe, geboren am 4. Oktober 1743, gestorben am 24. März 1795, verheiratet in erster Ehe mit Alexandra Concordia Balthasar, geboren am 31. Dezember 1748 als Tochter des Forstmeisters Gustav Balthasar, gestorben am 28. November 1771;
4. Leopold Vomhof, Kaufmann in Burbach, geboren in Laasphe am 18. März 1768, gestorben in Burbach am 10. Januar 1829, und Katharina Elisabeth Bieler, geboren am 26. April 1777 als Tochter des Bürgermeister Albertus Bieler in Burbach, und gestorben daselbst am 2. Dezember 1815;
5. Jacob Christian Vomhof, Kaufmann in Burbach, geboren am 10. Dezember 1800, gestorben am 29. Januar 1858 in Burbach, und Luise Katharina Pauly, geboren am 15. April 1808, als Tochter des Bürgermeisters Nicolaus Pauly in Altenkirchen, gestorben am 1. April 1883 in Herborn.

Diese waren die Eltern von Hermine Christiane Henriette Sophie Vomhof, Hermann Spamers Frau, welche selbst am 15. Februar 1844 in Burbach geboren ward. Ihre Paten waren: Frau Sophie Thomas in Burbach; Frau Henriette Bierbrauer aus Altenkirchen; Auktions­kommissar Gläser in Burbach und Rentner Christian Wagner daselbst. — Herminens Geschwister sind, bezw. waren:

Dorothea Wilhelmine Christine Vomhof, geboren am 16. Juli 1831, gestorben am 27. Februar 1832 in Burbach;
Alwine Christiane Wilhelmine Vomhof, geboren in Burbach am 1. Februar 1833, vermählt mit Kaufmann Ludwig Diehl in Wahlbach, gestorben am 28. Juni 1882 in Burbach;
Emma Charlotte Katharina Franziska Vomhof, geboren in Burbach am 25. September 1834, vermählt mit Betriebsinspektor Heinrich Rüger in Deutz, gestorben am 20. Februar 1902 in Godesberg;
Emilie Caroline Wilhelmine Friederike Vomhof, geboren in Burbach am 30. Juli 1836, verehelicht mit Kaufmann Adolf Christ in Elberfeld, gestorben am 11. November 1885 in Elberfeld;
Ida Ludovika Margarethe Vomhof, geboren in Burbach am 31. Mai 1839, verehelicht mit Kommerzienrat Karl Vering in Hannover;
Rosalie Caroline Vomhof, geboren am 12. Juli 1841, gestorben am 17. Dezember 1842 in Burbach;
Bertha Wilhelmine Christine Vomhof, geboren am 23. Mai 1846 in Burbach, verehelicht mit Lederfabrikant Eduard Schramm in Herborn;
Laura Vomhof, geboren am 15. Juni 1849 in Burbach, verehelicht mit Direktor Ernst Mette in Eschweiler;
Lydia Vomhof, geboren am 4. Februar 1851 in Burbach, verheiratet mit Ingenieur Ernst Börner in Münster i. W.;
Wilhelm Christian Leopold Vomhof, geboren am 14. April 1854, gestorben am 14. Dezember 1856 in Burbach.

Das 5. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 2. Kind aus 3. Ehe, ist: Henriette Caroline Antonette Emilie Wilhelmine Spamer, geboren am 24. April und getauft am 13. Juni 1841 in Hermannstein. Ihre Taufpaten waren: Henriette Steinberger, Ehefrau des Hofgerichtsadvokaten Ludwig Steinberger aus Gießen (Tante); Karl Spamer aus Altenschlirf (Oheim); Karl Emmelius aus Aßlar (Oheim); Fräulein Antonette Windecker aus Gießen und Fräulein Emilie Spamer aus Crainfeld (Bäschen). Zu Pfingsten 1855 wurde Minchen in der Hermannsteiner Kirche von ihrem Vater konfirmiert und kam Mitte 1856 zu ihrer weiteren Ausbildung auf etwa 5/4 Jahre in das Pensionat des Fräuleins C. Spitz nach Hanau. Nach Hause zurückgekehrt, verlobte sie sich bereits am 30. Dezember 1857 mit dem Kaufmann und Bankier Joh. Heinrich Julius Kellner in Wetzlar, Sohn des zu Roßleben, im Regierungsbezirke Merseburg, verstorbenen Gutsbesitzers Joh. Christian Andreas Kellner, und dessen Ehefrau Maria Rosina Friederike Weileb aus Roßleben. Derselbe war geboren am 12. April und getauft am 23. April 1828 in Roßleben. Seine Taufpaten waren: Gottlob Nasemann; Heinrich Erlemann und Frau Gesine aus Artern. Konfirmiert wurde er am 3. April 1842. — Am 17. Oktober 1858 fand die Vermählung der Verlobten in der Kirche zu Hermannstein durch Pfarrvikar Krauß statt und sind aus ihrer Ehe entsprossen folgende neun Kinder:

als 1. Kind: Theodor Friedrich Christian Ferdinand Julius Kellner, geboren am 17. November 1859, getauft am 19. Dezember in Wetzlar. Paten waren: Frau Dorothea Dornemann aus Kesselbach (Urgroßtante); Pfarrer Christian Spamer aus Hermannstein (Groß­vater); Frau Friederike Kellner aus Roßleben (Großmutter) und Amtmann Ferdinand Schmidt aus Burgholzhausen in Thüringen (Oheim). Am 3. Februar 1883 heiratete Julius Fräulein Adele Müller aus Düsseldorf, geboren am 16. Juni 1864. — Ihre Ehe blieb kinderlos;

als 2. Kind: Friederike Hermine Mathilde Anna Kellner, geboren am 3. März, getauft am 31. März 1861 in Wetzlar. Taufzeugen waren: Frau Friederike Schmidt aus Burgholzhausen (Tante); Hermann Spamer aus Hermannstein (Oheim); Fräulein Anna Spamer aus Hermannstein (Tante); Fräulein Mathilde Kißner aus Hermannstein und Rechtsanwalt Hermann Steinberger aus Gießen. Anna wurde am 9. April 1876 konfirmiert, besuchte danach die Pension der Frau Pfarrer Reinhard in Neuwied, und heiratete am 20. Mai 1882 den Dr. chem. Hans Wiesinger in Fechenheim, geboren am 7. November 1851 in Untermagerbein in Bayern. Die Kinder derselben sind: 1. Christiane Wilhelmine Agnes Anna Wiesinger, geboren am 8. Juni 1884 in Wetzlar und getauft am 17. Juli daselbst. Ihre Paten waren: Pfarrer emerit. Christian Spamer aus Wetzlar (Urgroßvater); Frau Wilhelmine Kellner aus Wetzlar (Groß­mutter); Frau Konsistorialrat Professor Dr. Agnes Wiesinger aus Göttingen (Großmutter) und Herr Professor Richard Zöpfel aus Straßburg (Oheim). — 2. Hans Wiesinger, geboren am 27. April und getauft am 19. Juni 1887 in Elze. Seine Taufzeugen waren: Julius Kellner, Bankier in Wetzlar (Großvater); Konsistorialrat Professor Dr. August Wiesinger aus Göttingen (Großvater) und Dr. med. August Wiesinger in Hamburg (Oheim);

als 3. Kind: Ernst Louis Kellner, geboren am 21. Februar, getauft am 23. März 1862 in Wetzlar. Pate war: Ludwig Spamer von Hermannstein (Oheim). Louis starb bereits am 12. April 1862;

(98 ≡)

als 4. Kind: Karl Heinrich Ludwig Otto Kellner, geboren am 19. Januar und getauft am 14. Februar 1864 in Wetzlar. Seine Paten waren: Kaufmann Karl W. Eckhard aus Gotha, früherer Prinzipal seines Vaters; Frau Henriette Steinberger, geborene Emmelius aus Gießen (Großtante) und Frau Sophie Emmelius, geborene Remy aus Gießen (Großtante). Otto besuchte das Gymnasium in Wetzlar bis Ostern 1881 und verließ dasselbe mit dem Befähigungs­zeugnis zum einjährig-freiwilligen Militärdienste versehen, um sich dem Kaufmannsstande zu widmen. Seine Lehrzeit begann er Ende Juni 1881 im Bankhause Nikolaus Schmidt in Frankfurt a. M. und beendete sie daselbst im Jahre 1883. Nach einem vorübergehenden Aufenthalte auf dem, damals seinem Vater gehörigen Gute Neuenhain, absolvierte er sein einjähriges Militärdienstjahr von Oktober 1884 bis 1885 bei dem 10. Jägerbataillon in Goslar und trat hierauf, zu längerem Verbleib, bei der Nordhäuser Bank in Nordhausen als Volontär ein. Von dort aus verlobte er sich am 26. Mai 1887, bei einem Familienzusammensein in Wetzlar, mit seinem Bäschen Hermine Spamer, Tochter seines Oheims Hermann Spamer und dessen Ehefrau Hermine, geborene Vomhof in Groß-Ilsede. Nach seinem Abgange von Nordhausen nahm Otto eine Stellung beim Bankhause Ludwig Peters in Braunschweig an, und verließ dieselbe im Jahre 1888, um in Wetzlar im väterlichen Bankgeschäft als Buchhalter einzutreten. Dort führte er die doppelte Buchführung ein. Am 27. Mai 1889 wurde er mit seiner Braut in der Kirche zu Groß-Ilsede getraut. Nach einer vierwöchigen Reise in die Schweiz kehrten die jungen Ehegatten in Wetzlar häuslich ein. Im Juli des folgenden Jahres fand Otto seinen bis dahin an dem Geschäft beteiligten älteren Bruder Julius durch eine Geldentschädigung ab, trat an dessen Statt als Teilhaber in das väterliche Geschäft ein und übernahm, nach seines Vaters Tode im Februar 1895, die Firma Julius Kellner, unter Kapitalbeteiligung seiner Mutter als alleiniger Inhaber. — Bezüglich seines Militärverhältnisses sei noch erwähnt, daß Otto Kellner, s. Z. zum Leutnant[10] der Reserve im 10. Jägerbataillon ernannt, in lebhafter Freude am militärischen Dienste und Leben, an den Offiziersübungen auch nach Verlegung seines Bataillons nach Colmar im Elsaß und nach seiner Versetzung in das 11. Jägerbataillon in Marburg bis in letztere Zeit teilgenommen hat. — Ende 1898 vertauschte die Familie Otto Kellner ihre bis dahin inne gehabte, zwar traulich gelegene, aber beschränkte Mietwohnung mit einem selbsterbauten schönen Hause. Die Kinder derselben sind bereits unter dem Namen der Mutter Hermine, geborene Spamer, verzeichnet;

als 5. Kind: Pauline Albertine Antonie Caroline Kellner, geboren am 25. März, getauft am 24. April 1866. Ihre Taufzeugen waren: Fräulein Pauline Domer aus Frankfurt a. M.; Dr. med. Albert Reinhard aus Wetzlar und Frau Apotheker Antonie Braun, geborene Steinberger, aus Nidda. Caroline starb leider schon am 12. Oktober 1867;

als 6. Kind: ein Söhnchen; es ward geboren am 22. November 1868, starb jedoch schon am folgenden Tage und ward am 25. November beerdigt;

als 7. Kind: Hermann Louis Emil Kellner, geboren am 25. Oktober und getauft am 25. November 1869 in Wetzlar. Die Taufzeugen waren: Frau Hüttendirektor Hermine Spamer aus Groß-Ilsede (Tante); Kaufmann Louis Treff aus Wetzlar und Oberstabsarzt Dr. Emil Groos aus Düsseldorf (Oheim). Emil starb am 30. Juli 1870;

als 8. Kind: Friederike Wilhelmine Luise Caroline Kellner, geboren am 30. August und getauft am 26. September 1871. Sie wurde aus der Taufe gehoben von: Gutspächter Friedrich Koch aus Marienborn; Premierleutnant Wilhelm Groos; Fräulein Mina Emmelius aus Gießen und Fräulein Luise Meyer aus Hermannstein. — Lina wurde am 18. April 1886 in Wetzlar konfirmiert und besuchte im folgenden Jahre die Pension des Fräuleins Wulsten in Kassel, sowie im Winter 1889 auf 1890, zu ihrer weiteren gesellschaftlichen Ausbildung, das

(99 ≡)

Familienpensionat der Frau Regierungsrat Brüggemann in Hannover. Seit ihrer Rückkunft von dort weilt Lina im Elternhause;

als 9. Kind: ein Söhnchen; es wurde geboren am 14. Februar 1873 in Wetzlar, starb schon am 16. und ward am 19. desselben Monats zu Grabe getragen.

Am 23. Februar 1895 mußte der Vater Julius Kellner, dessen Gesundheit schon seit längeren Jahren durch ein organisches, seine Ernährung erschwerendes Halsleiden gelitten hatte, einem Schlaganfalle erliegen. In seinen gesünderen Jahren von frischem Geiste und gern vergnügten Sinnes, legte ihm späterhin sein Leiden und die Abnahme seiner Kräfte große Ent­sagung an allen geselligen Freuden auf. Sein liebenswürdiges Wesen erhielt er sich aber auch in dieser für ihn schweren Zeit und hat dieses wiederum auch ihm viele Liebe erworben. — Minchen, die das Andenken an ihren geliebten Gatten in treuem Herzen bewahrt, hat in ihrer Tochter Lina eine gute und getreue Hausgenossin behalten.

Das 6. Kind von J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 3. Kind 3. Ehe, ist: Ludwig Ernst Spamer, Oberamtmann auf Kinzigheimer Hof bei Hanau und später in Darmstadt, geboren am 6. April und getauft am 17. April 1843 in Hermannstein. Seine Paten waren: Kreisrichter Louis Emmelius in Bendorf (Oheim) und Fräulein Luise Sturm in Wetzlar. Ludwig kam Herbst 1855 in die Quarta des Gymnasiums zu Gießen, wurde am 1. Juni 1857 in der dortigen Stadtkirche durch Pfarrer Landmann konfirmiert und verließ Herbst 1859, nach noch halbjährigem Besuche der Sekunda, das Gymnasium, um sich praktisch und theoretisch für die Landwirtschaft auszubilden. Einer zweijährigen Lehrzeit auf dem Hofgute Appenborn bei Londorf folgte 1861/62 der Besuch der landwirtschaftlichen Schule in Friedberg und von 1863 bis 1866 praktische Tätigkeit als Verwalter auf thüringischen Gütern zu Guthmannshausen, Roßleben und Ostramondra. Hiernach besuchte Ludwig drei Semester 1866/67 die mit der Universität Halle verbundene landwirtschaftliche Akademie. Nach fernerer Tätigkeit auf Gütern und informatorischen Reisen pachtete er Ende Januar 1872 das Domänenvorwerk Kinzigheimer Hof bei Hanau. Erst am 1. Januar 1882 verlobte er sich, und zwar mit Fräulein Marie Klingspor in Wetzlar, geboren am 8. September 1859 als Tochter des Pfarrers Heinrich Klingspor und dessen Ehefrau Lina, geborene Groos, zu Koppelweide bei Gummersbach. Am 20. Mai 1882 wurden die Verlobten in Wetzlar von Pfarrer Schöler getraut. Dem Hochzeitsfeste, welches zugleich mit demjenigen von Anna Kellner und Dr. Hans Wiesinger gefeiert wurde, ließen sie eine Reise in die Schweiz und nach Oberitalien folgen. Am 1. August 1874 wurde Ludwig durch den damaligen Oberpräsidenten von Bodelschwing zum Standesbeamten von Bruchköbel und drei naheliegenden Orten, im Mai 1886 durch die Regierung in Kassel zum Gutsvorsteher ernannt, wonach er auf seinen Antrag, von dem zeitigen Landrat in Hanau, Grafen Wilhelm von Bismarck, vom Standesamtsdienst enthoben ward. Am 27. März 1889 erhielt Ludwig das Patent als Königlicher Oberamtmann durch den damaligen Preußischen Minister für Landwirtschaft, Freiherrn Lucius, einen Charakter, welcher bei befriedigendem Verlaufe des Pachtverhältnisses nach einer 18jährigen Pachtzeit verliehen werden kann, die Treue zum Königlichen Hause und Förderung des Staatswohls verlangt und Schutz der damit verbundenen Rechte zusagt. — Nach 26 Jahren mehr und weniger schweren Kampfes mit widrigen Verhält­nissen, welche er auf die Dauer nicht zu überwinden vermochte, gab Ludwig Ende 1898 seine Pachtung ab und zog am 23. Januar 1899 mit seiner Familie nach Darmstadt. Dort verlor er leider schon am 31. Juli desselben Jahres seine fleißige, treu waltende Gattin, welche gar manche Sorge und Mühe mit ihm getragen und, bei ihrer nicht starken Konstitution, den Überzug aus der Landwirtschaft zur Stadt wohltuend empfunden hatte. Sie mußte einem schon länger bestandenen Frauenleiden erliegen, welches sie standhaft ertrug, und welches die ärztliche Kunst nicht

(100 ≡)

beseitigen konnte. Ihrer Asche wurde auf dem Friedhofe zu Darmstadt eine Erbstätte bereitet. Der Ehe Ludwigs und Marie Spamers sind entsprossen:

als 1. Kind: Else Marie Luise Spamer, geboren am 24. Mai und getauft am 5. Juli 1883 zu Kinzigheimer Hof. Ihre Paten waren: Christian Spamer, Pfarrer emerit. aus Wetzlar (Großvater); Hermann Spamer, Hüttendirektor aus Groß-Ilsede (Oheim); Emilie Groos, Witwe des Pfarrers Christian Groos, aus Wiesbaden (Urgroßmutter); Caroline Klingspor, Witwe des Pfarrers Heinrich Klingspor, aus Wetzlar (Großmutter) und Fräulein Johanne Klingspor aus Wetzlar (Tante). Else führt nach dem Tode ihrer Mutter den väterlichen Haus­halt in Darmstadt und bildet zugleich ihr schönes musikalisches Talent auf dem dortigen Konser­vatorium aus, um dasselbe im Klavierunterricht zu verwerten;

als 2. Kind: Ludwig Wilhelm Emil Heinrich Spamer, geboren am 18. November 1884 und getauft am 31. Januar 1885 zu Kinzigheimer Hof. Seine Taufpaten waren: Frau Wilhelmine Kellner, Ehefrau des Bankiers Julius Kellner aus Wetzlar (Tante); Dr. med. Emil Groos, Oberstabsarzt aus Düsseldorf (Oheim) und Heinrich Klingspor, früher Pfarrer, z. Z. Direktor aus Mannheim (Oheim). Nachdem Ludwig das Gymnasium in Hanau und die Hofmann'sche Handelsschule in St. Goarshausen besucht hatte, trat er ins Gymnasium in Darmstadt ein. Er verließ dasselbe mit dem Befähigungszeugnis für den einjährig-freiwilligen Militärdienst, um sich auf der dortigen technischen Hochschule in Maschinenbau und Elektrotechnik abzubilden;

als 3. Kind: Hermann Spamer, geboren am 28. April und getauft am 3. Juni 1886 zu Kinzigheimer Hof. Er wurde aus der Taufe gehoben von: Frau Direktor Auguste Berendt Witwe, geborene Groos, aus Düsseldorf (Großtante); Adolf Klingspor, Mechanikus aus Berlin (Oheim); Julius Kellner, Kaufmann aus Berlin (Vetter) und Frau Dr. Anna Wiesinger aus Wetzlar (Bäschen). Hermann besuchte zuerst das Gymnasium in Hanau und hierauf dasjenige in Darmstadt bis zum Erhalt des Befähigungszeugnisses für den einjährig-freiwilligen Militär­dienst. Danach trat er, um sich kaufmännisch auszubilden, in einer Buchhandlung in Darmstadt als Lehrling ein.

Das 7. Kind des J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 4. Kind 3. Ehe, war: Luise Johannette Henriette Caroline Spamer, geboren am 7. April, abends 8 ¾ Uhr und getauft am 4. Mai 1845. Ihre Taufzeugen waren: Luise, Ehefrau des Kauf­manns Wilhelm Henn aus Grenzhausen[11] im Herzogtum Nassau; Luise, Ehefrau des Kaufmanns Fritz Henn aus Mogendorf im Herzogtum Nassau; Johannette, Tochter des weiland Pachters Georg Konrad Meyer in Hermannstein; Henriette, Tochter des weiland Organisten Theodor Spamer aus Crainfeld (Bäschen) und Peter Vogel, Schulvikar aus Hermannstein. Lina, ein Kind von besonders liebevollem, sanftem Charakter, wurde schon in jugendlichem Alter nach längerem Leiden, zu dem sich Gehirnentzündung gesellte, am 6. September 1858, morgens 5 ¾ Uhr, den Ihrigen durch den Tod entrissen. Über den Verlauf ihres Leidens ist ausführlich in der Chronik ihres Vaters aus dem Jahre 1857 geschrieben und möge darum hier auf jene Stelle verwiesen sein. Auf dem Friedhofe zu Hermannstein ist sie zur Ruhe bestattet.

Das 8. Kind des J. H. G. Christian Spamer in Hermannstein, und zwar das 5. Kind 3. Ehe, ist: Anna Elisabetha Wilhelmine Caroline Spamer, geboren am 16. September und getauft am 17. Oktober 1847 in Hermannstein. Gevattern waren: Elisabetha, Tochter des Pfarrers Franz Niedermayer aus Aßlar; Caroline, Tochter des Hofgerichtsadvokaten Ludwig Steinberger aus Gießen (Bäschen) und Wilhelm Dornemann, Papierfabrikant aus Kesselbach, Kreis Grünberg. — In Hermannstein am 20. Mai 1861 konfirmiert, besuchte Anna vom 21. Juli 1861 bis zum 21. Oktober 1862 das Pensionat des Fräuleins C. Spitz in Hanau, kehrte dann nach Hause zurück und führte von 1864 ab den väterlichen Haushalt. Im Juni 1869

(101 ≡)

besuchte Anna ihre Geschwister in Groß-Ilsede und verlobte sich dort mit Dr. med. Emil Groos, welcher z. Z. in Wunstorf, Provinz Hannover, als Stabsarzt in Garnison lag. Dieser ward geboren am 7. Januar 1838 zu Berleburg, Kreis Wittgenstein, als Sohn des Geheimen Regierungsrats Wilhelm Friedrich Groos und dessen Ehefrau Christiane Amalie, geborene Martin aus Erndtebrück. — Am 7. Juni 1870 wurden Anna und Emil in Wetzlar von Pfarrer Schöler getraut und zogen danach in ihren Wohnsitz zu Wunstorf ein. Nach der Trennung, welche ihnen der kurz darauf ausbrechende Krieg gegen Frankreich auferlegte, blieben sie noch bis 1872 in Wunstorf und schlugen danach bis zum Juni 1877 ihr Quartier in Northeim auf. Zu letztgenannter Zeit ward Emil als Oberstabsarzt nach Düsseldorf versetzt und verzog die Familie Groos nunmehr nach dieser schönen Rheinstadt, in welcher sie sich nach einigen Jahren, zu voraus­sichtlich dauerndem Verbleib, ein eigenes Heim erworben hat. - Emil Groos studierte, nach dem auf dem Gymnasium in Wetzlar abgelegten Maturitätsexamen, von Herbst 1857 bis August 1861 in Berlin Medizin und war Mitglied des dortigen Korps Normannia. Im August 1861 zum Dr. med. promoviert, und im Mai des folgenden Jahres zum praktischen Arzt ernannt, wurde er, von seiner ersten militärischen Stellung als Assistenzarzt, 1867 zum Stabsarzt, 1877 zum Oberstabsarzt II. Klasse und 1887 zum[12] Oberstabsarzt I. Klasse befördert. Aus Gesundheitsrücksichten erbat er im Oktober 1888 seinen Abschied und ward ihm dieser am 31. genannten Monats mit Pension bewilligt. — Seit dieser Zeit widmet er sich der Privatpraxis und, nach seiner am 1. Januar 1893 erfolgten Wahl zum Stadtverordneten, den städtischen Angelegenheiten Düsseldorfs. 1897 wurde ihm der Charakter als Sanitätsrat verliehen. — Emil machte den Krieg gegen Österreich 1866 und den französischen Krieg 1870/71, ersteren als stellvertretender Stabsarzt in der 16. Division, letzteren als Feldregimentsarzt im Braunschweigischen Husarenregiment Nr. 17 mit, und wurde hierbei durch Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Klasse, sowie des Braun­schweigischen Ritterkreuzes des Ordens Heinrich des Löwen ausgezeichnet. Außerdem schmücken der Rote Adlerorden IV. Klasse und das Dienstauszeichnungskreuz, nebst drei Erinnerungsmünzen und Medaillen seine Brust.

Der Ehe von Emil und Anna Groos sind entsprossen:

1. Wilhelm Christian Paul Groos, geboren in Wunstorf am 14. Juni 1872. Seine Taufpaten waren: Geheimer Regierungsrat Wilhelm Friedrich Groos aus Wetzlar (Großvater); Pfarrer emerit. Christian Spamer aus Wetzlar (Großvater); Frau Wilhelmine Kellner, geborene Spamer, aus Wetzlar (Tante) und Fräulein Pauline Groos in Lennep (Tante). Wilhelm besuchte von Ostern 1882 bis dahin 1887 das Königliche Gymnasium, von Ostern 1887 bis dahin 1891 das Städtische Gymnasium zu Düsseldorf, verließ dasselbe nach abgelegtem Maturitätsexamen und bezog sodann, zur Pflege juristischer Studien, die Universität Lausanne. Nach einjährigem Verbleib auf derselben, trat er am 1. April 1892 als Fahnenjunker in das 2. Rheinische Feld-Artillerie-Regiment Nr. 23 in Koblenz ein, ward am 17. Januar 1893 zum Leutnant ernannt und von hier 1899 bis 1900 zur Artillerie-Ingenieurschule nach Berlin kommandiert. Im Frühjahre 1901 trat Wilhelm in das Lehr-Regiment der Feld-Artillerie in Jüterbog, zu Oktober 1901 in das 2. Westfälische Artillerie-Regiment Nr. 22 (Münster) ein und wurde er zur Kriegs-Akademie in Berlin kommandiert. Am 18. Mai 1901 erfolgte seine Ernennung zum Oberleutnant;

2. Hermann Christian Otto Groos, geboren am 11. September 1873 in Northeim und daselbst von Pfarrer Höpfner getauft. Seine Taufpaten waren: Frau Geheime Regierungsrat Christiane Groos, geborene Martin, aus Wetzlar (Großmutter); Hüttendirektor Hermann Spamer aus Groß-Ilsede (Oheim) und Buchhändler Otto Groos, später Privatgelehrter in Marburg (Oheim). Hermann frequentierte von 1882 bis 1887 das Königliche Gymnasium, von da bis Ostern 1892 das Städtische Gymnasium in Düsseldorf und bezog, nach bestandenem Maturitätsexamen,

(102 ≡)

für die Zeit vom 1. April bis Herbst 1892 die Universität Lausanne. Am 1. Oktober 1892 trat er in das Nassauische Feld-Artillerie-Regiment Nr. 27 in Mainz ein, ward am 17. Mai 1894 zum Leutnant befördert, 1899 und 1900 zur Artillerie-Ingenieurschule kommandiert und steht jetzt beim 2. Nassauischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 63 in Mainz. Seit dem 1. Oktober 1901 ist er auf die Kriegs-Akademie in Berlin kommandiert. — Am 4. April 1903 verheiratete Hermann Groos sich mit Fräulein Sophie Glaser, Tochter des Professors Dr. Glaser, Oberlehrer am Gymnasium in Homburg v. d. H., und seiner Gattin Elise, geborene Goebel;

3. Ludwig Friedrich Hermann Groos, geboren in Northeim am 23. Dezember 1875 und daselbst gestorben am 28. Januar 1876;

4. Ludwig Wilhelm Gustav August Groos, geboren am 3. Juli und getauft am 18. August 1878 in Düsseldorf. Taufpaten waren: Oberamtmann Ludwig Spamer vom Kinzigheimer Hof (Oheim); Hauptmann Wilhelm Groos, Batteriechef im 23. Feld-Artillerie-Regiment aus Jülich (Oheim); Frau Auguste Kraemer, geborene Hagen, aus Ameln bei Jülich und Gustav Martin aus Düsseldorf (Großoheim). Nach abgelegtem Maturitäsexamen am Städtischen Gymnasium in Düsseldorf, welches er von Ostern 1888 bis 1897 besuchte, bezog Ludwig als stud. juris am 1. April 1897 für 2 Semester die Universität Lausanne. Das Sommersemester 1898 verbrachte er auf der Universität in München, das Wintersemester 1898/99 auf derjenigen in Berlin, studierte von Ostern 1899 bis dahin 1900 in Bonn und ging danach, zur Vorbereitung fürs Referendarexamen, nach Köln. Er bestand dasselbe beim dortigen Ober-Landesgericht am 11. Juni 1900. Im folgenden August im Bezirk des Landgerichts Düsseldorf angestellt, ward er zunächst dem Amtsgericht zu Gerresheim und später dem Landgericht in Düsseldorf zur Beschäftigung am Landgericht, bei der Staatsanwaltschaft und der Rechtsanwaltschaft überwiesen. Was sein Militärverhältnis angeht, so diente Ludwig Groos vom 1. Oktober 1900 bis dahin 1901 als Einjährig-Freiwilliger in dem 2. Rheinischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 23 in Köln und absolvierte in den Jahren 1902 und 1903 seine erste und zweite Übung. Am 9. Oktober 1903 wurde Ludwig in Rostock zum Dr. juris promoviert;

5. Eduard Wilhelm Hermann Groos, geboren am 20. Juli 1888 und getauft in Düsseldorf. Seine Taufpaten waren: Hofrat Eduard Groos aus Laasphe; Frau Hüttendirektor Hermine Spamer, geborene Vomhof, aus Groß-Ilsede (Tante) und Wilhelm Groos aus Düsseldorf (Bruder). — Eduard trat Ostern 1898 in das Städtische Gymnasium ein und Ostern 1899 in die Städtische Ober-Realschule in Düsseldorf über, in welcher er jetzt die Unter-Sekunda besucht.

Der jüngste der drei Söhne Christian Spamers in Crainfeld war: Joh. Karl Wilhelm Spamer, Einnehmer in Altenschlirf. Er wurde am 3. Februar 1810, morgens zwischen 4 und 5 Uhr in Crainfeld geboren und am 12. eodem getauft. Gevattern waren: Frau Pfarrer Caroline Scriba aus Wingershausen; Jungfer Wilhelmine Schuchard; Joh. Konrad Rühl aus Schotten (Großvater) und Friedrich Jacob Dornemann aus Kesselbach (Oheim). Karl Spamer kam, nachdem er von seinem Bruder Christian, während des letzteren Kandidatenzeit, in Crainfeld vorunterrichtet war, in das Gymnasium in Gießen und blieb darin bis Herbst 1827. Sodann verließ er diese Anstalt ein halbes Jahr und bereitete sich zu Hause für den Eintritt in das Gymnasium in Wetzlar vor. In dasselbe aufgenommen unterzog er sich nach 1½ Jahren der Aufnahmeprüfung zum Bezuge der Universität Gießen mit Erfolg und ward auf letzterer am 9. Dezember 1829 als stud. theologiae inskribiert. — In einem Briefe seines Vaters an dessen Hermannsteiner Sohn Christian vom 19. Januar 1830 heißt es: „Karl bildet sich nicht wenig auf den Student ein; — Deiner Mutter war sein Anzug zu pomphaft; — doch ist er weit lebhafter geworden, als er vorher als Klassik (Gymnasiast) war; auch hat er versprochen, künftige Ostern für mich und Kühn einmal zu predigen.“ — Wenn Karl Spamer nun auch in der Folgezeit

(103 ≡)

mehrfach, und zur vollen Zufriedenheit seines Vaters und anderer, die Kanzel betreten hat und ein durchaus befähigter Kopf war, so fehlte es ihm leider doch wohl an der nötigen Energie, sein Studium zum guten Ende zu führen. Er zog am 18. August 1833, ohne sich zum Examen gemeldet zu haben, von Gießen ab. Als ein Jahr später sein Bruder Christian in Hermannstein durch den frühen Tod der ersten Frau schwer getroffen war, zog Karl Spamer zu demselben über um ihn aufzuheitern und um zugleich unter dessen Anleitung und Mitarbeit sich zum Examen weiter vorzubereiten. Doch auch hiernach unterzog er sich der Fakultätsprüfung nicht. — Hierzu kam nun leider die noch zu frühe begonnene Liebschaft mit seiner späteren Frau, und, wohl mit infolge hiervon, sein definitives Aufgeben des Studiums. — In dieser trüben Lage blieb ihm das Vaterhaus eine treue Hilfe und Zufluchtsstätte, in welcher er seine Familie gründen und bis zum Tode seines Vaters erhalten konnte. — Nachdem dieser Tod im Jahre 1847 eingetreten war, kaufte Karl Spamer sich in dem nahen größeren Pfarrdorfe Altenschlirf an, welches zu jener Zeit Landgericht, Arzt und Apotheke enthielt und angenehmeren gesellschaftlichen Verkehr bot. Er übernahm die Ortseinnehmerei und bewirtschaftete, unterstützt von seiner guten und fleißigen Frau, die von ihm angekauften Grundstücke in eigener Hofraithe. — Karl Spamer war ein anregender Gesellschafter, hatte lebhaftes Interesse an religiösen und politischen Fragen, wie an schöngeistiger Literatur. Er verstand es vorzüglich Erzeugnisse der letzteren vorzulesen. Sein Wesen neigte jedoch überwiegend zu passiver Betrachtung hin. Ein Umstand, der ihn zwar leider wenig zu ersprießlicher Tätigkeit kommen, aber auf der anderen Seite, in seinem kleinen Wirkungskreise, durch lange Jahre hin, ein zufriedenes Leben finden ließ. — Nach dem Tode seiner treuen Gattin und nachdem, bis auf die jüngste Tochter, alle Kinder das Vaterhaus verlassen hatten, gab er im Jahre 1876 seinen Wohnsitz in Altenschlirf auf. Er zog nach Gießen zu seiner verheirateten ältesten Tochter Katharine; ging indes am 4. Juni 1879 wieder nach Altenschlirf zurück und verblieb daselbst bis 1885, von welcher Zeit bis zum Jahre 1888 er bei seinem Sohne Friedrich in Friedberg seinen Aufenthalt nahm. Nach dem Tode der Frau des letzteren verlegte er seinen Wohnsitz wieder nach Gießen in das Haus seiner Tochter Katharine, wo er am 6. Februar 1890, im Alter von 80 Jahren und 3 Tagen an Alterschwäche verschieden ist. Seine Frau Elisabeth, geborene Lang aus Odenhausen auf der Rabenau, war am 23. Dezember 1809 geboren und starb in Altenschlirf am 29. November 1869. — Es wurden ihnen acht Kinder geboren.

Das älteste Kind des Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamer in Altenschlirf war: Leonhard Spamer, geboren in Odenhausen und früh daselbst gestorben;

hierauf folgte als zweites Kind: Wilhelm Spamer, geboren in Odenhausen am 27. April 1838. Derselbe wanderte, wie schon an früherer Stelle mitgeteilt, im Jahre 1854 nach Nord­amerika aus, ließ sich in Philadelphia als Wagenbauer nieder und heiratete 1865 Hermine Ernst, Stieftochter seines mit ihm nach Amerika verzogenen Vetters Christian Spamer. Wilhelm hatte einen Sohn mit Namen Karl, welcher in Philadelphia ebenfalls Wagenbauer ist und vier brave, fleißige Töchter, von denen 1898 die älteste mit einem Amerikaner gut verheiratet war. Er selbst, ein treuer, ehrenhafter Charakter, starb in noch zu frühen Jahren am 11. Mai 1881;

das dritte Kind des Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamer in Altenschlirf war Katharine Spamer, geboren in Crainfeld am 30. März 1840. Sie heiratete den zuerst in Schlitz, später in Gießen ansässigen Gastwirt Christian Jungblut und hatte mit demselben einen Sohn und vier Töchter, alle in Schlitz geboren. Die zweitjüngste Tochter, Philippine, kam am 7. Juni 1870, die jüngste Tochter, Marie, am 30. September 1871 zur Welt. In Gießen verlor Katharine ihren einzigen Sohn durch Ertrinken in der Lahn noch in jugendlichem Alter, ihre Töchter sind alle verheiratet. Nachdem sie, die kräftige und freundliche Frau, ihren Vater in seinen letzten Jahren treu gepflegt hatte, wurde sie selbst von einem schweren Augenleiden

(104 ≡)

ergriffen; sie starb schon am 28. Oktober 1897, sieben Jahre nach dem Tode ihres Vaters und wurde auf dem alten Gießener Friedhofe zur Ruhe bestattet;

das vierte Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Mathilde Spamer, geboren am 26. Mai 1842 in Crainfeld. Sie folgte im Jahre 1868 ihrem älteren Bruder Wilhelm nach Nordamerika, heiratete dort ihren gleichfalls ausgewanderten Verlobten Leonhard Hauzenröder von Herbstein, und ließen sich dieselben in Mansfield, Staat Ohio, nieder. Dort hat Hauzenröder als Zigarrenmacher es von kleinem Beginn zu guten Verhältnissen gebracht. Ihrer Ehe sind 4 Söhne und eine Tochter entsprossen, letztere mit Namen Emma. Eine treue und liebevolle Tochter hat Mathilde, besonders in den ersten Jahren nach Verlassen der Heimat, sehr an Sehnsucht nach den Ihrigen und in erster Linie nach ihrem Vater gelitten — die Mutter starb bereits im ersten Jahre nach der Tochter Abreise — und rührend ist die Stelle eines Briefes, welchen sie im Oktober 1872 an ihren Vater richtete: „Du hast Recht, mein lieber Vater, wenn Du mich in Deinem Briefe (wegen meiner allzu großen Sehnsucht) tadelst, und doch kommt sie manchmal plötzlich und ganz gegen meinen Willen; denn was soll alles Wünschen und Wollen (nach Deutschland zurückzukehren) wenn man nicht kann. Daß Du jedoch glaubst, Leonhard theile die Sehnsucht nicht, darin bist Du im Irrthum, zwar nicht in einem solchen Grade wie bei mir; und wir wollen, wenn Leonhard Bürger des freien Amerika ist, unser Heil in Deutsch­land versuchen. Wenn es gar nicht mehr gehen sollte, dann müssen wir wieder zurück, dann haben wir wenigstens die Beruhigung es probirt zu haben. So lange, mein lieber Vater, wird es wohl noch währen, bis wir uns wieder sehen. O, mein Vater, Wiedersehen! welches Glück, und welche Qual, daß es noch so lange hinausgeschoben werden muß! O, könnte ich doch bei Dir bleiben mein Leben lang! Du schreibst, wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, so wollen wir uns in Demuth und Gehorsam in Gottes Willen schicken. O, er wird es nicht wollen, ich könnte mich nicht in Demuth beugen; Gott hat mich meine Mutter nicht wiedersehen lassen, er wird gnädig sein und nicht noch mehr fordern. Deine Liebe zu mir ist unveränderlich, das weiß ich und ich hoffe und glaube sie auch zu verdienen; ich wollte, ich könnte es Dir durch die That beweisen.“ — — Sie hat ihm ihre Liebe auch sowohl durch ihren späteren Besuch, als auch durch ihre spendende Hand treulich bewiesen. — Auch der in seinen letzten Lebensjahren in bedrängter Lage lebende Vetter Christian in Brooklyn schreibt mit großer Dankbarkeit von der helfenden Güte seiner lieben Kousine Mathilde. — Möge es ihr stets wohlergehen!

Das fünfte Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Friedrich Spamer, geboren in Crainfeld am 18. Juli 1843, Pate seines Onkels Christian Spamer in Hermannstein. Zum Landwirt ausgebildet, war Friedrich lange Jahre Verwalter eines von Helmolt'schen Gutes in Friedberg und verheiratete sich dort mit Fräulein Emma Scheuermann, Tochter des Pfarrers Scheuermann in Höringhausen. Er hat aus seiner Ehe zwei Söhne: Karl, geboren am 17. Mai 1874 und Friedrich, geboren am 25. Januar 1876. Dieselben sind beide nach Amerika verzogen, ersterer nach Brasilien als Farmer, letzterer nach New-York mit der Absicht Apotheker zu werden. Friedrich Spamers Frau starb und lebt er jetzt mit seiner jüngsten Schwester Emma in Münzenberg, im Besitze einer Wirtschaft mit Kolonialwarengeschäft. Der Gute und Treugesinnte hat leider manchen Kummer in der Familie erleben müssen;

das sechste Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf war: Elisabeth Spamer, geboren in Crainfeld am 29. November 1844 und gestorben Ende August 1874 in Schadges. Sie war verheiratet mit Thomas Stock in Schadges und hatte mit ihm einen Sohn und zwei Töchter. Nach ihrem frühen Tode zog Stock mit den Kindern nach St. Louis in Nordamerika;

das siebente Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Karl Spamer, geboren in Altenschlirf am 14. August 1848. Er wanderte 1867 nach Nordamerika

(105 ≡)

aus, ließ sich in Mansfield als Zigarrenmacher nieder, heiratete und ist Vater geworden von einem Sohne und sechs Töchtern;

das achte Kind Joh. Karl Wilhelm Friedrich Spamers in Altenschlirf ist: Emma Spamer, geboren in Altenschlirf am 9. Mai 1851. Als jüngste Tochter blieb sie bei ihrem Vater, so lange dieser in Altenschlirf wohnte, und führte ihm den Haushalt. Danach war sie — und zwar von 1877 bis 1879 — auf dem Albacher Hofe und später längere Jahre auf dem von ihrem Bruder Friedrich verwalteten von Helmolt'schen Gute als Wirtschafterin tätig. Nach dem Tode ihrer Schwägerin stand sie dem Haushalte Friedrichs vor und begleitete denselben zu gleicher Tätigkeit nach Münzenberg, wo sie beide nun als die einzigen ihrer in Deutschland verbliebenen, lebenden Geschwister friedlich zusammen wohnen.

Gießen, den 9. Dezember 1903.
H. Spamer.

Autobiographie

Christian Spamers, Pfarrers in Hermannstein.

Leser, nehmt geneigt zu Euren Ohren,
Was ich von mir schreibe, es ist wahr!
Achtzehnhundertdrei bin ich geboren
An dem zweiten Tag im Februar.
Burkhards, in dem Vogelsberg gelegen,
Heißt das Dorf, wo dieses ist geschehn,
Wo als ihren zweiten Ehesegen
Meine Aeltern mich zuerst gesehn.
Mein geliebter Vater hat geheißen
Christian Spamer, Pfarrer in dem Ort,
Den die alten Burkhardser noch preisen
Bis zum heut'gen Tage immerfort.
Meine liebe Mutter Katharine
Barbara, war 'ne geborne Rühl,
Keine Frau mir würdiger erschiene,
Keine bis an ihres Lebens Ziel.
Bei der Taufe gab man mir die Namen
Johann Heinrich Georg und Christian,
Alle, die mich später nannten, nahmen
Aber nur den letzten davon an.
Der an mir die Taufe hat vollzogen,
War der Pfarrer Schmidt von Herchenhain,
Der mir auch als Pathe war gewogen,
Und als Kind mich suchte zu erfreun.
Aus der Taufe waren auch noch Heber
Christian Dornemann von Lauterbach,
Förster Schmidt von Burkhards, Pfarrer Löber
Und sein Amtscollege Dieffenbach.
Elfe brachte von den Jugendjahren
Ich bei meinen treuen Aeltern hin,
Und da diese nie zu strenge waren,
Frei und froh, mit kindlich heit'rem Sinn.
Was mir als das Früheste gedenket,
Ist, daß ein französ'scher Officier
Mir ein Säbelchen von Holz geschenket,
Daß ich mit ihm auf- und abmarschir'.
Als ich meine Mutter hörte sagen:
„Seht ihn nur! ums Leben lacht er nicht!“
Sprach ich ernstlich: „die Soldaten machen“
„Alle nur ein protziges Gesicht.“
Weil darüber Alle herzlich lachten,
Setzte schnell ich mich vor Ungeduld,
Da ich dacht', sie wollten mich verachten,
Unter meines Vaters Schreibepult.
Damals trug ich ein gestricktes Kleidchen,
Lang und violett und grün bordirt,
Und an meinem veilchenblauen Seitchen
War ich mit dem Säbelchen armirt.
Als mir bald darauf das erste Höschen
Von dem Schneider angemessen ward,
Und derselbe justement ein Näschen
Hatte von der allergrößten Art,
Und ich wie in heimliche Gemächer
Ich dabei mit vollem Staunen sah
In die ungeheuren Nasenlöcher,
Rief ich: „Mutter, Mutter, aber da“
„Eine Nase, aber eine Nase!“ —
Meine Mutter aber schnell entwich,
So erschrocken wie ein scheuer Hase,
Aus der Stube eilend in die Küch'.
Doch dem Schneider war es nur zum Spaße,
Lachend sprach derselbe: „Christian,“
„Gelt, das heißt man sich doch eine Nase!“
„Nun, so sieh sie einmal richtig an!“
„Und ich will dir gleich auch weiter sagen,“
„Wie ich einst zu ihr gekommen bin,“
„Denn ich würde sonst sie auch nicht tragen,“
„Weil sie gar nicht ist nach meinem Sinn.“
(108 ≡)
„Als die Nasen wurden ausgetheilet,“
„Kam ich zur Vertheilung viel zu spat,“
„Denn ich hatte mich zu lang verweilet.“
„Da ich nun um eine Nase bat,“
„Hieß es: „„Du kannst keine mehr bekommen;““
„„Denn ein Jeder hat sich aus der Hütt',““
„„Die da leer steht, eine mitgenommen;““
„„Nimm Dir, wenn Du willst, die Hütte mit!““
„Ohne Nase wollte ich nicht gehen,“
„Da ich doch um ihretwillen kam,“
„Siehst Du, und so ist es denn geschehen,“
„Daß statt ihrer ich die Hütte nahm! —“
Meiner Mutter habe ich bereitet
Eine ähnliche Verlegenheit,
Die ihr meine Offenheit verleidet,
In der allernächsten Folgezeit.
Lehrer Köhler hatt' ein Aug' verloren,
Weil ihm Wurstbrüh' war hineingespritzt;
Dieses Unglück kam auch mir zu Ohren,
Die gehörig ich dabei gespitzt.
Doch als er mir selber wieder nahe
Kam zum ersten Mal in unserm Haus,
Und ich die Entstellung deutlich sahe,
Rief ich laut und voll Verwundrung aus:
„Ach, ein Glotzaug! ein abscheulich Auge! —“
Daß sich meine Mutter da geschämt,
Ich wohl Niemand erst zu sagen brauche;
Ihre Zunge war vom Schreck gelähmt.
Köhler sprach: „O, lassen Sie ihn gehen;“
„Denn er hat die Wahrheit nur gesagt,“
„Die zwar jetzo Alle an mir sehen,“
„Aber Niemand sonst zu sagen wagt!“
Was mich schon in meinen ersten Jahren,
Ohne daß ich's wüßte, hat gequält,
Sollt Ihr ebenfalls von mir erfahren,
Wie es meine Aeltern mir erzählt.
Als die Mutter mich entwöhnen wollte,
Reiste sie zu ihrer Schwester gern,
Wo sie das Geschrei nicht hören sollte
Ihres armen Säuglings in der Fern'.
Doch ich hatte gar zu lieb gewonnen
Meines Lebens ersten Nahrungsquell,
Da er nun auf einmal mir entnommen,
Schrie ich nach demselben laut und hell.
Surrogate, die sie mir erlaubten,
Schmeckten alle nicht so gut und echt,
Darum wollte mit Gewalt behaupten
Und erzwingen ich mein altes Recht.
Da mir dieses doch nicht konnte werden,
Schrie ich mich gewaltsam blau und roth
Und in Einem fort und mit Geberden,
Daß mein Vater dacht', ich schrie mich todt.
Daß ich nur nicht aus der Wiege fiele,
Legte er in Desperation
Mitten in die Stube auf die Diele
Seinen, nicht zu bändigenden Sohn.
Amtmann, Förster und noch andre Herren
Kamen zu ihm in dem Wittwerthum,
Da sie aber mich so hörten plärren,
Wandten in der Thür' sie wieder um.
Endlich wickelte in aller Kürze
Unsers Nachbars Gebhards Frau Marie
Aus Erbarmen mich in ihre Schürze,
Und entfloh mit mir, da ich noch schrie.
Als die Zeit nun kam, daß man mich impfe,
Nahm der Doctor Curtmann einem Kind,
Welches krätzig war, für mich die Lymphe,
Daß ich dadurch wurde voller Grind.
Eh' die Schulzeit war für mich gekommen,
Habe oft ich und aus freiem Trieb'
An dem Unterrichte Theil genommen,
Weil ich manche Schüler hatte lieb.
Denn so lange ihre Schule währte,
Konnt' ich auf der Gasse sie nicht sehn,
Da ich sie nun doch zu sehn begehrte,
Mußte ich auch in die Schule gehn.
Anfangs stand es ganz in meinem Willen,
Ob ich kommen wollte oder nicht,
Später suchte ich auch zu erfüllen
Eines jeden andern Schülers Pflicht.
Und in dieser Schule sind gewesen
Meine Lehrer: Köhler, Groh und Schmehl;
Rechnen, Schreiben, Singen, Beten, Lesen
Lehrten sie mich, doch nicht ohne Fehl.
Katechismus hab' ich bloß vom Hören
Und zwar wörtlich auswendig gelernt;
Aber an den wahren Sinn der Lehren
Dachte damals ich auch nicht entfernt.
Später hab' ich jährlich Theil genommen
An dem Confirmanden-Unterricht;
Da erst hab' vom Vater ich bekommen
Ueber jede Lehre helles Licht.
(109 ≡)
Viel Vergnügen machte mir das Singen,
Worin gern ich um den Vorzug rang,
Und ich konnte auch noch höher dringen,
Als die Schmehl, die sonst am höchsten sang.
Denn wir beide pflegten uns zu brüsten,
Daß wir immer bei der Dorfcapell'
Waren die zwei besten Discantisten,
Da wir beide sangen hoch und hell.
Wenn sie aber endlich mußte schweigen,
Blickte sie mich immer an mit Neid,
Daß ich höh're Töne konnte reichen,
Und der Sieger wurde in dem Streit.
Nicht so große Freude, als am Singen,
Hatte ich dagegen am Clavier;
Dazu mußte mich der Lehrer zwingen,
Darum bracht' er's auch nicht weit mit mir.
Aber mehr, als am Pianoforte,
Hatte ich an meinem Rumpelbaß,
Den ich spielte als Capell-Consorte
Bei Concerten, immer meinen Spaß.
Während sich mein Vater auf acht Tage
Hatte nach der Rabenau entfernt,
Hatte ich nach allgemeiner Sage
Meinen Baß passabel schon erlernt.
Als mein Vater war zurückgekehret,
Und am ersten Mittagstische saß,
Hat auf einmal er Musik gehöret,
Violinen vier und einen Baß.
Da er nun die Fulder Musikanten
Honoriren wollte vor der Thür',
Wir uns reichlich schon belohnet fanden
Dadurch, daß er hielte uns dafür.
Seine Ueberraschung war uns Freude
Und er dankte freundlich für die Ehr';
Auch erinn're ich mich noch bis heute,
Daß er den Bassisten lobte sehr.
Denn da er von Hause weggegangen,
Hatte ich doch dieses Instrument
Noch zu spielen gar nicht angefangen;
Dennoch strich ich's tapfer und behend.
Zu dem Lehrer Schmehl war ich gegangen
Eine Woche deßhalb in die Lehr',
Wurde nun ein Stückchen angefangen,
Spielte gleich ich's mit nach dem Gehör.
Konnten weiter Niemand wir erreichen,
Spielten im Concerte uns'rer Vier,
Schmehl und Bruder Theodor die Geigen,
Ich den Baß und Vater das Clavier.
Oefters nahm der Vater auch die Flöte
Oder auch die Harfe in die Hand,
Da er außer dem Clavier auch jede
Dieser beiden andern wohl verstand.
Doch noch stärker hat es dann geklungen,
Wenn auch Jeder brauchte seine Kehl',
Und wenn mit uns in die Wett' gesungen
Haben meine Mutter und die Schmehl.
Unter diesen angeführten Spielen
Hab' ich die der Knaben nicht versäumt,
Denn ich wuchs nicht an auf unsern Stühlen,
Und war auch nicht allzu fest gezäumt.
Alle unterdörfer Knaben waren
Damals uns, den oberdörfern feind,
Darum hatten sich auch beide Schaaren
Zu dem Kampfe brüderlich vereint.
Nahm einmal aus unserem Vereine
Einer in das Unterdorf den Weg,
Und verließ sich nicht auf seine Beine,
Dann bekam er richtig seine Schläg'.
Und um dieses wieder wett zu machen,
Und zu rächen die gekränkte Ehr',
Fielen wir im Oberdorf wie Drachen
Ueber jeden Unterdörfer her.
Höret, sprach ich drum einmal zu Allen,
Als wir liefern wollten eine Schlacht,
Einen Einzelnen zu überfallen,
Das ist feig! Es sei der Bund gemacht:
Jeder, der allein die Straße wandelt,
Soll in Frieden seiner Wege gehn;
Wer von heut an feindlich ihn behandelt,
Werde mit Verachtung angesehen!
Nur so lang sich die Parteien messen,
Soll die Feindschaft fernerhin bestehn;
Aber gänzlich sei sie auch vergessen,
Wenn wir aus dem Kampf nach Hause gehn!
Dieser Vorschlag wurde angenommen
Gerne von der ganzen Knabenschaft,
Und hat dadurch alsobald bekommen
Von dem Tage an Gesetzeskraft.
Anfangs, als die beiden Heereshaufen
Sich bekämpften mit den Händen bloß,
War es nur ein ordnungsloses Raufen,
Denn sie waren beide führerlos.
(110 ≡)
Deßhalb sahen deutlich alle Knaben,
Daß nothwendig jegliche Partei
Ihren eignen Führer müsse haben,
Daß im Ganzen besser Ordnung sei.
Und so wurde ich von unsrer Seite
Feierlich zum Hauptmann auserwählt,
Da ich schon zuvor in jedem Streite
Wurde zu den Tüchtigsten gezählt.
Nicht die Vorzüge an Größ' und Jahren
Hatten diese Ehre mir verschafft;
Aber die zwei Jahre älter waren,
Waren nicht gewachsen mir an Kraft.
Und auf meine neue Hauptmannswürde
Bildete ich mir nicht wenig ein;
Freilich war sie manchmal eine Bürde,
Doch das konnte ja nicht anders sein.
Meinen Leutnant und die Subalternen
Wählte ich mir nach Belieben aus,
Und sie mußten, um den Dienst zu lernen,
Täglich zu mir kommen in das Haus.
Mußten mir auch schriftlich rapportiren,
Was von Wichtigkeit im Dorf geschah,
Und die Mannschaft tüchtig exerciren,
Bis ich selber wieder nach ihr sah.
Hatte meiner Ordre nicht pariret
Irgend Einer nun aus meinem Corps,
Ward er in das Backhaus abgeführet,
Und es kam ein Vorhängschloß davor.
Daß der Krieg nicht mehr geführet werde
Mit der Faust, befahl ich meinem Heer:
Komm' mit einer starken Haselgerte
Jeglicher bewaffnet morgen her!
Und die Officiere will ich bitten,
Daß nicht bloß mit einem solchen Schwert,
Sondern jeder komme angeritten
Auch auf einem schönen Haselpferd!
Und zum unterdörfer Hauptmann gehen
Mag mein Adjutant, der Leutnant Schmidt,
Daß er theile das, was hier geschehen,
Jetzt demselben augenblicklich mit!
Hauptmann Geist will morgen mit den Seinen,
Sprach der Adjutant, zurückgekehrt,
Ebenfalls mit Gerten hier erscheinen,
Und auch jeder Officier zu Pferd.
Tags darauf die Herzen froher schlugen,
Aller Augen strahlten voller Lust;
Denn sie waren, weil sie Säbel trugen,
Alle ihres Standes sich bewußt.
Jetzo kam's nicht mehr zum Handgemenge,
Wie es früher immer war geschehn;
Alle mußten militärischstrenge
Nun in festgeschlossnen Gliedern stehn,
Und in solchen wurde angegriffen
Auf's Commandowort des Feindes Heer,
Daß die Haselsäbel lustig pfiffen,
Denn es kämpfte Jeder um die Ehr'.
Da das Schlachtfeld in des Dorfes Mitte,
Blieben alle Leute gerne stehn;
Hemmten lachend ihre schnellen Schritte,
Um dem Kampf der Jugend zuzusehn.
Und der Ehrgeiz mußte dadurch steigen
In dem raschen jugendlichen Blut;
Keine der Parteien wollte weichen,
Jede stritt mit wahrem Heldenmuth.
Endlich haben wir den Sieg erhalten,
Als dem Hauptmann ich durch einen Hieb
Hatte so das linke Ohr gespalten,
Daß es von einander stehen blieb.
Als ich da herab auf seine Kleider
Unaufhörlich rieseln sah das Blut,
Und daß er nicht schlagen konnte weiter,
Rief ich: Halt! Für heute ist es gut!
Da wir stets die besten Freunde waren,
That es mir von ganzem Herzen leid,
Daß ihm dies von mir war widerfahren;
Denn wir blieben Freunde auch im Streit.
Lieber Eduard, bat ich, verzeihe,
Was ich leider nicht mehr ändern kann!
Ach, ich sehe, sprach er, Deine Reue,
Und ich weiß, Du hast's nicht gern gethan!
Doch es thut mir weh die off'ne Wunde,
Darum wasch ich erst sie und dann lauf'
Zu der Mutter ich nach Haus zur Stunde,
Daß sie lege mir ein Pflaster drauf.
Für Begleitung muß jedoch ich danken
Dir in diesem Augenblicke sehr;
Denn wenn Dich die Mutter sollte zanken,
Sprach er, schmerzte dieses mich noch mehr!
Mag sie immer zanken mich und schelten,
Will ich doch mit Dir nach Hause gehn,
Sprach ich, um ihr selber zu vermelden,
Daß es nicht mit Vorsatz ist geschehn.
(111 ≡)
Und es könnte ja auch schwach Dir werden,
Da Du eben schon so sehr erbleichst,
Darum nimm mich lieber zum Gefährten,
Bis Du Deine Mutter erst erreichst!
Seine Mutter war zwar eine kleine,
Aber durch und durch gescheidte Frau,
Als wir nun erzählten im Vereine
Ihr die Sach' von Anfang und genau,
Daß wir nur als Führer uns bekämpfet,
Und ich nicht den Hieb mit Fleiß gethan,
War ihr Zorn in der Geburt gedämpfet,
Und sie sah mich freundlich wieder an.
Doch es diente dieser Fall zur Lehre
Uns, den Führern, für die Folgezeit;
Denn es schlossen Frieden beide Heere,
Und es kam nicht mehr zum off'nen Streit.
Aber jünger war ich noch an Jahren,
Als ein Bauer mit dem Wagen mir
Ueber beide Beine ist gefahren,
Da ich eben saß vor seiner Thür'.
Meine Beine hatt' ich mit Vergnügen
Grade in den Fahrweg ausgestreckt,
Und ich ließ sie da auch ruhig liegen,
Weil ich nicht den Wagen hatt' entdeckt.
Leise fuhr derselbe, und ich machte
Eben eine Weidenpfeife mir;
In Gedanken tief versunken dachte
Ich an weiter gar nichts, außer ihr.
Darum hatte ich nicht wahrgenommen,
Daß der Nachbar, Gebhard's Nicolaus,
Mit dem Wagen war herangekommen;
Denn mein Pfeifchen war ja noch nicht aus.
Leider hatte ich nicht ehr gesehen
Diese, mich bedrohende Gefahr,
Bis derselben annoch zu entgehen,
Ich durchaus nicht mehr im Stande war.
Und so ging denn über meine Beine
Erst das Vorder-, dann das Hinterrad,
Und bis zu dem heut'gen Tage meine
Ich, ich wisse noch, wie weh es that.
Meine Mutter, die mich schreien hörte,
Kam gelaufen, um nach mir zu sehn,
Und ich konnte, als sie dies begehrte,
Noch allein auf meinen Füßen stehn.
Dann erst trug sie mich auf beiden Armen
Und zum Tod erschrocken schnell nach Haus;
Dorten zog sie, seufzend vor Erbarmen,
Mir geschwind die Schuh' und Strümpfe aus.
Von den Knieen an war losgerissen
Haut und Fleisch, und beides abgestreift,
Daß es unten hing auf meinen Füßen,
Wo es schlotternd hatte sich gehäuft.
Meine Mutter zog wie Strümpfe wieder
Meinen Beinen ihre Häute an,
Daß die eben noch geschundnen Glieder
Hurtig waren damit angethan.
Warmen Wein und Kräutersäckchen sollte
Nun mein Bruder halten in der Hand,
Weil die Mutter beides nehmen wollte,
Während sie die Beine mir verband.
Da er aber Blut nicht konnte sehen,
Wurde durch den Anblick er so schwach,
Daß er nicht mehr länger konnte stehen,
Und in Ohnmacht schnell zusammen brach.
„Halt' dich, Kleiner! denn vor allen Dingen,“
Sprach die Mutter jetzo zu mir sacht,
„Muß ich dem da erst zu Hülfe springen,“
„Bis er aus der Ohnmacht ist erwacht!“
Kaum war seine Schwäche überwunden,
Ist zu mir sie wieder hingeeilt,
Und da sie mich hatte recht verbunden,
Waren meine Beine bald geheilt.
Einen neuen Schrecken jagten wieder
Nachher wir den lieben Aeltern ein,
Als von Busenborn aus wir Gebrüder
Ohne sie besuchten den Bilstein.
Diese schroffe Felsenkuppe raget
Majestätisch weithin über's Thal,
Und kein Wunder, daß sie dem behaget,
Der sie sieht zum allerersten Mal.
Unsrer Neugier wollt' es nicht genügen,
Solche durch ein Perspectiv zu sehn,
Und die Aeltern ließen mit Vergnügen
Uns voraus und auf dieselben gehn.
Wenn ihr dort die Aussicht gern genießet,
Sprachen sie, so gehet schnell voraus,
Daß ihr dann euch wieder an uns schließet,
Und mit uns zusammen geht nach Haus!
Während wir nun auf den Felsen sprangen
Auf- und abwärts sonder Ruh' und Rast,
Waren sie im Thal vorbei gegangen,
Und wir hatten gänzlich sie verpaßt.
(112 ≡)
Und wir saßen auf den Felsenzinken,
Spähend noch, als es schon finster war.
Bis wir sahn des Dorfes Lichter blinken,
Und des Himmels Sterne hell und klar.
Da gedachten wir, daß doch so lange
Unsre Aeltern nicht geblieben sei'n,
Und da ward es mir ein wenig bange,
Weil ich nicht den Heimweg wußt' allein.
Deßhalb wollte mich mein Bruder necken,
Und fing scheinbar an, sich auszuziehn;
Warf sein Röckchen, nur um mich zu schrecken,
Mit den Worten auf die Erde hin:
„Da wir doch nicht mehr nach Hause kommen,“
„Schlafe heut ich hier auf diesem Platz!“
„Nun, so lasse Dir es wohl bekommen,“
Sprach ich „und ich geh' zum Pfarrer Kratz!“
Also sprechend wandt ich meine Schritte
Nach dem Busenbörner Pfarrhaus hin,
Und auch gegen meines Bruders Bitte
Blieb ich bei dem ausgesprochnen Sinn.
Als die Pfarrleut' an dem Tische saßen,
Traten wieder wir in ihre Stub';
Dickmilch und Kartoffeln wir auch aßen
Gleich mit ihnen für die Abendsupp'.
Drauf dieselben einen Boten sandten
Unsern Aeltern eiligst in der Nacht
Mit der Nachricht, wo wir uns befanden,
Und daß sie zu Bette uns gebracht.
Als die Aeltern nun nach Hause kamen,
Frugen sie: „Sind denn die Buben da?“
Weil sie drauf ein staunend „Nein“ vernahmen,
Ging es ihnen augenblicklich nah'.
„Ach, wie werden sich die armen Jungen“
„Aengsten jetzo in dem dunklen Wald!“
„Haben sie marode sich gesprungen,“
„Finden doch sie nirgends Unterhalt!“
„Schleunigst müssen wir nach ihnen streifen,“
„Noch bevor sie von dem rechten Pfad“
„In der Irre weiter abwärts schweifen;“
„Darum flugs hinaus auf frischer That!“
In dem nächsten Augenblick entfernen
Unsre Aeltern und der Schulvicar
Groh sich nach dem Wald mit drei Laternen,
Aufzusuchen das verlorne Paar.
Durch des Hillerswaldes Buchenhallen
Ließen oft und laut die Namen sie
Theodor und Christian erschallen,
Eine Antwort aber folgte nie.
Manchmal blies der Vater auf der Flöte,
Um zu sehn, ob dieses Instrument
Etwa weiterhin noch Wirkung thäte,
Als die Menschenstimme reichen könnt'.
Endlich sehen Alle in der Ferne,
Grade auf dem Busenbörner Pfad,
Daß sich ihnen Jemand mit Laterne
Und mit ziemlich schnellen Schritten naht.
Denkend nun, das könnten uns're Kinder
Oder auch ein Bote an uns sein,
Lenkte unser Vater noch geschwinder
Auf den fremden Leuchtenträger ein.
Doch als dieser Letzte deutlich siehet,
Daß ihn Jemand rasch ereilen will,
Stutzt er eine Weile, nachher fliehet
Er und steht auch auf kein Rufen still.
Da der Vater aber wissen wollte,
Wer der Unbekannte möge sein,
Lief er schneller auf ihn zu und holte
Bald den athemlosen Flüchtling ein.
Kaum hat dieser etwas sich gesammelt,
Als erschrocken und mit großer Müh'
Zu dem Vater er die Worte stammelt:
„Ach, Herr Pfarrer! ach das waren Sie!“
Dieser sprach: „Was hat Sie nur bewogen,“
„Lieber, alter Kirchensenior,“
„Daß Sie so vor mir sind ausgezogen?“
„Dieses kommt mir wie ein Räthsel vor!“
„Ach, ich muß mich zwar vor Ihnen schämen,“
„Wenn ich Ihnen dieses Räthsel lös;“
„Doch Sie dürfen mir's nicht übel nehmen,“
„Denn ich meinte es dabei nicht bös!“
„Diesen Ort sucht Jeder zu vermeiden,“
„Und bei Nacht geht Niemand gerne her,“
„Weil es heißt, daß es seit alten Zeiten“
„Hier zur Nachtzeit nicht geheuer wär'.“
„Und auf dieser Stelle soll auch gehen“
„Oft bei Nacht ein schwarzer Leuchtemann,“
„Was so Mancher, der ihn hat gesehen,“
„Ihnen für gewiß bezeugen kann.“
„Als Sie darum vorhin mir erschienen,“
„Hat die Angst sogleich mich übermannt,“
„Daß ich statt des Leuchtemann's vor Ihnen“
„Augenblicklich bin davon gerannt.“
(113 ≡)
„Doch ist's gut, daß hier ich Sie gefunden,“
„Denn ich sollte Ihnen kund nur thun,“
„Daß bei unserm Pfarrer seit zwei Stunden“
„Ihre Söhne sanft im Bette ruh'n.“
„Sein Sie ihretwegen außer Sorgen,“
„Ihren Söhnen ist kein Leid geschehn,“
„Und Sie werden beide wieder morgen“
„Munter und gesund zu Hause sehn!“
Dankend und mit leichtem Herzen kehrten
Unsre Aeltern nun zurück mit Groh;
Denn die Nachricht, die sie von uns hörten,
Machte sie auf einmal wieder froh.
So war doch der Streifzug nicht vergebens,
Den sie machten in derselben Nacht,
Und sie war die erste meines Lebens,
Welche ich bei Fremden zugebracht.
Früher sollte zwar in Eichelsachsen
Ich einmal bei meinem Freunde Geist,
Der in Burkhards mit mir aufgewachsen,
Uebernachten, als wir hingereist;
Meine Aeltern waren es zufrieden,
Und ich gab dem Freunde auch mein Wort;
Als indessen meine Aeltern schieden,
Lief ich dennoch meinem Freunde fort.
Weinend bat mich dieser und beweglich,
Nur zu bleiben eine einz'ge Nacht,
„Ach das Heimweh,“ rief ich, „macht's unmöglich,“
„Daß ich halte, was ich zugesagt!“ —
Ein französ'scher Officier gab Stunden
Mir und meinem Bruder kurze Zeit;
Das Französ'sche wollte uns nicht munden,
Darum kamen wir auch gar nicht weit.
Hatten wir die Wörter gut gelernet,
Gab er Zuckerplätzchen uns zum Lohn;
Konnten wir sie aber nicht entfernet,
Steckte er uns beide in Prison.
Doch des Pfarrers Schuchard schöne Töchter,
Welche wohnten bei uns in dem Haus,
Ließen, ehe sich's versah der Wächter,
Uns aus der Gefangenschaft heraus.
Daß sie dieses nun nicht wieder könnten
Dachte einmal klüger er zu sein,
Zog den Schlüssel ab mit eignen Händen,
Steckte ihn in seine Tasche ein,
Ging zu unsrer Mutter und erzählte:
Jetzo sitzen sie mir aber fest;
Denn er meinte, weil der Schlüssel fehlte,
Kämen wir auch nicht aus dem Arrest.
Doch wir waren beide flinke Jungen;
Aus dem zweiten Stocke waren wir
Durch das Fenster schnell hinabgesprungen.
Und erschienen eben an der Thür',
Als er uns'rer lieben Mutter sagte,
Daß die Flucht uns jetzt unmöglich sei;
Diese aber rief, indem sie lachte:
„Ei, da sind sie ja schon alle zwei!“
Staunend sah er, daß wir echappiret
Waren doch aus der Gefangenschaft,
Und er hat es später nicht probiret,
Wieder uns zu halten in der Haft.
Bis zum Jahre achtzehnhundertsieben
Wohnten Pfarrer Schuchard noch im Haus,
Und so lange kamen meine lieben
Aeltern mit der halben Pfründe aus.
Sechszehn Jahre lang lag krumm gezogen
Schuchard von der Gicht in seinem Bett,
Und das Kinn bis zu dem Knie gebogen,
Kam er nie von seiner Lagerstätt'.
Eßlust hatte er wie ein Gesunder,
Ward jedoch gefüttert wie ein Kind.
Seine Gattin war besorgt und munter
Und im Unglück engelgleich gesinnt.
Nicht genug, daß sie der Welt entsagen
Mußte bei dem krüppelhaften Mann,
Nein, sie ließ sogar sich von ihm schlagen,
Was man kaum für möglich halten kann.
Noch unglaublicher, daß sie das Stöckchen,
Womit er die treue Gattin schlug,
Weil er sich nicht rühren konnt' vom Fleckchen,
Selbst geduldig ihm an's Bette trug!
Als ob sie nicht schon genug geschlagen
Wäre mit dem Mann, der nie gesund,
Konnt' er noch mit Eifersucht sie plagen,
Ohne, daß er dazu hatte Grund.
Damals war ich noch ein kleiner Knabe,
Noch in meinem vierten Lebensjahr,
Und wie ich die Frau geliebet habe,
Ward mir erst bei ihrem Abschied klar.
Denn ihr Minchen war mein erstes Schätzchen,
Das ich für mein Leben gerne sah,
Und wenn sie mir gab ein süßes Schmätzchen,
Oh, wie überglücklich war ich da!
(114 ≡)
Schon besang in einem andern Liede
Ich die holde Jungfrau seiner Zeit,
Und es that mir, als sie von uns schiede,
Wahrlich auch von ganzer Seele leid.
Doch als ihre Mutter nach der Chaise
Ging, um zu verlassen unser Haus,
Da erst brach mein Schmerz mit Riesengröße
In verzweiflungsvolles Weinen aus.
Alle steckt' ich an mit meinen Schmerzen,
Alle weinten laut am Chaisenschlag,
Wo ich krampfhaft schluchzend an dem Herzen
Meiner lieben „Drobenmutter“ lag.
Nichts vermochte mich von ihr zu trennen.
„Nein“, rief ich, „Du darfst nicht fort von hier!“
„Und wenn Du nicht solltest bleiben können,“
„Ach, so nimm mich lieber auch mit Dir!“
„Nun, so setz' Dich zu mir in den Wagen,“
Sprach sie, „und begleite mich ein Stück;“
„Wenn ich dann Dir Lebewohl muß sagen,“
„Kehrst zu Deinen Aeltern Du zurück!“
Als wir in den Wagen eingestiegen,
Nahm gerührt sie mich auf ihren Schooß,
Und als sie begann mich sanft zu wiegen,
Fuhr der Kutscher auch sogleich drauf los.
Jetzo fing sie zärtlich an zu bitten,
Daß ich vor dem Dorf zurückekehr,
Weil sonst meine Aeltern zu viel litten,
Wenn sie hätten keinen Christian mehr.
Und wir könnten uns ja wiedersehen,
Wenn sie selbst den Weg nach Burkhards nähm',
Oder wenn ich mit der Mutter gehen
Könnte, und zu ihr nach Grünberg käm'.
Endlich küßte sie mich unter Thränen,
Und der Kutscher hob mich übern Schlag;
Mit verweinten Augen und mit Stöhnen
Sah ich stehend ihrem Wagen nach.
„Gott, der Du sie hast hinweggenommen,“
Rief ich aus mit thränenschwerem Blick,
„Laß die Drobenmutter wiederkommen!“
„Führe sie recht bald zu uns zurück!“
Drobenmutter hab' ich sie geheißen,
Weil sie oben in dem Hause war,
Und sich immer suchte zu erweißen
Gegen mich als Mutter ganz und gar.
Einmal habe ich nur noch gesehen
Diese heiß von mir geliebte Frau,
Als im achten Jahr ich konnte gehen
Mit der Mutter auf die Rabenau.
Als wir da nach Grünberg sind gekommen,
Blieben wir, wie wir es ausgemacht
Und uns Jahre lang schon vorgenommen,
Bei der Drobenmutter über Nacht.
Von der Reise war ich sehr ermüdet,
Und mit Schmutz bis an das Knie beklebt;
Doch die Wirthin hat es mir vergütet,
Und ihr Anblick bald mich neu belebt.
Anfangs kannte sie mich zwar nicht wieder;
Als sie aber hörte, daß ich's sei,
Ließ sie auf ein Knie sich vor mir nieder,
Und that einen lauten Freudenschrei.
Hob', was auch die Mutter ein mocht' wenden,
Mit dem Schmutz mich schwebend in die Höh';
Trug mich sanft auf treuen Mutterhänden
Hin zu ihrem schönen Canapé;
Stellte einen weichen Stuhl daneben;
Legte meine Füße ungeputzt
Auf denselben, ohne drauf zu geben,
Daß er von denselben ward beschmutzt.
Kurz, sie wußt' ihr inniges Entzücken,
Daß sie mich nach Jahren wiedersah,
Nicht genug und völlig auszudrücken,
Weil wir eine Nacht nur blieben da.
An dem nächsten Morgen, als wir schieden,
Hab' ich sie zum letzten Mal gesehn;
Denn sie sollte bald zum Himmelsfrieden
Aus dem Zeitlichen hinübergehn.
Ihre schöne Tochter Wilhelmine
Gab statt ihrer uns noch das Geleit,
Und auch sie — wer hätt's gedacht — erschiene
Nie mir wieder in der Folgezeit.
Damals blühte sie wie eine Rose,
Die das Aug' entzückt durch ihre Pracht;
Nunmehr ruht sie längst schon unterm Moose
In der ungestörten Grabesnacht.
Welche Kraft in schönen Mädchen lieget,
Kann aus ihrem Beispiel man ersehn;
Denn sie hat den Landesherrn besieget,
Daß er Gnade ließ für Recht ergehn.
Als ihr Bruder nämlich relegiret
Von der Landesuniversität,
Wurden, daß er werde recipiret,
Die Behörden mehrmals angefleht;
(115 ≡)
Doch so rührend man auch immer bate
In der unterthänigsten Supplik,
Nie erfolgte drauf das Wort der Gnade,
Niemals nahm das Urtheil man zurück.
Der Verzweiflung nahe war die Lage
Der bekümmerten Familie jetzt,
Welche ihre Hoffnung für die Tage
Ihrer Zukunft auf den Sohn gesetzt.
Da entschloß sich des Verbannten Schwester,
Zu dem Großherzoge hinzugehn,
Und persönlich ihn mit felsenfester
Zuversicht um Gnade anzuflehn.
Und als Ludewig der erste hörte,
Wie die Schwester für den Bruder bat,
Er die Bitte absobald gewährte,
Die sie auf den Knieen an ihn that.
Kaum war wieder sie nach Haus gekommen,
Kam von Gießen auch das Schreiben schon,
Daß das Urtheil sei zurückgenommen
Von des Bruders Relegation.
Und wie reich belohnte sie die Freude
Ueber sein, von ihr geschaffnes Glück,
Und daß sie die Mutter aus dem Leide
Führte zur Zufriedenheit zurück! —
Als ich zehn, mein Bruder fünfzehn Jahre
Alt geworden waren ganz genau,
Sollten beide wir zweihundert baare
Gulden holen auf der Rabenau.
Deßhalb nahm mein Bruder eine Flinte,
Ich des Vaters Degenstock zur Hand,
Um, wenn etwa sich ein Räuber finde,
Ihm zu leisten kräft'gen Widerstand.
Glücklich kamen wir im hohen Winter
Auf der Rabenau zusammen an;
Denn wiewohl wir beide fast noch Kinder,
Brachen durch den Schnee wir doch die Bahn.
Da wir nun in unsern Büchsenranzen
Von dem Großpapa das Geld gefaßt,
Mußt's mein Bruder tragen auf dem ganzen
Heimweg, weil mir war zu schwer die Last.
Denn als ich's probirte, sie zu tragen,
Fing sie an, bei jedem Schritte mir
In die Kniekehl' dergestalt zu schlagen,
Daß ich gleich mich wieder schied von ihr.
Unser Rückweg war nicht ganz geheuer,
Denn wir mußten darauf erst bestehn
Manches sonderbare Abenteuer,
Eh' wir uns're Heimath konnten sehn.
Erstens wollt' ich plötzlich, 's war zum Lachen,
Grad den Weg, auf dem wir kamen her,
Wieder allen Ernstes rückwärts machen,
In dem Wahn, daß er der rechte wär'.
Da mein Bruder deßhalb mich verlachte,
Reizte er mich schnell dadurch zum Grimm,
Und da er nach diesem auch nichts fragte,
Warf ich mit dem Degenstock nach ihm.
Komm, Du hast auf Irrkraut wohl getreten,
Weil auf einmal Du so irre bist,
Sprach er, und ich will um Alles wetten,
Daß hier dies der Weg nach Grünberg ist!
Dadurch konnt' er mir den Wahn nicht rauben,
Als ich aber Mehrere gefragt,
Mußt' ich endlich seinen Worten glauben,
Weil sie alle ebenso gesagt.
Als wir noch ein Stückchen weiter kamen,
Bis in einen jungen Tannenwald,
Wir auf einmal hinter uns vernahmen
Ein gebieterisches, lautes „Halt!“
Siehe da, ein Kerl in blauem Kittel
Kam uns beiden schnellen Schrittes nach,
Und es fiel mir auf sein dicker Knüttel,
Weßhalb ich zu meinem Bruder sprach:
„Hör', das ist kein ehrlicher Genosse,“
„Wie man schon von Weitem sehen kann;“
„Binde schnell das Tuch vom Flintenschlosse,“
„Eh' er nahe kommt, und spann' den Hahn!“
„Wenn er angreift, und die Flint' versagen“
„Sollte, hat es doch noch keine Noth;“
„Laß Dich ringend nur zu Boden schlagen;“
„Trau' auf mich; ich stech ihn auf Dir todt!“
Als er nah' war, rief mein Bruder muthig:
„Kerl, drei Schritte uns vom Leibe bleib!“
„Einen Schritt noch, und Du stürzest blutig;“
„Denn die Kugel fährt Dir durch den Leib!“
Und er stand und sprach: Ich wollt nur fragen,
Ob das hier der Weg nach Grünberg sei?
Doch sein Auge sprach: Darf ich es wagen?
Werd' ich fertig wohl mit diesen Zwei?
Da auf unser „Ja“ er bliebe stehen,
Und nun mit uns wollte in die Stadt,
Sprach mein Bruder: „Das kann nicht geschehen;“
„Denn wir sind schon der Gesellschaft satt!“
(116 ≡)
Zögernd sah er nochmals nach der Flinte,
Sich bedenkend, was zu machen wär';
Endlich ging er sinnend, nicht geschwinde
Eine kurze Strecke vor uns her;
Plötzlich wandt er ab sich von dem Pfade,
Und indem ihm folgte unser Blick,
Kehrte er nun dahin wieder grade,
Wo er hergekommen war, zurück.
Darum mußten wir auch sicher glauben,
Was er eben dadurch zeigte klar,
Daß er uns nur, um uns zu berauben,
In dem Walde nachgelaufen war.
Nun begannen beide wir zu scherzen
Ueber unsern jungen Heldenmuth,
Und wir waren froh zugleich von Herzen,
Daß er nicht vergossen Menschenblut.
„Hätte Dir der große, starke Lümmel,“
„Auf den Kopf gethan den ersten Schlag,“
„Wären jetzt wir beide schon im Himmel,“
Ich im ernsten Scherz zum Bruder sprach.
„Ja, hätt' nicht gehalten ihn im Zügel“
„Hier vor meinem Flintchen der Respect,“
„Hätt' er mich,“ sprach jener, „mit dem Prügel“
„Gern in Einem Schlage hingestreckt.“
„Und ich glaube, da es vorher schneite,“
„Gar nicht, daß das kleine Mordgewehr,“
„Wenn's gekommen wär' zum ernsten Streite,“
„Auf den Schurken losgegangen wär'.“
Und so gab der Vorfall einem Jeden
Stoff zur Unterhaltung für den Tag,
Daß wir immer davon konnten reden,
Bis des Abends Schatten vor uns lag.
Weil bis dahin wir schon sieben Stunden
An dem kurzen Wintertag gemacht,
Und die Lust zum Gehen mir entschwunden.
Wollte da ich bleiben über Nacht.
Doch mein Bruder war nicht zu bewegen,
Auch zu bleiben an demselben Ort,
Und um sechs Uhr Abends ging deßwegen
Ich ermüdet mit ihm weiter fort.
Langsam ging ich bis an jenen Hügel,
Der vor Eschenrod steigt in die Höh',
Dort ließ aber hängen ich die Flügel
Da ich kam bis über's Knie in Schnee.
Darum sagte ich zu dem Begleiter:
„Halte ein, o Mensch, in Deinem Lauf!“
„Ohne auszuruh'n kann ich nicht weiter“
„Durch den tiefen Schnee den Berg hinauf!“
„Nein, Du darfst hier in dem Schnee nicht sitzen;“
„Bist Du aber wirklich so erschlafft,“
„Will ich“, sprach er, „gern Dich unterstützen,“
„Bis Dir droben wieder kommt die Kraft!“
Als wir auf dem Berge angekommen,
Wo er Arm in Arm mich hingeführt,
Hatten meine Kräfte zugenommen,
Daß ich wieder bin allein marschirt.
Da ich endlich nach dem langen Leide
Meine Mutter wiedersah zu Haus,
Brach an ihrem Halse ich vor Freude
Und auch sie in lautes Weinen aus.
Und sobald der Vater heim gekommen,
Der zum Förster ausgegangen war,
Und die Aeltern nun von uns vernommen,
Wie geschwebt wir hätten in Gefahr,
Sprachen sie: „Wir haben es bereuet,“
„Daß wir hatten weg euch lassen gehn;“
„Desto mehr sich unser Herz nun freuet,“
„Wohlbehalten wieder euch zu sehn!“
Ward auf jener Reise ich marode,
Ziehe daraus Niemand doch den Schluß,
Daß dies sei bei mir gewesen Mode;
Denn ich war vorzüglich gut zu Fuß.
Wenn wir wollten in die Wette laufen,
Lief ich allen andern Knaben vor,
Keiner kam mir aus dem ganzen Haufen
Gleich, als nur mein Bruder Theodor.
Auf dem Kopfe konnt' ich nicht nur stehen,
Sondern schlug auch meisterlich ein Rad,
Und auf beiden Händen konnt' ich gehen,
Daß mir Keiner darin gleich es that.
Manchen hohen Baum hab' ich erklommen,
Der so schwierig zu ersteigen war,
Daß hinauf kein Andrer konnte kommen,
Wenn er auch nicht scheute die Gefahr.
Selbst den Kirchthurm habe ich befahren
So wie es die Schieferdecker thun,
Als vom Flaschenzuge diese waren
Weggegangen, um sich auszuruhn.
Die Gymnastik machte mir Vergnügen,
Und ich hab' an's Turnen mich gemacht.
Dem ich fleißig pflegte obzuliegen,
Daß ich's ziemlich weit darin gebracht.
(117 ≡)
In der Scheuer hatt' ich fest geschlungen
Oben mir das Rollseil am Gerüst,
Darauf hab' ich mich herumgeschwungen,
Und Gesellschaft nicht dabei vermißt,
Von der Tennwand sprang mit einem Satze
Ich bis an das Seil, das senkrecht hing,
Welches ich, so flink wie eine Katze,
Jedesmal mit sich'rem Griffe fing.
Darauf lief ich mit den beiden Händen
An dem Seile hurtig auf und ab,
Ohne meine Beine anzuwenden,
Oder daß ich Hülfe damit gab.
Als ich einst die Rolle aus der Latte
Heben wollte, und die Kraft dazu
Lange noch nicht in dem Arme hatte,
Stürzte von der Leiter ich im Nu.
In dem Fallen griff ich nach dem Seile,
Und erwischt's auf einer Seite nur,
Daß mit ihm ich wie mit einem Pfeile
Augenblicklich in die Tiefe fuhr.
Unten fiel ich auf des Seiles Schlinge,
Daß zusammen schlugen Kopf und Füß';
Weil sie aber mitten mich umfinge,
Sie mich nicht zu Boden fallen ließ.
Hätt' das Seil bis auf die Erd' gehangen,
Hätte ich gebrochen Hals und Bein;
Da es aber schwebend mich umfangen,
Ward es meine Retterin allein.
Unsrer Magd, die Zeter schreien wollte,
Als sie meinen Fall mitangesehn,
Sagte gleich ich, daß sie schweigen sollte,
Denn es sei mir gar kein Leid geschehn.
Doch ich habe auch in frühern Jahren,
Ja sogar zuweilen schon als Kind
Ausgestanden mancherlei Gefahren,
Die mir noch in dem Gedächtniß sind.
Als mein Bruder nämlich einmal bliese
Eine Feder in die Luft vor mir,
Ich mich durch dieselbe schrecken ließe,
Grad als wäre sie ein reißend Thier.
Nein, ich werde nimmermehr vergessen,
Wie er, mich zu schrecken, zu mir sprach:
„Ach, das ist der Wolf, der will Dich fressen!“
Und die Angst, in der ich schrie hernach.
Meiner Großmama, die ängstlich fragte,
Warum ich denn so entsetzlich schrie,
Ich, so gut ich's damals konnte, sagte:
„Ach, der Wof, der Wof!“ — da lachte sie.
Als mein Bruder einst mit einem Stabe
Zielte nach dem Centrum an der Thür',
Und ich mich zu nah' befunden habe,
Warf er gerade auf ein Auge mir.
Aus dem Lide, welches stark verwundet,
Mir im Augenblick das Blut entquoll,
Und der Schaden war noch nicht erkundet,
Als das Auge dick schon zu mir schwoll.
Erst nachher, als die Geschwulst verschwunden.
Und man mir in's Auge sahe klar,
Haben Alle große Freud' empfunden,
Daß das Innere gesund noch war.
Da die Schmerzen waren überstanden,
Freute ich mich selber in der Seel',
Weil nun keine Furcht mehr war vorhanden,
Daß ich für die Zukunft werde scheel.
Später schlug mit einer Schäferschippe,
Die der Großpapa ihm mitgebracht,
Auch mein Bruder mir die Oberlippe
Von einander, ehe er's gedacht.
Auch ein Zahn flog mir aus meinem Munde
Bei demselben unvorsicht'gen Schlag,
Und als zugenähet war die Wunde,
Ein paar Tage ich zu Bette lag.
Essen konnt' ich damals keine Speise;
Trinken konnt' ich grade auch nicht viel;
Denn ich trank auf ganz besondre Weise
Alles nur durch einen Federkiel.
Da ich hinter meinem Bruder stande,
Und er meinte, ich ständ nicht so nah',
Er auch meinen Schaden erst erkannte,
Als er mich entsetzlich bluten sah.
Nach der Heilung mir jedoch ein Knötchen
In der Lippe lange fühlbar blieb,
Bis mir ein Student das alte Nähtchen
Beim Rappiren von einander hieb.
Denn nachdem die Wunde jetzt geheilet,
Fühlte ich kein altes Knötchen mehr;
Drum hab' dem Student ich Lob ertheilet,
Daß er gut zu einem Doctor wär'.
Dennoch habe ich bis diese Stunde
Stets gehabt ein Denkmal jenes Tags,
Denn ein schiefer Zahn in meinem Munde
Ist die Folge jenes Schippenschlags.
(118 ≡)
Noch ein anderes Erinnrungszeichen
Einer anderen Fatalität
Kann ich keinem Menschen leicht verschweigen,
Weil mir's grade auf dem Kopfe steht.
Köhler's Lorchen und Inspectors Jettchen,
Beide ungefähr so alt wie ich,
Und das letztere ein rundes Mädchen,
Führten schmeichelnd in Versuchung mich.
Auf des Baumes höchsten Wipfel sahen
Sie die letzten Kirschen lüstern an,
Denen ich nicht wagte mich zu nahen;
Denn sonst hätte ich's schon längst gethan.
Als sie mich nun beide freundlich baten:
„Hole uns die Kirschen doch herbei!“
Sprach ich: „Nein das kann mir nicht gerathen;“
„Denn das Aestchen bricht mit mir entzwei!“
„Daß Du uns die Kirschen holen könnest,“
Sprach die Runde, daran zweifl' ich nicht;“
„Wenn Du sie indessen uns nicht gönnest,“
„Leiste gerne ich darauf Verzicht!“
Da es schien, als wolle sie mir schmollen,
Sagte ich: „Jetzt steige ich hinauf;“
„Daß es nicht gelegen hat am Wollen“
„Wird sogleich Dir zeigen der Verlauf!“
Als ich reichte nach den Kirschen munter,
Brach das schwache Aestchen mit mir ein,
Und kopfüber stürzte ich herunter,
Grade mit dem Kopf auf einen Stein.
Jettchen sahe nun die blut'gen Früchte
Seiner ausgesproch'nen Lüsternheit,
Und ich sah ihm an in dem Gesichte,
Daß es ihm von Herzen thate leid.
Während es die Wunde hat gewaschen
Sah es mich so weich und lieblich an,
Daß ich, hätt' es nochmals wollen naschen,
Gleich den Fall noch einmal hätt' gethan.
Als ich völlig wiederum genesen,
Und das Loch im Kopf geheilet war,
Ist die Stelle lang so kahl gewesen,
Daß man sah darauf kein einzig Haar.
Endlich, als mit einem här'nen Kleide
Diese Blöße wieder ward bedeckt,
War dasselbe grad so weiß wie Kreide,
Daß mein Haar von Stund' an blieb gescheckt.
Sah man diese weiße mit den Jahren
Gleich in blonde Farbe übergehn,
Kann man doch noch heut' an meinen Haaren
Einen Unterschied der Farbe sehn.
Auch ist mir aus früher Kindheit Tagen,
Deren ich mich noch erinn're kaum,
Wie ich ihn hier kürzlich vor will tragen,
Im Gedächtniß ein besondrer Traum.
Eine Frau, die Töpfe auf dem Kopfe
Trug, und grinsend an mein Bettchen schritt,
Wollte mich in einem großen Topfe
Meinen Aeltern heimlich nehmen mit.
Da ich meinte, daß mit mag'rer Tatze
Eben sie mich angefasset hätt',
Wacht' ich auf und war mit einem Satze
Flugs bei meinen Aeltern in dem Bett.
Und bei der besorgten Aeltern Fragen
War mir's vor den Augen grün und blau,
Daß ich weiter noch nichts konnte sagen,
Als: „Die Töpferfrau! die Töpferfrau!“
Denn ich hätte mögen darauf wetten,
Daß ich nicht im Traume sie gesehn;
Sondern daß sie hinter unsern Betten
Irgendwo noch wirklich müsse stehn.
Ja, die Angst, in die sie mich gejaget,
War gedrungen mir durch Mark und Bein,
Daß ich's hätte nicht sogleich gewaget,
Wiederum zu schlafen ganz allein.
Als schon Jahre drüber hingestrichen,
Welche meiner Angst ein Ziel gesteckt,
Haben meine Aeltern zum Vergnügen
Mich noch mit der Töpferfrau geneckt.
Einem Blutfink hatte vorgepfiffen
Mein Papa: „Sag', was hilft alle Welt,“
Und da es der Vogel gut begriffen“,
War er ihm nicht feil um vieles Geld.
Aber als mein Peitschchen sich geschlungen
Um die Schnur, woran der Käfig hing,
Und ich rasch dasselbe losgeschwungen,
Riß ich auch die Schnur aus ihrem Ring,
Und der Vogel, welcher pfiff so munter,
Und so schön war, glänzend schwarz und roth,
Fiel mit seinem Korbe schnell herunter,
Und war augenblicklich mausetodt.
„Jetzt bekommst Du aber harte Schläge,“
Sprach die Mutter, „wenn's der Vater sieht!“
„Mach Dich darum lieber aus dem Wege,“
„Bis sich hat beruhigt sein Gemüth!“
(119 ≡)
„Nein,“ sprach ich, „ich geh' nicht aus dem Wege,“
„Da ich selber wohl begreifen kann,“
„Daß verdient ich habe meine Schläge,“
„Wenn's ich's auch gewiß nicht gern gethan!“
Als der Vater aus der Kirch gekommen,
Und zu Ende hatte angehört,
Wie ich bei der Sache mich benommen,
War er sehr betrübet und empört.
„Einen Buckel voll wollt' ich Dir geben,“
„Könntest Du den Vogel lebend schrei'n;“
„Da er aber nicht mehr kommt in's Leben,“
„Will ich Dir den Unverstand verzeihn!“
Also sprach er traurig, und wie nahe
Ihm der Tod des Lieblings ging an's Herz,
Ich des andern Tages deutlich sahe,
Als er ihn begrub mit großem Schmerz.
Zweimal hab' ich zwar in meinem Leben
Von ihm Schläg' bekommen, noch als Kind;
Doch die ersten, die er mir gegeben,
Hatte ich wahrhaftig nicht verdient.
Auf der Brustwehr unsrer Treppe saßen
Confirmanden-Mädchen in der Reih',
Und ich fing mit ihnen an zu spaßen
In der unschuldigsten Kinderei.
Da ich nun mit einer Ofenkrücke
Scherzend rannte auf die Mädchen los,
Bog sich eins aus Furchtsamkeit zurücke,
Ohne daß ich gab ihm einen Stoß.
Als dasselbe nunmehr rückwärts thate
Einen wohl vier Ellen tiefen Fall,
Sah's mein Vater durch das Fenster grade,
Und es schoß ihm über gleich die Gall'.
Weil's ihm schien, ich hätt's hinabgestoßen,
Kam sofort er zornig aus dem Haus,
Und nun klopfte er mir meine Hosen
Ohne Weiters mit der Reitgert aus.
Erst als ich die Züchtigung bekommen,
Und ich sagte, daß ich schuldlos sei,
War's ihm leid, daß er sie vorgenommen,
Weil mir alle Mädchen stimmten bei.
Daß er mich zum zweiten Mal geschlagen,
Daran war ich freilich selber Schuld;
Denn ich konnt' die Lection nicht sagen,
Und deßwegen riß ihm die Geduld.
Da mein Bruder erst sich widmen sollte
Dem Geschäft auf der Papierfabrik,
Und dabei durchaus nicht bleiben wollte,
Kam er, sechszehn Jahre alt, zurück.
Nun denn sollten beide wir studiren,
Wußten aber noch kein Wort Latein,
Drum wollt' uns der Vater informiren,
Was schon früher hätte sollen sein.
Denn mir war das elfte Jahr vergangen
Und das sechszehnte dem Bruder schon,
Als wir beide haben angefangen
Mit der ersten Declination.
Und allein mit diesem Decliniren
War es unserm Vater nicht genug,
Darum mußten wir auch memoriren
Täglich Wörter aus dem Wörterbuch.
Doch es kamen die Latein'schen Brocken
Mir und meinem Bruder Theodor
Nebst der Lang's Grammatik gar zu trocken
Und beinah wie lauter Spanisch vor.
Da wir nun einmal den Fleiß vergessen,
Und die Lection gelernt zu schlecht,
Wurde uns das Peitschchen angemessen,
Daß es größern Eifer bei uns brächt'.
Als mein Bruder seine Tracht bekommen,
Und ich kam als zweiter Sträfling vor,
Und der Vater kaum mich hergenommen,
Biß in's Bein ihn unser alter Mohr.
Knurrend wollte dieser sich erheben,
Als der Vater meinen Bruder schmiß;
Als er mir den ersten Schlag gegeben,
Fühlte er sogleich des Hundes Biß.
Und die Hiebe, die der Mohr bekommen
Dafür, weil er helfen wollte mir,
Hätte lieber ich für ihn genommen,
Und gelitten für das treue Thier.
Weil es aber meine Schuld getragen,
Und empfangen meinen Sündenlohn,
Wurde ich nun weiter nicht geschlagen,
Sondern kam mit Einem Hieb davon.
Bald darauf erkannte unser Vater,
Unser Bleiben sei für uns nicht gut.
Und aus eben diesem Grunde that er
Uns nach Breungeshain in's Institut.
Bei dem Pfarrer Löber dort verblieben
Achtzehn Monate wir in der Lehr;
Was ich davon habe schon geschrieben,
Will ich hier nicht wiederholen mehr.
(120 ≡)
Viele Thränen hab' ich dort vergossen,
Als ich an dem Heimweh laborirt;
Auch die Christenlehre dort genossen,
Doch in Crainfeld ward ich confirmirt.
Achtzehnhundertsechszehn nun verließen
Wir im Herbst das liebe Breungeshain,
Und der Vater brachte uns nach Gießen,
Wo in's Pädagog wir traten ein.
Als uns Schaumann dort examiniret,
Wurden wir zugleich mit Wilhelm Schmidt
Nach Secunda alle drei placiret,
Doch ausdrücklich mit dem Unterschied,
Daß mein Bruder, weil er älter seie,
Seinen Platz auf erster Ordnung nähm';
Was jedoch beträf die andern Zweie,
Jeder auf die zweite Ordnung käm'.
Nach Verlauf von vierthalb Jahren kamen,
Als wir unsere Maturität
Erst bewiesen noch durch ein Examen,
Dann wir auf die Universität.
Weil wir alle drei in Prima saßen
Auf der zweiten Ordnung, mußten wir
Uns zuvor noch einmal prüfen lassen
Und bezahlen unsere Gebühr.
Wir Gebrüder wurden Theologen,
Schmidt dagegen, eines Försters Sohn,
Hat das Forstfach diesem vorgezogen
Aus besonderer Inclination.
An dem Pädagoge waren Lehrer:
Schaumann, Winkler, Zimmermann und Klein,
Engel, Rumpf und Borré, da als Hörer
Ich noch ging in's Pädagog hinein.
Und von allen den genannten Sieben,
Deren jeder mich gelehret hat,
Ist bis jetzt am Leben nur geblieben
Engel, der Geheime Kirchenrath.
Und wie die Gymnasialdoctoren
Alle mir gewesen lieb und werth,
Waren mir es auch die Professoren,
Wo ich bei Collegia gehört.
Diese pflegt' ich fleißig zu besuchen,
Wie bei Palmer, Schmidt und Diefenbach,
So bei Künöl, Schulz und Pfannenkuchen,
Wenn der letzte auch nicht deutlich sprach.
Auch bekam ich, als ich ausstudiret
Das gesetzliche Triennium,
Und auch zweimal war examiniret,
Ein sehr gutes Testimonium.
In dem Sittenzeugniß war zu lesen,
Daß ich früherhin bei einem Corps
Nämlich der Constantia gewesen;
Weiter liege gegen mich nichts vor.
Unser Corps war nicht geheim geblieben,
Und wir hatten das Consilium
Alle miteinander unterschrieben
Vorm Disciplinarjudicium.
Kam auch nur das mindeste Vergehen
Von den Subscribirten noch heraus,
Mußten sie, das war vorauszusehen,
Wandern auf ein halbes Jahr nach Haus.
Als ich diese Strafe hätt' bekommen,
Weil ich nachmals zeugte beim Duell,
Hat dieselbe für mich übernommen
Scheuermann, und saß an meiner Stell.
Dafür ließ er einen Stiefel nieder
Aus dem hohen Carcerfensterlein,
Und so oft er ihn emporzog wieder,
Fand er drinnen eine Flasche Wein.
Und so ging es täglich eine Woche
Daß es ihm von Herzen thate leid,
Als er wieder kam aus seinem Loche,
Und zu Ende war die Büßezeit.
Ja, er mußte noch mich darum bitten,
Daß ich meine Straf' ihm lassen sollt',
Weil sich Viele darum mit ihm stritten,
Deren jeder für mich sitzen wollt'.
Einer träget oft des Andern Sünde,
Wie ich in Secunda schon geseh'n,
Als ich selber ohne alle Gründe
Mußt' für Andere in's Carcer gehn.
Damals trieben bei dem Kartenspiele
And're Schüler es so toll und arg,
Daß die Hausfrau, welcher es mißfiele,
Klagend ging zum Pädagogiarch.
Schaumann, welcher damals war am Ruder,
Und geglaubt, wir hätten Theil daran,
Kündigte nun mir und meinem Bruder
Deßhalb vierzehn Tage Carcer an.
Calmberg hatte irrig unsre Namen
Unter den Consorten mit genannt,
Weil ihm das Gedächtniß beim Examen
Des erzürnten Richters ganz entschwand.
(121 ≡)
Und wiewohl er an demselben Tage
Noch zum Pädagogiarchen lief,
Und, daß er den Irrthum richtig mache,
Seine erste Aussag' widerrief,
Ließ sich dieser nicht damit genügen,
Sondern sprach: „Es ist, wie Sie gesagt;“
„Jetzo wollen Sie mich nur belügen,“
„Weil die Spamer Ihnen Angst gemacht!“
Als wir, unsre Unschuld zu bezeugen,
Ihm noch sagten manches ernste Wort,
Sprach er zu uns: „Wenn Sie jetzt nicht schweigen,“
„Jag' ich aus dem Pädagog Sie fort!“
Da ich's nun dem Doctor Engel klagte,
Welch' ein großes Unrecht uns geschehn,
Dieser mir zu meinem Troste sagte:
„Ich will selbst zum Herrn Professor gehn!“
Und so ist er dreimal hingegangen,
Und bat stets die Hälft' der Strafe ab.
Als zum vierten Mal ich angefangen,
Er mir aber diese Antwort gab:
„Habt Ihr statt zwei Tage nur zwei Stunden“
„Beide in dem Carcer zugebracht,“
„Und mit dem Pedell Euch abgefunden,“
„Dann ist schon die Sache abgemacht!“
Als wir beide nun im Carcer saßen,
Und der Diehl uns kaum geschlossen ein,
Hörten in den allernächsten Straßen
Wir schon „Feuer! Feuer! Feuer!“ schrei'n.
Augenblicklich wir uns da bemühten,
Zu erbrechen unser Kerkerschloß,
Und der Diehl rief: „Sein Sie nur zufrieden;“
„Denn ich lasse ja sogleich Sie los!“
Eine Strafe habe ich bekommen
Später, während ich in Prima saß,
Welche ich mit Freuden angenommen,
Da sie mir gewährte großen Spaß.
Heichelheim roch übel aus dem Munde;
Streckte öfters auch die Zung' heraus,
Wenn er schreiben wollte in der Stunde,
Und das war schon lange mir ein Graus.
Darum sprach ich einst: „Wenn Du beim Schreiben“
„Wieder Deine Zung' mich lässest sehn,“
„Werde ich die Unart Dir vertreiben;“
„Denn sie ist nicht länger auszustehn!“
Da er doch nach einigen Minuten
Seiner Zunge ließ den alten Lauf,
Schlug ich diesem, sonst gescheidten Juden,
Weil ich's ihm gedrohet, tüchtig drauf.
In dem Augenblicke rief er: „Spamer!“
Daß es der Professor hören sollt';
Und da Rumpf es deutlich hörte, kam er,
Fragend, was derselbe von mir wollt'.
„Ei, der Spamer da hat mich geschlagen!“
Sprach der Jude, mich verklagend nun.
„Herr Professor, ich kann Ihnen sagen,“
Sprach ich, „daß ich dieses mußte thun!“
So und so hat es sich zugetragen,
Wie ich nämlich eben jetzt erzählt;
„Und Sie können hier die Nachbarn fragen,“
„Ob sie Heichelheim nicht alle quält!“
„Ja,“ rief Thum, „in seiner Atmosphäre“
„Ist ein so unleidlicher Gestank,“
„Daß es wahrlich gar kein Wunder wäre,“
„Wenn man hier vor Eckel würde krank!“
„Spamer soll sechs Kreuzer Strafe zahlen,“
„Und der Kläger noch einmal so viel!“
Dieses war das Urtheil, das dermalen
Mir vom Herrn Professor wohl gefiel.
Wie wir als Studenten mit Soldaten
Anno einundzwanzig sind im Streit
Ohne mein Verschulden einst gerathen,
Hab' ich schon beschrieben lang und breit.
Aber, was ich, während wir gehalten
Damals auf dem Schiffenberg Commerce,
Ausgestanden hab' mit meinem Alten,
Das bezeugt bis heute noch kein Vers.
Da mein Bruder dabei präsidirte,
Und doch dazumal erst Brandfuchs war,
Ihn der Bursche Reuling invidirte,
Und so kamen sie sich in die Haar'.
Zwei Barone waren mitgekommen,
Der von Buseck und von Rabenau,
Welche Reuling hatte mitgenommen,
Ob wir gleich sie kannten nicht genau.
Diesen wollte Reuling gerne zeigen,
Daß doch er der Hahn im Korbe sei;
Wenn mein Bruder nun gebot zu schweigen,
That der Bursche grad den lautsten Schrei.
In der Ordnung war er nicht zu halten,
Sondern schrie so lange darauf los,
Bis nach langem Drohen meinem Alten
Endlich auch die Galle überschoß.
(122 ≡)
Da nun kamen sie zum Handgemenge;
Die Barone standen Reuling bei;
Doch war's mehr ein Zerren und Gedränge,
Als gerade eine Schlägerei.
Mit Gewalt erfaßt' ich meinen Alten,
Um ihn aus dem Saale wegzuthun;
August Völker wollt' die Gegner halten,
Daß sogleich sie alle sollten ruhn.
Buseck aber kam uns nachgesprungen,
Und zu allem Glück gewahrte ich,
Daß nach meinem Bruder er geschwungen
Hatt' sein Messer schon zu einem Stich.
Da stach ich ihm Eine aus der Wurzel,
Daß er auf der Treppe schlug ein Rad,
Und bei seinem unverhofften Burzel
Meinem Alten nichts zu Leide that.
Weil ihm Rabenau nun helfen wollte,
Warf ich diesen quer auf jenen hin,
Sprechend zu dem Bruder, daß er sollte
Den Barönchen ein'ge überziehn.
„O, wenn Du mir beistehst, lieber Kleiner,“
Rief mein Alter, „soll's bald fertig sein;“
„Denn von uns schlägt doch wahrhaftig Einer“
„So ein Dutzend Kerlchen kurz und klein!“
„Aber,“ sprach ich, „weil wir's könnten, eben“
„Darum, Alter, wollen wir's nicht thun,“
„Und da diesen Du genug gegeben,“
„Laß sie gehen und uns wieder ruhn!“
„Da sie sich betragen wie Banditen,“
„Muß wie solchen ihnen Recht geschehn,“
Sprach er; doch bewog ich ihn durch Bitten,
Mit mir weg bis in den Hof zu gehn.
Als jedoch auch Reuling vor der Thüre
Zähneknirschend wieder ihm erschien,
War's als wenn der Teufel in ihn führe,
Und er wollte mit Gewalt an ihn.
„Mach' mit Reuling und mit Euren Gästen —“
Rief ich deßhalb August Völker zu —
„Dich, so schnell Du kannst, hier aus den Aesten;“
„Denn es gibt doch eher keine Ruh!“
Aber meinen aufgebrachten Alten,
Bis zur Abfahrt Alles war bereit,
Von dem Gegner nun noch fern zu halten,
Das war wahrlich keine Kleinigkeit.
Dennoch ist es mir allein gelungen,
Abzuwenden drohende Gefahr,
Und es ist mir Niemand beigesprungen,
Weil ich ihm allein gewachsen war.
Endlich hatte Völker auf dem Wagen
Meines Bruders Feinde alle drei,
Und da ich sie sah von dannen jagen,
Ließ ich nun auch diesen wieder frei.
Früher hatte ich mit jenem Reuling
In der Scheuer auch schon einen Strauß,
Da er mich als einen Fuchs und Neuling
Tüchtig einmal wollte schmieren aus.
Doch er mußte bald den Kürzern ziehen,
Und nicht nur den Rücken wenden mir,
Sondern selbst bis auf die Straße fliehen;
Soweit trieb ich ihn mit dem Rappier.
Fünfmal hätte ich mich können schlagen,
Wenn ich krabbiger gewesen wär;
Hab' mich aber jedesmal vertragen,
Weil ich dieses hielt für größ're Ehr'.
Viermal ist mein Bruder losgegangen,
Und mit Freunden an demselben Tag;
Jeder hat dabei von ihm empfangen
Einen Hieb, woran er lange lag.
Kißner, Schmitz, Georgi, Degen schmissen
Tapfer auf ihn los in jenem Streit,
Und als er sie alle angeschissen,
That's ihm für den ersten herzlich leid.
Aus Studentenangelegenheiten
Habe ich mir niemals viel gemacht;
Denn es sind ja doch nur Kleinigkeiten,
Ueber die man später selber lacht.
Bei der Freunde Sing- und Trinkgelagen
War ich jederzeit fidel und gern;
Doch von Raufen, Saufen, Dirnenjagen
War und blieb ich immer lieber fern.
Dreimal aber hätte können büßen
In der Lahn ich leicht das Leben ein
Während meines Aufenthalt's in Gießen,
Doch es sollte jedesmal nicht sein.
Zwei Bekannte sah ich Wasser treten,
Als ich baden wollte in der Lahn;
Und ich frug sie, ob sie Grund da hätten,
Hörte meine Frage auch bejah'n.
Ihrem Worte glaubend sprang ich plötzlich
In die Fluth vom hohen Uferrand;
Aber unten war es mir entsetzlich,
Da ich dennoch keinen Boden fand.
(123 ≡)
Durch das Wasser sahe ich im Sinken
Erst den Himmel blau und nachher grün,
Endlich aber gar nicht mehr erblinken,
Und da dachte ich: nun bist Du hin.
Damals hatte ich noch nie geschwommen,
Und deßwegen glaubte ich auch nicht,
Daß ich lebend werde wiederkommen
Aus der Tiefe an das Tageslicht.
Meinen Aeltern und noch andere Lieben
Sagte ich im Geiste schon Adieu,
Und ich fühlte innigstes Betrüben,
Daß ich nun sie nimmer wiedersäh'.
Plötzlich aber sah ich, daß nach oben
Mich das Wasser ganz von selber trieb,
Und es hatte bald mich so gehoben,
Daß der Mund mir überm Wasser blieb.
Um dem Tode eilig zu entrinnen
Suchte ich das nächste Ufer nun
Schwimmend wie die Hunde zu gewinnen,
Und mich an demselben auszuruhn.
Doch als ich versuchte mich zu stellen,
Und zu fassen wieder festen Fuß,
Ging ich nochmals unter in den Wellen,
Und es brauste über mir der Fluß.
Als ich tauchte wieder aus den Wogen,
Fing ich eine Weide mit der Hand,
Und an ihr hab' ich mich noch gezogen
Mit den letzten Kräften an das Land.
Aber als sich meine müden Glieder
Hatten auf der Wiese ausgeruht,
Sprang ich doch mit allem Fleiße wieder
An derselben Stelle in die Fluth.
Denn ich habe mich nicht mehr gescheuet
Vor der ausgestandenen Gefahr,
Sondern habe mich vielmehr gefreuet,
Daß ich nunmehr auch ein Schwimmer war.
Schlittschuh nach der Badenburg zu laufen,
War ich einst mit Kißner auf dem Weg,
Und es dachte keiner an's Ersaufen,
Oder daß das Eis zusammenbräch'.
Plötzlich sah ich eine breite Stelle,
Die noch gar nicht zugefroren war,
Und es war, als säh' ich in der Hölle
Aufgesperrten Rachen offenbar.
Kißner, rief ich warnend, bleib zurücke!
Doch ich selber war zu viel im Schuß,
Deßhalb sprang ich hoch im Augenblicke,
Und flog glücklich übern offenen Fluß.
Jenseit auf dem Eise fuhr ich weiter,
Bis ich endlich konnte halten ein.
„Nein, ein solcher Sprung,“ rief mein Begleiter,
„Sollt' man denken, könnt' nicht möglich sein!“
„Freilich,“ sprach ich, „doch ich will Dir sagen,“
„In der Welt hat Alles seine Zeit;“
„Sollte ich denselben nochmals wagen,“
„Thät' ich jetzt vielleicht ihn halb so weit!“
Als wir statt der blau-roth-weißen Mütze
Aufgesetzt den Candidatenhut,
Reizte doch noch zum Studentenwitze
Uns der jugendliche Uebermuth.
Zu dem ersten Male im Cylinder
Gingen wir zusammen vor das Thor,
Da gewahrten wir ein Spiel der Kinder,
Das uns anfangs kam verächtlich vor.
Jene fuhren in der schwarzen Lache
Auf des Eises Schollen hin und her,
Und so lustig, als ob diese Sache
Nicht im Mindesten gefährlich wär'.
Bohnenstangen hatten sie in Händen,
Damit trieben sie die Schollen fort,
Konnten sie auch nach Belieben wenden
Von dem einen nach dem andern Ort.
„Wie die Jungen,“ sprachen wir, „da treiben“
„Ein gefährliches, gewagtes Spiel!“
„Könnt' nicht einer auf der Stelle bleiben,“
„Wenn er von dem Eis in's Wasser fiel?“
Unser Urtheil wurde bald gelinder,
Und wir wurden ihres Treibens froh,
Daß wir sprachen: „Wären wir noch Kinder,“
„Machten wir vielleicht es ebenso!“
„Ei, wir könnten auch in unsern Jahren,“
Meinten endlich wir, „zum puren Spaß“
„Da einmal auf einer Scholle fahren,“
„Ohne daß wir dabei würden naß!“
Und im nächsten Augenblicke standen
Wir auf einer, die uns beide trug;
Denn es war die größte, die vorhanden,
Und wir hatten Raum darauf genug.
Als wir in die off'ne See nun stachen,
Fing die ganze, liebe Knabenschaar
Laut aus vollem Halse an zu lachen,
Was ein Zeichen ihres Beifalls war.
(124 ≡)
Und umgeben von der ganzen Rotte
Fuhr nun unser Admiralschiff kühn
Als die Königin der schönen Flotte
Auf der schwarzen Lache her und hin.
Damals hat auf dieser hoch gestanden
Die aus ihrem Bett getret'ne Lahn,
Daß wir beinah keinen Grund mehr fanden
Und umher fast lauter Wasser sahn.
Metzgermeister Frech nun wollte eben
Grad in seinen nahen Garten gehn;
Da er ihn von Wasser sah umgeben,
Blieb er aber bei uns stille stehn.
Kißner, der ihn kannte, sprach: „Mein Lieber,“
„Treten Sie nur zu uns auf das Eis,“
„Sicher fahren wir Sie da hinüber,“
„Und verlangen dafür keinen Preis!“
„Nein, Ihr Herrn, ich will davon nichts wissen,“
Sprach der Alte; „denn den dummen Gast“
„Hättet Ihr in's Wasser bald geschmissen,“
„Und dann lachtet Ihr Euch einen Ast!“
Als wir ihm das Ehrenwort gegeben,
War es ihm vor uns nicht weiter bang,
Daß er nunmehr ohne Furcht und Beben
Zu uns Beiden auf die Scholle sprang.
Durch den Stoß, den diese jetzt erhalten,
Stellte sie sich aber plötzlich schief,
Und wir fielen beide mit dem Alten
In das Wasser halbenmannestief.
Doch mit einem Satz war ich entsprungen
An des nah gelegnen Ufers Rand,
Eh das Wasser bei mir eingedrungen,
Das nur außen auf den Hosen stand.
Als ich es von diesen abgeschwungen,
Sahe mir es Niemand weiter an,
Daß ich aus dem Wasser war gesprungen,
Oder einen Fall hinein gethan.
Aber meine Unglückscameraden
Waren beide naß bis auf die Haut,
Als sie sich nach etwas längerm Baden
Auf dem Lande haben angeschaut.
Der Philister hat sogar gemeinet:
„Ihr habt Euren Muth an mir gekühlt,“
„Und Ihr hattet Euch gewiß vereinet,“
„Daß Ihr diesen Possen mir gespielt!“
Als wir's aber setzten auseinander
Ihm mit aller Klarheit und Geduld,
Bat er um Verzeihung und gestand er:
„Ja, ich bin nur selber daran Schuld!“
Auch einmal das Vogelsberger Klübbchen
Halb in Spaß und halb in Ernst zerfiel
Auf dem Asterweg in unserm Stübchen
Eines Abends bei dem Solospiel.
Da gemeinschaftliche Casse führten
Einige der Spielenden dabei,
Sich die Andern auch sogleich gerirten
Als entgegenstehende Partei.
Von den Stichelworten kam's zum Zanke,
Und von diesem bis zur Schlägerei;
Doch war ferne von uns der Gedanke,
Daß es eigentliche Feindschaft sei.
Und sobald wir nach Secunda kamen
An dem nächsten Morgen wieder früh,
Alle Schüler Theil am Streite nahmen,
Für die Casse oder gegen sie.
Daß wir nicht den Lehrer müßten scheuen,
Schnell der Primus erst die Thüre schloß,
Und so gingen eifrig die Parteien
Mit den Fäusten auf einander los.
Und da gab's ein Balgen und ein Schlagen
In dem großen Zimmer rund herum,
Daß davon, ich kann's mit Wahrheit sagen,
Zitterte das Pädagogium.
Doctor Engel zwar ließ bald erschallen
Vor der Thüre seine laute Stimm';
Aber Niemand that ihm den Gefallen,
Aufzuschließen in dem ersten Grimm'.
„Setzt Euch jetzt geschwind auf Eure Plätze,“
Rief nach einem kurzen Zeitverlauf
Kattrein, „daß vorüber ist die Hetze,“
„Eh ich mache unserm Lehrer auf!“
Als wir nunmehr alle wieder saßen,
Jeder da, wohin er hat gehört,
Wurde auch der Lehrer eingelassen,
Was er hatte lange schon begehrt.
„Sage mir — wer hat die Thür' verschlossen?“
„Wer hat den Tumult und Lärm gemacht?“
Also fragte unsern Kampfgenossen,
Unsern Primus, Engel aufgebracht.
„Wer die Thür' verschloß, kann ich nicht sagen,“
Gab zur Antwort Kattrein in der Noth;
Denn wie konnte er sich selbst verklagen,
Da die Klugheit dieses ihm verbot?
(125 ≡)
Und wie konnte er auch ferner sagen,
Der und Jener hat den Lärm gemacht,
Da sie alle aufeinander lagen
In der großen, allgemeinen Schlacht?
Durch das ungewöhnlich arge Toben
Hatte in dem ganzen Zimmer sich
Nach und nach ein solcher Staub erhoben,
Daß er einer dichten Wolke glich.
Doctor Engel schritt durch diese Wolke
Gravitätisch hin und wieder her,
Und erklärte drohend seinem Volke,
Wie abscheulich sein Betragen wär'.
Doch der Kampf, der einmal war begonnen,
Hatte auch durch dieses ernste Wort
Vor der Hand kein Ende noch gewonnen,
Sondern pflanzte sich noch weiter fort.
Prima, Tertia und Quarta fingen
Auch den Faustkampf mit einander an;
Aber als acht Tage noch vergingen,
War die Sache völlig abgethan.
Zwischen den Studenten und Soldaten
Gab es anno neunzehn einen Strauß,
Und als diese hatten scharf geladen,
Zogen jene auf den Gleiberg aus.
Als sie schon im freien Felde gingen,
Lief ich ihnen nach in großer Hast,
Um dem Kißner Reisegeld zu bringen;
Denn ich selbst war noch Gymnasiast.
Eiligst folgten der Studenten Spuren
Auch der Rector und der Kanzler nach,
Und als sie an mir vorüberfuhren,
Jener freundlich also zu mir sprach:
„Sagen Sie, Herr Spamer, den Studenten,“
„Daß sie machen möchten einen Halt;“
„Der Herr Kanzler hier und ich befänden“
„Auf dem Wege uns und kämen bald!“
„Gerne will ich thun, was Sie befohlen,“
Sprach ich, „doch der Vortrab ist zu weit,“
„Und vor Gleiberg ihn noch einzuholen,“
„Das ist wahrlich keine Möglichkeit!“
Da den Meisten ich als schneller Läufer
Meinen Auftrag schon bekannt gemacht,
Ließ ich ab von meinem Feuereifer,
Und marschierte mit den Andern sacht.
Als die Letzten waren angekommen,
Sah ich jetzt zum allerersten Mal
Auf dem Burghof, wo sie Platz genommen,
Die Studenten in gesammter Zahl.
Rechts und links, einander gegenüber,
Lehnten an den Mauern Waffenreihn,
Als der Rector im Kanonenfieber
Und der Kanzler männlich trat herein.
Rector Rumpf ersuchte die Studenten,
Wieder in die Stadt zurückzugehn;
Diese aber sagten ihm, sie könnten
Unbedingt sich dazu nicht verstehn.
Magdeburg, der Sprecher der Studenten,
Zählte die Bedingungen nun her,
Unter welchen wieder umzuwenden,
Ihm und allen Andern möglich wär'.
Sieben oder zehn derselben waren's,
Und der Rector gab schon manche nach,
Als an dessen Statt der Kanzler Arens
Jetzt das Wort ergriff und also sprach:
„Meine Herrn, wir können nichts gewähren“
„Von dem Allen, was Sie vorgebracht;“
„Denn es übersteigt, was Sie begehren,“
„Wie Sie selber wissen, unsre Macht!“
„Nun,“ rief Engelbach, „so gehn wir weiter“
„In die schöne, weite Welt hinein;“
„Werden alle Schuster oder Schneider;“
„Das muß auch ein lustig Leben sein!“
„Haben Sie es aber angefangen,“
Sprach der Kanzler, „sind Sie seiner satt;“
„Und Sie haben dann gewiß Verlangen“
„Mehr, als heute, nach der Musenstadt!“
„Unsre Thore stehen Ihnen offen,“
„Und der Rückzug wird Sie nicht gereun;“
„Lassen Sie uns darum scheidend hoffen,“
„Daß sie baldig wieder ziehen ein!“
Als sich kaum entfernt die beiden Spitzen
Von dem academischen Senat,
Hielten die Studenten gleich im Sitzen
Einen allgemeinen Burschenrath.
In demselben wurde ausgehalten
Von dem Ausschuß, den man setzte ein,
Daß, sobald hinfort drei Schüsse knallten,
Jeder auf dem Platze müsse sein.
Da noch andere Gymnasiasten
Auf den Gleiberg kamen nach und nach,
Wir zusammen auch den Entschluß faßten,
Dort zu bleiben bis zum nächsten Tag.
(126 ≡)
Um den Nachmittag uns zu erheitern,
Und das Innere des Thurms zu sehn,
Banden an einander wir drei Leitern,
Daß wir konnten in denselben gehn.
Als wir in dem Thurm spazieren gingen,
Keiner sich damit begnügen ließ;
Denn nun wollte Jeglicher auch dringen
In das tiefe, dunkle Burgverließ.
Vorher ließen wir ein Licht hinunter,
Das dem tiefsten Grund Beleuchtung gab,
Dann ließ Einer nach dem Andern munter
Sich an einem langen Seil hinab.
Trocken war umher der ganze Boden;
Große Ringe hielt die Mauer fest;
Doch gewahrten wir von keinem Todten
Auch nur den geringsten Ueberrest.
Gegen Abend, als auf seinem Rücken
Jeglicher ein Bäuschchen Stroh gebracht,
Ward, die müden Glieder zu erquicken,
Eine allgemeine Streu gemacht.
Auf dem Burghof unter freiem Himmel
Lagerte die Universität,
Und das unaufhörliche Gewimmel
Endete nach Mitternacht erst spät.
Da die Streu so schlechten Dienst verrichtet,
Und die Meisten hatte abgeschreckt,
Wurde sie des Morgens aufgeschichtet,
Und zum Lohn dafür in Brand gesteckt.
Haushoch schlugen aus dem Stroh die Flammen
An dem alten Thurm hinauf im Nu,
Während die Studenten allzusammen
Sangen noch ein lustig Lied dazu.
Jetzo mußten wir Gymnasiasten
Schnell verlassen die Studentenschaar,
Da wir wußten, daß bei längerm Rasten
Carcerstrafe zu befürchten war.
Die Studenten aber zogen weiter
Von dem Gleiberg bis nach Gladenbach,
Wo in vierzehn Tagen sie gescheidter
Wurden durch so manches Ungemach.
Da sie nun ihr Bestes klar erkannten,
Und daß es nicht anders könne sein,
Zogen sie auch ohne Musikanten
Wieder in das alte Gießen ein.
Jener Streit war dadurch ausgebrochen,
Daß der Leutnant Kronenbold zuvor
Dem Studenten Hofmann hatt' gestochen
Eine Feige auf das linke Ohr.
Nachher ist kein Auszug mehr geschehen,
Während ich Student gewesen bin,
Und es war mir lieb, daß ich gesehen
Hatte einen solchen früherhin.
Zwei von unsern Füchsen ward befohlen,
Unser Paukzeug in der Mitternacht
Von der Heuchelheimer Mühl' zu holen,
Daß entstehe keinerlei Verdacht.
Doch des Müllers Hund, ein wahrer Drache,
Welcher seinen Mann zusammenriß,
War für beide eine Höllenwache,
Eine schreckliche Bekümmerniß.
Darum sprachen sie aus einem Munde:
„Wir zwei werden kaum die Mühle sehen;“
„Denn wir fürchten sehr uns vor dem Hunde:“
„Laßt den Spamer da noch mit uns gehn!“
„Nun ich fresse,“ sprach ich, „zwar kein Eisen,“
„Aber mit Euch will ich gehn geschwind,“
„Um Euch wenigstens doch zu beweisen,“
„Daß nicht alle Füchse Hasen sind!“
Auf dem Wege wollten sie sich wenden
In dem Dorf an irgend einen Mann,
Und ihn vorher an den Müller senden,
Daß er lege seine Dogge an.
Als ich diesen Vorschlag laut verlachte,
Und sie bis zum Anfange des Rains
Vor der Heuchelheimer Mühle brachte,
Blies in Heuchelheim der Wächter Eins.
Da erklärten sie mir alle beide:
„Weiter gehen wir nun keinen Schritt;“
„Willst Du gerne sein des Todes Beute,“
„Sei's, von uns geht aber keiner mit!“
Darauf sprach ich: „Wenn von Euch auch keiner“
„Dieses Abenteuer will bestehn,“
„Wird doch ohne Furcht mein Ziegenhainer“
„Mit mir durch den dunklen Hohlweg gehn!“
Meine beiden muthigen Gesellen
Hörten in demselben Augenblick
Kaum die Hunde in dem Hofe bellen,
Als sie flohen weit von mir zurück.
Da die Thiere mich gewittert hatten,
Stürzten beide wüthend auf mich los,
Und ich sah sie nur als dunkle Schatten,
Denn die Finsterniß war gar zu groß.
(127 ≡)
Doch so oft sie wollten an mich greifen,
Hörten sie den Ziegenhainer hell
Und gewaltig vor den Nasen pfeifen,
Daß sie sie zurücke zogen schnell.
Deßhalb wollt' der Große mich umkreisen,
Und mir kommen gern von hinten bei,
Daß er so mich könne niederreißen;
Doch den Rücken hielte ich mir frei.
Endlich dacht' ich: Deine Defensive
Macht Dich müd' und bringt Dich nicht an's Ziel;
Drum ergriff ich rasch die Offensive,
Und gelangte stürmend zu der Mühl'.
Da die Hunde gar nicht konnten weichen
Seitwärts aus in jener tiefen Schlucht,
So ergriffen sie vor meinen Streichen,
Mir den Rücken wendend schnell die Flucht.
Ich verfolgte sie geschwind als Sieger
Ueber's Wasserbett bis an das Haus;
Dorten aber thaten sie wie Tieger,
Als ich pochte ihren Herrn heraus.
Ja, der Wettkampf mit dem Bullenbeißer,
Der schon einen heißen Anfang nahm,
Ward mit jedem Augenblicke heißer,
Bis der Müller aus dem Hause kam.
Der entfernte nun sogleich die Hunde,
Und verwunderte dabei sich sehr,
Daß ich ohne irgend eine Wunde
Bei dem Kampfe weggekommen wär'.
„Dennoch,“ sprach er, „kommen Sie nicht wieder“
„So allein in dunkler Mitternacht;“
„Denn mein Sultan wirft den Stärksten nieder,“
„Ohne daß er Federlesen macht!“
„O, ich bin auch nicht allein gekommen,“
Sprach ich, „wie sogleich Sie werden sehn;“
„Sondern habe zwei mir mitgenommen,“
„Die da oben auf dem Felde stehn!“
„Lochmann, Reuning!“ rief ich, und sie kamen,
Und das Paukzeug, das der Müller hatt',
Schweigend sie auf ihre Schultern nahmen,
Und so trugen sie es in die Stadt.
Meine fünf Philister aber hießen:
Limpert, Geismar, Bücking, Möhl und Lotz,
Und ich habe gegen sie bewiesen
Niemals Grobheit, Hochmuth oder Trotz.
Bei Andreas Konrad Möhl logirte
Auf der Mäusburg ich fünf Jahre lang,
Und die Garküch', die derselbe führte,
Brachten wir zwei Spamer erst in Schwang.
Als wir uns das Essen ließen holen,
Sahen wir in Limperts nur zu bald,
Daß der Bringer uns davon gestohlen,
Und was er noch brachte, das war kalt.
Damit dies nicht wieder möcht' geschehen,
Wirkten wir uns die Erlaubniß aus,
Daß wir selbst zum Essen durften gehen
Zu dem Speisegeber Möhl in's Haus.
Anfangs aß daselbst mit uns noch Einer,
Nämlich unser Schulgenosse Broß;
Da war freilich unser Tisch ein kleiner,
Doch er wurde bald allmählich groß.
Denn die Freunde, die wir animirten,
Zu versuchen uns're Kost einmal,
Aßen, da sie gut sich amüsirten,
Nachher mit uns dort in großer Zahl.
Und so stieg die Zahl der Gäste immer,
Bis sie weit noch über hundert stand,
Und man oft den Raum der beiden Zimmer
Für die Speisenden zu enge fand.
Anno sechszehn kostete das Essen
Nur acht Kreuzer, Anno siebzehn zehn,
Und wie da der Preis ward abgemessen,
Blieb er später immerhin bestehn.
Anno siebzehn wurden Brod und Wecke
Durch die Theurung noch einmal so klein,
Und die Bäcker stellten ihr Gebäcke
Sammt dem Backen einmal gänzlich ein.
Auf die Rabenau an die Verwandten
Schrieb mein Vater eiligst uns're Noth,
Und sogleich nach seinem Wunsche sandten
Sie uns einen Maltersack voll Brod.
Denn in Gießen mochte Jemand laufen
An die Bäckerladen, wo er wollt',
Konnte er kein Laibchen Brod mehr kaufen,
Nicht einmal für noch so schweres Gold.
Als indessen jeder Bäcker sollte
Gleich zurücke geben sein Patent,
Wenn er jetzo nicht mehr backen wollte,
War die Brodnoth auch sogleich am End'.
Anno achtzehn zogen wir Gebrüder
Zu Andreas Konrad Möhl in's Haus,
Und erst drei und zwanzig zog ich wieder,
Weil ich am Examen war, heraus.
(128 ≡)
Gegenseitig waren wir zufrieden
Mit einander in so hohem Grad',
Daß es, als wir von einander schieden,
Beiden Theilen leid und wehe that.
Denn der alte Konrad war ein grader,
Schlichter, ehrenswerther Bürgersmann,
Der allmählich mir als wie ein Vater
Ward von ganzem Herzen zugethan.
Und sein Bethchen, „meine liebe Alte,“
Wie ich oft sie habe titulirt,
Ich im Grabe noch in Ehren halte,
Weil sie mich so mütterlich regiert.
Kam's ihr vor, als hätt' ich poculiret,
Oder 's gäbe etwa ein Duell,
Ward zum Thee ich von ihr invitiret,
Daß ich nur nicht ginge von der Stell'.
Sprach ich: „Sein Sie heute außer Sorgen;“
„Denn ich gehe nur zum Glase Bier!“
Sagte sie: „Das können Sie noch morgen,“
„Diesen Abend bleiben Sie bei mir!“
Und so hab' ich oft die Abendstunden
Im Familienkreise zugebracht,
Und hab' mehr Vergnügen da empfunden,
Als die Kneipe jemals mir gemacht.
Alle aßen gern den Nierenbraten,
Wurden aber öfters drum geprellt,
Denn die Alte sprach, wenn sie drum baten:
„Der Herr Spamer hat ihn schon bestellt!“
Und so konnte sie mit Wahrheit reden;
Denn ich hatte um das Nierenstück
Sie für alle Zeiten ja gebeten,
Und daß sie es halte mir zurück.
Sanne, Caroline, Katharine
Hießen die drei Töchter in dem Haus,
Deren erste gar nicht reizend schiene;
Doch die zweite sahe lieblich aus.
Mit der dritten, einem netten Püppchen,
Hab' ich Mitleid brüderlich gefühlt,
Als ihr plötzlich schwoll das Oberlippchen,
Und sie nachher die Geschwulst behielt.
Jakob, Philipp, ihre beiden Brüder,
Halfen wie sie im Geschäfte aus;
Beide wurden später Metzger wieder,
Und zwar Philipp in der Eltern Haus.
Die Frau Möhlin hatte von dem Morgen
Alle Tage bis zum Abend spät
In der Küch das Essen zu besorgen
Für die halbe Universität.
Die zwei jüngsten Mädchen mußten's bringen
Den Studenten eine Treppe hoch,
Und wiewohl sie immer mußten springen,
Kamen Vielen sie zu langsam doch.
Welche mehr und welche minder aßen,
Als die festgesetzte Portion,
Schrieben sie, damit sie's nicht vergaßen,
Alsobald auf Schiefertafeln schon.
Was sie aber nicht also notirten,
Schrieben sie sich beide hinter's Ohr,
Bis sie es des Abends referirten,
Und dem Bruder Jakob sagten vor.
Denn was diesem sagten die Geschwister,
Schrieb er jeden Abend pünktlich auf
In das allgemeine Eßregister,
Bis zu Ende war der Monatslauf.
Und den Bauern, welche unten saßen,
Stets bedient von Sanne und der Magd,
Hat der alte Möhl, so lang sie aßen,
Manchen Spaß zum Zeitvertreib gemacht.
Wenn dann nach des Tages Last und Hitze
Die Frau Möhlin wieder aufzustehn
Sich bemühte von dem Sesselsitze,
Wollten ihre Beine nicht mehr gehn.
Da hab' oft ich sie am Arm genommen
Und der steilen Trepp' hinauf gebracht;
Wenn wir oben waren angekommen,
Sagte sie mir dankbar gute Nacht.
Daß ihr Carolinchen mir gefiele,
Und es mir besonders freundlich war,
Sah sie täglich zwar an unserm Spiele,
Aber 's machte ihr kein graues Haar.
Und so gern und oft wir uns auch küßten,
Wenn es zu mir auf das Zimmer kam;
Wir uns doch mit Achtung noch begrüßten,
Als ich aus dem Hause Abschied nahm.
Denn bei allem unserm Jugendfeuer
Und auch in der größten Dunkelheit
War uns uns're Ehre doch so theuer,
Daß wir niemals gingen allzuweit.
Später ward der Metzger Sack ihr Gatte,
Wieviel Jahre weiß ich nicht genau;
Doch daß er sie nicht sehr lange hatte,
Weiß ich, denn sie starb als junge Frau.
(129 ≡)
Auch die beiden älteren Geschwister
Sowie das betagte Elternpaar
Stehen in dem Gießer Sterbregister
Nunmehr schon geschrieben manches Jahr.
Philipp, zweimal Wittwer schon geworden,
Hat sich nicht zum dritten Mal vermählt;
Ist geachtet hoch an allen Orten,
Und zum Beigeordneten erwählt.
Katharinchen hatte zwar genommen
Seinen schönen Vetter sich zum Mann;
Aber große Trauer hat's bekommen,
Als er sich ertränkte in der Lahn.
Kam ich später wiederum nach Gießen,
Sprach in Möhl's ich zu auf jeden Fall,
Und da mußt' als Freund ich was genießen,
Und wir freuten sehr uns allzumal.
Und noch heut nach sechsundvierzig Jahren,
Denn so lange hab' ich Möhl's gekannt,
Ihre Enkel Freundschaft mir bewahren
Grade so, als wären wir verwandt.
Die Frau Möhlin hatte mir versprochen
Oft schon, einmal zu besuchen mich;
Weil sie aber täglich mußte kochen,
War sie festgebannt an ihre Küch';
„Doch, Herr Spamer, will ich mein Versprechen,“
Sprach sie, „halten, denn es ist kein Wind,“
„Und ich muß, eh' mir die Augen brechen,“
„Sehen, wo Sie hingekommen sind!“
„Ehe Sie es sich einmal versehen,“
„Hält' ein Chaischen still an Ihrem Haus,“
„Und wenn Sie die Augen nach ihm drehen,“
„Steiget Ihre alte Möhlin aus!“
Und als endlich auch ich hier sie sahe,
Freute ich darüber mich so sehr,
Und es ging mir ihr Empfang so nahe,
Als ob's meine eig'ne Mutter wär'.
Katharinchen saß bei ihr im Wagen,
Philipp aber gab den Kutscher ab,
Und — wer hätt's gedacht? — nach vierzehn Tagen
Schlummerte sie schon in ihrem Grab.
Als sie noch ein Mädchen ist gewesen,
Und ihr Konrad noch ein Junggesell,
Hat sie sich denselben auserlesen,
Und mit ihm verlobet auf der Stell.
Freilich mocht' sie hübsch und brav ihn finden,
Als er wandern wollte in die Welt,
Weil es, einen eig'nen Herd zu gründen,
Ihm noch fehlte an dem baaren Geld.
Als er, seinen Vorsatz auszuführen,
Auch in ihrem Haus Adieu gesagt,
Ging sie noch hinaus mit ihm spazieren
In die schöne, laue Sommernacht.
„Könntest aber,“ sprach sie, „hier auch bleiben,“
„Da Du ja Dein Handwerk wohl verstehst,“
„Und dasselbe hier in Gießen treiben;“
„Weiß gar nicht, warum Du weiter gehst!“ —
„Da ich wenig habe hier zu erben,“
Sprach er, „wie Ihr alle selber wißt,“
„Muß ich erst ein Sümmchen mir erwerben,“
„Das zu einem Anfang nöthig ist!“
„Denn ein Mädchen, welches hat Vermögen“
„Hier in unsrer lieben Vaterstadt,“
„Wird mich Armen nicht zum Manne mögen;“
„Darum weiß ich keinen andern Rath!“
„Sage mir, warum Du dieses glaubest,“
„Und Dich selbst im Preis so niedrig stellst,“
„Und Dir,“ sprach sie, „alle Hoffnung raubest,“
„Daß auch solchen Mädchen Du gefällst?“ —
„Wenn ich,“ sprach er, „nun Dich selber fragte:“
„Höre, Bethchen, willst Du mich zum Mann?“ —
„Ei, warum denn nicht,“ sogleich sie sagte,
„Da ich keinen bessern wünschen kann!“
„Nun, wenn das Dein Ernst ist,“ sprach er weiter,
„Hier ist meine Hand, so schlage ein!“
„Hier ist auch die meine,“ rief sie heiter,
„Und so soll der Handel richtig sein!“
Nun gab Konrad auf sogleich das Wandern,
Wollte nicht mehr in die Welt hinaus;
Sondern sich mit Bethchen bald verandern,
Welches brachte Segen in das Haus.
Also Konrad selber mir erzählte,
Als ich Abends bei dem Pärchen saß,
Und wenn Bethchen deßhalb auf ihn schmählte,
That es dieses nur aus lauter Spaß.
Anno dreiundzwanzig gegen Pfingsten
Habe ich die Musenstadt quittirt,
Und mit andern Knaben meinen jüngsten
Bruder dann zu Hause informirt.
Als in Kirchberg meine erste Predigt
Ich gehalten im vorher'gen Jahr,
Hatte Klingelhöfer mich genöthigt.
Dessen Vater dorten Pfarrer war.
(130 ≡)
Samstags blieb ich mehrmals darin stecken,
Als der Freund mir hat dabei soufflirt;
Dadurch ließ ich mich jedoch nicht schrecken,
Und den Sonntag ging sie wie geschmiert.
Meiner vorgeschrieb'nen Probepredigt
Hab' am letzten Sonntag in dem Jahr
Ich in Gießen mich erst dann entledigt,
Als ich lang schon Candidatus war.
Predigen hat mir in jenen Zeiten
Eben keinen großen Spaß gemacht,
Da ich manchmal mit dem Vorbereiten
Vierzehn Tage habe zugebracht.
Doch hab' ich's versucht in Ilbeshausen,
Crainfeld, Eichelsachsen, Eschenrod,
Burkhards, Niedermoos und Wingertshausen,
Wenn der Pfarrer grade war in Noth.
Sonst hab' in den Candidatenjahren
Ich der Dichtkunst und Musik gelebt,
Und nicht selten auch an mir erfahren,
Wie ein schönes Kind das Herz erhebt.
Doch die Mädchen, die ich konnte lieben,
Habe ich in Liedern schon genannt;
Darum setze, was ich dort geschrieben,
Hier voraus, als sei es schon bekannt.
Als gebracht ich hatte auch nach Gießen
Meinen Bruder Karl in's Pädagog,
Mußte endlich ich mich doch entschließen,
Thätiger zu sein als Theolog.
Damals sah ich Dora mit Entzücken,
Denn sie war bewundernswürdig schön,
Und aus ihren zauberischen Blicken
Konnt' ich, was ich wünschte, leicht ersehn.
Da ich mich indessen nicht erklärte,
Sie durch Ueberredung sich hernach
Mit dem Decker, der sie auch verehrte,
Auf dem Herchenhainer Markt versprach.
Als ich nach Verlauf von ein'gen Wochen
Wiederum einmal nach Burkhards ging,
Sprach sie: Ja, ich seh's, Sie sind versprochen;“
„Denn Sie tragen den Verlobungsring!“
„Aber,“ sprach ich, „wenn ich Ihnen sage,“
„Daß ich diesen kleinen, alten Ring,“
„Den ich hier am kleinen Finger trage,“
„Jüngst aus meiner Mutter Hand empfing?“
„Und ich kann mich fest darauf verlassen,“
Frug sie mich, indem sie mich genau,
Dabei suchte auf das Korn zu fassen,
„Daß er nicht ist von der Rabenau?“
„Hat an jenem unglücksel'gen Tage“
„Man auch dieses Ihnen vorerzählt,“
Sprach ich, „glauben Sie mir, wenn ich sage,“
„Daß ich mir kein Bräutchen noch erwählt!“
Weil nun ihre Mutter war gekommen,
Brach sie schnell die Unterredung ab,
Und ich habe bald darauf vernommen,
Daß dem Decker sie den Abschied gab.
Und da dieser rasend war verliebet
Immer noch in die verlorne Braut,
Habe ich mich über ihn betrübet,
Ob er gleich mir Anfangs nicht getraut.
Als er aber später deutlich sahe,
Daß ich doch mir keine Mühe gab,
Und mich seiner Göttin nicht mehr nahe,
Bat er weinend den Verdacht mir ab.
Meinem Grundsatz war es ganz zuwider,
Mich schon zu verloben vor der Zeit;
Lieber kämpfte ich die Neigung nieder,
Als ich ein Versprechen hätt' bereut.
Bald auch wollt' Inspector Scriba nehmen
Mich nach Wingertshausen zum Vicar,
Und ich wollte mich dazu bequemen,
Weil ich doch nun an der Reihe war.
Und er brachte aus dem Sachsenlande
Noch dazu ein solches Mädchen mit,
Das an Reizen, wie ich gleich erkannte,
Mit der Dora um den Vorrang stritt.
„Jetzo werden Sie nach Wingertshausen,“
Sprach er schmunzelnd, „kommen ganz geschwind;“
„Da Sie unter Einem Dache hausen,“
„Dort mit diesem feinen Sachsenkind?“
Da wir in Gedanken uns erschufen
Schon ein fröhliches Beisammensein,
Ward vom Kirchenrathe ich berufen
Zum Vicare hier nach Hermannstein.
Vier und zwanzig Jahre meines Lebens
Wurden an demselben Tage voll,
Als ich trotz des innern Widerstrebens
Ging von Crainfeld weg mit Friedrich Scholl.
Während ich von meinen Aeltern schiede,
Ward so groß in mir der Trennungsschmerz,
Daß mir wegen ihrer großen Güte
Fast zersprungen wär' das Kindesherz!
(131 ≡)
Und der Fuhrmann, der in einem Kasten
Meine Sachen auf dem Schlitten fuhr,
Mußte in dem Schnee zuweilen rasten,
Da er finden konnte keine Spur.
Als nach Herchenhain wir sind gekommen,
Wo der Schnee an Stellen haushoch lag,
Hat es Wunder uns so sehr genommen,
Daß noch Scholl nach Jahren davon sprach.
Bis nach Grünberg blieb ich bei dem Schlitten;
Als er links um dort nach Gießen bog,
Bin ich rechts nach Kesselbach geschritten,
Wohin mich mein holdes Bäschen zog.
Nachdem dort drei Tage ich verweilet,
Was mir freilich viel zu wenig war,
Bin am vierten doch ich weggeeilet,
Und kam her am sechsten Februar
Anno achtzehnhundertzwanzigsieben,
Wo ich diese Gegend noch nicht kannt';
Weil mir aber ward der Weg beschrieben,
Ich denselben dennoch richtig fand.
Pfarrer Steinberger, ein Invalide
So in leib- wie geistlichem Betracht,
War des Lebens damals herzlich müde,
Was er täglich hundertmal gesagt.
Wie ein kleines Kind ward er gefüttert,
Denn wenn er den Löffel selber nahm,
Hat er mit der Hand so sehr gezittert,
Daß er nichts in seinen Mund bekam.
Dabei war er gänzlich eingenommen
Gegen einen jeglichen Vicar;
Da er wider Willen mich bekommen,
Ich ihm Anfangs nicht willkommen war.
Doch allmählich hat er mit Vertrauen
Und mit Freundlichkeit mich angeblickt,
Und es war fast rührend anzuschauen,
Wie er mir noch hat die Hand gedrückt.
Seine Gattin, die er Fritze nannte,
Die noch rüstig war und wohlgemuth,
Machte gerne, wenn sie's nöthig fande,
Sein Betragen wieder bei mir gut.
Als zum Beispiel er nicht wollte geben
Mir die Kirchenbücher in die Hand,
Und den Schlüssel pflegte aufzuheben,
Hat sie aus den Hosen ihn entwandt.
Auch hat eine vaterlose Waise
Sie erzogen, die Louise Lang,
Die im Hause Alles hielt im Gleise,
Daß es ginge seinen rechten Gang.
Sie war hübsch, erwachsen, treu und fleißig,
Und zumal von himmlischer Geduld;
War ihr Herz auch grade nicht so eisig,
War und blieb es dennoch ohne Schuld.
Namentlich hat sie des Pfarrers Launen
Nie zu widerstreben sich erkühnt,
Und ich mußte oft darüber staunen,
Wie an ihm den Himmel sie verdient.
Und durch Wuchs und Schönheit ausgezeichnet
War die Magd, Elisabetha Kahn,
Was von Allen Keiner hat geläugnet,
Die sie hier zum ersten Male sahn.
Da ich dennoch niemals war beflissen,
Ihr zu thun, als wäre ich verliebt;
Meinte sie: „Ach, der muß gar nicht wissen,“
Daß es zweierlei Geschlechter gibt!“
Zu den vier beschriebenen Personen
Kam ich also hier in Hermannstein
Gleich von meiner Ankunft an zu wohnen,
Und zog in die Clausenstube ein.
Statt der heitern, sonnenreichen Stube,
Die zu Hause ich gehabt zuvor,
Glich fast diese einer Mördergrube,
Wo die Lust des Lebens man verlor.
Feucht und immer düster wie ein Kerker,
Vor den Fenstern Eisen angebracht,
Machte sie, daß öfter ich und stärker
An die alte Heimath hab' gedacht.
Meine Antrittspredigt hab' gehalten
Ich dahier am elften Februar,
Und begann das Amt auch zu verwalten
Von dem Tage an als Pfarrvicar.
Vom Inspector Brumhard ordiniret
Wurde ich am elften März darauf,
Und die Pfarrer, welche assistiret,
Legten auch mir ihre Hände auf.
Und nachdem auch dieses war verrichtet,
Ward am neunzehnten April ich doch
Auch in Gießen feierlich verpflichtet
Von dem ganzen Kirchenrathe noch.
Von dem Mai an habe fünfthalb Jahre
Außerdem ich Blasbach vicarirt,
Wofür jährlich mir dann hundert baare
Thaler sammt dem Accidens gebührt.
(132 ≡)
Doch ich that's nicht um des Geldes willen,
Sondern weil man dringend mich gefleht,
Wollte ich die Wünsche nur erfüllen,
Und erhielt ein Fürstliches Decret.
Jeden Sonntag hatte ich drei Kirchen,
Und zwei gute Stunden Wegs zu gehn;
Dennoch sollte Alles wie am Schnürchen
Und zu der bestimmten Zeit geschehn.
Kamen zur gewöhnlichen Strapaze
Auch noch Casualien hinzu,
War den ganzen Tag ich in der Hatze,
Und bekam vor Abend keine Ruh'.
Ganz besonders in den Sommertagen
Wurde es zuweilen mir so heiß,
Daß ich meine Pulse hörte schlagen,
Und beständig triefete von Schweiß.
Niemand, dacht' ich, kann zwei Herren dienen,
Und ich habe glücklich mich geschätzt,
Als in Blasbach war die Zeit erschienen,
Wo die Stelle wieder ward besetzt.
Ehe noch fünf Monate gewesen
Ich Vicar dahier in Hermannstein,
Ließ der Herr den Pfarrer schon erlösen
Durch den Tod von aller seiner Pein.
An dem zweiten Juli ist geschieden
Er aus diesem Erdenleben ab;
Ueber fünfunddreißig Jahr in Frieden
Ruht er unter Rosen schon im Grab.
Als er todt war, gingen Deputirte
Zu dem Obrist Schenk nach Darmstadt ab,
Daß er mich doch hierher präsentirte,
Denen er auch dies Versprechen gab.
Da ich nachher selbst zu ihm gekommen
Wegen dieser Präsentation,
Sprach er: „Ja, Sie sollen sie bekommen,“
„Ich versprech' sie Ihnen als Patron!“
Doch an einem schon der nächsten Tage
Riß der Schlag ihn plötzlich aus der Welt;
Da entstand nun wiederum die Frage:
Hat er erst die Handschrift ausgestellt?
Denn ich konnte schriftlich nicht beweisen,
Daß er mir die hiesige Pfarrei
Habe noch mit Hand und Mund verheißen,
Eh er aus der Welt gegangen sei.
Da mein Gönner also war gestorben,
Habe ich bei seinem Bruder schnell
Wieder mich in Altenstadt beworben
Um die mir schon zugesagte Stell'.
„Was mein Bruder Ihnen hat versprochen,“
Sagte dieser mir, „das halte ich;“
„Denn sein Wort wird nicht von mir gebrochen“
„Dieses glauben Sie mir sicherlich!“
„Und daß er mir hat sein Wort gegeben,“
„Und mir meine Bitte gleich gewährt,“
Sprach ich, „weiß sein Jäger, der daneben“
„Stand und Alles hat mit angehört!“
Da er bald in Darmstadt auch erfahren,
Daß ich ihm die Wahrheit referirt,
Hat trotz meinen vierundzwanzig Jahren,
Er mich doch zum Pfarrer präsentirt.
Mein Decret ist lange ausgeblieben;
Denn es wurde erst im nächsten Jahr
Von dem Großherzoge unterschrieben
An dem siebenten im Januar.
Und am dreiundzwanzigsten erst brachte
Mir der Bote es von Crainfeld her,
Weil er sich dabei schon Rechnung machte
Auf ein ganz besonderes Douceur.
An demselben Tage auch verließen
Meine beiden Damen dieses Haus;
Denn sie zogen beide fort nach Gießen
Und von Hermannstein für immer aus.
Da wir fast ein Jahr lang mit einander
Unter Einem Dache zugebracht,
Wurden wir allmählich viel bekannter,
Als wir Anfangs selber es gedacht.
Dazu waren beide Somnambülen,
Und im Hause war's auch sonst nicht just,
Weßhalb manchmal Dinge vor hier fielen,
Die sich Niemand zu erklären wußt'“.
Oefters hörten wir's im Hause gehen;
Thüren gingen laut und deutlich zu;
Aber Niemand war alsdann zu sehen,
Welcher also störte uns're Ruh.
Oft auch hörten wir am Fenster pochen;
Wenn wir aber schleunigst darnach sahn,
Haben wir die Köpfe uns zerbrochen,
Weil doch außen Niemand war daran.
Unser Hausgeist war auch so verwogen,
Daß er Fremden hier von ihrem Bett
Hat bei Nacht die Decke abgezogen,
Daß sie plötzlich lagen blank und nett.
(133 ≡)
Anfangs hab' ich, wenn ich's hörte wandern,
Zwar die Sach' genauer untersucht,
Für mich selbst sowohl, als auch mit Andern;
Aber niemals trug es eine Frucht.
Nie und nirgends war etwas zu sehen,
Was den Ton vielleicht hervorgebracht;
Darum ließ ich mir die Lust vergehen,
Später noch zu geben darauf Acht.
Zwei von Köhlers Söhnen, die bewachen
Wollten einst mir eine Nacht das Haus,
Als sie drinnen hörten solche Sachen,
Sprangen sie zum Fenster schnell hinaus.
Seit ich meine zweite Frau bekommen,
Also über sechsundzwanzig Jahr',
Habe ich kein Spuken mehr vernommen,
Was doch früher gar nicht selten war.
Von dem Abzug meiner beiden Damen
Bis zum Einzug meiner ersten Frau
Keine fremden Frauenzimmer nahmen
Nachtquartier in meinem Klosterbau.
Siebzehn Monde und zehn Tage drüber
War ich in demselben ganz allein,
Darum wünschte denn ich nun auch lieber
Bald beweibt, als länger Mönch zu sein.
Vorgestellt als Pfarrer der Gemeinde
Ward ich in dem achtundzwanz'ger Jahr
Vom Inspector Brumhard, meinem Freunde,
An dem siebenzehnten Februar.
Landrath Ouvrier war auch zugegen,
Und der hergezog'ne Herr von Schenck
Hat tractirt uns nach gesprochnem Segen,
Seines Patronates eingedenk.
Gutes Essen habe ich bekommen
Hier aus Försters, das ich zahlte baar,
Bis ich mir ein Weibchen hatt' genommen,
Das mein liebster Leckerbissen war.
Mittags ließ ich holen mir das Essen,
Abends hab' ich mit dem gnäd'gen Herrn
Vorher stets an Försters Tisch gegessen,
Weil wir da zusammen waren gern.
Nach dem Essen wir beisammen saßen,
Tauschend unsere Gedanken aus,
Und sobald der Wächter zehn geblasen,
Gingen wir zusammen auch nach Haus.
Dahingegen habe ich mir meinen
Kaffee immer selbst zu Haus gekocht,
Und zwar einen solchen, daß ich keinen
Andern fast bei Andern mehr gemocht.
Da ich keine Magd mir wollte miethen,
Während ich noch war ein Junggesell,
Machten Köhlers mir das Anerbieten
Und vertraten bei mir deren Stell.
Fünfundsiebzig Gulden sollt' ich haben
Jährlichen Vicariatsgehalt,
Und auch diesen mir die Herrn nur gaben,
Als ich drohte mit der Rechtsgewalt.
Nur bis zu des Pfarrers Todestage
Könne ich bekommen die Gebühr,
Sagte Palmer, denn in jener Lage,
Hätt' ich räumen können das Quartier.
„Nein, auf meinem Posten mußt' ich bleiben,“
Ich demselben drauf zur Antwort gab,
„Bis Sie wieder durch ein neues Schreiben“
„Mich beriefen von demselben ab!“
„Wenn Sie den Gehalt mir nun versagen,“
„Ohne daß ein Abruf ist geschehn,“
„Werde ich Sie so gewiß verklagen,“
„Als wir jetzo hier beisammen stehn!“
Darauf wurde mir auch ohne Klage
Fürs Vicariat das volle Geld,
Und zwar bis zu eben jenem Tage,
Wo ich ward als Pfarrer vorgestellt.
Einundfunfzig einen Viertelgulden
Machte diese ganze Summe aus.
Als bezahlt die Wittwenkassenschulden,
Bracht' ich noch zwei Kreuzer mit nach Haus.
Zweiundneunzig Gulden mußt' ich wieder,
Und zwar schon im allernächsten Jahr,
In die Wittwenkasse legen nieder,
Was ein Achtel der Besoldung war.
Anno achtundzwanzig informirte
Ich im Hause hier der Kinder neun;
Weil ich's abschlug, daß man honorirte,
Ging nach kurzer Zeit die Schule ein.
Für den Karl Emmelius hingegen
Nahm ich dennoch sieben Gulden an;
Denn sein Vater war nicht zu bewegen,
Daß er dieses anders hätt' gethan.
Damals habe ich auch Meyers Nettchen
Allererst das A-B-C gelehrt,
Und es war mir schon als kleines Mädchen
Dazumal besonders lieb und werth.
(134 ≡)
Unter allen großen, schönen Mädchen,
Die ich öfters hatte mir beschaut,
Wählte endlich ich mein theures Käthchen
Im October mir zu meiner Braut.
Doch wie selig dreimal ich gewesen
Und wie traurig in dem Ehestand,
Ist in meinen „Rosen“ nachzulesen,
Die ich niederschrieb mit treuer Hand.
Als an meines ersten Weibchens Seite
Ich im zweiten Jahre ruhig schlief,
Hatten einst wir eine Anzeig' beide,
Die uns eiskalt über'n Rücken lief.
Plötzlich hörte ich im Schlaf erschallen
Meines Täubchens angsterfüllte Stimm':
„Ach, das Kind ist aus der Wieg' gefallen!“
„Spamer, siehe doch geschwind nach ihm!“
Ich lag vorn im Bette, und die Wiege
Mit dem Karlchen stand so nah davor,
Daß ich seine sanften Athemzüge
Alsobald vernahm mit meinem Ohr.
Darum sprach ich gleich zu meinem Schätzchen:
„Unserm Kinde ist kein Leid geschehn,“
„Denn es schläft gesund auf seinem Plätzchen,“
„Und ich höre seinen Athem gehn.“
„Aber woher kommt denn das Gejammer,“
Fiel sogleich mein Weibchen wieder ein,
„Das ich höre hier in unsrer Kammer“
„Und das mir durchdringet Mark und Bein?“
Aus der Kammer lief ich nun in's Zimmer,
Um ein Licht da anzuzünden schnell,
Und vernahm das klägliche Gewimmer
Eines Kindes unterm Tische hell.
Da begann ein Unglück ich zu wittern
Und, so unerschrocken sonst ich war,
Doch am ganzen Leibe zu erzittern
Vor der noch verborgenen Gefahr.
Auch die Stubenthüre so erkrachte
Durch von außen angewandten Druck,
Daß ich jeden Augenblick gedachte:
Jetzo bricht sie bei dem nächsten Ruck.
Deßhalb mußte ich zugleich vermuthen,
Daß auch Diebe eingebrochen sei'n,
Welche, während wir im Schlafe ruhten,
Wollten dringen in das Zimmer ein.
Eiligst konnte ich jedoch nicht zünden
In der Dunkelheit ein Licht mir an,
Weil ich suchen mußte, um zu finden
Feuerzeug und einen Schwefelspan.
Aber als das Licht auch endlich brannte,
Und ich konnt' das Zimmer ganz durchspäh'n,
War doch, wie mit Staunen ich erkannte,
Keine Spur von einem Kind zu sehn.
Darum sagte ich zu meinem Käthchen:
„Liebchen, bleibe ruhig nur und still“
„Liegen da in Deinem warmen Bettchen;“
„Während ich das Haus durchsuchen will!“
„Denn ich glaub', wir werden jetzt bestohlen,“
„Und die Diebe sind schon in dem Haus!“
Damit nahm ich Licht und zwei Pistolen,
Spannte sie und ging zur Thür' hinaus.
Alle Stuben, Kammern, Speicher, Küche,
Keller und den Abtritt auch sogar
Habe ich durchstöbert zur Genüge;
Doch ein Spitzbub nicht zu finden war.
Weil ich meinen Zweck nun nicht erreichet,
Stimmten ganz wir darin überein,
Daß ein Kind sich habe angezeiget,
Das aus unsrer Freundschaft müsse sein.
Bald die Nachricht ich erhalten habe,
Daß gestorben sei in jener Nacht
Meines Bruders Karl, ein schöner Knabe,
Und noch meiner sehnlichst hab' gedacht.
Dieses Kind war ganz an Leib und Seele
Hier schon einem Engel Gottes gleich;
Darum ward von Gott es ohne Fehle
Aufgenommen in das Himmelreich.
Auch dem Vater wurde angezeiget
Vorher dieses seines Kindes Tod,
Wie er selber nachher mir bezeuget,
Als es schon gegangen war zu Gott.
Als sein Leben noch drei Tage währte,
Pocht' es dreimal über ihm so laut,
Daß dem Vater, der das Pochen hörte.
Augenblicklich hat davor gegraut.
An dem nächsten Abend pocht' es wieder
Auf der Oberstube, zweimal nur;
Da schon sank des Vaters Hoffnung nieder,
Die er hatte auf des Lieblings Cur.
Als es auch am dritten Abend pochte,
Und zwar jetzo nur ein einzig Mal,
Auch der Vater gar nicht mehr vermochte
Zu erblicken einen Hoffnungsstrahl.
(135 ≡)
In derselben Nacht ist es verschieden,
Wo es sich auch hier hat angezeigt;
Ueber dreißig Jahre ruht's in Frieden,
Und war mir besonders zugeneigt.
Früher, als mein Käthchen seine Reise
Hatte in die Ewigkeit gethan,
Ward sein Tod auf siebenfache Weise
Uns und Andern schon gezeiget an.
Wie das aber eigentlich geschehen,
Schrieb ich längst in einem Heftchen auf,
Und aus diesem ist noch heut' zu sehen
Deutlicher der ganze Sachverlauf.
Träume, wie ich fünf darin erzähle,
Prägen sich, was wohl zu merken ist,
Gleich so tief in jedes Träumers Seele,
Daß er sie sein Leben nicht vergißt.
Dann auch findet ohne fremde Leitung
Er sogleich, wenn er geträumet kaum,
Schon von selbst die wahre Vorbedeutung
Von dem sonst noch nie gehabten Traum.
Daß selbst Träume wörtlich offenbaren,
Was verborgen und zukünftig ist,
Hab' ich aus dem Orgeltraum erfahren,
Den ich hatte und Ihr selber wißt.
Etwas Aehnliches ist widerfahren
Meiner Mutter auch als junger Frau
Vor nun etwa einundsechzig Jahren,
Denn die Zeit weiß ich nicht ganz genau.
Da erschien im Traume ihr ein Bote,
Der von Schotten ihr die Nachricht bracht',
Daß ihr Schwiegervater schnell mit Tode
Abgegangen sei in jener Nacht.
Als sie ihn an's Fenster schlagen hörte,
War sie Anfangs ärgerlich darob,
Daß er sie im besten Schlafe störte,
Und dabei verführe allzu grob.
Als sie aber aus dem Bett geeilet
Und gelaufen war an's Fenster hin,
Da erkannte sie auch unverweilet
Als den Vetter Wilhelm Stophel ihn.
Und nachdem die Botschaft sie bekommen,
Daß ihr Schwiegervater schnell verschied,
Hat darauf sie den Gesang vernommen
Von dem ihm gesungnen Sterbelied.
Diesen ganzen Traum sie nun erzählte
Meinem Vater, als sie war erwacht,
Dem sie nicht ein Wort von dem verhehlte,
Was der Todesbote ihr gesagt.
Und wie hier aus meiner Feder quillet
Dieser ganze wunderbare Traum,
Ward er auch von A bis Z erfüllet
Nach Verlauf von ein paar Wochen kaum.
Und kein Nebenumstand hat gefehlet,
Wäre auch derselbe noch so klein;
Sondern grade so, wie ich erzählet,
Traf auch Alles nachher pünktlich ein.
Auch ward eben jenes Lied gesungen
Beim Begräbniß vor dem Leichenhaus,
Welches schon zu Ohren war gedrungen
Meiner Mutter wochenlang voraus.
Mein Geburtshaus war auch ausgezeichnet
Dadurch, daß schon in der Neujahrsnacht,
Wenn ein Todesfall sich hat ereignet,
Er durch Zeichen ward bekannt gemacht.
Freilich wurden immer solche Zeichen
Für dasselbe Jahr nur kund gethan,
Und auch immer nur für solche Leichen,
Die die Hausbewohner gingen an.
Wie auch jene Zeichen kund sich thaten,
Waren oft sie doch von solcher Art,
Daß man die Personen konnte rathen,
Deren Sterben angedeutet ward.
In der Neujahrsnacht desselben Jahres,
Worin meines Vaters Vater schied,
Und zwar zwischen Elf und Zwölfe war es,
Wo sein Tod sich also schon verrieth:
Meinem Vater grade so es schiene,
Als ob plötzlich rollte von dem Dach
Eine sich vergrößernde Lavine
Und zur Erde fiel mit dumpfem Krach.
Meines Vaters Staunen aber mehrte
Dieses, daß an eben jenem Tag,
Wo er diesen Schneesturz deutlich hörte,
Gar kein Schnee noch auf der Erde lag. —
Meiner Mutter aber so es schiene,
Als ob Jemand mit der Peitsche hell
Mehrmals klatschte oben im Kamine,
Welcher fahren wolle von der Stell'. —
Meines Vaters Mutter hat geschüret
Uns im Ofen lang das Feuer an,
Und wenn ihr's ein And'res angerühret,
Hatte es ihr keinen Dienst gethan.
(136 ≡)
Als ihr Todesjahr herangekommen,
Haben deutlich in der Neujahrsnacht
Meine Aeltern ein Geklirr vernommen,
Wie es grade ward hervorgebracht,
Wenn etwa einmal der Ofenwärter
Ofenkrabben sammt dem Blasrohr hatt'
In den Ofen hingestellet härter,
Als es sonst gewöhnlich fande Statt.
Dreimal nach einander wurde dieses
Und mit solchem Nachdruck auch gethan,
Daß es meinen Aeltern schien, als hieß' es:
„Da, nun greife ich euch nicht mehr an!“ —
Ehe ihre Krankheit angefangen,
Hat sie an dieselbe nicht gedacht,
War gesund noch in die Kirch' gegangen,
Wurde aber krank herausgebracht.
Und sobald sie meine Mutter sahe,
Welche grad' geblieben war zu Haus,
Rief sie, als sie ihr gekommen nahe:
„Ach, wie ist mir! ach, wie ist mir!“ aus.
Eben diese Worte hatt' gehöret
Meine Mutter auch im Traum vorher
Von ihr, darum haben sie gemehret
Ihre Sorge um die Kranke sehr.
Diese aber war seit jenem Tage,
Da sie bald die Wassersucht bekam,
Stets in einer leidensvollen Lage,
Bis der Herr sie endlich zu sich nahm.
In der Neujahrsnacht nun jenes Jahres,
Wo der Pfarrer Schuchard sank ins Grab,
Da vernahm mein Vater offenbares
Wasserrauschen von der Trepp' herab;
Hörte auch den Wassereimer fallen,
Und ihn rollen durch des Hauses Flur,
Bis derselbe noch mit lautem Schallen
An der Hausthür' endlich widerfuhr.
Eilig wollt' er nach dem Eimer gehn,
Um ihn aus dem Weg zu stellen nur;
Aber weder war von ihm zu sehen,
Noch von Wasser irgend eine Spur. —
Meine Mutter und die Dienstmagd lagen
Wiederum in einer Neujahrsnacht,
Während sie von solchen Dingen sprachen,
Und auf eine Anzeig' gaben Acht;
Als in ihrem Zimmer plötzlich störte
Sie die Ofenthüre in der Ruh,
Welche jede mehrmals schlagen hörte
Ganz vernehmlich auf und wieder zu.
Alsobald die Magd dabei bemerkte:
„Ach, das hat gewiß gegolten mir,“
„Weil es“ — was sie noch darin bestärkte —
„Ist gewesen meine Ofenthür'!“
Während meine Mutter nicht vermochte
Auszureden ihr, was sie gesagt,
Es auch dreimal obendrein noch pochte
An die Bettlad' der bestürzten Magd.
Dieses war derselben so entsetzlich,
Als dem Mörder, dem man bricht den Stab,
Und in jenem Jahre sank auch plötzlich
Ihr geliebter Bruder in das Grab. —
Auch die Schrift hat mir vorhergezeiget
Meiner beiden ersten Frauen Tod,
Als die Krankheit jenen Grad erreichet,
Der ihr theures Leben hat bedroht.
Dreimal hab' ich da auf mein Befragen,
Welches doch der Ausgang werde sein,
Stets dieselbe Antwort aufgeschlagen
Die sich findet Lucä zehn Vers neun. —
Auch von meinem Vater kann ich schreiben,
Daß er aufschlug in der Neujahrsnacht:
„Du wirst sterben, nicht lebendig bleiben!“
Wie Jesaias Hiskia gesagt.
Eh der März desselben Jahrs zu Ende,
Hat befohlen auch der edle Greis
Seine Seele in des Vaters Hände,
Dem er lang gelebt zu Ruhm und Preis.
Anno sieb'nundvierzig ist's gewesen,
Wo mein guter Vater heimwärts zog,
Und noch Manches ist von ihm zu lesen
In „der Deutschen neuem Nekrolog.“
Als an seinem Bette er im Stillen
Meine Mutter um ihn weinen sah,
Sprach er: „Füge Dich in Gottes Willen;“
„Meine Zeit ist ja nun einmal da!“
„Ehe auch zwei Jahre noch vergehen,“
„Werden wir — das sag' ich Dir voraus“ —
„Selig schon uns droben wiedersehen“
„In dem großen, schönen Vaterhaus!“
Meine Mutter trug auch ohne Klage
Ihres stillen Schmerzes schwere Wucht,
Und sie starb am ersten Ostertage
Nächsten Jahres an der Wassersucht.
(137 ≡)
Sie war über einundsiebzig Jahre
Und mein Vater sechsundsiebzig alt,
Als der Tod dem zärtlich treuen Paare
Zurief sein gebieterisches „Halt!“
Beide Tage auch und Stunden zählten
Bis zu ihrem gold'nen Hochzeitstag;
Sechsunddreißig Tage aber fehlten,
Als mein Vater noch dem Tod erlag.
Und zu Crainfeld lieget er begraben
Auf dem Friedhof, den er eingeweiht;
Meiner lieben Mutter aber gaben
Hier wir auf dem Kirchhof das Geleit.
Anno sieb'nundvierzig hab' gelitten
Ich an chron'schem Rheumatismus sehr,
Ehe meine Mutter auf mein Bitten
Zog im Herbst von Crainfeld zu mir her.
Ja, die Schmerzen, die ich in dem Rücken
Damals öfters hatte auszustehn,
Sind mit Worten gar nicht auszudrücken;
Denn ich meinte oft, ich müßt' vergehn.
Freilich hatte ich in frühern Jahren
Reißen schon im rechten Arm gespürt;
Da die Schmerzen unbedeutend waren,
Hatten sie mich aber nicht genirt.
Jetzo aber brachten meine Flüsse
Einen Schmerz, der an im Rücken fing,
Und es kamen manchmal Hexenschüsse,
Daß das Athmen mir dabei verging.
Dabei konnte ich mich weder bücken,
Noch entkleiden, noch im Bette drehn;
Es verbot mir selbst der Schmerz im Rücken,
In das Bett und auch heraus zu gehn.
Schwitzen, Schröpfen, Sympathie und Schmieren,
Alle Mittel halfen mir nicht viel,
Und das Uebel wollte sich verlieren
Niemals wieder ganz mit Stumpf und Stiel.
Deßhalb habe ich denn angehalten
Auf so lang um einen Pfarrvicar,
Bis das Amt ich wieder selbst verwalten
Könne, das mir übertragen war.
Da bereits ich über dreißig Jahre
Selbst versehn die hiesige Pfarrei,
Ward sie übertragen dem Vicare
Sieb'nundfünfzig an dem zehnten Mai.
Vier Vicare lernte schon ich kennen,
Nämlich Krauß, Georgi, Schwan und Koch,
Um sie nach der Reihe herzunennen,
Und den letztgenannten hab' ich noch.
Aufgeblasen, unbescheiden, eckig
War der erste dieser jungen Herrn,
Auch von Bräutchen sprach er allzu geckig,
Darum sah ich seinen Abzug gern.
Doch der Zweite war nach meinem Herzen,
War und bleibt mein lieber, guter Freund,
Und wir haben beide fast vor Schmerzen,
Als er abgerufen ward, geweint.
Und der Dritte war der ärgste Mucker,
Den die Unvernunft gebrütet aus,
Deßhalb schaffte ich den armen Schlucker
Von dem Halse mir und aus dem Haus.
Trug der Vierte auch den Leutnantsdegen,
Bin ich doch mit ihm zufrieden ganz,
Da er seiner Glaubensrichtung wegen
Nicht verdammet Spiel, Musik und Tanz.
Seit ich hier ein Diener bin des Wortes,
Habe ich mit Freuden auch gesehn
Oft Verschönerungen dieses Ortes
Innerhalb und außerhalb entstehn.
So zum Beispiel ward die Heidenweide,
Wo man Sonntags trieb die Ochsen hin,
Umgepflügt, daß nun schon längst die Leute
Da die schönsten, besten Früchte ziehn.
Dazu hat mein Großpapa gegeben
Erst dem Schultheiß Wagner guten Rath,
Und durch diesen trat auch bald in's Leben,
Was ihm jener angerathen hat.
Anno neunundzwanzig fing so fleißig
Man die Chaussee hier zu bauen an,
Daß wir sie bereits im Jahre dreißig
In dem Dillthal fix und fertig sahn.
Diese trug zu unsers Dorfes Hebung
Wesentlich und ganz besonders bei,
Und man sahe auch, daß die Umgebung
Dadurch freundlicher geworden sei.
Aeußerst trist und ärmlich anzusehen
War im Innern unser Gotteshaus;
Nach der Besserung, die dran geschehen,
Sieht es jetzo hell und würdig aus.
Boden, Anstrich, Orgel, Bühnen, Stühle,
Fenster und Altartuch wurden neu;
Die Gemeinde ließ es im Gefühle
Machen, daß es wirklich nöthig sei.
(138 ≡)
Kleidung, Crucifix und eine Bibel
Gab das gnäd'ge Fräulein dem Altar,
Als das erste Tuch schon wieder übel
Durch das Alter zugerichtet war.
Kirch- und Pfarrhof, die zusammenstoßen,
Wurden auch verschönert seit der Zeit,
Und die kleine Glocke umgegossen,
Und ein neues Schulhaus eingeweiht.
Auch die Scheuer, die ich jetzt besitze,
Welche ganz von Steinen, wie man schaut,
Sammt dem Spritzenhause und der Spritze
Wurden unterdessen neu erbaut.
Auch verkief ich fünf von jenen Wiesen,
Welche früher der Pfarrei gehört,
An den Herrn von Schenck, so daß durch diesen
Der Besoldungsfonds sich sehr vermehrt.
Dadurch aber wiederum verlieret
Die Pfarrei und auch die Schule doch,
Daß auch später allodificiret
Ward die Fellingshäuser Erbleih noch.
Lange habe ich mich zwar gewehret
Gegen diesen jährlichen Verlust;
Da ich aber nirgends ward gehöret,
Ich ihn mir gefallen lassen mußt'.
Karl, dem Erzherzog, hat aufgeführet
Man ein Monument im nahen Feld,
Wo er ehemals hat commandiret
Gegen die Franzosen als ein Held.
Doch die größte Neuigkeit erleben
Sollten hier wir erst in diesem Jahr,
Als die Eisenbahn ward übergeben
Dem Verkehr am 12. Januar. (1862)
Jede Bäuerin in unserm Thale
Hat ihr blaues Wunder da gesehn,
Als sie sah zum allerersten Male
Einen Bahnzug durch das Dillthal gehn.
Und man läßt es keineswegs bewenden
Bei der ersten, der Deutz-Gieß'ner Bahn,
Sondern fährt auch, eh' das Jahr wird enden,
Auf der zweiten abwärts an der Lahn.
Und die Höfe bei-der Bahnen liegen
Nur zweitausend Schritte vor dem Ort,
Daß wir gar bequem nun können fliegen
Gegen Osten, Süden, West und Nord.
Eine Dillbrück wird auch jetzt gebauet,
Noch in diesem zweiundsechz'ger Jahr,
Wie man keine noch dahier geschauet,
Da die alte nicht zu fahren war.
Achtzehnhundertzweiundsechzig schreiben
Darum wir in unsrer Chronik ein
Als ein Jahr, das unvergeßlich bleiben
Wird für unser liebes Hermannstein. —
Von den Kindern, die mir Gott gegeben,
Neune waren's, habe ich noch vier;
Aber alle mit einander leben
Auswärts, und nicht eines mehr bei mir.
Hermann, welcher Bergbau jetzt studiret,
Ist zu Freiberg in dem Sachsenland;
Minchen reichte, als es copuliret
Ward, dem Kaufmann Kellner seine Hand.
An dem siebzehnten October schlossen
Achtundfünfzig sie den Ehebund;
Lebten dann zu Wetzlar unverdrossen,
Einig stets und meistens auch gesund.
Julius, Anna, Louis waren Früchte
Dieser segensreichen Ehe schon;
Doch es machte schnell der Tod zu nichte
Vor dem zweiten Mond den jüngsten Sohn.
Julius ist ein aufgeweckter Knabe,
Und die Anna, meine Enkelin,
Ich in solchem Grade gerne habe,
Daß ich fast in sie verliebet bin.
Louis sucht auf Münzenbergs Gefilden
Sich in praktischer Oeconomie
Eben völliger noch auszubilden,
Da er kannte ihre Theorie.
Anna ist in diesem Augenblicke
Noch bei Fräulein Spitz im Pensionat;
Kehrt jedoch von Hanau bald zurücke,
Da sie dorten ausstudiret hat.
Und so habe ich denn kund gegeben
Bis auf heute meinen Lebenslauf;
Was ich etwa ferner soll erleben,
Schreibe ich vielleicht noch später auf.
An dem achtzehnten September schließe
Anno zweiundsechzig ich das Buch,
Und indem ich Euch, Ihr Leser, grüße,
Denke ich, es wäre dick genug! —
Doch es fällt aus meinem frühern Leben
Eben mir noch dies und Jenes ein,
Was ich auch noch will zum Besten geben
Und sogleich hier an das Vor'ge reihn.
(139 ≡)
Anno funfzehn gaben wir Scholaren
Löbers Karl von Breungeshain mit Freud',
Dessen Ferien zu Ende waren,
Alle bis nach Laubach das Geleit.
Russische Cavallerie erfüllte
Ganz die Straße vor des Gastwirths Haus,
Und mein Bruder seine Neugier stillte,
Während er zum Fenster sah hinaus.
Sieh', da forderte ein frecher Russe
Meinem Bruder barsch die Pfeife ab,
Und da dieser jenem zum Verdrusse
Ein bestimmtes Nein zur Antwort gab,
Sprach der Ruß, mein Bruder hab' genommen
Ihm die Pfeife und er könne sie
Nun nicht wiederum von ihm bekommen,
Ungeachtet aller seiner Müh'.
Da sein Officier nun kam und wollte,
Daß mein Bruder jenem alsobald
Seine Pfeife wiedergeben sollte,
Sagten wir den wahren Sachverhalt.
Und der Rosenwirth, der zugesehen,
Wie der Ruß sein Pfeifchen hatt' versteckt
In den Aermel bei dem Weitergehen,
Hat auch dies dem Officier entdeckt.
Als der Schelm den Aermel mußte schütteln,
Wie es hatt' der Rosenwirth begehrt,
War die Wahrheit leichtlich zu ermitteln,
Da die Pfeif' herausfiel auf die Erd'.
Nunmehr wurde er mit starken Stricken
Festgebunden an ein Wagenrad
Und der Officier hieb ihm den Rücken
Mit der Säbelscheide ohne Gnad'.
Seine Säbelscheide war von Eisen,
Und er suchte uns mit jedem Hieb
Auf das Deutlichste auch zu beweisen,
Daß er schone keinen solchen Dieb.
Manchmal freilich hörte er auch mitten
In dem Schlagen eine Weile auf,
Ließ den Kerl mit Wasser überschütten,
Nachher schlug er wieder besser drauf.
Endlich baten selber für den armen,
Uebel zugerichteten Coujon
Wir den Officier noch aus Erbarmen
Um Begnadigung und um Pardon. —
Von den schwarzen Preußischen Husaren
Ritten früher zwei vor unser Haus,
Welche extra nur gekommen waren,
Sich zu wählen eine Pfeife aus.
Einer hatte eine schon genommen,
Wollte eben mit derselben fort,
Als die Mutter ist dazugekommen,
Und sie wieder hing an ihren Ort.
Kaum war in die Küche sie gegangen,
Weil sie Oel da auf dem Feuer hatt',
Kam der Zweite und hat abgehangen
Jene Pfeife an des Ersten Statt;
Drohte auch mit derben Knutenhieben,
Wenn ihn Jemand daran hindern wollt',
Hatt' auch eine Quittung flugs geschrieben,
Daß das Dorf die Pfeif' bezahlen sollt'.
„Lassen Sie doch Ihre Knute stecken,“
Sprach mein Vater zu dem Officier,
„Denn Sie können mich damit nicht schrecken,“
„Und behalten Sie Ihr Blatt Papier!“
„Ihre Anweisung ist nur zum Scheine,“
„Denn wenn Sie mein Eigenthum verletzt,“
„Ist deßhalb nicht schuldig die Gemeine,“
„Daß sie mir den Werth dafür ersetzt!“
Wenn er meinen Vater angegriffen,
Hätt mein Bruder in den Leib gerannt
Ihm sein Messer, welches scharf geschliffen
Er gefaßt schon hatte in der Hand.
Doch der edle Krieger war zufrieden,
Daß er die gewünschte Pfeif' bekam,
Welche er sogleich, als er geschieden,
Ohne Gegenwehre mit sich nahm.
Als nun meine Mutter war gekommen
Wieder in das Zimmer aus der Küch',
Und von uns mit Staunen hat vernommen,
Daß der Preuße mit der Pfeif' entwich,
Sprach sie: „Aber weiß sollt' man Euch speien,“
„Daß Ihr Männer, deren es doch Vier,“
„Euch berauben laßt von diesen Zweien,“
„Und der Eine war noch vor der Thür'!“
's waren nämlich Pfarrer Kratz, ein Schneider,
Lehrer Schmehl nebst meinem Vater da,
Als der Pfeifenraub von jenem Reiter,
Der noch halb betrunken war, geschah.
Und der Andere hielt vor der Thüre
Unterdessen beide Pferde an,
Daß also allein stand gegen Viere
Jener räuberische Grobian.
(140 ≡)
Will ich mich und meinen Bruder nennen,
Seiner Feinde Zahl sogar noch wächst;
Denn in diesem Fall muß ich bekennen,
Daß wir waren gegen ihn zu Sechst.
„Wenn ich eher wär' hereingekommen,“
Sprach die Mutter, „steh ich Euch dafür,“
„Hätte nicht die Pfeife mitgenommen“
„Dieser Taugenichts von Officier!“
Darauf ließ mein Vater sich vernehmen:
„Liebe Frau, ich will Dir sagen jetzt,“
„Manchmal muß man seinen Zorn bezähmen,“
„Fühlt man sich auch noch so tief verletzt!“
„Gestern gab ich selber erst die Lehre:“
„Meine Freunde, schickt Euch in die Zeit,“
„Und gerathet mit dem Militaire,“
„Welches durchzieht, nur in keinen Streit!“
„Leidet lieber einen kleinen Schaden,“
„Wenn Ihr auch das Recht habt in der Hand,“
„Als daß Euch aus Rache die Soldaten“
„Stecken Euer ganzes Dorf in Brand!“
„Sollt' ich nun um einer Pfeife willen“
„Heute schlagen mich mit dem Husar?“
„Und nicht tragen den Verlust im Stillen,“
„Abzuwenden größere Gefahr?“ —
Da der Räuber sich noch ganz betrunken,
Eh' er weiter ritt aus unserm Ort,
War er bald vom Pferd herabgesunken,
Und die Pfeife auch schon wieder fort.
Hatte sie der Bote auch gefunden,
Den er aus dem Dorfe mit sich nahm,
Doch mein Vater auch von diesem Kunden
Sie in seinem Leben nicht bekam.
's war ein Meerschaumkopf, der vorn und hinten
Zwar mit Silber hübsch beschlagen war;
Doch war unten drin ein Loch zu finden,
Da er durchgebrannt war ganz und gar. —
Meteore, die sich selten machen,
Wenn man Jetzt vergleicht mit Früherhin,
Feuerkugeln, Irrwische und Drachen
Sah ich manches Mal vorüber ziehn.
Zwar die erste Kugel, die ich sahe,
War nur eines Menschenkopfes dick,
Und wiewohl sie fiel mir ziemlich nahe,
Sah ich doch sie nur mit einem Blick.
Doch die zweite glich dem vollen Monde,
Wenn derselbe eben gehet auf,
Und noch schwebet überm Horizonte,
Eh er höher steigt in seinem Lauf.
Deutlich sah ich aus den höchsten Lüften
Schräg sie fallen und nur mäßig schnell,
Und die Nacht mit ihren dunklen Triften
Wurden durch sie plötzlich mittaghell.
Da ich wollt' nach Wingertshausen reisen,
Dort zu predigen den andern Tag,
Mir ein Bote zwar, den Weg zu weisen,
Mit der größten Zuversicht versprach.
Doch als wir die Kugel nun gesehen,
Jeder staunend von derselben sprach.
Gerne ließ ich Jenen vor mir gehen,
Und ich ritt ihm ganz gemächlich nach.
Weil er aber stets philosophirte
Ueber jenes schöne Meteor,
Er sich von dem rechten Weg verirrte,
Den er endlich ganz und gar verlor.
Statt nach Wingertshausen bracht' der Bote
Mich nach einer guten Stunde Zeit
Nun von Burkhards bis nach Eschenrode,
Wo wir hatten wieder grad so weit.
Nun gings durch den Hohlweg rüstig weiter,
Welcher damals gliche einem Bach,
Während vor dem Pferde mein Begleiter
Immer erst das schwache Hohleis brach.
Da er sein Laternchen nicht versehen
Hatt' mit Oel für diese läng're Zeit,
Drohte unterwegs es auszugehen,
Und wir hatten doch noch ziemlich weit.
Jetzo sah ich einen Irrwisch kommen,
Der sich näherte uns immer mehr;
„Könnten wir nur Oel von dem bekommen,“
Sprach ich, „doch er gibt uns keines her!“
„O, das will ich ihn schon hurtig lehren;“
„Halten Sie nur hier ein wenig still;“
„Etwas muß er von dem Oel entbehren,“
„Mag er sein auch, wer er immer will!“
So sprach mein Gefährte, weil er meinte,
Daß der Irrwisch auch ein Wandrer sei,
Und wiewohl ich dieses ihm verneinte,
Suchte er ihm doch zu kommen bei.
Lachen mußt' ich, als er nach ihm rannte,
Bis er seinen Irrthum ward gewahr,
Und dann mit Beschämung selbst erkannte,
Daß er wirklich auszulachen war.
(141 ≡)
Unser Lichtchen hat jedoch gehalten
Länger, als wir hatten uns gedacht,
Bis wir endlich kamen wohlbehalten
Beim Inspector an um halberacht. —
Als ich einst in später Abendstunde
Kam von Minchen, meiner lieben Braut,
Hab' der Irrlichter ich zwei im Bunde
An der Dill zu gleicher Zeit geschaut.
Eins kam oben von der Dill herunter
Und das andere der Dill herauf,
Beide eilten immer grad und munter
Auf einander zu in ihrem Lauf.
Endlich kamen sie so nah zusammen,
Grade wie zu einem Rendezvous,
Daß ich dachte, diese beiden Flammen
Suchen sich wie Deine Braut und Du.
Als ich ihnen lange zugesehen,
Blies der Wind mir meine Leuchte aus,
Da ließ ich sie bei einander stehen,
Und begab mich ungesäumt nach Haus.
Doch es wollte jetzt mir nicht gelingen,
Während ich vor meiner Thüre stand,
Diese mit dem Schlüssel aufzubringen,
Weil ein Hinderniß sich innen fand.
Da die Phantasie mir vorgespiegelt:
Ganz gewiß sind Diebe in dem Haus,
Die die Thüre innen zugeriegelt
Und Dich haben klug geschlossen aus;
Ging ich um das Haus, um zu erspähen,
Wo sie etwa eingestiegen sein;
Fand jedoch kein Fenster offen stehen,
Und von einem Einbruch keinen Schein.
Darum stieß ich nun mit beiden Händen
Und mit allen Kräften an die Thür,
Daß sich Massen Eises von ihr trennten.
Die sie hatten zugehalten mir.
Während ich in Aßlar hat' gesessen,
Und die Sehnsucht nach der Braut gestillt,
Hatte nämlich Wasser unterdessen
Meinen Hausflur gänzlich angefüllt;
Dieses Wasser hatte Eis geboren,
Bis ich Abends spät nach Hause kam,
Und so war die Thüre eingefroren,
Was mich nun nicht weiter Wunder nahm. —
Andre Irrlichter hab' ich gesehen,
Doch sie kamen alle mir nicht nah,
Deßhalb will sogleich ich übergehen
Zu den beiden Drachen, die ich sah.
Als wir anno funfzehn fuhren Schlitten
Eines Abends nah bei Breungeshain,
Zog in einer Höh' von sieben Schritten
Ueber uns ein Drach' zum Dorf hinein.
Da er langsam kam dahergezogen,
Und auch eben heller Mondschein war,
Hat kein Auge sich dabei betrogen,
Sondern jedes sah ihn nah und klar.
Wagrecht und in eines Wiesbaums Länge
Fuhr er über unsern Köpfen hin.
Und der Zuschauer erstaunte Menge
Sah wie auf ein Wunderthier auf ihn.
Unten war vom Kopfe bis zum Schwanze
Schwarzgrau dieses ganze Phänomen,
Oben konnten wir in buntem Glanze
Blaue, rothe, gelbe Flammen sehn.
An dem Kopf von eines Kindskopfs Dicke,
Hing, jedoch nicht nach Proportion,
Eine Schlange, armsdick, vom Genicke
Bis zum Schweif in Undulation.
Wer zugegen, auch die ältern Leute
Mußten miteinander eingestehn:
„Nein, so haben alle wir bis heute“
„Unser Lebtag noch kein Ding gesehn!“
Und wir sahen's langsam weiter schweben,
Wie's den Weg nach einem Schornstein nahm,
Wo es uns, so sehr wir Acht gegeben,
Plötzlich allen aus den Augen kam.
Da die Frau in jenem Haus als Hexe
Bei den Bauern stande im Verdacht,
Rief derselben einer: „Meiner Sechse,“
„Der hat jetzt der Drach' etwas gebracht!“
Doch aus ganz naturgemäßen Gründen
Kann er in's Camin gefahren sein,
Wenn, sich mit den warmen zu verbinden,
Dort die kalten Lüfte strömten ein. —
Anno dreiundvierzig hatt' gefangen
Unser Singkranz an und war im Flor,
Als ich Abends in den Hof gegangen,
Um zu putzen mir ein Pfeifenrohr.
Da gewahrt' ich an des Himmels Höhe
Gegen Nordost einen rothen Schein,
Der so schön war, daß ich dacht', ich sähe
Zu der offnen Himmelsthür' hinein.
(142 ≡)
Ich erstaunte über die Erscheinung,
Die mir Anfangs schiene still zu stehn,
Bald indessen ward ich andrer Meinung,
Da ich deutlich sah sie weiter gehn.
Während sie mir immer näher rückte,
Ward ich eine Kugel vorn gewahr,
Hinter der ich einen Schweif erblickte,
Der von einer Manneslänge war,
Diese Kugel, von dem reinsten Feuer
Und wohl einer Kegelkugel dick,
Bog als wie ein drohend Ungeheuer
Ihren Schweif bald vorwärts, bald zurück.
So sah ich den Drachen nieder fahren,
Und mein Auge blieb ihm zugewandt
Bis ich ihn nicht weiter konnt' gewahren,
Da er hinterm Schulhaus mir verschwand.
Die Beschreibung hab' von diesem Drachen
Ich dem Zeitungs-Redacteur gesandt,
Mußte aber nachher selber lachen,
Als ich nahm die Zeitung in die Hand.
Dieser hatte nämlich meinen Drachen
Nach Belieben völlig englisirt,
Und ihn, um die Sache rund zu machen,
Nur als Feuerkugel aufgeführt.
Ob derselbe an dem Ausdruck „Drache“
Anstoß hatt' genommen, weiß ich nicht;
Doch erschien durch ihn die ganze Sache
Nunmehr vor der Welt in falschem Licht.
An den Lesern hatte er gesündigt,
Weil er sie nur täuschte und belog;
An mir selbst, da er, was ich verkündigt,
Ohne allen Grund in Zweifel zog;
An der Wahrheit, weil er sie verletzte,
Und die Sache nicht so stellte dar,
Sondern anders in die Zeitung setzte,
Als sie in der That gewesen war.
An dem armen Drachen aber endlich,
Der doch wahrlich gar nichts konnt' davor,
Daß er durch den Redacteur so schändlich
Namen, Schweif und Existenz verlor. —
Von dem weiland Superintendenten
Palmer sind schon lange in dem Lauf
Anekdoten zwar an allen Enden;
Dennoch tisch' ich selbsterlebte auf.
Jede Anekdote muß verlieren,
Wenn man die Personen nicht gekannt,
Dieß ist ganz besonders zu urgiren
Bei dem Mann, den eben ich genannt.
Seine Kleinheit mußte schon frappiren
Trat man ihm zum ersten Male nah,
Und sein graues Haar ließ er frisiren,
Wie man es bei keinem Andern sah.
Gegen seine, wirklich winz'ge Länge
Stach die Corpulenz bedeutend ab,
Und bei jedem seiner Schritt' und Gänge
Er sich ein besondres Ansehn gab.
Halstuch, Weste, Frack und kurze Hosen,
Strümpfe, alles schwarz, und Schnallenschuh'
Trug er immer und noch einen großen,
Dreigeeckten schwarzen Hut dazu.
Niemand sollte sich daran ergötzen,
Wie der große Hut dem Männchen stand;
Denn es pflegte nie ihn aufzusetzen,
Sondern trug ihn stets in seiner Hand.
Kam es gravitätisch angeschritten.
Sah man nur entblößt sein geistlich Haupt,
Welches nach schon längst verscholl'nen Sitten
Bis zur Stirn mit Puder war bestaubt.
Seine Haare, ganz zurückgestrichen
Und gebunden hinten an dem Kopf,
Boten einen Anblick dar, als glichen
Ungefähr sie einem Weichselzopf.
Doch Ihr mögt im Bilde erst beschauen
Dieses kleine Menschenexemplar,
Und zugleich auch meinem Zeugniß trauen,
Daß es völlig so gestaltet war!
Dieses Männlein war Euch so possirlich,
Daß auch Jeglichem das Lachen kam
Bei dem ersten Anblick unwillkürlich,
Wenn er sich nicht fest zusammen nahm!
Da im Vogelsberge halten wollte
Palmer Kirchenvisitation,
Wünschte er, daß ich begleiten sollte
Ihn mit Heinrich, seinem ersten Sohn.
Dankbar setzte ich mich zu den beiden
In die Superintendenten-Chaise,
Die „die Arche Noahs“ hieß vor Zeiten,
Wegen ihrer ungeheuren Größ'.
Zwei Paar Pferde waren vorgespannet,
Jegliches mit einem Kutscher schon
Aus dem Bauernstande wohl bemannet,
Und so fuhren wir vergnügt davon.
(143 ≡)
's war am dritten Frühlingssonntagsmorgen,
Und die Sonne stieg so klar empor,
Daß wir hatten keine Wettersorgen
Als wir rasselten durch's Gießer Thor.
Doch bei Langsdorf mußten wir schon rasten,
Weil uns dort begegnete der Spaß,
Daß auf einmal unser Chaisenkasten
Auf dem rechten Hinterrade saß.
Deßhalb bat den Pfarrer ich, zu senden,
Schnell uns einen Schmied aus seinem Ort,
Der die Feder spanne, daß wir könnten
Unsre Reise setzen weiter fort.
Soviel war dem Schmied mit Müh gelungen,
Daß das Rad nun ungehindert lief;
Da jedoch die Feder war gesprungen,
Hing von jetzt an stets der Kasten schief.
Und daß unsre geistliche Carosse
Nicht durch Eile ganz zusammenbräch',
Ließen wir mit Fleiße unsre Rosse
Langsam gehen auf dem weitern Weg.
Als mit unsrer Schneckenpost gekommen
Wir bis in den Eichelsdorfer Wald,
Und da Eichen hatten wahrgenommen,
Hoch und von vorzüglicher Gestalt,
Sprach ich: „Eichen sah ich zwar in Menge“
„Schon in vielen andern Wäldern stehn,“
„Doch von solchem Wuchs und solcher Länge“
„Habe ich noch keine je gesehn!“
„Ja,“ — so sprach mein älterer Gefährte, —
„Und so hoch sie in die Lüfte gehn,“
„Just so tief auch gehn sie in die Erde,“
„Daß wir doch sie nur zur Hälfte sehn.“
„Freilich,“ sprach ich, „will es also scheinen“
„Bei den Bäumen, die am Wasser stehn,“
„Deren umgekehrtes Bild wir meinen“
„Unterm Wasser grad so tief zu sehn;“
„Daß jedoch die Bäume sollten stecken“
„Grad so tief nach unten in der Erd',“
„Als von dieser sie sich aufwärts strecken,“
„Das ist nicht an dem und unerhört!“
„Woher wissen Sie denn das?“ so fragte,
Näher rückend, mich der kleine Mann,
„Da mir doch ein Forstmann dieses sagte,“
„Der die Sache besser wissen kann.“
„Da ich manchen Baum mit eignen Händen“
„Und mit seinen Wurzeln ausgethan,“
„Weiß ich, wo der Bäume Wurzeln enden,“
„Weil es meine Augen öfters sahn;“
„Und der Forstmann, welcher Sie belehret,“
Sprach ich, „hat Sie nur was weiß gemacht,“
„Und gewiß, nachdem er Sie bethöret,“
„Sich auch in das Fäustchen noch gelacht!“
Heinrich sagte nun zu seinem Alten,:
„Aber, Vater, sei doch nicht so schlecht,“
„Daß Dich Jeder kann zum Besten halten!“
„Glaube doch dem Spamer; er hat Recht!“
Drauf versetzte Palmer: „Es mag bleiben“
„Auf sich selbst beruhen diese Sach',“
„Und wir wollen sie nicht weiter treiben,“
„Da sie doch nicht schlägt in unser Fach!“
Als wir bis nach Eichelsdorf gefahren,
Brach bereits die dunkle Nacht herein,
Und im Wirthshaus dort versammelt waren
Viele Bauern bei dem Branntewein.
Einer kam beduselt an den Wagen,
Hielte die Latern herein behend;
„Ach, ich möchte“ — fing er an zu sagen —
„Sehn den Herrn Superintendent!“
Palmer ward sich seiner hohen Würde
Jetzt auf einmal völlig klar bewußt,
Deßhalb warf er sich, wie sich's gebührte,
Plötzlich vor dem Bauer in die Brust.
Dieser maß ihn nun mit schlauen Blicken,
Und für mich war es kein leichtes Ding,
Jetzt das Lachen ganz zu unterdrücken,
Bis der Bauer wieder von uns ging.
Mit Laternen gingen nun zwei Boten
Bis nach Wingertshausen vor uns her,
Und die Wege oft den Umsturz drohten
Unserem gebrechlichen Gefähr.
Als wir endlich wohlbehalten trafen
Abends spät in Wingertshausen ein,
War der Herr Inspector eingeschlafen,
Und im Hause keines Lichtes Schein.
Das Geknarr von unsern Wagenrädern
Hatte unsre Ankunft ihm entdeckt,
Und ihn bald aus seinen warmen Federn
Und dem ersten Schlummer aufgeschreckt.
Als ich leise an die Thür' gestoßen,
Oeffnete er gastlich uns das Haus,
Und im Schlafrock und den Unterhosen
Sah der dicke Herr possirlich aus! —
(144 ≡)
Mit der Mutter wollte ich von Gießen
Später gehen nach der Rabenau,
Als wir auf den alten Palmer stießen
Nahe bei dem Gasthaus zu dem Pfau.
Damals blühete der Wintersamen
Auf dem Felde wie ein goldnes Tuch,
Und da von demselben wir bekamen
Auch zugleich den lieblichen Geruch,
Sprach ich: „Wie der Same dort erfreuet“
„Jedes Auge, welches ihn erblickt,“
„So auch jeder Nase er verleihet“
„Einen Wohlgeruch, der sie erquickt!“
Drauf versetzte Palmer mir mit Feuer:
„Auch bei Händlern ist er sehr beliebt,“
„Diese kaufen gerne ihn und theuer,“
„Weil er gutes Oel in Menge gibt!“
„Wollte man ihn aber jetzo schneiden,“
Sprach ich in Erwiederung darauf,
„Könnte weder Oel man draus bereiten,“
„Noch erschien ein Händler dann zum Kauf!“
Jener sprach: „Ich kann das nicht begreifen,“
„Denn der Same hat ja keinen Fehl!“
„Seine Körner aber später reifen,“
Sprach ich, „und nur diese geben Oel!“
Weil er nun hierüber sehr erstaunte,
Sah ihn meine Mutter spöttisch an,
Während sie mir in die Ohren raunte:
„Was ist das doch für ein schlechter Mann!“ —
Einst besuchte ich ihn auf dem Zimmer
Noch in meinem Candidatenstand,
Wo ich gegen mich ihn, so wie immer,
Sehr zuvorkommend und artig fand.
Jetzo trat in schönem, schwarzem Kleide
Noch ein fremder Herr zu uns herein,
Den für einen Pfarrer alle beide
Wir gehalten nach dem äußern Schein.
Palmer, der ihn Platz erst nehmen ließe
Neben mir auf seinem Canapé,
Frug sodann ihn freundlich, wie er hieße,
Und ob etwas ihm zu Diensten steh'.
Da nun jener seinen Namen sagte,
Und den Herren Superintendent
Ganz devot nach einer Schulstell' fragte,
War auch Palmers Höflichkeit zu End.
„Stehn Sie auf sogleich“ — sprach er — „und
nehmen“
„Hut und Stock Sie wieder in die Hand!“
Jener mußte sich dazu bequemen,
Und sobald er wieder aufrecht stand,
Sagte Palmer: „Ich empfehl' mich Ihnen!“
Und das wiederholte er so lang,
Bis er jenen mit erzürnten Mienen
Seine Stube zu verlassen zwang.
Denn bei jedem Complimente rückte
Palmer einen Schritt auf jenen los,
Daß sich dieser immer rückwärts drückte,
Bis die Thür' sich zwischen beiden schloß. —
Als die Osterferien gekommen,
Hab' mit Heinrich Palmer im Verein
Eine Reise einst ich unternommen
An den Main, den Neckar und den Rhein.
Da mein Vater just ein altes Kühchen
Hatt' verkauft für zwanzig Gulden Geld,
Hat er diese Summe mit Vergnügen
Als Viaticum mir zugestellt.
Außerdem hatt' ich noch funfzehn Gulden
Zu den Reisekosten dazumal,
Daß ich dacht': Ich mache keine Schulden,
Und das Geld verbrauch ich auch nicht all!
Palmer hatte auch von seinem Alten
Ueber fünfunddreißig Gulden baar
Zu der Reise früher schon erhalten,
Daß vor Mangel uns nicht bange war.
Ueber Frankfurt, Darmstadt gingen beide
Wir zusammen durch den Odenwald;
Auf dem Melibocus hoch erfreute
Uns des Rheinstroms glänzende Gestalt.
Auch das Felsmeer und die Riesensäule
In der Nähe uns gefielen baß;
Dann ging über Rimbach es in Eile
Nach dem großen Heidelberger Faß.
Ueber Schwetzingen und Mannheim eilten
Wir nach Worms zu unsres Luthers Ehr,
Und wiewohl wir dort nicht lange weilten,
Wurden dennoch unsre Kassen leer.
Da wir uns nicht wollten lassen lumpen,
Mußte schnell uns ein Student von dort
Eine Caroline Zehrgeld pumpen,
Daß wir ungehindert kamen fort.
Als darauf zu Mainz wir eingekehret
In dem Gasthaus zu dem schwarzen Bär,
Und das erste Mittagsmahl verzehret,
(145 ≡)
Waren unsre Beutel wieder leer.
„Aber“ — sprachen nun wir zu einander —
„Wie wird's gehen hier mit unsrer Zech?“
„Wenn nicht für uns zahlet ein Bekannter,“
„Kommen aus der Festung wir nicht weg!“
„Wollen weg wir gehen ohne Ranzen,“
„Und dem Wirth das Geld sogleich von Haus“
„Senden, daß befriedigt er im Ganzen,“
„Dann die Pfänder wieder gibt heraus?“
„Oder soll der Eine gehn nach Gießen,“
„Und die Gelder schleunigst schicken her,“
„Während deß der Andere wird müssen“
„Bleiben noch als Gast im schwarzen Bär?“
Doch wir kannten den Studenten Krämer,
Der aus Mainz und damals dorten war;
Darum schien es uns noch angenehmer,
Wenn derselbe für uns zahle baar.
Als wir diesen hatten aufgetrieben,
Und ihm unsre Lage vorgestellt,
Sprach er: „Gerne hälfe ich, Ihr Lieben;“
„Aber leider habe ich kein Geld!“
„Seht, mein Onkel lässet mich studiren,“
„Und da könnt' Ihr denken, wie mir's geht;“
„Aber kommt, ich will Euch zu ihm führen,“
„Da er dorten auf der Rheinbrück steht!“
Als er nun dem Onkel auf der Brücke
Uns als seine Freunde vorgestellt,
Und erzählt von unserm Mißgeschicke,
Bat er ihn sogleich für uns um Geld.
„Wie viel wünschen denn die Herrn zu haben?“
Frug der Alte uns zuvörderst aus,
Dem wir beide drauf zur Antwort gaben:
Mit elf Gulden kämen wir nach Haus.
Willig reichte er mit heitrer Miene
Und alsbald auch das Gewünschte dar,
Eine blanke, goldne Caroline,
Die uns in der Noth willkommen war.
Schade um das schöne Carolinchen,
Daß der schwarze Bär es halb verschlang!
Doch verzog es nicht dabei ein Mienchen,
Und sein Ueberrest noch lieblich klang.
Während nun das Marktschiff heimwärts führte,
Beide uns darauf in kurzer Zeit
Ein gewandter Künstler silhuettirte.
Die Silhuette habe ich noch heut.
Wenn Ihr vor derselben werdet stehen,
Könnet Ihr noch jetzo auf das Haar
Und mit leichter Mühe deutlich sehen,
Wie ich als Student gestaltet war!
Als wir endlich nun von unsern Reisen
Kamen vor die Musenstadt zurück,
Hatten von dem Anlehn aufzuweisen
Wir noch netto ein Dreikreuzerstück. —
Unter Christen gibt es auch noch solche,
Welche in dem Aberglauben stehn,
Daß der Teufel öfters sie verfolge;
Vier dergleichen habe ich gesehn.
Noch als Candidat in Crainfeld klagte
Mir daselbst ein junger Bauersmann,
Daß der Teufel ihn zuweilen plagte,
Und besonders Abends fechte an.
„Wenn ich,“ sprach er, „gerne schlafen möchte,“
„Nimmt der böse Feind mir oft die Ruh',“
„Und dann muß ich wachen halbe Nächte,“
„Eh' ich drücken kann ein Auge zu!“
„Wenn ich will den Abendsegen beten,“
„Hindert er mich ebenfalls daran;“
„Da mir Funken vor die Augen treten,“
„Daß ich dann nicht weiter beten kann!“
„Lieber Freund,“ sprach ich, „ich muß Euch sagen,“
„Daß nicht Einer, den Ihr Teufel heißt,“
„Sondern Zwei der Teufel jetzt Euch plagen,“
„Nämlich Trägheit und der Branntweingeist!“
„Statt daß Ihr zu Hause täglich lieget“
„Auf der faulen Haut und Branntwein trinkt,“
„Geht hinaus auf Euer Feld und pflüget,“
„Wo Euch Arbeit längst vergeblich winkt!“
„Wenn Ihr Euch durch Arbeit habt ermüdet,“
„Schlafet Ihr des Abends ruhig ein;“
„Und wenn Ihr Euch vor dem Branntwein hütet,“
„Wird der Teufel bald vertrieben sein!“
„Folgt nur in den nächsten vierzehn Tagen“
„Einmal diesem wohlgemeinten Rath;“
„Später will ich Euch dann weiter fragen“
„Nach der Wirkung, die er bei Euch that!“
Nach Verlauf von nicht ganz vierzehn Tagen
Hat er lächelnd mir schon mitgetheilt:
„Nun, Herr Candidat, das muß ich sagen,“
„Ihr Recept war gut; ich bin geheilt!“ —
Als ich später hatte übernommen
Das Vicariat in Blasbach schon,
Ist einmal von dort zu mir gekommen
(146 ≡)
Eine Frau, beweinend ihren Sohn.
„Ach, die Angst hat mich hierher getrieben;“
Sprach sie, „da mein Sohn darauf besteht,“
„Daß er sich dem Teufel hätt' verschrieben;“
„Was mir eiskalt durch die Seele geht!“
„Kommen Sie doch zu dem Fieberkranken;“
„Reden Sie demselben kräftig zu,“
„Daß er diesen schrecklichen Gedanken“
„Fahren läßt und findet wieder Ruh!“
„Morgen“ — sprach darauf ich zu der Alten —
„Komme ich nach Blasbach frühe schon,“
„Und sobald ich dort die Kirch' gehalten,“
„Will ich gleich besuchen Euren Sohn!“
Dieser Bursch stand in der vollsten Blüthe,
Und sein Bett dem Ofen viel zu nah,
Dessen Platte bis zur Hälfte glühte,
Als ich ihn am nächsten Morgen sah.
„Nein, es unterlieget keinem Zweifel,“
„Wenn Ihr solche Höllenhitze macht,“
Sprach ich zu dem Vater, „daß der Teufel“
„Im Gehirne Eures Sohns erwacht!“
„Macht das Feuer in dem Ofen kleiner;“
„Laßt zum Fenster frische Luft herein;“
„Denn in diesem Dunst kann auch nicht Einer“
„Athmen ohne Angst und Herzenspein!“
Erst als er gethan, wie ich befohlen,
Und die Atmosphäre reiner war,
Daß man freier Athem konnte holen,
Ward der Fieberheiße mich gewahr.
Als ich fragte, wie er sich befinde,
Sah er mich mit wirren Blicken an:
„Ach, Herr Pfarrer, welche große Sünde“ —
Sprach er seufzend — „habe ich gethan!“
„Wär' ich immer doch so brav geblieben,“
„Als ich war bis noch vor kurzer Zeit!“
„Doch seit ich dem Teufel mich verschrieben,“
„Bin ich nun verdammt in Ewigkeit!“
„Und wie könnet Ihr Euch unterstehen,“
Sprach ich, „so zu reden, da Ihr wißt,“
„Daß ein so abscheuliches Vergehen“
„Einem Menschen ganz unmöglich ist!“
„Was ich eben habe ausgesaget,“
„Habe ich in Wahrheit auch gethan;“
„Denn mein eigenes Gewissen klaget“ —
Sprach er — „mich doch nicht vergeblich an!“
„Wißt Ihr,“ frug ich, „denn auch ohne Zweifel,“
„Wann und wo und wie die That geschehn?“
„Und wie damals der leibhaft'ge Teufel,“
„Als er bei Euch war, hat ausgesehn?“
„Sagt mir auch, was Euch dazu getrieben,“
„Und was Euch gegeben hat den Muth,“
„Daß Ihr Euch dem Teufel habt verschrieben,“
„Und ob es geschah mit Eurem Blut?“
„Und womit der Satan Euch bestochen,“
„Als Ihr botet Eure Seele feil?“
„Was hat er Euch denn dafür versprochen?“
„Und ist es geworden Euch zu Theil?“
Als er über diese meine Fragen
Erst gestaunt, und weiter nachgedacht,
Fing's auf einmal bei ihm an zu tagen,
Und er war aus seinem Wahn erwacht.
„Ach, wie soll ich Ihnen dafür danken,“
„Daß Sie mich befreit aus meiner Noth“
„Und von einem schrecklichen Gedanken,“
„Der noch ärger war, als wie der Tod!“
Also sprach er, als ich von ihm schiede,
Und er war so froh von Herzensgrund,
Und so ganz getröstet im Gemüthe,
Daß er bald auch leiblich ward gesund. —
Zwei von unsern Hermannsteiner Kranken
Kamen später zu verschied'ner Zeit
Auch auf den verzweifelten Gedanken,
Daß verscherzt sei ihre Seligkeit.
Wenn sie wollten an dieselbe glauben,
Lasse es der Teufel doch nicht zu,
Sondern suche ihnen stets zu rauben
Alle Hoffnung sammt der Seelenruh'.
's war ein Mann und eine Frau, und beide
Hatten sie ein redliches Gemüth,
Und sie kamen nur zu diesem Leide
Durch ihr melancholisches Geblüt.
Beide hatten sich auch vorgenommen,
Daß sie hungern wollten sich zu Tod',
Weil sie dadurch hofften eh'r zu kommen
Aus der großen Angst und Seelennoth.
„Seit Ihr „Scrivers Seelenschatz“ gelesen,“
„Zweifelt Ihr an Eurer Seligkeit;“
„Darum, wenn Ihr wieder wollt genesen,“
„Gebt das Buch mir mit auf kurze Zeit!“
„Ich will Euch den Witschel dafür leihen;“
„Wenn Ihr diesen eine Zeit lang lest,“
„Will ich Euch im Voraus prophezeien,“
(147 ≡)
„Daß von Eurem Trübsinn Ihr genest!“
Also sprach nach manchen andern Worten
Zu dem Manne ich als einem Freund,
Und er ist von Schwermuth frei geworden
Schneller, als wir beide es gemeint.
Zwar mit seinem Leben ging's zu Ende,
Aber dankbar gab er mir die Hand,
Weil er nun mit froher Hoffnung könnte
Ziehen in das bessre Vaterland. —
Und die Frau war steif und fest entschlossen,
Selber sich dem Hungertod zu weihn,
Deßhalb ließ sie von den Hausgenossen
Niemand mehr in ihre Stube ein.
Da ihr Mann mir dieses traurig klagte,
Ging ich mit und pochte an die Thür',
Und sobald ich, wer ich wäre, sagte,
Oeffnete sie augenblicklich mir.
„Aber sagt mir doch, aus welchen Gründen“
„Ihr Euch selber geben wollt den Tod!“
„Und wie heißt denn die von Euren Sünden,“
„Die Euch nicht vergäb' der liebe Gott?“
„Alle Sünden, welche wir bereuen,“
„Wären sie an sich auch noch so schwer,“
„Will er ja aus Gnade uns verzeihen,“
„Wie Ihr wißt aus seines Sohnes Lehr'!“
„Wenn Ihr aber nähmet Euch das Leben,“
„Wäret Ihr verdammt in Ewigkeit;“
„Denn sobald Ihr Euch den Tod gegeben,“
„Hättet Ihr zur Reue nicht mehr Zeit!“
Als ich so begann ihr zuzureden,
Sprach sie weinend wie ein kleines Kind:
„Nein, ich will mich auch nicht selber tödten;“
„Denn es wär' die allergrößte Sünd'!“
„Wenn ich Sie nur öfters hören könnte,“
„Faßte ich auch wieder neuen Muth;“
„Denn die Angst, in der ich mich befände,“
„Sagen Alle, käme nur vom Blut!“
„Nun, so handelt auch mit Ueberlegung,“
Sprach ich, „und verdünnet Euer Blut!“
„Trinket Wasser, macht Euch oft Bewegung“
„In der Luft, so wird es wieder gut!“
Später kam sie, um sich zu bedanken,
Und ich habe herzlich mich gefreut,
Daß von ihren finsteren Gedanken
Sie für immer völlig war befreit. —
Einiges aus meiner Mutter Leben,
Das ich halte für erzählenswerth,
Will ich auch zum Besten jetzo geben,
Wie ich's habe von ihr selbst gehört.
Als ihr Vater einmal Würste kochte,
Und sie zusah als ein Mägdelein,
Das noch nicht zwei Jahre zählen mochte,
Fiel sie in den Kessel ganz hinein.
Da ihr Vater dieses sah mit Grauen,
Steckte er alsbald sein armes Kind
Durch ein Schöpfloch, das in's Eis gehauen,
In den Bach, der nah' vorüber rinnt.
Und die Cur ist ihm so wohl gerathen,
Die er in Verzweiflung angewandt,
Daß sein Kind genommen keinen Schaden,
Denn das Wasser löschte gleich den Brand.
Zwischen einigen nur von den Zehen,
Wo das Wasser keinen Zugang fand,
Konnten Bläschen hier und da entstehen,
Die verursacht waren durch den Brand.
Meint man nicht, es hätte sterben müssen
Dieses Kind, das nur im Hemdchen war?
Doch die Aeltern haben Gott gepriesen,
Der es rettete so wunderbar.
Als das Mädchen nachher hat gezählet
Ungefähr der Lebensjahre acht,
Hatt' ein Bäschen, eh' es sich vermählet,
Gegen seinen Bräutigam Verdacht.
Dieses kam nach Schotten, um zu hören,
Ob auch sein Verdacht gegründet sei,
Mit dem unabweislichen Begehren,
Daß die Kurzin schlage ihm ein Ei.
Diese Frau war durch ihr Eierschlagen
Damals weit umher berühmt im Land,
Denn sie konnte auch ihr Schicksal sagen
Denen, die sie nie zuvor gekannt.
Als des Eies seltsame Figuren
Stiegen in dem klaren Wasser auf,
Sah sie ganz genau nach ihren Spuren
Und nach ihrem weiteren Verlauf.
Da die Braut dabei begann zu fragen,
Was sie denn in ihrem Glase säh',
Sprach die Frau: „Ich muß die Wahrheit sagen,“
„Thue ich auch Ihrem Herzen weh!“
„Der, dem Sie Ihr Händchen wollen reichen,“
„Hat ein andres Mädchen schon geküßt,“
„Und es wird sich in der Kürze zeigen,“
(148 ≡)
„Daß er wirklich nicht mehr kauscher ist!“
„Ja, das konnnte ich mir vorher denken“
„Von dem flatterhaften jungen Mann,“
„Und ich will mich nicht mehr um ihn kränken,“
„Denn er ist nun bei mir ausgethan!“
„Auch erkenn' ich, daß das Eierschlagen“
„Doch nicht immer ist ein leerer Tand,“
„Weil Sie mir das Alles können sagen,“
„Ohne daß Sie mich und ihn gekannt!“
Also sprach das Bräutchen zu der Alten,
Die ihm hatte eben so gesagt,
Wie's mit seinem Liebsten sich verhalten,
Welcher bald als Vater ward verklagt.
Nun ward meiner Mutter und der Tante,
Deren Mutter endlich stimmte bei,
Weil sie darum bat die Anverwandte,
Jeglicher geschlagen auch ein Ei.
Und so wenig Jemand konnte hoffen,
Was den Kindern wurde prophezeit,
Ist es dennoch pünktlich eingetroffen
Nach Verlauf von einer langer Zeit.
Als der Mutter war ein Ei geschlagen,
Sprach die Kurzin alsobald zu ihr:
„Soviel kann ich Dir im Voraus sagen,“
„Daß Du später ziehest weg von hier!“
„Viele Stunden hast Du nicht zu gehen,“
„Wenn Du gegen Morgen wanderst aus,“
„Bis Du wirst die zweite Heimath sehen“
„Und zugleich Dein großes, schönes Haus!“
„Etliche Oeconomiegebäude,“
„Die dazu gehören, stehn dabei,“
„Aber doch nur auf der einen Seite,“
„Auf der andern ist die Aussicht frei!“
Wieder sprach die Frau nach kurzer Pause:
„Doch Du bleibst auch nicht an diesem Ort,“
„Sondern ziehst aus Deinem schönen Hause“
„Nochmals gegen Morgen weiter fort!“
„Einen Weg hast Du von gleicher Weite“
„Nach dem neuen Orte hinzugehn;“
„Aehnlich sind die übrigen Gebäude,“
„Nur die Wohnung dort ist nicht so schön!“
Nun kam auch die Reih' an meine Tante,
Welche damals war ein Kind so klein,
Daß sie nichts von allem dem verstande,
Was die Kurzin mochte prophezein.
Diese aber sprach zu den Personen,
Die auf ihre Worte hatten Acht:
„Die kommt weiter noch von hier zu wohnen,“
„Aber dorthinaus nach Mitternacht!“
„Die Gebäude, die beim Hause stehen,“
„Sind sowohl an Lage als an Zahl“
„Wie ich bei der Schwester sie gesehen“
„Zu dem ersten und dem zweiten Mal!“
Meine Großmama begann zu spotten:
„Ja, das ist so ganz nach meinem Sinn;“
„Beide Töchter geb' ich weg aus Schotten,“
„Daß im Alter ich verlassen bin!“
Dennoch ist auch gegen ihr Verhoffen
Bei den beiden Mädchen ganz genau
Bis auf’s Kleinste Alles eingetroffen,
Was gesagt ihr hatte jene Frau.
Meine Mutter war am ersten Orte
Achtzehn Jahre in dem schönen Haus,
Als sie wieder nach der Kurzin Worte
Ziehen mußte gegen Morgen aus.
Einundvierzig Competenten hatten
Zwar nach Crainfeld sich gemeldet schnell,
Als sie sprach betrübt zu ihrem Gatten:
„Du allein bekommest diese Stell'!“
„Zwar geschieht es gegen meinen Willen,“
„Doch dem Schicksal kann ich nicht entgehn;“
„Auch das Letzte muß sich noch erfüllen,“
„Was die Kurzin hat vorausgesehn!“
So geschah's, nachdem schon längst gekommen
Meine Tante gegen Mitternacht,
Und es hat uns Wunder stets genommen,
Wenn wir haben drüber nachgedacht.
Mancher freilich gilt als Hexenmeister
Oder Wunderdoctor in der Welt,
Der aus purem Eigennutz mit dreister
Stirne andre Leute bringt um's Geld.
Meine Mutter hatt' als Braut bekommen
Durch Erkältung ein verzerrt Gesicht,
Und ihr Vater hat zuletzt genommen
Seine Zuflucht zu 'nem solchen Wicht.
Diesem brauche man — so ging die Sage —
Nichts zu sagen von dem Patient,
Da er, ohne daß er nach ihm frage,
Dessen Krankheit doch erkennen könnt'.
„Wie ich hörte, hättet Ihr die Gabe“ —
Sprach mein Großpapa zum Charlatan —
„Was ich eben auf dem Herzen habe,“
(149 ≡)
„Zu errathen, eh' ich's kund gethan!“
„Nun, Sie wären gern zu Haus geblieben,“
Sprach der Andre, „und in Ihrer Ruh',“
„Hätte Sie nicht zu mir hergetrieben“
„Heute Ihre krank geword'ne Kuh!“
„Darf ich“ — sprach mein Großpapa — „auch
fragen,“
„Welche Kuh mir krank geworden ist?“
„Denn da Ihr das Andre konntet sagen,“
„Denke ich, daß Ihr auch dieses wißt!“
„Ihre alte Bläße ist die Kranke,“
„Die am nächsten stehet bei der Thür',“
Sprach der Andere, „und ihr verdanke“
„Ich es, daß Sie kamen her zu mir!“
„Nein, gesund sind alle meine Kühe,“
„Und ich habe keine Bläß' dabei;“
„Darum gebt Euch weiter keine Mühe;“
„Ich verlange keine Arzenei!“
„Aber gerne gebe ich sechs Batzen“
„Für die Nachricht, die Ihr mir ertheilt,“
„Denn ich ließ zur Thorheit mich beschwatzen,“
„Und von dieser habt Ihr mich geheilt!“
Da mein Großpapa also gesprochen,
Ging er wieder heim mit leerer Hand;
Nach Verlauf indeß von wenig Wochen
Meiner Mutter Uebel doch verschwand.
Als sie eine junge Frau gewesen,
Warf ein Aug' auf sie ein Officier,
Der sich damals hatte auserlesen
Meiner Aeltern Wohnung zum Quartier.
Da er aber mündlich in die Schranken
Jedes Mal von ihr gewiesen ward,
Kam er nachher auch auf den Gedanken,
Zu versuchen es auf andre Art.
Er erkühnte sich, ihr zuzusenden
Auf geheimem Weg ein Billet-doux;
Doch sie stellte es mit treuen Händen
Augenblicklich ihrem Gatten zu.
„Höre, vor dem unverschämten Laffen“ —
Sprach zu ihrem Gatten sie — „mußt Du“
„Ein für alle Mal mir jetzt verschaffen“
„Meine nur durch ihn gestörte Ruh!“
Dieser sprach : „Ach, laß ihn doch nur schreiben!“
„Denn so lang Du mir die Briefe zeigst,“
„Wirst Du mir gewiß auch treu verbleiben;“
„Drum ist es am besten, wenn Du schweigst!“
Und der Briefe, die sie zärtlich loben,
Hat von Jenem sie bekommen mehr,
Und dieselben werden aufgehoben
Als Beweise ihrer Frauenehr.
Dies Verhältniß hat der beiden Gatten
Treue Liebe nicht nur nicht gestört,
Sondern es hat jene, die sie hatten,
Auch bewähret und zugleich vermehrt.
Beide habe ich noch weinen sehen,
Als sie's über siebenzig gebracht,
Wenn sie, an des Andern Grab zu stehen,
Sich als möglich haben nur gedacht. —
Achtzehnhundertdreiundsechzig weihte
Man auch ein die neue Eisenbahn.
An dem 10. Januar mit Freude,
Die uns westlich führet längs der Lahn. —
Als der neunzehnte nunmehr erschiene
Vierundsechzig in dem Januar,
Meine liebe Tochter Wilhelmine
Um halb vier Uhr Morgens mir gebar
Ein geliebtes Enkelchen, dem Gatten
War's das vierte Kind, der dritte Sohn,
Doch der zweite, den sie vorher hatten,
War im ersten Jahr gestorben schon.
Drauf empfing im nächsten Monatslaufe
An dem vierzehnten das Kindlein auch
Von dem Oberpfarrer Förtsch die Taufe,
Wie es ist bei Christen der Gebrauch.
Pathen waren die zwei Gießer Tanten,
Kaufmann Eckard, Kellner's Principal,
Und mein Louis, doch die letzten standen
Bei der Taufe nicht in unsrer Zahl.
Karl und Heinrich Ludwig heißt der Kleine,
Otto aber wird er stets genannt,
Welcher Name ihm schon im Vereine
Von dem Vater wurde zuerkannt.
Ich, als Vicepathe, und die Tanten
Hielten hübsch den Täufling bei dem Act,
Und dann wünschten sämmtliche Verwandten
Noch den Aeltern Glück mit feinem Tact.
Drauf ging's an den Kaffee und den Kuchen,
An den weißen und den rothen Wein,
Und die Damen mußten auch versuchen
Den Champagner, aber — ganz allein.
Da wir gut gegessen und getrunken,
Und sich alle Gäste wohl gefühlt,
(150 ≡)
Sprühten heller noch der Freude Funken,
Als auch ward Clavier dazu gespielt.
Anna und Mathilde gut betonten
Manches schöne Stück à quatre mains,
Unterdeß wir Anderen nicht schonten
Den uns vorgesetzten guten vin.
Dadurch stieg die Heiterkeit im Ganzen,
Bis man in den Füßen sie gespürt,
Da fing Mancher lustig an zu tanzen,
Der es Jahre lang nicht exercirt.
Nicht nur alle Damen, alle Jungen
Mischten gern in diesen Tanz sich ein,
Nein, ich selbst bin mitherumgesprungen
Hermannstein 1862.
Mit dem bitterbösen Hinterbein.
So ging's lustig bis zum Abendessen,
Bis es eben war am Schlage acht,
Wo sich die vier Gießer unterdessen
Haben eiligst aus dem Staub gemacht.
Wir vier Hermannsteiner aber hielten
Mit dem Täufer aus bis halber zehn,
Wo wir denn auch selber endlich fühlten,
Daß es Zeit nun sei nach Haus zu gehn.
Diese Taufe hat gewißlich Allen,
Die derselben haben beigewohnt,
Von dem Anfang bis an's End' gefallen,
Und so sind sie Alle gleich belohnt.


Christian Spamer.
(151 ≡)

Der Studenten- und Soldatenstreit

vorgefallen zu Gießen am 4. März 1821

und metrisch beschrieben von einem Augenzeugen.

Hermannstein, am 4. März 1862.

1. Heut vor einundvierzig Jahr'
Legten Gießer Batzen
An der Constantisten Schaar
Grimmig ihre Tatzen.
2. Reibungen gabs vorher schon,
Was ich muß erwähnen,
Zwischen Gießens Garnison
Und den Musensöhnen.
3. Drum begann das Militair
Nun sich zu benebeln,
Und zog rottenweis einher
Mit geschliff'nen Säbeln,
4. Um sich mit der Uebermacht
Und mit eig'nen Händen
Jetzt zu rächen bei der Nacht
An den Herrn Studenten.
5. Da nun Kißner, Schmidt und ich
Diese Absicht sahen,
Wollten wir nur vorsichtig
Uns'rer Kneipe nahen,
6. Um die Brüder bei dem Glas
Zeitig zu belehren,
Daß sie einzeln auf der Straß
Nirgends sicher wären.
7. Die Soldaten Arm in Arm
Zogen durch die Gassen,
Und wir folgten einem Schwarm
Ruhig und gelassen.
8. Als wir bei der Kneipe schon,
Schrie's aus dem Getose:
„Halt! Das sein ere dervon!“
„Allons! Avance! O se!“
9. Eilig retirirten wir
Zwar in uns're Kneipe,
Doch der Feind ging uns auch hier
Ungesäumt zu Leibe.
10. Denn den Wirth und seine Leut',
Die den Eingang wehrten,
Schlug und warf er gleich bei Seit',
Wie wir deutlich hörten.
11. Und so drangen ihrer Drei
Anfangs in die Stube,
Einer davon, Nikolai,
War der frechste Bube.
12. Und da keine Waffe er
Sah in unsren Händen,
Und daß es nur ungefähr
Waren acht Studenten,
13. Zog die Distel er im Grimm,
Mir den Kopf zu spalten;
Doch den Hieb parirt' ich ihm
Mit dem Stock des Alten,
14. Und sogleich schlug ich aufs Dach
Diesem Eisenfresser,
Daß er klatsch zusammenbrach
Wie ein Taschenmesser.
(152 ≡)
15. Da kein Glied am Leibe er
Regte mehr am Boden,
Trug ihn andres Militair
Weg als einen Todten.
16. „Weil nun ein Soldat von Dir“
„Ist erschlagen worden,“
„Werden uns die andern hier“
„Alle auch ermorden!“
17. So sprach Mancher, und versucht'
Schleunigst zu enkommen;
Doch Gelegenheit zur Flucht
War uns längst benommen.
18. Mancher, der durchs Fenster gar
Schon die Flucht gewaget,
Wurde von der Feinde Schaar
Schnell zurück gejaget.
19. Denn das Haus war rings umstellt
Von bezechten Kriegern;
Suchte Einer freies Feld,
Glichen sie den Tigern.
20. Schmidt indessen wußte doch
Durch ein schlau Beginnen,
Da er auf der Erde kroch,
Ihnen zu entrinnen.
21. Kaum war er zum Haus hinaus,
Hörte man im Freien
Durch die Straßen: „Bursch heraus!“
„Banco!“ laut ihn schreien.
22. Meinen Bruder Theodor,
Der ihn schreien hörte,
Und ihn frug: „Was hast Du vor?“
Er also belehrte:
23. „Deinen Kleinen machen sie“
„Kalt in uns'rer Kneipe!“
„Denke ja nicht, daß ich hie“
„Etwa übertreibe!“
24. Mit dem krummen Säbel sprang
Theodor zur Stätte,
Daß er nach des Herzens Drang
Seinen Kleinen rette.
25. Und mit manchem schweren Stein
Warfen die Soldaten
Uns indeß die Fenster ein
Sammt dem Fensterladen.
26. Da half freilich nicht Courage,
Und wir mußten weichen,
Um sogleich die Bel-Etage
Glücklich zu erreichen.
27. Da nun dort ein Officier
Hatte seine Wohnung,
Trat ich ein die Stubenthür',
Ohne alle Schonung.
28. Weil wir glaubten, daß er sich
Eingeschlossen hätte,
Suchten Kattrein nun und ich
Ihn sogar im Bette.
29. Doch das Nest war leider leer,
Und um sich zu rächen
Drang uns nach das wilde Heer,
Drohend mit Erstechen.
30. Da verblieb uns im Gewühl
Nur als Rettungszeiger
Und als äußerstes Asyl
Noch der dunkle Speicher.
31. Auf demselben suchten bald
Auch sich in den Ecken
Meine Freunde vor Gewalt
Einzeln zu verstecken.
32. Ich und Kattrein wollten bloß
An die Thüre gehen,
Um von außen jedem Stoß
Da zu wiederstehen.
33. Doch bei aller Dunkelheit
Sahen wir den Zinken
Eines Bayonnettes weit
Zwischen uns erblinken.
34. Dieser hatte unsre Thür'
Wie der Blitz durchbrochen,
Und zum Glück ward Keiner hier
Doch von uns erstochen.
(153 ≡)
35. Kattrein sprach: „Mach' auf die Thür,“
„Das ist die Patrouille,“
„Und durch sie nur kommen wir“
„Hier aus der Bredouille!“
36. Als die Thür geöffnet war,
Und die Wach' wir kannten,
Sprach der Führer von der Schaar:
„Sie sind Arrestanten!“
37. „Gerne“, sprach ich, „wollen wir“
„Auf der Stelle folgen,“
„Da uns hier nur Mordbegier“
„Meuchlings will erdolchen!“
38. „Kommet Freunde! folget nach!“
Rief ich den Studenten;
„Daß sich jetzo unsre Schmach“
„Einmal möge enden!“
39. „Ja, wir gehen alle mit!“
Riefen sie dagegen,
Und der Zug fing Schritt vor Schritt
An, sich zu bewegen.
40. Leider sah ich, daß im Zug'
Kißner nicht vorhanden;
Darum hab' ich Angst genug
Um ihn ausgestanden.
41. Seinen Kopf hatt' er gedrückt
Erst mit viel Bemühen
Durch ein Dachloch, und geglückt
War kein Rückwärtsziehen.
42. So hatt' er in eigner Fall'
Eben sich gefangen,
Als wir von dem Speicher all'
Waren weggegangen.
43. Vor dem Hause hörte ich
Deutlich Einen fragen:
„Uf wen soll ich eigentlich?“
Und den Andren sagen:
44. „Uf den Gruße!“ Und alsbald
Sah ich Einen schießen;
Daß es meinem Bruder galt,
Konnt' ich sicher schließen.
45. Doch wir wurden fortgeführt
Zum Bestimmungsorte;
Unterweges fustigirt,
So wie die Escorte.
46. Denn es wogte hin und her
Kopf an Kopf die Masse,
Wie ein ungestümes Meer
Durch die ganze Gasse.
47. Freund' und Feinde ließen sich
Schießen alle Zügel,
Und im Dunkeln fürchterlich
Regnete es Prügel.
48. „Piff, Paff, Puff“, so klatschte es
Rings auf allen Seiten;
Unaufhörlich patschte es,
Wer's auch mußte leiden.
49. Denn ob Freund, ob Feind es war,
Konnte man nicht wissen,
Deßhalb ward nur immerdar
Blind darauf geschmissen.
50. So bekamen denn auch wir
Armen Arrestanten
Auf dem Wege unsre Schmier,
Wie die Transportanten.
51. Einer hieb auch mir dabei
Flach auf meinen Schädel,
Daß im Augenblick entzwei
Sprang der Fliegenwedel.
52. Und die Klinge, die herab
Fuhr an meinen Beinen,
Klirrend viele Funken gab
Auf den Pflastersteinen.
53. Die gewebte Beutelkapp',
Die ich gut wattirte,
Machte, daß ich diese Schlapp'
Beinah' gar nicht spürte.
54. Justus aber hinter mir
Fing mir an zu klagen:
„Solche Schläge kann ich schier“
„Länger nicht ertragen.“
(154 ≡)
55. Spornstreichs desertirte er,
Und ein Wächter sandte
Werfend nach ihm sein Gewehr,
Als er weiter rannte.
56. Als ich sah das Bayonnett
Vorn an der Mousquete,
Dacht' ich, daß der Wurf complet,
Wenn er träf, ihn tödte.
57. Justus aber wie der Wind
Bog um eine Ecke,
Als die nachgeworf'ne Flint'
Rasselte im Drecke.
58. Fruchtlos sein Verfolger hieb,
Der ihn treffen wollte,
In das Eckband; darauf blieb
Er zurück und grollte.
59. Stille dankt' ich meinem Gott
Für des Freundes Leben,
Das ich in der Todesnoth
Aengstlich sahe schweben.
60. Nunmehr waren, zwar nicht schnell,
Mit mir die Consorten
Bis an die bestimmte Stell'
Transportieret worden.
61. Als ich meinen Stock der Wach'
Da sollt' übergeben,
Sprach ich: „Eben hab er jach“
„Mir beschützt das Leben;“
62. „Deßhalb ich ihn lieber mag“
„In der Hand behalten,“
„Ob er gleich von Einem Schlag,“
„Wie Sie sehn, gespalten.“
63. „Auch verspreche ich, nicht eh'r“
„Hier ihn zu gebrauchen,“
„Als die Hauptwache nicht mehr“
„Kann zum Schutze taugen.“
64. Hiermit war schon abgemacht
Auch sogleich die Sache,
Und die Andern gingen sacht
Vor mir in die Wache.
65. Ei, da wurde mir zuletzt
Auf die linke Hüfte
Noch ein Kolbenstoß versetzt,
Daß ich in die Lüfte
66. Hätte springen mögen hoch!
Da ich rasch mich wandte,
Mußt' ich staunen, daß ich doch
Keinen Thäter fande.
67. Wär' er durch die nächste Thür'
Nicht so schnell entgangen,
Hätt' er sicherlich von mir
Vollen Lohn empfangen.
68. Ruhig war bisher das Blut
Nur in mir geflossen,
Jetzo hatten Zorn und Muth
Sich hinein ergossen.
69. Zwei indessen müssen's sein,
Wenn man sich will schlagen;
Weil ich aber stand allein,
Mußt' ich mich vertragen.
70. Uebrigens stand es bei mir,
Jetzt nach Haus zu gehen,
Denn es war ja vor der Thür'
Niemand mehr zu sehen.
71. Doch dem Unterofficier
Gab ich das Versprechen,
Daß ich ihm nicht echappir',
Das wollt' ich nicht brechen.
72. Darum ging ich auch hinein
Zu den Arrestanten,
Die sich aber allgemein
Unbehaglich fanden.
73. Unter ihnen ich auch fand
Etliche Soldaten,
Die sich für das Vaterland
Hatten überladen,
74. Und die sich an ihrem Feind'
Hier noch wollten reiben;
Denn daß es also gemeint,
Zeigte all ihr Treiben.
(155 ≡)
75. Der, der wohl am vollsten war,
Führte spitze Reden,
Und verletzte offenbar
Damit einen Jeden.
76. Als Hermanni, Officier
Damals von der Wache,
Ihm verwies die Ungebühr,
Schlug er eine Lache
77. Auf, und hielt die Faust ihm gleich
Drohend vor die Nase,
Und der Leutnant war so feig
Wie ein junger Hase.
78. Da rief in iron'schem Ton
Ich: „Ich muß gestehen,“
„Die Subordination“
„Hab' ich nie gesehen!“
79. Und Hermanni leichenbleich
Schlich sich aus dem Zimmer;
Der Bramarbas ward sogleich
Kühner noch und schlimmer.
80. Ja er setzte rücksichtslos
Sich den Musensöhnen,
Wenn's ihm einfiel, auf den Schooß,
Um sie zu verhöhnen.
81. Und sie litten diese Schmach
Von dem Trunkenbolde,
Ohne daß nur Einer sprach,
Daß er gehen sollte.
82. Als er auf dem Palmer saß,
Frug ich leise diesen:
„Macht Dir denn das Schooßkind Spaß?“
„Einem Bursch von Gießen?“
83. „Laß doch das besoff'ne Vieh“
„In die Stube gleiten!“
„Oder soll es auf dem Knie“
„Länger Dir noch reiten?“
84. „Ach,“ sprach er, „ich bitte Dich,“
„Hilf mir von dem Kalbe;“
„Denn ich fühl' gedrücket mich“
„Wie von einem Alpe!“
85. „Lieber,“ sprach ich, zum Soldat,
„Stehe auf und wandle!“
„Denn sonst schaffe bald ich Rath“
„Selber hier und handle!“ —
86. „Ei,“ sprach er, „was geht Sie's an,“
„Was ich Andern thue?“
„Ihnen hab' ich nichts gethan;“
„Halten Sie nur Ruhe!“
87. Da warf ich den Cavalier
Nieder, daß er quäckte,
Und zugleich auch alle Vier
Nach dem Himmel streckte.
88. Diese eine Medicin
Konnte ihn curiren,
Denn nun setzte er sich hin,
Ohne sich zu rühren.
89. „O, Sie habens brav gemacht,“
Sprach ein Invalide
Drauf zu mir vertraut und sacht,
„Denn nun ist es Friede!“
90. „Ja, hier muß der Arrestant“
„Selbst sich Schutz verschaffen,“
Sprach ich; „denn Ihr Commandant“
„Ist nur für die Affen!“
91. General, Magnificus
Und zwei Professoren
Brachten freundlich ihren Gruß
Selbst zu unsern Ohren.
92. „Dulden Sie es, meine Herrn“
„Nur noch eine Weile;“
„Die Befreiung ist nicht fern,“
„Kommet in der Eile!“
93. Einer frug mich: „Nun, wie geht's?“
„Möchten hier wohl bleiben?“
„Dieses nicht,“ sprach ich; „und stets“
„Geht es, wie wirs treiben!“
94. Drauf empfahlen sich die Herrn,
Um nach Haus zu senden,
Wen sie etwa nah und fern
Auf den Straßen fänden.
(156 ≡)
95. Als sie nun so überall
Durch die Gassen streifen,
Will sich auch am General
Ein Soldat vergreifen.
96. Doch der alte Nagel legt
Uebers Knie den Mindern,
Und mit seinem Rohre schlägt
Derb er ihm den Hintern.
97. Als der Rector wieder war
Unter seinem Dache,
Kam die Constantistenschaar
Auch aus ihrer Wache.
98. Und da uns der Herr von Löhr
Hatte vorgeladen,
Führten zu ihm ins Verhör
Uns noch die Soldaten.
99. Hierauf machten: Rechtsum kehrt!
Diese Kriegsgesichter,
Weil es also nun begehrt
Hatte unser Richter.
100. Doch wie schild're ich die Lag',
Worin wir ihn fanden,
Als wir jetzt mit uns'rer Klag'
Alle vor ihm standen? —
101. Hinten auf dem Canapé
Lag er, und das Köpfchen
Hielt die Frau ihm in die Höh',
Und zugleich ein Töpfchen,
102. Draus sie ihm von Zeit zu Zeit
Einen Theetrank reichte,
Weil vor lauter Aengstlichkeit
Er halbtodt sich zeigte.
103. Auch ein weiches Kissen hatt'
Auf dem Schooß die Gute,
Daß ihr Männchen, das so matt,
Sanfter darauf ruhte.
104. Gänzlich es ihm auch gebrach
An der Kraft zum Reden;
Jede Sylbe, die er sprach,
Dachte sie, kann tödten.
105. Lieber Gott, dacht' ich, der Mann
Soll uns helfen Allen,
Der sich selbst nicht helfen kann
Und kein Wörtchen lallen! —
106. Endlich zu der Frau ich sprach:
Reden könnte schaden;
Herr Gemahl ist heute schwach,
Könnt' uns morgen laden!
107. Oder soll ich ihm vielleicht
Treu die Sach' erzählen;
Dann hätt' er den Zweck erreicht,
Ohne sich zu quälen? —
103. Als ich dieses proponirt,
Nickte er Belieben;
Drum hab' ich ihm referirt,
Was ich hier geschrieben.
109. „Spamer“, sprachen Alle frei,
„Hat getreu berichtet“
„Und es war kein Wort dabei,“
„Welches er erdichtet!“
110. Drauf erwiderte er leis
Und nach mancher Pause:
„Meine Herrn, was Jeder weiß,“
„Schreib er auch zu Hause“
111. „Diesen Abend mir noch auf;“
„Daß ich, was geschehen,“
„Und den ganzen Sachverlauf“
„Deutlich kann ersehen!“
112. „Lasse Keiner sich von Lieb'“
„Oder Haß bethören;“
„Alles, was ein Jeder schrieb,“
„Muß er auch beschwören!“
113. „Morgen, wenn Sie fertig sind,“
„Mögen Sie mirs bringen,“
„Und dann werde ich geschwind“
„Auf Bestrafung dringen!“
114. „Ich verspreche Ihnen schon,“
„Dem nach, was ich hörte,“
„Volle Satisfaction“
„Von der Staatsbehörde!“
(157 ≡)
115. „Doch versprechen Sie auch mir:“
„Jetzt nach Haus zu gehen,“
„Und daß heut sich vor der Thür“
„Keiner mehr läßt sehen!“
116. Wir gelobtens in die Hand
Unserm lieben Rector,
Und empfahlen uns galant
Unserm Herrn Protector.
117. Tags darauf, als er erwacht,
Hab' vor allen Dingen
Ich ihm dann auch dargebracht,
Was ich sollte bringen.
118. Nun erfuhr ich erst, und zwar
Hastig fast von Allen,
Was, als in der Kneip ich war,
Draußen vorgefallen.
119. Gleich der Löwin, der geraubt
Eben man die Jungen,
War mein Bruder, kaum verschnaubt,
Auf den Feind gesprungen.
120. Daß er, wenn es möglich wär',
Rette noch mein Leben,
Und wo nicht, so wollte er
Seines dafür geben.
121. Er griff an, der Eine Mann,
Gegen hundert Feinde! —
Wer hat jemals das gethan? —
Je, auch für die Freunde? —
122. Und bewaffnet waren auch
Seine Feinde alle,
Und die Waffen zum Gebrauch
Scharf in diesem Falle!
123. Auch die Gegner nicht vertheilt
An verschied'nen Orten,
Sondern alle festgekeilt,
Und bereit zu morden!
124. Und mit Branntwein so getränkt,
Daß für sie Gefahren,
Die der Nüchterne bedenkt,
Nicht vorhanden waren!
125. Glaubt ihr, wenn mein Bruder all
Dieses erst erwogen,
Hätt' er sich auf jeden Fall
Gleich zurückgezogen? —
126. Nein, die volle Liebe fragt
Nicht nach Möglichkeiten,
Da dieselbe Alles wagt,
Auch Unmöglichkeiten!
127. Und mein Bruder war an Kraft,
Größe, und im Degen
Auch der ganzen Burschenschaft
Weithin überlegen.
128. Also stürzt er resignirt
Auf des Feindes Masse,
Daß er, die zum Hause führt,
Haue eine Gasse.
129. Links und rechts erliegen Viel'
Unter seinen Streichen,
Doch das vorgesteckte Ziel
Kann er nicht erreichen.
130. Denn indem zum Hause er
Vorwärts strebt zu dringen,
Suchen sie ihn immer mehr
Hinten zu umringen.
131. Bald muß mitten im Gedräng'
Rings er stets sich wehren,
Und die Wuth der ganzen Meng'
Muß sich immer mehren.
132. Mädchen, die ihn also sahn
In Gefahren schweben,
Riefen Gott mit Thränen an
Um des Menschen Leben.
133. Wollt' die Linke im Gefecht
Endlich ihm versagen,
Konnte er auch gar nicht schlecht
Mit der Rechten schlagen.
134. Alle in der Kneipe, die
Wären längst verweset,
Hätt' „der alte Spamer“ sie
Damals nicht erlöset!
(158 ≡)
135. Ja, das Leben Jeder hat
Ihm allein zu danken
Denn kein Andrer mit ihm trat
Für uns in die Schranken!
136. Zu der Wahlstatt kamen zwar
Mehrere Studenten,
Doch die meisten hatten gar
Nichts in ihren Händen.
137. Einen Säbel hatte noch
Einer — unterm Mantel,
Dieser mischte aber doch
Nicht sich in den Handel.
158. Beck und Böhler suchten zwar
Batzen kalte Eisen
Bei der drohenden Gefahr
Aus der Hand zu reißen;
139. Doch der Backen ward so sehr
Jenem aufgehauen,
Daß er lange noch nachher
Hatte dran zu kauen.
140. Und der Buckel ward noch mehr
Diesem blau gewaschen;
Einen Säbel konnte er
Aber nicht erhaschen.
141. Wenn bewaffnet diese Zwei
Waren an der Seite
Meines Bruders, diese Drei
Siegten in dem Streite.
142. Doch mein Alter hat für sich
Auch den Zweck erreichet,
Davon hab' ich selber mich
Völlig überzeuget.
143. Denn im Anfang war das Haus
Voll ja von Soldaten;
Als mein Alter aber draus
An sie war gerathen,
144. Ward dasselbe plötzlich leer;
Denn mit scharfen Klingen
Suchte jetzt das ganze Heer
Auf ihn einzudringen.
145. Deßhalb wurden außer Acht
Wir im Haus gelassen,
Bis man uns in Haft gebracht,
Wo wir sicher saßen.
146. Ja, mein Alter war gerad'
Wie ein Blitzableiter;
Denn nach ihm, wie nach dem Draht,
Lief der Funke weiter.
147. Und er hielt so lange Stand,
Bis die Kling' zersprungen,
Und die Steine an der Wand
Auf ihn eingedrungen.
148. Magnus hatte an der Wand
Sitzen dicke Steine,
Die die Feinde in die Hand
Nahmen im Vereine,
149. Um durch Würfe den zuletzt
In die Flucht zu jagen,
Welchen alle sie bis jetzt
Noch nicht konnten schlagen.
150. Diesen Steinen mußte er
Freilich endlich weichen,
Und er konnte lang nachher
Ihre Flecken zeigen.
151. Außer diesen fand an ihm
Von der heißen Stunde
Trotz der Gegner Wuth und Grimm
Niemand eine Wunde.
152. Er hat aber an der Stätt'
Manche so blessiret,
Daß sie dran im Lazareth
Lange laboriret.
153. Weil er hielte sich so gut,
Wurde auch in Gießen
Lange Zeit sein Heldenmuth
Ueberall gepriesen.
154. Seine Zeit ist nicht mehr da,
Und war kurz gemessen; —
Wer ihn aber damals sah,
Wird ihn nie vergessen! —
(159 ≡)
155. Aus der Hauptstadt kamen schnell
Nun zwei Commissäre,
Um zu sehn an Ort und Stell',
Wer zu strafen wäre.
156. Alle, die an der Affair'
Hatten Theil genommen,
Mußten vor sie zum Verhör
Auf das Rathhaus kommen.
157. Nicht zusammen durften wir
Vor die Richter wandern,
Sondern immer nach Gebühr
Einer nach dem Andern.
158. Als ich endlich in den Saal
Wurde vorgeladen,
Stand vor dem Herrn General
Eine Reih' Soldaten.
159. Steckensteif und kerzeng'rad',
Ohne sich zu rühren;
Und Herr Köhler mich nun bat,
Alle zu fixiren.
160. „Wenn Sie von den Herren hier“
„Etwa manche kennen,“
„Wollen Sie,“ sprach er zu mir,
„Mir dieselben nennen!“
161. Als ich nun mir nahm aufs Korn
Diese Herrn Milizen,
Schien noch Manchem großer Zorn
Aus dem Aug' zu blitzen.
162. Doch ich sah sie lächelnd an,
Gehend auf und nieder,
Und erwiederte alsdann:
„Einen kenn' ich wieder!“
163. „Und zwar dort den Flügelmann;“
„Denn der griff mich eben“
„Grimmig mit dem Säbel an,“
„Mir den Rest zu geben.“
164. „Doch das Leben ist mir lieb,“
„Und daß er's nicht kürzte,“
„Gab ich ihm nur Einen Hieb,“
„Daß er niederstürzte.“
165. „Und das Pflaster, das er dort“
„Auf der Stirne offen“
„Trägt, zeigt ganz genau den Ort,“
„Wo ich ihn getroffen.“
166. „Seinen Namen weiß ich nicht,“
„Der thut nichts zur Sache;“
„Doch erkenn' ich sein Gesicht,“
„Das ist keine Frage.“
167. „Von den Cameraden, die“
„Ebenfalls hier stehen,“
„Hab' ich meines Wissens nie“
„Einen je gesehen.“
168. Köhler sprach mit Ironie:
„Alle Herren nannten“
„Mir denselben, den auch Sie“
„Wiederum erkannten.“
169. „Dennoch ist er, wie er sagt,“
„Nicht dabei gewesen;“
„Kann man ihm auch den Verdacht“
„Auf der Stirne lesen!“
170. Dann ward mir die Schrift gezeigt,
Die ich eingegeben,
Und bemerkt: „Sind Sie geneigt,“
„Können Sie so eben“
171. „Manches noch verändern dran;“
„Denn Sie müssen schwören!“
„Meine Herrn,“ sprach ich, „ich kann“
„Nicht den Eid verwehren;“
172. „Aber bitten möcht' ich Sie,“
„Mir ihn zu erlassen;“
„Auch der wahre Eid ist nie“
„Doch ein Ding zum Spaßen!“
173. „Was ich da geschrieben hab',“
„Ist die reinste Wahrheit,“
„Und das Zeugniß Aller gab“
„Den Beweis mit Klarheit.“
174. „Eine Strafe gegen mich“
„Kann man nicht verfügen;“
„Warum also sollte ich“
„Bei der Sache lügen?“ —
(160 ≡)
175. „Eben weil dazu sich hier“
„Gar kein Grund läßt denken,“
„Will ich bitten, daß Sie mir“
„Das Beschwören schenken!“
176. „Nun,“ sprach der Herr General,
„Das ist wohl gesprochen;“
„Und ich glaub' auf keinen Fall,“
„Daß Sie uns belogen.“
177. „Ja, ich glaube Ihnen nur“
„Darum mehr, als Allen,“
„Weil den Andern nicht der Schwur“
„Ist so schwer gefallen.“
178. „Geben Sie mir statt des Eids“
„Darum nur die Rechte,“
„Und dann wären wir bereits“
„Fertig, wie ich dächte!“
179. Gerne gab ich ihm die Hand,
Drückte fest die seine,
Weil an ihm den Mann ich fand
Nicht bloß nach dem Scheine.
180. Als ich mich den Herrn empfahl,
Weg mich zu begeben,
Wünschten sie mir jovial,
Ferner wohl zu leben.
181. Doch das Urtheil säumte lang,
Bis sichs sehen ließe,
Denn das Recht hat Schneckengang,
Bleiern sind die Füße.
182. Einige vom Militair
Mußten eine Weile
Brummen, doch wie lang und wer,
Hab' ich nicht am Seile.
183. Mehr wohl mocht' die Garnison
Diese Strafe hassen,
Weil sie deßhalb sans façon
Gießen mußt verlassen.
184. Denn da die Erbitt'rung ward
Groß in beiden Theilen,
War sie nicht auf andre Art
Späterhin zu heilen.
185. Anfangs konnt' das Regiment
Zwar man caserniren;
Wozu aber sollt' am End'
Dieses Mittel führen?
186. Die Soldaten, hieß es oft,
Wollten nicht pariren
Und auf einmal unverhofft
Gießen alarmiren.
187. Der Caserne würden sie
Ehestens entspringen,
Um mit größerer Manie
In die Stadt zu dringen.
188. Da vor ihren Führern sei
Ihr Respect verschwunden,
Könne nun die Metzelei
Kommen alle Stunden.
189. Drum bewaffneten sich nicht
Bloß die Burschikosen,
Nein, das hielten auch für Pflicht
Jetzo die Renoncen.
190. Der Pennal, so jung er war,
Ja sogar Philister,
Traten gern zu uns'rer Schaar
Gegen die Tornister.
191. In den Kneipen, hier und da,
Lag der Bursch in Massen,
Daß er, wie der Feind sich nah',
Gleich besetz' die Gassen.
192. Ich wollt' auf der Mäusburg mich
Mit noch mehr Gesellen
Gleich dem Feind mit Hieb und Stich
Fest entgegenstellen.
193. Und wir hatten auch zum Schuß
Flinten und Pistolen,
Daß sich schon beim ersten Gruß
Mancher hätt' empfohlen.
194. Doch das Allerbeste war
Noch bei diesen Sachen,
Daß die drohende Gefahr
Endlich ward zum Lachen.
(161 ≡)
195. Ob von uns'rer Rüstung die
Feinde was vernommen? —
Kurz, sie sind so grimmig nie
In die Stadt gekommen.
196. Endlich kamen — das war gut —
Sie hinweg von Gießen;
Da fing das Studentenblut
Ruhig an zu fließen.
197. Daß mit Garnisonen sich
Universitäten
Schwer vertragen, sage ich
Hiermit einem Jeden.
198. Die Studenten insgemein
Blieben ohne Strafe;
Meinen Bruder ganz allein
Eine solche trafe.
199. Da die Universität
Er jedoch quittiret,
Ward die Strafe, weil zu spät,
Nicht mehr exequiret.
200. Ich indessen ward darum,
Was mich sehr gaudiret,
Nachher ad Magnificum
Noch einmal citiret.
201. Staunend frug den Schnurren ich,
Oder den Pedellen:
„Wissen Sie, warum Sie mich“
„Haben zu bestellen?“
202. „Ich, Herr Spamer, kann, auf Ehr,“
„Nicht den Grund errathen,“
„Warum mich der Rector her“
„Schickt, Sie vorzuladen!“
203. Ich hab' Sie nicht angezeigt!“
„Soviel kann ich sagen;“
„Doch, wenn der Herr Rector schweigt,
„Darf ich ihn nicht fragen.“
204. Also sprach und schwieg der Schnurr,
Und wir konnten beide
Gar nicht kommen auf die Spur,
Was es wohl bedeute.
205. In den schwarzen Frack geschwind
Und in Hosen ditto
Warf ich mich nun wie der Wind;
Denn ich sollte cito
206. Kommen zur Magnificenz
Und mich sehr beeilen,
Weil sie später Audienz
Könne nicht ertheilen.
207. Als ich vor dem Herrn erschien,
Willbrand war sein Name, —
Denn es ging ein Jahr schon hin
Ueber jenem Krame, —
208. Schnitt derselbe ein Gesicht,
Welches prophezeite,
Daß ich eben ihm wohl nicht
Mache große Freude.
209. Anfangs las er mir den Text
Oder die Leviten
In Beziehung allernächst
Nur auf meine Sitten.
210. Nachher, als er um den Brei
Lang herum gegangen,
Kam er auf die Schlägerei,
Worin ich gehangen.
211. „Und da Sie sich nicht gescheut;“
„Viele zu blessiren,“
Sprach er, „will ich Ihnen heut“,
„Ihre Straf dictiren!“
212. „Doch kann diese Strafe mir“
Sprach ich, „nicht gebühren,“
„Da Sie beide Spamer hier“
„Gänzlich confundiren!“
213. „Sind Sie denn der große nicht,“
„Welchen hier ich meine?“ —
„„Nein, vor Ihrem Angesicht““
„„Stehet nur der kleine!““
214. „Nun dann“ — fuhr er freundlich fort, —
„Da Sie nichts verbrochen,“
„Widerruf ich jedes Wort,“
„Welches ich gesprochen!“
(162 ≡)
215. „Sie entschuldigen es wohl“
„Mit des Irrthums Walten,“
„Was ich Ihnen unmuthsvoll“
„Eben vorgehalten!“
216. „Und nun mag Ihr Bruder sich“
„Zu mir herbequemen,“
„Daß sein Urtheil er durch mich“
„Kann sogleich vernehmen!“
217. „Denn von Darmstadt kam es her,“
„An mich adressiret,“
„Daß es baldigst auch nunmehr“
„Werde exequiret!“ —
218. „Doch, Herr Rector, ward dabei“
„Schwerlich miterwogen,“
„Daß schon lang mein Bruder sei“
„Von hier abgezogen!“ —
219. „„Nun so schreiben Sie ihm doch,““
„„Mich zu unterstützen:““
„„Daß er vierzehn Tage noch““
„„Carcer zu versitzen!““
220. „Schreiben will ichs heute ihm,“
„Ohne zu verweilen;“
„Doch wird er nicht ungestüm“
„Nach dem Carcer eilen!“ —
221. „Fügen Sie deßwegen bei,“
„Daß jetzt Strafeleiden“
„Ihm gewiß zum Nutzen sei“
„Für die Folgezeiten!“
222. „Denn wenn Ungehorsam er“
„Jetzo zeige offen,“
„Habe keine Stelle mehr“
„Jemals er zu hoffen!“ —
223. Ich empfahl mich, um getreu
Alle die Geschichten
Meinem Bruder funkelneu,
Brühheiß zu berichten.
224. Als ich an die Schreiberei
Ging, erwog ich stille:
Wie bringst Du dem Alten bei
Diese bitt're Pille? —
225. Wenn man solche Arzenei
Will zum Munde führen.
Pflegt man sie auf allerlei
Arten zu candiren.
226. Daß mein Alter die Mixtur
Leichter möge schlingen,
Suchte ich in Reimen nur
Sie ihm beizubringen.
227. War die Sache auch nicht süß,
Die ich zu verkünden,
Könnt er nun sie doch gewiß
Ungereimt nicht finden.
228. Und ich gab mir alle Müh',
So das Ding zu machen,
Daß ihm meine Poesie
Diene nur zum Lachen.
229. Pegasus nun unter mir
Machte Capriolen,
Daß ich kaum von Lachen schier
Konnte mich erholen.
230. Welchen Zweck auch mein Humor
Allgemein erreichte,
Wie mein Bruder Theodor
Schriftlich mir bezeugte.
231. Doch ins Carcer noch zu gehn,
Es ihn nicht gelüste;
Wie er offen mir gestehn
Und versichern müßte.
232. Auch zeigt' ichs dem Rector an,
Daß er dieß verschmähet;
Aber später hat kein Hahn
Mehr darnach gekrähet.


233. Meinen Lesern wollte ich
Wahrheit nur erzählen,
Und mit ihr will ich auch mich
Ihnen jetzt empfehlen.
Christian Spamer.

Die drei Rosen.

Die Erste Rose.
Mir lebte ein Cousinchen
Fern auf der Rabenau,
Mit Namen Katharinchen
Und schön von Körperbau;
Es zählte sieben Jahre,
Die Aeuglein waren braun
Und seines Köpfchens Haare
Braunröthlich anzuschaun.
Ich hatt' 's noch nicht gesehen,
Als ich acht Jahre alt;
Doch wenn was soll geschehen,
So macht es sich auch bald.
Im Schlaf kam's von der Reise
Mit meiner Mutter an,
Gleich legte die es leise
Zu ihrem Christian.
So schliefen denn die Kinder
Eins an des andern Brust,
Und wärmten sich geschwinder,
Als sie es selbst gewußt.
Doch als in seinem Bettchen
Der Knabe früh erwacht,
Und sieht das fremde Mädchen,
Da zittert er und zagt.
„Wer ist denn das?“ so schrie er,
Und that mit Schreck und Graus,
Daß er erwacht nicht früher,
Den Satz zum Bett heraus.
Die Mutter spricht; „Du Schotchen!
„Ist es dir denn nicht recht,
„Daß ich gebracht mein Gothchen?
„Du wollt'st ja, daß ich's brächt'!
„Es thut dir nichts zu leide,
„Leg dich nur wieder sacht,
„Bis Kaffee ich bereite
„Und es vom Schlaf erwacht!“
„Um aller Welten Güter“,
Sprach der erschrockne Sohn,
„Leg ich mich nun nicht wieder!“
Und lief sogleich davon.
Doch als er angezogen,
War seine Angst dahin,
Da naht er sich verwogen
Der Siebenschläferin;
Und immer lieber sandt er
Nach ihr den Forscherblick,
Und daß er ihr Verwandter,
Das schien ihm schon ein Glück.
(164 ≡)
Sie hob die Augenlider
Und sah ihn vor sich stehn;
Er lächelte hernieder
Und sie hieß ihn nicht gehn.
Kaum hatten so sich beide
Zum ersten Mal gesehn,
So fühlten neue Freude
Im Herzen sie entstehn.
Doch wurden noch bekannter,
Je öfter sie sich sahn,
Und täglich auch verwandter,
Kathrinchen, Christian.
Keins durft dem Andern fehlen
Beim frohen Kinderspiel,
Und hatten zu erzählen
Sich heimlich immer viel.
So flogen Tage, Wochen
Vorbei im schnellen Saus,
Da ward das Wort gesprochen:
„Kathrinchen soll nach Haus!“
Das fiel mit Centnersteinen
Hinein in unser Herz;
Wir fingen an zu weinen
Vor übergroßem Schmerz.
Der Trost, der einzig wahre,
In unsren Abschiedswehn
War der: „In einem Jahre
„Sollt ihr euch wiedersehn!“
Zwar konnten wir alljährlich
Acht Tag' zusammen sein,
Doch war die Zeit zu spärlich
Und endete mit Pein.
Als älter wir geworden,
War sie 'ne schön're Maid,
Als ich an allen Orten
Gefunden weit und breit.
Die Freier warben fleißig
Um ihre zarte Hand,
Ihr Herz jedoch blieb eisig,
Wie sie mir oft gestand.
Hatt' Anträg' sie empfangen,
Die gab sie mir in Eil
Mit bittendem Verlangen,
Daß ich die Körb' ertheil'.
„Doch Einen mußt du wählen,“
Sprach ich ihr einst ins Ohr,
„Und will dir's nicht verhehlen:
„Es grauet mir davor!“
Sie sah mir in die Seele,
Und sprach: „Laß dir nicht graun!
„Eh' eine Hand ich wähle,“
„Will ich es dir vertraun!“
Ich reiste ab und stande
Still in dem nahen Wald,
Weil mich auf einmal bannte
Der Liebe Allgewalt.
„Du mußt zu ihr zurücke!“
So rief es in mir laut;
„Was fehlt noch deinem Glücke,
„Gibt sie sich dir als Braut!“
Schwer hab ich dort gekämpfet,
Bis ich den Bann zerbrach,
Bis ich das Herz gedämpfet
Nach manchem tiefen Ach!
Ich wäre umgekehret,
Allein der Andern Spott,
Der hat es mir verwehret,
Und machte mich noch flott.
Mit einem kranken Herzen
Kam ich zu Hause an,
Ich konnte nicht mehr scherzen,
Es war mir angethan.
Mit unsichtbaren Ketten
Zog es mich nach ihr zu,
Ich konnte nicht mehr retten
Die rein verlorne Ruh.
Mein Herz war nicht zu zügeln,
Es kollerte in mir,
Und wie auf Sturmwindsflügeln
Trug es mich hin zu ihr.
(165 ≡)
Weil ich gekommen schneller,
Als Jemand es gedacht,
So wurde auch viel heller,
Als ich erschien, gelacht.
Mit ahnungsvollem Beben,
Im Aug die Freudenthrän',
Sah ich sie zu mir schweben,
Wie war sie da so schön!!
„Ich leid' an tiefer Wunde
„Durch dich, du schönes Kind!
„Und nur aus deinem Munde
„Ein Wort heilt sie geschwind.
„Willst du mein Engel werden,
„Und mich im Himmel sehn
„Schon hier auf dieser Erden;
„Sprich: Ja! so wird's geschehn!
„Doch, unentbehrlich Wesen!
„Hätt' ich in deinem Aug'
„Mein Schicksal falsch gelesen,
„Ach — dann gesteh' mir's auch!
„Eh' du mir gibst ein Zeichen
„Zum Leben oder Tod,
„Kann ich nicht von dir weichen,
„Drum kürze meine Noth!
„Und fühlest du nicht heute
„Die Liebe stark dich ziehn
„An meine treue Seite,
„So laß mich schnell entfliehn!“
So oder ähnlich schrieb ich
Mit Dinte auf Papier,
Und drückte es beliebig
Ins zarte Händchen ihr.
Nach einer halben Stunde
Rief sie mich ganz allein,
Und sprach mit süßem Munde:
„Willst du, so bin ich dein!
„Zwar gab ich das Versprechen
„Mir: Keines Frau zu sein;
„Doch will ich's wieder brechen,
„Nur deinethalb allein!
„Dir sollt' ich mich versagen?
„O, ich war längst schon dein:
„Doch — willst du's mit mir wagen?
„Ich schenk' dir klaren Wein:
„Lang werde ich nicht leben,
„Das fühle ich genau.
„Und fühle es mit Beben,
„Denk' ich mich deine Frau.
„Drum will ich dir entsagen,
„So schwer es mir auch wird;
„Du siehst in künft'gen Tagen
„Erst, daß ich nicht geirrt! —
„O, darauf will ich's wagen,
„Du allerliebste Braut!
„Hörst du mein Herz nicht schlagen?
„Wem ruft es wohl so laut? —“
O, welche sel'ge Stunde,
O, welche heil'ge Lust!
Wie fest hing Mund an Munde!
Wie fest schloß Brust an Brust! —
Noch mußt' ich bei den Alten,
Nach löblichem Gebrauch,
An um die Tochter halten,
Das that sogleich ich auch.
Sie waren fast verlegen,
Und trauten kaum dem Ohr,
Daß ich schon bat um Segen
Und stellt mein Bräutchen vor.
„Ihr wollt nur Kurzweil treiben,
„Und macht mich das nicht weis,
„Die will ja ledig bleiben,
„Und hat ein Herz von Eis.
„Das werd' ich nicht erleben,
„Daß die sich je verspricht;
„Ein Nönnchen mag sie geben,
„Ein Bräutchen ewig nicht.
„Wie gern ich es auch sähe,
„Daß sie erwähle dich;
„So käm', spräch ich von Ehe,
„Sogleich sie außer sich.
(166 ≡)
„Denn sieht sie einen Freier,
„Er sei auch noch so fein,
„So läuft sie wie vor Feuer,
„Und schließt sogleich sich ein.
„Geh' ich auch vor ihr Zimmer,
„Und geb' die besten Wort',
„So öffnet sie es nimmer
„Ist nicht der Fremde fort.
„Ich muß mich öfters schämen
„Vor solchen fremden Herrn;
„Sie muß sie ja nicht nehmen,
„Doch auch sich ein nicht sperr'n.
„So mag sie es nur treiben
„Noch eine kurze Zeit,
„Dann wird sie sitzen bleiben
„Durch ihre Sprödigkeit.“
Das war der Mutter Sprechen,
Zumal sie sich gedacht,
Mit unserem Versprechen
Hätt' ich nur Spaß gemacht.
„Nun, sein Sie außer Sorgen,
Erwiederte ich drauf;
„Dem gehet heut, dem morgen
„Der Stern der Liebe auf.
„Erst muß, möcht' ich wohl sagen,
„Bei jedem Mägdelein
„Das rechte Stündchen schlagen,
„Dann sagt es auch nicht nein.
„Was kann's dem Mädchen frommen,
„Daß es so blindlings wähl'?
„Erst muß der Rechte kommen,
„Dann greift es auch nicht fehl.
„Nicht wahr, mein süßes Bäschen!
„Es ist, wie ich gesagt?
„Du trugst auch hoch das Näschen,
„Und 's hat sich doch gemacht? —“
„Du unbarmherz'ger Spötter!
„Hört' ich das vor dem Kauf,
„So fand'st du ander Wetter
„Bei mir, verlaß dich drauf!“
„Doch nach dem Kauf, mein Täubchen!
„Gibst du dich in Geduld?
„Und wirst mein liebes Weibchen?
„Versprechen machet Schuld?
„O nimm den Scherz nicht übel!
„Denn — ach! — verwarfst du mich; —
„Dann schält' ich eine Zwiebel,
„Und weinte bitterlich!
„Doch allen Spaß bei Seite:
„Du bist mein Himmelreich!
„Du meine Götterfreude!
„Du machst mich Engeln gleich!
„Und ohne dich — ich schwör' es —
„Kann ich nun nicht mehr sein,
„Und würde nicht — auch wär' es
„Des Königs Tochter — frei'n!
„Du, meines Lebens Leben!
„Nie soll dich reu'n der Bund,
„Den du gesiegelt eben
„Mit deinem Rosenmund! —
„Und da der Eltern Segen
„Den Kindern Häuser baut,
„So sehn wir ihm entgegen,
„Ihr Eltern meiner Braut! —“
„Der Gott, der eure Herzen
„Durch Liebe hat vereint,
„Der sei in allen Schmerzen
„Auch euer bester Freund!
„Auf allen euren Wegen
„Erfreu' euch seine Huld,
„Und seinen reichsten Segen
„Genießet ohne Schuld!“
Also der Vater spendet,
Was ich von ihm begehrt;
Also die Mutter endet:
„Amen, es sei erhört!“
Dann Bruder, Schwester, Freunde
Und was im Hause war,
Im Chor den Wunsch vereinte:
„Hoch leb' das junge Paar!“
(167 ≡)
Am Raphaelistage
In Achtzehnhundert acht
Und zwanzig war die Frage
Und Antwort so vollbracht.
Wohl heißt: Gott hat geheilet,
Der Name Raphael,
Das spürt ich unverweilet
An meiner armen Seel.
Denn all das große Leiden,
Das sie zuvor empfand,
Schlug um in Himmelsfreuden,
Eh' Raphael verschwand.
Noch ein'ge Tage länger
Schwamm er im Wonnemeer,
Dann ward das Herz dem Sänger
Allmälig dick und schwer;
So schwer, daß es beim Scheiden
Nicht war zu bringen fort,
Drum mußt' er aus es weiden,
Der Liebsten lassen dort.
Die gab dafür das ihre
Sogleich ihm gern heraus,
Nun ging aus dem Reviere
Ein jedes leicht nach Haus.
Bang an des eignen Stelle
Des Andern Herz nun schlug,
Nach seiner alten Zelle
Fühlt' es der Heimath Zug.
Der Zug war unerträglich,
Daß ich ihm folgen mußt',
Er zog, so oft es möglich,
Mich an des Liebchens Brust.
Und da's von beiden Seiten
Zog nach dem alten Platz,
So hatten viel zu leiden
Ich und mein lieber Schatz.
Und diese unsre Plage
Ließ auch kein Stündchen nach,
Und währte, wie ich sage,
Acht Monat und sechs Tag'.
Am letzten Juni-Tage
Im andern, neuen Jahr
Da wechselte die Lage
Erst an dem Traualtar.
Am Abend vor der Trauung —
Wir saßen in der Küch'
In herzlicher Erbauung —
Schrie sie: „du beißest mich! —
„Wirst du nicht gleich versprechen,
„Daß das nie mehr geschieht,
„So muß mein Wort ich brechen,
„Und wir sind wieder quitt!“
„Ich habe nie gebissen
„Ein zartes Mägdelein,
„Und hab' ich's jetzo müssen,
„So ist die Schuld nur dein.
„Gebeut der Reize Schimmer,
„Und sei nicht gar zu schön,
„So soll es nun und nimmer
„Zum zweiten Mal geschehn!
„Doch wirst du dies vergessen
„Und locken die Gefahr,
„So werd' ich dich noch essen
„Einmal mit Haut und Haar!“
„Bei einem solchen Esser
„Erfaßt mich Schreck und Graus!
„Adieu, Herr Menschenfresser!“
Zur Küch' war sie hinaus.
Und als hierauf die Rede
Auf ihre Mitgift kam,
Und ob man g'nug mir böte,
Also das Wort ich nahm:
„Ach, liebe, gute Leutchen,
„Nach Geld steht nicht mein Sinn;
„Gebt mir nur mit mein Bräutchen,
„Und laßt mich fröhlich zieh'n!“
Bei diesen Worten blickte
Sie wie verklärt mich an,
Die Hand sie sanft nur drückte:
„Komm, lieber Christian!
(168 ≡)
„Das überlaß den Alten,
„Die werden's machen schon,
„Ich kann nicht vorenthalten,
„Dir den verdienten Lohn!“
Da brannten ihre Lippen
Auf meinen rein und süß;
Ich träumte bei dem Nippen
Vom nahen Paradies. —
„Ich habe dich durchschauet,“
Sprach sie: „bis auf den Grund;
„Drum nun mein Herz vertrauet
„Auf dich zu jeder Stund!
„Ich sah's an deinem Feuer:
„Mich liebst du, nicht mein Geld.
„Wie bist du mir so theuer,
„Mein Alles auf der Welt!
„Nun fühl ich erst recht selig
„In meinem Stande mich,
„Und eben so erwähl' ich
„Aus reinster Liebe dich!“
So that zu unsern Banden
Gewiß kein Pfarrer noth,
Und wo wir immer standen,
Da standen wir vor Gott.
Doch fügten wir uns willig
In jede Ordnung ganz,
Und richteten uns billig
Nach alter Observanz.
In ihrem besten Kleide
Erschienen alle Gäst',
Wer's hatte, mit Geschmeide
Zu unserm Hochzeitsfest.
Der Festzug ging zur Kirchen
Nach Londorf von der Mühl',
Und Alles wie am Schnürchen,
Obgleich der Gäste viel.
Herr Engel und ein Zweiter,
Den ich nicht nennen kann,
Die schlossen als Begleiter
Sich meinem Engel an.
Mich führeten zwei Damen,
Links Schiffler und rechts Schunk,
Bis wir zur Kirche kamen
Mit allem unsern Prunk.
Herr Oeser, jener Zeiten
Pastor desselben Orts,
Ein wahrer Freund uns beiden,
Und treu im Dienst des Worts, —
Nun ruht er schon im Grabe —,
Der stand vor dem Altar,
Und sprach mit Rednergabe
Zu dem gekomm'nen Paar,
Erflehte Gottes Segen
Ihm und der Kirche Heil,
Und gab von Amteswegen
Mir mein beschiednes Theil.
Nun ging's zum Hochzeitshause
In Heiterkeit zurück;
Dort gab's ein wirr Gebrause
Von Wünschen uns zum Glück.
Gegessen und getrunken,
Geschäkert und gelacht
Ward bis der Tag gesunken,
Und alle Stern erwacht.
Dann ward erst recht gesungen,
Gewaltig musicirt,
Geredet auch mit Zungen,
Weil Alle inspirirt.
Herr Oeser und ich tauschten
Mit unsern lieben Frau'n,
So lang die Saiten rauschten,
Zu Jedermanns Erbau'n.
Doch dabei konnte keine
Irrung mit einer Frau
Gescheh'n, da Jeder seine
Schon kannte zu genau.
Laut jubelte vor Freude
Der Gäste lust'ger Chor,
Froh schmunzelte selbst heute
Der stumme Herr Major.
(169 ≡)
Ja herzlich sich ergötzte,
Der Herr von Rabenau,
Weil er so hoch sie schätzte,
An meiner jungen Frau.
Ohrlöcher hatt' dem Kinde
Er einst gestochen schon,
Und auch geschenkt geschwinde,
Die gold'nen Ring' zum Lohn.
Kurz, sie behagte Allen,
Bis in die späte Nacht,
Zu Jedermanns Gefallen
Der Kehraus ward gemacht.
Da schlichen denn die Gäste
Allmälig sich nach Haus,
Als hier und da die Reste
Der Lichter gingen aus.
Und eben weil die Lichter
Abbrannten und nicht zu,
So wünschte auch der Dichter
Jetzt angenehme Ruh'.
Die Nacht ward nun so dunkel,
Daß er sah kein Gesicht,
Er hörte nur Gemunkel,
Doch das beschreibt er nicht.
Auch Niemand wird verlangen,
Daß er erzählen soll,
Was weiter vorgegangen,
Da er geschlafen wohl.
Zwar nach der alten Mode,
Der Mancher folgt behend,
Macht jeder Ehstandsode
Die Hochzeit schnell ein End'.
Doch warum sollt' ich schweigen
Von meinem höchsten Glück?
Warum nicht freudig zeigen
Auf seine Zeit zurück?
Gibt der ein gutes Zeichen,
Der hier die Segel streicht?
Hörst du die Lerche schweigen,
So lang sie höher steigt?
O, seht das Glück der Ehe
Für keinen Gipfel an,
Auf dem man von der Höhe
Nur abwärts steigen kann!
Das meine glich der Erde,
Auf der du oben stehst
Und bliebest ohn' Beschwerde,
Wenn du auch weiter gehst.
Labt nicht die Felsenquelle,
Die appetitlich winkt,
Noch mehr mit klarer Welle,
Je mehr man aus ihr trinkt?
Zwar wird so oft gesprochen
Vom flüchtigen Verlauf
Der süßen Flitterwochen;
Dann folge Bitt'res drauf.
Mir war allein nur bange
Vor meines Weibchens End',
Und daß äonenlange
Ich's nicht behalten könnt'.
Hätt' Gott dafür versprochen
Mir selbst die Seligkeit,
Ich hätt' zu ihm gesprochen:
Herr, die hat ja noch Zeit!
Schick' mich noch nicht hinüber,
Meinst du mit mir es wohl;
Mein Engel ist mir lieber,
Als wie dein Himmel voll!
Was sollt' ich auch bei allen
Millionen Engeln thun?
Drum thu' mir den Gefallen:
Laß mich bei Einem ruh'n!
Denn Alle sie zu lieben,
Wär' doch mein Herz zu klein,
Und würde ehr zerstieben,
Als Einem treulos sein.
Ja wolltest du mir schenken
Den schönsten ganz allein,
Ich würde ohn' Bedenken
Auch dazu sagen nein!
(170 ≡)
Daraus mag man ermessen,
Was mir mein Engel war,
Und zwar — vom Hochzeitessen
Bis zu der Todtenbahr.
Der Hochzeit ging indessen
Noch einiges voraus,
Was mir im Sinn gesessen,
Wie in dem Pelz die Laus.
Weil wir Geschwisterkinder,
Mußt' Dispensation
Erfolgen noch geschwinder,
Als Copulation.
Für fünfzehn baare Gulden
Ward ich zwar dispensirt,
Doch mußt' ich mich gedulden,
Bis ich auch proclamirt.
Für zweimal zu erlassen
Die Proclamation,
Die Herren nicht vergaßen,
Als sie geschehen schon.
Nach manchen solcher Acten
Errichteten wir auch
Zusammen Ehepacten,
Nach Landessitt und Brauch.
Zu Grünberg vor Gerichte —
Ich weiß es noch genau —
Passirte die Geschichte
Am Jahrstag meiner Frau.
Die war, dieweil es eben
Der zweite Juli war,
Denselben Tag am Leben
Just fünf und zwanzig Jahr.
Dort packt' ich nun mein Weibchen
In eine Chaise ein,
Und fuhr mit meinem Täubchen
Direct nach Hermannstein.
Das hatt' sein neues Nestchen
Zuvor noch nie geschaut,
Und fand ein Nonnenkästchen,
Durchaus von Stein gebaut.
Da fuhr sie nach den Haaren
Vor unserem Verlies;
Doch als wir drinnen waren,
Ward es zum Paradies. —
Kommt je zu einem Orte
Ein fremder Hund hinein,
So laufen wie zum Morde
Die andern hinterdrein.
Ich seh' an euren Nasen,
Daß ihr mich schon versteht
Mit meinen schönen Phrasen,
Weil's überall so geht.
Wir machten nicht Visiten
In dieser ersten Zeit,
Doch waren wir, auf Bitten,
Zu kommen auch bereit.
Wie Trennung von dem Döschen
Des ächten Schnupfers Pein,
So konnt' von meinem Röschen
Ich keine Stunde sein.
Wie stach mir's in die Augen,
Wie wehte Götterduft
Aus seiner Blüthe Hauchen!
Das war mir Lebensluft!
O, meine Erste Rose —
Sie fühlte weich sich an,
Sie war die dornenlose,
Und hieß nur Dornemann!
Wenn mit Aurorens Wangen,
Mit Hebes nettem Fuß,
Mit Taille — zum umfangen,
Und Mund — gemacht zum Kuß,
Mit Teint — so weiß und röthlich,
Mit ihrem Venusarm,
Mit Augen — schalkhaft-redlich,
Mit ihrem Herzen — warm,
Mit braunen Lockenhaaren,
Mit ihrer Grazienhand,
Und kurz, mit allem Raren
Die Göttin vor mir stand,
(171 ≡)
Dann machte mir fast bange
Des Glückes Uebermaß,
Ich sah sie an so lange,
Bis ich mich selbst vergaß. —
Ach, ach, ihr flücht'gen Stunden
Und Zeugen, daß es wahr,
Ihr seid mir schon entschwunden
Vor fünf und zwanzig Jahr! —
Willst zarte Rosen ziehen,
So halt' sie warm und feucht,
Dann glücket dein Bemühen,
Und sie gedeihen leicht!
Allmälig meine Rose
Ein junges Knöspchen trieb,
Verborgen unterm Moose,
Doch hatte ich's schon lieb.
Und als es aufgegangen,
Da drückte ich's mit Lust
Und sehnlichem Verlangen
An meine Vaterbrust.
Ja weil's der Mutter eben
So sprechend sahe gleich,
Hätt' ich's nicht hergegeben
Für's größte Königreich.
Jetzt war die junge Mutter
Nach überstand'nen Weh'n
Ein köstlich Augenfutter,
Ja unaussprechlich schön!
Erst küßt' die Wonnetröpfchen
Ich von den Wimpern und
Sodann das Engelsköpfchen,
Zuletzt den süßen Mund.
In achtzehnhundert dreißig
War's am Sanct Marcustag,
Daß ich geküßt so fleißig,
Als ich da eben sag'.
Glaubt mir: die Ehestricke,
So dick sie immer sind,
Gewinnen noch an Dicke
Durch ein geliebtes Kind!
Und ist es gar ein Knabe,
So ruft die Mutter gern,
Wie Eva bei der Gabe:
„Ich hab' den Mann, den Herrn!“
Mit hundert und ein Schüssen,
Saß ich auf einem Thron,
Hätt' man begrüßen müssen
Mir meinen ersten Sohn!
Wie hat sie so gewährlich
Ihn an die Brust gelegt,
Und liebend unaufhörlich
Geheget und gepflegt!
Wie lieblich hat's geklungen,
Wenn „Schlaf, Karlchen, schlaf!“
Und weiter sie gesungen:
„Dort droben geh'n die Schaf'!“
Und als die ersten Hosen
Ihr Karlchen hatte an,
Wie ging ihr Herz auf Rosen!
Wie freute sie sich dran!
Und wünschte schon zu wissen,
Wie ihm wohl als Student,
Wenn er einmal in Gießen,
Das Spornentragen ständ'. —
Zwei Jahre hielt ihr Aeffchen
Sie grad so blank und fein,
Als wär's ein junges Gräfchen,
Sie hatt' es noch allein.
Doch als ein Vierteljährchen
Noch weiterhin verfloß,
Hielt sie ein Knabenpärchen
Auf ihrem weichen Schoos.
Weil Karlchen so alleine
Die Zeit zu lange ward,
So kam zu ihm der kleine
Gespiele Eduard.
Der ward von uns empfangen
Am elften im August
Mit herzlichem Verlangen
Und allgemeiner Lust.
(172 ≡)
Betrifft's die eig'nen Kinder,
So sind die Eltern oft
Parteiischer und blinder,
Als man von ihnen hofft.
Doch wer mein Karlchen sahe,
Ein Jeder fand es schön;
Wer Eduard kam nahe,
Der blieb vor Staunen steh'n.
Besitzend solche Kinder
Und solch ein herrlich Weib,
Die alle drei nicht minder
An Seele schön, als Leib, —
Mußt' ich bei diesen Engeln
Nicht in dem Himmel sein? —
Im Glück, das frei von Mängeln,
Konnt' ich noch wünschen? — Nein.
Wo wohnt das Glück von Dauer
Auf unserem Planet?
Hüllt sich's nicht schnell in Trauer,
Wenn es am höchsten steht?
So sollt' ich nach zwei Jahren,
Am Neunten im August
Zum Ersten Mal erfahren
Den schrecklichsten Verlust!
Die Krankheit kam von selber,
Noch weiß ich nicht, woher;
Der Teint ward immer gelber,
Die Glieder wurden schwer.
Sie sprach: „In meinen Beinen
„Liegt eine Centnerlast,
„Drum, Lieber, mach auf meinen
„Abschied dich nun gefaßt!
„Jetzt kommt's, wie ich vor Jahren
„Von meinem Tod gesagt,
„Eh' wir versprochen waren.
„Damals hast du gelacht,
„Und wolltest mir nicht glauben,
„Daß mich der gier'ge Tod
„So bald dir könnte rauben,
„Weil ich so frisch und roth.
„Du hast mich doch gewählet,
„Ich danke dir dafür!
„Es hat mir nichts gefehlet,
„So lang ich war bei dir!
„Und ständ's in meinem Willen,
„O, ich verließ dich nicht!
„Doch muß ich ja erfüllen,
„Was mir das Schicksal spricht.
„Leb' wohl! Kalt sind die Glieder;
„Das Herz schlägt dir noch warm!
„Wir sehn uns droben wieder!!“ —
So starb sie mir im Arm.
Noch einmal mußt' ich küssen
Den frühverklärten Mund,
Um dadurch auch zu schließen
Für jene Welt den Bund.
Ich trug vom Sterbebette
Sie, an mein Herz gedrückt,
Allein zu jener Stätte,
Wo sie noch ward geschmückt.
Da kamen alle Frauen
Und Mädchen aus dem Ort,
Um sie noch anzuschauen,
Eh' man sie trage fort.
„Ach — schluchzten sie — wie schade,
„Daß Die schon soll vergeh'n
„In einer Todtenlade!
„Wie war sie doch so schön!„
Den Tröster jetzt zu trösten,
Bot manche ihm die Hand,
Der neben der Erlösten
Wie eine Leiche stand.
Die Brust war ihm zu enge,
Sein Athem allzu schwer,
Sein Wunsch: das Herz zerspränge
Und schlüge auch nicht mehr.
Dagegen ihr Vermächtniß,
Das mutterlose Paar,
Schrie laut ihm in's Gedächtniß,
Daß er noch nöthig war.
(173 ≡)
Am dritten Tag die Leiche
Der Himmlischen verbarg,
Gemacht von schöner Eiche,
Ein fein polirter Sarg.
Von Silber glänzten Griffe
Am braunen Sarkophag,
Bis in der Erde Tiefe
Er ganz begraben lag.
Schwer stürzten Erdenschollen
Auf ihn zur Gruft hinein,
Ein solches dumpfes Rollen
Drang mir durch Mark und Bein.
Die Stelle: „Der Gerechte
„Ist auch in seinem Tod
„Getrost,“ dem Gottesknechte
Als Leichentext sich bot.
Des Lobes war die Predigt
Des Pfarrers Wolf schon voll,
Doch hat ers nicht erledigt,
Wie mir's im Herzen quoll.
Auch konnt' wie ihr gebührte,
Sie Niemand rühmen ganz,
Da Jeder Tugend Zierde
Sie trug im vollsten Kranz. —
Wer, was ich zu beweinen,
Genauer will versteh'n,
Der kann's genug aus meinen
Vorher'gen Schriften seh'n.
Auch wie der Träume sieben
Den Tod vorhergezeigt,
Ist dort genau beschrieben
Und glaubwürdig bezeugt.
Ich fragt' mit banger Seele:
Was wird mein Loos doch sein?
Und griff die Bibelstelle
Sanct Lucä zehn, Vers neun.
Was hab' ich da vernommen?
Ach! — „Das Reich Gottes ist
„Nahe zu euch gekommen;“ —
Was nimmer mir vergißt.
Die Hoffnung war gewesen
Mein Stab, der war schon schwach.
Und als ich Dies gelesen,
Er unter mir zerbrach.
Würd' heute ich gerichtet
Für alle Ewigkeit,
Mehr wär' ich nicht vernichtet,
Als wie zu jener Zeit!
Doch wozu noch viel Worte
Und Lamentation,
Da man am Ruheorte
Sie hat gesehen schon?
Kein Tag verging, ich habe
In jener Trauerzeit
Geweint an ihrem Grabe,
Und ihr geklagt mein Leid.
Zu Hause meint' ich immer,
Ich müsse sie noch seh'n,
Sie müss' in jedem Zimmer,
In jeder Ecke steh'n.
Und wenn vergebens spähte
Nach ihr mein stierer Blick,
Kehrt' ich, ob's früh, ob's späte,
An ihre Gruft zurück.
Ein Rosenstöckchen setzte
Ich drauf mit leichter Müh',
Mit Thränen ich es netzte
Und dachte nur an sie.
Das Stöckchen ward zum Strauche
Und blühet immerdar,
So lieblich meinem Auge
Schon fünf und zwanzig Jahr.
Warum mußt' diese Rose
So lange Nahrung zieh'n,
Und die im Erdenschoose
In kurzer Zeit verblüh'n?!
An ihrem Namenstage
Auch an der Gruft bereits
Stand nach der Wasserwaage
Ein schwarzes Marmorkreuz.
(174 ≡)
Daß es dem Wandrer trage
Mit goldner Schrift zur Schau
Geburts- und Todestage
Und Namen meiner Frau. —
Auch ihre beiden Knaben,
Zu meinem großen Leid,
Schon längst vollendet haben
Des Lebens Pilgerzeit.
Am ersten starb der kleine,
Geliebte Eduard
Hier an der häut'gen Bräune
Im fünften Jahre zart.
Karl hatte ausstudiret
Zuerst Theologie,
Dann ward er hingeführet
Zu der Oekonomie.
Als eben er der Jahre
War fünf und zwanzig alt,
Trug todt man auf der Bahre
Ihn aus dem nahen Wald.
Bei Londorf war sein Wagen
Mit Holz auf ihn gestürzt,
Der hatte ihn erschlagen,
Sein Leben abgekürzt.
Dort liegt er auch begraben,
Der starke, schöne Mann,
Den wegen seiner Gaben
Ein Jeder lieb gewann.
So habe ich verloren
Die Kinder erster Eh',
Ach, wenn, die sie geboren,
Ich nur noch um mich säh'!
Ich kann mich nicht entwöhnen
Von ihr in Ewigkeit,
Mein Herz noch heut' mit Sehnen
Nach seinem Weibchen schreit!
Du, meine Erste Rose,
Blühst schön im Paradies!
Und komm' ich, fällst zum Loose
Du mir auch dort gewiß! —
Hermannstein, am 15. März 1859.
Christian Spamer.
Noch einige Blätter zu der Ersten Rose


gesammelt 1860 von Christian Spamer.


_____________


Im Jahre 1824.
KATHARINCHEN! Holdes Bäschen!
Auf Dein Glück und Wohlergehn
Trink' ich gern mein volles Gläschen.
Ha, wie bist Du doch so schön! —
Ach, als ich zuletzt Dich sah,
Reizend standst Du vor mir da
In der Anmuth Zauberkleide! —
Nach derselben Augenweide
Christians Herz — es ist von Eisen —
Heftig Dein Magnet will reißen!
Es erglüht schon von Verlangen,
Nächstens an ihm fest zu hangen!



Am 21. Juli 1824.
Allerliebste!
Glücklich und gesund bin ich wiederum zu Haus,
Doch so glücklich, als bisher, sehe ich nicht aus;
Denn die Freuden, die ich fand, als bei Dir ich war,
Sind, das will ich gern gestehn, hier auf Erden rar!
O, wie hatt' ich mich so sehr auf die schöne Zeit,
Die ich neulich bei Dir war, schon voraus gefreut!
Ach, sie war so schnell dahin! Und ich glaub' es kaum,
Denn ich lebe noch in ihr, wie in einem Traum. —
Und wie lieblich ist der Traum! Würd ich nur nicht wach!
Zum Erwachen fühle ich jetzt mich noch zu schwach!
Träumt' ich nur noch Jahre fort, aber gradeso;
O, dann wär' ich stets bei Dir! wäre immer froh!
Schelte mir nun Niemand mehr auf die Träumerei!
Mag sie eitel sein; sie macht selig doch dabei!
Wachend kann ich ja Dich jetzt nicht mit Augen sehn!
Doch im Schlafe seh ich Dich reizend vor mir stehn!
Ach, Du bist ein schönes Kind! machst den Kopf mir warm!
Und seit ich nicht bei Dir bin, ist mein Herz so arm! —
Freilich — könnte ich nach Wunsch immer bei Dir sein,
Könnt' ich dann auf's Wiedersehn mich so herzlich freun? —
Unsre Trennung seh' ich drum als Bedingung an,
Daß die Zukunft desto mehr mich beglücken kann!
Und aus diesem Hoffnungsquell schöpfe ich die Kraft,
Zu bezähmen durch Vernunft meine Leidenschaft!
Unterm Monde sind ja oft Freunde lang getrennt,
Wenn auch einer noch so sehr für den andern brennt.
Beide bindet, obgleich frei, doch ein festes Band,
Und im Wunsche kennen sie keinen Unbestand;
Wenn ein Dritter sie auch gleich weit geschieden meint,
Fühlen sie, sich noch so fern, dennoch sich vereint.
O, Gedächtniß, Phantasie und Einbildungskraft,
Wie viel Trost und Linderung habt ihr schon verschafft
Dem, der die Geliebte schon lange heiß begehrt,
Und ihr dieses doch bisher nie noch hat erklärt! —
Weil er nicht besitzen kann sie im Augenblick,
Hält im Herzen er sein Wort mit Gewalt zurück.
Ach, sie wird — so denkt er — auch meinen Blick verstehn!
Und in diesem kann sie ja meine Seele sehn!
Längst durchdrang ihr Zauberblick schon mein ganzes Herz!
Wie kann ihr verborgen sein meiner Sehnsucht Schmerz?
O, ich sehe es ihr an: sie weiß, was ich will.
Darum schweige ich auch jetzt gänzlich davon still. —
Auf den Schotter Sommermarkt willst Du kommen her!
Ach, wenn dieser liebe Markt doch schon morgen wär!
Süßes Mädchen! halte Wort! denn ich sag' Adieu
In der Hoffnung, daß ich Dich baldigst wiederseh!
Tausend Grüße sende ich an das ganze Haus,
Theile sie, ich bitte Dich, nach Belieben aus!
Doch Wem wird der zärtlichste und der wärmste sein? —
Der ist grade so wie ich, folglich ist er Dein!
Sie


schrieb mir am 30. Mai 1825 in's Stammbuch.


Verwelkt und bleich sinkt sie am Abend nieder,

Die Rose, die uns heut entzückt;
So flieht sie auch und niemals kehrt sie wieder,

Die Jugend, die uns jetzo schmückt.


An
Katinka Dornemann,
am Martinsabend 1828.
1.
Liebstes Käthchen
Spinnst Du Fädchen
Noch wie Drähtchen
Auf dem Rädchen?
Oder bist Du schon im Bettchen
Brauner Flöhe zartes Brätchen?
O, ich wagte gleich das Wettchen,
Daß Du in dem Schlummerlädchen
Eingeschlafen beim Gebetchen,
Denn Du bist ein frommes Mädchen!
2.
Doch — 's schlägt Neun — Du könnt'st noch sticken,
Strümpfe stricken,
Oder flicken,
Und beim Nicken,
Will's nicht's schicken,
Auch die Aeuglein ganz zudrücken!
O, wie sollte mich's entzücken,
Könnte ich Dich nur erblicken,
Wenn mit seinen tausend Tücken
Dich der Sandmann will berücken!
3.
Will er Dich incommodiren
Und vexiren,
Wirst Du ohne langes Zieren
In dein Nestchen retiriren!
Dann wird er die Lust verlieren,
Länger Dich zu chicaniren!
Bilder wird er produciren,
Die im Schlaf Dich amüsiren!
Drum laß Dir das Herzchen rühren,
Will er Dich zu Bette führen!
4.
Und der Traumgott stehet eben
Schon daneben
Mit den zaubervollen Stäben,
Die er über Dich will heben,
Um mit Dir zu jenem Leben
Hinzuschweben,
Welches Schlaf allein und Leben
Menschen geben!
Drum wirst Du auch eifrig streben
Nach den goldnen Traumgeweben!
5.
Himmlisches Vergnügen
Strahlt aus Deinen Zügen!
Denn in Götterwiegen
Wirst Du träumend liegen,
Und als Engel fliegen!
Ach, könnt' ich es fügen,
Daß mich Flügel trügen,
Würd' ich ganz verschwiegen
Mich an's Liebchen schmiegen!
Und Wer würde siegen?
6.
Möcht' zu seinen Füßen
Gern den Quell begrüßen,
Wo man zuckersüßen
Nektar findet fließen
Und Ambrosien sprießen!
O, ich würd' zum Riesen,
Dürft' ich da genießen!
Doch die Götter ließen
Sich nur Nektar gießen.
Und den Quell verschließen!
(178 ≡)
7.

Wenn mit holden Feen
Auf den Himmelshöhen
Träumend Du wirst stehen,
Und der Hahn wird krähen,
Magst Du auf den Zehen
Rasch nur um Dich drehen!
Dann wirst Du mich sehen
Polnisch betteln gehen
Zu dem Gott der Ehen,

Dich mir zu erflehen!


An
Dieselbe.
Mel. des van Beethoven'schen Sehnsuchts-Walzers.
Am 9. Februar 1829.


1.
Tinka! Dich ruft mein Sang,
Der aus der Herzens Drang
Ueber die Lippe bebt,
Die Dich erhebt!
Tinka! tönt das Clavier,
Seufzet und klagt mit mir:
Wärst Du, mein Bräutchen, ha —
Wärst Du doch da!
2.
Jeglicher Augenblick
Mehret mein Mißgeschick,
Zündet nur die Begier
Heißer nach Dir!
Ach, wenn ich von Dir geh',
Thut mir das Herz so weh!
Kann es nicht bei Dir sein,
Leidet es Pein!
3.
Nie schweigt der Trennung Schmerz,
Nie heilt das kranke Herz,
Bis es an Deinem schlägt
Liebebewegt!
Noch aber pocht es bang,
Ihm wird die Zeit zu lang,
Die noch vorüberzieht,
Bis das geschieht!
4.
Kann sich die Seele freun,
Kann sich ihr Glück erneun,
Wenn und so lang ihr fehlt,
Die sie erwählt?
Ach, sie kennt nur Ein Glück,
Das ist der Liebsten Blick!
Der heilte alles Weh',
Wenn ich ihn säh'!
5.
Ach, wenn in süßer Stund',
Hymen! Dein Rosenbund
Bald meinem Trauerspiel
Setzte ein Ziel;
Dann hätt', bei meiner Ehr',
Ich keine Wünsche mehr!
Dann läg' mir weich und warm
Tinka im Arm!
An


Dieselbe,


8 Tage nach unserer Heirath.


1.
Ach, entflogenes Täubchen!
Säh'st Du, herziges Weibchen!
Meinen steigenden Harm;
Hätt'st nur lauliche Triebe
Zu der ehlichen Liebe,
Flögst mir husch in den Arm!
2.
Einsam blas ich zu Hause
Trübsal hier in der Clause,
Krank an Seele und Leib;
Und mit jeglichem Tage
Wird noch härter die Lage —
Fern vom lieblichen Weib!
3.
Such' ich mich auch zu zwingen,
Zum Claviere zu singen;
Sonst wohl machte mich's froh;
Jetzo wird es nur schlimmer,
Jeder Ton ein Gewimmer,
Daß mein Liebchen entfloh!
4.
Sag', wie lang soll es währen,
Daß ich Dich soll entbehren?
Mach' es nur nicht zu kraus!
In dem leidigen Orden,
Wo zum Wittwer ich worden,
Halt ich's lange nicht aus!
5.
Denk', wie Spötter mich quälen,
Wenn sie witzig erzählen:
Du wärst auf und davon!
Weil ich schlecht Dich gehalten,
Wärst Du schon zu den Alten
Von mir wieder entfloh'n!
6.
Drum, mein Herzchen! verweile
Ja nicht lange, und eile
Zum Verlass'nen zurück;
Dem ja Wonne und Leben
Nichts sonst wieder kann geben,
Als Dein zärtlicher Blick!
7.
Oder soll ich vergebens
Nach dem Blicke des Lebens
Schmachten, gleich einem Fisch,
Der, der Welle entnommen,
Nie zu Kräften wird kommen,
Bis ihn jene erfrisch'?
8.
Nein, so grausam ist Hennchen
Nimmer gegen sein Männchen!
Grausam kannst Du nicht sein!
Deßhalb schreibe bei Zeiten:
Wann ich Dich soll begleiten
Wieder nach Hermannstein!
9.
Mach' zur Reise Dich fertig,
Meiner Ankunft gewärtig!
Bleib' mir frisch und gesund!
Bald — das wirst Du schon wissen —
Mußt Du mich tausendmal küssen!
Spitz' einstweilen den Mund!
An


Dieselbe,


am 21. Juli 1829.


1.
Ein Weibchen, allerliebst und jung,
Elf Tage erst vermählt,
Dem Nichts, als an der Ausstattung
Noch ein Geringes fehlt,
Fängt sanft, wie holde Weibchen pflegen,
Zum Männchen also an zu sprechen:
2.
Leb' wohl, mein Lieber! Wandle bald,
Du weißt, wie ich's begehr',
Die Claus zum heitern Aufenthalt,
Eh' ich zurücke kehr'!
Ich will nur meine sieben Sachen
Zu Hause schnell in Ordnung machen!
3.
Sie zu begleiten geht der Mann
Gern eine Strecke mit;
Ihr folgt sein Blick, so lang er kann,
Nach schon getrenntem Schritt,
Und zärtlich neigt er aus der Ferne
Sich noch vor seinem Liebessterne.
4.
Auch sie blickt öfters nach ihm um
Auf thaubeperlter Flur,
Gar freundlich grüßend, aber stumm,
Dann wendet sie die Spur;
Und als sie seinem Blick entschwindet,
Er Thränen in den Augen findet.
5.
So wandle hin, Du reizend Kind!
Gott stärke Deinen Fuß!
Und mich, daß ich es überwind',
Bis mich der nächste Kuß,
So bald Du wieder kehrst zurücke,
Für die Entbehrung hoch beglücke!
6.
So spricht der Mann, und ruft herbei
Drei Tüncher auf der Stell',
Daß bald das Haus erneuert sei,
Und er sein Liebchen schnell,
Nach dem er brennet vor Verlangen,
In schönern Zimmern mög' empfangen.
7.
Er treibt die Handwerksleute an,
Und ärgert sich nur stets,
Daß er nicht flink sie machen kann;
Allein wie's geht, so geht's:
Sie regen langsam nur die Hände,
Als wollten nimmer sie an's Ende.
8.
Und geht er in Geschäften fort
Ins nahe Preußenland,
So sind sie an demselben Ort,
An welchem er sie fand,
Eh' er von ihnen mußte scheiden.
Man denke sich des Mannes Leiden!
9.
So plagt er sich — wer weiß, wie lang
Noch — mit den Leuten 'rum;
Es macht ihm ihre Trägheit bang,
Und er gäb' Vieles drum,
Wenn sie nur einmal fertig wären,
Und aus dem Hause sich verlören.
10.
Und obendrein noch weiß er nicht,
Wie's um sein Weibchen steht;
Ob Freude strahlt sein Angesicht;
Ob es ihm übel geht;
Elf Tage ist's schon ausgeblieben,
Und hat ihm noch kein Wort geschrieben!
(181 ≡)
11.
Er fragt sich: Ob's zu Hause ist?
Ob irrend es verdarb?
Ob es wohl einen Andern küßt?
Ob's unter Mördern starb?
Ob je es werde wieder kommen?
Ob's keinen andern Mann genommen ?
12.
Ach, Weibchen! könntest Du ihn seh'n,
Dir blutete das Herz;
Denn länger kann nicht übersteh'n
Er noch der Trennung Schmerz;
Sein Puls geht immer leiser, lahmer;
Bald stirbt Dein armer Christian Spamer!


Wiegenlied.
Mel.: Guter Mond ec.
1.
Lieber Karl, ich soll Dich wiegen,
Bis der Schlummer Dich berückt!
Bleibe darum ruhig liegen!
Schweige hübsch und sei geschickt!
Niemand soll uns jetzo stören,
Denn die Ruhe ist Dir gut,
Sie wird Deine Kräfte mehren;
Dann erwachst Du wohlgemuth!
2.
Höre zu! Ich will Dir singen
Sanft, wie Deine Mutter sang,
Als sie ihre Zauberschlingen
Hingelegt zu meinem Fang.
Ja, ich will es Dir erzählen,
Wie sie mich in Schlaf gebracht!
Und will Dir auch nicht verhehlen,
Daß ich nie daraus erwacht!
3.
Ach, so weich ist keine Wiege,
Als ihr schöner, runder Arm!
Und sobald ich drinnen liege,
Wird es mir so wohl und warm,
Daß mir Hören gleich und Sehen
Vor unendlich großer Lust,
Eh ich's merke, ganz vergehen,
Und — ich schlaf' an ihrer Brust!
4.
Ihre schöngeformten Glieder,
Ihre reizende Gestalt,
Ihre Augen, auf und nieder,
Haben magische Gewalt!
Alles ist an ihr ein Wunder,
Wie sie gehet, lächelt, spricht;
Und mein Herz fängt schnell wie Zunder,
Blickt sie mir ins Angesicht!
5.
Doch Du schläfst ja, Herzensbübchen!
Und wie sprechend gleichst Du ihr!
Diese Züge von dem Liebchen
Machen Dich so theuer mir!
Bald, mein Kind, erwachst Du wieder,
Und dann soll mein Erstes sein,
Dir zu singen neue Lieder
Von dem süßen Mütterlein!


An meines Käthchens Grabe.
Käthchen! Käthchen! Ewige Geliebte!
Ach, Du hörst es nicht in tiefer Gruft,
Wie so kläglich zitternd meine Stimme
Deinen süßen, süßen Namen ruft!
Meine Zähre an dem heil'gen Hügel,
Der die Reste Deines Leichnams deckt,
Meine Klage um die Frühentschlafne
Ist kein Mittel, das sie auferweckt!
Einsam steh' ich, ohne Dich, verlassen!
Diese Welt hat nun kein Käthchen mehr!
Alles, Alles ist mit Dir verändert!
Diese Thäler sind nun freudenleer!
(182 ≡)
Ach, wenn ich der goldnen Zeit gedenke,
Wo ich noch durch Dich so glücklich war;
Wo beseligt mir durch Deine Nähe
Jede Stunde neue Lust gebar;
Wo Du lächelnd mir entgegen schwebtest
In so lieblich reizender Gestalt;
Wo wir herzend dann uns fest umschlangen
Mit der treusten Liebe Allgewalt;
Wo Dein Arm auf meinem Nacken spielte,
Und ich Dir in Aug und Seele sah; —
O, was fehlte damals meinen Wünschen!
O, wie überglücklich war ich da!! —
Aber jetzt — ach — moderst Du im Grabe,
Der Verwesung und der Würmer Raub!
Deine anmuthsvolle Geisteshülle
Ist im Kurzen eine Handvoll Staub! —
Eine Handvoll Staub hätt' ich verloren?
Weiter nichts? und sollte trostlos sein?
Konnte Staub aus Deinem Auge sprechen:
O, Geliebter! ewig bin ich Dein?
Nein, die Königin des schönsten Leibes,
Deine Engelseele hat's erklärt!
Sie gab auch den körperlichen Formen
Ihren Zauber, ihren höchsten Werth!
Nur Dein Pilgerkleid, getreue Seele,
Die Du Dich mit meiner hast vermählt!
Nur Dein ird'scher Schleier blieb der Erde;
Du hast nicht Dein Vaterland verfehlt!
Aufgeschwungen über Zeit und Räume,
Umgekleidet in das Lichtgewand,
Blicktest Du mit seligsten Gefühlen,
Abschied nehmend, auf das Prüfungsland!
Eingegangen zu des Herren Freude,
Angelangt an seinem Himmelsthron,
Strahlst Du, Ueberwinderin des Todes,
Gleich der Sonne mit der Lebenskron!
Daß ich so Dich einmal wiedersähe
In der heil'gen Engel Schwesterchor!
Und mein Herz an Dir sich weiden könnte
Liebend und geliebt, als wie zuvor!! —
Harre aus in Sehnsucht, mein Gemüthe!
Dieses Auge schaut das Ew'ge nicht;
Doch es kommt die Stunde der Verklärung
Und verwandelt Finsterniß in Licht!
Glaube, hoffe, dulde reines Herzens,
Bis der Sanduhr letztes Korn verrinnt!
Dann wirst Du die Reine wiederschauen!
„Selig sind, die reines Herzens sind.“
Rein warst Du im Namen, Glauben, Herzen,
In den Worten, in der Liebe rein!
Und wenn ich auf Erden treu Dir folge,
Bist Du auch im Himmel wieder mein!
Am Altare gabst Du mir die Rechte,
Um für Dieses Leben mein zu sein!
Auf dem Sterbebette war's das Siegel
Für der Seelen Ewigen Verein! —
Würdig bist Du mir vorangegangen,
Und ich folge Dir gewißlich nach!
Ueberwunden hast Du meine Zweifel,
Und mein Glaube wird nicht wieder schwach! —
O, beneidenswerthe, treue Schwester,
Die Du der Verklärten nachgeeilt!
Sage ihr, daß ihr gebeugter Gatte
Ungern nur auf Erden noch verweilt!
Sage ihr, daß ihr geliebtes Karlchen
Schon die Wünsche seines Vaters theilt!
Und daß keine Zukunft vor dem Tode
Der Zurückgelass'nen Wunde heilt!
Sag' ihr, daß der kleine, treue Schmeichler,
Der die Hand ihr küßte an dem Bett,
Seine Mutter wieder holen wollte
Von der leer geword'nen Lagerstätt —
Eduard verlor mit seiner Mütter
Vater, Bruder, Tante, Vaterhaus;
Lebt verwaist als Fremdling in der Ferne,
Und der Kleine macht sich nichts daraus? —
O, er ist in guten Pflegehänden!
Kleidung, Speise, Trank wird ihm gereicht;
Was verlangt er mehr in diesem Alter,
Wenn die läst'ge Krankheit von ihm weicht? —
Sei beruhigt, mütterlicher Schatten!
Deine Kinder leiden keine Noth;
Und die Trübsal, die noch ihrer wartet,
Bleibt zurück im letzten Abendroth!
Lichtgeborne! ist es Dir vergönnet,
Zu besuchen dieses nied're Thal;
Unsichtbar vielleicht Dich noch zu nahen
Diesem Schauplatz flücht'ger Lust und Qual;
O, so laß mich Deine Nähe fühlen!
Hauche mich mit Deinem Athem an!
Und geleite mich und uns're Kinder
Hin zu Dir auf gottgeweihter Bahn!
(183 ≡)
Im Clausengärtchen.
Nimmer, Gärtchen, hab' ich dich so verwildert gesehen!
Nie noch botest du mir solch ein trauriges Bild!
Hier auf dem Kiesweg schreitet der Fuß über wucherndes Flechtgras,
Kaum sind noch von dem Sand einige Spuren zu schau'n;
Da ersticken im Unkraut die Ländchen sammt den Rabatten,
Nur mit Mühe gewahrt man noch das edle Gepflänz;
Dort ist der Rosenstrauch vom schützenden Pfahle gerissen,
Hingesunken in Staub — mir ein ergreifend Symbol!
So riß mir von der Seite der Sturm die herrlichste Rose! —
Hinsank sie in den Staub! — Einsam stehet der Pfahl! —
Da die Laube, worin so oft wir Kaffee getrunken, —
Die zum Schirme sich wölbt gegen den glühenden Strahl,
Leer ist sie, und wie könnt' allein ich drinnen verweilen,
Seit die Erinnerung mich aus ihrer Nähe verbannt? —
Hier die Beete, die Sie nach der Schnur mit dem zierlichen Füßchen
Abtrat: Wer sieht noch Accuratesse daran?
Da die Blumen und dort die mancherlei Küchengewächse —
Wie bedürften sie doch Ihrer pflegenden Hand!
Neben Aurikeln prangt die hochgewachsene Nessel,
Und die Raupe verzehrt ruhig den herrlichen Kohl. —
Georgine! du hast die schönen, goldenen Kronen
Hingelegt in den Staub; fühlst du Ihren Verlust?
Aber ihr, Levcojen! geschmückt mit dem Kleide der Hoffnung,
Scheinet mir lustig und froh; und ihr waret es doch,
Die Sie mir anempfahl, schon hingeworfen auf’s Lager,
Nicht zu vergessen und oft wohl zu begießen mit Fleiß! —
Undankbares Gezüchte! Auf Ihr Wort einzig gedeiht ihr;
Denn ich hätte euch sonst nimmer mit Wasser erquickt!
Doch — Sie hatte euch lieb; drum will ich nimmer euch hassen,
Hättet ihr mich auch noch mehr, als es geschehen, gekränkt!
Aber indem ich euch oft mit labendem Tranke erfrischte,
War ich nimmer im Stand, Ihr zu löschen den Durst!
Und indem ihr euch hobet empor zu sonnigen Lüften,
Sank Sie leider hinab in stockfinstere Gruft! —
Kinder des Gartens, Sie hat auch euch mit Liebe gepfleget!
Trauert alle mit mir! klaget: Sie kommt nicht mehr!


Aufblick zu den Sternen.
Grenzenlose Räume seh' ich offen!
Tausend Sonnen strahlen Gottes Glanz!
Sehnen dränget, Ahnen mich und Hoffen,
Aufzufliegen zu dem Sphärentanz!
Diese Welten predigen mir Glauben,
Den das Hirn der Menschen nicht erdacht,
Den mir ihr Zweifel nimmer rauben:
Daß der Himmel auch für mich gemacht!
Welcher aber ist's von jenen Sternen,
Den als neue Heimath ich begrüß'?
Und wo finde ich in solchen Fernen,
Die auf diesem Sterne mich verließ?
(184 ≡)
Welcher strahlt der Liebe stärkste Flammen? —
Welcher blickt am freundlichsten mich an? —
Wo, ach, wo komm' ich mit Ihr zusammen?
Und wer zeigt mir schnell die frohe Bahn?
O, daß ich den Wagen dort bestiege,
Der von Mitternacht nach Abend fährt!
Daß er mich durch alle Himmel trüge,
Bis der Wünsche letzter mir gewährt!
O, wie sollten seine Rosse eilen!
Funken sprühen seine Axe aus!
Nirgend wollt' ich rasten, nirgend weilen,
Bis an meines lieben Käthchens Haus! —


Mein Veilchen.
Kürzlich blühte noch so schön,
Wunderhold mein Veilchen;
Mit Entzücken sah ich's steh'n,
Aber — nur ein Weilchen.
Aus der Heimath fernem Thal
Pflanzt' ich mir's in Garten,
Um das Blümchen meiner Wahl
Zärtlich hier zu warten.
Täglich konnte ich's nun sehn,
Und sah's immer lieber;
Nichts — ich will es gern gestehn —
Nichts ging mir darüber.
Herzlich konnte ich mich freun
Nur in seiner Nähe;
Konnte ich nicht bei ihm sein,
That das Herz mir wehe.
Anmuth und Bescheidenheit
Mußten ihm gewinnen,
Wie sein Duft und blaues Kleid,
Herz mit allen Sinnen.
Ruhte es an meiner Brust —
Dieses Wohlbehagen,
Diese sel'ge Himmelslust
Kann ich Niemand sagen.
Junge Veilchen sah ich zwei
Sanft daran sich schmiegen,
Und es machte mir dabei
Immer mehr Vergnügen.
Noch dacht' ich der Freuden viel
An ihm zu genießen,
Als ihm schnell ein andres Ziel
Wurde angewiesen.
Ach, es war des Schöpfers Hand,
Die es nicht verletzte,
Sondern in ein bessres Land
Nur von hier versetzte!
Schweige, ungestümes Herz!
Stille deine Klagen!
Auge, blicke himmelwärts!
Dort bei ihm wird's tagen!
Prächtiger an Gottes Thron
Wirst Du, Veilchen prangen,
Als Du hier auf Erden schon
Hattest angefangen!
Aus den Augen bist Du hier
Freilich mir genommen!
Aus dem Herzen wirst Du mir
Nimmer, nimmer kommen!
Mein bist Du! einst ewig mein
In den Himmels Räumen!
Bis zu jenem Seligsein
Will ich von Dir träumen!
Eilend meine Zeit verstreicht;
Eh Du Dich's versiehest,
Habe ich den Ort erreicht,
Wo Du jetzo blühest!
Räthst Du, Leser, wie es hieß? —
Nur die Anfangszeichen
Dieser funfzehn Verse lies,
Die dem Namen gleichen!
Bei


Erblickung eines von fremder Hand auf Käthchens Grab gepflanzten
Rosen- und Lilienstöckchens.


Quale rosae fulgent inter sua lilia mistae!
Ovid.
Seid gegrüßet mir auf diesem Schmerzenshügel,
Seid willkommen, Wer euch auch gepflanzt,
Liebes Rosenstöckchen hier und Lilienstöckchen!
Wer euch pflanzte, hat es gut gemeint.
Sorgsam ausgewählt seid ihr und schön beschnitten,
Zierlich angebunden, eingesenkt!
Gott verleihe nun von oben das Gedeihen,
Daß ihr wurzelt auf dem heil'gen Grab!
Wachset, blühet, düftet, wehet Wohlgerüche
Mir entgegen an dem Wallfahrtsort,
Wenn ich künftighin mit Thränen ihn besuche
Um die Theure, die verwesen soll!
Bringet hier alljährlich euer Todtenopfer,
Wo der Geist der Wehmuth nie entschläft!
Statt des Weihrauchs streuet eure Blätter nieder,
Wenn im Schmerz mir das Gebet erstickt!
Rosen, Lilien, o, wie schön auf Ihren Wangen
Blühtet ihr in traulichem Verein!
Wenn ihr aber in der Seele eines Weibes
Und zugleich auf seinen Wangen blüht,
Dann erst ist das Weib vollkommen schön zu nennen;
Und ein solches schläft in dieser Gruft!
Edle, was an Leib' und Seel' Du trugst im Leben,
Trägst Du nicht im Tode unverdient!
Ach, ein schlechter Trost für mich! er wird zur Klage;
Oel in's Schmerzensfeuer gießt er nur!
Pflegen will ich zwar der Freundin Trauerzeichen,
Daß sie schmücken Dir das letzte Bett;
Doch, wird dieses auch der schönste Blumenhügel,
Ach, es ist und bleibt ja stets Dein Grab! —


Gespräche verklärter Freunde.
Käthchen.
(Erwachend aus dem Todesschlummer.)
Ah — wie ist mir so wohl! Die Krankheit hat mich verlassen!
Ich bin völlig gesund! Weg ist der brennende Durst!
Niemals fühlte ich mich so frei von jeglichem Schmerze!
Welch' ein zaub'rischer Schlaf hat mich dem Tode entrückt!
Vorhin meinte ich noch, es sei mir nicht mehr zu helfen;
Und verwandelt bin ich plötzlich, wie neugebor'n!
Doch — wie komm' ich mir vor? Ist's Traum nur, oder ist's Wahrheit?
Liege ich nicht mehr zu Bett'? Aber wo bin ich denn nur?
Alles so still um mich her! Ich athme den leichtesten Aether!
Pfeilschnell schwebe ich hin! Nirgends haftet der Fuß!
Sanfter als Zephyrhauch schwimm' ich im unendlichen Raume!
Aufwärts geht es darin, und kein Körpergewicht
Wehrt mir die herrliche Fahrt zu immer noch höheren Sphären!
Nichts auch zieht mich hinab! Bin ich denn außer dem Leib? —
Wahrlich, es ist nur ein Schein, was mich als Körper bekleidet!
Nicht aus Fleisch und Gebein sind diese Glieder geformt,
Nein, noch feiner als Luft ist diese beschauliche Hülle,
Zwar der vorigen gleich, aber von anderem Stoff!
(186 ≡)
Nunmehr sehe ich wohl, daß ich von der Erde geschieden,
Aus der Liebenden Kreis, welche mein Lager umstehn.
Reichlich fließen gewiß um mich der Verlassenen Zähren,
Und ich kann nicht hinab, schnell sie mit Trost zu erfreu'n;
Denn wie die Feder den Grund des Flusses nimmer erreichet;
Wie das lichte Gewölk' nimmer zur Erde sich senkt;
Also bemühte ich mich vergebens, wollte ich sinken,
Da ich leichter als Luft tauche zum Lichte hinauf.
Aber was sehe ich dort, dem Regenbogen vergleichbar?
Und was zieht mich dahin? welche magnetische Kraft?
Sicher ist es das Thor zum Hause des himmlischen Vaters!
Auf denn, eile, mein Geist, schöneren Wohnungen zu!
Lieblicher weht es mich an, je näher der Pforte ich komme;
Das ist der Seligen Luft, welche entgegen mir strömt!
Siehe, auch eine Gestalt in herrlich strahlendem Kleide
An dem Eingange steht! Winkt sie mir nicht mit der Hand?
Und was hält ihre Linke empor? wie glänzt es von weitem!
Horch, sie ruft mir, und weiß auch meinen Namen sogar! —
Ihr Großvater.
(Eine Krone ihr entgegen haltend.)
Komme, Gesegnete, her! Ich wollte zuerst Dich begrüßen!
Diese Krone hat Dir unser Erlöser gesandt!
Er gebot mir, damit die Enkelin gleich zu beehren!
(Indem er ihr die Krone aufsetzt.)
So — — nun habe ich Dich, habe mich selber gekrönt!
Oft schon hielte ich Dir die nämliche Krone vor Augen!
Ehmals freilich geschah's, daß Du nur rängest darnach!
Heil Dir, daß Du es thatst im Lande des kindlichen Glaubens!
Selig schauest Du hier, weil Du auf Erden geglaubt! —
Käthchen.
Was für Töne sind das! Wie klingt so bekannt mir die Stimme,
Welche als Kind mich berief, heilige Wege zu gehn!
Großvater! o, ich weiß, Du bist's, wenn auch die Verklärung,
Welche Dich jetzo umstrahlt, mir noch verblendet das Aug'!
Ihr Großvater.
Doch sobald Du gelangst durch diese erhabene Pforte,
Wirst Du im eigenen Glanz ohne Verblendung mich seh'n!
Komme deßwegen nur mit, zum Himmel, vollendete Tochter,
Daß ich Dich führe sogleich selig den Seligen zu!
(Während sie Hand in Hand in den Vorhof der Seligen hinüberschweben.)
Käthchen.
Welch' eine Himmelsmusik, welch' wonnig verschmelzende Töne
Rühren mein trunkenes Ohr! Ist das der Engel Gesang?
Ihr Großvater.
Ja, sie haben sich längst gesehnt nach Deiner Gesellschaft;
Drum bereiten sie Dir jetzo auch diesen Empfang!
Käthchen.
O, hier ist's gut sein! Hier möchte ich ewig verweilen,
Im harmonischen Strom unterzutauchen mit Lust!
Ihr Großvater.
Möchtest Du aber nicht auch die freundlichen Sänger beschauen?
Siehe, da kommen schon zwei, die Du auch früher gekannt!
Käthchens Neffen, Karl und Theodor.
Sei willkommen uns hier in des Himmels Wonnegefilden,
Liebste Tante! Wie bald bist Du uns beiden gefolgt!
Aber Du zürnest doch nicht auf den gütigen Engel des Todes,
Weil er Dich frühe, wie uns, zur Vollendung geführt?
Käthchen.
Vormals klagte ich mit, als Ihr von der Erde verschwandet!
Doppelt freu' ich mich nun unseres sel'gen Vereins!
Lasset uns Hand in Hand des Himmels Wunder beschauen!
Hallelujah erschall bis zu dem Throne des Herrn!
Alle.
(Indem sie weiter schweben.)
Heilig und herrlich allein ist Gott der Vater des Lichtes!
Seligkeit findet allein, Wer ihn im Geiste verehrt!
Käthchens Schwester.
(Die Vorigen im Fluge einholend.)
Heilig und herrlich allein ist Gott, der Vater des Lichtes!
Seligkeit findet allein, Wer ihn im Geiste verehrt!
Alle.
Lasset uns loben den Herrn mit wonnebebenden Lippen!
O, wie hat er es doch wohl mit uns Allen gemacht!
Freunde, preiset ihn laut! Die Liebe soll ewig verbinden!
Rühmet ihn, Zebaoth! Danket, Aeonen, dem Herrn!
Treu ist er, und erfüllt, was er den Menschen verheißet:
Ewiges Wiedersehn, Meer des Entzückens darin!!!
(190 ≡)
Die Zweite Rose.
Die Rosen welken nieder
In jedes Jahres Lauf,
Und and're blühen wieder
Im nächsten Sommer auf,
Und öffnen ihre Kelche
Dir zwei zu gleicher Zeit,
So weißt du oft nicht, welche
Am meisten dich erfreut.
Drum kannst du nicht entscheiden,
Wenn du nur eine holst,
Welch' du von ihnen beiden
Zuerst dir pflücken sollst.
Du siehst die eine prangen,
Und bleibst bezaubert stehn,
Und siehest mit Verlangen
Die and're grad' so schön.
Willst du dir diese fassen,
Die dir so lieblich lacht,
So mußt du jene lassen,
Mit aller ihrer Pracht.
So war mir einst als Freier
Entscheidung meiner Wahl
Bei zwei, die mir gleich theuer,
Lang eine Herzensqual.
Wär' eine nicht gewesen,
So hätte ich mir bald
Die and're auserlesen,
Denn keine ließ mich kalt.
Doch sprach der Blick von beiden
Zu mir so wohlgemuth:
Ich kann dich wirklich leiden,
Und bin dir herzlich gut!
Und was mich noch daneben
An jeder hat erfreut:
Sie haben nichts vergeben
Der feinen Weiblichkeit.
Weil nun in unsern Gauen
Man noch bis heute glaubt,
Zu nehmen sich zwei Frauen,
Sei Niemanden erlaubt;
So nahm ich endlich jene,
Die ich zuerst gekannt,
Und die schon die Kamöne
Im vor'gen Lied genannt.
Ihr hatte ohn' Erbitten
Der Parce schnelle Scheer'
Den Faden abgeschnitten
Ein Jahr und länger her;
Da blühte noch zum Ruhme
Des Thals, das sie genährt,
Dieselbe Venusblume,
Die mir die Wahl erschwert.
Die alte Liebe rostet
Nach einem Sprichwort nicht,
Und hat auch mich entfrostet
Durch warmes Sonnenlicht.
Kaum hätt' ich vor acht Jährchen
Ein Mädchen hier geseh'n,
So glaubte ich das Märchen:
„Sie ist gefährlich schön!
„Heut' heißt's: das Herz bewachen
„Und legen an ein Band;
„Sonst stiehlt sie es mit Lachen,
„Und trägt es außer Land.“
So ward ich wohl gewarnet,
Bevor das Mädchen kam;
Doch war ich schon umgarnet,
Eh' es noch Abschied nahm.
Ich hab' fast nichts gesprochen;
Sie wenig angeseh'n,
Und hört' es in mir pochen,
Als ich sie sahe geh'n.
Nur einen Blick zu wagen
In's große, dunkle Aug,
Konnt' ich mir nicht versagen,
Und — Puff! — da hatt' ich's auch.
Die Grazien spielten alle
Ihr schalkhaft um den Mund,
Und lockten in die Falle
Mich in der ersten Stund'.
Wie strömte Geist und Laune
Aus ihrem Rosenmund!
Nichts brach sie von dem Zaune;
Ein Wort wog auch ein Pfund.
Und wie hieß dieses Mädchen,
Das mir so mitgespielt,
Und lange meinem Käthchen
Bei mir die Wage hielt?
Ihr Name „Wilhelmine“
War mir schon lange werth,
Doch seit Sie mir erschiene,
Hab' ich ihn erst verehrt.
Aßlarer Minchen“ nannte
Sie Jeder rings umher,
Als ob im Ortsverbande
Kein and'res Minchen wär'.
Ihr Vater Bürgermeister
War damals in dem Ort;
Längst in dem Reich der Geister,
Ehrt man noch heut sein Wort.
„Emmelius“ war sein Name,
„Von Schnellenberg“ zwar auch;
Doch dieser letzt're kame
Schon lange außer Brauch.
Die Mutter Philippine,
Geborne Remy, war.
Der beiden Aeltern Miene
Stellt treu' ihr Bildniß dar.
Auch Minchens Bildniß gleichet
So ziemlich überall,
Doch nicht das Wasser reichet
Es dem Original!
Weil sie in jenen Stunden,
Wo sie dem Maler saß,
Sich gar nicht wohl befunden,
Ward auch ihr Bild so blaß.
Die stattliche Brünette
Von mittlerer Statur
Glich niemals der Kokette,
'S war eine Kraftnatur.
Die Lilienstirn umzogen
Vom schön' lichtbraunen Haar'
Und unter vollen Bogen
Ein Sonnenaugenpaar.
Ein Dutzend Amoretten
Trieb drinnen lustig Spiel,
Und jeder konnte wetten,
Er treffe stets sein Ziel.
Die Nase grad' und zierlich
Wies nach dem frischen Mund,
Da quoll der Witz natürlich,
Der Jugendscherz gesund.
Bei Oeffnung dieser Quelle
Erglänzt' in vollen Reih'n
Hinter der Rosenschwelle
Der Zähne Elfenbein.
So oft sie wollte necken,
Zuckt' froher Uebermuth
In ihres Mundes Ecken;
Das stand ihr gar zu gut!
Die Alabasterwangen,
Mit Schamroth sanft durchglüht,
Entzündeten Verlangen,
In sterbendem Geblüt.
(191 ≡)
Eros, das lose Bübchen,
Erwählte, lachte sie,
Der Wangen Schelmengrübchen
Zum bleibenden Logis.
Das runde Kinn entzückte
Am reizenden Oval,
Und wenn sie's niederdrückte,
Sah man es noch einmal.
Die Oehrchen schlüpften beide
Aus Scham, daß sie so klein,
Geschwind auf jeder Seite
Zum Haare ganz hinein.
An beiden Schläfen hingen
Der Locken drei herab,
Das waren Amors Schlingen,
Und meiner Freiheit[13] Grab.
Sie schnürte ihre Taille
Nicht à la Wespe dünn,
Drum blieb sie in Bataille
Auch immer Siegerin.
Von aller Reize Fülle,
Dem Gatten nur geweiht,
Schweig' ich auch mäuschenstille,
Die deckt' ein züchtig Kleid.
In schöner Frauen Kreise,
Bewegte sie sich d'rin,
Sagt' ich mir immer leise:
„Sie ist die Königin!“
Wie, wenn die Sonn' sich zeigte,
Der Sterne Glanz vergeht,
So der der Frau'n erbleichte
Vor ihrer Majestät.
Als meine erste Sonne
Vollendet ihren Lauf,
Ging diese mir mit Wonne
Am Horizonte auf.
Zwar war sie erst versprochen,
Ganz gegen Passion,
Ich weiß nicht, wie viel Wochen,
Mit einem Herren von......
Man hatt' von allen Seiten
Ihr wacker zugesetzt;
Gesagt: „Du wirst schon leiden
Ihn können noch zuletzt!“
Allein sie mußt' entdecken,
Daß täglich ihr Degout
Sich steigerte zum Schrecken,
Und Abscheu kam dazu.
Da fing sie an zu weinen
Die schönen Augen roth,
Und sah' sie ihn erscheinen,
So stieß sie an der Tod.
Drum sagt' sie ohn' Verschieben
Und ohne Heuchelei
Ihm, daß ihn je zu lieben,
Ihr ganz unmöglich sei.
Zu ihrer beider Glücke
Gäb' drum sein Wort sie ihm
Und bäte ihr's zurücke
Mit schuldiger Estime.
Da fiel das Band vom Herzen,
Das es so hart gepreßt;
Von allen ihren Schmerzen
War plötzlich sie erlöst.
Der Freude Purpur malte
Die Wangen wunderhold;
Das freie Auge strahlte
Das reinste Sonnengold.
Hast du die junge Rose
Im Morgenthau geseh'n?
So sah' die Bräut'gamslose
Ich jetzo vor mir steh'n.
War's da denn wohl ein Wunder,
Daß, als ich näher ging,
Mein Wittwerherzenszunder
Auf's Neue Feuer fing? —
Ach, sicher wär' mir Armen
Das Herz im Leib' verkohlt,
Hätt' sie nicht voll Erbarmen,
Brandsalbe drauf geholt.
(192 ≡)
Mit Blicken hatt' ich freilich
Schon bei ihr angefragt;
Rückblicke hatten heilig
Mir auch schon zugesagt.
Nun wollt' nicht länger gehen
Ich um den heißen Brei,
Der Anbiß sollt' geschehen,
Brennt' ich mich auch dabei.
Ich goß des Herzens Flammen
In Eile auf Papier,
Schlug dieses rasch zusammen,
Und bracht's nach Gießen ihr.
Auf ihrer Schwester Zimmer
Sah' sie mich freundlich an,
Wie sie nun freilich immer,
So lang ich weiß, gethan.
„Ein Briefchen bring' ich heute,
„„An Sie““ ist's adressirt!
„Von wem?“ fragt sie mit Freude.
„Von mir.“ Sie nahm's verwirrt.
Das kleine Briefchen hielte
Stark zitternd ihre Hand,
Weil sie im Herzen fühlte,
Was drin geschrieben stand.
„Ich kehr' nach wenig Stunden,
„Erwartungsvoll zurück;
„O, hätt' ich dann gefunden
„Mein heiß ersehntes Glück!
„Und wenn dem also wäre,
„So bitt' ich im Voraus
„Recht dringend um die Ehre,
„Zu fahren Sie nach Haus!
„Mein Schicksal will befehlen
„Ich jetzt in Ihre Hand;
„Mag sie nur mir nicht fehlen!“
So sprach ich und verschwand.
Als wieder ich erschienen,
Bot sie das Händchen mir:
„Ich fahre heut mit Ihnen,
„Und meine Freundin hier!“
Die Fräulein Zinser stellte
Die Ehrendame vor,
Bis froh das Hündchen bellte
Zu Aßlar an dem Thor.
Als ich zu Aller Freude
Die Damen heim gebracht,
Empfahl ich mich für heute,
Und wünschte „gute Nacht“.
'S war Anno fünfunddreißig
Der neunte Monat und
Der neunte Tag, das weiß ich,
Der krönte unsern Bund.
Das angeführte Datum
Steht noch im goldnen Ring,
Den ich als ein Probatum
Der Treu' von ihr empfing.
Ich hab' nicht viel geschlafen
In jenes Tages Nacht,
Denn noch war in den Hafen
Mein Schiffchen nicht gebracht.
Zugleich hatt' ich gebeten
Die Aeltern um ihr Wort,
Und Minchen, zu vertreten
Als Advokat mich dort.
Schon in der nächsten Frühe
Theilt' sie mir schriftlich mit,
Daß sie ohn' alle Mühe
Den Sieg für mich erstritt.
Ich möcht' nicht lange bleiben;
Der Handel sei zu End';
Drum sie in diesem Schreiben
Sich schon die Meine nennt.
Im Briefchen zwar benannte
Sie mich noch höflich „Sie“;
Doch als ich zu ihr rannte,
Gab sie sich nicht die Müh.
Als sie mich kaum erblickte,
Hieß sie sogleich mich „Du“,
Und gab mir, daß es schickte,
Den Ersten Kuß dazu.
(193 ≡)
Weil es nun Alle hörten,
Daß sie zuerst gedutzt,
Sie's auch von mir begehrten,
Und darauf ward gestutzt.
Ich mußt ihr zwar vergelten,
Was sie gethan mir eh'r;
Doch muß ich ehrlich melden:
Das Dutzen fiel mir schwer;
Und zwar aus welchem Grunde?
Aus grimmigem Respekt.
Damit hat manche Stunde
Sie später mich geneckt!
Den Weg nach Aßlar kannte
Ich schon acht Jahre lang;
Jetzt außer Samstags rannte
Tagtäglich ich den Gang.
Ob's Wetter schön, ob's häßlich,
Ob's Tag war oder Nacht,
Es wurde unabläßlich
Der Weg zur Braut gemacht.
So ging's den Herbst und Winter,
Vier Monat und fünf Tag,
Nur hinzu ging's geschwinder,
Und herzu ließ es nach.
Mein Bräutchen war kein Wesen,
Das stets beleckt will sein
Und nimmer kann genesen
Von sehnsuchtschwerer Pein.
Zwar hätt' zu keiner Stunde
Sie mir den Kuß verwehrt,
Hätt' ich an ihrem Munde
Zu schwelgen nur begehrt.
Laß nicht den Löwen lecken,
Dacht' ich, ihr süßes Blut;
Es möcht' zu köstlich schmecken,
Dann thät' er nicht mehr gut.
Und meine Liebe geizte
Nach der Berührung nicht,
Zu überschwänglich reizte
Mich ja ihr Angesicht.
Sah in den Augen leiden
Ich sie mein Doppelbild,
So hätte fast ein Neiden
Darüber mich erfüllt.
Mein Eduard, ein Knäbchen
Von etwa vierthalb Jahr,
Droht' mit dem Herrscherstäbchen
Der Liebsten mir sogar.
Einst hatt' ich unvorsichtig
Ins Kleid gebrannt ein Loch,
Da rief der Kleine wichtig:
„Das sag' ich Minchen doch!“
Vor Lachen fast vergehend
Sprach ich: „Sagst du's, mein Sohn,
„So werf ich mich gleich flehend
„Vor ihren Gnadenthron!“
Der Schelm wußt' doch zu sagen,
Wenn ich etwas verbrach,
Bei wem ich zu verklagen,
Und wer mein Urtheil sprach.
All' meinen Anverwandten,
Die sämmtlich sie zuvor
Dem Namen nach nur kannten,
Stellt' ich als Braut sie vor.
Von Fräulein Sturm, der zweiten,
Die es recht wohl noch weiß,
Ließ sie sich gern begleiten
Auf dieser weiten Reis'.
„Du hast nichts Schlechts gewählet,
„Und bist fürwahr kein Thor,
„Denn deine Braut gefället
„Zugleich dem Aug' und Ohr!
„Sie muß dich gleich entzücken
„Durch Körper wie durch Geist;
„Und schwer ist auszudrücken
„Was man am Schönsten heißt!“
So sprachen die Verwandten,
Als sie sie kaum geseh'n;
Und Alle, Alle fanden,
Ich könnt' mit ihr besteh'n.
(194 ≡)
„Die ist kein Dämchen Piprig,
„Wie's wohl so viele giebt,
„Läßt nichts zu wünschen übrig;
„Bin selbst in sie verliebt.
„Der thu' ja nichts zu Leide!
„Daß du ihr wohl gefällst,
„Zu groß ist meine Freude;
„Wenn du sie nur behältst? —
„Mit der möcht' ich auch leben,
„Bis an mein selig End';
„Die hat dir Gott gegeben,
„Daß er die Wund' verbänd',
„Die er dir erst geschlagen
„Durch Katharinchens Tod.
„Nun darfst du nicht mehr klagen,
„Nun hat es keine Noth!“
So sprach zu mir alleine
Die Mutter, als ich schied,
Und die sprach nicht zum Scheine,
So klang's aus dem Gemüth.
„Seit nicht ganz vierzehn Tagen
„Bin ich nun wieder Braut,
„'Ne glückliche, kann sagen
„Ich Ihnen ganz vertraut.
„'Ne Leschische Geschichte —
„Traun Sie mit Zuversicht
„Dem, was ich hier berichte —
„Gibt es für diesmal nicht.“
So schrieb an ihre Tante
Das liebe Bräutchen mein,
Und wie's im Briefchen stande,
So steht's noch heute d'rein.
Die andern Brautvisiten,
Bei ihren Freunden hier
Und dort, will ich euch bitten,
Erlaßt zu schreiben mir!
Nachdem, was mein ich nannte,
War inventarisirt;
Sie aus dem Landsverbande
Sich hatte retirirt;
Nachdem ich die Papiere
Zum ehlichen Verband,
Daß ich ja keins verliere,
Fest hatte in der Hand;
So gab's der Gründe viele,
Daß ich auch unverweilt
Zum vorgesteckten Ziele
Mit meinem Minchen eilt'.
Mein liebes Herzensblättchen
War Neunundzwanzig alt,
Da heirathet ein Mädchen,
Dacht' ich, doch gerne bald.
Und meine beiden Knaben,
Die wollten auch partout
Bald eine Mutter haben,
Und ließen keine Ruh'.
Und „daß der Mensch alleine
Sei“, heißt die Schrift „nicht gut.“
Wenn ich mich nicht vermeine,
Fühlt man das auch im Blut?
Die Eva ward geschaffen,
Weil sie nothwendig war;
Gewiß nicht für die Affen,
Das sieht ein Blinder klar.
Sie rief, wenn Adam nießte:
„Prosit, mein lieber Schatz!“
Und wenn sie dann ihn küßte,
Gab er ihr einen Schmatz.
Es ward im Paradiese
Die Echo drüber wach.
Und spottete die Küsse
Lautschmatzend ihnen nach.
Die Protoplasten lachten
Die neid'sche Echo aus,
Und, sie zu ärgern, machten
Sie nun es erst recht kraus.
Wenn Adam einmal Runzeln
Auf seiner Stirne hatt',
Fing Evchen an zu schmunzeln
Gleich war die Stirne glatt.
(195 ≡)
Da ich mich schon fünf Jährchen
In Eden umgeseh'n,
So wußte ich auf’s Härchen,
Wie's da pflegt herzugeh'n.
Und weil mir dort gefallen
Der oberwähnte Spaß,
So nahm nach Edens Hallen
Ich einen neuen Paß.
Im Bahnhof stieg behende
Ich in den Schnellzug ein,
Da mußt' ich bald am Ende
Der Hochzeitreise sein.
Des Jahres sechsunddreißig
Vierzehnter Januar,
So kalt er auch und eisig
Im Allgemeinen war,
Goß mir zur Hochzeitsteuer
In's aufgeregte Blut
Ein lodernd Freudenfeuer
Und Hymens Fackelgluth.
Herr Pfarrer Niedermayer
Hat freundlich uns getraut
Bei froher Hochzeitfeier
Im Hause meiner Braut.
Von meiner Seit' mein Vater,
Dann meine Brüder beid'
Und erster Schwiegervater,
Die waren Hochzeitleut'.
Von hier erschienen Meyers
An unserm Ehrenfest,
Von Aßlar Niedermayers
Als eingelad'ne Gäst'.
Die Tischgesellschaft lachte
Fidel bei Speis' und Trank,
Und wer es konnte, machte
Auch seinen lust'gen Schwank.
Da Allen es behagte,
Ward Keiner langweilkrank
Bis Jeder endlich sagte
Verbindlich seinen Dank.
Als mich mein Weibchen fragte,
Ob's nicht dableiben könnt',
Bis daß es wieder tagte,
Macht' ich mein Compliment:
„Da soll ich Solo spielen?
„Und hab' die Beste nicht?
„Willst Du denn gar nicht fühlen
„Die funkelneue Pflicht?“
„Nur bis zum nächsten Morgen,
„Mein Lieber, laß mich hier!
„Dann will ich Dir gehorchen,
„Mein Leben lang dafür!“
Sie sprach's, und saft'ge Küsse
Verstopften mir den Mund,
Und schmeckten mir so süße,
Daß ich's ihr zugestund.
Nun kehrten Väter, Brüder
Und Gäste im Verein
Mich neckend mit mir wieder
Vergnügt nach Hermannstein.
Am andern Morgen fehlte
Mir was in meiner Claus,
Da holt' die Neuvermählte
Geschwind ich mir in's Haus.
Doch ach! die Abschiedsstunde
Ward ihr unsäglich schwer,
Und schlug der Trennung Wunde
Ihr tiefer immer mehr.
An treuer Aeltern Herzen
Lag sie so wehmuthsvoll,
Ein Strom von bitt'ren Schmerzen
Aus Kindesaugen quoll.
Wie edel hat betrübet
Sie Dankgefühl beim Gehn!
Hätt' ich noch nicht geliebet,
So wär' es jetzt geschehn.
Kaum eine halbe Stunde
Zog sie vom Vaterhaus,
Allein aus dessen Bunde
Schied sie als Mitglied aus.
(196 ≡)
Ich wollte mit ihr fahren
Zur neuen Heimath ein:
„Ei, Gott soll mich bewahren,
„Ich hab' gesunde Bein'!“
„Wer's Glück hat,“ geht die Sage,
„Der führt die Braut nach Haus;“
Doch Ich an jenem Tage
Sah überglücklich aus.
Ein junger, stolzer König,
Der siegreich triumphirt,
War gegen mir noch wenig,
Als ich sie heimgeführt.
Ich war an allen Orten —
Man ist ja nicht von Holz —
So lang sie mir geworden,
Auf ihre Liebe stolz.
Und diesen Stolz — den lege
Ich heute noch nicht ab,
Und wie bis heute hege
Ich ihn auch bis ins Grab.
Wie konnte er erkühlen
In meiner Mittagszeit,
Als täglich er von Vielen
Genähret ward mit Neid?
Gleich ausgezeichnet waren
Bei ihr ja Leib und Seel',
Und Herz und Kopf im Klaren,
Griff keins von beiden fehl.
Sah ich in ihren Blicken
Mich ihrer Wünsche Ziel —
O, 's ist nicht auszudrücken,
Dieß Seligkeitsgefühl!
Wie lange nun zur Asche
Sie schon gekehrt zurück,
Noch in Gedanken nasche
Ich oft von jenem Glück.
So oft ich hab' erwogen
Des Ehstand's Spanneraum,
Im Rausch war er durchflogen; —
Es war ein schöner Traum!
Ach, meine Thränen fließen,
Indem ich dieses schreib';
Und daraus dürft ihr schließen:
Ich hatt' ein göttlich Weib!
Im Garten, wo sie herrlich
Sich Einmal setzte hin,
Da siehst du nun alljährlich
Die Ros' mit Pensée blühn!
Es heißet dieses Plätzchen
Schon längst nach meinem Gout,
Weil da geruht mein Schätzchen:
„Die Wilhelminenruh.“
Im Clausengarten steigen
Die Lilien als ein W
Und ihres Namens Zeichen
Süßduftend in die Höh'.
Auf ihrem Grabe streuet
Ein Federnelken-W
Geruch, daß man sich freuet,
Um hoher Lilien Schnee.
Auch Rosen und Violen
Und and're Blumen mehr
Erblühn da unverhohlen
Zu ihres Namens Ehr'.
Da kannst du auch noch lesen
Auf ihrem Leichenstein,
Wer und wie alt gewesen
Die Zweite Rose mein.
Auch auf des Hofs Rondele
Siehst deutlich du genug,
Daß wiederum nicht fehle
Ihr theurer Namenszug.
Ich kann ihn nicht nur blühend
In schönen Blumen seh'n,
Ich seh' auch oft ihn glühend
In goldnen Sternen steh'n.
Seh ich am Himmel glänzen
So schön Cassiope
In hoher Sterne Tänzen
Gleich einem goldnen W;
(197 ≡)
Dann mir es immer schiene,
Als hab' aus dessen Pracht
Mir meine Wilhelmine
Recht freundlich zugelacht!
So freundlich, als sie sagte
Mir weiland im Vertrau'n,
Daß sie sich Hoffnung machte,
Wie and're junge Frau'n.
Ich küßt' die Freudenkunde
Mit väterlicher Lust
Ihr weg vom süßen Munde,
Und zog sie an die Brust.
„Du kannst nicht lieber werden
„Mir, als du mir schon bist,
„Und käm' durch dich auf Erden
„Der Heiland Jesus Christ!
„Doch sollt' in einer Bitte
„Ich außer dir was fleh'n,
„Möcht' ich in uns'rer Mitte
„Dein Bild im Kleinen seh'n!“
Kein Tag ging uns vorüber,
Wir pflückten uns im Geh'n,
Ich ihr Je-länger-je-lieber,
Und sie mir Tausendschön.
Die Wochen waren stunden-,
Quartale tagelang,
Da Nektar aus dem Spunden
In hohen Bogen sprang.
O, wer sich laben könnte
An diesem Götterwein,
Bis er sich eingestände,
Nicht durstig mehr zu sein!
Wer still das Zeitrad halten
Könnt', wenn's zu eilend geht!
Wer's lassen könnt' beim Alten,
Wenn es sein Wunsch erfleht!
Und Wonnetage machen,
Zu einer Ewigkeit!
Und seines Engels Lachen
Festhalten in der Zeit!
Ja nur ein Einzig Leben
Aufhalten in dem Raum,
Um Wirklichkeit zu geben
Der Seele liebstem Traum!!
Doch ach! wer sich muß sagen:
Du hast es nicht gekonnt,
Der muß sein Bündel tragen
Wie jener Mann im Mond.
Sein Bündel ist geschmiedet
An seinen Rücken an,
Daß er, wie er auch wüthet,
Es nicht abwerfen kann.
Und solche Last zu tragen,
Das ist mein schweres Amt;
Da hilft kein Flehn und Klagen,
Ich bin dazu verdammt.
Als über Centnerschwere
Ich in den Armen hielt,
Da habe ich, auf Ehre,
Gar keine Last gefühlt!
Nun, da ich ledig gehe,
Trag' ich die schwerste Last.
Versteh' es, wer's verstehe,
Und fass' es, wer es faßt.
Daraus erkenn' ich eben
Und zieh' den sichern Schluß,
Daß Jeder hier im Leben
Sein Bündel tragen muß;
Hätt' ich's, ich trüg's auf Rosen,
Mein theures Bündelein;
Es sollte sich nicht stoßen
Den Fuß an einen Stein!
Hätt' ich nur Orpheus Leier
Und seiner Stimme Ton,
Ich wanderte noch heuer
Hinab zu Pluto's Thron,
Und schaute nicht zurücke
Eh'r nach Eurydice,
Als ich der Sonne Blicke
Die Welt erleuchten säh'!
(198 ≡)
Längst meine Feder zögert,
Zu schildern ihren Tod;
Noch immer sie sich wegert,
Ob ich's ihr gleich gebot.
Da sie bis zur Entbindung
Gesund gewesen war,
So fehlte mir Empfindung
Der nahenden Gefahr.
Der Doctor Behrens machte
Bei ihr den Accoucheur,
Und ich im Stillen dachte,
Daß Alles richtig wär'.
Ich hörte, daß das Kindchen
Ein hübsches Mädchen sei,
Und meinte schon, das Stündchen
Sei glücklich nun vorbei.
Doch ach, zu meinem Schrecken,
War gleich die Mutter krank;
Und bald mußt' ich entdecken,
Dem Arzt gebühr' kein Dank!
Zwei and're Aerzte brachten
Die Boten noch herbei,
Allein, allein was machten
Sie denn nun alle drei?
Sie machten mir mein Weibchen
Nicht wiederum gesund,
Und ach, es selbst, mein Täubchen
That seinen Tod mir kund!
„O, traue nicht den Aerzten,
„Noch meiner Wangen Roth;
„Sie spielen die Beherzten,
„Ich fühle meinen Tod!“ —
Ich selbst und Schwester Linchen,
Wir blieben um sie her;
Denn beide „unser Minchen“
Wir liebten gar zu sehr.
Wir wollten Hoffnung machen,
Sie wies sie fest zurück,
Und fing dann an zu sagen,
Mit halbverklärtem Blick:
„Ich will jetzt Abschied nehmen,
„Von euch, da ich's noch kann!
„Du magst nicht zu viel grämen
„Dich mein'thalb, lieber Mann!
„Könnt' ich's, wie gerne bliebe
„Ich noch recht lange hier;
„Denn grenzenlose Liebe —
„Du weißt's — hab' ich zu dir!
„Und glaub', du bist zufrieden
„Gewesen auch mit mir? —
„Bin ich von euch geschieden,
„So sorget beide ihr,
„Das weiß ich, für mein Kindchen;
„Und das erleichtert sehr
„Mir jetzt mein letztes Stündchen,
„Das sonst noch schwerer wär'!
„Es mag nach Aßlar kommen,
„Da wird es gern gehegt
„Mit Liebe aufgenommen,
„Und mütterlich verpflegt!
„Noch weiß es nicht zu schätzen,
„Was es an mir verliert;
„Mög' es euch mich ersetzen,
„Wenn es erst größer wird!
„Nun haltet hübsch zusammen,
„Wie jetzt, so immerfort!
„Das sei in Gottes Namen
„An Euch mein letztes Wort!“
So ganz in Engelklarheit,
So überirdisch schön
Hatt' ich sie doch in Wahrheit
Mein Leben nicht geseh'n!!
Wir stöhnten um die Wette
In bangem Trennungsschmerz
An ihrem Sterbebette;
Fast brach auch uns das Herz.
Noch hielt ich fest in Händen
Der Hoffnung täuschend Licht,
Und sprach: „Ach, wie wird's enden?
Sieh', was die Bibel spricht!“
(199 ≡)
Ich griff dieselbe Stelle,
Die ich bei Käthchen fand,
Und die mit Blitzesschnelle
Ich nur zu gut verstand.
Ihr könnet nach Belieben
Sie selber sehen ein,
Ihr findet sie geschrieben
Sanct Lucä zehn, Vers neun!
Was wollt ihr dazu sagen,
Daß jetzt ich ganz genau
Die Stelle aufgeschlagen,
Wie bei der ersten Frau??
Geduldig vierzehn Tage
Und dreiundzwanzig Stund
Trug sie der Krankheit Plage,
Dann — schwieg ihr blasser Mund.
Denn im zweitletzten Monde
An dem fünftletzten Tag
War's, daß sie auf der Sponde
Als junge Mutter lag,
Und an dem elften Tage
Im nächsten Monatslauf —
Daß ich's genau euch sage —
Lag sie als Leiche drauf.
Erschöpft durch Gram und Wachen
An ihrer Lagerstätt'
Fiel, als die Kräfte brachen,
Ich um auf's nächste Bett.
Bald rief in größten Wehen
Mir Lina wieder zu:
„Noch Einmal will sie sehen
„Dich, eh' sie geh' zur Ruh!“
Sie konnte nicht mehr lallen,
Als sie mich jetzt empfing,
Ihr Aug' mit Wohlgefallen
Nur noch an meinem hing.
Wie auch der Anblick quäle,
Mein Auge ihn noch hält,
Als ihre freie Seele
Schon war in jener Welt.
„O, könnte Ich erkalten
„In diesem Augenblick
„Für sie, und euch erhalten
„Der Liebe reinstes Glück!
„Ach, daß nicht hat erhöret
„Der Herr dies heiße Flehn!
„Daß er ein Glück zerstöret,
„Wie ich noch keins geseh'n!“
Das war der Schwester Klage
Als still der Athem stand;
Mir fehlte alle Sprache
Für das, was ich empfand.
Wer wägt des Vaters Leiden,
Deß Augapfel sie war,
Da die auch schien zu scheiden,
Die sie ihm einst gebar?
Am Vierzehnten des Letzten
Sank in die Gruft ihr Sarg,
Den an den Ort wir setzten,
Der schon mein Käthchen barg.
Ihr Alter dreißig Jahre
Und achthalb Monde war,
Die Zeit vom Traualtare
Elf Monde auf ein Haar.
Der Pfarrer Reinhard hielte
Die Leichenrede ihr,
Und lobte, wie er's fühlte,
Durchaus sie nach Gebühr.
Er taufte auch ihr Kleines
Noch an dem nächsten Tag,
Wobei indessen Keines
Ein heit'res Wörtchen sprach.
Als wir nun daran kamen,
Wie das Kind heißen sollt',
Die Großmutter den Namen
Der Mutter gar nicht wollt'.
„Wird dieser Nam' verliehen
„Dem Kind, zwar ah'n ich's blos,“
Sprach sie, „allein dann ziehen
„Wir dieses Kind nicht groß!“
(200 ≡)
„Nein, Minchen muß es heißen,
„Das, thu' ich anders nicht;
„Ich kann nicht von mir weisen
„Des Herzens heil'ge Pflicht!
„Könnt' von der Mutter geben,
„Wie ihren Namen leicht,
„Ich Alles ihm im Leben,
„Dann wär' sein Ziel erreicht!“
So sprach ich, und sie gaben
Mir endlich Alle nach,
Weil sie gesehen haben,
Wie viel mir daran lag.
Nun auch mein kleines Minchen
Zu Aller Freud' gedieh,
Denn Großmutter und Linchen
Versorgten's spat und früh.
Die Nahrung, die die Amme
Gesund dem Kinde bot,
Facht' an des Lebens Flamme,
Und malt' die Wangen roth.
Doch war mir's zum Erdrücken
Und schmerzlich zum Vergeh'n,
Sah ich in seinen Blicken
Die Mutter vor mir steh'n!
Die liebe, junge Seele
Ahnt' freilich solches nicht,
Daß selbst den Vater quäle
Ihr freundlich Angesicht.
Der Mutter Tod ward eben
So wenig sie gewahr,
Da sie im kurzen Leben
Des Hauses Abgott war.
Um so viel bitt'rer haben,
Gar oft mit mir vereint,
Die beiden älter'n Knaben
Der Mutter Tod beweint.
Sie wußten schon zu schätzen,
Was uns der Tod geraubt,
Und daß es zu ersetzen,
Von uns nicht Einer glaubt'.
Zum Grabe trug ich täglich
Den übergroßen Schmerz,
Doch Einmal ganz unsäglich
Zerpreßt' er mir das Herz,
Als zwängten's Eisenzangen
Von allen Seiten ein;
Der Athem war vergangen;
Das Aug' verlor den Schein. —
„O, theuerste Verklärte,
„Die du mein Glück erschufst,
„Hab' Dank, daß von der Erde
„Du schnell mich zu dir rufst!“
So dacht' ich, weil ich meinte,
Daß jener Augenblick
Mit Minchen mich vereinte
Zu ew'gem Liebesglück.
Nach einigen Secunden
War dieser Krampf vorbei,
Die Lähmung war verschwunden,
Der Athem wieder frei.
„Ach, kann ich denn nicht scheiden,“
Rief ich, „aus dieser Welt,
„Die doch nun keine Freuden,
„Kein Minchen mehr enthält!“ —
Was hilft mit Gott der Hader —
Fiel mir dann wieder ein.
Muß deiner Kinder Vater
Nicht noch bei ihnen sein?
„Hör't, meine Himmelsbräute:
„Hier bleib ich fernerhin,
„Daß ich zu eu'rer Freude
„Die Kinder kann erzieh'n!“
Mit diesem freien Eide
Schied ich vom heil'gen Grab;
Der Ort, wo ruhten Beide,
Ihm höh're Weihe gab.
Doch meine jünger'n Kinder
Verließen diese Welt
Auch beide, viel geschwinder,
Als ich mir vorgestellt.
(201 ≡)
Am vierten Juli sieben
Und dreißig raubte schon
Die Bräune mir den lieben
Und guten jüngsten Sohn,
Und achtzehn Tage später
Nahm sie auch ohne Ruh'
Dem traurigsten der Väter
Die Tochter noch dazu.
Die Kinder schlummern beide
Am vielgeweihten Ort
An ihrer Mütter Seite,
Vereinigt hier und dort.
Die Namen sind gehauen
In Einen Marmorstein,
Zwei Kinder und zwei Frauen
Besitzen ihn gemein.
Die Namen beider Frauen
Erblüh'n in K und W,
Der Kinder ihre schauen
Wirst du in M und E.
In Aßlar rief die Kleine
Der Todesengel ab,
Doch kamen die Gebeine
Nach Hermannstein in's Grab.
Acht Monde und vier Tage
War ihre Lebenszeit,
Da wandelte in Klage
Sich uns're kurze Freud'.
In zweiunddreißig Wochen
Hatt' nun des Todes Hand
Drei Herzen mir gebrochen,
Die ich die liebsten nannt'! —
Da war die Ahnung beider
Großmütter ganz erfüllt,
Daß von den Dreien leider
Ich Keines lang behielt.
Weil Eduards Denkvermögen
Sein Alter überbot,
So schlossen sie deßwegen
Auf seinen frühen Tod.
Und gegen mein Verhoffen
War bald zu meinem Leid
Auch wirklich eingetroffen,
Was sie ihm prophezeit.
So weh mir auch das Scheiden
Der lieben Kinder that,
Erstieg der Schmerz bei beiden
Doch nicht den höchsten Grad.
Was mir auch mocht' geschehen,
Das Leid in meiner Brust
Konnt' auch kein Tod erhöhen
Nach meiner Frau Verlust.
Wer härter ward geschlagen,
Kann den geringern Schlag
Gleichgiltiger ertragen,
Wenn er ihn trifft hernach!
Sind alle Herzensfalten
Von Schmerz genommen ein,
So dringt zu diesem alten
Kein neuer mehr hinein!
Wie war es jetzt so öde
Und leer in Haus und Feld!
Wie war mir doch so schnöde
Die vorher schöne Welt!
Was half des Himmels Lächeln,
Der Sonne heit'res Licht,
Der Lüfte sanftes Fächeln; —
Ich sah und fühlt' es nicht.
Die Sterne an dem Himmel,
Der Vögel Jubelchor,
Der Menschen bunt Gewimmel,
Der Blumen Farbenflor,
Nichts stellte mich zufrieden
Auf Gottes weiter Erd';
Als Minchen war geschieden,
War Alles nichts mehr werth.
Ein brennend Heimweh fühlte
Ich nach der einz'gen Frau,
Und dieses Brennen kühlte
Mir nichts im Schöpfungsbau.
(202 ≡)
Im Schlafe und im Wachen
Sah ich ihr theures Bild
Mir hold entgegen lachen,
So wonnig, engelmild!
„Ach komm' in meine Nähe,
„Du heißgeliebtes Weib,
„Daß ich dich wiedersehe
„Mit Seele und mit Leib!“
So rief ich oft im Stillen,
Doch freilich nun zu spat;
Sie konnte nicht erfüllen,
Was ich so innig bat.
Den abgeschied'nen Seelen
Muß die Gelegenheit
Zur Rückkehr gänzlich fehlen,
Sonst hätt' sie mich erfreut.
Ein Lichtglanz zwar umschwebte
Mein Bett um Mitternacht,
Wenn ich, die nicht mehr lebte,
Recht lebend mir gedacht;
Dann fing ich an zu meinen,
Sie werde auf der Stell'
Jetzt in Person erscheinen,
Und setzte auf mich schnell,
Um gleich sie zu umfangen,
Wie die Gestalt auch sei;
Doch nie ward mein Verlangen
Befriediget dabei.
Der Flimmer, den ich schaute,
Lag im erhitzten Blick;
Die heißersehnte Traute
Kam nie zu mir zurück.
O, käm' noch heut die Rare
In voriger Gestalt!
Heut' grade wär' der Jahre
Sie dreiundfünfzig alt!
Möcht' sie auch älter scheinen,
Als da sie mich verließ;
Vor Freude würd' ich weinen
Im neuen Paradies!
Ach, diese Wünsche bleiben
Bei mir im vollsten Lauf,
Doch hör' ich, sie zu schreiben,
Hier endlich einmal auf!
Vielleicht will's Manchem scheinen,
Dieß Lied sei viel zu groß;
So lang könn' Niemand weinen
Um seine Zweite Ros'.
Doch Leser dieses Glichters,
Die sahen nimmer blüh'n
Die Rose unsers Dichters,
Sonst hätten sie's verzieh'n,
Sie in Erinn'rung bringen,
Ist meine Seligkeit;
D'rum möcht ich von ihr singen
Bis an das End' der Zeit!
Wie wird sie herrlich prangen
In jenen Himmelshöh'n!
Wie werden mit Verlangen
Die Engel nach ihr seh'n!
Die würde ich beneiden,
Wenn ich nicht sicher wüßt',
Daß Engel nimmer streiten,
Und droben Niemand küßt.
Drum harr' ich ohne Eifer,
Bis einst in jenen Höh'n
Ich selbst zum Himmel reifer
Sie werde wiederseh'n.
Leb' wohl in jenen Räumen,
Du Herzenslust und Weh!
Und laß mich von Dir träumen,
Bis ich Dich wiederseh'! —


Hermannstein am 26. April 1859.
Christian Spamer.
Noch einige Blätter zu der Zweiten Rose

gesammelt 1860 von Christian Spamer.


An

Fräulein Minchen Emmelius,

am 4. November 1835.

Bitte um gut Wetter.
O Himmel, nur Heute kein trübes Gesicht!
Sonst trocknet die Aßlarer Wäsche ja nicht;
Und wenn sie nicht trocknete, bliebe sie naß;
Das wäre mir doch ein verteufelter Spaß.
Ich weiß, wie die Leutchen dann denken und
sagen; —
Und solchen Verdacht könnt' ich nimmer ertragen.
Drum, Himmelchen, thue mirs Heute zu Lieb,
Und werde bei Leib und bei Leben nicht trüb!
Lieb Sonnchen! so höre auch du mich nun an.
Ich habe dir nie was zu Leide gethan;
Drum schlag' mir die einzige Bitte nicht ab;
Blick' Heute nur immer recht freundlich herab!
Kommt Schlaf dir ins Auge, so magst du es
reiben,
Und so dir für Heute das Nicken vertreiben!
Auch weißt du, es stehet den Damen nicht fein,
So schläfrig, verdrossen und finster zu sein!
Ihr Wolken da droben am Himmelsgezelt!
Thut meinethalb sonst, was euch immer gefällt;
Nur haltet für Heute die Thränen zurück,
Und wären sie gleich auch wie Fäuste so dick!
Auch gehet der Sonne recht artig aus Wege,
Damit sie der schmachtenden Hemdchen hübsch
pflege!
Ja wird euch das Herz auch wie Centner so schwer,
So weint es — ich bitte — doch morgen erst leer!
Ihr Winde! verjaget die wolkige Brut;
Macht heiter die Lüfte und trocken und gut;
Doch stürmet dabei nicht so heulend einher,
Als tobte das wilde und wüthende Heer!
Nein, wenn ihr die wehenden Tücher hübsch fächelt.
Und Liebchen darüber sich freuet und lächelt,
Dann lobt uns zusammen — ich schwör' es zur
Stund' —
Noch Heute zum Danke der süßeste Mund!


Am 26. April 1836.
Was mich an Deinem Wiegenfest
Mein Herz allein nur wünschen läßt,
Wirst Du, mein Weibchen! vorn und hinten
In folgenden sechs Strophen finden:
Minchen! an dem Jahrestag vernimM:
Jahre flogen dreißig Dir vorbeJ;
Nun und nimmer werden sie Dich reu'N.
CHristo folgen ist kein eitler WunsCH;
Er war immer einer Deiner WünschE;
Nie verlaß er Dich in Deinem LebeN!
(204 ≡)
Minchens Abschied,


am 12. December 1836.


Ich verlasse dich nun bald, mein Lieber! —
Doch wir seh'n uns wieder — und darüber
Steht mein Christenglaube felsenfest —
Nicht wie Solche, die sich nur begegnen,
Flüchtig grüßen und dann wieder segnen;
Nein, wir feiern dort ein ew'ges Fest! —
Liebes Minchen! o gewiß, wir lieben,
So wie hier, auch einst uns wieder drüben,
Wo kein Tod die Herzen jemals trennt.
Doch, ich bitte Dich, denk' nicht ans Scheiden!
Das geschiehet erst in spätern Zeiten,
Deine Wallfahrt ist noch nicht zu End'!
Mit Verklärungsglanze übergossen,
Von erhab'ner Seelenruh' umflossen,
Sprach ihr Auge, Mund und Angesicht:
Täusche dich nicht selbst! Ich weiß es besser.
Baue nicht der Zukunft luft'ge Schlösser!
Meines Bleibens ist hier länger nicht.
Möchten, die ich kränkte, mir vergeben!
Denn mit Vorsatz habe ich im Leben,
Meines Wissens, Niemand je gekränkt.
Meine Aeltern halte stets in Ehren!
Laß sich eure Freundschaft täglich mehren;
Denn durch mich sind sie auch dir geschenkt!
Deine Kinder suchte ich zu ziehen,
Und mein freund- und ernstliches Bemühen
Blieb ja auch nicht gänzlich unbelohnt!
Deine Aeltern willst du von mir grüßen!
Sie ins liebevolle Herz zu schließen,
War ich nun in süßer Pflicht gewohnt.
Unser Kind möcht' ich in Aßlar wissen!
Wenn sie es auch dort verpflegen müssen,
Weiß ich doch, sie thun es gern und recht.
Und du kannst es da auch täglich sehen!
Würdest doch nach Aßlar fleißig gehen!
Es gefiel dir dort ja niemals schlecht!
Deinen Haushalt hab' ich treu bewahret!
Wenn auch Großes ich noch nicht ersparet,
Bist du ja zufrieden doch mit mir!
Vierzehn Gulden und zwei Kronenthaler
Hab' ich ausgelegt für dich, als Zahler
Mancher Kleinigkeit; das merke dir!
Dieses Sümmchen möchte ich erhalten
Meinem Kind! Du wirst es ihm verwalten!
Schulden Hab ich meines Wissens nicht.
Sollten aber einige erwachen,
Wirst du Alles gerne richtig machen,
Wie es fordert Billigkeit und Pflicht!
Carolinchen magst zum Angedenken
Du nun meine gold'ne Kette schenken,
Die ich einst als Braut von dir empfing!
Jettchen aber willst du selber sagen,
Daß es mir zu Ehren möge tragen
Den mit Diamant besetzten Ring!
Alle meine Freunde laß' ich grüßen!
Meine Aeltern werden mich vermissen! —
Mögen sie nicht allzu traurig sein!
Denn ich war ja doch nicht mehr bei ihnen,
Und sobald ihr Todestag erschienen,
Seh'n wir uns in seligem Verein!


Du, mein Lieber — suche dich zu fassen!
Und ertrage meinen Tod gelassen!
O, mein ganzes Glück fand ich in dir! —
Habe meines Gottes selbst vergessen
Oefters über dir; so ungemessen
Wurdest du bisher geliebt von mir! —
(205 ≡)
Vor Minchens Bild,

am 17. Februar 1837.


Königin und Göttin meines Herzens!
Das Du ganz besessen, ganz entzückt;
Hochverehrte, Hochverklärte Gattin!
Meinem Auge, meinem Arm entrückt,
Brennend ist die Zähre, die Dir fließet,
Deiner Hoheit Schmerzensfeier mir!
Doch was ist der Erde Lust und Freude
Meiner treuen Seele gegen ihr? —
Himmlische! ach, ach — so schnell entschwunden
Aus der schönen Welt, die Du mir schufst!
Tausend Dank sei Dir für die Erinnrung,
Die zurück Du mir im Bilde rufst!
Konnte ihm der Maler auch nicht geben,
Was Dein Gott, Dein Geist und Herz Dir gab,
Lieb' ich doch die Aehnlichkeiten alle,
Die ich im Gemälde vor mir hab'!
Schwach, nur schwach hat zwar des Fremden Pinsel
Hingezeichnet, was an Dich mich band;
Doch der Liebe Phantasie vollendet,
Was unmöglich war des Künstlers Hand!
Deine Mienen, Deine Blicke waren,
Als Du sie dem Maler zugewandt,
Auch bei weitem nicht so schön und reizend,
Als wenn Dein Geliebter vor Dir stand!
Wie ich einst in diesen Wunderaugen
Meine Seligkeit, mein Schicksal las;
Wie, von ihrem Zauberstrahl getroffen,
Ich der Welt und meiner selbst vergaß;
Wie sie mich im höchsten Himmel wiegten,
Und ich Götterlust aus ihnen sog;
Wie sie Rosenketten um mich schmiegten,
Und mich ihre Kraft magnetisch zog;
O, so haben sie auch selbst im Bilde
Ihre Kraft an mir noch nicht verbraucht!
Immer leuchten sie der Liebe Segen,
Aus der reinsten Seele aufgetaucht!
Immer bringen sie mir das Vergang'ne,
Die genoss'ne Wonne neu zurück!
Immer bürgen sie mir für die Zukunft,
Und für das gehoffte Himmelsglück!
Schwör' ich Dir für jenes bess're Leben
Engelliebe, Engeltreue zu;
O, dann lächelst Du mir stillen Frieden,
Und das Herz, das arme Herz hat Ruh'! —
Ruhe? — ach, wie könnte ich sie finden,
Ehe ich des Wunsches Ziel erreicht?
Ist es Ruhe, wenn der Sturm der Sehnsucht
Einen Augenblick im Herzen schweigt? —
Mit Dir lebte ich schon hier im Himmel!
Ohne Dich kann er mir dort nicht sein!
Doch Du hast ihn mit hinauf genommen,
Und Du bist auch droben wieder mein!
O, Du hast es mir ja fest versprochen!
Und ich zweifle nicht an diesem Glück;
Denn wie Gottes Wort vertrau' ich Deinem,
Und sein Siegel war Dein letzter Blick!
Minchen! Minchen! Ewige Geliebte!
Möcht' ich droben Deiner würdig sein!
Besser warst Du ja auch schon hienieden,
Als Dein Treuer; dennoch warst Du sein!
Wirst es bleiben, wirst ihn nicht verschmähen;
Nein, Du machst ihm nimmer solche Pein!
Und er wird dereinst an Deiner Seite
Auch im bessern Leben besser sein!
(206 ≡)
(207 ≡)
Die Letzte Rose.
Noch Eine Ros' besinge
Ich hier der Wahrheit treu;
Denn aller guten Dinge
Sind ja bekanntlich drei.
Zwei Rosen lehrten kennen
Mein erst- und zweites Lied;
Nun soll auch dieses nennen
Die mir zuletzt geblüht.
Sie war von meinem Minchen
Die jüngste Schwester, und
Ihr Name Carolinchen
Floß sanft aus meinem Mund,
Sobald ich sie nur sahe;
Nicht bloß, weil Minchen sie
Als Schwester stand so nahe,
Nein, auch aus Sympathie.
So Manches war vorhanden,
Daß meine Augen bald
An ihr Gefallen fanden,
Eh' sie zwölf Jahre alt.
Denkt sie euch nicht, als eine
Hochragende Statur!
Sie war nur eine kleine,
Doch kräftige Natur.
Ihr dunkler Teint war eben
Mit jenem Roth bemalt,
Aus dem ein frisches Leben
Und die Gesundheit strahlt.
Stirn, Nase, Mund und Wangen,
Kinn, Ohren, Hals und Haar,
Könnt alles auf Verlangen
Ihr sehen, wie es war!
Ja, wie ihr im Gemälde
Sie heute noch beschaut,
So war die Auserwählte
Zu seh'n als meine Braut!
Ihr schönes Haar, so enge
Geflochten hier im Zopf,
Hat mir in seiner Länge
Manchmal verdreht den Kopf!
Sah ich, daß sie es kämmte
Und reizend sich dazu
So etwas rückwärts stämmte;
Flog ich herbei im Nu:
„Kind! ich muß dich umfassen;
„Ich kann dich doch nicht gar
„Am Ende fallen lassen
Auf dein bezaubernd Haar!“
Doch dieß geschah erst später,
In unserm Ehestand,
Wie's ohnehin ein Jeder
Auch wohl von selbst verstand.
Denn früher sie nicht setzte
Sich auf ihr langes Haar,
Daß ich mich dran ergötzte,
Eh' sie mein Weibchen war.
Und erst die dunklen Augen,
So schuldlos, klug und treu,
In die den Blick zu tauchen,
Die Lust war immer neu!
Nie forderten sie sprühend
Etwas von einem Mann;
Nie hingen sie sich glühend
An seine Blicke an.
(208 ≡)
Sie blieben ihrer Würde
Bewußt sich immerdar,
Und ihre heil'ge Zierde
Die Seelenruhe war.
Nicht einer schmächt'gen Ranke
Glich ihres Leibes Bau;
Drum kam auch der Gedanke:
Die wünscht' ich mir zur Frau!
Bei allen Geistesgaben
Doch dieß Verlangen stockt,
Wenn wir nicht auch was haben,
Was unser Auge lockt.
Zehn Jahr' die kleine Rose
Sah ich entfalten sich;
Doch hatte schon die große
Zu sehr bezaubert mich.
Als aber abgefallen
Die war in kurzer Zeit,
Da hat mich auch vor allen
Die kleine stets erfreut.
Sie nahm aus Schwesterliebe
Mein Kind mit sich nach Haus,
Daß dort sie täglich übe,
Die Mutterpflichten aus.
So viele Sorg' und Mühe
Ihr dieß auch machen mußt';
Sie sorgte spät und frühe,
Und jederzeit mit Lust.
Und als das Kind erkrankte,
Wie hat sie's da gepflegt!
Als in Gefahr es schwankte,
Hat sie sich kaum gelegt.
Daß sie's wo möglich rette,
Hat sie bei Tag und Nacht
An seinem Krankenbette
Gebetet und gewacht;
Und als deß ungeachtet
Der Tod den Liebling doch
Uns endlich hingeschlachtet,
Da tröstete sie noch.
Bei dieser zarten Güte
Und edlen Schwestertreu'
Fühlt' ich auch im Gemüthe,
Daß Sie die Dritte sei.
Auch mocht' ich nicht verschweigen,
Was ich für sie empfand,
Und sucht' es ihr zu zeigen
In meinem Wittwerstand.
Stumm durfte ich nicht bleiben
An ihrem Wiegenfest;
Drum fing ich an zu schreiben
Ihr, was ihr weiter les't:


„Eine Caroline gilt nun zwei!
„Zwei und zwanzig Jahre nämlich sind es,
„Seit dem ersten Tage dieses Kindes!
„Keine bess're Tochter bringt der Mai!


Chasset Trübsinn und Gram! nicht paßt er, ein Fest zu begehen.
Alles freut sich der Zeit, ehe sie schwindet von hier.
Rasch wird der wonnige Mai sammt seinem Gefolge verwehen;
O drum freuet euch schnell! freuet euch Alle mit mir!
Lina empfange mit Dank, was Freundschaft und Liebe ihr bieten!
Jegliches opfere heut was ihm die Seele bewegt!
Nicht der geringste Wunsch, noch bald verwelkende Blüthen
Auf den Weihealtar seien von mir auch gelegt! —“
CAROLJNE! heute kommen Dir
Alle mit dem besten Wunsch entgegen;
Rings beeilen sich die Lieben hier
Offen, was sie fühlen, darzulegen:
Laß auch mich, wiewohl im stillen Sinn,
Jeden Wunsch der Andern mit empfinden!
Nur den Einen laß mich laut verkünden:
Ewig sei mir gut, wie ich Dir bin! —“


„Wer freute sich nicht deiner Stunden,
Du Wonnemonat, holder Mai!
Wer hätte nicht in dir empfunden
Des Schönen, Süßen Mancherlei!
Die Nachtigall im tiefen Haine,
Die Lerche in der hohen Luft,
Ja die Natur im Festvereine
Preist dich, berauscht von deinem Duft!
Und wir, wir sollten dir nicht singen
Den Dank, der unsern Busen hebt?



Und als im Garten blühten
Die Rosen rings herum,
Sprach ich: „Ich wär zufrieden,“
„Hätt' ich so eine Blum;
„Doch müßt' ich sie empfangen,
„Gepflückt von Deiner Hand!
„Das ist ein still Verlangen,
Das ich schon längst empfand!“ —
Schnell hatt' am nächsten Stocke
Ein Röschen sie entdeckt,
Und mir es an dem Rocke
Sogleich auch fest gesteckt.
„Ich danke, liebes Kleines!
„Für dieses Röschen sehr,
„Und ihm gleich schätz' ich keines
„Nun auf der Erde mehr!“ —
„Der Dank ist nicht vonnöthen,
„Die Gabe sein nicht werth,“
Sprach sie, und mit Erröthen
Schlug sie den Blick zur Erd'.
Sie fühlte tiefer eben,
Daß sie sich mit der Blum'
Mir habe hingegeben
Zum ew'gen Eigenthum.
Dir nicht das schuld'ge Opfer bringen,
Das schon auf unsren Lippen schwebt?
Auf! wer sich noch des Maies freuet;
Drei Stunden — und er ist nicht mehr. —
Für diese Stunden seid geweihet
Dem güt'gen Mai zu Lob und Ehr'!
Stoßt an! Der gute Vater lebe!
Und höher seine Tochter noch!!
Ihr fließe goldnes Blut der Rebe!
Ihr schalle laut ein dreifach Hoch!!! —



Und wenn auch ich es glaubte,
Und darum glücklich war,
Ein Weiteres erlaubte
Noch nicht das Trauerjahr.
Schwieg drum von meiner Freude
Auch vorsätzlich mein Mund,
So that ich doch noch heute
Sie schriftlich so ihr kund:
„Röschen, meine Freude!
Sei willkommen mir!
Sei mir und bedeute
Etwas Gut's von Ihr!
Der Röschen und Rosen erwachsen so viel',
Der zahmen und wilden im Garten,
Im Felde und Walde und wo man nur will,
Von allen erdenklichen Arten;
Doch gehe ich hin durch den Rosenhain,
Und lasse die Rosen Rosen sein.
Aber hier in diesem Garten
Mag ich gern der Rosen warten;
O, wie theuer sind sie mir!
Ständen sie noch alle hier! —
Eine — ach — von diesen Rosen
Grade meine ist gepflückt!
(210 ≡)
Welche jetzt im thränenlosen
Lande Selige entzückt!
Einst die Königin der Flur,
Lebt sie nun in Herzen nur!
Doch noch Eine, die zur Seite
Ihr heranwuchs, ähnlich ihr,
Blühet lieblich hier zur Freude;
Gärtner! diese schenke mir!
Nur durch Sie ersetzest du,
Die Verlor'ne und die Ruh!
Gärtner! drum erhöre mich!
Keine sonst begehre ich!
Gibst du mir's, so dank ich dir
Für dieß Röschen für und für!“ —
Das Röschen, das zu schenken,
Sogleich sie war bereit —
Als liebes Angedenken
Bewahre ich's noch heut!
Verdorrt sind längst die Blätter,
Verloren ging der Stiel,
Doch — lachet nur ihr Spötter! —
Gäb' ich's nicht um wie viel!
Da ich nun alle Tage
In Aßlar war zu seh'n,
So konnte meine Lage
Selbst Fremden nicht entgeh'n;
Und Manche, welche wollten,
Daß ich wo anders wähl',
Deßwegen Linchen grollten,
Und sahen darum scheel.
Ja, um mir's zu verleiden,
Fiel einst ein kleines Heer
Aus Neid von allen Seiten
Gewaltig über's her.
Die vorgegeb'nen Mängel
Hatt' schnell ich widerlegt,
Und obendrein als Engel
Auch Linchen ausgeprägt.
„Ich laß' sie nicht verletzen;
„Ich kenne sie genau,
„Und muß den glücklich schätzen,
„Der sie bekommt zur Frau!“
So sprach ich, und die Heuchler
Vertauschten nun die Roll',
Und wurden bald als Schmeichler
Ganz ihres Lobes voll.
Auch diesen Vorgang brachte
Sogleich ich zu Papier,
Indem ich Verse machte,
So wie sie folgen hier.


Gang nach der Eisenhütte.
Ein treuer Hund war Fridolin
Und ohne Furcht so gern
Ergeben der Gebieterin;
Sie wohnte nicht so fern,
Sie war so sanft, sie war ihm gut,
Sein Auge, immer wohlgemuth,
Verweilte wachsam drum vor Allen
Auf ihr mit süßem Wohlgefallen.
Früh von des Tages erstem Schein
Bis spät die Vesper schlug
Harrt' er aufs Dämmerstündelein,
Das ihn zur Herrin trug;
Da sah er sie, da ward's ihm leicht,
Da war des Tages Wunsch erreicht;
Doch wann der Wächter Zehn geblasen,
Mußt' er sie leider stets verlassen.
So schwanden Tage, Monde hin,
Und andre kamen her;
Nie sauer wurde Fridolin
Der Weg und nimmer schwer;
Je stürmischer die finst're Nacht,
Je holder ihm ihr Auge lacht',
Das Auge, das er nur zu sehen,
Noch schlimm're Wege würde gehen.
Doch sieh', kein Glück ist ohne Neid,
Mit jenem wächst auch der;
Im Hinterhalt liegt er bereit
Mit seinem ganzen Heer;
Sobald sich Herzen freundlich nah'n,
Wetzt grimmig er den gift'gen Zahn,
Und stürzt hervor mit Tigersprüngen,
Die Beute gierig zu verschlingen.
(211 ≡)
Zur Eisenhütte wallte hin
Mit ihrer Schwester nur
Die liebliche Gebieterin,
Sieh', da urplötzlich fuhr
Ein Trupp von Hunden auf sie los;
Wie war der Damen Angst so groß!
Die Bestien waren wie von Sinnen;
Unmöglich schien es, zu entrinnen.
Doch jetzt gerannt kommt Fridolin
Daher. Wen sucht er nur?
Er folget mit getreuem Sinn
Der Herrin frischer Spur.
Schon lockt sie ihn zu sich heran;
Wie sieht man ihm die Freude an!
Kein lieb'res Futter kann er schmecken,
Als ihr das theu're Händchen lecken.
Wie stolz tritt er jetzt nebenher,
Daß er beschützen kann!
Es weicht der Hunde wüthend Heer,
Und keiner greift mehr an.
So geht er mit den Damen fort,
Und bald sind sie im sich'ren Port.
Sein Lohn ist Freude ohne Schranken,
Und wie wird seine Herrin danken?
Glaub' nicht, daß das ein Träumchen sei,
Ein Träumchen ohne Sinn!
Zwar träumet Mancher Mancherlei,
Und liegt nichts Wahres drin;
Doch Fridolin ist Dir bekannt,
Ward er auch nimmer so genannt.
Von hier nach Wetzlar in der Mitte,
Nichts aufwärts liegt die Eisenhütte.


Auch ward ein feines Netzchen
Von schöner Hand gestellt;
Doch Lina, schon mein Schätzchen,
Behielt auch jetzt das Feld.
Leid war mir's für die Blonde,
Daß ihren Liebesdruck
Ich nicht erwidern konnte
Durch den geringsten Muck.
Du reizendes Blondinchen,
Dacht' ich bei ihrem Nah'n,
Das hätte Carolinchen
Doch nimmermehr gethan!
Gern will ich dir verzeihen,
Daß du so gut mir bist;
Doch kann ich nicht verleihen,
Was schon nicht mein mehr ist!
Ein Jahr und fünfzehn Tage
Hielt ich die Trauerzeit,
Dann war ich, meine Lage
Zu ändern, ganz bereit.
Als ich am Weihnachtsfeste
Von meiner Predigt sah,
Stand sie, die Allerbeste,
Leibhaftig vor mir da.
Ich sahe von dem Scheitel
Bis zu den Füßen sie;
Und doch war Alles eitel,
Und Trug der Phantasie.
Ich ging nach meiner Meinung
Gerade auf sie zu,
Und weg war die Erscheinung
Auch in demselben Nu.
Ich nahm zu meinem Schilde
Die Predigt nun zur Hand,
Sogleich das Scheingebilde
Von Neuem vor mir stand.
Ich sah es an, und lachte
Mich selber tüchtig aus;
Dann sprach ich zu mir sachte:
„Nein, das ist doch zu kraus!“
Das hast du, liebste Kleine!
Mir nicht umsonst gethan;
Nun sollst mit Fleisch und Beine
Du dich auch zu mir nah'n!
Kaum war sofort zu Ende
Mein Feiertagsgeschäft,
So schrieb ich ihr behende:
„Wie hast Du mich geäfft!
(212 ≡)
Als Schattenbild umschwebtest
Du gestern Morgen mich!
Als ob Du leibt- und lebtest,
So deutlich sah ich Dich!
Doch als ich wollte fangen
Die kleine Hexe mein,
Da war sie mir entgangen,
Und ich stand da allein!
Als eben memorirte
Ich früh mit klarem Sinn,
Dein Spuken mich verwirrte;
Die Andacht war dahin!
So hast zum Geisterseher
Du mich bereits gemacht!
Des Himmels Einsturz eher
Hätt' ich, als das gedacht!
Das hat mir selbst mein Käthchen,
Mein Minchen nie gethan!
Was fang' ich, Zaubermädchen!
Dafür mit Dir nun an? —
Mein Herz, das lange stiller,
Als irgend eines schlug,
Schlägt jetzo lauter Triller,
Die Pulse geh'n im Flug!
Wer scheuchet meinen Schlummer?
Wer raubt mir meine Ruh?
Wer macht mir so viel Kummer?
Ach, Kleines! das bist Du. —
Trotz aller dieser Streiche
Kann ich nicht bös Dir sein!
Und ausgesöhnet reiche
Die Hand ich zum Verein!
Ich fühl' in dieser Stunde:
Der einzige Verband
Auf meine Herzenswunde
Liegt nur in Deiner HAND!
Ja, sie nur ist alleine
Das Mittel, das mich heilt;
Versprich es, Liebste Kleine!
Mir darum unverweilt.
Ach! könntest Du gleich legen
Dieß Pflaster auf mein Herz,
Es würde nicht mehr regen
Sich drin der alte Schmerz!
Ja, könnt' noch heut' ich lesen
Von Deiner Hand die Zeil:
„Du sollst durch mich genesen!“ —
Dann wäre ich schon heil! —
So hatte ich in Prose
Am dritten Weihnachtstag
An meine Letzte Rose
Geschrieben. Dabei lag:


Zur Vorfeier des Jahres 1838.
Theures Linchen!
Du sahest klar und leicht den Strom der Zeiten,
Du sahst ihn trüb und schwer an mancher Stelle,
Verzögernd hier und dort mit Pfeilesschnelle
Als Jungfrau schon an Dir vorübergleiten!
Was werden künft'ge Tage Dir bereiten?
Wie wird drin fließen Deine Lebensquelle?
Wohin wird treiben Dich des Schicksals Welle?
Wird Wunsch und Hafen nicht zusammen streiten?
O, könnte ich der Zukunft nur gebieten!
Sie hemmen, wo zu rasch sie Dir entfliehen,
Sie spornen, wo zu träge sie will gehen;
Nur Wonnethränen wären Dir beschieden!
Dir würde stets am Pfad die Rose blühen!
Mir blieb die Götterlust, Dich so zu sehen! —
(213 ≡)
Gehoffte Bedeutung der Jahreszahl 1838.
1 bedeute mir Eins, das theuerste Mädchen auf Erden!
Tausend gilt es und ist's werth, wie die Stellung beweist.
8 ich keins mehr so hoch, so muß gar leicht Dir es werden,
Zu errathen, Wer's ist, wie die Bedeutete heißt!
3 fach wäre mein Glück, wenn sie mit Myrten gezieret,
Mir an Hymens Altar reichte die brautliche Hand!
8 nur dessen mich werth, o Lina! so hat mich geführet
Das nächstfolgende Jahr bald in das rosige Land.
Selig bin ich dann und preis' ich Achtzehnhundertachtunddreißig!


Noch an demselben Tage
So gegen Abend lief
Auf meine Lebensfrage
Von Lina ein der Brief.
Doch Niemand darum glaube,
Dieweil sie schrieb so schnell,
Sie habe nach der Haube
Geangelt auf der Stell'!
Sie gab mir durch ihr Schreiben
Das höchste Erdenglück;
Doch sollt' 's verborgen bleiben
Noch vor der Menschen Blick.
Die Mutter müss' erholen
Sich erst vom früh'ren Weh,
Eh' sie sich auch gestohlen
Die letzte Tochter säh'.
Aus diesem edlen Grunde
Bat dringend sie und süß,
Daß ich von unserm Bunde
Doch ja nichts merken ließ'.
Bei so bewandten Sachen —
Denkt euch nur recht hinein! —
Was konnt' ich anders machen,
Als hübsch gehorsam sein?
Daß ich bei Linchen täglich,
Das war nichts Neues mehr,
Und wie wir jetzt verträglich,
So waren wir's vorher.
Wer uns zusammen sahe,
Der ward nicht mehr gewahr,
Stand er uns noch so nahe,
Als ein Gcschwisterpaar.
Wie zärtlicher Geschwister,
War unser Blick und Wort,
Zu süßerem Geflüster
Kam selten Zeit und Ort.
Zu mancher Zeit genügte
Mir zwar dieß Freundschaftsspiel,
Und wenn ich drein mich fügte,
So litte ich nicht viel.
Doch stieg der Barometer
Des Blutes höher noch,
Als bis auf schönes Wetter,
Da drückte mich denn doch
Das schwere Schloß am Munde,
Das mir, so tief bewegt,
In der Verlobungsstunde
Mein Bräutchen angelegt.
Ich hatte schon mein Mädchen —
Man sagt — „zum Fressen lieb“.
Wenn manchmal nun beim Rädchen
Ich ihm die Zeit vertrieb,
War mir's, als hätt' ich müssen
Es nehmen bei dem Kopf,
Und es vom Munde küssen
Hinauf bis auf den Zopf,
Und von dem Zopfe wieder
Herab bis auf den Mund,
Und immer auf und nieder,
So eine Viertelstund.
Und doch mußt' bei den Alten —
Das Herz mocht' Zetter schrei'n —
Ich Mund und Finger halten,
Und meiden allen Schein.
(214 ≡)
Da schrieb ich gar beweglich
Dem lieben Herzchen mein:
„Ach, Kind! ich kann unmöglich
„Ertragen diese Pein.
„Tantalus bis zum Munde
„Steht durstig in dem Fluß,
„Doch flieht ihn jede Stunde
„Der labende Genuß.
„Sieh', Engel meines Lebens!
„So groß ist mein Verdruß,
„Gelüstet mich vergebens
„Bei Dir nach einem Kuß.
„Drum mach' ein End' noch heute
„Dem grausamen Verbot!
„Und führ' zur höchsten Freude
„Mich aus der tiefsten Noth!
„Sei ja nicht unerbittlich!
„Sonst gehe ich zu Grund;
„Denn allzuappetitlich
„Reizt mich Dein Rosenmund!
„Laß frei die Liebe walten!
„Und sperr' sie nicht mehr ein!
„Ich kann mich nicht mehr halten,
„Du mußt geküsset sein!
„Auch mag ich nicht verstohlen,
„So im Vorübergehen,
„Ein heimlich Küßchen holen;
„Nein, offen soll's geschehen!
„Was wir schon längst verschweigen,
„Die Mutter hat's durchschaut;
„Drum laß Verstellung weichen,
„Und zeige Dich als Braut!
„Da ehrlich währt am längsten,“
„Will bei den Aeltern nun
„Ich ohne Scheu und Aengsten“
„Die nöth'gen Schritte thun.“ —
Sie hatte nichts dagegen,
Drum bat zur selben Stund'
Ich um der Aeltern Segen
Zu uns'rem Liebesbund.
Drauf that sie mir zu wissen:
„Ach — unser zartes Band —“
„Für immer ist's zerrissen“
„Von meiner Aeltern Hand!! —“
„Du wirst dabei nicht leiden,
„Noch raufen in dem Haar?
„Auch leb' ich selbst in Freuden;
„Denn — Erst'res ist — nicht wahr!
„Der Vater sagte eben
„Mit heit'rer Stirne mir,
„Du würdest ihm vergeben,
„Daß Er nicht schreibe Dir,
„Wenn Ich sogleich nur schriebe:
„„Die Aeltern haben beid'““
„„Nichts gegen uns're Liebe.““
„So lautet der Bescheid. —
„Willst Du vielleicht noch heute
„Den Weg nach Aßlar geh'n,
„Kannst Du in voller Freude
„Allda Dein Bräutchen seh'n!“
Nun denkt ihr schon den Braten
Zu riechen, und dabei
Zugleich auch zu errathen,
Daß ich gegangen sei?
Doch — mag's unglaublich klingen —
Ist dieses nicht gescheh'n;
Denn laufen, rennen, springen,
Das heiße ich nicht „geh'n“.
Nach einer Viertelstunde,
Die ich von hinnen flog
Hing ich schon an dem Munde,
Aus dem ich Honig sog.
Zu früh mußt' ab ich brechen
Im Rausche dieses Tranks,
Den Aeltern auszusprechen
Gefühle großen Danks.
Die Freude bald sich stellte
Jetzt ein in Aller Herz;
Allein zu ihr gesellte
Sich allgemeiner Schmerz.
(215 ≡)
Die Wonne und das Leiden
Erschienen beide groß,
Das letzte galt der Zweiten,
Jene der Dritten Ros'.
Die Wehmuth wie die Freude
Gab ihre Thränen kund,
Und weiheten so beide
Einstweilen unsern Bund.
Die Lieb' und Hoffnung endlich
Begleiteten mich heim,
Und reichten, selbstverständlich,
Mir lauter Honigseim.
Je mehr sie aber gaben,
Je mehr begehrt' ich doch
Von ihnen auch zu haben
Für alle Zukunft noch.
Die Blume bringt dem Bienchen
Den Honig nicht in's Haus,
Drum eben flog nach Linchen
Ich jeden Abend aus.
Wornach ich mich gerichtet
Bei diesen Flügen hab',
Ein Liedchen noch berichtet,
Das ich dem Liebchen gab.


Meine Leitsterne.
So freundlich, wenn ich zum Liebchen geh',
Mir Venus leuchtet hernieder;
Sie fraget mit Lächeln aus himmlischer Höh':
Ei, Freundchen! kommst Du schon wieder?
Ja, Schönste des Himmels. Wer folgte nicht gern.
Uranias lieblichem Abendstern!
Und trübt sich der Himmel, und zeigt sich kein Stern
Auf meinem allnächtlichen Pfade,
Was schadet's? ich weiß ja, daß nimmer ich fern
Vom richtigen Wege gerathe.
Das Herz — als säh' es in finsterer Nacht —
Hat immer mich grade zum Liebchen gebracht.
Ein wunderlich Ding auch das Herz verbleibt,
Daß nur nach dem Liebchen es angelt!
So gut man auch immer die Zeit ihm vertreibt,
Was hilft's, wenn's Liebchen ihm mangelt?
Bei Zucker, Rosinen und Marzipan
Bleibt dann es verdrießlich und rührt's nicht an.
Versuch' es, zu legen das liebende Herz
In Ketten und eiserne Banden,
Du wirst es nicht halten in Fesseln und Erz,
Gewalt und List wird zu Schanden;
Zum Herzen fliegt heimlich ein Herzchen heraus,
Und findet den Weg auch nach Liebchens Haus.
Zwei Sterne erglänzen an Liebchens Stirn,
Die mächtigsten aller Gewalten,
Zerreißen die festesten Stricke wie Zwirn,
Drum ist auch das Herz nicht zu halten;
Sie ziehen und binden und halten so fest,
Daß nimmer das Herz von dem Liebchen läßt.


Räthsel selbst gestanden
Gerne und vertraut,
Wie ich lag in Banden
Meiner lieben Braut.


Räthsel.
Mit a — möcht' ich mich stets an Deinen Blicken!
Mit e — möcht' ich in Ewigkeit mit Dir!
Mit ie — kannst Du allein mich nur beglücken!
Mit o — muß ich fürwahr dieß selbst an mir.
Mit auo, nehmt uns auf in eure Schatten,
Ihr Wonnetempel treu geliebter Gatten!
Dann fließt's mit e — gewiß uns beiden froh
Und schnell dahin mit a — und ie und o —.


Charade.
Die erste S y l b e.
Als Mavors noch die alte Welt regierte,
Und mir der erste Rang mit Recht gebührte,
Da ging ich allen meinen Brüdern vor,
Und öffnete des neuen Jahres Thor.
Allein, was änderte nicht Zeit und Sitte?
Zurückgesetzt bin jetzt ich nur der dritte,
Und kehre in der Reihe meiner Brüder
Alljährlich mit den letzten Sylben wieder.


Die letzten.
Des jungen Lenzes allbeliebte Kinder
Erscheinen wir mit ihm zu gleicher Zeit.
Man liebt uns mehr, erscheinen wir geschwinder;
Man lobt an uns auch die Bescheidenheit.


Das Ganze.
Was meine Theile kund Dir thaten,
Läßt Dich mein Ganzes leicht errathen.
Bald werde ich — o, welch' Vergnügen! —
An Deinem warmen Busen liegen.
O, komm'! und ist's auch mein Verderben,
Süß ist's an Deinem Herzen sterben!
Logogryph.
Ich will alle große Damen
Nicht beneiden um den Namen;
Sieh', wenn Mich mein Liebster nennet,
Wie sein Auge strahlt und brennet!
Nimmst du die zwei ersten Zeichen,
Dann wird mir nur Eines gleichen;
Nimmst du nur das zweite Zeichen,
Dann kann Keines mich erreichen;
Nimmst du mir 1, 3 und 7,
Bin ich doch mir gleich geblieben,
Und dann kannst du leicht ergründen,
Wen du sollst im Ganzen finden.



Als ich ihr nun verehrte
'Ne goldne Taschenuhr,
Macht' ich, wie sich's gehörte,
Also dabei die Cour:
An Schlüsseln darfs der Uhr nicht fehlen.
Man liebt der Schlüssel mancherlei;
Drum liegen hier derselben drei,
Sie nach Gefallen zu erwählen.
Der gold'ne thu' an Galatagen,
Von Messing der — den Dienst toujours,
Von dem papier'nen ford're nur
Den Aufschluß über diese Fragen:
Wem soll die neue Uhr gehören?
Und was wird man dafür begehen? —
Sie soll der gold'nen Lina gold'ne Stunden
zeigen;
Und täglich 24 Mal dieß Ziel erreichen;
Der Herrin süßen Schlaf und Träume nicht zu
stören;
Soll sie ganz leise geh'n, und kaum sich lassen
hören.
Das soll und will auch thun die gute Uhr,
Und für den Liebesdienst begeht sie nur —
Sie ist ganz roth, daß sie es sagen muß —
Für mich von meiner Lina einen —?



Sie zahlte prompt und reichlich
Die Ford'rung für die Uhr;
Doch, weil's bei uns gebräuchlich,
Zahlt' dreifach ich retour.
Die Uhrkett' mit dem Haken
Hing ich von purem Gold
Ihr auch noch um den Nacken,
Weil sie bezahlt so hold.
Trotz Haken und trotz Ketten,
Die uns verbanden schon,
Muß in die Eh' man treten
Durch Copulation.
Der Kreisrath uns bezeugte,
Daß gegen diese Eh'
Kein Hinderniß sich zeigte,
Soweit es ihn angeh'.
Im Juni dispensirte
Das Consistorium
Von der Verschwäg'rung Bürde
Uns beide netto um
Zwei Gulden, und es schenkte
Zugleich uns ohne Noth
Und ohne daß es kränkte
Zweimal'ges Aufgebot.
Da aber aufgerufen
Ich selbst uns zweimal schon,
So lief durch alle Stufen
Die Proclamation.
Die Hochzeit zu beschreiben,
Steht nicht in meiner Macht;
Die muß ich schuldig bleiben,
Weil keine ward gemacht.
(218 ≡)
Die Rücksicht auf mein Minchen
Und seinen frühen Tod
Den Aeltern so wie Linchen
Und mir den Lärm verbot.
Drum ward ich ganz im Stillen
Mit meiner lieben Braut
Nach unser aller Willen
In hies'ger Kirch' getraut.
Der Pfarrer Reinhard weihte
Mit vetterlichem Mund
Am dritten Juli beide
Uns ein zum Ehebund.
Man trank im engsten Kreise
'Ne Tasse Chocolat',
Und sprach: „Nun eilt zur Reise!
„Sonst würde es zu spat!“
Ich war da fünf und dreißig,
Sie drei und zwanzig Jahr';
Und dessentwegen heiß ich
Uns kein ungleiches Paar.
Wir fuhren ganz gelassen,
Mehr, als nach meinem Sinn
Für uns sich schien zu passen,
Zum Vogelsberge hin.
Der Abend war gekommen
Nach Schotten eh'r, als wir;
Drum haben wir genommen
Dort unser Nachtquartier
Im Zimmer wir auch trafen
Zwei Betten, blank und fein,
Daß Jedes konnte schlafen —
Wenn's wollte — ganz allein.
„Räthst du“ — frug ich — „mein Schätzchen!“
„Wenn es hier spukt die Nacht,
„Was ich mir für mein Plätzchen
„Hab' zum Asyl erdacht?“ —
„Denk“ — sprach sie — „daß wir beide“
„Bedürfen jetzt der Ruh!
„Drum leg' Dich auf die Seite,
„Und schließ' die Augen zu!“
„Hast Du,“ frug ich sie, „draußen“
„Die Nacht den Spuk gehört?“
„Ach, geh'!“ sprach sie. „Von Außen“
„Hat Niemand mich gestört.“
Vom Kaffee wach und heiter
Ging's aus der Schotter Post
Gemach und immer weiter
Den Berg hinan gen Ost.
Da zeigte ich der Stellen
Ihr nah und ferne viel',
Wo ich mit Schulgesellen
Getrieben frohes Spiel;
Auch knüpft' ich manche Sagen
An diese Punkte an;
Was man denn aus dem Wagen
So recht gemächlich kann.
Es machte ihr Vergnügen,
Als sie im Sommerkleid'
Die Gegend sahe liegen,
Die mich als Kind erfreut;
Doch als ich ein Gemälde
Vom Winter dort entwarf,
Rief sie: „Nein, solche Kälte —
„Die wär' mir doch zu scharf!“
„Ach, Kind! Ich wollte wohnen,“
Erwiderte ich ihr,
„In noch weit kältern Zonen,
„Wenn ich nur wär' bei Dir!“ —
Nun trafen wohlbehalten
Wir bald in Crainfeld ein,
Um meine lieben Alten
Ganz plötzlich zu erfreu'n.
Wir brauchten nichts zu sagen,
Um uns zu melden an,
Das hatte unser Wagen
Durch Rasseln schon gethan.
Der Aeltern Herz frohlockte
Sogleich am Chaisenschlag,
Und doch ein wenig stockte
Auf ihrer Zung' die Sprach',
(219 ≡)
Weil sie noch gar nicht wußten,
Wie Linchen sie genau
Jetzo begrüßen mußten,
Als Bräutchen oder Frau.
Drum sprach ich schnell: „Sie sehen
„Hier nicht mehr meine Braut!
„Um die ist es geschehen;
„Wir sind bereits getraut.
„Denn gestern Morgen standen
„Wir beide vor'm Altar,
„Und als wir um uns wandten,
„Da waren wir ein Paar;
„Ein Paar, das Ihren Segen
„Sich baldigst zu erfleh'n,
„Sie jetzt von Rechtes wegen
„Hier sehen vor sich steh'n!“
Mit innigem Umfangen
Und Thränen in dem Blick
Bezeugten sie Verlangen
Nach ihrer Kinder Glück.
Die Mutter unterdessen
Sprach: „Ach, wie thut mir's leid,
„Daß ich kein Extraessen
„Jetzt habe gleich bereit!“
„Bring' Wein und Kaffee, Alte!
„Von erster Qualität,“
Sprach der Papa, „dann halte
„Man Rath, wie's weiter geht!“
Kaum tranken beide Frauen
Vom edlen Rebensaft;
Drum war auch nicht zu schauen
An ihnen seine Kraft.
Die Männer schmeckten besser,
Wie feurig er und gut;
Drum ward auch immer größer
Mit jedem Glas ihr Muth.
Die Zungen gingen schneller,
Die Wangen wurden roth,
Die Augen immer greller;
Daß oft ein Finger droht',
Das eine Mal dem Vater,
Das and're Mal dem Sohn.
Da schwoll des Zornes Ader
Mir auf ob solchem Hohn.
„Wie?“ sprach ich zu der Meinen,
Und zwar in barschem Ton,
„Du willst schon Herrin scheinen?
„Und mir mit Fingern droh'n?
„Du hast Dich schwer vergangen
„An meiner Majestät!
„Drum wirst Du gleich gefangen,
„Und sehen, wie Dir's geht!“
Bei diesen Worten raffte
Ich sie an meine Brust
Und schwebend sie bestrafte
Mit Küssen ich nach Lust.
„Nun hast Du doch gesehen,“
Sprach ich, „Wer Herrscher ist,
„Und wie Dir's wird ergehen,
„Wenn Du Dich mehr vergißt!
„Ja, weil ich eben finde,
„Die Strafe steht Dir schön,
„So hab' ich auch noch Gründe,
„Sie künftig zu erhöh'n!“
Gar freundlich zu sich nickte
Dabei das Aelternpaar,
Weil es daraus erblickte,
Wie lieb mir Linchen war.
„Wein“ — sprach zu mir die Mutter —
„Und auch ein Weib hast Du!
„Doch Eines setzte Luther
„Den beiden noch hinzu, —
„Was Jedermann müßt' lieben,
„Wenn er kein Narr wollt' sein;
„Drum schlag ich vor: Wir üben
„Das Dritte im Verein!“
Da ging mit schnellen Schritten
Der Vater nach der Wand,
Und hatte ohne Bitten
Die Harfe gleich zur Hand.
(220 ≡)
Bald schnurrten alle Saiten,
Und manches kräft'ge Lied
Aus meiner Aeltern Zeiten
Verjüngte ihr Gemüth.
Bald Solo ward gesungen,
Bald folgte ein Duett,
Dann tönten alle Zungen
Und endlich ein Terzett.
Als das Concert gehalten,
Der Abend froh vollbracht,
So wünschten wir den Alten
Und sie uns gute Nacht.
Nach ein'gen schönen Tagen —
O, kehrten sie zurück! —
Mußt' Lebewohl man sagen
Sich schon mit feuchtem Blick.
Von Crainfeld fuhren schnelle
Wir nach der Rabenau,
Damit auch vor ich stelle
Dort meine dritte Frau.
Wir wurden froh empfangen,
Und gut bewirthet dort;
Doch kam nun das Verlangen
Nach unser'm Heimathsort.
Mit viel gewünschtem Glücke —
Es traf sogleich auch ein —
Kutschirten wir zurücke
Gesund nach Hermannstein.
Wie sehr es uns gefallen
Auf dieser ganzen Reis',
So gaben doch vor allen
Wir unser'm Haus den Preis.
Wo nicht mein Weibchen wohnte,
Hatt's nicht genug zu thun;
Und eben deßhalb konnte
Es da nicht lange ruh'n.
Was mich betraf, so fehlte
Mir nichts, wo wir logirt;
Doch fühlen Neuvermählte
Auswärts sich oft genirt.
Hier aber fehlt' es meinem
Stets arbeitsamen Weib'
Durchaus nicht mehr an einem
Nothwend'gen Zeitvertreib.
Vor Allem revidirte
Es, wie Frau Base Fuchs
Den Haushalt bisher führte,
Mit Augen von dem Luchs.
Das Meiste ward gelassen
Und zweckgemäß genannt,
Und schien Was nicht zu passen,
Es flugs wo anders stand.
Dann fuhr sie fort zu fragen,
Was ich am liebsten äß',
Daß sie nicht müsse machen
Erst häufige Verstöß'.
„Wirst Du Dich zu mir setzen
„Mit freundlichem Gesicht,
„So wirst Du mich ergötzen
„Mit meinem Leibgericht!
„Ich kenne nur Ein Essen,
„Das ganz nach meinem Gout,
„Darauf bin ich versessen,
„Und Schätzchen, das bist Du!
„Was thut's, wenn Du versalzest
„Und brennest an den Brei?
„Wenn Du mich nur umhalsest,
„Ist jenes Lumperei!
„Wär auch der Braten blutig,
„Verdorben sammt der Sauce,
„Was thät's, wenn Du nur muthig
„Mir hüpftest auf den Schoos?
„Ja, sagtest Du mir leise:
„„Es fiel mir in die Küch'““
„„Die ganze Mittagsspeise;““
„„Nun hab' ich nichts für Dich!““
„Ich würde nicht gerathen
„Darüber außer mir,
„Weil ich den besten Braten
„Doch immer hätt' an Dir! —“
(221 ≡)
„Wer immerfort genießet —“
Sprach sie — „dieselbe Kost,
„Wenn sie auch Anfangs fließet
„Ihm süßer noch, als Most;
„Der muß doch bald verlieren
„Den Wohlgeschmack daran,
„Und nicht mehr contentiren
„Wird sie ihn länger dann.
„Drum darf mit jenem Braten,
„Bei aller Deiner Güt',
„Ich Dich nicht überladen,
„Sonst würdest Du ihn müd'!
„Es würde auch Dein Magen
„Sich bald beschweren laut,
„Hätt' er seit ein paar Tagen
„Nur Liebeskost verdaut!
„Und schnell wie Winde wehen
„Den losen Wetterhahn,
„Kann der Geschmack sich drehen
„Bei einem Ehemann,
„Deßwegen nochmals bitte
„Ich: Mach' mich vor der Hand
„Mit Deinem Appetite
Ein wenig doch bekannt!
„Ach, Herzchen! Du darfst bringen,“
Sprach ich, „was Du nur willst;
„Ich ess' von allen Dingen,
„Womit Du Hunger stillst!
„Doch, wenn ich je genieße
„Von einer Speise mehr,
„Als von der andern, schließe,
„Daß ich sie auch begehr'!
„Und dann sei ja nicht bange,
„Daß gar zum Ueberdruß
„Noch über Kurz und Lange
„Mir könne sein Dein Kuß!
„Du weißt aus Minchens Zeiten,
„Daß mir zu einem Ding
„Von solchen Süßigkeiten
„Noch nie die Lust verging!
„Und wenn Du's willst erlauben,
„So wird es mir nicht schwer,
„Dich selbst in diesem Glauben
„Zu stärken immer mehr! —
„O, Deiner Liebe Dauer
„Bezweifelte ich nie,“
Sprach sie; „in größter Trauer
„Erkannt' ich deutlich sie!
„Und darum hoff' ich immer,
„Daß Du's im Leben mir
„Nicht werdest kochen schlimmer'
„Als ich es koche Dir!
„Drum will ich mich auch hüten,
„Daß nicht die Supp' verdirbt,
„Und daß Du bist zufrieden,
„Bis Deine Köchin stirbt!“
Oft, wann ich in dem Bette
Des Morgens nach ihr sah,
Und sie gegrüßet hätte,
War sie schon nicht mehr da.
Da hört' ich, wie geschäftig
Sie in dem Hause lief,
Bis ich sie endlich kräftig
Bei ihrem Namen rief.
Als einst sie so erschiene,
Und fragte: „Bist Du wach?“
Zu ihr mit ernster Miene
Ich etwa also sprach:
„Hör', bösliche Verlassung
„Kann scheiden schnell die Eh'!
„Bring' mich nicht außer Fassung! —
„Sobald ich wieder seh',
„Daß Du mich hast verlassen,
„Wann kaum erwacht der Tag,
„Führ' ich auf allen Gassen
„Die Ehescheidungsklag'!
„Und bring' auch beim Gerichte
„Die Sache gleich' in Gang,
„Daß Du an die Geschichte
„Sollst denken lebenslang!
(222 ≡)
„Wie kannst Du aber klagen“ —
Sprach lachend sie — „um nichts?
„Soll ich voraus Dir sagen
„Den Ausspruch des Gerichts?
„„Ab wird hiermit der Kläger
„„Verwiesen und zur Ruh,
„„Er soll als Kostenträger,
„„Zur Strafe noch dazu,
„„Nun seine Frau behalten
„„Genau bis zu dem Tag,
„„Wo sie den mürr'schen Alten
„„Nicht länger haben mag.
„„Denn sie hat nicht verlassen
„„Ihn und sein Burgverlies
„„Wie sie gehörigermaßen
„„In Selbstperson bewies.““
„Doch um den Streit zu schlichten,
„Um welchen wir uns dreh'n:
„Ich sollte mir im Lichten
„Mit meinem Haushalt steh'n,
„Wenn ich den lieben Morgen
„Im Bette hielte aus,
„Und dächte: Gott mag sorgen
„Auch ohne mich für's Haus!
„Der Eine stehet später,
„Der And're früher auf,
„Hat nur am Abend Jeder
„Vollendet seinen Lauf.
„Ist nun mein Weg der weit'ste,
„So bin ich doch nicht grad' —
„So schein't mir's — der Gescheid'ste,
„Beginne ich zu spat.
„Du kannst schon nach Vergnügen
„Des Morgens länger ruh'n!
„Ich darf so lang nicht liegen,
„Ich habe mehr zu thun.
„Drum, wenn ich einmal fehle
„Des Morgens neben Dir,
„So denk': die arme Seele,
„Hätt' keine Ruhe hier!
„Und mach' mir, weil's noch lange
„Nicht alle Tag geschicht,
„Auch wann's geschieht, nicht bange
„Mit traurigem Gesicht! —“
„Nun, daß ich mich nicht freue,
„Wenn Du mir Morgens fehlst,
„Das ist, bei meiner Treue,
„Kein Grund doch, daß Du schmäl'st?
„Wenn Du in Arbeit steckest,
„So magst Du früh' aufsteh'n;
„Nur bitt' ich, daß Du weckest
„Mich, eh' Du weg willst geh'n!“
So sprach ich, und dagegen
Versicherte sie mich:
„Ist Dir daran gelegen,
„Nun gut, so weck' ich Dich!“
Und dieß Versprechen hielte
Sie nachher auch getreu,
Und dabei nimmer fühlte
Sie die geringste Reu'.
Auch hatte uns gefallen
Sogleich nach jenem Streit
Das schönste Fest von allen,
Das der Zweieinigkeit.
Von Haus war sie gewöhnet
An die Oekonomie,
Die hatt' ich meist verlehnet,
Und scheute ihre Müh'.
„O, könnte ich behalten
„Nur ein paar Aecker mehr,
„Und selber sie verwalten —“
Sprach sie — „wie schön das wär!“ —
„Dich sollte es geniren
„Nicht im Geringsten, nein
„Ich wollte gerne führen
„Die Landwirthschaft allein!“
„Ach, Weibchen! laß Dir rathen —“
Sprach ich — „die neue Last
„Will ich nicht auf Dich laden,
„Da Du genug schon hast!
(223 ≡)
„Du würdest eine Weile
„Vielleicht Dich drüber freu'n,
„Und bald im Gegentheile
„Die Sache sehr bereu'n! —“
„Nein, thust Du mir den Willen
„Hierinnen, lieber Mann,
„So sollst Du Dich im Stillen
„Noch freu'n, daß Du's gethan!“
„Du weißt, daß Deiner Bitte
„Ich nicht kann wiedersteh'n!
„Drum mag nach alter Sitte
„Dein Wille nun gescheh'n!“
So lang sie nun regierte
Im Hause und im Feld,
War's wie es sich gebührte,
Auch überall bestellt.
Zu vielen Besserungen,
Die man im Haus' entdeckt,
Hat sie allein gedrungen
Ihr inn'rer Architekt;
Und namentlich ein Zimmer
Hat sie hervorgebracht,
Das ihrem Bausinn immer
Noch heute Ehre macht.
Auch ward ich gar nicht böse,
Als eine Frau gestand:
„Hat sie nicht Mannesgröße,“
„Hat sie doch Mannsverstand!“
Als einst ein munt'rer Junge
An uns vorüberlief,
Hielt er in seinem Sprunge
Vor Staunen ein und rief:
„Ach, ach, e kla kla Fräuche!“
„Un' e grußer grußer Mann! —“
„Halt's Maul, sprach ich, und schweige!“
„Was geht das Dich denn an? —“
In Wetzlar arrivirte
Dieß mir und meinem Schatz,
Und wenn uns später führte
Der Weg auf jenen Platz,
Mit Lachen wir uns freuten
Ob diesem alten Spaß,
Denn keinem von uns beiden
Derselbe je vergaß.
Und augenblicklich sagte
Zum Liebchen ich sogleich:
„Daß ich zur Frau Dich machte,
„War doch ein dummer Streich!
„Die Kinder auf den Gassen
„Schrei'n öffentlich es aus,
„Daß wir zusammen passen,
„Wie Elephant und Maus! —“
„Von allen Uebeln, dachte
„Ich, wähl' das kleinste schlau!
„Deßhalb den Streich ich machte,
„Und wählte Dich zur Frau! —“
„Das Mäuschen doch nicht spürte
„Dem Elephanten nach? —
„Sprach sie —, und dieser führte
„Nie eine solche Sprach!
„Auch schweige gänzlich stille
„Von dem erwähnten Streich!
„Man sagt: Des Menschen Wille
„Ist auch sein Himmelreich.
„Den Riesen streckt die Schleuder
„Des kleinen David hin,
„Drum rede ja nicht weiter!
„Du könnt'st den Kürz'sten zieh'n!
„Du hast an manchen Tagen
„Für groß genug erklärt
„Mich, und ich könnt' Dich schlagen
„Mit Deinem eig'nen Schwert!“
„Und weiter ich erkläre,“
Sprach ich, „hier noch genau,
„Daß ich für Dich begehre
„Nie eine größ're Frau!
„Denn wenn ich wählen könnte
„Aus allen Classen aus,
„So führte ich am Ende
„Die kleine doch nach Haus! —“
(224 ≡)
Einst, als allein geblieben
Sie war nur eine Stund',
Hatt sie in Angst getrieben
Ein frecher Vagabund.
Nur dadurch, daß sie sagte,
Ihr Bruder sei im Haus,
Den Kerl sie endlich brachte
Mit Frauenlist hinaus.
Kaum hatte ich vernommen,
Daß dadurch in Gefahr
Sie plötzlich war gekommen,
Daß ich nicht bei ihr war,
So rief ich voll Entsetzen:
„Ach, unschätzbare Perl!
„Wie leicht hätt' auch verletzen
„Dich können dieser Kerl!
„Nun laß' aus diesem Grunde
„Ich nie Dich mehr allein!
„Es soll zu jeder Stunde
„Doch Jemand um Dich sein!
Denn hörte Einer pfeifen,
„Du seist alleine hier,
„So könnte er vergreifen
„Sich mit Gewalt an Dir!
„Gelegenheit macht Diebe,
„Bei welcher mancher stiehlt!
„Und ich hab' meine Liebe
„Nie eif'riger gefühlt!
Ich lief zum Bürgermeister,
Der suchte auch sofort;
Doch fand sich unser Dreister
Schon nicht mehr in dem Ort.
Als einst sie Futter brachte
Am Fenster einem Huhn,
Und auch zugleich bedachte,
Was Spory solle thun,
Lockt': „Spory! Spory! Spory!“
Sie laut statt: Pi! Pi! Pi! —
„Du hast Dich an Cichorie
„Benebelt heute früh!
„Ach, Du confuses Liebchen!“
Rief ich, indem ich's küßt',
„In Deinem Oberstübchen
„Es nicht mehr richtig ist!“
„Ja,“ sprach's, „jetzt magst Du lachen!
„Ich habe es verdient;
„Denn ich mach' wahrlich Sachen,
„Noch schlechter, als ein Kind!
Nachdem wir um die Wette
Uns herzlich abgelacht,
Sprach ich: „Nun aber hätte
„Ich gründlichen Verdacht!“
„Denn Spory hat ja gräulich
„Dir Sinn und Sprach verwirrt!
„Und ich Hab' mich abscheulich
„Bisher in Dir geirrt!
„Ich Narr dacht: Hast ein Weibchen,
„Das liebt Dich ganz allein!
„Das ist ein schuldlos Täubchen,
„Selbst in Gedanken rein!
„Doch nun hab' ich gehöret,
„Daß es auch And're lockt!
„Da bin ich so empöret,
„Daß mir das Herzblut stockt! —“
„Und daß es wieder fließen
„Soll gleich in dieser Stund,“
Sprach sie, „so soll Dir schließen
„Ein Kuß den Lästermund! —“
So hatten wir — wie kläglich! —
Zusammen immer Streit,
Und führten ihn tagtäglich
Aus lauter Einigkeit.
Doch nicht mit purem Lachen
Vertrieben wir die Zeit,
Es ward auch ernsten Sachen
Gar manche Stund' geweiht.
So oft ich sie auch fragte
Im Amte selbst um Rath,
Mir jederzeit behagte
Der angezeigte Pfad.
(225 ≡)
Wir gingen zwar nicht häufig
An fremde Orte aus,
Doch war und blieb geläufig
Der Weg in's Vaterhaus.
Zu diesem aber hatte
Sie so viel Lust und Lieb',
Daß unterwegs ihr Gatte
Beinah zurücke blieb.
Wir wanderten ihn fleißig,
Bis daß der Monat Mai
Im Jahre neununddreißig
Allmälig ging vorbei.
Zuletzt ward auf dem Pfädchen —
Als ob's im Wachsen wär' —
Doch meinem Camerädchen
Sein Bündelchen zu schwer.
Am dritten Juni fanden
Wir uns in Aßlar ein,
Da sie uns Mittags sandten
Die Chaise nach Hermannstein.
Und als der Tag verflossen
Bis Abends gegen Neun,
Da hörten Hausgenossen
Den jungen Spamer schrei'n.
Weil er nun mit Mamachen
Gesund unter munter war,
Freut' sich auch mit Papachen
Des Hauses ganze Schaar.
Und als das Kind alldorten
Im nahen Preußenland
Auch ist getaufet worden,
Ward Hermann es genannt.
Wie glücklich ich mich fühlte,
Als nun die Mutter schön
Mit ihrem Erbprinz spielte,
Das kann nur Der versteh'n,
Der selbst in dieser Lage
Einmal gewesen ist;
Ein And'rer solcher Tage
Entzücken nie ermißt.
Als Linchen hergekommen,
Wog's zu derselben Stund —
Und brutto zwar genommen —
Grad' sechsundneunzig Pfund.
Als Hermann sechzig Tage
Geboren ungefähr,
Wog auf derselben Wage
Es fünfzehn Pfunde mehr.
Daraus ward abgenommen
Und Jedermann bekannt,
Daß ihm nicht schlecht bekommen
Bei mir der Ehestand.
Als Hermann ward entwöhnet,
Da haben wir ihn gern
Der Großmama gelehnet,
Zu reisen in die Fern'.
Der Weg ging über Gießen,
Frankfurt und Darmstadt hin;
Von Heidelberg wir ließen
Nach Schwetzingen uns zieh'n;
Von Mannheim sind gerathen
Wir nach der Festung Mainz,
Von dieser gen Wiesbaden;
Dort tranken wir erst Eins,
Dann ging es auf die Platte,
Wo von des Daches Höh'n
Man eine Fernsicht hatte,
Wie wir sie nie geseh'n.
Nach Bieberich und Bingen
Sah'n wir den Niederwald,
Und ließen dann uns bringen
Nach Cöln mit Dampfgewalt.
Im Dom das Aug' sich wandte
Mit Staunen her und hin,
Und liebreich vor uns stande
Die Schwabenkönigin.
Die hohe, schöne Dame
Glich grade keiner Nonn',
Und auf dem Dampfschiff' kame
Sie auch mit uns nach Bonn.
(226 ≡)
Nachdem sie dorten leider
Zu frühe von uns schied,
So dampften gleich wir weiter
Zum Onkel nach Neuwied;
Von da gen Bendorf kamen
Zum Bruder Louis wir,
Und in Grenzhausen[14] nahmen
Wir unser Nachtquartier.
In Mogendorf zwar schonte
Ich nicht des Vetters Wein,
Doch dem in Rengsdorf konnte
Man gar nicht böse sein.
Von Coblenz aus bestiegen
Wir Ehrenbreitenstein,
Und sahen dort sich schmiegen
Die Mosel an den Rhein.
Wer diese Festungswerke
Besiehet, hält fürwahr
Sie wegen ihrer Stärke
Für ganz uneinnehmbar.
Von da begaben weiter
Wir uns nur allzubald,
Und machten Abends heiter
In Nassau wieder Halt.
Ein Onkel und zwei Tanten
Empfingen uns mit Freud',
Und kürzten den Verwandten
Recht angenehm die Zeit.
Am andern Morgen fuhren
Nach Ems sie uns in's Bad,
Wo Mancher manche Kuren
Schon überstanden hat.
Die Urlaubstage währten
Nicht lang und waren aus,
Als über Limburg kehrten
Wir wiederum nach Haus.
Wir machten nicht gleich Prahlern
Uns auf der Reise dick,
Doch kam von hundert Thalern
Nicht Einer mit zurück.
Als nun nach zwanzig Tagen
Hermann die Mutter sah,
Und nichts nach ihr zu fragen
Schien, ging's ihr gar zu nah'.
Zuerst erkannt' er wieder
In Karl den alten Freund;
Doch hat er dann auch bieder
Mit der Mama geweint.
Und als mir nun zum Kaffee
Rief Lina etwas jach,
Rief gleich der kleine Affe
Ihr „Spamer! Spamer!“ nach.
Er hatte rein vergessen
Nunmehr der Mutter Brust,
Doch dafür hatt' zum Essen
Er desto größ're Lust.
Er schlug die beste Klinge,
Griff tapfer an und frisch,
Daß er den Sieg erringe
An unser'm Mittagstisch'.
Und wenn ich sprach: „Nun hätt' ich
„Gedacht, Du ließest's sein!“
Sprach er: „Ich bin nie fetig!“
Und hieb von Neuem ein.
Ich darf wohl nicht erst schreiben,
Was doch ein Jeder sieht,
Daß er bei solchem Treiben
Auch sichtbarlich gerieth.
Als Karl begann zu wandern
In's nächste Pädagog,
Mußt' Hermann einen andern
Gespielen haben noch;
Drum kaum fünf Tag verflossen,
Seit Karl nach Wetzlar ging,
Als einen Spielgenossen
Hermann für ihn empfing.
Am zweimal zwölften Tage
Aprils in vierzig eins
Gar lieblich vor ihm lage
Das Bild des Schwesterleins
(227 ≡)
Mit dunkelbraunen Augen
Und rabenschwarzem Haar,
Das mir und meinem Frauchen
Auch sehr willkommen war.
Und weil wir an ihm fanden
Mit Minchen Aehnlichkeit,
Wir es auch Minchen nannten
Für seine Lebenszeit.
Die Kleine wollte eben
In Kurzem werden groß,
Drum trank sie um ihr Leben
Auch tüchtig darauf los.
Sie ging nicht von der Schenke,
Bis daß dieselbe leer,
Und dann selbst mit Gezänke
Verlangte sie noch mehr.
In einem halben Jahre
Trank sie sich dick und rund,
Und wog bei einem Haare
Schon ihre achtzehn Pfund.
Wenn später wollte wiegen
Ihr Mädchen sie zur Ruh',
Blieb sie wie schlafend liegen,
Und schloß die Augen zu;
Doch kaum ging jenes weiter,
Sie selbst die Wiege schwang,
Und sang dazu so heiter,
Daß es im Zimmer klang.
Auch mußte ich mich setzen
Oft zu ihr auf die Wieg',
Wodurch dann ihr Ergötzen
Noch immer höher stieg.
Im dreiundvierz'ger Jahre
Entstand in Hermannstein
Am zehnten Januare
Ein Spinn- und Singverein.
Die Fräulein Meyer beide,
Der Schulvicar und wir
Genossen große Freude
Bei'm Singen zum Clavier.
Wie sehr indeß erquickte
Uns manche Symphonie,
Weit mehr uns noch entzückte
Die Seelenharmonie.
Bevor Kathinka Meyer
Aus uns'rem Kreise schied,
Ertönte ihr zu Feier
Noch dieß Geburtstagslied:
Herbei! herbei zum Festgesang!
Kathinka Meyer lebe lang!
Heut zählt sie sechsundzwanzig Jahr'!
Sie lebe glücklich immerdar!
Das wünschen wir der holden Braut,
Und singen's aus dem Herzen laut;
Wir schätzen hoch und lieben sie,
Und uns're Liebe stirbet nie!
Lang war uns wohl in ihrer Näh',
Ihr Scheiden wird ein langes Weh';
Den unersetzlichen Verlust
Empfinden wir in tiefer Brust!
Doch keine Klage ziemet heut';
Der Freude sei der Tag geweiht,
Der eine Freundin uns gebracht,
Die uns das Leben froh gemacht!
Wir danken ihr für jede Zeit,
Worin sie unser Herz erfreut!
Gott thu' ihr, wie sie uns gethan,
Auf ihrer ganzen Lebensbahn!
Wir schmeicheln nicht, wir meinen's so.
Und rufen jetzo Alle froh
Und rufen auch in Zukunft noch:
Kathinka Meyer lebe hoch!!!
Indem wir dieses sangen
Mehrstimmig und im Chor,
Der Rührung Thränen drangen
Aus ihrem Aug' hervor. —
Auch wenn mit meinem Frauchen
Ich Hektors Abschied sang,
Oft kaum in feuchten Augen
Die Zähren ich bezwang.
(228 ≡)
Wenn sonst ich ihr bei'm Spiele
Und Singen hörte zu,
So blieben die Gefühle
Mir in gewohnter Ruh',
Nur bei dem Hektorliede
In uns'rem Zweigesang
Ward mir in dem Gemüthe
So traurig, weich und bang.
Es war mir dann zu Muthe,
Als ahnete mir schon
Die Zeit, wo meine Gute
Mir wiederum entfloh'n. —
Die Milanollo gaben
In Gießen ein Concert,
Und das gehört zu haben,
War auch der Mühe werth.
Nur drang die Menschenmenge
Nach dem bewußten Haus',
Daß Manchem im Gedränge
Fast ging der Athem aus.
Da gab ich in der Klemme
Dem Burschen gute Wort',
Daß er den Andrang hemme,
Bis Lina in dem Port.
Sogleich der Bursch in Masse
Stand wie ein fester Damm,
Daß Linchen von der Gasse
Leicht in das Haus entkam.
Ich dankte den Studenten
Verbindlichst allzumal,
Und trug auf beiden Händen
Mein Schätzchen in den Saal.
In uns'rer Eh' erschiene
Kein ungerades Jahr,
In dem nicht Caroline
Ein Spämerchen gebar.
Als drum die Jahrzahl stiege
Auf drei und vierzig schon,
Da lag auch in der Wiege
Der liebe, zweite Sohn.
Im vierten Mond den Sechsten
War er gekommen an,
Und hatt' der Allernächsten
Dabei kein Leid gethan.
Nach der Mama Verlangen
Ward Louis er genannt,
Als er die Tauf empfangen
Von meiner Vaterhand.
Als er sich stark getrunken,
Fing laut er an zu kräh'n,
Und gern damit zu prunken,
Daß er Allein konnt' steh'n.
Dem Großpapa, dem jüngern,
Sah' er so ähnlich, daß
Ich auf ihn wies mit Fingern
Zum allgemeinen Spaß. —
Ich kaufte einen Schlitten
Mit hoher Bretterwand,
So daß ein Kleines mitten
Schutz gegen Stürme fand.
Den Fuhrlohn wollt' ich sparen,
Und mein geliebtes Weib
Mit eig'nen Händen fahren
Darin zum Zeitvertreib.
Doch war zum Zieh'n für Einen
Der Schlitten viel zu schwer,
Drum machten wir auch keinen
Gebrauch davon nachher.
Von Anfang residiret
Er auf dem Speicher schon,
Und wurde nie geführet
Von seinem hohen Thron.
Doch eine Lustfahrt nenn' ich,
'S war seine einz'ge Tour,
Als Linchen sechzehnspännig
Von Aßlar hierher fuhr;
Ich schrieb sogleich sie nieder
Am sechsten Februar,
Und gebe hier sie wieder
Sowie sie damals war.
(229 ≡)
Schlittenfahrt.
Am Stege zu Aßlar hält Etwas still;
Da wogt es in rührigen Massen,
Es schnaubet und stampfet so muthig und will
Sich länger nicht bändigen lassen;
Da steigt in den Schlitten die rechte Person,
Und rasch mit ihr geht es im Trabe davon.
Der Milchhans schwinget die Peitsche mit Macht,
Und treibet zu schnellerer Eile
Die flinken Gespanne, es sind ihrer acht,
Denn sieben nur ziehen am Seile,
Und doch wird die Fähre nicht übermannt,
Denn das stärkste ist an die Deichsel gespannt.
Doch drinnen im Schlitten wer mag es nur sein'
Der fähret wie Sturmwind und Wetter?
Kaum seh' ich den Hut und den Schleier, allein
Das Uebrige decken die Bretter.
Es ist eine Dame, sie ist auch klein, —
Es ist - die Pfarrin von Hermannstein!
Auf jeglicher Seite ein Herr ihr jagt,
Doch jagen zu Fuße sie beide,
Und wenn ihr vielleicht nach den Namen mich fragt,
Ich kenne Die ehrlichen Leute;
Zum wenigsten gleichen sie auf ein Haar
Dem Pfarrer von H. und dem Schulvicar.
Und wisset ihr, was für Gespanne es sind,
Die den Schlitten so hurtig entführen?
Sie gehen so flüchtig, als wie der Wind,
Doch gehen sie nicht auf den Vieren,
Sie spannten sich selber und freiwillig ein,
Die munteren Knaben von Hermannstein.
Der Vollmond beschaute mit heit'rem Gesicht
Und Staunen die fröhliche Truppe;
Denn solch' eine Schlittenfahrt sah' er noch nicht
Und keine fidelere Gruppe;
Drum konnte an ihr er nicht satt sich seh'n,
Bis endlich der Schlitten blieb stille steh'n.
Da stieg denn die Pfarrin von Hermannstein
Vergnügt aus der bretternen Fähre,
Und dankte den gütigen Knaben gar fein
Für die ihr erwiesene Ehre;
Doch, was an den großen Trabanten sie thut,
Wer weiß es —, die haben den Lohn noch zu gut.
In Vierundvierzig machten
Der Fahrten wir noch mehr,
Um hübsch uns zu betrachten,
Wie Dieß und Jenes wär'.
Wie man die Tauben hören,
Die Stummen reden lehrt,
Das haben nach Begehren
In Friedberg wir gehört.
Drauf mußt' ein Leiterwagen
Mit Kißners im Verein
Schnell bis nach Fulda tragen
Uns über manchen Stein.
Vorzüglich hat gefallen
Zwar Linchen diese Stadt,
Doch war es mit uns Allen
Des Leiterwagens satt.
Des andern Tags bestiegen
Wir dort die Post allein,
Da meinte vor Vergnügen
Im Himmel es zu sein.
„Ja,“ sprach ich, „ich gestehe:
„Ganz Unrecht hast Du nicht,
„Denn Einen Engel sehe
„Ich auch von Angesicht!
„Mit dem ich möchte fahren
„Bis an das End der Welt!
„Weil er mir mit den Jahren
„Noch immer mehr gefällt.“ —
Der Sommer, Herbst und Winter
Flog uns zu schnell vorbei.
Da hatte ich der Kinder
Von Linchen annoch drei.
Allein weil Fünfundvierzig
Ein ungerades Jahr,
So sahe in der Kürz' ich
Vermehrt der Kinder Schaar.
Zu Hermann, Louis, Minchen
Kam noch in aller Still'
Ein blaugeäugelt Linchen
Am siebenten April.
(230 ≡)
Dieß Kind wuchs schlank und kräftig
Wie eine Tanne auf;
Sein Sinn war stets geschäftig,
Voll Federkraft sein Lauf;
Sein Aug' des Himmels Bläue
In klarem Spiegel trug;
Sein Herz in Kindestreue
Und zarter Liebe schlug;
Sein Haar in dunklen Wogen
Floß bis zum Gürtelband,
Und wo's die Stirn umzogen,
Es sich in Löckchen wand.
Wie Lina aufgeschossen,
Ich dann am meisten fand,
Wenn unter Schulgenossen
Sie in der Mitte stand.
Weil ruhig und bescheiden
Sie gegen Jedermann,
Deßwegen auch bei Zeiten
Sie Jeder lieb gewann.
Sie war gesund und munter
Bis zu dem zehnten Jahr,
Dann aber ging's bergunter
Mit ihr auch ganz und gar.
In Aßlar mußt' mit Schrecken
Und bangem Vorgefühl
Ich plötzlich einst entdecken,
Daß Frost sie überfiel.
In jenem Augenblicke
Brach ihre Krankheit aus.
Schon krank ging sie zurücke,
Doch noch umher zu Haus.
Am zweiten Tag' indessen
Legt' sie sich gerne schon,
Nachdem sie selbst ermessen,
Daß ihre Kraft entfloh'n.
Vergebens wir nur harrten
Auf Hülfe der Natur;
Drum nahm nach kurzem Warten
Der Arzt sie in die Kur.
Viel Zeit mußt' erst verfließen,
Bis nur derselbe fand,
Daß hier in innern Drüsen
Der Krankheitsstoff bestand.
Dann nahm genau die Arme
Ein Jahr lang Medicin,
Und — daß sich Gott erbarme —
Da war sie auch fast hin.
Ich hatt' auch Stabsarzt Meyer
Nach Doctor Herr gebraucht;
Es blieb die alte Leier
Und hatte nichts getaugt.
Vom sechzehnten October
Bis wiederum dahin
Nahm Lina einen Zober
Voll bitt'rer Medicin.
Da stellte ich bei Seite
Nun alle Arzenei'n,
Und gleich zu meiner Freude
Sah' ich mein Kind gedeih'n;
Ja von dem Augenblicke,
Wo es nichts ein mehr nahm,
Auch zusehends zurücke
Die Lebenskraft ihm kam.
Sie wurde wieder munter,
Die Wangen, die so hohl
Gewesen, wurden runder,
Und Alles ginge wohl.
Ich fühlte mich so heiter,
Als sie es selber war,
Und ahnete auch weiter
Jetzt keinerlei Gefahr.
Auf ihres Arztes Rathen
Ließ ich im nächsten Jahr'
Sie in Salzhausen baden,
Wo stets ich bei ihr war.
Froh kehrten wir zurücke,
Nur war der eine Fuß
Am Knöchel etwas dicke;
Da sprach der Arzt: „Ich muß
(231 ≡)
„Dir doch noch was verschreiben,
„Was Du an dieser Stell'
„Ein paarmal ein magst reiben,
„Und dann vergehet's schnell!“
Doch, als sie sich geschmieret
Nach ihres Arztes Wort,
War sie also kuriret,
Daß sie nicht konnte fort,
Ja nicht einmal mehr stehen,
Und mußte in das Bett,
Und ich mußt' wieder sehen
Das alte Lazareth.
Noch dreizehn Monat' litte
Sie nunmehr accurat,
Und zwar nach ihrer Sitte
Geduldig früh und spat.
Zuletzt ihr Hirn erweichte,
Und trat Betäubung ein,
Daß kein Bewußtsein zeigte
Sich in des Auges Schein.
Das Haar ward abgeschnitten,
Der Kopf mit Eis bedeckt,
Doch dadurch und durch Bitten
Der Tod nicht abgeschreckt.
Es war am sechsten Tage
Septembers, als wir laut
Beweint mit Trauerklage
Die reine Himmelsbraut.
Als neunundzwanzig Tage,
Vier Monat, dreizehn Jahr'
Sie alt geworden, lage
Sie auf der Todtenbahr'.
Stets war sie meine Freude,
Und hat mich nie betrübt,
Drum fühle ich noch heute,
Wie sehr ich sie geliebt.
Man brachte — zum Beweise,
Wie lieb sie Andern war —
Viel Blumenkränz' und Sträuße
Noch ihrer Leiche dar.
An ihrer Mutter Seite
Schläft sie in kühler Gruft,
Bis einst zur ew'gen Freude
Der Todtenwecker ruft.
Wie ihre theuren Züge
Mir fest im Herzen steh'n,
So kann man zur Genüge
Sie noch im Bilde seh'n. —
Auch anno vierzig sieben
Ist mir etwas passirt,
Was ich Euch noch, Ihr Lieben!
Bisher nicht angeführt.
Am Sechzehnten des Neunten
Nicht lang nach Mitternacht
Ward nämlich mir von Freunden
Ein Mädchen dargebracht,
Dem fehlten alle Kleider,
Die Strümpfe und die Schuh';
Es wollte auch nicht weiter,
Und störte meine Ruh'.
Da rief ich: „Herzensschätzchen!
„Wer hat in aller Welt
„Denn dieses kahle Rätzchen
„Da bei der Amm' bestellt? —“
„Mich brauchst Du nicht zu fragen!“
Sprach sie mich lächelnd an;
„Ich kann Dir so viel sagen:
„Ich — hab' es nicht gethan.“
„Nun, ich will's auch nicht wissen,
„Und will auch keinen Zank,“
Sprach ich, „nur laß Dich küssen
„Dafür zum größten Dank! —“
Hatt' ich nun kein Vergnügen
Und Anna keine Ruh',
So fing ich an zu wiegen,
Und sang ihr Eins dazu. —
In jenen schönen Tagen
Ich und mein liebes Weib
Einmal zusammen sprachen
Also zum Zeitvertreib.
(232 ≡)
Sie:
Manchmal hätte ich mich doch über Dich zu
beschweren!
Aber bei Niemand komm dann mit der Klage
ich an;
Alle lachen mich aus: „Wir wollen nichts davon
hören;
„Denn Sie haben gewiß immer den trefflichsten
Mann!“
Ich:
Daraus siehest Du doch, wenn Alle so zu Dir sagen,
Daß Du Ursache hast, mit mir zufrieden zu sein!
Und daß keine Du hast, Dich über mich zu
beklagen;
Sondern den triftigsten Grund, Dich Deines
Mannes zu freu'n!
Sie:
Ach sie würden gewiß nicht halb so gut von
Dir reden,
Hätten sie halb nur so gut Dich, als ich selber
erkannt!
Doch, weil sie Dich durchaus und in jeglichem
Falle vertreten,
Lege ich mir auf den Mund lieber die schließende
Hand!
Ich:
Ist mein ehrlicher Name so fest gegründet bei Allen,
Dann verschweigst Du klug selbst die gegründete
Klag'!
Drum, mein Liebchen! erzeig' mir doch den großen
Gefallen:
Deine eh'liche Last immer geduldig ertrag! —


Mein Weibchen auf dem Schoose,
Sprach später ich zu ihr:
Du, meine Letzte Rose -
Wirst täglich lieber mir!
Und sollte ich Dir sterben,
Erwiderte sie schlau,
So würdest Du bald werben
Um eine vierte Frau?
Nein stürbest Du, mein Schätzchen! —
Darauf geb' ich mein Wort —
Blieb' ewig leer Dein Plätzchen,
Ich — Wittwer immerfort!
Du sollst Dein Wort nicht geben!
Ich kenne Dich genau!
Sprach sie: Du kannst nicht leben
Auf Erden ohne Frau!
Im Tod' mußt' sie erkalten
Nicht lang nach dieser Zeit;
Ich habe Wort gehalten
Vom Todestag bis heut'.
Sie hat mir's gut geschrieben;
Denn in so mancher Nacht
Kommt sie, um mich zu lieben,
Bis ich vom Schlaf erwacht.
Drum halte ich Gekose
Mit ihrem theuren Bild;
Drum blühet auch die Rose
Darunter frisch und mild. —
Am zwölften Tag des Neunten
In Neunundvierzig früh
Um ein Uhr — ach! — da weinten
Wir bitterlich um sie.
Als sie da wollte geben
Mir auch den dritten Sohn,
War schnell ihr edles Leben
Mit dem des Kind's entfloh'n.
Ach, es war ganz entsetzlich!
Als mit dem Arzt sie sprach,
Da endete sie plötzlich
Durch einen Nervenschlag.
Laut rief ich ihren Namen,
Sie war und blieb auch todt.
Ich schlug die Händ zusammen,
Und schrie: „Ach Gott! Ach Gott! —
„Noch schlief ich ohne Sorgen
„Am späten Abend ein,
„Und ehe graut der Morgen,
„Muß ich schon Wittwer sein!
„Gern wollte ich mich fassen
„Bei meines Kindes Tod,
„Hätt'st du mir nur gelassen
„Mein Linchen, lieber Gott! —
(233 ≡)
Es war mir grad', als läge
Das ganze Haus auf mir;
Als ob das Herz zerbräche
Vor Schmerz und Wehmuth schier.
Und als ich nachher weckte
Die arme Kinderschaar,
Und was gescheh'n, entdeckte,
Was das ein Jammer war! —
Die süßen, süßen Stunden,
Die Linchen mir verschafft,
Die waren nun verschwunden
Für meine Pilgrimschaft. —
Sie war, als auf der Bahre
Sie nebst dem Kinde lag,
Alt vierunddreißig Jahre
Drei Monat' und zwölf Tag'.
Am Vierzehnten um Zehne
Des Morgens sank in's Grab
Bei schmerzlichem Gestöhne
Der beiden Sarg hinab,
Und beider Linchen Namen
Erglänzen nun beiseits
In Einem Epheurahmen
Auf einem Marmorkreuz.
Und Blumen jährlich blühen
Auf ihrer frühen Gruft,
Und Wohlgerüche ziehen
Umher mit süßem Duft.
Zwei Käthchen und zwei Minchen,
Ein Söhnchen namenlos,
Ein Eduard, zwei Linchen
Ruh'n hier im Grabesschoos.
So viel' in Noah's Kasten
Man Menschen hat gezählt,
So viele Spamer rasten
Zusammen hier entseelt.
Die Mutter und zwei Söhne,
Zwei Töchter und drei Frau'n
Kann ich auf kleiner Pläne
Hier täglich überschau'n.
In vierundzwanzig Jahren
Hab ich sie alle acht,
Die mir die Liebsten waren,
Zu Grabe hier gebracht.
Bei Wessen Gruft ich stehe,
Deß Bild mich treu umschwebt,
Daß ich es wiedersehe,
So wie es hat gelebt.
Die Augen und Gestalten,
Die mich so sehr entzückt,
Such ich dann fest zu halten,
Und fühle mich beglückt.
Ich stehe da versunken
In die Vergangenheit,
Und lebe liebetrunken
In meiner schönsten Zeit.
Die Liebe hat die Stelle
Geheiligt und geweiht,
Aus der Erinnrung Quelle
Fließt neue Seligkeit.
Eh' ich vom Friedhof wand're,
Besuch' ich Die zuletzt,
Die mir durch keine And're
Im Leben wird ersetzt;
Und in des Grabes Schranken
Pfleg' meiner letzten Ros'
Ich dann es noch zu danken,
Daß ich nicht kinderlos.
Auch recapitulire
Mit schmerzenreicher Freud'
Ich dann zugleich mir ihre
Elfjähr'ge Ehezeit. —
Nur Einen großen Schrecken
Erlebte sie darin,
Den ich noch will entdecken,
Da ich am Schreiben bin.
Am Marthaabend lagen
In Sechsundvierzig wir
Vor Neune mit Behagen
Zu Bette kaum dahier,
(234 ≡)
Als plötzlich fing zu schwanken
Das Bett dermaßen an,
Daß wir in seinen Schranken
Uns nicht mehr sicher sah'n.
„Ach, Gott! die Erde bebet!“
Rief Linchen gleich mit Graus:
„Wer hat so was erlebet?
„Mach' schnell Dich nur heraus!“
Sie lag wie auf der Folter,
Da sie zugleich vernahm,
Daß schreckliches Gepolter
Tief aus der Erde kam.
Es war, ich muß gestehen,
Mir auch nicht einerlei;
Doch mußte ich vergehen
Vor Lachen fast dabei.
Vor dem Gebetbuch sehe
Ich Linchen noch verstört;
Und als ich näher gehe,
Hatt's ja das Buch verkehrt!!
Vor Jettchen, meiner Nichte,
Ein Buch geöffnet lag;
Doch stand auf dem Gesichte
Ihr schon der jüngste Tag.
„Wenn auch die Erdax krachte,
„Und wär Euch noch so bang —“
Sprach ich — „ja, jetzo lachte
„Ich zum Weltuntergang!
„Ihr klammert Euch mit Aengsten
„Jetzt an den Himmel, gelt,
„Weil's, wie es scheint, am längsten
„Gewährt mit dieser Welt?
„Der Himmel läßt nicht stürmen
„Sich so auf Einen Stutz,
„Und wird Euch auch nicht schirmen,
„War't Ihr bisher nichts nutz!“
Da so mein Täubchen spassen
Mich hörte im Tumult,
Begann es auch zu fassen
Sein Herzchen in Geduld.
Bei Linchens schnellem Tode
Die Kirchweih' war im Schwang,
Und nach der alten Mode
Hier Alles sang und sprang;
Doch als die Schreckenskunde
Drang in das Kirchweihhaus,
Erscholl es in der Runde:
„Dann ist die Kirmeß aus! —“
Es war im Augenblicke
Musik und Tanz vorbei;
Man ging nach Haus zurücke,
Und hörte keinen Schrei.
Dieß mach' ich gern zum Lobe
Des ganzen Dorfs bekannt;
Auch dienet es zur Probe,
Wie hoch hier Lina stand.
Schwer habe fühlen müssen
Ich ihres Wortes Last:
„Du wirst mich doch vermissen,
„Wenn Du mich nicht mehr hast!“
Zehn Jahre sind es heute,
Daß ich sie misse schon,
Und meine Lebensfreude
War gleich mit ihr entfloh'n.
So oft ich auch noch lachte
Seit dem mit heit'rem Sinn,
Das, was mich glücklich machte —
Für immer war's dahin!
An ihres Grabes Rande
Herr Reinhard noch erhob
Die würdige Verwandte
Durch wohlverdientes Lob.
Könnt' sie mich noch umschweben,
Wie gern gäb' ich dafür
Sogleich mein halbes Leben,
Und schiede dann mit ihr! —
Doch, Schatz! weil Du entrissen
Mir bist für alle Zeit,
Will ich dafür Dich küssen
Durch alle Ewigkeit! —


Hermannstein, am 12. September 1859.
Christian Spamer.


Wahre und wunderbare Erlebnisse

aufgezeichnet für seine Kinder

von

Christian Spamer 1872.


I.

Prophetische Träume.

1. Mein Orgeltraum in Hermannstein 1835.

Daß ich treu erzähle Dir,
Lieber Leser, weiß ich! —
Noch war keine Orgel hier
Anno fünfunddreißig;
Bei dem Gottesdienste ward
Stets von Alt- und Jungen
Nach der hergebrachten Art
Zu der Geig' gesungen,
Und mit jeder Strophe war
Köhler ehr zu Ende,
Als die Sänger, weil er gar
Rasch vom Temp'ramte,
Da nun so Gesang und Spiel
Mit einander kämpften,
Sie die Andacht auch nicht viel
Hoben, sondern dämpften.
Eine Orgel war darum,
Wie ich oft gelesen,
Längst ein Desiderium
Schon dahier gewesen;
Niemand aber auf der Welt
Hier auf eine zählte,
Weil dazu ja doch das Geld
Alle Tage fehlte.
Diesen Mangel, sagte ich
Oefter meinen Bauern
Hier und da gelegentlich,
Muß ich sehr bedauern;
Ich vermiß' das Orgelspiel
Immer hier mit Schmerzen,
Weil es heiliges Gefühl
Wecket in den Herzen.
Alle stimmten zwar mir bei
Aber wie dem Schaden
Jemals abzuhelfen sei,
Konnte Keiner rathen.
Siehe, da nun träumte mir:
Abends sei gekommen
Unser Schultheiß; an der Thür'
Hab' er Platz genommen;
Dann — weil eben auch noch hier
Waren and're Leute —
Winkte mit dem Finger mir
Schweigend er bei Seite;
Leise sprach er nun zu mir,
Lächelnd vor Vergnügen:
„Jetzt, Herr Pfarrer, können wir“
„Eine Orgel kriegen!“
„Denn die Kosten kann ich nun“
„Ganz allein bestreiten,“
„Ohne wehe mir zu thun“
„Oder andern Leuten!“
„Der Gewinn vom Zehntkauf ist“
„Baar in meinen Händen,“
(236 ≡)
„Und ich will ihn gern als Christ“
„An die Orgel wenden.“
„Auch wird sich derselbe schier“
„Wohl so hoch belaufen,“
„Daß wir können uns dafür“
„Eine Orgel kaufen!“
„Doch behalten Sie für sich“
„Vor der Hand die Sache,“
„Daß der Landrath keinen Strich“
„Durch dieselbe mache!“
„Wenn man dem die Frage stellt,“
„Was am meisten nütze,“
„Spricht er: Kaufet für das Geld“
„Eine Feuerspritze!“
„Eine Spritze werden wir“
„Außerdem bekommen;“
„Aber wird das Geld zu ihr“
„Jetzt uns weggenommen,“
„Dann geb' ich die Hoffnung auf,“
„Daß bei unserm Leben“
„Jemand zu dem Orgelkauf“
„Wieder Geld wird geben!“ —
Diesen Traum erzählte ich
Gleich in aller Frische
Meinem Bruder buchstäblich
An dem Kaffeetische.
Auch fiel mir das Traumgesicht
Auf, als ich erwachte,
Weil ich an die Orgel nicht
Tags zuvor gedachte.
Als jedoch der Schultheiß kam
Abends zu uns beiden;
An der Thür' sein Plätzchen nahm,
Da mit andern Leuten
Eben im Gespräch ich war,
Und er dann mir winkte,
Meinem Bruder wunderbar
Schon die Sache dünkte.
Als zu End' der Schultheiß kaum,
Frug mich jener offen:
„Ist wohl gar Dein letzter Traum“
„Eben eingetroffen?“
„Sage ihn dem Schultheiß hier,“
Sprach ich, „unverhehlet,“
„Wie ich diesen Morgen Dir“
„Habe ihn erzählet!“
Als mein Bruder dieß gethan
In den besten Launen,
Sahe uns der Schultheiß an
Starrend vor Erstaunen;
Denn was er mir jetzt gesagt,
Hatte ich vernommen
Wörtlich von ihm in der Nacht,
Ehe er gekommen! —
Auch die Andern, die dabei,
Gafften wie bethöret,
Weil von solcher Träumerei
Keiner je gehöret.
Was ich selbst in meinem Sinn
Meist bewundern mußte,
War, daß ich vom Zehntgewinn
Vorher gar nichts wußte. —
Deshalb möchte ich noch heut
Gar zu gerne hören
Dieses Traumes Möglichkeit
Jemand mir erklären!
Dieß Verlangen wird mir zwar
Schwerlich je gestillet;
Doch ward, was mir lieber war,
Ganz mein Traum erfüllet.
An neunhundert Gulden sich
Jener Fond erstreckte;
Ueber hundert brachte ich
Auf noch durch Collecte,
Und die Orgel hat dafür
Raßmann neu erbauet,
Welche man noch heute hier
In der Kirche schauet.
Als sie Franke hat gespielt
Und ich ein sie weihte,
Hat das ganze Dorf gefühlt
Eine Herzensfreude.
Möge Jeder, der sie noch
Wird in Zukunft hören,
Unsern Schultheiß Wagner hoch
Und von Herzen ehren!
Ja, weil dieser Ehrenmann,
Bis er abgeschieden,
Hat des Guten viel gethan,
Ruhe er im Frieden. —
(237 ≡)
2. Ein Traum meiner Mutter 1800.

Im Anfang des genannten Jahres, als mein Vater Pfarrer in Burkhards war, hatte meine Mutter daselbst folgenden, sehr lebhaften Traum: Es pochte in der Nacht an das Fenster, an welches ein auf der Freitreppe stehender Mann hinanreichen konnte, mehrmals so stark, daß sie nicht nur erschreckt aus dem Schlafe auffuhr, sondern auch dachte: Was mag das für ein Flegel sein, der so unverschämt an das Fenster schlägt. Mit dem Vorsatze, demselben einen Verweis geben zu wollen, eilte sie aus dem Bette an das Fenster, und als sie es öffnet, steht vor demselben Wilhelm Stophel von Schotten, der Bruder der Mutter meines Vaters, und spricht zu ihr: „Ich wollte Ihnen nur schnell die traurige Nachricht bringen, daß Ihr Schwiegervater vor zwei Stunden dem Herrn entschlafen ist, und will mich nun sogleich wieder nach Schotten zu meiner verlassenen Schwester zurückbegeben!“ — Hierauf träumte es meiner Mutter alsbald weiter, daß sie ganz deutlich das Lied singen höre, welches am Grabe meines Großvaters gesungen würde.

Beim Erwachen erzählte sie meinem Vater diesen Traum genau, und nannte ihm auch namentlich das Lied, welches sie habe singen hören. Mein Großvater war damals noch nicht krank, starb jedoch nach kurzer Krankheit in der Nacht des 16. Februar 1800. In derselben Nacht brachte derselbe Bote mit denselben Worten und ganz auf dieselbe Weise die Todesnachricht meiner Mutter nach Burkhards; auch wurde am Grabe meines Großvaters dasselbe Lied gesungen, welches meine Mutter im Traume gehört hatte. —

3. Ein zweiter Traum meiner Mutter 1813.

Am 9. Juli 1813 starb in Burkhards meines Vaters Mutter. Ehe dieselbe erkrankte, hatte meine Mutter folgenden Traum: Meine oben erwähnte Großmutter fiel unvermuthet und ganz erschöpft auf sie zu, und sprach: „Ach, wie ist mir! ach, wie ist mir!“ —

Am folgenden Sonntage wurde dieselbe aus der Kirche, wo es ihr plötzlich schwach geworden war, von der Schullehrerin Schmehl nach Hause geführt, wo sie fast ohnmächtig meiner Mutter in die Arme sank mit den Worten: „Ach, wie ist mir! ach, wie ist mir!“

Sie wurde sogleich in das Bett gebracht, und stand nie wieder aus demselben auf. —


4. Ein dritter Traum meiner Mutter 1834.

Im Jahr 1854 hörte meine Mutter zwei, bald auf einander folgende Schüsse, wie aus einer Doppelflinte, im Traume, welche ihr beide durch das Herz gingen und einen unaussprechlichen Schmerz verursachten. Sie fuhr aus dem Schlafe auf mit dem Angstrufe: „Ach Gott, ach Gott, was gibt's für ein großes Unglück!“

Am Morgen erzählte sie ihren schrecklichen Traum mit dem Bemerken, daß sie den im Schlafe empfundenen Schmerz noch immer fühle, und daß gewiß zwei, ihr höchst schmerzliche Todesfälle bald nach einander folgen würden.

Am 9. August 1834 starb mein liebes Käthchen und, ehe noch ein Monat weiter verging, auch seine Schwester, Christiane Dornemann.

(238 ≡)

5. Noch 4, auf den Tod meines lieben Käthchens beziehliche Träume
gebe ich hier wieder, wie ich sie vor 35 Jahren für mein liebes Linchen niedergeschrieben habe.

A.
Einst im fröhlichen Kreise, wir tranken gerade am Kaffee,
Welchen uns Käthchen geschenkt, einige Wochen zuvor,
Ehe ihr Leiden begann, hob so sie an zu erzählen:
„Ach, mein Frohsinn ist hin durch den erschrecklichen Traum,“
„Welchen ich neulich geträumt im Kampfe mit Todesgefahren!“
„Laut aufschrie ich um Hülf'; aber kein Helfer erschien.“
„Ganz verlassen, allein stand ich in trübem Gewässer;“
„Weithin riß sich die Fluth tiefere Schluchten umher;“
„Nirgend Sicherheit mehr; es brauste das Donnergewoge“
„Stets in dumpferem Baß; finster ward es um mich;“
„Angst nur gab mir den Muth, noch mögliche Rettung zu wagen;“
„Schwindelnd wadete ich fort in dem gähnenden Grab;“
„Manchen Graben schon hatte mit Mühe ich überstiegen;“
„Tiefere Schlünde anjetzt hemmten die weitere Flucht.“
„Nun verließen mich auch noch gar die Kräfte und Sinne;“
„Nacht umhüllte den Geist, welcher in Ohnmacht versank.“
„Als schon ganz ich erschöpft, erschien der ältere Meyer,“
„Reichend von ferne die Hand nach der Gesunkenen hin.“
„Drauf noch träumte ich fort: Ich war so eben zu reisen“
„Im Begriffe, und nichts war ich zu packen im Stand.“
„Eine Lade besonders — sie mußte doch mit auf die Reise“ —
„Stand noch ungepackt da; aber so kraftlos und steif“
„War unmöglich es mir, auch nur einen Finger zu regen;“
„Lahm war jegliches Glied, nicht mehr gehorchend dem Geist.“
„Fort war die rechte Hand und nicht mehr bei mir zu finden;“
„Wichtig war mir die Reis', unbekannt aber das Ziel.“ —
Also erzählte sie uns, und wie auch scherzen ich mochte,
Ihr durch heiteren Ton heiter zu stimmen den Sinn,
Nicht vermochte der Witz den Ernst ihr ganz zu verscheuchen.
„Nein“, — erwiderte sie — „Träume verstimmen mich nicht;“
„Aber Du wirst noch sehn, was Dieser hat zu bedeuten!“ — —
Und ich habe es, ach, leider zu deutlich gesehn!
Noch im nämlichen Jahre, in welchem sie also gesprochen,
Kam die erschreckliche Fluth, die sie im Traume geschaut.
's war ihr eigenes Blut, durch welches sie Sehen und Hören,
Alle Kräfte und selbst endlich das Leben verlor.
Meyer war auch bereit, soviel er vermochte, zu helfen;
Schleunigst sandt er nach mir und dem Arzte zugleich.
Mehr vermochte er nicht der Sinkenden Hülfe zu leisten;
Dankbar fühle ich noch, daß er das Seine gethan.
Jetzt verstehe ich wohl auch Käthchens wichtige Reise
Und die Lade, die sie freilich nicht selber gepackt.
(239 ≡)
Weinend hab' ich gesehn, wohin die Reise gegangen;
Heilig ist mir der Ort durch der Prophetin Gebein.
Leblos lag sie schon da, ein treues Gemälde des Todes,
Ehe noch dieser erschien; steif war jegliches Glied;
Und ihre rechte Hand — ? war ich, war's auch in der Krankheit;
Aber zur Stunde der Noth war ich gerade ihr fern.
Ach, wie schrecklich erfüllt ward der erst von mir belachte,
Aber bedeutende Traum! Nenne ich so ihn mit Recht? —
B.
Unerklärlicher ist, daß träumend andere Seelen
Käthchens baldigen Tod gegen Vermuthen geahnt;
Mag ich auch über das Wie den Kopf mir immer zerbrechen,
Finde ich dennoch auch hier mehr, als ein nichtig Geträum.
Sehr gewinnet ein Satz durch viele lebendige Zeugen,
Wenn ihre Zeugnisse treu und übereinstimmend sind;
Dieses bemerke ich nur beziehlich auf folgende Träume,
Deren wirklichen Sinn erst die Erfahrung gelehrt.
Fast zur nämlichen Zeit, als Gott dem lieblichen Käthchen
Von dem fallenden Loos Winke von oben ertheilt,
Gab er solche voraus auch meinem trefflichen Vater,
Vorbereitend dadurch ihn auf den herben Verlust.
Nächst — so träumte es ihm — dem Fallthorhause bei Schotten,
Auf dem Wege, den oft Käthchen im Geiste gemacht,
Fand er dasselbe, was sie im vorigen Traume verloren:
Nur eine rechte Hand, ohne den Körper dazu;
Eifrig winkte sie ihm als möge doch eilend er kommen;
Seis, daß sie gewünscht Abschied zu nehmen von ihm;
Seis nun, daß sie in der Noth nach Hülfe und Rettung verlangte.
Wem dieselbe gehör', wurde ihm nicht offenbar.
„Grausen ergriff mich im Traum,“ so sprach er zu seiner Familie,
„Und mit Schauder noch jetzt denke an ihn ich zurück!“ —
Da mein Vater so viel bei meinem Käthchen gegolten,
Hat es gewiß sich nach ihm kurz vor dem Tode gesehnt;
Aber wie findet die Hand er schon ihm winkend am Wege,
Ehe sie Käthchen nach Hülf' oder zum Abschied gereicht?
Sprich nun: Siehest Du hier die Spuren des menschlichen Geistes,
Oder des göttlichen, der ihm sich allwaltend enthüllt?? —
C.
Hast Du der Stäbchen auch viele, du kannst sie doch alle zerbrechen,
Nimmst Du ein jedes allein; sind sie zusammen, wie dann?
Siehe, so könnte auch hier der Zweifel die Träume entkräften,
(240 ≡)
Einzeln; aber im Bund trotzen sie seiner Gewalt!
Auch die Träumenden selbst, so wenig auf Träume sie geben,
Merkten doch diese zumal sich als bedenkliche an.
Sonst doch machen sie sich um Träume keine Gedanken;
Weshalb kamen sie hier aus der gewöhnlichen Ruh?
Und wie kommt es, daß Jeder, was Wasser im Traume entreißet,
Auf den Tod dessen bezieht, dem das Entriss'ne gehört? —
Schiffler, gewöhnlicher ward sie nur „Christinchen“ geheißen,
Käthchens Freundin und auch die ihrer Schwester zugleich,
Träumte damals: Sie wusch der Schwestern theuerste Spitzen,
Plötzlich riß ihr die Fluth, sämmtliche Spitzen hinweg.
Als sie Mühe sich gab, die kostbare Wäsche zu retten,
Mußte sie sehn, wie der Strom gierig dieselbe verschlang. —
Ja, den nämlichen Traum - nur in Parenthesi führe
Hier auch diesen ich an - hatte zugleich auch die Magd,
Welche nicht lange vorher bei mir in Dienste getreten:
Meiner Schwägerin Wäsch' führte das Wasser ihr fort. —
Nicht der nämliche Traum nur, auch die nämliche Deutung
Fand bei Freundin und Magd, wie sie erzählten, Statt.
Beide haben sie mir die Träume getreulich berichtet;
Beide bemerkten dabei, daß sie das Schlimmste geahnt. —
D.
Burkhard heißet dahier mein Nachbar rechts an dem Hofthor
Und sein Vorname Franz; Leichenschauer ist er.
Einen Monat zuvor, eh' Käthchens Leichenzug Statt fand,
Sahe ihn dieser voraus, wie er ihn später geschaut.
Auch den Trauergesang, so wie er ihn nachher vernommen,
Hörte er schon in dem Traum deutlich erschallen voraus. —
II.
Wachend gehörte Todesvorzeichen.
In meinem Geburtshause, dem Pfarrhause in Burkhards, konnte man, so lange wir darin wohnten, in der Neujahrsnacht zwischen 11 und 12 Uhr an gewissen Zeichen jedesmal hören,ob in dem neuen Jahre Jemand von den Hausbewohnern oder ihren nächsten Anverwandten sterben werde.
Als Beweis dafür gebe ich hier folgende Vorzeichen an:
Erstes Vorzeichen.
In der Neujahrsnacht von 1799—1800 hörte mein Vater zwischen 11 und 12 Uhr deutlich eine Lawine vom Dache des Hauses herabrollen und mit dem eigenthümlichen, dumpfen Tone, den eine solche hervorzubringen pflegt, auf die Erde niederstürzen. Während er nun sogleich nach dem Fenster eilt, um die herabgefallene Schneemasse zu sehen, fällt ihm ein, daß noch kein Schnee auf dem Dache liegt und er sieht auch keinen auf der Erde liegen. —
Zweites Vorzeichen.

Erstaunt über dieses sonderbare Ereigniß geht er in das andere Zimmer, um es sogleich meiner Mutter mitzutheilen. Da sagt ihm diese: Und Ich habe so eben da oben im Kamin einige hell schallende Peitschentöne gehört, die gerade so lauteten, als wenn ein Fuhrmann etliche Mal mit der Peitsche laut geklatscht hätte. —

Beide hatten gute Ohren; wußten sich aber das Gehörte nicht zu erklären, bis am 16. Februar 1800 mein Großvater Jakob Spamer in Schotten starb, wo sie es für zwei gleich­bedeutende Vorzeichen seines Todes ansahen. —

Drittes Vorzeichen.

In der oberen Etage des Pfarrhauses wohnte noch die Familie des emeritirten Pfarrers Schuchard, welcher schon 13 Jahre von der Gicht ganz zusammengekrümmt im Bette lag, wie ein kleines Kind alle Nahrung von Andern empfangen mußte, dabei aber doch einen so gesunden Appetit hatte, daß man sein baldiges Ende noch nicht vermuthete! In der untern Etage wohnten wir.

Eine halbe Stunde vor dem Anfang des Jahres, in welchem der Pfarrer Schuchard starb, hörte mein Vater einen Eimer voll Wasser über die Treppe herabrollen, von Stufe zu Stufe aufschlagen, das Wasser herniederrauschen, den Eimer mit eisernen Reifen über die ganze mit Sand­steinen geplättete Hausflur fortrollen und endlich an die Hausthüre anstoßen und liegen bleiben. Damit sich die Magd am andern Morgen, wenn es noch dunkel sei, nicht an diesen, wahrscheinlich von dem Hunde umgestoßenen und herabgefallenen Eimer stoßen oder darüber fallen möge, ging mein Vater hinaus, um denselben bei Seite zu stellen. Aber — es war weder ein Eimer, noch eine Spur von Wasser in der Hausflur zu entdecken. — Meine Aeltern vermutheten alsbald, daß im Lauf des Jahres der Pfarrer Schuchard als Leiche über die Treppe herabkommen werde; was auch geschah. —

Viertes Vorzeichen.

In der Scheidestunde des Jahres 1812 hörte meine Mutter, daß der Ofenkrabben, die Ofengabel und das Blasrohr, welche am Ofenloche zusammenstanden, dreimal so kräftig auf­gestoßen wurden, daß besonders der eiserne Ofenkrabben hell erklang. Es kam ihr so vor, als wolle Jemand durch dieses dreimalige, nachdrückliche Aufstoßen jener Geräthschaften erklären: Da sollt ihr nun stehen bleiben; ich brauche euch nicht mehr! — Weil nun meine Großmutter damals das Feuer im Ofen fast ausschließlich anzündete, schürte und unterhielt, und nicht leiden konnte, daß ihr sonst Jemand in dieses Handwerk fiel, kam meine Mutter augenblicklich auf den Gedanken, daß sie wahrscheinlich ein Vorzeichen des Todes meiner Großmutter gehört habe; und diese starb auch am 9. Juli 1813. —

Fünftes Vorzeichen.

In der zwölften Stunde einer anderen Neujahrsnacht, in welcher meine Mutter und die Magd eben darüber sprachen, ob sich wohl wieder etwas Außerordentliches vernehmen lassen werde, hörten sie das Thürchen des Kochofens in demselben Zimmer dreimal auf- und zugehen. Die Magd rief alsbald in großer Angst: „Ach, das bedeutet mich, weil ich am meisten dieses Thürchen auf- und zumache!“ Und während ihr meine Mutter diesen Gedanken auszureden suchte, klopfte es dreimal stark an die Bettlade, in welcher die Magd eben lag. Da sprang dieselbe auf und jammerte laut darüber, daß sie schon sterben solle. Meine Mutter suchte sie nun damit zu beruhigen, daß dieses Klopfen ja auch einem ihrer Verwandten gegolten oder auf irgend etwas Anderes Bezug haben könne. Dieß war jedoch nur ein geringer Trost für die Magd. Dieselbe starb auch nicht in dem neuen Jahre, aber doch ein von ihr innigst geliebter Bruder in seinen schönsten Jünglingsjahren. —

(242 ≡)
Sechstes Vorzeichen.

Ein ähnliches Todesvorzeichen hörte ich und mein liebes Käthchen im Pfarrhause zu Hermannstein. Wir waren noch keine zwei Jahre verheirathet, schliefen unten in der Kammer und unser Kind in seiner Wiege vor unserem Bette, als mich Käthchen ängstlich am Arme anfaßte und mit den Worten weckte: „Spamer, Spamer, hör' einmal, wie das Kind wimmert! Es ist doch nicht aus der Wiege gefallen?“ Ich fühlte sogleich, daß das Kind ganz ordentlich in der Wiege lag, hörte und fühlte es ruhig athmen, und erwiederte deswegen: „Du hast nur ängstlich geträumt; das Kind schläft ja ganz sanft in seiner Wiege!“ „Ach, dann ist es ein anderes Kind;“ sprach K. „hörst Du denn nicht sein Gejammer?“ Jetzt hörte ich dasselbe auch, aber als sei es in der anstoßenden Stube. Da ward mir auch unheimlich zu Muthe; ich stand rasch auf, um ein Licht anzuzünden, und indem ich nach den Schwefelhölzchen um den Tisch herumging, hörte ich unter demselben ein Kind so kläglich jammern, daß mir dieser Ton durch Mark und Bein ging und Schaudern und Zittern verursachte: und als ich an der Stubenthür vorüberging, krachte dieselbe so laut, als solle sie von außen mit aller Gewalt eingedrückt werden.

Sobald ich ein brennendes Licht hatte, hatte das Gejammer aufgehört, und ich leuchtete vergeblich nach einem Kinde in dem ganzen Zimmer herum. Dann ging ich in die Kammer zu K. und sprach: „In der Stube ist kein Kind, dafür bürge ich Dir; aber im Hause sind Diebe, die eben mit Gewalt die Thür eindrücken wollten! Deswegen bleibe Du, mein Schätzchen, ganz ruhig in Deinem warmen Nestchen, und ich will einmal allein eine Hausvisitation halten!“ Ich nahm sofort 2 gespannte Pistolen und das Licht, öffnete die Thür vorsichtig und ging, da ich Niemand sahe, immer mit Vorsicht weiter, und so von einem Zimmer zum andern, vom obersten Speicher bis in die Keller, in der Voraussetzung, es müßten sich Spitzbuben irgendwo versteckt haben; allein es war im ganzen Hause keiner zu finden. Als ich wieder zu meinem Weibchen kam, sprach es: „Ach, wie bin ich so froh, daß Du wieder da bist!“ Ich erwiederte: „Das glaube ich Dir; weil Du Dich nun nicht mehr fürchtest und mich auch lebendig wieder hast! Ich habe aber im ganzen Hause bei der genausten Nachforschung durchaus nichts Verdächtiges angetroffen, und frage Dich nun: „Was denkst Du von dieser ganzen Geschichte?“ —

K. antwortete: „Es hat gewiß ein leidendes, mit uns verwandtes Kind an uns gedacht und sich hier angezeigt.“ Das glaubte ich auch, und völligen Aufschluß hofften wir bald zu bekommen.

Kurz nachher zeigte uns mein Bruder Theodor in Crainfeld schriftlich an, daß sein, an Körper und Geist ausgezeichnetes Söhnchen, welches mir mit besonderer Liebe zugethan war, in derselben Nacht gestorben sei, und mehrmals den Wunsch ausgesprochen habe: „Ach, wenn ich nur meinen Hermannsteiner Onkel noch einmal sehen könnte!“

Siebentes Vorzeichen.

Der Tod dieses allbeliebten Kindes, welches äußerlich und innerlich einem Engel glich, wurde auch seinem Vater, meinem Bruder, während er in den letzten Nächten immer bei ihm wachte, voraus angezeigt. Mein Bruder selbst erzählte mir dieses also:

„In der drittletzten Nacht hörte ich in der Oberstube, welche gerade über uns und menschenleer war, ein dreimaliges starkes Pochen, welches ich mir nicht zu erklären wußte. In der zweitletzten Nacht hörte ich dasselbe Pochen, aber nur zweimal. Da dachte ich schon, daß mir durch die Zahl des Pochens die Zahl der noch übrigen Lebenstage meines Lieblings angezeigt werden solle; und so war es auch; denn in der letzten Nacht, in welcher er starb, pochte es noch Einmal.“

(243 ≡)
III.
Visionen oder Erscheinungen Abwesender am hellen Tage.
Erste Erscheinung.


Während ich am zweiten Weihnachtsmorgen des Jahres 1837, meine Predigt memorirend, in der Conventstube des Hermannsteiner Pfarrhauses auf- und abging, stand plötzlich meine in Aßlar befindliche Schwägerin Caroline Emmelius auf kaum drei Schritte Entfernung so klar und deutlich, wie sie leibte und lebte, vor meinen Augen, sodaß ich nicht bloß alle Theile ihres Angesichts und ihre ganze Gestalt von dem Kopfe bis zu den Füßen, sondern auch ihren ganzen Anzug ganz genau und mit frohem Erstaunen betrachtete. Nachdem ich sie einige Secunden, so angeschaut und zugleich über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit ihrer Erscheinung nachgedacht hatte, schritt ich auf sie zu, um mich handgreiflich zu überzeugen, ob ich die Lebendige oder ihr Spiegelbild vor mir habe. Als ich noch Einen Schritt bis zu ihr hatte, verschwand sie. Mit verworrenen Sinnen und Gefühlen sahe ich nun wieder auf meine Predigt, um das unterbrochene Memoriren derselben fortzusetzen. Sobald ich aber meinen Blick wieder von derselben erhob, traf er auch wieder auf dieselbe allerliebste Erscheinung, welche sich jetzt nach eben so kurzer Zeit abermals in unsichtbares Nichts auflöste und nicht wieder zum Vorschein kam. —

Als sie verschwunden, lachte
Ich mich erst selber aus;
Dann sprach ich zu mir sachte:
„Nein, das ist doch zu kraus!“
„Das hast Du, liebste Kleine,“
„Mir nicht umsonst gethan!“
„Nun sollst mit Fleisch und Beine“
„Du Dich auch zu mir nahn!“

Am dritten Weihnachtstage schrieb ich ihr deswegen ausführlich, wie sie mich Tags zuvor durch ihr Spuken nur geäfft habe, und daß sie mir dafür nun unverweilt ihr liebes Händchen versprechen möge; was sie auch an demselben Tage noch that, wie aus ihrem Briefe und aus meiner „Letzten Rose“ zu ersehen ist.

Uebrigens muß ich noch hinzufügen, daß ich an jenem zweiten Weihnachtsmorgen nur an meine Predigt, und nicht an meine Geliebte gedacht hatte, ehe sie sich mir selbst präsentirte. —

Zweite Erscheinung.

Der ehemalige Pfarrer Jungk in Wieseck lag eines hellen Morgens wach in seinem Bette, als der Vorhang desselben langsam von einander gezogen und zwischen demselben die Gestalt seines in der Ferne lebenden Vaters sichtbar wurde. Er meinte, seinen heimlich angekommenen Vater wirklich vor sich zu haben und derselbe reichte ihm auch so freundlich wie gewöhnlich die Hand über das Bett. Als aber der Sohn die dargereichte Hand drücken wollte, drückte er dieselbe noch leichter als Baumwolle zusammen, und in demselben Momente war die ganze Vision verschwunden.

Bald darauf erhielt der Pfarrer einen Brief, in welchem ihm der in jener Stunde erfolgte Tod seines Vaters angezeigt ward. —

Dritte Erscheinung.

Während einst der Superintendent Ouvrier in Gießen eine Vorlesung hielt, und mein Vater Zuhörer war, ging die Thüre auf, und trat doch Niemand ein. Ein Student machte die Thüre zu. Sie ging nochmals auf, und der Student machte sie wieder zu. Als sie sich zum dritten Mal öffnete, ging Ouvrier vom Katheder, um zu sehen, wer diesen Unfug treibe. Er ging vor das Zimmer hinaus, kam bald, aber consternirt zurück, und sprach: „Meine Herrn! ich muß Ihnen einen sonderbaren Vorfall mittheilen, der mir so eben begegnet ist. Als ich mich

(244 ≡)

auf der Universität von meinem intimsten Freunde trennen mußte, gaben wir uns gegenseitig das feste Versprechen, daß derjenige von uns, welcher zuerst sterben würde, wo möglich dem andern seinen Tod sogleich selbst anzeigen wolle. Als ich nun eben vor die Thüre trat, stand jener treue Freund so lange vor mir, bis ich ihn genau wieder erkannt hatte, und dann war er verschwunden. —

In einer der folgenden Collegstunden, die mein Vater ebenfalls besuchte, machte er auch seinen Zuhörern bekannt, daß sein Freund wirklich in jener Stunde seiner Erscheinung aus diesem Leben geschieden sei. —

Vierte Erscheinung.

Eine Freundin der ehemaligen Frau Pfarrerin Schuchard in Burkhards erzählte derselben: „Ich hatte meine beste Freundin Albertine so lange nicht gesehen, daß ich ein wahres Heimweh nach ihr hatte. Als ich nun eben einmal am Fenster saß, sahe ich dieselbe mit schnellen Schritten auf unser Haus zu kommen. In der größten Freude lief ich ihr entgegen, sahe sie schon mitten auf der Treppe und mit offenen Armen und dem Ausrufe: „Albertine! Albertine!“ wollte ich ihr eben um den Hals fallen; da war sie in demselben Augenblicke mir entschwunden, und leider auch, wie ich nachher erfuhr, für immer aus dieser Welt.“ —

IV.

Todesanzeigen durch blindlings gegriffene Bibelstellen.

Erste Anzeige.

Diese gebe ich hier so wieder, wie ich sie im Jahre 1837 niedergeschrieben habe.

Schon verzweifelte ich an meines Käthchens Genesung,
Trotz dem ärztlichen Trost fürchtete doch ich den Tod,
Niemand gab mir zuletzt Gewißheit, die ich verlangte,
Und kein Sterblicher war selber des Ausgangs gewiß,
Nirgend fand ich die Ruhe, die aus der Seele entflohen;
Einer, dachte ich, weiß, wie er es selber beschloß,
Gehe und frage ihn selbst, er könnte es leicht dir entdecken,
Nimm sein heiliges Wort, schlage vertrauend es auf,
Und die Stelle, die dann dein rechter Daumen gegriffen,
Sei dir Gottes Bescheid auf die entsetzliche Frag'!
Zitternd faßte die Hand, als hätte sie Mord zu begehen,
Jetzt das göttliche Buch, aufgeschlagen nun war's,
Und die Stelle, die mir der rechte Daumen bemerkte,
Findest Du Lucä 10, 9, wo Du lesen sie kannst!
Wie des Meisters Befehl die siebzig Jünger zu nehmen,
Darum galt es mir nicht, aber was sagte er mir?
„Heilet die Kranken daselbst!“ — Wir konnten Alle nicht heilen!“
„Saget ihnen dabei: „„Nah ist das göttliche Reich!““ —
Ja, das göttliche Reich war nahe, nahe gekommen,
Nur des Fragenden Wunsch zweifelte dennoch daran;
Was das Auge gesehn —, das Herz sprach immer: Es lüget;
Ach, dieß blutende Herz leugnete gern es noch heut!
Drum nicht deutlich genug war ihm die erhaltene Antwort.
(245 ≡)
„Schlage zum zweiten Mal auf!, ob Du es besser verstehst?“
Also gedacht' ich und that's, und was war jetzo die Antwort?
Eben denselbigen Vers hatte der Daumen gefaßt! —
„Ach, so ist es denn wahr! So sollst Du Dein Käthchen verlieren!“
Gott, Du weißt es allein, wie ich das Zimmer verließ! — —
Zweite Anzeige.

Nachdem ich am 9. August 1834 mein liebes Käthchen in seinem Alter von 30 Jahren durch den Tod verloren hatte, sollte ich auch am 11. December 1836 mein eben so liebes Minchen in seinem Alter von 30 Jahren durch den Tod verlieren.

Ich wollte und konnte gar nicht glauben, daß auch dieses geschehen könne; ich wollte und konnte es noch nicht glauben, als mir Minchen selbst, dem ich doch sonst Alles aufs Wort glaubte, schon ganz bestimmt gesagt hatte, daß es mich nun sehr bald verlassen müsse; ja, ich wollte und konnte selbst da noch nicht glauben, als es schon feierlichen Abschied für dieses Leben von mir genommen hatte. Da noch trieb mich die Herzensangst und Verzweiflung an, nochmals die Bibel um Rath und Entscheidung zu fragen. Wer am Ertrinken ist, greift auch nach einem Strohhalm, um sich durch ihn zu retten. Ich schlug mit geschlossenen Augen die Bibel auf und erschrack zum Tode, als ich sahe, daß mein rechter Daumen wieder den Vers: Lucä 10, 9 gefaßt hatte. Da erlosch plötzlich der letzte, schwache Strahl meiner Hoffnung. —

Es bedurfte freilich keiner göttlichen Offenbarung mehr, um über das nahe bevorstehende Ende dieser beiden geliebten Frauen gewiß zu werden; denn Jedermann war schon fest davon überzeugt, außer mir. Mir selbst aber wurde erst durch die gegriffene Bibelstelle diese Ueberzeugung gegeben und die Hoffnung genommen.

Ist übrigens nicht Das allein schon unerklärlich und wunderbar genug, daß ich dreimal eine und eben dieselbe Stelle blindlings mit dem rechten Daumen gegriffen habe??? —

Dritte Anzeige.

Im Gefühle der schnellen Abnahme seiner Kräfte wünschte mein guter Vater nur noch seinen goldenen Hochzeittag, den fünften Mai 1847 zu erleben. In Bezug auf diesen Wunsch griff er, während die letzte Stunde des Jahres 1846 ertönte, ebenfalls mit geschlossenen Augen einen Bibelvers; und welchen hatte sein rechter Daumen gefaßt? Es war: Josa 38, 1: „So spricht der Herr: Bestelle Dein Haus; denn Du wirst sterben, und nicht lebendig bleiben!“ —

Hierauf sprach mein Vater: „Ich werde meinen goldenen Hochzeittag nicht erleben.“ Er starb am 30. März 1847. —

V.
Wandern und andere Spukereien.

Das Pfarrhaus in Hermannstein, welches vor Zeiten ein Nonnenkloster war und „Cluse“ hieß, woran noch die Namen „Clausenstube“ und „Conventstube“ erinnern, stand schon lange vorher, ehe ich am 6. Februar 1827 in dasselbe kam, in dem Rufe, daß es darin wandere und spuke. Anfangs lachte ich darüber, wie gewöhnlich Jeder thut, der noch keine Spukerei erlebt hat, bis ich mich überzeugte, daß doch jenes Gerede keineswegs aus der Luft gegriffen sei, sondern allerdings auf Wahrheit beruhe. Ich bin seitdem oft, auch von guten Freunden gefragt worden, was ich denn eigentlich und namentlich in diesem Hause erfahren habe, was der gesunde Menschenverstand

(246 ≡)

nicht erklären und begreifen könne, und will auf diese Frage hier antworten, ohne dabei chronologisch zu verfahren.

Zuerst bemerke ich im Allgemeinen, daß ich in dem genannten Hause sehr oft, sowohl allein, als auch gemeinschaftlich mit Andern Mancherlei gehört habe, was Niemand aus bekannten, natürlichen Ursachen erklären kann. Dahin gehört besonders das Wandern in manchen Zimmern, welches ganz deutlich den Ton eines hin und her gehenden Menschen verursachte, ohne daß zu derselben Zeit ein Mensch in jenen Zimmern war; ferner häufiges Pochen und Thüren-Zuschlagen, welches ebenfalls von keinem Menschen, Thüre, Zugwinde oder sonst einer begreiflichen Ursache herrühren konnte, und endlich das Abziehen der Bettdecke oder der Versuch desselben in Nächten, in welchen außer den im Bette Liegenden Niemand in demselben Zimmer war.

Exempla illustrant, sagt man mit Recht, deswegen will ich das im Allgemeinen Angeführte anschaulicher zu machen suchen durch nachfolgende Beispiele.

Erstes Beispiel.

Im Jahr 1827 wurde ich eines Sonntagsmorgens, als es noch ziemlich dunkel war und ich in der oberen Stubenkammer schlief, durch Schritte in der anstoßenden Stube aufgeweckt. Ich dachte, die Magd habe mir schon Waschwasser gebracht, um mich im Schlafe nicht zu stören, die Schuhe ausgezogen, und gehe in den Strümpfen in der Stube herum. Da sie mir jedoch für dieses Geschäft zu lange im Zimmer zu verweilen schien, und die Schritte auch so kräftig und schwer wurden, daß die Fenster zitterten und klirrten, kam mir der Gedanke: es könne auch ein Dieb im Dunkeln da herumtappen. Deshalb ergriff ich den am Bette stehenden Husarensäbel, um damit einem etwaigen Eindringlinge in die Kammer einen guten Morgen bieten zu können, und war, da ich nicht in die Stube sehen konnte, eben im Begriffe aufzustehen und nachzusehen, als ich die Stubenthüre zugehen hörte. Nun spitzte ich die Ohren, um zu hören, ob Jemand die Treppe hinabgehen würde, was ich um so gewisser hätte hören müssen, weil der eine Treppling, wenn man darauf trat, laut krachte. Ich hörte aber nichts, bis in der nächsten Minute die Frau Pfarrerin Steinberger die Hausthüre aufriegelte und die Magd, welche auswärts schlief, in das Haus ließ. Da hörte ich, daß sich beide „guten Morgen“ sagten, und wußte nun, daß die Magd nicht in meiner Stube gewesen sein konnte. Auch war kein Dieb im Hause und kein Fenster offen.

Wer war nun aber so lange und mit schweren Schritten in meiner Stube herum­gewandert? —

Zweites Beispiel.

Vom August 1834 an war mein Bruder Karl ungefähr ein Jahr lang bei mir, theils um sich bei mir auf sein theologisches Examen vorzubereiten, theils um mich in meiner Traurigkeit über den Verlust meines lieben Käthchens nicht allein zu lassen. Erzählte ich ihm die Spuk­geschichten im Hause, so sprach er: Ich glaube Dir zwar das Alles aufs Wort; aber ich möchte es doch auch selbst einmal mit meinen eigenen Ohren hören.

Eines Abends, als wir beide allein im Hause und eben in der Wohnstube mit der Exegese des Briefes an die Römer beschäftigt waren, vernahmen wir beide zugleich, daß Jemand mit starken Schritten in dem Zimmer über uns hin und her ging. Mein Bruder sah mich an mit einer Miene, als sei er plötzlich aus den Wolken gefallen. Ich mußte darüber lachen, und sprach: Hast Du's nun mit Deinen eigenen Ohren gehört? Ja, erwiderte er, jetzt habe ich's selbst gehört, und nun wollen wir's auch auf der Stelle untersuchen. Wir eilten alsbald mit dem Lichte in das Spukzimmer, fanden aber darin weder einen Wanderer, noch sonst irgend etwas, was einer Untersuchung werth gewesen wäre, oder uns den geringsten Aufschluß über die Ursache des Gehörten hätte geben können. Nach gegenseitigem Eingestehen des Unerforschlichen und Un­begreiflichen gingen wir wieder hinunter und setzten uns wieder an unsern Römerbrief. —

(247 ≡)
Drittes Beispiel.

Als noch zu Käthchens Lebzeit eines Abends die Familie des Pächters Meyer in unserer Wohnstube zum Kaffee bei uns und in der oberen Etage Niemand war, hörten wir bei lebhafter Unterhaltung doch Alle, daß die Eckstubenthür im oberen Stockwerke laut zugeschlagen wurde. Meyer sprach sogleich zu mir: Aber, Herr Pfarrer, an Ihrer Stelle würde ich doch das einmal genau untersuchen! Kommen Sie, Herr Meyer, sagte ich, wir wollen's sogleich gemeinschaftlich untersuchen! Die ganze Gesellschaft eilte sofort mit einigen Lichtern an die erwähnte Thür, fand sie zugemacht, öffnete sie, und entdeckte weder in der Stube, noch im ganzen Hause Jemand, der die Thüre hätte zuschlagen können. Auch ein Thier konnte es nicht gethan haben und eben so wenig der Wind, weil kein Fenster offen stand.

Nun, Herr Meyer, sprach ich, soll ich denn nun immer herauf laufen und untersuchen, wenn ich unten diese Thüre wieder zuschlagen höre? Nein, das will ich Ihnen nun nicht mehr zumuthen, sagte er, und ich erwiderte: Ich thue es auch nicht, weil wir das schon gar oft gehört, aber noch nie eine natürliche Ursache davon entdeckt haben. —

Viertes Beispiel.

So lange meine Aeltern in Crainfeld lebten, besuchte ich sie alljährlich auf 8—14 Tage, und ließ während meiner Abwesenheit den Schullehrer Köhler im Pfarrhause schlafen. Dieß war schon öfter geschehen und dem Schullehrer war dabei nichts Außerordentliches begegnet. Als ich jedoch wieder einmal von Crainfeld zurückkehrte, sprach er: Aber, Herr Pfarrer, dießmal ist mir in Ihrem Hause etwas passirt, was mir sonst in meinem ganzen Leben noch nicht passirt ist! Und was denn? frug ich. Da sprach er: Es wollte mir einmal in der Nacht mit Gewalt die Bettdecke nehmen; ich trat sie aber mit den Füßen so fest unten an das Bettbrett, und hielt sie auch oben mit beiden Händen so fest, daß ich sie nach langem Hin- und Herzerren doch siegreich behauptet und auf mir behalten habe.

Da Köhler ehemals Soldat und weder ein Hasenfuß, noch ein Aufschneider war, so glaubte ich ihm, und zwar um so mehr, weil ich mich erinnerte an ein

Fünftes Beispiel.

Die Frau Hofräthin Arnoldi von Lich hatte mir nämlich schon früher erzählt, daß ihr in derselben Kammer auch einmal dasselbe und zwar mit noch größerem Erfolge begegnet sei.

Ich lag — so erzählte sie mir — einmal in dieser Kammer im Bette, und konnte wegen eines Gedankens, der mich unablässig verfolgte, nicht einschlafen. Ich hörte es auf dem Thurme zwei Uhr schlagen, und war noch immer hell wach. Das sage ich Ihnen nur, damit Sie mir, wie die jüngeren Herrn Theologen gerne thun, die ganze Geschichte nicht für einen Traum erklären! Also, ich war um 2 Uhr noch hell wach, da wurde mir die Bettdecke rasch abgezogen und da, in diese Ecke am Fenster, hingeworfen. Als ich sie hier mit den Worten unterbrach: Da werden Sie gewiß in große Angst gerathen sein? fuhr sie fort: Nein, ich hatte gar keine Angst, aber einen desto größeren Zorn, in welchem ich aus dem Bette sprang und mir meine Decke wieder holte, die ich nun auch ruhig auf mir behielt.

Das war kein Traum, sondern ist, auf meine Ehre, so gewiß wahr, als wir beide hier neben einander auf dem Canapé sitzen. —

Sechstes Beispiel.

In derselben Kammer schlief ich als Junggesell im Jahre 1828, und war ganz allein im Hause, als ich in einer Mitternacht durch ein dreimaliges und so starkes Pochen am Fenster, als wäre es mit der Faust geschehen, aufgeweckt wurde. In dem Gedanken, es wolle mir Jemand

(248 ≡)

einen im Orte ausgebrochenen Brand oder ein anderes Unglück anzeigen, war ich mit zwei Sprüngen am Fenster, riß dasselbe auf und wollte fragen, was vorgefallen sei. Es war aber Niemand da, und hätte auch Niemand so geschwind aus meiner Sehweite entlaufen können. Kaum lag ich wieder im Bette, so pochte es wieder dreimal, oben so schnell und stark an das Fenster. Jetzt war ich noch schneller als vorher an demselben; sahe jedoch Niemand, und auf meinen Ruf: „Wer da“ erhielt ich keine Antwort. Aergerlich legte ich mich wieder, und als es darauf zum dritten Mal drei Schläge an das Fenster that, blieb ich liegen und sagte: Dreimal sollst du mich nicht anführen! — Eine Ursache dieses Pochens habe ich nie erfahren. —

Siebentes Beispiel.

Während mein liebes Käthchen an einem hellen Mittage am Fenster saß, und ich ihm vorlas, wurde von außen an das Fenster geklopft. Ich hörte auf zu lesen und sagte: Siehe doch erst einmal, wer da klopft. K. sahe durchs Fenster und sprach: Das ist mir aber ein Räthsel; es ist Niemand da! Ungläubig den Kopf schüttelnd ging ich selbst an's Fenster, öffnete es, und konnte weder vor demselben, noch im ganzen Hofe Jemand sehen. —

Achtes Beispiel.

Schon im Jahre 1827 war ich in den Vogelsberg gereist und 2 Söhne des Schullehrers Köhler, Heinrich und Jakob, sollten im Pfarrhause schlafen. Sie gingen auch in demselben zu Bette. Als sie aber um Mitternacht in dem Hause umhergehen und Thüren zuschlagen hörten, ergriff sie ein so panischer Schreck, daß sie beide zum Fenster hinaussprangen, nach Hause liefen und meine unheimliche Clause mit Allem, was darin war, im Stiche ließen und preisgaben. —

Aus diesen acht Beispielen geht deutlich genug hervor, daß es von dem Jahre 1827 bis in das Jahr 1835 in meinem Wohnhause nicht geheuer war, und Manches darin gehört wurde, was dem Menschenverstande unerklärbar bleibt. Von dem Jahre 1836 an habe aber weder ich selbst, noch hat eine von meinen Frauen, noch eines von meinen Kindern je wieder etwas Unbegreifliches von dieser Art in demselben gehört. Gesehen hat nie Jemand etwas Spukartiges darin.

Da ich einst nach einer Kirchenvisitation in Hermannstein meinem lieben Lehrer und Dekan, Kirchenrath Dr. Engel, auf seinen ausdrücklichen Wunsch die obigen Beispiele erzählt hatte, sprach er: „Ich muß gestehen, daß es zwischen Himmel und Erde noch gar Manches gibt, wovon sich unser Geist nichts träumen läßt, und weil wir jetzt gerade an dieser Materie und so hübsch unter uns sind, so will ich Ihnen als Recompens doch auch ein ähnliches Beispiel aus meiner Erfahrung zum Besten geben.“ Ich will dasselbe mit seinen eigenen Worten hier anführen als

Neuntes Beispiel.

„Auf einer Reise von Alsfeld nach Gießen übernachtete ich bei meinem alten Freunde, dem Pfarrer Röhrig in Reiskirchen, dessen Haus auch im Geruche der Spukerei stand. Auf mein Verlangen berichtete er mir zwar die Art und Weise seines Poltergeistes ausführlich, ging aber nicht auf meinen Vorschlag ein, denselben in der folgenden Nacht mit mir zu untersuchen. Ich kenne ihn besser, als mir lieb ist, sprach er, und bin von dem langen Umhergehen auf den Kartoffeläckern so müde und schläfrig, daß Du mich dispensiren mußt. Du kannst die Untersuchung ja auch eben so gut allein anstellen; wirst aber dabei nicht mehr entdecken, als was ich Dir gesagt habe. Kurz, es war eben mit Freund Röhrig nichts anzufangen, und bald darauf hörte ich ihn auch schon in seinem Bette schnarchen. Ich nahm mir nun vor, das Treiben des unsauberen Geistes allein und möglichst genau zu beobachten, und war äußerst gespannt auf die Dinge, die

(249 ≡)

da kommen sollten. In der Stubenthüre war eine Glasscheibe, durch welche ich, da gerade der Mond schien, deutlich sehen konnte, was auf dem Gange vor der Thüre vorging. In der Geister­stunde hörte ich nun auch wirklich den Poltergeist und zwar zuerst auf dem Speicher gerade über mir, wo er schwere Ketten hin und her schleifte. Er klirrte und rasselte ziemlich lange und für mich, da ich mich doch allein fühlte, so entsetzlich, daß es mich bei dem Kettengerassel eiskalt überlief. Der Lärm mit den Ketten kam immer näher, bald auch über die Speichertreppe herab, welche dicht an unserem Zimmer vorüberführte, und dann auf den Gang, auf welchem ich alle Gegenstände, aber so sehr ich auch meine Augen anstrengte, keine Ketten sehen konnte. Doch hörte ich dieselben deutlich über den ganzen Gang hin und auch noch die untere Treppe hinab­schleifen, und dann hörte ich noch in der Hausflur einen Schall oder Fall, als habe man einen Arm voll klein gescheitertes Holz hingeworfen. Hierauf trat wieder Todtenstille ein, und der ganze Spuk hatte ein Ende.

Ganz genau so, wie ich ihn gehört und Ihnen eben erzählt habe, hatte mir ihn auch Röhrig vorausgesagt. Weil ich dieses selbst erfahren habe, glaube ich Ihnen auch die Spuk­geschichten, die sie mir vorhin erzählt haben.“

So sprach zu mir der allgemein verehrte Kirchenrath Dr. Engel, den Niemand im Verdachte des Aberglaubens oder der Unwissenheit hatte. —

Zehntes Beispiel.

Dieses erzählte der Superintendent Bechtold von Gießen seinen Zuhörern im College also: „Gegen Mitternacht klopfte es einmal stark an mein Hofthor. Als die Magd dasselbe öffnen wollte, sahe sie Niemand. Bald darauf klopfte es noch stärker an dasselbe, und da die Magd wieder Niemand sahe, berichtete sie diese Seltsamkeit meiner Frau, und diese zeigte sie mir mit dem Bemerken an, daß wohl Jemand nach mir verlangen müsse, und solches durch dieses wiederholte, unerklärbare Klopfen anzeige. Ich verwies ihr diesen Aberglauben, und suchte ihr philosophisch zu demonstriren, daß eine solche Anzeige eine reine Unmöglichkeit sei. Sie blieb jedoch bei ihrer Meinung, und während ich sie deswegen mit noch stärkeren Gründen der Philosophie ad absurdum führen wollte, klopfte es dreimal stark an meine Bettlade.

Da, meine Herrn, fiel mir meine ganze Philosophie in den Dreck! Am andern Morgen zeigte mir Jemand eine Leiche an, und sagte, der Verstorbene habe noch um Mitternacht sehr nach mir verlangt und gerne das h. Abendmahl von mir haben wollen. Er habe aber demselben vorgestellt, daß man mich doch nicht mitten in der Nacht im Schlafe stören dürfe, und er sich gedulden möge, bis es Tag würde; derselbe habe aber den Morgen nicht erlebt.“ — Dieses hat mein Vater aus dem Munde des Superintendenten Bechthold gehört und mir wortgetreu mitgetheilt. —

Elftes Beispiel.

Mein Großvater Johann Konrad Rühl war in den 1790er Jahren von Schotten nach Amsterdam verreist. Mein Vater, damals Rector in Schotten, meine Mutter, seine damalige Geliebte, und ihre Mutter saßen eines Winterabends in meines Großvaters Hause in traulichem Gespräche zusammen, als sie in der Küche einen Fall hörten, als habe man einen Arm voll klein gescheitertes Holz hingeworfen. Sie gingen schnell in die Küche, sahen aber kein hingeworfenes Holz. Da sprach meine Großmutter zu meiner Mutter: „Ach, gewiß hat sich Dein Vater an­gezeigt! Wenn ihm nur kein Unglück zugestoßen ist!“ — Als mein Großvater wieder nach Hause kam, fragten sie ihn, wo er an jenem Abend zwischen 10 und 11 Uhr gewesen sei; da antwortete er: „Da lag ich in einer eiskalten Stube, zitterte im Bette vor Frost und dachte: Ach, wenn Du doch zu Hause in Deiner warmen Küche wärest, wo Deine Frau das Holz hinwirft!“ —

Dieses habe ich oft aus dem Munde meiner lieben Aeltern gehört. —

(250 ≡)
Zwölftes Beispiel.

Noch etwas früher kam mein Vater als Student nach Gießen, und logirte zuerst in dem Neubauer'schen Hause, obgleich ihm dasselbe als ein Spukhaus widerrathen worden war. Er wohnte bereits länger darin, und hatte noch keinen Poltergeist gehört. Gewöhnlich saß er in der Abenddämmerung am offenen Fenster, spielte Harfe und sang auch zuweilen dazu. Dieß gefiel dem gegenüber wohnenden Superintendenten Ouvrier so wohl, daß ihm derselbe ein Logis in seinem Hause anbot. Deswegen zog denn auch mein Vater im folgenden Semester aus dem Neubauerschen Hause in das des Superintendenten Ouvrier, welcher damals auch Rector der Universität war. Eines Abends kam nun dieser, wie er oft that, auf meines Vaters Zimmer, erkundigte sich erst nach seinen Studien, und sagte dann: Herr Spamer, Sie sind auch heute bei mir verklagt worden! Unsere Frau Nachbarin Neubauer behauptet: Sie hätten ihrem Hause einen so bösen Namen gemacht, daß alle Studenten, die sie beherberge, ausziehen wollten; wodurch sie großen Schaden leiden müßte. Mein Vater erwiderte, daß er weder dem Hause derselben einen bösen Namen gemacht, noch auch Ursache dazu gehabt habe, weil er nichts Außerordentliches in demselben erfahren, und keinen anderen Beweggrund zu seinem Auszug gehabt habe, als eben die gütige Offerte eines Zimmers von Seiten Ihrer Magnificenz. Dann ist es gut, sprach Ouvrier; dann will ich die Klägerin abweisen.

Meinem Vater war es aber doch leid, daß ihn dieselbe in falschem Verdacht habe, und fragte deswegen einen, noch bei derselben wohnenden Studenten: Warum wollt Ihr denn auf einmal alle ausziehen? Das weißt Du, sprach jener, so gut als ich; Du bist ja zuerst ausgezogen weil es so abscheulich im Hause spukt! Ich weiß nichts von diesem Spuk, erwiderte mein Vater, und glaube auch nicht an ihn' ehe ich ihn selbst höre. Nun, fuhr der Andere fort, so bleibe die Nacht bei mir und überzeuge Dich! Mein Vater nahm dieses Anerbieten an; aber es ließ sich in derselben Nacht kein Spuk hören. Als deswegen mein Vater die Inquilinen auslachte, sagten diese: Ja, der Spuk kommt nicht in jeder Nacht, aber sehr oft. In der dritten Nacht blieb deswegen mein Vater wieder bei ihnen wach, und jetzt nicht vergeblich.

Nach elf Uhr that es einen Schlag oder Fall auf dem Speicher, als habe man einen Maltersack voll Frucht abgeworfen, daß das ganze Haus davon zitterte. Alsbald liefen sämmtliche Studenten mit Lichtern und Stockdegen auf den Speicher; fanden aber denselben ganz leer, und auch nicht die geringste Ursache, welche einen solchen Schlag hätte veranlassen können. Während sie wieder die Treppe hinabgingen, that es auf dem Gange denselben Schlag vor ihren Augen, von welchem wieder das Haus schütterte, ohne daß sie etwas Ursächliches bemerkten, und bald darauf hörten sie unten in der Hausflur zum dritten Mal denselben furchtbaren Schlag. Da sie nun ohne das Geringste entdeckt zu haben, wieder in das Zimmer gingen, und mein Vater zuletzt ging, so schlug es mit großer Vehemenz die Thüre hinter ihm zu. Er riß dieselbe sogleich wieder auf und schaute hinaus, konnte aber Niemand sehen. —

So hat zu verschiedenen Zeiten mein Vater diese merkwürdige Begebenheit uns und andren guten Freunden erzählt. —

Dreizehntes Beispiel.

In der Nacht des 31. März 1872 frühe um ¼ nach 2 Uhr klopfte es viermal schnell an das Kopfende meiner Bettlade. Ich wachte dadurch auf und war schon im Begriffe „Herein“ zu rufen, als ich mich besann, daß es ja nicht an meiner Thüre, sondern an mein Bettbrett an­geklopft habe. Die vier Klopftöne waren meinem Gehör noch lebhaft gegenwärtig, und ich klopfte nun selbst auch viermal schnell an mein Bettbrett, und hörte die noch in meinen Ohren nach­hallenden Töne genau wieder. Es war mir nicht so zu Muthe, als habe das erste Klopfen

(251 ≡)

etwas Schlimmes zu bedeuten; ich meinte aber doch, es müsse jemand an mich gedacht haben, und vermuthete solches entweder von einem meiner auswärtigen Kinder, oder von meiner Schwägerin Sophie Emmelius in Gießen, weil wir denselben Tag die Familie Emmelius besuchen wollten, und meine Schwägerin Tags zuvor durch ihr Töchterchen Nachricht davon erhalten hatte. Als wir nach Gießen kamen, fragte ich deswegen meine Schwägerin: Hast Du vielleicht schon in der Nacht an uns gedacht? worauf Sie antwortete: Ja, ich war schon um 2 Uhr in der Nacht wach, und habe auch da schon an Euch gedacht! —

VI.
Tischrücken.

Vor Jahren war das sogenante Tischrücken so sehr an der Tagesordnung, daß es fast in jedem Hause versucht wurde. Die Gesellschaft legte nämlich die Hände in einem Kreise auf einen Tisch, und ließ sie ruhig so lange darauf liegen, bis der Tisch von selbst sich im Kreise drehte oder herumging, ohne daß Jemand daran geschoben hatte. Davon nur

Ein Beispiel:

Ich war damals einmal bei dem Pfarrer Beer in Dorlar, welcher mir sagte, daß seine Kinder schon öfter in kurzer Zeit einen Tisch zum Herumlaufen gebracht hätten, und auf meinen Wunsch ließ er sie in meiner Gegenwart eine Probe davon machen.

Sein Sohn Friedrich und dessen Schwesterchen legten ihre vier Hände, ohne daß sich diese berührten, auf ein rundes Tischchen, und ließen sie ruhig, ohne irgend eine Bewegung oder Anstrengung damit zu machen, darauf liegen. Nach einigen Minuten drehte sich das Tischchen von selbst, erst langsam und allmälig immer schneller im Kreise herum, sodaß die Kinder auch immer schneller im Kreise herumlaufen mußten, um dem Tischchen nachkommen und ihre Hände darauf behalten zu können. Bald hob das Tischchen das eine, bald das andere Bein höher, und ging auch seitwärts weiter bis an die Stubentüre, ohne daß es geschoben wurde, bis der Vater zu seinen Kindern sagte: Nun laßts gut sein!

Als nun diese ihre Hände von dem Tischchen aufhoben und entfernen wollten, hing das­selbe so fest an ihren und besonders Friedrichs Händen, daß es dieser mit einem gewaltigen Ruck auf den Fußboden niederstoßen mußte, um seine Hände von demselben los zu machen. Ja, als dieser bald nachher seine Hände noch einmal, wenigstem 1½ Hand hoch, über das Tischchen hielt, hüpfte dasselbe von selbst in die Höhe, und hängte sich wieder an seine Hände fest. — Als dies der Vater sah, sagte er: Nein, jetzt wird mir doch das Ding zu arg unheimlich; nun sollt ihrs nicht wieder probieren!

Die Eltern und Kinder verwunderten sich bei diesem Anblick ebenso sehr, als ich; und als ich das Tischchen und die Hände der Kinder untersuchte, war nichts Klebriges an demselben zu entdecken. —

Die Frau Advokat Fuhr sagte mir: „Wenn eine Gesellschaft in Gießen den Tisch nicht zum Herumlaufen bringen kann, werde ich herbeigerufen, und sobald ich meine Hände auf den Tisch lege, fängt er an zu laufen. Ich thue es jedoch nun nicht mehr, weil ich mich nach einer solchen Probe schwächer fühle.“

(252 ≡)
VII.
Magnetismus.

Durch animalischen Magnetismus hat der vormalige Dr. Bork in Schotten viele erstaunenswerthe Curen vollbracht, von denen ich nur drei anführen will, bei welchen ich Augenzeuge war.

Erste Cur.

Im Jahre 1828 wurde mein Vater auf der Kanzel von einem so heftigen Rheuma­tismus befallen, daß er kaum seine Predigt beendigen und zu Hause vor Schmerzen nicht mehr aufrecht stehen konnte, sondern sich sogleich ins Bett legen mußte. Auf sein Verlangen holte ich alsbald den Dr. Bork, und sobald ihn dieser magnetisirt hatte, kamen Beide zu unserm Erstaunen in das Wohnzimmer zu uns, und mein Vater sprach: „Der Dr. hat mir durch sein Streichen die Schmerzen beinahe ganz vertrieben; ich spüre sie kaum noch, und kann jetzt, wie ihr sehet, wieder ganz gerade umhergehen. Mit jedem Striche, den er über mich that, fühlte ich deutlich, daß gleichzeitig mit seiner Handbewegung auch meine Schmerzen immer tiefer in meinen Beinen herunterzogen. In dem Knie saßen sie zwar fester, mußten aber nach wiederholtem Streichen auch aus demselben abwärts ziehen, und jetzt spüre ich sie in unbedeutendem Grade nur noch in den Fußsohlen!“ Nach etwa einer Stunde ließ er sich nochmals magnetisieren, und hierauf sagte er: „Nun fühle ich gar keinen Schmerz mehr, sondern im Gegentheil eine wohlthuende Empfindung von Wärme in den Fußsohlen, die mir um so lieber ist, da ich vorher an kalten Füßen litte!“ — Der Rheumatismus hat ihn später nie wieder geplagt. —

Zweite Cur.

Die Frau meines Bruders Theodor wurde von Zeit zu Zeit von einer so furchtbaren Kopfgicht gequält, daß sie vor Schmerzen fast rasend wurde. In einem solchen Augenblicke zeigte dieses mein Bruder dem eben im Pfarrhause gegenwärtigen Dr. Bork an. Dieser sprach: „Komm nur her, ich will Deiner Frau ihr Kopfweh augenblicklich vertreiben, und es soll nicht wiederkommen!“

Und so geschah es auch. Sobald Bork meine Schwägerin magnetisirt hatte, war ihre Kopfgicht verschwunden und hat sich auch nie wieder gezeigt. —

Dritte Cur.

Die Frau Pfarrerin Kleberger, Bork, mein Vater und ich spielten einmal Solo im Pfarrhause zu Burkhards, als die Erstgenannte, welche damals von Bork magnetisch behandelt wurde, plötzlich über ein so starkes Kopfweh klagte, daß sie unmöglich länger mitspielen könne, und deswegen ihrem Manne die Karten geben wollte. „Behalten Sie nur die Karten!“ rief ihr Bork zu, ging zu ihr und blies ihr dreimal stark auf den Kopf. Sogleich sprach sie: „Nun will ich weiter spielen; mein Kopfweh ist fort.“ —

Mit zweifelndem Lachen sagte ich: „Das ist ja gerade weggeblasen?“ „Ja, das ist es wirklich“, versicherte sie. —

VIII.
Magnetischer Schlaf.

Dafür, daß Menschen im magnetischen Schlafe mehr sehen, wissen und sagen können, als im Wachen und als die Wissenschaft Anderer erklären kann, will ich nur 2 Beweise anführen, welche auf den Zeugnissen der glaubwürdigsten Augen- und Ohrenzeugen beruhen.

(253 ≡)
Erster Beweis.

In Eichelsachsen, einem Dorfe am Fuße des Vogelsbergs, lag in den 1820er Jahren ein Mädchen im magnetischen Schlafe, ohne daß Jemand seinen Zustand ahnte, bis die Frau Inspectorin Scriba von Wingershausen ihn vermuthete und, um sich Gewißheit zu verschaffen, der Schlafenden einen ungeöffneten Brief auf die Herzgrube legte, welchen dieselbe sofort laut zu lesen begann. Sie sagte nun den erstaunten Aeltern: Eure Tochter hat die magnetische Krank­heit; laßt sie von dem Dr. Bork magnetisch behandeln! Nachdem Bork dieselbe eine Zeit lang in der Cur gehabt hatte, erzählte er mir, daß ihm die Schlafende auf sein Befragen öfter Heilmittel für Kranke, welche er bereits für verloren gehalten habe, angegeben hätte, welche ihm zwar unzweckmäßig und lächerlich vorgekommen wären, aber nichts desto weniger die Kranken in kurzer Zeit gesund gemacht hätten. Er führte mir auffallende Beispiele dieser Art an, deren genaue Beschreibung mich jedoch hier zu weit führen würde. Daß aber das Mädchen bei geschlossenen Augen den Brief gelesen habe, und zwar besser, als es dieß mit offenen Augen gekonnt hätte, hat mir die Frau Inspector Scriba selbst heilig versichert.

Zweiter Beweis.

Nicht lange danach fiel auch ein Mädchen in Busenborn, ebenfalls im Vogelsberge, in magnetischen Schlaf. Als von weit und breit Viele kamen, die sich von demselben Heilmittel für ihre Kranken angeben ließen, sprach die Frau des Ortspfarrers Koch zu diesem: Frage doch auch einmal das Mädchen, ob und womit meinem kranken Vater noch geholfen werden könne! „Nach einigem Weigern“ — so sprach mein Freund Koch selbst zu mir — „that ich meiner Frau diesen Gefallen, und nahm auch ein Paar Strümpfe mit, die sie mir zum Geschenk für das Mädchen gab. Kaum stand ich neben dem schlafenden Mädchen, so sagte es: Aber, Herr Pfarrer, ich hätte nicht von Ihnen geglaubt, daß Sie so von mir dächten! Ich: O, ich denke ja nichts Uebels von Dir! Es: Ja, Sie haben aber doch zu Ihrer Frau gesagt: Wenn das Mädchen einen Mann bekäme, so würde seine Krankheit wol bald vergehen. Das hatte ich nun allerdings meiner Frau in der vorigen Nacht im Bette gesagt, aber weder ich, noch sie hatten diese Vermuthung bei einem Dritten geäußert. Deßwegen frappirte mich diese Anrede des Mädchens ungemein, und mit einiger Beschämung gestand ich ihm, daß ich diese Vermuthung zwar im Vertrauen meiner Frau, aber sonst Niemand mitgetheilt habe. Es: Ja, das weiß ich, und Sie denken auch gerade nichts Schlechtes von mir. Dieses und überhaupt Alles sprach es nicht im Ortsdialekte, sondern in der reinsten Schriftsprache, welche es als Bauersmädchen im wachen Zustande gar nicht zu sprechen vermochte. Schon darüber mußte ich mich sehr wundern, noch mehr aber, als es mit plötzlich verfinsterter Miene fortfuhr: Jetzt will auch der schlechte Landrath Goldmann von Schotten zu mir; sagt ihm doch, daß ich ihn nicht leiden könne und daß er draußen bleiben möge! — Wirklich kam nach einigen Minuten der Landrath in das Zimmer und that einige neugierige Fragen an die Schlafende. Da ihm aber dieselbe keine Antwort gab, entfernte er sich bald wieder.

Nun, dachte ich, mußt Du doch auch Deine Frage und Deine Strümpfe anbringen, und sprach: Ich habe Dir auch etwas mitgebracht! Lächelnd erwiederte die Schlafende: Ich weiß es, ein Paar schöne Strümpfe von Ihrer Frau. Da bekam ich einen Respect vor dem Mädchen, wie vor einer Prophetin, und auch Glauben an seine Sehergabe, und frug nun: Kannst Du mir sagen, ob meinem Schwiegervater noch zu helfen ist, und wie? Hierauf schwieg es erst eine Weile, dann antwortete es: Ihr Schwiegervater wird nicht wieder gesund; man kann ihm aber noch einige Linderung verschaffen, wenn man so und soviel Birnkerne u. s. w. nimmt ec. Ich kann Dir nicht mehr angeben, was es Alles sagte, und da mir das Mittel doch zu läppisch schien, hatte ichs

(254 ≡)

meist schon vergessen, als ich wieder nach Hause kam. Während mich nun meine Frau fragte, was denn die Hellseherin über ihren Vater geäußert habe, klopfte der Bruder des Mädchens an unser Fenster und sprach, als ich dasselbe geöffnet hatte, zu mir: Meine Schwester hat mich her­geschickt, daß ich Ihnen das angegebene Mittel noch einmal sagen soll, weil Sie es vergessen hätten. Es müßten 14 Birnkerne u. s. w. sein! Wir haben das Mittel, weil es uns doch gar zu albern vorkam, weder empfohlen, noch angewandt; bewundern aber noch heute den Wahrsagergeist, der aus dem Mädchen redete, und von dem es selbst nichts wußte, sobald es wach wurde.“ — Soweit Freund Koch. —

Der Kastenmeister von Crainfeld, welcher auch nach Busenborn ging, um dieses Mädchen wegen seiner kranken Frau um Rath zu fragen, konnte wegen der großen Menge der Fragenden in den zwei ersten Tagen nicht zu demselben kommen, bis es selbst einmal die andern Frager abwies, und sprach: „Jetzt ruft mir erst einmal den Mann von Crainfeld, der in dem und dem Hause ist; er hat lange genug gewartet, und hat doch unter Allen, die zu mir wollen, das betrübteste Herz!“ Das hat mir der Kastenmeister damals selbst erzählt. —

IX.
Menschliche Ahnung oder göttliche Warnung?

Der Professor der Theologie Dr. Schulz in Gießen, ein sonst sehr lebhafter Gesellschafter, saß einst im Donnerstagskränzchen der Professoren so theilnahmlos und schweigsam da, daß er öfter gefragt wurde, warum er nicht so munter und guter Laune sei, wie gewöhnlich. Endlich sagte er: Ich kann eben nicht so aufgeräumt und heiter sein, wie sonst, weil mich ein sonderbarer Gedanke verfolgt, den ich durchaus nicht los werden kann, nämlich der Gedanke: Ich müsse mein Bett aus der Einen Ecke des Zimmers in die Andere stellen. Ei nun, sprach ein Anderer: so führen Sie doch lieber sogleich diesen Gedanken aus, als daß Sie den ganzen Abend für unsere Gesellschaft verloren sind. Nun ging Schulz alsbald nach Hause und sagte zu seiner Frau und Tochter: Helft mir einmal mein Bett in jene Ecke stellen! Beide wußten nicht, was sie zu diesem sonderlichen Einfalle sagen sollten; halfen aber, nachdem sie den Beweggrund erfahren hatten, das Bett an den gewünschten Ort transportiren; worauf Schulz in seine Gesellschaft zurückkehrte, und nun so unterhaltend und jovial wie immer war.

In der folgenden Nacht brach ein Balken seiner Zimmerdecke, und stürzte gerade auf die Stelle herab, wo sein Bett vorher gestanden hatte. Hätte es also noch da gestanden, so wäre er ohne Zweifel von dem Balken erschlagen worden. —

Dieses erzählte Schulz in Gegenwart meines Vaters mit dem Bemerken, daß er über seinem Bette nie eine schadhafte Stelle gesehen, und deswegen auch nie vermuthet habe, daß da vielleicht einmal ein Balken herunterbrechen könne. — Mein Vater erzählte dieses stets mit großem Interesse, weil Schulz einer von seinen liebsten Lehrern gewesen war.

X.
Sympathie.

Mein Bruder Theodor, ein früher sehr gesunder und blühender Knabe, nahm in seinem 13. Jahre allmälig und immer schneller an Kraft und gutem Aussehen ab, bis er soweit herunter­gekommen war, daß er kaum noch allein gehen konnte. Die besten Aerzte in der Umgegend waren zwar immer gebraucht, der Patient aber dabei immer schwächer und hinfälliger geworden,

(255 ≡)

sodaß ihn Alle, die ihn sahen, auch die Aerzte und wir selbst für rettungslos verloren hielten. Da hörten wir, daß ein Schäfer in meines Vaters Kirchspiel schon etliche junge Leute, die das sogenannte Abnehmen gehabt, und die Aerzte vergeblich gebraucht hätten, durch Sympathie wieder hergestellt habe. Mein Vater ließ den Schäfer Vierheller von Kaulstoß kommen, und fragte ihn auf sein Gewissen, ob er meinen Bruder noch herzustellen gedenke. Der Schäfer maß erst meinen Bruder nach seiner Länge und Breite, und sagte dann: es ist die höchste Zeit mit ihm! Ich setze mein Leben zum Pfand, daß ihn kein Arzt mehr heilt, daß ich ihn aber noch rette, wenn ich ihm sogleich brauche, und kein anderer Arzt gebraucht wird. Zugleich sagte er dem Kranken genau, wie er sich im ganzen Verlauf seiner Krankheit befunden haben werde, sodaß dieser aus­rief: „Ja, der Schäfer weiß ganz genau, wie mir's war; der kann mir auch helfen!“ In eben so langer Zeit, als Du krank gewesen bist, sagte der Schäfer zu ihm, mache ich Dich wieder vollkommen gesund! Da nun unser Vertrauen zu den Aerzten längst dahin, das meines Bruders zu dem Schäfer dagegen unbegrenzt war, so nahm ihn dieser sofort allein in die Cur, und stellte ihn in der angegebenen Zeit ohne alle Arznei durch bloße Sympathie völlig gesund wieder her, sodaß Jeder, auch jeder Arzt, der ihn sahe, seine Cur eine Wundercur nannte. —


Wetzlar, am 16. April 1872.
Christian Spamer.

Anmerkungen

  1. GenWiki-Red.: Vgl. Artikel Spamer (Familienname).
  2. GenWiki-Red.: Vgl. Artikel Schotten (Hessen).
  3. GenWiki-Red.: Vgl. Artikel Nidda.
  4. GenWiki-Red.: (gefallen 1915, Anm. K. Kellner)
  5. GenWiki-Red.: Handschriftliche Korrektur großes D.
  6. GenWiki-Red.: Unrichtige handschriftliche Korrektur im Original auf Monat März. Sterbemonat richtig = April.
  7. Genwiki-Red.: Mariaspring ist die Quelle des Baches Rauschenwasser in der Gemeinde Bovenden im Landkreis Göttingen (Niedersachsen). Bis zum II. Weltkrieg war Mariaspring ein beliebtes Ausflugsziel ca. 10 km nördlich von Göttingen, unterhalb der Burg Plesse.
  8. GenWiki-Red.: Handschriftliche Änderung des Wortes "gerade" im Original in "gerne".
  9. GenWiki-Red.: Der Ort heißt heute Höhr-Grenzhausen im Westerwaldkreis.
  10. GenWiki-Red.: Handschriftliche Einfügung "und Oberleutnant".
  11. GenWiki-Red.: Der Ort heißt heute Höhr-Grenzhausen im Westerwaldkreis.
  12. GenWiki-Red.: Handschriftliche Einfügung des Wortes "zum".
  13. GenWiki-Red.: Handschriftliche Änderung des Druckwortes "Feinheit" in "Freiheit".
  14. GenWiki-Red.: Der Ort heißt heute Höhr-Grenzhausen im Westerwaldkreis.