Tagebuch 1812 Ernst von Baumbach - Napoleons Russlandfeldzug/E-Book

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Tagebuch 1812 Ernst von Baumbach - Napoleons Russlandfeldzug
Autor(en):Ernst von Baumbach
Titel:Tagebuch von 1812
Verlag:Eigenverlag
Ort:Nechtersheim
Jahr:1838
Umfang: 279 Seiten
Sonstiges:Handschrift
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Tagebuch

von

1812.
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Zueignung

Dem Wunsche meiner lieben Frau und Kinder entsprechend, benutzte ich die ruhigere Lebensweise, in welche ich mich seit einem Jahr versetzt sah, zur Vornahme der Ausarbeitung der Tagebücher über die Feldzüge von 1812, 13 und 14, wozu es mir in dem großen Zeitraume von beinahe 25 Jahren[1], der zwischen der Catastrophe von 1812 und dem Beginn meiner Arbeit liegt, durch den vielfältigen Wechsel dem ich unterworfen war, an Zeit, oft auch, wie das so zu gehen pflegt, an Lust gefehlt hatte.

Bei der Erzählung der Ereigniße in dem rußischen Feldzuge, benutzte ich das Tagebuch meines Freundes Wildermuth, indem mein eigenes auf dem Rückzuge verloren gegangen ist. Wildermuthes Notizen ersetzten mir jedoch mein Tagebuch, indem wir den größten Theil des Feldzuges

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und namentlich auf dem Rückzuge beisammen waren, auf welchem ich seiner vielbewährten aufopfernden Freundschaft die Rettung meines Lebens verdanke; auch haben sich mir die Ereigniße dieses denkwürdigen Feldzuges so tief ins Gedächtniß geprägt, daß es nur der leisesten Andeutung bedurfte, um sie mir vollkommen zu vergegenwärtigen. Bei der Beschreibung der Feldzüge von 1813 und 1814 dienten mir die an Ort und Stelle aufgezeichneten Notizen.

Ich glaubte meinen Tagebüchern ein größeres Interesse zu geben, indem ich denselben einen gedrängten Auszug aus der

Geschichte dieser wichtigen Epoche hinzufügte, wobei ich die hierüber erschienenen zuverläßigsten Werke benutzt habe. Meine Ausarbeitung hat aber dennoch keine weitere Bestimmung, als innerhalb des Kreises der Familie und von Freunden gelesen zu werden. Für meine Angehörigen wird sie übrigens, ich darf es wohl erwarten, einen bleibenden Werth behalten, weshalb ich meine Tagebücher zunächst meiner lieben Frau und meinen lieben Kindern zueigne und zugleich bestimme, daß sie stets von dem ältesten männlichen Nachkommen meiner

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Familie aufbewahrt werden sollen. Würde es der Wille der Vorsehung seyn, daß meine Linie aussterbe, so sind meine Tagebücher dem Saalbuch der Baumbachischen Familie zu Nentershausen beizufügen.

Ludwigsburg         Ernst von Baumbach
dem 1ten Januar 1838.   Königlich würtembergischer Obersten.
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Inhalt des Tagebuches

von

1812.

Einleitung. – Veranlaßung zu dem Kriege zwischen Frankreich und Rußland. Geringer Beifall den derselbe in Frankreich fand. Streitkräfte der beiden Mächte.

Abschnitt I. – Vorbereitungen. Marsch aus der Garnison nach Leipzig. Eintheilung der würtembergischen Truppen in das 3te Armee-Corps. Marsch an die Oder. Stimmung in Preußen. Marsch an die Weichsel. Polen und seine Bewohner. Harte Maßregeln zur Sicherung der Verpflegung. Marsch an den Niemen.

Abschnitt II. – Beginn der Feindseligkeiten. Überschreitung

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des Niemens. Marsch bis in das Lager von Raskimosy.

Abschnitt III. – Allgemeine Bemerkungen über die Verhältniße der beiderseitigen Armeen. Marsch über Witebsk in das Lager von Liozna.

Abschnitt IV. – Stellung der beiderseitigen Armeen nach der Vereinigung Bagrations mit Barklay. Angriff der Rußen. Vorrücken der Franzosen. Schlacht von Smolensk.

Abschnitt V. – Stimmung in der Armee nach der Schlacht von Smolensk. Napoleon beschließt weiter vorzurücken. Rückzug der Rußen in die Stellung von Borodino. Bemerkungen über die Lage der französischen Armee. Schlacht von Borodino /: an der Moskwa :/

Abschnitt VI. – Unsere Lage nach der Schlacht. Vorrücken der Armee nach Moskau. Beschreibung dieser Hauptstadt. Rostopschin. Beschreibung und Brand Moskaus. Dislocation

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der Armee. Rückzug der Rußen hinter die Nara. Mein Marsch nach Moskau und Aufenthalt daselbst. Napoleon beschließt den Rückzug. Mürat wird bei Tarutino geschlagen.

Abschnitt VII. – Übersicht der Begebenheiten bei den im Rücken der Armee stehen gebliebenen Corps bis zu Ende Oktober. Abmarsch von Moskau. Gefecht bei Malo-Jaroslawets. Napoleon beschließt über Wiazma nach Smolensk zu marschiren. Meine Einrichtung für den Rückzug.

Abschnitt VIII. – Marsch über Mojaisk nach Wiazma. Gefecht daselbst. Folgen welche dieses Gefecht auf den Zustand der Armee hatte. Marsch nach Dorogobuy. Beginn des Winters. Schreckliche Einwirkung desselben auf die Armee. Meine Lage in diesem Zeitabschnitte.

Abschnitt IX. – Zustand der Armee bei ihrem Eintreffen in Smolensk. Nothwendigkeit den Rückzug fortzusetzen.

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Stärke und Marsch der rußischen Armee. Gefechte bei Krasnoy. Rückzug nach Orsza. Merkwürdiger Rückzug des Marschalls Ney über den Dnieper nach Orsza. Zustand der französischen Armee bei ihrem Eintreffen in Orsza. Meine Verhältniße in diesem Zeitraume.

Abschnitt X. – Begebenheiten im Rücken der Armee bis zu ihrem Eintreffen in Orsza. Rückzug nach Borisow. Eroberung dieser Stadt durch Tschischagof. Oudinot erobert Borisow wieder. Napoleon läßt in Studenki zwei Brücken über die Berezina schlagen. Übergang und Gefechte bei diesem Ort. Rückzug bis Zembin. Folgen, welche diese Gefechte auf den Zustand der Armee hatten. Meine Lage in diesem Zeitabschnitte.

Abschnitt XI. – Marsch nach Molodeczno. Das 29te Bülletin. Napoleon verläßt die Armee, deren Commando er an Mürat überträgt, und reist nach Paris. Rückzug über Wilna und Kovno hinter die Weichsel. Marsch der

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rußischen Armee. Rückzug Macdonald’s. Abfall des preußischen Corps. Rückzug Schwarzenbergs. Dislocation der Armee hinter der Weichsel. Meine Reise von Zembin nach Thorn.

Abschnitt XII. – Zustand der Armee nach ihrem Eintreffen hinter der Weichsel. Lage der rußischen Armee. Rückzug der Oestereicher nach Gallizien. Napoleon entzieht Mürat das Commando der Armee und überträgt es dem Vicekönig. Die französische Armee zieht sich hinter die Oder zurück. Mein Aufenthalt in Thorn und Rückreise über Nentershausen nach Heilbronn.

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Einleitung.

Veranlaßung zu dem Kriege zwischen Frankreich und Rußland. Geringer Beifall welchen derselbe in Frankreich fand. Streitkräfte der beiden Mächte.
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Der Keim zu einem neuen Krieg zwischen Rußland und Frankreich lag schon in dem Friedens-Traktat von Tilsit: denn wenn auch der Kaiser Napoleon sich bei dieser Gelegenheit dem Kaiser Alexander in mancher Beziehung gefällig gezeigt und ihn dadurch persönlich gewonnen hatte, so konnten doch die Rußen ihre Niederlage nicht vergessen. Auch wurden ihre Handelsverhältniße durch den Beitritt zu dem Continentalsystem, durch welches Napoleon die Engländer zu bekämpfen suchte, auf eine höchst empfindliche Weise gefährdet, so daß bereits gegen das Ende des Jahres 1810 die rußische Regierung, zum großen Ärger Napoleons, sich veranlaßt sah, einen neuen Handels-Tarif einzuführen, welcher

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die dem Handel geschlagenen, immer empfindlicher werdenden, Wunden heilen sollte. Eine Haupttriebfeder des verhängnißvollen Kriegs war aber der unersättliche Ehrgeitz und die Herrschsucht Napoleons. Er wollte Herr von ganz Europa werden. Zu diesem Endzweck wurden nicht allein alle Rheinbundesfürsten aufgefordert, ihre Contingente zu stellen, sondern auch Östereich und Preußen zu Traktaten veranlaßt, welche die Stellung von Hülfstruppen und einen thätigen Antheil an dem Krieg zur Folge hatten. Minder glücklich waren in dieser Beziehung die Unterhandlungen mit Schweden und der Türkey: ersteres versagte die Theilnahme an dem bevorstehenden Kampf und letztere schloß mit Rußland Friede, gerade wie der Krieg mit Frankreich begann.

In Frankreich fand dieser Krieg wenig Beifall. Selbst die Marschälle, welche voraussahen, daß dabei nichts zu gewinnen war, ihren Ruhm und die in den glorreichen Zeiten des Reichs erworbenen Schätze aber nicht gerne auf’s Spiel setzen wollten, sprachen sich mehr oder weniger bestimmt dagegen aus, und stellten dem Kaiser vor, wie gefahrvoll

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das Unternehmen sey, doppelt gefahrvoll, weil ein großer Theil der französischen Armee in Spanien beschäftigt und keineswegs zu hoffen wäre, den dortigen Krieg bald zu beendigen. –

Sein Entschluß war jedoch gefaßt, und die Zubereitungen waren so großartig, daß allerdings der Erfolg nicht zweifelhaft zu seyn schien.

Die Armee, welche Napoleon gegen Rußland führte, hatte folgende Stärke und Eintheilung: *)[2][GWR 1]
Die Garde ----------- -------------- ------- 47,000
Das 1te Armee-Corps, Marschall Davoust 72,000
" 2te ---- " ---- -- " -- Oudinot 37,000
" 3te ---- " ---- -- " -- Ney 39,000
" 4te ---- " ---- -- " -- Vice König v. Italien    45,000
" 5te ---- " ---- -- " -- Gen. Poniatowsky 36,000
" 6te ---- " ---- -- " -- St. Cyr 25,000
" 7te ---- " ---- General Reynier 17,000
" 8te ---- " ---- -- " -- Jünot 17,000
" 9te ---- " ---- Marschall Victor 33,000
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10tes Armee-Corps, Marschall Macdonald 30,000
11tes -- " -- Augereau 60,000
Vier Reserve Cavalerie-Corps, König von Neapel 40,000
Das oestereichische Hülfs-Corps, Fürst Schwarzenberg 30,000
Zusammen 528,000 Mann.

Diese Armee hatte 182,000 Pferde und 1372 Geschütze. Die Depots welche ihr folgten, die Mannschaft des Trains, und ihr übriges ungeheueres Gefolge, berechnen sich auf 82,000 Menschen. Von der Armee betraten 440,000 Mann gleich zu Anfang des Feldzuges, das 9te und ein Theil des 11ten Armee-Corps aber erst später den rußischen Boden.

Die Armee war gut eingeübt und von einem guten Geist beseelt. Die Truppen des Rheinbundes, stolz unter einem so großen Feldherrn zu dienen, hatten vergessen, daß es ein deutsches Vaterland gab, und wenn auch hin und wieder ein demüthigendes Gefühl erwachte, daß die Deutschen selbst dazu beitragen sollten, die geschlagenen Fesseln immer fester zu ziehen, so lag doch der Gedanke an eine Befreiung von dem französischen Joch so fern, daß er vor der Aussicht

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auf die, in dem bevorstehenden Feldzug zu erlangenden Vortheile verschwand. Es bewarben sich sogar mehrere deutsche Fürstensöhne, unter ihnen unser Kronprinz, um die Gunst, unter dem Kaiser zu dienen.

Die Polen, an und für sich vortreffliche Soldaten, träumten von einer Herstellung ihres Königreiches und wünschten nichts so sehr, als sich für die vielen von den Rußen erhaltenen Unbilden zu rächen. Die Oestereicher und Preußen konnten zwar nur mit Mühe den Gedanken ertragen, unter den Befehlen und zu den Zwecken eines Mannes dienen zu sollen, der ihren Nationalstolz so empfindlich beleidigt hatte, sie gehorchten jedoch den Befehlen ihrer Fürsten, deren Politik nicht erlaubte, sich dem Willen des allmächtigen Kaisers zu widersetzen.

Der Armee folgte ein enormes Fuhrwesen; eine Unsumme von Verpflegsbeamten gleich wie Handwerker aller Art waren ihr beigegeben, so daß es den Anschein gewann, als ob der Kaiser die Absicht habe, Colonien in entfernten, von Hülfsmitteln entblößten, Ländern zu gründen.

Die Rußen konnten, bei Eröffnung des Feldzuges, dem

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eindringenden Feind an der Grenze nicht mehr als 180,000 Mann entgegenstellen; in zweiter Linie stand eine Reserve-Division von 35,000 Mann, welche erst später in Wirksamkeit trat. *)[3] Die Armee war vortrefflich ausgerüstet und begierig sich mit einem Feind zu messen, der es wagte die Unabhängigkeit des Vaterlandes anzutasten. In der Armeeführung war aber kein Zusammenhang und eine große Unschlüßigkeit. Der Kaiser, welcher dieselbe selbst übernommen hatte, verstand es nicht eine Armee zu commandiren, woraus dann hervorging, daß man noch nicht über den Plan des Feldzuges einig war, als Napoleon die rußische Grenze überschritt.

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Abschnitt I.

Vorbereitungen. Marsch aus der Garnison nach Leipzig. Eintheilung der würtembergischen Truppen in das 3te Armee-Corps. Marsch an die Oder. Stimmung in Preußen. Marsch an die Weichsel. Polen und seine Bewohner. Harte Maßregeln zur Sicherung der Verpflegung. Marsch an den Niemen.
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Im Januar 1812 ertheilte der König von Würtemberg den Befehl, die zum Ausmarsch bestimmten Regimenter auf den Feldfuß zu setzen, was bei uns jungen Militairs große Freude erregte. Ich war damals nicht viel über zwanzig Jahre alt, Oberlieutenant und Adjutant des Infanterie-Regiments No 1 Prinz Paul, und stand in Ludwigsburg in Garnison.

Der Oberst von Bünau, seit 1808 Commandant unseres Regimentes, wurde durch den Oberst von Dernbach ersetzt.

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Wir verloren einen rechtlichen unpartheiischen Führer und erhielten dagegen einen eiteln, dieser Stelle in keiner Hinsicht gewachsenen Vorgesetzten, welcher, aufgeblasen durch die hohe Meinung die unbegreiflicherweise der König[4] von seinen Fähigkeiten zu haben schien, mit Grobheit seinen Mangel an Dienstkenntnißen zu verdecken suchte, wie solches damals leider bei vielen der höhern Offiziere der Fall war.

Zu Ende Februar conzentrirte sich das Truppen-Corps in der Gegend von Heilbronn und es übernahm der Kronprinz den Oberbefehl. Die Infanterie commandirte der Generallieutenant von Scheler, die Reiterei der Generallieutenant von Wöllwarth, die Artillerie der Oberstlieutenant von Brand; Chef des Generalstabs war Generalmajor von Kerner. Die Infanterie-Regimenter No1 und 4 bildeten die 1te Brigade unter den Befehlen des Generalmajors Ernst von Hügel.

Nachdem der König in der Gegend von Öhringen Revue gehalten und so zu sagen Abschied von uns genommen hatte, brach das Corps am 11ten März auf, um in vier Colonnen über Mergentheim, Marktbreit, Wiesenheit, Neusaß,

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Haßfurth, wo wir den Main auf Fähren übersetzten, nach Coburg zu marschiren. Von da nahm es seine Richtung über den Kahlert, einen Gebirgspaß des Thüringer Waldes, nach Saalfeld, Rudolstadt und Leipzig, wo mein Regiment am 28ten eintraf und in der Stadt einquartiert wurde.

Von Rudolstadt aus nahm ich Urlaub nach Weimar, um meine Schwester Sophie zu besuchen, welche Hofdame bei der damaligen Herzogin war. Ich freute mich sehr vor einer sich so großartig ankündigenden Weltbegebenheit, welche mich vielleicht für längere Zeit von dem Vaterland entfernt halten konnte und die voraussichtlich mit mancherlei Gefahren verknüpft war, wenigstens ein Glied meiner Familie zu sehen. Ich wurde bei Hof sehr gnädig aufgenommen und zur Tafel gezogen. Die Erbprinzeß, Großfürstin Marie von Rußland, war so gnädig, mir ein, in rußischer Sprache abgefaßtes, offenes Empfehlungsschreiben an ihre Landsleute mitzugeben, von welchem ich jedoch nie Gelegenheit fand, Gebrauch zu machen. Dasselbe wurde mir auf dem Rückweg in Kowno mit meiner ganzen übrigen Habe von den Franzosen geraubt. Ich

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bin froh nicht in die traurige Nothwendigkeit versetzt worden zu seyn, von diesem Empfehlungsschreiben Gebrauch zu machen, gleichwohl bedauere ich sehr, dasselbe verloren zu haben. Es würde für mich stets ein schätzbares Andenken huldvoller Fürsorge gewesen seyn. −

In Leipzig erhielt das würtembergische Corps die Bestimmung, als 25te Division der großen Armee, zu dem 3ten Armee-Corps zu stoßen, zu welchem noch die Divisionen Ledrü und Razout zählten. Am 4ten April brachen wir gegen die Oder auf, wo wir am 14ten in dem Lebus’schen Kreis Cantonierungen bezogen. Bis zum Eintritt in den preußischen Staat waren wir überall freundlich aufgenommen worden. Auch hier konnten wir gerade nicht über einen schlechten Empfang klagen; es war jedoch nicht zu verkennen, daß die Preußen die Niederlage von 1806 nicht vergessen hatten und mit Ungedult die, damals allerdings sehr entfernt geglaubte, Gelegenheit erwarteten, das drückende Joch abzuschütteln und sich zu rächen. Wenn dieser Haß vor allen Andern die Franzosen traf, so hatten doch auch die Würtemberger Anlaß dazu gegeben, denn ihre Aufführung

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in den Jahren 1806 und 1807 in Schlesien, wo sie unter den Befehlen des, durch seine Raubsucht berüchtigten, Generals Vendamme standen, war mit unter recht schlecht gewesen. Das Benehmen Einiger unter ihnen war abscheulich zu nennen, und es war in der That nur zu verwundern, daß die Preußen keinen größern Widerwillen gegen uns zeigten.

In diesen Cantonirungen verweilten wir bis zum 2ten Mai. Außer einer Revue vor dem Corps-Commandanten, Marschall Ney, fiel nichts bemerkenswerthes vor. Ich hätte mich sehr gerne für einige Tage nach dem unweit entfernten Berlin begeben, mein ängstlicher Oberst[5], den die geringste Kleinigkeit in Verzweiflung setzte, wollte mir jedoch keine Erlaubniß dazu ertheilen. Am 3ten Mai bezogen wir recht gute Quartiere in Frankfurt a. d. Oder. Acht Tage später brachen wir nach der Weichsel auf, wo wir am 21ten dieseits Thorn eintrafen.

Die Gegenden Polens, welche wir auf diesem Marsch durchzogen, sind fruchtreich und haben Viehzucht, ihr Anblick ist aber eben so traurig, wie der ihrer Bewohner: Tannenwälder

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wechseln mit Sandflächen ab; selten daß diese Monotonie der Gegend durch einen Berg unterbrochen wird. Kleine Seen findet man oft, ihre Ufer sind aber flach und sandig, von keinem frischen Grün belebt. Außer den Edelhöfen sieht man nichts als elende mit Stroh bedeckte Lehmhütten. −

Die Bevölkerung Polens zerfällt in den hohen und den niedern Adel, in Leibeigne und Juden. In den Städten findet man freie Bürger und mehr Civilisation als auf dem Lande, überall aber, besonders auf letzterem, abscheuliche Unreinlichkeit und Ungeziefer aller Art. Der höhere Adel hat einen Anstrich von Bildung, aber auch bei ihm findet sich, bei vielem Luxus, Rohheit und Schmutz. Die Juden haben beinahe ausschließlich den Handel an sich gerißen, auch sind sie Besitzer der Wirthshäuser und Schnapskneipen und treiben alle Handwerke. Sie sind sehr verschmitzt und es ist sehr zu rathen, sich vor ihren Betrügereien zu hüten. Für Geld lassen sie sich zu allem gebrauchen. Sie sprechen durchgängig mehr oder weniger deutsch und waren uns, trotz ihrem Hang zur Betrügerei, von

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großem Nutzen. – Besonders widrig war mir die Unterwürfigkeit der Landleute. Eine Bitte wurde selten anders als auf den Knien liegend und mit den Geberden der tiefsten Unterwürfigkeit vorgebracht. −

Die Nation schmeichelte sich, Napoleon werde ein Königreich Polen herstellen, wozu durch das seit 1807 gebildete Herzogthum Warschau, der erste Schritt gethan zu seyn schien. Man sprach sogar schon davon, der General Fürst Poniatowsky wäre zum König bestimmt. Diese Idee scheint jedoch der Kaiser nie ernstlich gehabt zu haben, und es vorerst nur seine Absicht gewesen zu seyn, die vortrefflichen militairischen Eigenschaften und den Haß der Polen gegen die Rußen zu seinem Vortheil auszubeuten.

Das Land wurde nichts weniger als uns befreundet behandelt und es war nicht wohl möglich in Feindesland ärger zu hausen, als es von der großen Armee in Polen und Altpreußen geschah: An der Weichsel angekommen, erhielten wir den Befehl, uns auf dem Weg der Requisition für 25 Tage mit Lebensmitteln aller Art zu versehen. Die Ausführung

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dieser Maßregel blieb den Truppen innerhalb ihrer Cantonirungs-Bezirke überlassen und es erhielt dadurch ein jedes Regiment seine Heerde Schlachtvieh und eine Menge mit Brod, Mehl, Fourage u.s.w. beladene elende Vorspannswagen. Bei dieser harten, vom Kaiser selbst angeordenten, Maßregel konnte es nicht ausbleiben, daß sich Mißbräuche einschlichen. Hohe und Mindere erlaubten sich Erpreßungen aller Art. Bei der gewaltsamen Wegnahme von Lebensmitteln kamen auch Plünderungen und Betrügereien vor. Die Vorspannsbauern wurden geplagt und oft absichtlich nicht entlassen, um sie zur Verzweiflung zu bringen, wo sie dann oft alles im Stich ließen und wegliefen, wodurch die Wagen und Pferde Eigenthum des Regimentes wurden und durch Soldaten bedient werden mußten, was die Disziplin gefährdete und den Stand der streitbaren Mannschaft verminderte. −

Zur Ehre meines Obersten[6] muß ich sagen, daß er die Härte der Maßregel zu mildern suchte, wo es möglich war und keine Mißbräuche duldete. Die Franzosen warfen alle Schuld auf ihre Verbündeten, machten es aber um nichts besser.

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Der Kaiser, der ohnedies die Gegenwart des Kronprinzen nicht gerne sah, nahm die Gelegenheit wahr, um ihn über die bei der Division Statt findenden Unordnungen auf das härteste anzulassen, und sagte ihm sogar, daß er seine Generale totschießen lassen werde. Die eigentliche Absicht dabei war aber, den Kronprinzen zu schikaniren, ihn zu veranlaßen das Commando niederzulegen und uns französische Generale zu geben. Der Anfang damit wurde bereits an der Oder gemacht, indem das 2te Reiter-Regiment Herzog Louis der Reserve-Cavalerie, unter dem König von Neapel, zugetheilt wurde, und bevor wir über den Niemen gingen, sahen sich auch die drei andern Regimenter in französiche Brigaden eingetheilt. Auf diese Weise suchte der Kaiser das gehäßige der von ihm ausgegangenen Maßregel auf uns zu wälzen, und zu gleicher Zeit der Auflösung der würtembergischen Reiter-Division einen Anstrich von Gerechtigkeit zu geben. In Folge dieser Auflösung wurden die Generale von Wöllwarth und von Walsleben, von denen der erstere allerdings nicht vorwurfsfrei war, überzählig und reisten in das Vaterland zurück.

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Am 26ten Mai marschirten wir nach der am rechten Weichselufer liegenden Festung Thorn, den 2ten Juni nach Strasburg und den 5ten nach Lebau. Hier zeigte sich bereits ein so großer Mangel an Fourage, daß die sämtliche Cavalerie, durch Tagesbefehl des Kaisers, auf grünes Futter gesetzt wurde, d. h. es wurde die Erlaubnis ertheilt, die grüne Frucht abzumähen und zu füttern. − Den 14ten Juni trafen wir in Gerdauen ein, und den 17ten in Goldapp, wo wir zum letztenmal einquartiert wurden. Den 20ten conzentrirte sich das ganze Armee-Corps im Lager bei Kalwary. Wir hofften hier einige Tage zu bleiben, indem es sehr nöthig wurde, die durch die angestrengten Märsche abgenutzte Fußbekleidung der Mannschaft herzustellen, auch waren unsre Lebensmittel noch nicht eingetroffen; wir mußten jedoch am 21ten Abends nach dem Niemen aufbrechen, wo wir am 23ten bei Dobelin eintrafen. Waren die Märsche bis Kalwary anstrengend gewesen, so war es der von da bis an den Niemen noch weit mehr. Kaum daß man am Tage einige Stunden anhielt, um abkochen zu lassen; da jedoch das Schlachtvieh nicht folgen konnte, so fand auch keine

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regelmäßige Austheilung der Lebensmittel statt, und wir waren genöthigt den eisernen Vorrath von Zwieback und Mehl anzugreifen, welchen der Soldat in seinem Tornister trug. Zu diesen Beschwerden gesellte sich eine große Hitze, schlechtes oft ganz ungenießbares Wasser, und tiefe Sandwege, welche oft Tagelang durch dichte Tannenwälder führten, wo kein kühlendes Lüftchen die ermatteten Menschen und Thiere erquickte. Die Folge davon war, daß unsere, in Kalwary ganz vollzählig gewesene, Infanterie auf diesem, beinahe unausgesetzt drei Tage und drei Nächte dauernden Marsch, den sechsten Theil ihrer Leute zurückließ. Hier kam es auch vor, daß wir eine große Strecke weit durch einen, auf beiden Seiten des Weges brennenden Wald marschiren mußten, was besonders für die Munitionswagen eine böse Aufgabe war, die einzeln im Galopp durchfuhren.

Napoleon hatte durch die außerordentliche Schnelligkeit, mit welcher er von der Weichsel an den Niemen vorgerückt war – eine Strecke von circa 80 Meilen[7] in 20 Tagen, die Rasttage mit eingerechnet – allerdings den

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großen Vortheil erreicht, daß er bereits am Niemen stand, als der rußische Kaiser die Befehle zur Vereinigung seiner Armee bei Wilna ertheilte; er hatte somit die rußische Armee völlig überrascht. Die angestrengten Märsche von der Weichsel an den Niemen hatten aber große Lücken verursacht, welche nicht wieder ausgefüllt werden konnten, vielmehr immer größer wurden, denn der Kaiser gönnte uns, um die Früchte der Überraschung nicht zu verlieren, von dort an keine Ruhe mehr, so daß diejenigen, welche krank oder ermattet auf den Märschen zurückblieben, nicht nachkommen konnten, die schlecht bestellten Spitäler füllten, oft aber schon unterlagen, bevor sie dieselben erreichten. −

Die an der Weichsel mit so großer Härte zusammengebrachten Vorräthe konnten nicht folgen und gingen beinahe ganz verloren. Dasselbe Schicksal hatten die großen mit bedeutenden Kosten organisirten Fuhrwesens-Colonnen und die mit Ochsen bespannten Mehlwagen. Mangel an Futter und große Anstrengung tödteten die Ochsen, welche am Wege liegen blieben und die Luft verpesteten, was eine große Plage für die Nachkommenden war.

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Abschnitt II.

Beginn der Feindseligkeiten. Überschreitung des Niemens. Marsch bis in das Lager von Raskimosy.
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An dem Niemen wurde uns folgende hochtrabende Proklamation des Kaisers bekannt gemacht:[8]

„Soldaten! Der zweite polnische Krieg hat angefangen. Der erste endigte bei Friedland und in Tilsit; Rußland hat in Tilsit Frankreich einen ewigen Bund, England aber Krieg zugeschworen; heute wird dasselbe seinem Schwur untreu; es will nicht früher Aufschluß über sein sonderbares Benehmen geben, als bis die französischen Adler über den Rhein zurückgegangen seyen, wodurch unsere Verbündeten seiner Willkühr überlassen bleiben würden. Rußland wird durch sein böses Geschick hingerißen! Sein Schicksal mag in Erfüllung gehen! Glaubt es uns entartet? Sind wir nicht mehr die Soldaten von Austerlitz?
Es läßt uns die Wahl zwischen der Schande und dem Krieg: die Wahl kann nicht zweyfelhaft seyn; laßt uns also vorrücken, den Niemen überschreiten und den Krieg auf sein Gebiet versetzen! Der zweite polnische Krieg wird für die französischen Waffen eben so ruhmvoll als der erste seyn; auch wird er seine Schadloshaltung darin finden, daß er dem stolzen Einfluß ein Ziel setzt, den Rußland seit fünfzig Jahren auf die europäischen Angelegenheiten ausübt.“

Diese Proklamation vertrat die Stelle einer Kriegserklärung. Napoleon verließ in der Nacht vom 22ten auf den 23ten Juni Wilkowisky und begab sich mit Tagesanbruch auf die Vorposten, wo er, wie man sagte, in einen blauen Überrock gehüllt und mit einer polnischen Mütze bedeckt, in der Begleitung des Ingenieur-Generals Haxo, den Fluß und die Stellung des bei Kowno stehenden rußischen Corps recognoszirte, und hierauf anordnete, daß drei Brücken, ungefähr eine Stunde oberhalb dieser Stadt, geschlagen werden sollten. Die Arbeit begann jedoch erst in der Nacht, damit sie dem Feinde möglichst lang verborgen blieb. Die Armee war so nahe

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an den Fluß gerückt, als es geschehen konnte, ohne vom Feind gesehen zu werden. Um Mitternacht waren die Brücken fertig. Das 1te Armee-Corps eröffnete den Marsch, hierauf kam das 2te und dann die Cavalerie, welche bis Kowno vordrang. Die Rußen hatten sich schnell in der Richtung von Wilna zurückgezogen, ohne eine Gefecht anzunehmen. Unser Armee-Corps rückte den 24ten an den Fluß, defilirte am 25ten vor dem Kaiser über die Brücken und marschirte über Kowno bis auf Kormelo. Den 26ten gelangten wir, in der allgemeinen Bewegung gegen Wilna, bis Skoruly, den 27ten, in einem sehr anstrengenden Marsch, bis Jewe. Die Truppen waren so erschöpft, daß ihnen am 28ten ein Rasttag gegönnt wurde. An diesem Tag zog Napoleon in Wilna ein. Die Rußen hatten sich darauf beschränkt, die hölzerne Brücke über die Wilia und die Magazine, welche nicht geleert werden konnten, zu verbrennen.

Den 29ten ging das 3te Armee-Corps bei Kiergaliky auf einer Bockbrücke über die Wilia. Die bisherige heiße Witterung änderte sich plötzlich: ein heftiger Landregen

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fiel ohne Unterlaß während fünf Tagen, kühlte die Luft empfindlich ab und verdarb die schlechten Wege so, daß die Truppen nur mit großer Beschwerde marschiren konnten.*)[9] Die würtembergische Division hatte an diesem Tage die Nachhut und erreichte erst um drei Uhr Morgens das Lager bei Suterwa. Sie war um vier Uhr Morgens abmarschirt, also 23 Stunden unterwegs gewesen. Ich war vorausgeschickt worden, um das Lager für die Brigade abzustecken, welches nahe am Ort in einem grundlosen Feld bezogen wurde, und hatte unterwegs kaum so viel Zeit gefunden, meinem Pferd ein wenig Heu geben zu lassen. Es konnte nicht fehlen, daß, der strengsten Maßregeln ungeachtet, eine große Menge Leute zurückgeblieben waren. Viele von denen, welche sich bis ins Lager schleppten, sanken vor Erschöpfung in dem grundlosen Boden um. Mehrere von ihnen starben an Entkräftung. Wir fanden in Suterwa Branntwein, welcher jedoch so stark war, daß er nur mit Wasser

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vermischt der Mannschaft abgereicht werden durfte. Hier sah ich zwei Menschen, einen polnischen Bauer und seine Frau, welche zu viel von dem starken Branntwein getrunken hatten, am Brand sterben: ein blauer Dunst drang ihnen aus dem Mund, worauf sie den Geist unter den schrecklichsten Schmerzen aufgaben. - Es war so schwer eine Unterkunft in dem Ort zu finden, daß selbst der Kronprinz mit dem ganzen Generalstab in einer Scheuer vorlieb nehmen mußte. In dieser scheußlichen Lage sollte ich die monatlichen Rapporte, welche damals das unsinnige Format von wenigstens sechs Quadratfuß hatten, abfaßen. Nach langem Suchen fand ich einen elenden Schweinestall und es gelang mir endlich, durch den von allen Seiten eindringenden Regen vielfach gestört, bei dem Schein einer dicken Kirchenkerze, die fatalen Rapporte in der Nacht zu vollenden.

Am 1ten July marschirte das Corps nach Gedrojuzany, den 2ten nach Maliaty, wo wir an einem Walde vier Tage lang lagerten. Hier wurde ein Spital für die Leichtkranken errichtet, wogegen die Schwerkranken nach Wilna gebracht

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werden mußten, von denen viele auf dem Weg dahin starben. Von den auf dem Marsch zurückgebliebenen trafen nur wenige beim Corps ein. Die würtembergische Infanterie zählte hier bereits über 700 Kranke.

Das Corps marschirte am 6ten nach Zulandsen, den 9ten nach Kotukisky, den 10ten nach Draunary, d. 11ten nach Libony, d. 12ten nach Janolany, den 13ten nach Driswirtuy und den 15ten in das Lager von Raskimosy, wo wir bis zum 19ten stehen blieben.

Die rußische Armee wurde, wie bereits gesagt, durch unser schnelles Vorrücken förmlich überrascht. Von Anfang an nur halb so stark als die französische und durch deren schnellen Vormarsch getrennt, blieb dem unschlüßigen Kaiser nichts übrig, als sich schnell zurückzuziehen, wobei das Land verheert wurde, um uns so viel als möglich der Subsistenzmittel zu berauben. Mit den Rußen hatten wir demnach vor der Hand nicht zu kämpfen, dagegen aber mit Ungemach aller Art. Die starken Märsche in schlechten Wegen, anfangs bei großer Hitze, später im

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schrecklichsten Regenwetter, erschöpften die Mannschaft, der überdies keine ordentliche Verpflegung gereicht werden konnte. Magazine waren nicht vorhanden, das Fleisch des abgetriebenen Schlachtviehs erregte Ekel, und Brod fehlte beinahe ganz. Wir folgten in großen Massen der rußischen Armee, welche zu vernichten strebte, was sie nicht mitnehmen konnte. Das wenige was übrig blieb, reichte zu unserem Unterhalt nicht aus, weshalb Requisitions-Commandos seitwärts entsendet werden mußten; da diese bei dem schnellen Vorrücken erst spät zurückkehren konnten, so waren in der Regel ein großer Theil der Truppen detachirt. Die Requisitionen erfolgten ohne systematische Anordnung von den höhern Behörden; ein Jeder nahm wo er etwas fand. Daß dabei viele Mißbräuche und Unordnungen vorkamen, auch manches mit fortgeführt wurde, was gerade nicht zum Lebensunterhalt nöthig war, läßt sich denken; ebenso daß dadurch die Disziplin der Truppen auf eine sehr fühlbare Weise leiden mußte. Diesem Übelstand ließ sich aber nicht abhelfen: leben mußten wir u. Vorsorge war keine getroffen; es blieb also nichts übrig, als in das Requisitionswesen möglicherweise

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einige Ordnung zu bringen. Wo bei den höhern Behörden Sinn und fester Wille hierzu war, da zeigten sich die Folgen des Übelstandes weniger schädlich, bei dem 3ten Armee-Corps aber, und namentlich bei uns, die wir erbärmliche, bei dem Ausmarsch aus den Schreibstuben genommene, Verpflegsbeamte hatten, denen alle Erfahrung mangelte, war solches nicht der Fall; wir erlitten daher auch nach Verhältniß mehr Verluste an Mannschaft, als andere Corps. Die Offiziere lebten, vom General abwärts, von der Industrie des Soldaten, es konnte daher auch nicht ausbleiben, daß bei Excessen oft durch die Finger gesehen wurde. Von den requirirten Lebensmitteln erhielten natürlich die höhern Offiziere das beste, und doch glaubte Mancher, daß ihm sein gebührender Antheil vorenthalten werde. Solches war der Fall bei dem General von Hügel, der in diesem Wahne seinen Unmuth auf andere Weise an mir auszulassen suchte. Er beschuldigte mich nemlich im Lager bei Maliaty einer Dienstnachläßigkeit, und verhängte, ohne weitere Untersuchung Arrest über mich – den einzigen während meiner Dienstzeit. – Mein Oberst, trostlos seinen Adjutanten nicht gebrauchen zu

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können, bemerkte dem General, daß der Fehler bei dem 2ten Bataillon gemacht worden sey, worauf auch über Wildermuth Arrest verfügt wurde, obschon derselbe ebenfalls nicht schuldig war. Die Adjutanten konnte man aber nicht entbehren, denn jeden Augenblick gab es Geschäfte, auch fiel es nicht schwer unsere Unschuld zu beweisen, weshalb wir nach einer halben Stunde frei gelassen wurden.

Die Folgen der Strapatzen und Entbehrungen aller Art, gleich wie der Einfluß des ungewohnten Climas, zeigten sich auf eine höchst beunruhigende Weise. In der ganzen Armee riß eine Krankheit ein, deren gewöhnliche Form ein mit großer Erschöpfung verbundenes Abweichen und Nervenfieber war. Viele Leute starben auf dem Marsch und in den Bivouacs. Von Raskimosy mußten wieder 500 Kranke nach Wilna gesendet werden. Auch der Kronprinz blieb von dieser verderblichen Seuche nicht verschont; schwer erkrankt übergab er dem Generallieutenant von Scheler das Commando, in der Hoffnung dasselbe bald wieder übernehmen zu können; immer langwieriger wurde jedoch seine Krankheit, so daß er nach Wilna

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gebracht werden mußte. Nicht früher als Ende September konnte er die Rückreise ins Vaterland antreten, um dort seiner völligen Genesung entgegen zu sehen.

Die rußische Armee hatte bei ihrem schnellen Rückzug keine Nachzügler, sie ließ nicht einmal Kranke zurück; unsere Infanterie war dagegen, ohne einen Schuß gethan zu haben, durch Tod und Kranke, auf zwei Drittheile ihres Standes zusammengeschmolzen. Die Cavalerie und Artillerie hatten viel weniger gelitten, doch war man bei der reitenden Artillerie genöthigt gewesen, gestürzte Zugpferde durch Reitpferde zu ersetzen.

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Abschnitt III.

Allgemeine Bemerkungen über die Verhältniße der beiderseitigen Armeen; Marsch über Witebsk in das Lager von Liozna.
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Nach dem ursprünglichen, von dem General von Pfuhl entworfenen, Vertheidigungsplan des rußischen Kaisers*)[10] sollte sich die unter dem General Barklay stehende 127000 M. starke**)[11] erste Westarmee, in das feste Lager bei Drissa an der Düna zurückziehen, und der General Bagration mit der zweiten 48000 Mann starken Westarmee, in die rechte Flanke und den Rücken des, der ersten Armee folgenden, Feindes vordringen. General Tormasow sollte mit der 43000 M.

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starken dritten-, oder Reserve-Armee Wolhinien gegen die Oestereicher vertheidigen. Dieser Plan fand unter den wichtigsten Personen des rußischen Hauptquartiers großen Widerspruch, welche den Kaiser zu bewegen suchten, in der Gegend von Wilna eine Schlacht anzunehmen, wobei sie von der Voraussetzung ausgingen, daß die französische Armee die Grenze in eben der Breite überschreiten werde, in welcher man die rußische zu deren Vertheidigung aufgestellt hatte. Diese Voraussetzung zeigte sich aber bald als irrig, denn Napoleon entsendete den Marschall Macdonald mit 30000 Mann nach Riga, bestimmte daß der Fürst Schwarzenberg mit 34000 Mann gegen Tormasow stehen bleiben solle, und ging mit 230000 Mann bei Kowno über den Niemen, um Barklay so schnell als möglich zurückzutreiben, während der König von Westphalen befehligt wurde, diesen Fluß acht Tage später mit 78000 Mann zu überschreiten und sich gegen Bagration zu wenden, welcher durch diesen spätern Angriff veranlaßt werden sollte, sich länger zu verweilen, um als denn, durch Entsendungen von der Armee des Centrums, von Barklay ganz abgeschnitten zu werden. Zur

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Deckung der rechten Flanke des Centrums, und zur Erhaltung der Verbindung mit Jerome, ging der Vicekönig von Italien mit 67000 Mann ebenfalls später über den Niemen. Die Rußen konnten also nicht daran denken, eine Schlacht bei Wilna anzunehmen und nur die großen Schwierigkeiten mit welchen die französische Armee zu kämpfen hatte und welche einige Tage Ruhe unumgänglich nöthig machten, erlaubten Bagration sich in angestrengten Märschen auf einem Umweg nach Smolensk zurückzuziehen; er würde außerdem in die südlichen Provinzen des Reiches geworfen worden seyn und hätte sich nicht mehr mit der ersten Westarmee vereinigen können.

Napoleon, aufgebracht über das theilweise Mißlingen seines Planes, schob die Schuld auf seinen Bruder, welcher nicht rasch genug vorgerückt sey, und machte ihm heftige Vorwürfe. Dieser fühlte sich dadurch beleidigt, verließ die Armee und kehrte nach Kassel zurück.

Die erste rußische Westarmee hatte sich, rasch verfolgt, in das Lager bei Drissa zurückgezogen. Man sah ein, daß der Plan, sich in demselben zu vertheidigen, den Verlust der ganzen

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Armee zur Folge haben müßte, und daß es, bei dem großen Mißverhältniß der Kräfte, eben so wenig gerathen seyn konnte, eine Schlacht anzunehmen. Der Kaiser, die Schwierigkeiten der Armeeführung einsehend, faßte den Entschluß dieselbe aufzugeben, den General Barklay einstweilen an die Spitze des ganzen Heeres zu stellen, und über Moskau nach Petersburg zu reisen, um die Verstärkungen der Armee und ihre Verpflegung zu betreiben; das Beste was er thun konnte.

Napoleon ließ den Vicekönig von Italien und die Garden rechts in der Richtung von Witebsk vorrücken, wahrend Mürat mit der Cavalerie und dem 3ten Armee-Corps das Lager bei Drissa beobachtete. Diese Bewegung war indessen noch nicht so weit vorgeschritten, um den Rußen die Hoffnung zu benehmen, den Weg nach Witebsk ohne Gefahr zurückzulegen. Dort wollte man eine starke Stellung beziehen und glaubte sich vielleicht mit Bagration vereinigen zu können. Jedenfalls war es der Weg nach Smolensk, der Punkt wo man auf die große Straße nach Moskau, die natürliche Rückzugslinie, gelangte. Barklay setzte also seine Armee in Eilmärschen nach Witebsk in Bewegung,

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dem rechten Ufer der Düna folgend, und ließ den General Wittgenstein mit 25000 Mann, zur Deckung der Straße nach Petersburg, in der Gegend von Polosk stehen. Die rußische Armee traf am 23ten July bei Witebsk ein, nahm auf dem linken Ufer der Düna, hinter dem Flüßchen Luczissa Stellung und schob eine starke Avantgarde auf der Straße gegen Beszenkowiczy vor.

Napoleon ließ gegen Wittgenstein den Marschall Oudinot mit 40000 Mann, während der übrige Theil seines Centrums auf dem linken Ufer der Düna gegen Witebsk vorrückte. Die von Barklay vorgeschobene Avantgarde bestand zwischen Ostrowno und Witebsk am 25ten, 26ten und 27ten Gefechte gegen Mürat und das 4te Armee-Corps, welche, nach hartnäckigem Kampf, den Rückzug der Rußen zur Folge hatten. Napoleon glaubte am 28ten die ganze rußische Armee in ihrer Stellung angreifen zu können und traf alle Anstalten dazu. Die Rußen hatten ihre Bivouacfeuer angezündet, um die Franzosen in der Meinung zu bestärken, daß sie die Schlacht annehmen würden, marschirten jedoch in der Nacht in zwei Kolonnen über Rudnia und

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Poreczin nach Smolensk, zur Vereinigung mit Bagration, welcher durch das schnelle Vorrücken von Davoust nicht mehr nach Witebsk hatte gelangen können. Barklay traf den 2ten, Bagration den 4ten August in Smolensk ein. Napoleon, anfänglich im Zweifel über die Richtung, welche der Feind genommen hatte, erhielt am 29ten Gewißheit darüber, kehrte nach Witebsk zurück und ließ, in der Nothwendigkeit seiner Armee einige Ruhe zu gönnen, dieselbe Cantonirungen zwischen der Düna und dem Dnieper beziehen.

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Wir waren, in Folge der allgemein angeordneten Bewegung, am 19ten July von Raskimosy nach Okoloky marschirt; den 20ten lagerten wir bei Bonachon, den 21ten bei Kruki, den 22ten bei Disna, den 23ten bei Banoni und den 24ten bei Kazmirowi, gegenüber von Polosk. Den 25ten marschirten wir nach Uswicha, den 26ten nach Dubischa. Am 27ten betraten wir das Schlachtfeld von Ostrowno, dessen Anblick von der Hartnäckigkeit des Kampfes zeugte, und marschirten die Nacht durch nach Witebsk, um an der erwarteten Schlacht Theil zu nehmen.

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Zwei Stunden vorwärts der Stadt bezogen wir ein Lager und marschirten am 29ten nach Falkowisky, den 30ten nach Krasinsky und den 31ten in das Lager von Liozna.

In diesen zwölf Tagen hatten wir, ohne Rasttag, 36 deutsche Meilen zurückgelegt. Die Gegend auf dem linken Ufer der Düna bis an die Ula hat viele Wälder und Moräste, in denen die Wege, oft nur Knüppeldämme, bei Regenwetter unbrauchbar werden. Jenseits der Ula wurden wir durch eine andere Plage, nemlich durch einen Staub belästigt, der oft die Gegenstände nur auf wenige Schritte erkennen ließ. Auf der großen Straße, nemlich einem breiten Sandweg, der meistens noch zwei durch Birkenalleen bezeichnete Nebenwege hatte, marschirte die Artillerie zwei Geschütze hoch, auf der einen Seite die Cavalerie, auf der anderen die Infanterie. In der brennensten Sonnenhitze führte nun der Marsch oft stundenlang durch Wälder, wo kein Lüftchen Erquickung verschaffte. Der quälendste Durst konnte selten genügend gestillt werden, denn traf man einen Brunnen, so war er von den Vorausmarschirenden ausgeleert oder verunreinigt,

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oder kam man zu einem See, so hattem die hineingerittenen Pferde eine ganze Strecke weit denselben in Schlamm verwandelt. Ein großer Übelstand, welchem keine Heerespolizei Einhalt that, war auf diesen Märschen der immerwährende Kampf zwischen den verschiedenen Heeresabtheilungen, die einander drängten und abzuschneiden suchten. Die Truppen wurden hierdurch unnöthigerweise ermüdet, und brauchten oft einen ganzen Tag und einen Theil der Nacht, um eine Strecke von 3-4 Meilen zurückzulegen. Für die Verpflegung war nicht besser gesorgt als früher. Was die Rußen übrig gelassen hatten, zehrte unsre Avantgarde auf, die stets von den mehr begünstigten Franzosen gegeben wurde, wogegen uns, seit der Überschreitung des Niemens fortwährend das Loos der Arrieregarde traf, weshalb wir denn auch weniger zu leben fanden und unverhältnißmäßig mehr Kranke hatten. Es wurden mobile Abtheilungen organisirt und dieselben rechts und links der Straße zur Aufsuchung von Lebensmitteln entsendet. Zum bessern Fortkommen erhielten sie kleine polnische Wagen, oder wurden mit Conys /: kleinen Pferdchen :/ beritten gemacht, die zugleich als

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Packpferde dienten. Ein treues Bild dieser Requisitions-Commandos hat Oberstlieutenant von Faber in den Blättern aus seinem Tagebuch geliefert.*)[12] Diese Art der Verpflegung schützte uns aber auch nicht hinlänglich vor Mangel, und war im höchsten Grad verderblich für die Provinzen Lithauens, welche man, als früher zum Königreich Polen gehörend, zum Abfall von Rußland zu verleiten suchte, ihnen aber durch die empörendsten Plünderungen alle Lust dazu benahm.

Der Mangel an Lebensmitteln war so groß, daß man das Pfund schlechtes Brod gerne mit einem Thaler, die Bouteille sauern Wein mit sechs bis acht Gulden bezahlte. Korn fanden wir genug, hatten aber keine Zeit es mahlen zu lassen, weshalb anempfohlen wurde, dasselbe zu rösten und als Kaffe zu genießen, was jedoch herzlich schlecht schmeckte und bei den Soldaten wenig Beifall fand. Für die Pferde hatte man auch nichts als grünes Futter und Roggen, der jedoch mit großer Vorsicht gegeben und vorher in Wasser aufgequellt

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werden mußte. Viele Pferde, bei welchen diese Vorsicht versäumt worden war, gingen zu Grund; ihr Übelbefinden zeigten sie durch Neigung zum Liegen an, gab man hierin nach und führte sie nicht gleich herum, so wurde der Magen immer mehr aufgebläht, platzte und das Thier war verloren.

Die Offiziere wurden, selbst unter Androhung von Dienstentsetzung, verantwortlich gemacht, keine Maroden zurückzulassen, weshalb man auch gegen diese mit unbarmherziger Härte verfuhr. Manche von ihnen blieben todt am Wege liegen. Das Fleisch von abgetriebenem Schlachtvieh, ohne Salz und Brod genossen, ekelte viele Leute so, daß sie es gleich wieder von sich geben mußten. Bei unserer Ankunft im Lager von Liozna starben, nach ärztlichem Zeugniß, drei Mann Hungers. Wir hofften hier, wo wir zehn Tage stehen blieben, regelmäßig verpflegt zu werden. Nach den ersten paar Tagen wurde wohl etwas Brod und Branntwein geliefert, aber keineswegs hinreichend, wir sahen uns daher genöthigt, gleich wie auf dem Marsch, täglich Requisitions-Commandos auszusenden. Die Gegend war aber

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zu sehr mit Truppen überlegt, weshalb sehr bald in der Nähe nichts mehr zu finden war. Auf größere Entfernungen konnten die Commandos nur unter starker Bedeckung entsendet werden, weil überall Cosaken umher schwärmten.

Die Ruhe welche wir hier genoßen, hatte auf die Truppen nicht die gehoffte Wirkung; sie war zu schnell auf die anstrengenden Märsche der letzten zwei Monate gefolgt. Die schlechte Verpflegung, die große Hitze bei Tag und die kühlen, oft kalten Nächte, erzeugten neue Krankheiten. Die Spitäler in dem kleinen Liozna waren bald überfüllt. Bei einer Revue, welche der Marschall Ney am 5ten August über die würtembergische Infanterie hielt, fand er dieselbe um die Hälfte ihres Standes vermindert, obgleich sie noch keinen Feind zu sehen bekommen hatte. –

Gegen die sehr um sich greifende Ruhr, war, bei dem Mangel an Arzneien, schwarzer Kaffe das einzige Mittel welches verordnet werden konnte. Viele Leute wurden von einer großen Niedergeschlagenheit befallen, und es kamen häufig Selbstmorde vor, namentlich bei jungen Leuten aus den

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höhern Ständen, deren viele, kurz vor dem Ausmarsch, auf besondern Befehl des Königs, den Regimentern als gemeine Soldaten zugetheilt worden waren.

Ich für meine Person hatte bis dahin alle Beschwerden und Entbehrungen gut ertragen, und gefunden, daß der schwarze Kaffe das beste Mittel gegen Ruhranfälle war. Freund Wildermuth hatte sich übler befunden. Einige Tage nach unserem Eintreffen bei Liozna wurde er in das Hauptquartier commandirt, und am 6ten als Courier zum Kronprinzen nach Wilna gesendet, ein Auftrag, der in der damaligen Lage Geistesgegenwart und Ausdauer erforderte und von einem ehrenvollen Zutrauen zeugte, der ihn aber der Gelegenheit beraubte, sich, wie er sicherlich gethan haben würde, in den bevorstehenden Schlachten auszuzeichnen.

Am 9ten August traf der französische Generallieutenant Graf Marchand in Liozna ein, welcher früher Chef des Generalstabes bei dem König Jerome gewesen und mit ihm in Ungnade gefallen war, und nunmehr, auf Befehl des Kaisers, das Commando unserer Division übernehmen mußte.

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Er war ein rechtlicher artiger Mann, der sich die allgemeine Liebe und Achtung erwarb.

Liozna ist ein kleines Städtchen, dessen Einwohner, mit Ausnahme der Juden, beinahe alle sich geflüchtet hatten. Diese mochten die Besorgniß um ihr Eigenthum und die Hoffnung zurückgehalten haben, Geld von uns zu gewinnen, worin sie sich auch nicht täuschten; für Geld konnte man durch sie bekommen, was in der beschränkten Lage nur immer möglich war, es wanderte daher auch mancher schöne Thaler in ihre Taschen. Obgleich ekelhaft schmutzig und sehr geneigt uns zu betrügen, konnten wir sie doch nicht entbehren, denn sie sprachen alle mehr oder weniger deutsch, weshalb sie auch beinahe ausschließlich als Führer gebraucht wurden, wobei man aber ein sehr wachsames Auge auf sie haben mußte, indem sie auch oft den Rußen als Spione dienten. Sie bilden eine ganz abgesonderte Nation mitten unter

den Urbewohnern Lithauens, welche in Kleidertracht, *)[13] Sitten und Gebräuchen wenig von ihren Vorfahren verschieden

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seyn mögen, und noch auf einer tiefen Bildungsstufe stehen, obgleich es ihnen keineswegs an Geistesgaben zu fehlen scheint.

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Abschnitt IV.

Stellung der beiderseitigen Armeen nach der Vereinigung Bagrations mit Barklay. Angriff der Rußen. Vorrücken der Franzosen. Schlacht von Smolensk.
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Im vorigen Abschnitt ist bereits erwähnt worden, daß sich Bagration am 4ten August mit Barklay bei Smolensk vereinigt hatte. Die rußische Armee wurde dadurch 120000 Mann stark.

Die unter Davoust gegen Bagration entsendet gewesenen Truppen trafen bei der Hauptarmee ein und bezogen Cantonirungen auf dem linken Dnieperufer. Dombrowsky allein blieb mit seiner Division zur Beobachtung der Festung Bobruisk, und des Corps unter General Hertel, gleich wie zur Deckung von Minsk stehen.

Die Stärke der französischen Armee mochte sich auf 185,000 Mann belaufen. Ihre Stellung war so ausgedehnt,

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daß sich von einem unerwarteten Angriff Vortheil hoffen ließ; Barklay faßte daher den Entschluß in der Richtung von Rudnia vorzudringen. Platow überfiel am 8ten August mit der rußischen Avantgarde die Division Sebastiani bei Jukowo, und zwang sie, sich mit einem Verlust von 500 Mann zurückzuziehen. Das würtembergische Jäger Regiment Herzog Louis machte bei dieser Gelegenheit einige glänzende Angriffe auf die viermal stärkere rußische Cavalerie, wobei der Oberst Graf Waldburg stürzte und mit seinem Adjutant, dem jetzigen Oberst von Batz, gefangen wurde. Die zwei würtembergischen Chevauxlegersregimenter nahmen die Division Sebastiani auf und deckten ihren Rückzug.

Sobald Napoleon von dem Gefecht bei Jukowo Nachricht erhielt, befahl er, daß Mürat und Ney den Feind aufhalten sollten, während die Armee gegen Rudnia aufbrechen mußte. Barklay schien über den Erfolg seiner Unternehmung zweifelhaft zu werden und hielt mitten in der Bewegung inne, wodurch der Kaiser veranlaßt wurde, die Armee bei den Dörfern Rasasna und Khomino auf das linke Ufer des

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Dniepers übergehen zu lassen, in der Absicht, vereinigt mit Davoust, gegen Smolensk vorzurücken, sich dieses Platzes zu bemächtigen und dadurch die rußische Armee von der Straße von Moskau und den südlichen fruchtbaren Provinzen des Reiches abzuschneiden. Die Division Sebastiani allein blieb zur Beobachtung des Feindes auf dem rechten Ufer des Flußes zurück, mit dem weitern Auftrag, in gleicher Höhe mit unserer Avantgarde vorzurücken.

In Folge dieser Anordnungen verließen wir am 11ten das Lager bei Liozna und marschirten über Liubowiczy nach Khomino, wo wir am 14ten in der Früh den Fluß überschritten, mit dem Befehl, der Cavalerie unter Mürat auf der Straße nach Smolensk zu folgen. Bei dem altpolnischen Grenzstädtchen Liady stieß die Avantgarde auf Kosaken, welche sich nach Krasnoi zurückzogen. Dieses Städtchen war von der rußischen Division Newerofskoi, 6000 Mann Infanterie, 1200 Cavalerie und acht Kanonen stark, besetzt. Während die Division Ledrü von unserem Corps den Feind aus dem Ort und einer hinter demselben befindlichen günstigen Stellung vertrieb,

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umging ihn Mürat mit der Cavalerie rechts. Die Rußen kamen in dem ganz offenen Terrain in eine höchst kritische Lage, und kaum schien es für sie möglich zu seyn, sich vor der zahlreichen Reiterei zu retten. Ihre Cavalerie wurde geworfen und die Artillerie genommen; die Infanterie formirte ein Kolonnenkarre und zog sich längs der Straße zurück, durch eine Birkenallee etwas geschützt. Hätte Mürat den dringenden Vorstellungen des Marschalls Ney Gehör gegeben, den Feind mit seiner zahlreichen Reiterei umringen und seine Artillerie auf ihn wirken lassen, so würde sich derselbe unfehlbar haben ergeben müßen. Statt dessen hetzte er seine Reiterei Schwadronenweise auf die rußische Kolonne und verhinderte dadurch die Artillerie zu feuern. Die Rußen schlugen mit großer Entschlossenheit diese vereinzelten Angriffe zurück und erreichten, nachdem sie 1500 Mann verloren hatten, das Defile von Korytnia, wo die Verfolgung aufhörte. Der Kaiser eilte, auf die Kunde von dem Gefecht, nach Krasnoi, kam aber zu spät, um die fehlerhafte Anordnung Mürats verbessern zu können. Wir mußten unsern Marsch sehr beschleunigen, das Gefecht war aber zu Ende als wir

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auf dem Schlachtfeld ankamen, und wir sahen nur noch wie der Kaiser, an einem großen Feuer stehend, die eroberten Kanonen an sich vorüber fahren ließ.

Wir bivouakirten hier und marschirten am 15ten bis Lubnia. Den 16ten Vormittags erreichten wir die Höhen von Smolensk.

Barklay hatte wahrscheinlich vermuthet, Napoleon werde ihn direct angreifen; jedenfalls mußte er spät Nachricht von dem Übergang der französischen Armee über den Dnieper und ihrem Vorrücken erhalten haben, denn erst am 15ten, nachdem er seine Armee mehrere Tage lang unnöthig hatte hin und her marschiren lassen, erhielt Bagration den Befehl, nach Smolensk zurück zu eilen, indem dieser Ort allein durch die Division Newerofskoi gedeckt war. Er kam kurz vor uns an, und es entspann sich nun in dem durchschnittenen Terrain vor den Mauern und Verschanzungen der Stadt ein heftiges, bis in die Nacht dauerndes Plänklergefecht, an welchem hauptsächlich das Jäger-Bataillon König Theil nahm, und dabei nicht unbedeutenden Verlust, hauptsächlich an Offizieren erlitt. Napoleon beschleunigte den

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Marsch seiner Armee, so daß am 17ten Morgens der auf dem linken Ufer des Flußes gelegene Theil der Stadt eingeschlossen war. Barklay traf am 16ten Abends mit dem Rest seiner Armee auf den Höhen des rechten Ufers ein, nachdem er zur Beobachtung der Gegend zwischen der Düna und dem Dnieper, nur ein kleines Cavalerie-Corps unter dem General von Wintzingerode hatte stehen lassen. – Er schien allerdings zu fürchten, durch das Manoeuver der Franzosen von der Straße nach Moskau und den südlichen Provinzen des Reiches abgeschnitten zu werden, denn er ließ den General Bagration, welcher in Smolensk durch den General Doctorof abgelöst wurde, in der Nacht vom 16ten auf den 17ten mit der ganzen zweiten Armee in der Richtung von Dorogobusch zurückmarschiren. Napoleon hoffte die Rußen würden ihm eine Schlacht anbieten, und verzögerte deshalb seinen Angriff bis Nachmittags zwei Uhr, um welche Zeit er den Befehl ertheilte, die Stadt von allen Seiten anzugreifen.

Smolensk hatte nur 12000 Einwohner, war aber wegen

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seinen geschichtlichen Erinnerungen von Wichtigkeit. In den frühern Kämpfen zwischen Rußland und Polen wurde es als der Schlüßel zum Innern Rußlands und als die Vormauer Moskaus betrachtet, und von den Rußen die heilige Stadt genannt. Dieselbe ist auf beiden Seiten des Dniepers an den Abhängen von Hügeln erbaut, welche ein ziemlich enges Thal bilden. Der ältere, auf dem linken Ufer gelegene, Theil wurde durch den Czar Boris Godunow auf tatarische Weise befestigt. Eine 25 Fuß hohe sehr dicke, mit fünf eingeschnittenen Creneaux versehene, weiß übertünchte Mauer, durch 29 Thürme vertheidigt, umgab diesen Theil der Stadt. Auf der westlichen Seite, auf dem höchsten Punkt, lag eine kleine Citadelle und das Ganze war mit einem schlecht unterhaltenen Graben und bedeckten Weg umfaßt. Von den drei Thoren befanden sich zwei auf der Landseite und das dritte führte nach dem Fluß, zwischen welchem und der Stadtmauer ein breiter Quai hinlief. Vor dem Hauptthore Malakhofskia lag eine große Vorstadt, in welcher sich die von Krasnoi

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und den südlichen Provinzen kommenden Straßen vereinigten. Oberhalb und unterhalb der Stadt lagen zwei kleinere Vorstädte: Raczenka und Krasnoi, welch letztere nur eine parallel mit dem Fluß laufende Straße hatte. Bevor man an die Ringmauer der Stadt gelangte, mußte man einen Bach überschreiten, der, in einem tiefen Thale herabfließend, die Vorstadt senkrecht durchschnitt, welche sich bis an den Quai erstreckte. Die Verbindung mit dem rechten Ufer wurde durch eine hölzerne Brücke erhalten. Ein Kronenwerk ohne Mauerbekleidung diente derselben als Brückenkopf, konnte aber von den nahe gelegenen Anhöhen eingesehen werden. Im Innern dieses Werkes befanden sich etwa sechzig Häuser. Eine große Vorstadt, theils in Straßen gereiht, theils aus zerstreut liegenden mit Gärten umgebenen Häusern bestehend, lag rings um das Werk herum, erstreckte sich an dem ganzen Abhang der Höhe hinauf und gewährte, vom linken Ufer aus gesehen, einen sehr malerischen Anblick.

Das 3te Armee-Corps stand auf dem linken Flügel der Armee und unsre Division lehnte sich an den Dnieper.

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Von unserer Stellung aus erblickte man nichts als die Kuppeln der Kathedrale der Altstadt, einen Theil des Flußes, und die auf seinem rechten Ufer sich erhebenden Hügel. Am 17ten Vormittags wurde ein vorwärts liegendes Hospitalgebäude besetzt und eine Recognoscirung der Vorstadt Krasnoi unternommen, welche man stark besetzt fand. Der allgemeine Angriff begann um zwei Uhr Nachmittags. Die leichte Brigade rückte gegen ein rechts von der Vorstadt befindliches Gebüsch an, mußte aber einer bedeutenden Übermacht weichen, worauf die Brigade Hügel den Befehl erhielt, die Vorstadt mit Sturm zu nehmen. Wir rückten in geschlossener Colonne von der Anhöhe herab, und wurden, in der Ebne angekommen, von einem tüchtigen Feuer aus einer, in unserer linken Flanke auf dem rechten Ufer des Flußes aufgefahrenen, feindlichen Batterie empfangen, was den General von Hügel veranlaßte, vorwärts Abstand nehmen zu lassen. Der Angriff wurde mit großer Unerschrockenheit ausgeführt, und wir sahen uns bald im Besitz einer großen Kirche, die uns einigen Schutz vor

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dem Artilleriefeuer gewährte und als Stützpunkt bei dem weitern Angriff auf die Vorstadt diente. Wir drangen bis an den oben erwähnten Bach vor, mußten aber, von dem bedeutend verstärkten Feind rasch verfolgt, wieder bis an die Kirche zurückweichen. Auf dieser Strecke erhielt sich nun das Gefecht den ganzen Nachmittag hindurch mit abwechselndem Erfolg. Einmal sogar waren wir genöthigt, aus Mangel an Munition, die Stellung hinter der Kirche zu verlassen, nahmen sie jedoch schnell wieder. Gegen zehn Uhr Abends endigte das Gefecht. Wir hatten den Bach zwar besetzt, der Feind stand aber jenseits so nahe, daß auf der Straße die beiderseitigen Schildwachen nur durch ein brennendes Haus getrennt waren und die Patrouillen öfters auf einander stießen.

Ich hatte die Vorposten ausgestellt und war im Begriff zum Regiment zurückzureiten, als der General von Scheler und später auch Graf Marchand eintrafen, um unsere Stellung zu besichtigen, so daß ich erst um 11 Uhr zur Ruhe gelangte.

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Der Feind war auf der ganzen Linie in die Stadt zurückgedrängt worden; Barklay hatte aber seinen Zweck: der Armee Bagrations einen ungehinderten Rückzug zu sichern, erreicht, und ließ nun in der Nacht die Stadt räumen und die Besatzung auf das rechte Ufer des Flußes zurückziehen. Nach Mitternacht stiegen große Feuersäulen in der Stadt auf, deren Ursache wir nicht kannten, am andern Tag wurden wir aber inne, daß sie den Abzug der Rußen bezeichnet hatten, welche von dort an einen jeden Ort den sie verlaßen mußten, in Brand steckten, richtig voraussehend, daß dieses Verwüstungssystem mit zu unserm Untergang beitragen mußte.

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Bei meinem Eintreffen im Biwouak, welchen mein Regiment bei der großen Kirche bezogen hatte, traf ich meinen Freund Ruedt, der Oberlieutenant bei den Grenadieren war. Ich nahm Platz an seinem Feuer und das Gespräch fiel natürlich auf die Begebenheiten des Tages. Sein Vormann war geblieben und ich äußerte, daß ihm

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dieser zur rechten Zeit Platz gemacht habe und daß ihm jetzt der Hauptmann nicht fehlen könne, worauf er erwiederte: heute ihm, morgen vielleicht mir, was leider nur zu wahr wurde. – Die Grenadiere hatten sich, unter der Anführung ihres braven Hauptmanns von Herwig, an diesem Tage ganz besonders ausgezeichnet, was den General von Hügel, während das Gefecht in den Gärten am heftigsten war, veranlaßte, mich zu dem Hauptmann zu schicken, um ihm zu sagen, daß er mit seinem Benehmen sehr zufrieden sey und solches dem König melden werde. Der Auftrag war nicht sehr angenehm, indem ich, während die Grenadiere sich in dem durchschnittenen Terrain decken konnten, zu Pferd und ganz frei, den auf 50 - 60 Schritt entfernten Rußen zur Zielscheibe diente. Ich säumte daher auch nicht länger, als gerade nöthig war, das Pferd umzudrehen und zurück zu reiten, da fing das überhaupt etwas widerspänstige Thier an zu bocken, und ich konnte in der That von Glück sagen, daß ich endlich mit heiler Haut davon kam. Dem General habe ich in späterer Zeit öfters im Scherz den

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Vorwurf gemacht, mich dem Verderben haben weihen zu wollen, obgleich ich der einzige Adjutant in der Brigade war. –

Die Rußen hatten ihre schwer Verwundeten nicht alle mit fortnehmen können, und auch wir waren außer Stand uns ihrer anzunehmen, indem das ärztliche Personal mit unsern Verwundeten voll auf zu thun hatte. Die ganze Nacht hörten wir ihr Wimmern und Stöhnen und erst gegen Morgen konnten wir aus der eingetretenen Stille schließen, daß die Ärmsten ausgelitten hatten. – Obgleich ziemlich abgestumpft durch das vielfältige Elend, dessen Zeuge ich seit sieben Wochen gewesen war, blieb mir diese Nacht doch lange im Gedächtniß. –

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Mit dem ersten Schein der Morgenröthe traten wir unter die Waffen, überschritten den Bach und rückten ungehindert bis an den Quai vor, bis wohin uns die Häuser der Vorstadt die Aussicht auf den Fluß verbargen. Hier erblickten wir auf einmal vor uns die brennende Brücke und links die auf dem jenseitigen Ufer liegende Vorstadt. Ein

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schmales Thor führte rechts in die Altstadt. Einzelne Rußen durchwateten den ungefähr 100 Schritte breiten Fluß und entdeckten uns eine Furth. Vom Feind sahen wir keine weitere Spur. General Marchand befahl mir vorzureiten und zu sehen, ob die brennende Brücke noch zu rettten sey. Ich überzeugte mich vom Gegentheil, und eilte mich, zurück zu kehren, indem ich von feindlichen in den Häusern am jenseitigen Ufer postirten Schützen, sehr lebhaft begrüßt wurde. Ihr Feuer tödtete den braven Hauptmann von Herwig, der unnöthigerweise vorgegangen war, während sich seine Compagnie noch in einer gedeckten Stellung hinter Häusern befand.

Das zweite Bataillon des Regimentes Herzog Wilhelm, von dem tapferen Oberst von Baur angeführt, erhielt den mißlichen Auftrag, durch die etwa vier Fuß tiefe Furth zu waten und den jenseitigen Stadttheil mit Sturm zu nehmen. Trotz eines heftigen Feuers aus den dem Ufer zunächst befindlichen Häusern, wurde der Brückenkopf ohne Aufenthalt genommen und der Feind bis gegen die Höhe

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zurückgetrieben; hier erhielt er aber bedeutende Verstärkung, wodurch das schwache Bataillon genöthigt wurde, sich eiligst in die Verschanzung zurück zu ziehen. Während dieses jenseits vorging, erhielt unsere Brigade Befehl, ebenfalls die Furth zu durchwaten, das Bataillon von Herzog Wilhelm aufzunehmen, und die Vorstadt zu behaupten. Nach einem sehr mörderischen Gefecht, waren auch wir genöthigt, uns auf die Vertheidigung des Brückenkopfs zu beschränken, den wir, durch zwei Compagnien Portugiesen auf das beste unterstützt, gegen die wiederholten Angriffe der immer stärker werdenden Rußen mit dem besten Erfolg behaupteten. Der übrige Theil unserer Infanterie besetzte die Vorstadt Krasnoi vom Quai abwärts bis an den Bach, und unterhielt mit dem Feind ein lebhaftes Gewehrfeuer über den Fluß; endlich wurde auch eine unserer Fußbatterien mit großer Anstrengung auf den Stadtwall gebracht, um uns in der Behauptung der jenseitigen Vorstadt zu unterstützen. Das Gefecht dauerte auf diese Weise bis gegen Mittag, da geriethen die größtentheils hölzernen und von den Rußen mit Brennmaterial

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angefüllten Häuser durch feindliche Granaden in Brand, der so schnell um sich griff, daß wir genöthigt wurden, den Brückenkopf zu verlassen, wenn wir nicht verbrennen wollten. Sechsmal hatte ich bereits die Furth durchritten mit dem Auftrag, Meldung über unsre Lage an den General von Scheler zu erstatten, wobei ich jedesmal dem heftigsten Feuer ausgesetzt war. Aus dem Brückenkopf führte nemlich ein gewölbter Thorweg nach dem ungefähr 60 Schritt weit entferten Fluß, hinter dessen hohem Ufer man eine kleine Strecke hinreiten mußte, um an die Furth zu gelangen. Die Rußen wußten, daß wir nur diesen Ausgang hatten und richteten daher dorthin vorzugsweise ihr Feuer, vor welchem man, nach Erreichung des Ufers, bis auf ungefähr die halbe Flußbreite geschützt war, von wo an die Gefahr von neuem begann, und nicht minder groß war, weil man im Wasser nicht schnell reiten konnte. Ich erhielt den Auftrag zum siebentenmal hinüber zu reiten, um zu melden, daß wir genöthigt wären, des Feuers wegen, den Brückenkopf zu verlassen, und brachte die Antwort zurück, daß wir uns in diesem

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Fall außerhalb der Verschanzung halten müßten. Die Schwierigkeit war nun diese zu verlassen, indem wir nur den einzigen Ausgang hatten, auf den die Rußen ein conzentrirtes Feuer richteten. Wir zogen die Leute von den Wällen zurück, sammelten sie unter dem Thorweg und in der dahin führenden Straße und eilten nun heraus, um in den Gärten, welche zwischen dem hohen Ufer und einer etwa 150 Schritte weit entfernten Häuserreihe lagen , das Gefecht fortzusetzen, wurden jedoch genöthigt bis hinter das Ufer zurückzugehen, wo ein höchst kritischer Moment eintrat, indem uns die Wahl blieb, ins Wasser zu springen, uns gefangen zu geben, oder die Rußen von neuem anzugreifen. Wir wählten das letztere; ich bat den General von Hügel mir das Commando einer Compagnie zu geben, deren Offiziere alle todt oder verwundet waren, und befahl einem Tambour Sturmmarsch zu schlagen, was unsere Leute electrisirte. In einem Augenblick hatten wir das Ufer erstiegen, von dem die Rußen nur noch wenige Schritte entfernt waren. Durch unsern unerwarteten Angriff überrascht, wichen

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sie bis an die Häuser zurück, die theilweise schon zu brennen anfingen. Was noch nicht brannte zündeten wir schnell an und bildeten auf diese Weise eine große Feuerwand zwischen uns und den Rußen, so daß das Gefecht auf diesem Punkt ein Ende nehmen mußte. Abwärts des Flußes dauerte es jedoch noch bis in die Nacht fort. *)[14]

In dem Augenblick als unsere Leute den Wall verließen, fiel mein Freund Rüdt, von einer Kugel in den Kopf getroffen, todt nieder. Nachdem alles abgebrannt und es möglich war, die Verschanzung wieder zu betreten, erfüllten wir die traurige Pflicht, ihm auf der Stelle, wo er geblieben war, eine bescheidene Ruhestätte anzuweisen. –

Einen widrigen Anblick gewährten die durch das Feuer halb oder ganz gerösteten todten Menschen, was jedoch noch nichts im Vergleich mit den gräßlichen Bildern war, welche sich später unsern Blicken zeigen sollten. –

Gegen Abend wurden wir durch Franzosen abgelöst und

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mußten durch die Furth auf das linke Ufer zurückkehren, wo man uns zum Überfluß, durch ein Mißverständniß, ein paar Stunden in der Irre herum führte, dem Feuer der rußischen Jäger aussetzte und dann in der Vorstadt Krasnoi biwouakiren ließ. Meinem Oberst, der an diesen beiden Tagen eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hatte, wurde auf diesem Irrgang ein Pferd verwundet, worüber er sich wahrhaft lächerlich geberdete.

Unser Verlust in diesen beiden Tagen war groß gewesen. Das Regiment verlor von 500 Mann, welche in das Gefecht rückten, die Hälfte an Toden und Verwundeten. Zwei Hauptleute und ein Lieutenant blieben auf dem Platz; ein Major, ein Hauptmann und vier Lieutenants waren verwundet, von denen drei in Folge davon starben.

Der Brand des Stadttheiles auf dem rechten Ufer breitete sich immer mehr aus und dauerte die ganze Nacht. Es war ein gräßlich schöner Anblick[15], von übeler Vorbedeutung für die nächste Zukunft, denn wir litten jetzt schon

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Mangel an den nöthigsten Lebensbedürfnissen, und es unterlag keinem Zweifel, daß die Rußen ein Zerstörungssystem angenommen hatten, welches uns in eine sehr fatale Lage versetzen mußte.

In der Nacht wurden zwei Brücken über den Dnieper geschlagen, auf denen wir am 19ten Morgens vier Uhr übergingen, mit der Weisung, den Rußen auf der Petersburger Straße zu folgen, welche uns den Berg hinauf über die noch rauchenden Trümmer der schönen Stadt führte. Ungefähr eine Stunde weit mochten wir in dieser Richtung marschirt seyn, als wir Befehl erhielten, den Rußen auf der Straße nach Moskau zu folgen. Wir stießen bald auf eine Arriere-Garde, welche hinter einem Bach mit waldbewachsenen Ufern Stellung genommen hatte, den linken Flügel an den Dnieper gelehnt. Vor der Mitte und vor dem rechten Flügel lagen zwei Dörfer. Eines derselben ließ der König von Neapel, nicht von der Infanterie, sondern von unserem Leibchevauxlegers Regiment angreifen, was denn auch zur Folge hatte, daß der größte Theil der Offiziere

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von den rußischen Jägern getödtet oder verwundet wurden. Der König von Neapel verdiente vollkommen den Ruf eines tapfern Soldaten, seine Tollkühnheit verleitete ihn aber oft zu einer ganz fehlerhaften Verwendung der Reiterei, was nicht wenig auf ihre frühzeitige Auflösung wirkte.

Die rußische Arriere-Garde verließ ihre vortheilhafte Stellung, aus Furcht von der großen Straße aus umgangen zu werden, und zog sich auf ein ihr zu Hülfe geschicktes, hinter der Kolodnia, auf den Höhen zwischen Toporowtschina und Latichino aufgestelltes Corps*)[16] zurück, welches den Befehl erhielt, sich auf das äußerste zu vertheidigen, damit die, sich in zwei Colonnen zurückziehende, rußische Armee Zeit gewinnen möchte, die große Straße nach Moskau zu erreichen,

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wozu sie durch den von ihr eingeschlagenen Umweg und bei der schlechten Beschaffenheit der Wege, den ganzen Tag und einen Theil der Nacht nöthig hatte. Die Division Razout, welche auf der großen Straße vorrückte, während wir links derselben marschirten, zwang dieses Corps, sich hinter das kleine Flüßchen Stragan zurückzuziehen, welches in einem rechten Winkel der Kolodnia zufließt.

Während diesen Gefechten zunächst der großen Straße, war auf unserm linken Flügel das Dorf Gorbounowa, durch welches die Rückzugslinie einer der rußischen Colonnen führte, genommen und dadurch der Rest dieser Colonne abgeschnitten worden, was den General Barklay veranlaßte, einen Theil seiner Truppen, unter den Befehlen des Herzogs Eugen von Würtemberg, umkehren und das Dorf wieder nehmen zu lassen. Die Rußen verließen dasselbe erst nachdem die ganze Colonne defilirt hatte.

Mittlerweile war der Rest des 3ten Armee-Corps rechts über Valutina-Gora – nach welchem Ort die Franzosen dieses Gefecht benannt haben – der Division Razout gefolgt, und

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es war auch die Division Güdin des 1ten Armee-Corps zur Verstärkung gesendet worden. Der Marschall Ney befahl daß diese und die Division Razout, unter Mitwirkung der sämtlichen Artillerie, die Stellung der Rußen auf der großen Straße stürmen sollten. Mehrere mit großer Tapferkeit ausgeführte Angriffe, bei welchen der ausgezeichnete General Güdin blieb, wurden von den Rußen mit eben so großer Standhaftigkeit abgewiesen. Nachdem um sieben Uhr das ganze 1te Armee-Corps angekommen war, erhielten auch wir Befehl vorzurücken und, vereint mit der Division Güdin, den Angriff auf die Stellung der Rußen zu erneuern, während sich die Division Ledrü zu dem gleichen Zweck der Division Razout anschloß. Es gelang zwar der Division Güdin das Flüßchen zu überschreiten und die Rußen für kurze Zeit zurückzudrängen, sie erhielten jedoch Verstärkung und stellten das Gefecht wieder her, welches um zehn Uhr mit dem freiwilligen Rückzug der Rußen endigte, nachdem ihre ganze Armee die Moskauer Straße erreicht hatte und somit der Zweck der Vertheidigung der Stellung erlangt war.

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Aus dem Gefecht einer Arriere-Garde war eine förmliche Schlacht geworden, welche weniger Menschen gekostet und zu einem entschiedenen Sieg über die Rußen geführt haben würde, wenn der General Jünot mit den Westphalen, die bei Proudichewo den Dnieper überschritten hatten, und sich, beim Beginn des Kampfes, bereits in der linken Flanke der rußischen Stellung befanden, zum Angriff vorgerückt wäre. Mürat forderte ihn auf das dringendste auf anzugreifen, er schützte aber vor keinen Befehl hierzu zu haben. – Wäre der Kaiser, der an eine Schlacht nicht mehr gedacht haben mochte und nach Smolensk zurückgekehrt war, da gewesen, so hätte die Schlacht wahrscheinlich einen ganz andern Ausgang genommen.

Die würtembergische Division war, mit Ausnahme der Brigade Stockmayer, nur im Kanonenfeuer gestanden und hatte wenig gelitten, desto mehr war dieses aber bei den Franzosen der Fall. Der Verlust der französischen Armee, in den vier Tagen vom 16ten bis 19ten[17] August, wird auf 19000 Mann berechnet.*) Die Rußen gaben den ihrigen

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nur auf 6000 Mann am 17ten und auf 5000 Mann am 19ten an,*)[18] er mag aber nicht viel weniger als der französische betragen haben.**)[19] Der Vortheil, den wir errungen hatten, stand in keinem Verhältniß mit unserem Verlust, denn die Rußen zogen sich zurück, was sie ohnedies gethan haben würden, und Smolensk war zum großen Theil ein Schutthaufen und gewährte nicht einmal hinlänglich Unterkunft für die große Zahl der Verwundeten, deren viele nach Krasnoi zurückgebracht werden mußten.

Unsere Leute hatten sich mit großer Tapferkeit geschlagen und Entbehrungen aller Art auf eine bewunderungswerthe Weise ertragen. Während der vier Schlachttage lebten wir eigentlich von nichts anderem, als was wir in den Trümmern und Schutthaufen der Stadt fanden. Mit Tagesanbruch begann das Gefecht und dauerte bis in die Nacht, hierauf mußten die Waffen hergestellt werden und dann erst konnte daran gedacht werden, das wenige was man gefunden hatte zu genießen,

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und ein paar Stunden zu ruhen.

Es bestand der Befehl, nach jedem Gefecht summarische Ausweise über den Verlust an Toden, Verwundeten, Gefangenen und Vermißten anzufertigen, welche gesammelt und direct an den Kaiser eingegeben wurden. Am 17ten und 18ten war es mir nicht möglich, diesem Befehl nachzukommen, weil das Gefecht bis in die Nacht hinein dauerte, und bei manchen Compagnien Niemand mehr war, der Auskunft geben konnte. Am 19ten suchte ich daher auf dem Marsch die nöthigen Notizen aufzunehmen und schrieb in der Stellung bei Valutina-Gora auf meinem Hut den Rapport, während die Kanonenkugeln rechts und links einschlugen.

Die Nacht vom 19ten auf den 20ten brachten wir auf dem Schlachtfeld zu, mitten unter Toden und Verwundeten, und marschirten am 20ten eine Stunde weit vorwärts, um neben der Straße ein Lager zu beziehen.

Der Entschluß des Kaisers, die ganze Armee auf das linke Ufer des Dniepers übergehen zu lassen und Smolensk von dieser Seite anzugreifen, ist von sehr gewichtigen

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militairischen Schriftstellern*)[20] als ein unbegreiflicher Mißgriff geschildert worden, während andere denselben zu einer der schönsten strategischen Combinationen erheben.**)[21] Es kann nicht die Absicht seyn, über diese Meinungsverschiedenheit ein Urtheil zu fällen; es scheint aber, daß es einfacher gewesen wäre, die rußische Armee nach dem Gefecht von Inkowo anzugreifen und ihr die angebotene Schlacht zu liefern, nach welcher ja Napoleon, seit der Überschreitung des Niemens, vergeblich gestrebt hatte. Sein überlegenes Feldherrntalent und die bedeutende Übermacht setzen es außer Zweifel, daß er die Schlacht gewonnen und vielleicht über das Schicksal des ganzen Feldzuges entschieden haben würde. Jedenfalls wäre Smolensk nicht als Schutthaufen in seine Gewalt gekommen, was bei den Entbehrungen aller Art, die wir erdulden mußten, ein doppelt fühlbarer Verlust war. Die Rußen standen näher an Smolensk, als wir, es war deshalb im hohen

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Grade unwahrscheinlich, daß wir durch den Marsch auf dem linken Ufer, einen so großen Vorsprung erreichen würden, um diesen Platz vor ihnen zu besetzen und sie von ihrer Rückzugslinie nach Moskau abzuschneiden. Auch wird dem Kaiser der Vorwurf gemacht, Smolensk mit stürmender Hand genommen und nicht ein beträchtliches Corps oberhalb über den Dnieper geschickt zu haben, um die Moskauer Straße zu besetzen , wodurch Barklay sicherlich würde veranlaßt worden seyn, sich schnell zurückzuziehen und Smolensk ohne Schwertstreich zu überliefern, dessen Eroberung einen sehr fühlbaren Verlust von 20000 alten Soldaten herbeiführte. Die Rußen hatten zwar auch viel verloren, sie marschirten aber ihren Verstärkungen entgegen, während Hunger und Strapatzen die Reihen der französischen Armee täglich mehr lichteten. –

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Abschnitt V.

Stimmung in der Armee nach der Schlacht von Smolensk. Napoleon beschließt weiter vorzurücken. Rückzug der Rußen in die Stellung von Borodino. Bemerkungen über die Lage der französischen Armee. Schlacht von Borodino /: an der Moskwa :/
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Nach der Schlacht von Smolensk war Jedermann sehr gespannt auf die weitern Operationen. In der Armee hegte man allgemein um so mehr den Wunsch, daß der Kaiser[22] anhalten und die Eroberung der rußisch-polnischen Provinzen vollenden möchte, als bekannt war, daß Macdonald bei Riga, und die Corps welche gegen Wittgenstein an der Düna und gegen Tormasow in Wolhynien stehen geblieben waren, keine Fortschritte gemacht hatten. Man fürchtete, daß unsere Rückzugslinien gefährdet werden und die Armee in eine sehr mißliche Lage kommen

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möchte, wenn es diesen Corps nicht mehr möglich seyn sollte, dem sich immer mehr verstärkenden Feind die Spitze zu bieten. Man behauptet, daß dieser allgemeine Wunsch der Armee in dem Kriegsrath, welchen Napoleon in Smolensk hielt, laut ausgesprochen worden sey. Der Kaiser war aber nicht gewohnt, viel Rücksicht auf die Ansichten Anderer zu nehmen, und noch viel weniger Widerspruch zu ertragen, und beschloß daher von neuem vorzurücken, in der Hoffnung, die Rußen zu einer Schlacht zu zwingen und in Moskau den Frieden vorzuschreiben. Dem zu Folge überschritt Mürat am 22ten den Dnieper auf der Moskauer Straße bei dem Dorfe Solowiewo. Ihm folgten am 23ten das 1te, 3te und 8te Armee-Corps, gleich wie die Garden, während sich der Vicekönig von Italien links nach Dukhowtschina gewendet hatte, um von dort einen Seitenweg nach Dorogobusch einzuschlagen, und Poniatowsky mit dem 5ten Corps rechts auf dem Weg nach Jelnia vorrückte.

Barklay hatte sich mit Bagration vereinigt und dieseits

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Dorogobusch eine Stellung bei Uswiaty, hinter dem Bach Uja genommen, seinen rechten Flügel an den Dnieper gelehnt. Die Rußen schienen in dieser Stellung eine Schlacht annehmen zu wollen, zogen sich aber, nach einem Avant-Gardegefecht, nach Wiazma zurück, und überließen uns die kleine Stadt Dorogobusch, nachdem sie dieselbe theilweise eingeäschert hatten.

Bei Dorogobusch verließen wir den Dnieper, der nicht weit von da, auf einer mit Wald bewachsenen morastigen Hochebene seine Quellen hat, in deren Nähe auch die Wolga und die Düna entspringen, um in entgegengesetzter Richtung dem schwarzen Meere, dem caspischen Meere und der Ostsee zuzuströmen.

Von Dorogobusch an hatte Mürat beinahe täglich Gefechte mit der rußischen Arriere-Garde zu bestehen, von denen das am 27ten bei Rybki und das am 29ten bei Wiazma Erwähnung verdienen. Dieselben hatten zwar stets den Rückzug der Rußen zur Folge, ermüdeten aber immer mehr unsere ohnedies sehr erschöpfte Cavalerie.

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Am 29ten zog Napoleon in Wiazma ein, welches vom Feind angezündet, zum großen Theil abbrannte. Wir bezogen ein Lager rückwärts der Stadt, in schönen reifen Fruchtfeldern, welche abgemäht und niedergetreten, am andern Morgen ein trauriges Bild des verheerenden Zuges gewährten, der sich in gedrängten Massen der entscheidenden Schlacht zuwälzte.

Die Rußen hatten sich in eine Stellung bei Tzarewo-Zaimitcze zurückgezogen, in welcher Barklay eine Schlacht annehmen wollte, weniger aus Überzeugung, als weil die rußische Armee und die Nation, über das fortwährende Zurückziehen laut ihre Unzufriedenheit äußerten. Man glaubte daß der Oberst von Wollzogen, Adjutant des Kaisers und dem General Barklay beigegeben /: später preußischer Generallieutenant und Mitglied der Militair-Commission in Frankfurt :/ einen nachtheiligen Einfluß auf ihn ausübe, und ging so weit, ihn laut der Verrätherei anzuklagen, woran man ihm aber sehr unrecht that.*)[23]

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Der Erfolg hat bewiesen, daß das Zurückgehen der rußischen Armee und das dadurch veranlaßte rücksichtslose Vorrücken des französischen Kaisers, den Untergang seiner Armee herbeiführte, welches Resultat übrigens dem Oberst von Wollzogen damals auch nur höchst dunkel vorgeschwebt haben mochte.

In der gedachten Stellung übernahm der siebzigjährige[24] Fürst Kutusow, Stockruße und Waffengefährte Suwarows, das Commando der Armee. Derselbe hatte die Moldauarmee gegen die Türken befehligt, und war zurückberufen worden, nachdem er am 28ten Mai den Frieden von Bukarest unterzeichnet und den Oberbefehl an den Admiral Tschitschakow abgegeben hatte. Kutusow wurde von der Armee mit Enthusiasmus empfangen, obgleich er die Schlacht von Austerlitz gegen Napoleon verloren hatte. Auch gab es eine Partei, die ihn für keinen ausgezeichneten Feldherrn hielt; er war aber schlau und klug.

Kutusow hielt die Stellung bei Tzarewo-Zaimitze nicht geeignet zur Annahme einer Schlacht, und wählte hierzu die von Borodino, zwischen Gjatsk und Mojaisk, ungefähr

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27 Stunden von Moskau. In Borodino führte ihm General Miloradowitsch eine Verstärkung zu von 16000 Mann Linientruppen und 10000 Mann Milizen.*)[25]

Am 1ten September vertrieb Mürat die rußische Arriere-Garde aus Gjatsk, und verfolgte sie eine Stunde weit, wobei die würtembergische Reiterei Gelegenheit fand sich auszuzeichnen. Der Kaiser nahm sein Hauptquartier in dieser kleinen Stadt, unweit welcher die Armee ein Lager bezog.

Am 2ten erschien ein Tagesbefehl des Kaisers, der uns eine große Schlacht ankündigte, zu welcher wir uns vorbereiten sollten, was sehr nöthig war, denn wir waren sehr erschöpft: man hatte im eigentlichen Sinne des Wortes das Unmögliche gefordert, um das Mögliche möglich zu machen. Von dem Schlachtfeld von Valutina-Gora bis Gjatsk waren nemlich drei Armee-Corps, die ganze Cavalerie unter Mürat und die Garde in gedrängter Colonne auf der Hauptstraße marschirt, wobei eine unerträgliche Hitze, ein ungeheurer

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Staub und Wassermangel, eine noch größere Qual verursachten, als auf den Märschen jenseits Witebsk. Auch fanden, bei dem gänzlichen Mangel einer Heerespolizei, die Reibungen mit andern Truppen, die sich nach ein und demselben Ziele drängten, in einem erhöhten Grad Statt, und vermehrten die Beschwerden des Marsches auf eine sehr empfindliche Weise. – In Polen waren, trotz der übelen Behandlung, doch viele Einwohner und namentlich Juden in ihren Wohnungen geblieben, und uns von wesentlichem Nutzen gewesen; mit dem Eintritt in das eigentliche Rußland, hatte sich dieses aber geändert: Juden fanden wir nicht, weil ihnen nicht erlaubt ist, in Rußland zu wohnen, und die übrigen Einwohner waren auf mehrere Stunden weit in die Wälder geflohen, nachdem sie, oder die Kosaken die Ortschaften angezündet hatten. Auf der Straße fanden wir daher wenig zu leben, auch konnte, wegen Mangel an Zeit, von der Verpflegsbehörde keine Fürsorge getroffen werden, es blieb also nichts übrig, als wieder zu den Requisitions-Commandos seine Zuflucht zu nehmen,

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welche die Wälder durchstreifen und die dort verborgenen Vorräthe aufsuchen mußten, wobei sie öfters mit den Bauern in Kampf geriethen. Daß bei diesem kleinen Krieg nichts geschont wurde, läßt sich denken. Von Smolensk an hatte der Krieg vollkommen den Charakter eines Einfalles von Barbaren angenommen und das Elend nahm auf eine Schrecken erregende Weise zu. Auf fünf bis sechs Stunden rechts und links der Straße bezeichneten abgebrannte Dörfer, entheiligte Kirchen und Gräuel aller Art den Marsch der Armee, welche sich auf diese Weise die Mittel zum Unterhalt für den Rückzug raubte und die rußische Nation zum äußersten Widerstand reitzte. Von Seiten der Armee-Commandos geschah unbegreiflicherweise gar nichts um diesem Übelstand abzuhelfen.

Von Valutina-Gora bis Gjatsk hatten wir wieder ein Dritttel der Infanterie durch Krankheiten und Ermattung verloren. Dieselbe zählte nur noch 1456 Mann vom Oberst abwärts, also ungefähr ein Sechstel ihrer ursprünglichen

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Stärke. Es wurde deshalb für nöthig erachtet, als Vorbereitung zu der bevorstehenden Schlacht, jede der drei Brigaden auf ein Bataillon zu vermindern, wodurch mehrere Offiziere überzählig wurden, welche der Division in einiger Entfernung folgten, um durch sie den entstehenden Abgang zu ersetzen.

Den Oberbefehl über diese Hand voll Leute übernahm der General von Hügel, unter ihm commandirte der Oberst von Stockmayer. Das Commando des 2ten, aus unserer Brigade zusammengesetzten Bataillons, erhielt der Oberstlieutenant von Schmidt vom Regiment Kronprinz. – Ich war eben beschäftigt, angekommene Briefe aus dem Vaterland auszutheilen, als mir der General von Hügel sagen ließ, er wünsche daß ich die Adjutanten-Stelle bei diesem Bataillon übernehmen möchte, und mir zugleich eine lettre d’annonce übersendete, nach welcher mich der Kaiser, für mein Benehmen in der Schlacht von Smolensk, zum Mitglied der Ehrenlegion ernannt hatte. Obgleich ich mich seit einigen Tagen unwohl

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fühlte, so erlaubte mir doch weder die Art, wie mir dieser Wunsch ausgedrückt wurde, noch die Aussicht auf die bevorstehende Schlacht, an etwas anderes, als an Einwilligung zu denken. –

Die Artillerie suchte möglichst viele Pferde aufzukaufen, weil sie mit der schlechten Bespannung die Kanonen kaum fortbringen konnte. Mir fehlte es an Geld, ich verkaufte deshalb das Pferd, welches mich in der Schlacht von Smolensk durch seine Widerspenstigkeit in Verlegenheit gesetzt hatte, um zehn Carolin, und that wohl daran, denn die Bestimmung dieses Thieres war, in der bevorstehenden Schlacht todtgeschoßen zu werden.

Die beiden andern Divisionen unseres Armee-Corps hatten ebenfalls große Verluste erlitten, am meisten aber zwei bei denselben eingetheilte portugiesische Infanterie-Regimenter. An Körperbau, Gesichtsbildung, Farbe und Sitten schroff von allen andern Truppen unterschieden, schienen sie mehr einer afrikanischen als europäischen Armee anzugehören. Schon ihre dunkelbraunen Uniformen

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und eigne Kopfbedeckung zeichneten sie vor allen andern Truppen der Armee aus. Oberstlieutenant von Faber hat in mehreren seiner Blätter, unter andern sehr charakteristischen Bildern, auch treue Abbildungen der Portugiesen geliefert.*)[26] Die Wenigen, welche nach der Schlacht an der Moskwa noch übrig blieben, fielen als die ersten Opfer des ungewohnten Klimas; ihre auffallenden Gestalten waren in dem großen Chaos des Rückzuges untergegangen. Man behauptet, daß die Gefangenen von den Rußen gut behandelt und alsbald in ihre Heimath eingeschifft worden seyen. Diese sind wohl die Einzigen, welche dieselbe wiedererblickt haben. –

Den 3ten in der Nacht hatten wir den ersten Frost, der unsern schlecht gekleideten Soldaten sehr fühlbar war. Am 4ten marschirten wir vorwärts. Mürat besetzte, nach einem hartnäckigen Gefecht, das Dorf Gridnewo, wo der Kaiser sein Nachtquartier nahm.

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Die Rußen hatten ihre Stellung auf den Höhen hinter dem Flüßchen Kolocza genommen, dessen tief eingeschnittene Ufer den rechten Flügel und das Centrum, von Borodino bis zu der Einmündung der Kolocza in die Moskwa, an welche sich der rechte Flügel anlehnte, beinahe unangreifbar machten. Von Borodino aufwärts entfernte sich der linke Flügel von den Ufern der Kolocza, erstreckte sich bis Utitsa und hatte das Dorf Semenoffskoie in seiner Mitte. Der Zugang zu den sanft ansteigenden Anhöhen dieses Theiles der Stellung, war durch tiefe Schluchten und Gebüsch erschwert. Hinter Borodino, auf einer Anhöhe über welche die Straße führt, war eine erste Verschanzung, links derselben eine zweite und links vorwärts von Semenoffskoie waren drei weitere Verschanzungen aufgeworfen und stark mit Artillerie besetzt. Die zweite Schanze war die größte und dominirte den Zugang zum linken Flügel vollkommen. Ungefähr 2000 Schritte vorwärts hatten die Rußen auf einer kegelförmigen Anhöhe /: Mamelon :/, hinter dem Dorfe Doronino, eine

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Schanze aufgeworfen, um den linken Flügel zu verstärken und von dort die Bewegungen des Feindes zu beobachten.

Am 5ten näherte sich die französische Armee der rußischen Stellung. Nachmittags erhielt das 1te Armee-Corps den Befehl, unter Mitwirkung der 5ten, das Dorf Doronino und die Schanze zu stürmen. Dieselbe wurde genommen und mehreremalen wieder verloren, am Ende blieben aber die Franzosen, mit dem Einbruch der Nacht, im Besitz und die Rußen zogen sich in ihre Hauptstellung zurück. Der linke Flügel der Rußen war durch den Verlust dieser Schanze noch mehr geschwächt worden, weshalb Napoleon beschloß, seinen Hauptangriff gegen diesen Punkt und gegen das rußische Centrum zu richten. Am 6ten Abends rückten die verschiedenen Armee-Corps in die für den folgenden Tag gegebene Schlachtordnung ein.

Den 7ten in aller Früh verfügte sich der Kaiser in die am 5ten eroberte Schanze, von wo man das ganze Schlachtfeld übersehen konnte, versammelte die Marschälle und übrigen Befehlshaber um sich und ertheilte

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ihnen seine letzten Befehle. Um 5 Uhr trat die Armee unter die Waffen, um nachstehende Proclamation zu vernehmen:

"Soldaten! Die von euch so sehr gewünschte Schlacht wird beginnen. Der Sieg liegt in eurer Hand; er ist uns nöthig, er wird uns Überfluß, gute Winterquartiere und eine schnelle Rückkehr ins Vaterland verschaffen! Benehmt euch wie bei Austerlitz, Friedland, Witebsk, Smolensk, und die späte Nachwelt wird eure Thaten an diesem Tage rühmen; man wird von euch sagen: er war in der großen Schlacht unter den Mauern von Moskau."

Kutusow hatte am 6ten ebenfalls eine auf den Charakter der Rußen berechnete Proclamation erlassen und hierauf eine Revue gehalten, bei der er ein Bild der heiligen Jungfrau vor sich her tragen ließ, das man aus Smolensk gerettet hatte und dem die Nation eine wunderthätige Kraft zutraute. Beides war nicht ohne mächtige Wirkung auf den Soldaten geblieben, dessen Muth man durch eine reichliche

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Austheilung von Lebensmitteln und Branntwein noch mehr zu steigern suchte. Wir dagegen hatten Mangel an allem, besonders mein Regiment, dem am 5ten von der französischen Garde das Schlachtvieh geraubt worden war. Diese Truppe durfte sich überhaupt manches ungestraft herausnehmen und war deshalb in der Armee keineswegs beliebt. Unsre Soldaten waren so hungrig, daß sie während der Schlacht gierig über die wohlgefüllten Brodsäcke und Branntweinflaschen der todten und gefangenen Rußen herfielen. Ich erinnere mir für ein Stückchen schwarzen Zwieback und einen Schluck Branntwein, einem Soldaten einen Albertsthaler /: 2 fl. 24 x :/[27] gegeben zu haben.

Die französische Armee mochte 130000 Mann und die rußische 120000 Mann stark seyn.*)[28] Eine jede hatte ungefähr 600 Kanonen.

Der Kaiser hatte im allgemeinen folgende Anordnungen

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getroffen: Eugen, der sich mit 40000 Mann auf dem linken Ufer der Kolocza befand, sollte Borodino und das rußische Centrum angreifen. Davoust und Ney standen mit ungefähr eben so viel, bereits auf dem rechten Ufer des Flüßchens und waren bestimmt gegen den linken Flügel vorzurücken. Die Garden, Jünot und ein Theil der Reserve-Cavalerie bildeten die Reserve, und Poniatofsky mit seinen 10000 Polen, sollte die linke Flanke umfassen.

Die Schlacht begann um 6 Uhr mit einer gewaltigen Kanonade, während die Truppen nach der gegebenen Disposition vorrückten. Zwei Divisionen des 1ten Armee-Corps griffen ein vor den Schanzen des rußischen linken Flügels liegendes Gehölz und diese Schanzen selbst an. Zu gleicher Zeit entspan sich rechts zwischen unsrer und der rußischen Cavalerie ein Gefecht mit abwechselndem Erfolg. Nachdem die erste Schanze nach einem hartnäckigem Kampf genommen worden war, besetzte sie das 57te französische Infanterie-Regiment, und das 1te Armee-Corps zog sich links zum Angriff der zweiten Schanze. Marschall Ney, der ursprünglich bestimmt

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war, Davoust zu unterstützen, befand sich somit in der fechtenden Linie und befahl einen erneuerten Angriff der Reiterei auf die vorrückende feindliche Infanterie, der aber durch die rußische Cavalerie vereitelt wurde, worauf die Infanterie die Schanze angriff. In diesem Augenblick kam unsre Division an. Das combinirte Jäger-Bataillon eilte in die Schanze, um die Franzosen, welche sehr gedrängt wurden, zu unterstützen. Was vom Feind eingedrungen war und nicht flüchtete, wurde niedergestochen. Mein Bataillon erhielt Befehl sich rechts von der Schanze in Linie aufzustellen. Wir waren im Begriff denselben auszuführen, als Dragoner und Husaren auf uns einstürmten, aber mit Verlust zurückgewiesen wurden, worauf wir die befohlene Aufstellung nahmen, den linken Flügel an die Schanze gelehnt. Auf unserm rechten Flügel stellte sich eine würtembergische reitende Batterie auf.

Nachdem wir kurze Zeit hier gestanden waren, kam der König von Neapel in seinem theatralischen Anzug stieg ab und bestieg das Parapet der Schanze, von wo aus man

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einen großen Theil des Schlachtfeldes übersehen konnte; von dort begab er sich zu der Batterie. In diesem Augenblick erhielt unser Leibchevauxlegers-Regiment Befehl, rußische Infanterie, welche von neuem gegen uns anrückte, anzugreifen. Staub und Rauch verhinderten uns die Gegenstände deutlich zu erkennen, wir sahen aber, daß unsere Chevauxlegers zurückkehrten und daß ihnen Cürassiere in weißer Uniform und schwarzen Cürassen folgten. Anfänglich glaubten wir, es seyen Sachsen, welche, ähnlich gekleidet, am Morgen der Schlacht an uns vorüber gezogen waren und Schillers Lied "frisch auf Cameraden" gesungen und dadurch unsre besondere Aufmerksamkeit erregt hatten. Auch Mürat rief uns zu, nicht zu schießen, indem es Sachsen seyen. Dieses Mißverständniß wäre ihm aber beinahe theuer zu stehen gekommen, denn er kam in das Gedränge der Reiterei und hatte kaum Zeit sich in den Haken zu retten, den wir schnell, durch Zurücknahme der rechten Flügel-Compagnie, bildeten, um unsre Flanke gegen die erkannten rußischen Cürassiere zu schützen, welche die Batterie

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eroberten und die Chevauxlegers bis zu dem in Reserve stehenden 1ten Regiment verfolgten, von diesem aber geworfen wurden. Unser Feuer, dem sie auf kurze Entfernung ausgesetzt waren, verursachte ihnen einen bedeutenden Verlust. Mürat ritt zu dem Grenadier-Hauptmann von Schaumberg, klopfte ihm auf die Schulter und lobte unsre Geistesgegenwart und Tapferkeit, ohne welche er wohl würde gefangen worden seyn. *)[29] Kurze Zeit nachher formirte sich die rußische Infanterie zu einem neuen Sturm, weshalb unser Bataillon auch in die Schanze rücken mußte. Dieser Angriff, bei welchem der Generallieutenant von Scheler einen, zum Glück nicht gefährlichen Schuß in den Hals erhielt, wurde ebenfalls abgeschlagen.

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Marschall Davoust hatte sich, wie bereits erwähnt wurde, mit zwei seiner Divisionen links gezogen, und befand sich im heftigen Gefecht um die zweite Schanze. Auf die Nachricht, daß er leicht verwundet worden sey, bestimmte der Kaiser den König von Neapel zu seinem Nachfolger im Commando; Davoust erklärte jedoch den Befehl fortführen zu wollen.

Auf dem linken Flügel hatte Eugen das Dorf Borodino genommen und war mit dem größten Theil seiner Truppen über die Kolocza gegangen.

Auf dem rechten Flügel war Poniatofsky Meister des Dorfes Utitsa geworden und schlug sich mit abwechselndem Glück in einem vorwärts gelegenen Gehölz.

Es war acht Uhr vorbei. Die Rußen hatten Verstärkung erhalten und griffen uns von neuem an, weshalb Ney seiner Seits auch [30] um Verstärkung bat. Napoleon blieb, gegen seine Gewohnheit, unschlüßig und schickte endlich die Division Friant des 1ten Armee-Corps; darüber war aber eine kostbare halbe Stunde verfloßen, während welcher wir nur mit

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der größten Anstrengung den Feind aufhalten konnten. Nach Ankunft der Division Friant, zog sich Davoust weiter links und nahm die Trümmer des, schon vor der Schlacht von den Rußen abgebrannten, Dorfes Semenoffskoy in Besitz, während die Division Razout in die zweite Schanze rückte. Dabei blieb es aber. Die Rußen zogen sich auf eine dominirende Anhöhe zurück und beschränkten sich auf ein sehr heftiges Kanonenfeuer, welches uns in der, wenig Schutz gewährenden, Schanze sehr belästigte, weshalb wir uns, durch Niederlegen hinter den schwachen Wall, etwas zu decken suchten. Beide Theile waren sehr ermüdet. Besonders hartnäckig war der Kampf in unserer Schanze und in deren Nähe gewesen. Der Boden war bedeckt mit todten Menschen und Pferden. Selten mag ein Gefecht mit so großer Tapferkeit und Ausdauer geführt worden seyn. Bei unserm Angriff auf die Schanze hatten wir besonders durch Kartätschenfeuer viel gelitten.

Auf dem rechten Flügel hatte Poniatoffsky, unterstützt von dem 8ten Armee-Corps, die Rußen wohl eine Stunde

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weit zurückgetrieben. Zu unserer Linken hatte General Morand, wie er sah, daß ein großer Theil des 4ten Armee-Corps über die Kolocza gegangen war, sich gegen die, im Centrum der rußischen Stellung gelegene, große Schanze gewendet, und sie durch ein Regiment erstürmen lassen. Dasselbe wurde aber mit großem Verlust wieder herausgeworfen und Morand selbst konnte sich nur mit vieler Mühe auf dem Plateau halten, weshalb Eugen zu seiner Unterstützung einen Theil des 4ten Armee-Corps vorrücken ließ. Zwischen uns und Morand standen bedeutende Cavaleriemassen in erster Linie. Während Eugen diese Bewegung ausführen ließ, machte eine unterhalb Borodino über die Kolocza gegangne rußische Cavalerie-Division einen Angriff auf seine dort stehende Reserve, der zwar in dem durchschnittenen Terrain keinen Erfolg hatte, den Vice-König aber nöthigte, einen Theil seiner Truppen über das Flüßchen zurückzuschicken, wodurch der Angriff auf die große Schanze verzögert wurde.

Nach Beendigung dieses Zwischenactes, überschritt das 4te

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Armee-Corps von neuem die Kolocza, um die große Schanze mit stürmender Hand einzunehmen, während General Coulaincourt mit einer Cürassier-Division in die feindliche Linie einbrach, sich hierauf links wendete und von der Rückseite in die Schanze eindrang. – Es war drei Uhr. – Die Rußen hatten ihre Verschanzungen verloren, und die ganz Linie von Borodino nach ihrem linken Flügel war zurückgedrängt. Da beschloß Kutusow einen Angriff auf die französische Mitte zu unternehmen, welche, wie bereits gesagt, nur aus Cavalerie bestand. Die Zubereitungen hierzu konnten von der Stellung der Franzosen aus gesehen werden und erfolgten so langsam, daß 80 Geschütze auf dem bedrohten Punkte vereinigt, und die Garden zur Unterstützung aufgestellt waren, bevor der Angriff begann. Die Rußen rückten im heftigsten Kanonenfeuer vor; ihre Cavalerie griff die Batterien an, nahm auch einige, wurde aber von der französischen Cavalerie wieder geworfen. Ihre Infanterie litt außerordentlich und zog sich, von der Cavalerie gedeckt, zurück ehe sie zum Angriff kam.

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Die Armeen blieben sich gegenüber stehen und die Schlacht endigte mit einer bis in die Nacht dauernden Kanonade.

Wir hatten gegen vier Uhr die Schanzen verlassen und zwischen der zweiten und Semenoffskoy eine Aufstellung genommen, in der wir dem feindlichen Kanonenfeuer sehr ausgesetzt waren. Gegen Abend zogen wir uns etwas rechts, um am Rand eines Gebüsches zu lagern. Die Truppen waren äußerst ermüdet.

Von der rußischen Armee hatten, außer den Milizen, alle Truppen Theil an der Schlacht genommen, von den Franzosen die Garden allein nicht. Napoleon hätte mit diesen ohne Zweifel einen vollständigern Sieg, vielleicht eine völlige Niederlage der Rußen herbeiführen können. Daß er unterließ, sie zu einem letzten Angriff vorrücken zu lassen, ist von vielen Seiten als ein großer Fehler bezeichnet worden. Andere wollen den Grund in einem Unwohlseyn suchen, welches den Kaiser schon mehrere Tage vor der Schlacht überfallen und sehr abgemattet habe.*)[31] Selbst französische Schriftsteller

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erwähnen, daß der Kaiser an diesem Tag zu weit entfernt gewesen sey, in den wichtigsten Momenten eine ungewöhnliche Unentschlossenheit, sich mit seinem Wort nicht als der große Feldherr der frühern Zeit gezeigt habe.*)[32] Jedenfalls dürfte aber in Erwägung zu ziehen seyn, daß die französische Armee unglaublich schnell zusammengeschmolzen war, und daß es für den Kaiser höchst wichtig seyn mußte, den Kern derselben zu erhalten. Daß er Moskau erreichen werde, unterlag wohl keinem Zweifel mehr, und dort hoffte er Frieden schließen zu können, wobei die Erhaltung einer imposanten Macht ein Haupterforderniß war.

Kutusow fühlte, daß seine Armee einem neuen Stoß nicht hätte widerstehen können. Jetzt war sie noch so, daß er in Ordnung abziehen konnte; er beschloß daher den Rückzug in der Nacht anzutreten. Den Befehl über die Arriere-Garde erhielt Platof, später Miloratowitsch.

Nach dem 18ten Bülletin hätten die Franzosen 10.000, die Rußen 40 bis 50000 Mann verloren. Diese Angabe ist aber

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unrichtig: die Franzosen werden nicht viel weniger als 30000 Tode und Verwundete gehabt haben, unter denen 40 Generale; die Rußen dagegen mehr an 50000, und 2000 Gefangene.*)[33] Von bekannten französischen Generalen waren Montbrün und Coulaincourt geblieben. Fürst Bagration starb wenige Tage nach der Schlacht an seinen Wunden. Der Verlust der Würtemberger bestand in 5 todten und 40 verwundeten Offizieren und in 587 Unteroffizieren und Soldaten, also ungefähr in dem vierten Theil der zur Schlacht ausgerückten Mannschaft.

Die außerordentliche Hartnäckigkeit mit welcher gefochten worden war, und die beispiellos tiefe und gedrängte Aufstellung der beiderseitigen Armeen, namentlich der rußischen, was dieser besonders zum Vorwurf gemacht wird, verursachten den ungeheuern Verlust. Borodino bleibt die blutigste Schlacht, welche Napoleon geliefert hat, und doch war das Resultat verhältnißmäßig sehr gering. –

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Als der Kaiser am folgenden Tag das Schlachtfeld beritt, bot sich ihm ein gräßliches Schauspiel dar: in der Ausdehnung einer halben Quadratmeile war der Boden mit Toden und Sterbenden bedeckt. An manchen Stellen, besonders bei den Schanzen, lagen die Leichnahme von Menschen und Pferden gehäuft; zwischen ihnen Trümmer von Waffen und Heergeräth aller Art. Einen schrecklichen Anblick gewährten die Vertiefungen und Hohlwege, in welche sich die Verwundeten, von einem natürlichen Instinkt getrieben, mühsam geschleppt hatten, um vor neuen Wunden gesichert zu seyn. Am gräßlichsten sah es jedoch bei den Ambülancen aus, wo ganze Haufen abgeschnittener Glieder umherlagen. – Die Verbandzeuge waren bald aufgebraucht gewesen und man hatte zu Werg, und da dieses ebenfalls ausging, sogar zu Heu seine Zuflucht nehmen müßen. – Die Häuser der rückliegenden Dörfer hatten nicht genug Raum zur Aufnahme der Verwundeten, viele der ärmsten legten sich daher außen an die Häuser hin, um wenigstens vor dem Wind geschützt zu seyn; sie blieben es aber nicht

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vor dem kalten Regen, der uns am Tag nach der Schlacht empfindlich belästigte. Viele Verwundete, namentlich rußische, wurden gar nicht verbunden und blieben verlaßen auf dem Schlachtfeld liegen. Man hat elf Tage nach der Schlacht noch welche gefunden, die durch Nagen an todten Pferden ihr elendes Leben zu fristen suchten. – In der großen Abtei Kolotskoi und in den an der Straße liegenden Dörfern waren eine Menge Verwundete untergebracht worden. Mehrere dieser Dörfer brannten später ab, und die Unglücklichen, welche nicht fliehen oder gerettet werden konnten, kamen auf eine elende Weise in den Flammen um. Ich habe mehrere solcher Brandstätten gesehen, wo die verbrannten Körper noch in Reihen so lagen wie früher die Verwundeten auf den Böden der Zimmer. Andere waren wohl den Flammen entronnen, aber entsetztlich verstümmelt und krochen herum, nach Nahrung suchend, um ihr trauriges Daseyn noch einige Tage lang zu fristen.*)[34]

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Bei uns war gut gesorgt gewesen: die Verwundeten hatten alle verbunden und in ein rückliegendes Dorf gebracht werden können. Auch hier brach Feuer aus und nur durch große Anstrengung und Geistesgegenwart der Ärzte gelang es, die Gefahr des Verbrennens von den Verwundeten abzuwenden.

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Es bleibt mir am Schluß dieses Abschnittes noch übrig einige interessante Thatsachen zu erzählen, von denen ich in der Schlacht Augenzeuge war.

Während wir in der Schanze lagen, um uns einigermaßen vor dem heftigen Kanonenfeuer zu schützen, gab ein Soldat des Regimentes einen Beweis von seltener Geistesgegenwart und Muth: eine über die Brüstung herabrollende Granade blieb neben dem Hauptmann von Löffler und mir liegen; die Gefahr war groß und dringend, da sprang dieser Soldat auf, packte die brennende Granade und warf sie über die Brüstung, wo sie gleich darauf platzte. Ich bedauere den Namen dieses braven Soldaten vergessen zu haben. Er wurde zur goldnen Vedienstmedaille eingegeben,

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kam aber um, bevor ihm die Freude über diese wohlverdiente Auszeichnung werden konnte.

Hier sahen wir auch einen frappanten Fall von Unglück: ein verwundeter französischer Hauptmann wurde, auf einem Gewehr sitzend, von zwei Soldaten durch die Schanze getragen, welche das Marinebataillon der Garde auf der entgegengesetzten Seite bereits zu demoliren begann. Noch ein paar Secunden und der Hauptmann hätte hinter der Schanze Schutz gefunden; da schlug ihm eine Kanonenkugel beide Beine ab, ohne seine Träger zu beschädigen.

Mich befreite ein schnelles Bücken vor einer ähnlichen unfreundlichen Berührung. General Marchand, der mit dem General von Hügel außen an der entgegengesetzten Seite der Schanze saß, wünschte nemlich den Stand der Dinge auf dem linken Flügel zu erfahren, worauf ich ihn ersuchte mir sein Fernrohr zu geben. Ich stellte mich auf die Brustwehr, von wo man eine freie Aussicht hatte, und war ganz in meine Beobachtungen vertieft, als der neben mir stehende Lieutenant von Stockmayer ängstlich rief: "bücke dich", was

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ich mechanisch befolgte und so einer Granade auswich, die, auf der vordern Brustwehr aufgeschlagen, im Bogen über mich wegflog und zwischen den beiden Generalen und der westphälischen Garde, die hinter der Schanze als Reserve aufmarschirt stand, platzte. Mehrere meiner armen Landsleute wurden niedergerißen und die Generale mit Erde bedeckt.

Einem rußischen Cürassier war bei dem letzten Angriff sein Pferd erschoßen worden; er suchte sich zu Fuß zu retten, wurde jedoch von einem Grenadier eingeholt und zu uns gebracht, wo er in großer Aufregung Zeichen machte, die wir nicht verstanden. Zufälligerweise befand sich ein Unteroffizier beim Regiment, der etwas rußisch verstand und uns übersetzte, daß der Cürassier verlange todtgeschoßen zu werden, weil er die Schande, von einem Infanteristen gefangen zu werden, nicht ertragen könne.

In der Aufstellung welche wir gegen vier Uhr bei Semenoffskoy nahmen, hatten wir sehr durch Kanonenfeuer zu leiden, weshalb die Mannschaft den Befehl erhielt, sich auf die Erde zu legen. Unter den vielen Granaden, die

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um uns her platzten, kam auch eine gerollt und verwickelte sich in den Mantel eines Soldaten, dessen Kameraden, die Wirkung des Springens fürchtend, schnell einen Kreis um ihn bildeten. Der arme Mensch schrie erbärmlich und wir glaubten, er sey verwundet, die Granade war jedoch erstickt und hatte blos seinen Mantel angezündet. Durch die brennenden Kleider wurde aber der Ärmste so übel zugerichtet, daß er einige Tage nachher unter den ärgsten Schmerzen starb.

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Abschnitt VI.

Unsre Lage nach der Schlacht. Vorrücken der Armee nach Moskau. Beschreibung dieser Hauptstadt. Rostopschin. Besetzung und Brand Moskaus. Dislocation der Armee. Rückzug der Rußen hinter die Nara. – Mein Marsch nach Moskau und Aufenthalt daselbst. – Napoleon beschließt den Rückzug. Mürat wird bei Tarutino geschlagen.
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In dem Lager, welches wir nach der Schlacht am Rande eines Gebüsches bezogen hatten, blieben wir zwei Tage lang stehen. Es gebrach uns hier an allem. Stroh gab es nicht, und die aus Büschen errichteten Baracken gewährten nur geringen Schutz gegen einen feinen Regen und die in ihrem ganzen Umfang eintretende Herbstwitterung. An Lebensmitteln war großer Mangel, und wir waren schon hier genöthigt zu Pferdefleisch unsre Zuflucht zu nehmen, woran es nicht fehlte, denn auf dem Schlachtfeld standen

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eine Menge verwundete Pferde. Die auf dem Schlachtfeld herumliegenden Gewehre dienten uns zur Feuerung, denn das grüne Gebüschholz brannte nicht. Wir befanden uns mit einem Worte, nach so vielen ausgestandenen Gefahren und Entbehrungen, in einer höchst erbärmlichen Lage.

Nach Beendigung meiner Dienstgeschäfte, suchte ich am andern Tag nach der Schlacht, an einem elenden Feuerchen auszuruhen, da hörte ich auf einmal meinen Namen nennen, sah auf und erblickte den Hauptmann von Stark von den westphälischen Jägern, welche nicht weit von uns, nur durch ein Gebüsch getrennt, lagerten. Stark, der Bruder meines nachherigen Schwagers, hatte gehört, daß Würtemberger neben ihnen ständen und war gekommen mich aufzusuchen. Groß war die Freude des Wiedersehens nach langer Trennung und glücklich überstandenen Gefahren. Diese Freude machte jedoch bald materiellen Gefühlen Platz und wir befrugen uns gegenseitig nach Mitteln um unsern Hunger zu stillen; da fand es sich denn, daß er ein Stückchen Fleisch und ich ein wenig Brod hatte, woran wir uns ein,

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unter den damaligen Umständen, köstliches Mahl bereiteten. An demselben Tag kam auch mein Freund Wildermouth von seiner Courierreise zurück. Er hatte viel durch Strapazen gelitten und mit Mangel aller Art zu kämpfen gehabt und war überdies um die Gelegenheit gekommen, sich bei Smolensk und Mojaisk auszuzeichnen, was ihn sehr betrübte.

Mein schon in Gjatsk gefühltes Unwohlseyn hatte ich in der Aufregung der letzt verflossenen Tage wenig beachtet, dasselbe nahm aber immer mehr einen ruhrartigen Charakter an und nöthigte mich den Dienst als Adjutant an Wildermouth zu übergeben, worauf ich am 9ten mit dem Hauptmann von Löffler zurückging, um die in einiger Entfernung der Armee folgenden Offiziere und bei ihnen die Mittel einer bessern Pflege aufzusuchen. Unser Weg führte uns über das Schlachtfeld, wo wir alle im vorigen Abschnitt geschilderten Schreckensbilder von neuem zu sehen bekamen. Unweit der Abtei Kolotskoi trafen wir den Hauptmann von Sattler und entschlossen uns mit ihm eine Unterkunft zu suchen, in der wir weniger durch die Verwundeten belästigt seyn würden,

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mit denen alle rückliegenden Dörfer angefüllt waren. Wir gingen daher vorwärts gegen Borodino. Gleich in dem ersten Dorf hatte ich einen harten Kampf mit französischen Verwundeten zu bestehen und es fehlte nicht viel, so wäre ich meines kleinen polnischen Wägelchens und meiner ganzen Habe beraubt worden. Nicht weit von Borodino, links der großen Straße, fanden wir in einem Schlößchen - Selosplensky[35] - ein würtembergisches Cavalerie - Depot und hinlänglich Raum für uns und unsre Leute. Ich hatte die Ruhr in einem hohen Grad und wurde so schwach, daß ich nicht mehr allein gehen konnte. Zum Glück besaß ich, durch den vor der Schlacht erwirkten Verkauf eines Pferdes, die Mittel mir bei den Marketendern der in der Nähe befindlichen Hospitäler Lebensmittel und namentlich Kaffe zu kaufen, der mich allein von der fatalen Krankheit heilte.

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Am 8ten hatte Mürat die Rußen bis nach Mojaisk verfolgt. Ney und Jünot waren auf dem Schlachtfeld stehen geblieben. Erst am 9ten konnte Mürat, nach einem

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Cavalerie-Gefecht, Mojaisk besetzen, wohin der Kaiser sogleich sein Hauptquartier verlegte. Die Stadt, von den Einwohnern verlassen, war voll von verwundeten Rußen, die nun den französischen Platz machen mußten, was zu Gräuelscenen aller Art Veranlaßung gab. Der heftige Widerstand der rußischen Nachhut, die Ungewißheit welche Richtung die feindliche Armee genommen hatte, ob gegen Moskau oder Tula, und die Erschöpfung der eignen Armee, veranlaßten den Kaiser einge Tage zu verweilen. Am 11ten war die französische Vorhut nur sieben Stunden weit über Mojaisk hinausgerückt, der übrige Theil der Armee stand, in derselben Ordnung wie vor der Schlacht, vor und seitwärts der Stadt.

Kutusow zog sich auf der Straße nach Moskau zurück und nahm am 12ten eine Stellung bei Mamonowo, drei Stunden von Moskau. Er ließ Verschanzungen aufwerfen, um seinen Truppen glauben zu machen, daß er hier eine zweite Schlacht annehmen werde, was, nach einem rußischen Autor *) [36],

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das einzige Mittel war, dieselben zu verhindern, ihre Fahnen zu verlassen und sich in der großen Stadt zu zerstreuen. Die rußische Armee war aber auf 70000 Mann*)[37] zusammengeschmolzen und konnte keinen günstigen Erfolg von einer zweiten Schlacht erwarten, denn die siegreiche französische Armee war immer noch 90000 Mann stark. Sie litt indessen Mangel an allem, weshalb es dringend nöthig wurde, daß der Kaiser einen Entschluß faßte. Dieses geschah am 12ten mit dem Befehl zum Vorrücken in der seitherigen Ordnung. Jünot mit seinem schwachen Armee Corps blieb in Mojaisk. Am 13ten wurde die von den Rußen verlassene Stellung bei Mamonowo besetzt. Den 14ten Nachmittags erblickte die französische Armee, von dem Sperlingsberg aus, die unermeßliche Stadt mit ihren Palästen und Kirchen. Alles drängte sich vor, um sich an dem wundervollen Anblick zu {subst:References}}

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laben. Jeder glaubte das Ziel der ungeheuern Anstrengungen und Opfer zu erblicken, die der Soldat leicht vergißt, sobald er sich in eine bessere Lage versetzt sieht. Wie bitter war aber die bald darauf folgende Enttäuschung!

Die Entstehung Moskaus verliert sich in die dunkeln Zeiten des fabelhaften Ursprungs des rußischen Reiches. Zweimal wurde die Stadt von den Tartaren erobert und in Brand gesteckt. Ein gleiches Schicksal widerfuhr ihr zu Anfang des 17ten Jahrhunderts von Seiten der Polen. Seit jener Zeit sah Moskau keinen äußern Feind mehr, und erhob sich durch den Reichthum des Adels und den immer mehr aufblühenden Handel, zu einer bedeutenden Höhe von Wohlstand, Größe, Bevölkerung und Glanz. Damals hatte die Stadt einen Umfang von sechs deutschen Meilen. Auf diesem großen, von der Moskwa durchströmten und von Hügeln amphitheatralisch umgebenen Raum, standen gegen 9000 Häuser, welche aber noch viele Nebengebäude hatten, so daß die Gesammtzahl der Gebäude, ohne Übertreibung, auf 20000 berechnet worden ist. Unter jenen 9000 Häusern

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wurden 1/3 von Stein und die übrigen von Holz angenommen. Die Bevölkerung betrug im Winter ungefähr 400000, im Sommer aber nur 300000 Seelen, weil der zahlreiche Adel mit seinem großen Gefolg, die schöne Jahreszeit auf dem Land zuzubringen gewohnt war. Neben prächtigen Palästen sah man kleine armselige Hütten einen schneidenden Abstand bilden. Ringsum schmückten schöne Gärten und anmuthige Landhäuser die Gegend. Keine Stadt der Welt enthielt so viele Kirchen als Moskau; 330 an der Zahl, waren alle nach einem Muster gebaut. Sie hatten, wie die meisten Kirchen in Rußland, fünf Kuppeln, von denen vier ein Quadrat bildeten und die fünfte größte in der Mitte über die andern hervorragte. Diese Kuppeln waren alle mit Metall bedeckt und die meisten mit verschiedenen Farben angestrichen, einige sogar vergoldet, wodurch Moskau, von der Sonne beschienen, einen wundervollen Anblick gewährte. In der Mitte der Stadt lag der Kremlin auf einem Hügel an dem linken Ufer der Moskwa, mit hohen Mauern umgeben, auf deren Zinnen sich eine Reihe theils runder, theils viereckiger

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Thürme erhoben. Im Innern des Kremlin befanden sich der alte Palast der Czaren, die Hauptkirche des heiligen Iwan und sonstige öffentliche Gebäude.

Moskau war der Hauptstapelplatz des Handels zwischen Europa und Asien. Ungeheuere Waarenvorräthe fanden sich hier aufgehäuft und noch vermehrt durch die Habe aller Art, welche die Bewohner von Smolensk und der andern Orte, die der Krieg auf seinem verheerenden Zug berührte, hinter den Mauern der heiligen Stadt in Sicherheit gebracht zu haben wähnten.

Im Ganzen bot Moskau mehr den Anblick einer asiatischen als europäischen Stadt. Die Masse des Volks hatte seine Eigenthümlichkeit, Sprache, Sitten und Lebensweise bewahrt. Einfach in Wohnung und Kost, hatte der Einwohner Moskau's das alte Nationalkleid und den langen Bart beibehalten. Von dem Mittelstand und dem gemeinen Volk unterschied sich durchaus der Adel, der, nach französischer Weise erzogen, auch die Sitten und Sprache dieses Volkes angenommen hatte; doch war bei ihm meist nur der Schein wahrer innerer Bildung zu erblicken. - Von diesen Magnaten lebten hier

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viele aus alter Anhänglichkeit, oder auch weil ihnen das Leben in Petersburg lästig war. Andere hatte die Ungunst des Hofes hierher getrieben. Auf dieses Verhältniß und auf die geheime Spannung, welche zu allen Zeiten zwischen dem Adel Moskaus und dem Hofe herrschte, hatte Napoleon den Plan gebaut, Zwist und Spaltung im Innern des Reichs anzufachen und daraus für seine Zwecke Nutzen zu ziehen.

Der Adel, für die Erhaltung der bestehenden Ordnung der Dinge auf's äußerste besorgt, war entschlossen, für sich zu handeln, wenn etwa der Hof sich bequemen sollte, das Gesetz eines unvortheilhaften Friedens anzunehmen.

Die Ernennung Kutusow's zum Oberfeldherrn, scheint eine Folge dieser Stimmung gewesen zu seyn; über sein Verfahren in jener Zeit ist ein Anstrich eigner Autorität hingehaucht, der nicht undeutlich verräth, daß er gegen Mißfallen am Hofe sich durch die Gewalt der öffentlichen Meinung geschützt wußte.

Graf Rostopschien, Gouverneur von Moskau, war aus einer alten Familie Rußland's entsproßen und hatte seinen

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feurigen Geist frühzeitig ausgebildet. Als Mitglied eines bevorrechteten Standes und im eignen Besitz seiner großen Vortheile, war er dessen Ansprüchen aus Grundsatz zugethan und daher ein entschiedener Gegner der Ideen, welche die französische Revolution über einen großen Theil der gebildeten Welt verbreitet hatte. Mit diesen Gesinnungen mußte er nothwendig ein abgesagter Feind des Mannes seyn, von dem er nicht ohne Grund argwohnte, daß er, zur leichtern Ausführung seiner Eroberungspläne, den Brand des Aufruhrs und Bürgerkrieges in Rußland zu entzünden gedenke. Als er die Unzulänglichkeit der Vertheidigungsmittel und die immer nachtheiligere Wendung sah, welche der Kampf nahm, beschloß er allein zu vollbringen, was ein ganzes Heer nicht vermochte, nemlich durch einen ungeheuern Schlag die, auf innern Zwist und Spaltung gerichteten, Pläne des Feindes unwiederbringlich zu zernichten und ihm die Frucht des Sieges in dem Augenblick zu entreißen, wo er sei mit gieriger Hand zu brechen hoffte. -

Obgleich behauptet werden will, daß Rostopschien mit

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Kutusow in entschiedener Feindschaft gelebt und ihn laut angeklagt habe, daß er mit frecher Falschheit Jedermann habe glauben machen, er werde noch eine Schlacht für die Rettung der Hauptstadt wagen*)[38], so ist es doch kaum zu bezweifeln, daß dieser in das Geheimniß eingweiht war, weil die Ausführung des Planes ohne Vorwissen und Zustimmung des Oberfeldherrn nicht wohl möglich zu seyn scheint. Auch einige Männer des Adels mögen darum gewußt haben; dagegen wird es für nöthig gehalten worden seyn, den großen Entwurf nicht unter dem Handelsstand und der gewerbtreibenden Klasse bekannt werden zu lassen, weil man ihnen nicht die Kraft zutraute, ein so großes Opfer zu bringen, und weil man sich durch eine Kundmachung des Entschlußes, den Erfolg sicherlich vereitelt haben würde.

Als Werkzeug zur Ausführung seines Planes, hatte Rostopschien schon einige Zeit früher einen Fremden, mit Namen Schmidt, ein Deutscher oder Engländer, auf seinem

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unweit entfernten Gute Woronowo aufgenommen, der geheimnißvoll eine große Menge brennbarer Stoffe bereitete, welche, gegen den Zeitpunkt der Ausführung hin, an die gewählten Agenten vertheilt wurden.

Kutusow hatte die Einwohner Moskau's mit der Nachricht getäuscht, daß er die Franzosen bei Borodino geschlagen habe, und trieb den Betrug so weit, deshalb ein Tedeum singen zu laßen. Er hatte sogar gewagt, seinem Kaiser die verlorne Schlacht als einen Sieg anzukünden, worauf ihn dieser zur Belohnung zum Feldmarschall ernannte. Ein Räthsel bleibt es, daß der Kaiser diese Täuschung ungeahndet hingehen ließ. Man sollte fast glauben, daß er es nicht wagte, den Mann des Adels in diesem kritischen Augenblick zur Verantwortung zu ziehen.

Rostopschin suchte ebenfalls die Einwohner Moskaus über den wahren Stand der Dinge zu täuschen, während er in der Stille die Vorbereitungen zu der großen Catastrophe zur Reife brachte. Diese Täuschung konnte jedoch von keiner langen Dauer seyn, und als die wahre Lage, in der sich die

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rußische Armee befand, bekannt wurde, verwandelte sich die Freude in eine allgemeine Bestürzung. Bis zum 12ten September hatten außer dem Adel nur Wenige die Stadt verlassen. Als aber an diesem Tag die Einwohner die Gewißheit erhielten, daß sich Kutusow, von den Franzosen verfolgt, der Stadt nähere; und da nun auch über die Absichten Rostopschin's kein Zweifel mehr blieb, so beeilten sich die ärmsten ihre Heimath zu verlassen, was, wie mir Rußen später erzählt haben, ein jammervoller Anblick gewesen seyn soll. Wenige Ausländer und einige Tausende des niedrigsten Pöbels blieben allein zurück. Rostopschin ließ alle Löschgeräthschaften wegführen und gab zwei tausend Verbrechern unter der Bedingung die Freiheit, die Stadt, nach dem Einrücken der Franzosen, an allen Ecken anzuzünden. Er selbst verließ dieselbe am 14ten Morgens.

Als die französische Armee die Anhöhen vor der Stadt erreichte, schien eine zahlreiche Cavalerie deren Eingang streitig machen zu wollen. Miloradowitsch schickte jedoch einen Parlementair mit dem Anerbieten eines

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Waffenstillstandes, unter dem Vorwand Moskau zu schonen. Der eigentliche Zweck war aber Zeit zu gewinnen, um die vielen in der Stadt zurückgebliebenen Nachzügler und einen Park zu retten. Mürat nahm den Vorschlag sogleich an, und folgte ruhig der rußischen Arrieregarde, welche sich langsam durch die Stadt zog. Gegen Abend lagerte er mit der Avantgarde an der Straße von Wladimir. Die Garde besetzte den Kremlin, in welchen der Kaiser am 15ten Morgens einzog. Die übrigen Armee-Corps blieben in ihren Stellungen hinter und seitwärts der Stadt. Jedermann war erstaunt, dieselbe verlassen zu finden, am meisten aber der Kaiser, welcher mit einemmal alle seine Hoffnungen schwinden sah, die er auf die Einnahme Moskau's gebaut hatte.

Am 14ten in der Nacht brach an mehreren Orten Feuer aus, was man dem Zufall zuschrieb. Dasselbe vermehrte sich aber bald mit einer Erstaunen erregenden Schnelligkeit, und es blieb kein Zweifel mehr über den wahren Grund seiner Entstehung. Napoleon befahl zahlreiche Patrouillen auszusenden und alle Brandstifter auf der Stelle zu erschießen;

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dieselben hatten aber die Ortskenntniß für sich, weshalb nur wenige den Patrouillen in die Hände fielen und die Maßregel ohne Wirkung blieb. In der Nacht vom 15ten machte das Feuer bedeutende Fortschritte, und als sich am 16ten ein starker Wind erhob, wurde dasselbe fast allgemein. Moskau glich einem großen durch den Wind bewegten Feuermeer. –

Napoleon hatte am 14ten die strengsten Maßregeln ergriffen, um zu verhindern, daß die ausgehungerte Armee Moskau plündere; dem ohngeachtet hatten sich einzelne Soldaten in die Stadt geschlichen, in der Absicht Lebensmittel zu suchen, was bei der Abwesenheit der meisten Einwohner ziemlich ungestört geschehen konnte. Nachdem es aber bekannt wurde, daß die Rußen die Stadt planmäßig abbrannten, und der Soldat den verheißenen Überfluß untergehen sah, kannte er keine Grenzen mehr. Die Plünderung und die Feuersbrunst hielten gleichen Schritt. Generale, Offiziere und Soldaten, durch die Noth getrieben, irrten in der verlassenen Stadt umher, um den Flammen die Beute streitig zu machen.

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Sie brachen in die Keller, berauschten sich durch gierigen Trunk und kamen dann hervor, um jede Abscheulichkeit zu verüben und sich viehischen Lüsten hinzugeben. Die Wohnungen wurden erbrochen und jeder Winkel, jedes Behältniß durchsucht; Kirchen, ja selbst die Grüfte der Toden blieben nicht verschont. An den wenigen zurückgebliebenen Einwohnern wurden ungeheuere Frevel verübt. Die Straßen waren bedeckt mit Dingen aller Art, welche die Plünderer weggeworfen hatten, um neuer reicherer Beute zuzueilen. In den Lagern wurde mit den geraubten Sachen ein ordentlicher Markt gehalten und Jeder hatte das Bestreben sich zu bereichern. Wer Geld hatte, kaufte begierig eine Menge Kostbarkeiten, nicht bedenkend, wie unwahrscheinlich es war, dieselben in Sicherheit zu bringen. Nur Wenige beurtheilten die Lage der Armee richtig und ließen sich nicht zu dieser eiteln Gewinnsucht hinreißen.

Das schrecklichste Schauspiel gewährten die rußischen Spitäler, in denen die schwer Verwundeten zurückgeblieben waren. So wie die Flammen die Gebäude ergriffen,

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sah man sie, Töne der Verzweiflung ausstoßend, sich die Treppen herunterschleppen, oder zu den Fenstern herunterstürzen. Die wenigen denen es gelang, sich vor dem Feuer zu retten, erlagen dem Hunger und Elend. Mehr als 10000 Verwundete fanden auf diese schreckliche Weise den Tod.

Mitten unter diesen namenlosen Gräueln und Schreckensscenen verließ Napoleon, am 16ten Abends, den Kremlin und gelangte, nicht ohne Gefahr von dem Feuer abgeschnitten zu werden, in das, eine halbe Stunde von der Stadt entfernte Kaiserliche Schloß Peterskoy, wo er sein Hauptquartier nahm.

In der Nacht vom 16ten erhielten die Armee-Corps Befehl, Abtheilungen in die Stadt zu schicken, um sich der noch unversehrten Vorräthe für ihren Unterhalt zu versichern. Von dort an wurde die Plünderung besonnener und methodischer betrieben und weniger gräuelvoll als am ersten Tag. –

Die Feuersbrunst dauerte vom 16ten bis 18ten mit gleicher Heftigkeit; sie verminderte sich am 19ten und erlosch den 20ten, als es ihr nach und nach an Stoff fehlte und ein starker

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Regen herabstürzte. Der Kremlin, geschützt durch seine hohen Mauern, war unversehrt geblieben; ebenso ein Theil der von den fremden Kaufleuten bewohnten Häuser, gleich wie mehrere Vorstädte. Neun zehntheil der Stadt und mehr als die Hälfte der Kirchen waren aber ein Raub der Flammen geworden. In dem abgebrannten Theil standen nur noch die Mauern der steinernen Gebäude mit ihren Rauchfängen, welche von weitem wie hohe isolirte Säulen aussahen.

Napoleon kehrte am 20ten in den Kremlin zurück. Er ernannte den Marschall Mortier zum Gouverneur von Moskau, und es wurde eine gewiße Art von Ordnung hergestellt, d.h. alle unversehrt gebliebenen Häuser wurden besetzt, Spitäler eingerichtet, dagegen aber den in und um Moskau stehenden Truppen erlaubt, Abtheilungen zur Aufsuchung von Lebensmitteln in die Ruinen der Stadt zu schicken, wo man in den Gewölben und Kellern manches Nützliche fand, was mit den in den Gärten befindlichen Gemüßen, einen gewißen Grad von Überfluß herbeiführte. Man fand auch Leder und Tuch, so daß die sehr abgenutzte

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Kleidung nothdürtig hergestellt werden konnte.

Die unsichtbare Hand, welche in diesen Verhängnißen waltete, wurde durch nichts deutlicher, als daß gerade die unvollkommene Art wie der große - allerdings nur in diesem Land, wo der Adel über Sclaven herrscht, ausführbare - Gedanke der Zerstörung Moskau's in Erfüllung ging, zum gänzlichen Verderben Napoleon's und seines Heeres ausschlagen mußte. Wäre die Zerstörung vollständig gewesen, so hätte dasselbe nicht in Moskau verweilen, sich aber vor dem Eintritt der schlechten Jahreszeit auf der südlich über Kaluga führenden Straße, wo Überfluß an allen Lebensbedürfnißen war, nach Smolensk zurückziehen können; so aber hoffte Napoleon, von einem Tag zum andern, einen Friedensschluß zu Stand zu bringen, und verweilte so lang, bis uns der Winter nach den ersten paar Märschen, mit all seinen Schrecknißen auf der nemlichen Straße überfiel, die schon auf dem Hinmarsch verheert worden war.

Hieraus geht hervor, daß es überhaupt zweifelhaft bleibt, ob die Zerstörung Moskau's den Untergang der

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französischen Armee herbeigeführt hat. Wäre die Stadt blos von den Einwohnern verlassen und nicht abgebrannt worden, so hätte die französische Armee viel mehr Hülfsquellen gefunden und Napoleon wäre vielleicht auf den Gedanken gerathen, noch länger, wohl gar den Winter über daselbst zu bleiben; hierzu hätten aber die Mittel nicht ausgereicht, die rußische Armee würde sich immer mehr verstärkt haben und am Ende ein Rückzug ganz unmöglich geworden seyn, denn schon um die Zeit des Einzuges in Moskau fingen die rußischen Streitkräfte im Rücken der Armee an, ein Übergewicht über die daselbst zurückgelassenen Armee-Corps zu gewinnen.

Die Meinungen, ob Moskau in der That durch der Rußen eigne Hand angezündet worden sey, waren früher sehr getheilt, besonders da man aus Politik der rußischen Nation öffentlich kund that, die Franzosen hätten aus Haß die Frevelthat verübt. Kein vernünftiger Mensch wird jedoch bei ruhiger Überlegung glauben, daß Napoleon sich absichtlich der Früchte so vieler Opfer und Anstrengungen

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beraubt haben würde. – Wenn noch irgend ein Zweifel darüber obwalten könnte, daß Rostopschin Moskau auf eigne Verantwortung und ohne Vorwissen der Regierung hat anstecken lassen, so würde er durch die Thatsache beseitigt werden, daß er lange Zeit in Ungnade im Ausland lebte, als Folge einer Eigenmächtigkeit, deren nützliche Folgen ein Autokrat von Rußland wohl ausbeutet, die er aber selten vergibt. –

Seit der Einnahme von Moskau war wegen der Verlegenheiten die durch die Zerstörung der Stadt entstanden, und weil man im Zweifel blieb, in welcher Richtung sich die Rußen zurückgezogen hatten, ein Stillstand in den militairischen Operationen eingetreten. Am 20ten stand Mürat mit seiner Cavalerie und dem Corps von Poniatoffsky einen Tagemarsch weit auf der Straße nach Riazanow, in welcher Richtung man die rußische Armee vermuthete. Die übrigen Armee-Corps hatten in den Vorstädten und nahe gelegenen Dörfern so gut wie möglich eine Unterkunft gesucht. Die Garden waren mit dem Kaiser in den Kremlin zurückgekehrt, und hatten sich in dessen Umgebung eingerichtet.

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Während Kutusow sich auf der Straße nach Riazanow zurückzog, hatte er Cavalerie-Abtheilungen auf den Straßen nach Petersburg, Yaroslaw, Wladimir, Tula und Kaluga entsendet, mit dem Auftrag, die französische Armee stets zu beunruhigen und sie dadurch in Zweifel über die von ihm genommene Richtung zu setzen. Am 16ten überschritt er die Moskwa unweit der Einmündung des Flüßchens Pakhra, und wendete sich in einem Winkel rechts, um, durch dieses Flüßchen gedeckt, Krasnaïa Pakhra, auf der alten Straße nach Kaluga gelegen, zu gewinnen. Die entsendeten Cavalerie-Abtheilungen erfüllten ihre Aufgabe so gut, daß der Kaiser sich genöthigt sah, zur Sicherung der Verbindung auf der Operationslinie, mobile Colonnen auf der Straße nach Mojaisk aufzustellen, und daß Mürat erst am 25ten sichere Kunde von der Stellung der rußischen Armee erhielt. Den 28ten zog sich Kutusow zurück und überschritt am 4ten October, in Folge eines heftigen Gefechtes, die Nara, hinter welchem Flüßchen er eine im voraus verschanzte Stellung bezog, das Dorf Tarutino vor der Front. Mürat nahm

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sein Hauptquartier in Winkowo. Die Stellung der Rußen war gut gewählt: sie deckte die reichen mittäglichen Provinzen und bedrohte zugleich, als Flankenstellung, die Straße nach Smolensk, die einzige Verbindungslinie der französischen Armee mit ihren Reserven. Durch den Rückzug der Rußen bekam Napoleon mehr Luft; er verlegte deshalb auch seine Truppen in einen weitern Umkreis um Moskau und befahl, daß sie sich auf sechs Monate mit Lebensmitteln versehen sollten. Französische, in Moskau zurückgebliebene Comödianten mußten im Kremlin spielen und nach allem zu urtheilen, schien er sich für den Winter einrichten zu wollen.

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In dem Schlößchen Selosplensky[39], welches meine Freunde und ich in der Nähe von Borodino zu unserm Aufenthalte gewählt hatten, blieben wir ungefähr acht Tage. Gegen den 20ten kam ein französischer Offizier zu uns und erzählte, daß die Rußen Moskau angezündet hätten, was uns so unwahrscheinlich vorkam, daß wir es gar nicht glauben wollten.

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Ich hatte meine Kräfte wieder so weit erlangt, daß ich reisen konnte, wir machten uns daher auf den 30 Stunden weiten Weg nach Moskau, der uns das bekannte Bild trauriger Verwüstungen zeigte. Ungefähr sieben Stunden von Moskau kamen wir an einen Edelhof, in welchem eine Abtheilung Garde-Dragoner stand, von der wir erfuhren, daß die Straße sehr unsicher sey und Kosaken einige Tage zuvor eine Fuhrwesensabtheilung überfallen und alles was nicht fortzubringen gewesen wäre, zernichtet hätten. Wir entschlossen uns deshalb, die Nacht in einem Nebengebäude des Schloßes zuzubringen. Am andern Morgen, als wir eben unser frugales Frühstück verzehrten, gab es Lärm, Schüße fielen und Dragoner, von Kosaken verfolgt, sprengten in den Hof. Wir eilten uns in Vertheidigungsstand zu setzen, die Kosaken jagten jedoch auf der andern Seite des Hofes wieder hinaus und verschwanden. Am 26ten September trafen wir, ohne weiter beunruhigt zu werden, in Moskau ein, wo wir die durch den französischen Offizier uns gegebene Nachricht leider bestätigt fanden.

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Sattler und ich nahmen in der ersten auf unserm Wege gelegenen Vorstadt Besitz von einem Palast des Fürsten Galezyn Apraxin. Derselbe war zwar abgebrannt, ein Theil der untern gewölbten Räume aber unversehrt geblieben. Von außen sah das Gebäude ganz zerstört aus und Schutthaufen erschwerten den Eingang, was jedoch den Vortheil gewährte, daß wir in unsern Gewölben nicht belästigt wurden, welche durch das Abbrennen der obern Stockwerke angenehm erwärmt worden waren. Auch ein Hintergebäude hatte das Feuer verschont, in welchem wir Instrumente zu einem vollständigen Orchester fanden. Nach den Ruinen zu schließen, mußte der Palast äußerst prachtvoll gewesen seyn. Er hatte dem Marschall Lefevre zur Wohnung dienen sollen, wie der mit Kreide an der äußern Mauer angeschriebene Name anzeigte. Wir machten aus unserm Schlupfwinkel täglich Excursionen, in der Absicht uns mit Lebensmitteln zu versehen und Nachricht von unserer Division einzuziehen. Diese war nach dem Brand durch die Stadt marschirt und in einem

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nahe gelegenen Dorfe untergebracht worden. Einige Tage nach unserer Ankunft in Moskau, wurde ihr ein Theil der vom Feuer verschont gebliebenen deutschen Vorstadt angewiesen, wohin wir uns denn auch begaben.

Unter den wenigen zurückgebliebenen Einwohnern zeichnete sich ein lutherischer Geistlicher als gebildeter Mann aus, der uns in mancher Beziehung nützliche Dienste leistete. Kaffe, Wein und Gemüße hatten wir im Überfluß, sogar Kartoffeln, ein wenigstens damals in Rußland seltenes Gewächs; dagegen wurde der Mangel an Fleisch fühlbar und die Fourage mußte auf drei bis vier Stunden weit geholt werden, wobei oft Scharmützel mit Kosaken und bewaffneten Bauern vorfielen. In dem nahe bei Moskau gelegenen Wildpark schoßen wir uns hin und wieder einen Braten.

Ein widriger durchdringender Brandgeruch lagerte über Moskau; tausende von Krähen erfüllten die Luft mit ihrem abscheulichen Geschrei und man konnte stundenlange Strecken in der Stadt zurücklegen, ohne auf etwas

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anderes als Aschenhaufen, Schutt und todte Menschen zu stoßen. Solches hinderte mich aber nicht, öfters in diesem Feld der schrecklichsten Verwüstung*)[40] umherzuwandern, theils um die Merkwürdigkeiten, welche das Feuer verschont hatte, zu besichtigen, theils um mich für den Winter mit Kleidung und Pelz zu versehen.

Aus den Magazinen war zwar das Beste genommen, dagegen hatte aber die Kaiserliche Garde in und vor dem Kremlin einen Markt von erbeuteten Sachen eröffnet, wo man für Geld allerlei Brauchbares haben konnte, was ich benutzte, um meine abgerissene Kleidung nothdürftig zu ergänzen.

Nach einiger Zeit bekam ich die Gelbsucht, ein sehr unangenehmes damals ziemlich allgemeines Übel, welches mich verhinderte der Division am 6ten October nach Kupowinka zu folgen, einem großen 12 Stunden von Moskau auf der Straße nach Wladimir gelegenen Dorfe. Hier waren alle Einwohner geblieben und es wurde der strengste Befehl

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gegeben, sie gut zu behandeln und zu vermögen, unter sicherer Bedeckung Lebensmittel auf den Markt nach Moskau zu bringen, eine Maßregel welche wenig Erfolg hatte.

Die Bauernhäuser in der Umgegend von Moskau waren den Schweizerhäusern ähnlich, viel besser construirt als die welche wir bis dahin gesehen hatten und mit Glasfenstern, Stubenböden und Öfen versehen, auch ziemlich reinlich. Die Bauern trugen Kittel von Schafpelzen und Pelzmützen. Die Füße hatten sie mit wollnen Lappen bis über die Waden herauf umwickelt und bedienten sich, anstatt der Schuhe, eines selbst verfertigten Geflechtes von Baumrinde und Bast. Die Sommertracht bestand in leinenen Beinkleidern, über welche das Hemd herunter hing und in der Mitte des Körpers mit einem Gürtel befestigt war.

Das männliche Geschlecht konnte beinahe durchgängig schön und kräftig genannt werden; unter dem weiblichen Geschlecht dagegen, sah man wenig hübsche Gesichter.

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Die französische Armee lebte in den rauchenden Trümmern

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Moskau's in mancher Beziehung im Überfluß; an Fleisch und Fourage mangelte es aber täglich mehr. Besonders fühlbar war dieses bei den entsendeten Heeresabtheilungen, namentlich der den Rußen gegenüber stehenden Avantgarde. Der Unterhalt für Menschen und Pferde mußte in weit ausgedehnten Fouragirungen von den bewaffneten Bauern in täglich vorfallenden kleinen Gefechten erkämpft werden, wodurch der Haß und die Rachgier der Nation immer mehr angefacht, das französische Heer aber erschöpft und geschwächt wurde, während die mit allem reichlich versehene rußische Armee sich ausruhte und durch eintreffende Verstärkungen ihre Lücken ausfüllte. Klüglich ließ jedoch der schlaue Kutusow die Franzosen durch die ungünstigsten Nachrichten über den Zustand seiner Armee täuschen, um den Kaiser zu einem längern Verweilen in Moskau zu verleiten und uns, durch das Klima unterstützt, einem desto sicherern Untergange entgegen zu führen.

Es konnte indessen dem Kaiser nicht entgehen, daß der Enthusiasmus für die Rettung des Vaterlandes in den

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Herzen der Rußen von allen Ständen in immer höhern Flammen empor loderte; daß die Geistlichkeit den Haß des Volkes zur heißen Glut anblies und daß der Kampf immer mehr die grauenvolle Gestalt des wüthendsten Religionskrieges gewann. – Rußische Parteigänger umschwärmten das Heer von allen Seiten und beunruhigten seine Verbindungen auf eine sehr fühlbare Weise. Selbst die ganz nahe an Moskau liegenden Truppen waren vor ihren Streifereien nicht sicher. – Napoleon schien endlich das Gefahrvolle seiner Lage einzusehen; da er sich nun auch in seiner Erwartung getäuscht sah, daß ihm die Rußen Friedensvorschläge machen würden, so gewann er es über sich, seinen Adjutanten, den General Lauriston, am 4ten October an Kutusow zu schicken, mit dem Auftrag, einen Waffenstillstand anzubieten und Friedensunterhandlungen anzuknüpfen. Der alte Marschall empfing Lauriston zwar artig, verweigerte aber sowohl den Waffenstillstand, als die gewünschte Erlaubniß zur weitern Reise nach Petersburg, wogegen er es übernahm, seinen Kaiser von

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den gemachten Eröffnungen in Kenntniß zu setzen. – Napoleon ließ sich durch die Hoffnung, daß diese nicht ohne Erfolg bleiben würden, verleiten noch länger in Moskau zu verweilen; als aber am 13ten noch immer keine Antwort eingetroffen war, schickte er Lauriston noch einmal an Kutusow und beschloß zugleich den Rückzug. Die Armee wurde in Moskau und der Umgegend conzentrirt. Am 16ten kam Lauriston zurück. Die Nachrichten welche er brachte, mochten den Kaiser endlich über die wahren Absichten der Rußen die Augen geöffnet haben, denn der Abmarsch wurde auf den 19ten festgesetzt.

Den 18ten hielt der Kaiser im Kremlin Revue über das 3te Armee-Corps. Er ernannte den Generallieutenant von Scheler zum Grafen des französischen Reiches, mit einer Dotation von 20000 Franken jährlicher Revenue und zum Commandanten der Ehrenlegion, verlieh auch an mehrere Offiziere Orden. Unter anderem erkundigte er sich, wie viele Jäger noch da wären, welche der Schlacht von Eckmühl im Jahr 1809 angewohnt hätten, in der sich dieses Corps bekanntlich

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ausgezeichnet hatte. Es waren ihrer noch drei. – Niemand verstand es so wie er durch Fragen, Belobungen und Belohnungen die Herzen der Soldaten zu gewinnen und sie in den schwierigsten Lagen zur Begeisterung zu steigern.

Am 18ten October griffen die Rußen den König von Neapel an und vertrieben ihn mit bedeutendem Verlust aus seiner Stellung, der zu einer vollständigen Niederlage hätte gebracht werden können, wenn die ganze Armee zur Verwendung gekommen wäre. Man hat behauptet, daß Kutusow den General Benningsen, welcher den Angriff leitete, absichtlich nicht hinlänglich unterstützt habe. –

Auch im Rücken der Armee gestalteten sich die Verhältniße immer ungünstiger und machten einen schnellen Aufbruch dringend nöthig. Der Kaiser von Rußland, von dem traurigen Zustand der französischen Armee unterrichtet, hatte beschloßen, keinen Frieden anzunehmen, weil er voraussah, daß dieselbe noch vor dem Eintritt des Winters genöthigt seyn würde, den Rückzug anzutreten. Wittgenstein, Steinheil und Tschitschakow

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wurden angewiesen, sich im Rücken der französischen Armee zu vereinigen und ihr den Weg über die Berezina und Ula zu sperren.

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Abschnitt VII.

Übersicht der Begebenheiten bei den im Rücken der Armee stehen gebliebenen Corps bis zu Ende Oktober. Abmarsch von Moskau. Gefecht bei Malo-Jaroslawets. Napoleon beschließt über Wiazma nach Smolensk zu marschiren.
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In dem 3ten Abschnitt ist erwähnt worden, daß in Wolhinien der Fürst Schwarzenberg gegen Tormasow stehen geblieben war; daß der Marschall Oudinot bei Polotsk die Ufer der Düna gegen Wittgenstein schützen sollte und daß der Marschall Macdonald den Auftrag erhalten hatte, Riga zu erobern.

Der König von Westphalen hatte die Sachsen unter Reynier gegen Tormasow stehen gelassen und Schwarzenberg war von Napoleon befehligt worden, zu der großen Armee zu stoßen; auf die Nachricht, daß die Sachsen am 27ten July geschlagen worden seyen, kehrte er jedoch um und eilte Reynier zu Hülfe. Am 3ten August vereinigten sich beide Corps bei

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Slonim. Napoleon übertrug an Schwarzenberg den Oberbefehl, welcher hierauf die Rußen in mehreren Gefechten schlug und sie nöthigte, am 7ten September über den Styr zurückzugehen. Schwarzenberg blieb am linken Ufer dieses Flußes stehen und gab den fernern Angriffskrieg auf, weil Admiral Tschitschagof mit der, durch den Friedensschluß mit den Türken verfügbar gewordenen, Moldau-Armee im Anmarsch war. In der Mitte September vereinigten sich beide rußische Armeen und erlangten dadurch eine Stärke von 60,000 Mann, welchen Schwarzenberg kaum 36,000 entgegen stellen konnte, was dann auch zur Folge hatte, daß er sich, mehr auf seine Erhaltung als auf die Deckung der französischen Rückzugslinie bedacht, nach mehreren Gefechten, in den ersten Tagen vom Oktober hinter den Bug zurückzog, wo er sich mit abwechselndem Glück behauptete.

Zugleich mit der längst erwarteten Kunde von der Räumung Moskau's, erhielt Tschitschagof Befehl, den kleinern Theil seines Heeres gegen Schwarzenberg stehen zu lassen, mit dem größern Theile aber über Minsk nach

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der Berezina vorzurücken, um dem von Moskau kommenden Feinde den Rückzug über den Fluß zu versperren. Dem zu Folge beauftragte er Ende October den General von Sacken mit 25000 Mann Schwarzenberg im Schach zu halten und brach mit 35000 Mann nach Minsk auf.

Mit Oudinot hatten sich die Baiern vereinigt, dessen Streitkräfte dadurch auf 50000 Mann anwuchsen. Ihm hatte Wittgenstein anfänglich nur 24000 Mann entgegen zu stellen. An den Tagen vom 30ten July bis 1ten August bestand ein Theil des Oudinotschen Corps Gefechte bei Jakubowo und an der Drissa. In den beiden ersten waren die Rußen, in dem letzten aber die Franzosen Sieger. Am 16ten August hatte Oudinot sein noch 40000 Mann starkes Corps bei Polotsk versammelt. Wittgenstein griff dasselbe mit 30000 Mann an, wurde aber zurückgewiesen. Der verwundete Oudinot übergab den Oberbefehl an den General Gouvion St. Cyr, welcher die Rußen am 18ten schlug und dafür zum Marschall ernannt wurde. Den September über kam hier nichts

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Wichtiges mehr vor. – Zu Anfang October erhielt Wittgenstein Verstärkungen, welche seine Armee auf 40000 Mann brachten, während ihm St: Cyr nur 30000 Krieger entgegen stellen konnte, welche durch Mangel und Entbehrungen aller Art sehr entkräftet waren. Am 18ten October griff Wittgenstein das verschanzte Polotsk an, wurde aber zurückgeschlagen. In der Nacht vom 19ten auf den 20ten räumten die Franzosen die in Flammen gerathene Stadt, gingen über die Düna und zerstörten die Brücke. Ein erst vor Kurzem aus Finnland eingetroffenes, von Riga auf dem linken Dünaufer anrückendes Corps unter dem General Steinheil, hatte, 10000 Mann stark, diesen Angriff unterstützt, war aber von Wrede mit bedeutenem Verlust geworfen und dadurch der Rückzug der Franzosen gesichert worden.

St: Cyr nahm seine Richtung nach Lepel, um sich dem 9ten Armee-Corps unter Victor zu nähern. Dieser war am 1ten September mit 25000 Mann bei Kowno über den Niemen gegangen und am 14ten in Minsk

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angekommen. Er hatte den Befehl, nach Smolensk zu ziehen und einestheils dem Hauptcorps als Reserve zu dienen, anderentheils St: Cyr zu unterstützen. Sein Anmarsch zog den General Dombrowsky, welcher gegen Bobruysk und den General Hertel stehen geblieben war, aus großer Verlegenheit, indem sich derselbe vor dem überlegen gewordenen Feinde bereits bis Swislocz an der Berezina hatte zurückziehen müßen.

Am 30ten vereinigte sich St: Cyr in Czacznicky an der Ula mit Victor, worauf dieser den Oberbefehl übernahm. Die Baiern waren nach Danilowicze marschirt, um Wilna zu decken.

Wittgenstein hatte den Befehl erhalten zu dem großen Plane: die französische Armee an der Berezina einzuschließen, mitzuwirken, und ließ daher die Baiern blos beobachten, während er sich mit seiner Hauptmacht gegen Victor wendete.

Marschall Macdonald hatte zu Anfang August Dünaburg besetzt und ließ die Festungswerke schleifen;

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die übrigen Truppen beobachteten Riga, die Ankunft des Belagerungsgeschützes erwartend. Bis zu der Mitte September waren daselbst nur unbedeutende Gefechte vorgefallen, weil Macdonald Riga nicht einschließen konnte, so lange Wittgenstein noch in der Nähe der Düna stand. Ende September erhielten die Rußen Verstärkung und machten einen Versuch, den inzwischen angekommenen Belagerungspark wegzunehmen; sie wurden aber von den Preußen mit großem Verlust zurückgeschlagen und genöthigt nach Riga zurückzukehren. Macdonald verlegte hierauf sein Hauptquartier nach Mitau und beschränkte sich darauf Kurland zu behaupten.

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Auf die Nachricht, daß Mürat am 18ten October geschlagen worden sey, brach Napoleon am 19ten mit der ganzen Armee gegen Kaluga auf. Nur Mortier blieb mit der jungen Garde und 4000 unberittenen Cavaleristen in Moskau zurück. Er erhielt den Befehl den Kremlin zu besetzen und den Einwohnern in einer Proklamation kund

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zu thun, daß die Armee nach Kaluga und Tula marschire, um sich dieser Städte zu bemächtigen und daß Moskau nicht verlassen werde. Mittlerweile waren aber die transportabeln Kranken und Verwundeten über Mojaisk nach Smolensk zurückgeschickt und nur was nicht fortgeschafft werden konnte, in dem großen Findelhause untergebracht worden. Auch die sogenannten Trophäen hatte man unter starker Bedeckung auf der Straße nach Mojaisk zurückgehen lassen. Diese Trophäen bestanden in merkwürdigen Gegenständen, welche, im Kremlin und in verschiedenen Kirchen geraubt, bestimmt waren, in Paris als Siegeszeichen aufgestellt zu werden. Unter ihnen befand sich das große mit vieler Mühe herabgenommene Kreutz der heiligen Iwans-Kirche, welches die Kuppel des Pariser Invaliedenhauses zieren sollte. –

Aber schon am 20ten erhielt Mortier den Befehl den Kremlin zu miniren und im Augenblick des, für den 23ten angeordneten, Abzuges, in die Luft zu sprengen.

Die Stärke der ganzen Armee wird bei dem

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Abmarsche von Moskau auf 104000 Mann angegeben,*)[41] unter denen nicht weiter als 15000 schlecht berittene Cavaleristen begriffen waren. Ungefähr 600 mit ermatteten Pferden, nothdürftig bespannte Geschütze

und unermeßliche Züge von Wagen, Karren, Kibitken und Droschken erschwerten den Marsch der Armee. In jedem unbedeutendem Defile verursachten dieselben Stockungen und ermüdeten die Truppen unnöthigerweise. Vom General bis zu der Marketenderin herab wollte keiner seinen Raub im Stiche lassen und der strenge Befehl des Kaisers, das Gepäck zu vermindern, wurde auf alle Weise umgangen. Dazu kamen eine Menge in keinen Spitälern gewesene Kranke und Verwundete, welche sich über die wahre Lage der Dinge nicht täuschten und lieber ihren Regimentern folgen als in Moskau bleiben wollten. Auch schloßen sich viele der fremden Einwohner, welche die Stadt bei unserer Ankunft nicht verlassen hatten, der Armee an, aus Furcht

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von den zurückkehrenden Rußen mißhandelt zu werden. Dieser Zug gewährte einen höchst bizarren Anblick, der von dem Oberstlieutenant von Faber in seinen Blättern gut dargestellt worden ist.*)[42]

Napoleon hatte die Absicht die Rußen, von welchen Mürat nach dem Gefecht vom 18ten nicht verfolgt worden war, in ihrer Stellung bei Tarutino zu umgehen, indem er sich über Borowsk und Malo-Jaroslawets nach Kaluga wendete, und wollte suchen diese letztere Stadt vor ihnen zu erreichen, wodurch er eine neue durch fruchtbare nicht verwüstete Gegenden führende Rückzugslinie nach Smolensk erhalten haben würde. – Die Armee rückte dem zu Folge auf der alten Straße nach Kaluga vor, überschritt die Pakhra bei Gorki und wendete sich, nach der Vereinigung mit dem Corps unter Mürat, rechts nach Fominskoïe, um die neue Straße nach Kaluga zu gewinnen. Unser Armee-Corps bildete bei diesem Seitenmarsch die Nachhut und folgte nur langsam der Haupt-Armee,

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um den Feind möglichst lang in Ungewißheit über die Richtung des Marsches zu erhalten. Am 23ten erreichte das Gros der Armee Borowsk, die Vorhut des Vice-Königs von Italien aber Malo-Jaroslawets.

Kutusow, dessen Armee auf 110000 Mann angewachsen war, bei der sich eine zahlreiche Cavalerie befand, erfuhr erst am 23ten die wahre Richtung welche Napoleon eingeschlagen hatte, was ihn veranlaßte, sogleich aus seinem Lager bei Tarutino aufzubrechen. Seine Vorhut erreichte am 24ten in der Frühe Malo-Jaroslawets und griff die Stadt sofort an. Von beiden Seiten wurden immer mehr Truppen ins Gefecht gebracht, welches sich den ganzen Tag über in dem Städtchen bewegte. Die Franzosen blieben am Ende Herr in demselben und die Rußen zogen sich auf eine kurze Entfernung in der Richtung von Kaluga zurück. Das Gefecht war sehr hartnäckig gewesen und hatte einem jeden der streitenden Theile gegen 5000 Mann gekostet.

Am 25ten Morgens wurde die Escorte Napoleons, als sich derselbe nach Malo-Jaroslawets begeben wollte, durch einen

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großen Schwarm Kosaken unter dem Hettmann Platow überfallen und geworfen. Napoleon war in großer Gefahr gefangen zu werden, aus der ihn die herbeieilende Cavalerie der Garde rettete.

Der Kaiser fand die rußische Armee so stark und in so guter Verfassung, daß er, trotz des mühsam errungenen Sieges, den Gedanken aufgab, die Straße von Kaluga nach Smolensk zu gewinnen, was, dem Anschein nach, nicht möglich gewesen wäre, ohne eine Hauptschlacht zu liefern, deren Verlust den Untergang des ganzen Heeres hätte herbeiführen müßen. Es blieb also nur die Heerstraße über Mojaisk und Wiazma nach Smolensk einzuschlagen übrig, eine Strecke über 40 Meilen, auf der alles verwüstet war! – Hätte Napoleon gewußt, daß sich die Rußen unbegreiflicherweise auf der Straße nach Kaluga zurückzogen, was selbst von rußischen Schriftstellern*)[43] als ein großer Fehler bezeichnet wird, indem sie dadurch den Franzosen den Weg über Medyne nach

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Smolensk offen ließen, so wäre es noch Zeit gewesen den ursprünglichen Plan wenigstens theilweise auszuführen, so aber wurde am 26ten der schauderhafte Weg nach Mojaisk eingeschlagen. Am 29ten stand die ganze Armee auf der großen Straße zwischen Mojaisk und Gjatsk vereinigt.

Zu der würtembergischen Division waren den Tag vor ihrem Ausmarsche aus Moskau 1000 Genesene aus den rückliegenden Spitälern gestoßen, wodurch sie, alles zusammengenommen, wieder 2300 Mann stark wurde. Wir marschirten mit dem 9ten Armee-Corps, dem, wie bereits erwähnt, die Nachhut der Armee übertragen worden war, nach Rudnewo und erreichten am 25ten Borowsk. Am 26ten erfolgte ein Angriff von dem Corps des Generals von Winzingerode von der Seite von Moskau her, welcher jedoch abgewiesen wurde*)[44]. Es war indessen unverkennbar, daß sich die Kosaken, durch die auf der Straße zurückgelassenen Spuren unseres kläglichen Zustandes ermuthigt, weit dreister benahmen,

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als zu Anfang des Feldzuges. Bei dieser Gelegenheit that die würtembergische Artillerie ihren letzten Kanonenschuß in diesem Feldzuge.

Die Märsche gegen Kaluga und zurück nach Mojaisk waren auf den schlechten Seitenwegen sehr verderblich für die französische Armee gewesen. Das sehr schöne Wetter bei dem Abmarsch von Moskau änderte sich am 22ten in einen kalten feinen Regen, was die Wege sehr verschlimmerte und für die Artillerie große Verluste an Pferden herbeiführte. In Borowsk mußte der würtembergische Reserve-Park aufgelöst werden. Die Munitionswagen wurden zerstört und die Pferde an die Kanonen gespannt, und doch mußten schon am folgenden Tage zwei 12 Pfünder aus Mangel an Pferden zurückgelassen werden; so blieben auch schon hier Hunderte von Wagen stehen, über welche die Kosaken, gleich Raubvögeln, gierig herfielen.

Marschall Mortier hatte am 23ten October den Kremlin gesprengt, was ihm jedoch nur theilweise gelungen war, Moskau geräumt und den Weg nach Wereja eingeschlagen, wo er,

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ohne Verluste erlitten zu haben, zur Armee stieß.

Am 22ten war der rußische General Winzingerode in Moskau unvorsichtigerweise zu weit vorgedrungen und mit seinem Adjutanten gefangen worden. In Wereja[45] wurde er vor den Kaiser geführt, der ihn sehr hart anließ und einen Verräther schalt, indem er als Unterthan des Königs von Westphalen den Rußen nicht dienen dürfe. Winzingerode antwortete unerschrocken und eines deutschen Edelmannes würdig. Der Kaiser, sehr aufgebracht, befahl daß er nach Kassel transportirt und vor ein Kriegsgericht gestellt werden solle; ein glücklicher Zufall wollte jedoch daß er in einem Wald zwischen Minsk und Wilna von dem Streifcorps des Gerenals Czerniczef befreit wurde.

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Ich hatte mich, dem allgemeinen Beispiele folgend, in Moskau so gut als möglich für den vorauszusehenden Rückzug eingerichtet. Seit der Schlacht von Mojaisk war ich bei keiner Truppe eingetheilt und deshalb weniger gebunden. Ich besaß eine hübsche Droschke, auf der möglichst viele

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Lebensmittel aufgepackt worden waren, auch hatte ich mich auf dem Markt, den die Kaiserliche Garde vor dem Kremlin mit geraubten Gegenständen hielt, gerade nicht mit ordonanzmäßiger aber doch mit warmer Kleidung versehen; auf diese Weise hoffte ich, wenigstens für einige Zeit, gegen Mangel geschützt zu seyn. Aber schon nach wenigen Tagen konnten die kleinen Pferde die Droschke nicht mehr fortbringen; ich mußte sie stehen lassen und war auf zwei ermattete Pferde beschränkt. Von da an blieb ich bei den Überresten des 2ten combinirten Bataillons, bei welchem Freund Wildermuth fortwährend den Dienst als Adjutant versah. Jeder von uns nahm zwei Soldaten zu sich und der Corporal Rösch und seine Frau bildeten den Rest der kleinen Menage. Der Mann war unbedeutend, die Frau ein wahrer Dragoner, uns aber in der damaligen Lage von unendlichem Nutzen. In Garnison hatte sie stets Händel mit anderen Weibern, was ihr öfters Strafen zuzog, mit dem Beginn des Feldzuges traten aber ihre Lichtseiten hervor, indem sie, mit

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viel natürlichem Verstand und einem kräftigen gesunden Körper begabt, als Marketenderin unermüdlich für Offiziere und Soldaten sorgte. Ein männliches Seitenstück war der Bediente meines Freundes Wildermuth, der Soldat Geiger: roh und händelsüchtig hatte er schon oft den Stock fühlen müßen, in den Zeiten der Entbehrung war er aber für seine Compagnie ein wahrer Schatz gewesen, indem sie oft seiner Intelligenz die Herbeischaffung von Lebensmitteln verdankte. Bei seinem sehr rohen Charakter zeigte er doch eine treue Anhänglichkeit an meinen Freund und mich, von der ich später mehrere Beispiele anzuführen Gelegenheit finden werde.


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Abschnitt VIII.

[46]Marsch über Mojaisk nach Wiazma; Gefecht daselbst. Folgen, welche dieses Gefecht auf den Zustand der Armee hatte. Marsch nach Dorogobuy. Beginn des Winters. Schreckliche Einwirkung deßelben auf die Armee. Marsch nach Smolensk Meine Lage in diesem Zeitabschnitte.
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Napoleon fürchtete daß die russische Armee ihren Weg direct auf Smolensk, oder doch auf Wiazma einschlagen und ihm an dem einen oder dem andern dieser beiden Orte zuvorkommen möchte, weshalb er mit seiner Garde möglichst schnell vorausmarschirte und schon am 31ten Oktober Wiazma erreichte, während Davoust, der die Nachhut befehligte, noch bei Gridnewo, jenseits Gjatsk sich befand. Kutusow erfuhr den 27ten den Rückzug des französischen Heeres und beschloß sich direct nach Wiazma

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zu wenden. Wenn es ihm auch nicht gelang, dort früher einzutreffen, so war diese Bewegung doch geeignet, eine Beschleunigung des Rückzuges zu bewirken, was bei dem schlechten Zustand der französischen Armee jedenfalls unheilbringend für sie seyn mußte. Seine, aus 2 Corps Infanterie und 2 Corps Cavalerie bestehende Avant-garde befehligte der General Miloradowitsch.

Das 3te Armee-Corps traf am 1ten November in Wiazma ein und nahm rechts von der Stadt eine Stellung hinter dem Flüßchen gleichen Namens, in der es den 2ten verweilte, um das Eintreffen der Corps von Eugen, Poniatowsky und Davoust abzuwarten und alsdann, auf Befehl des Kaisers, die Nachhut der Armee zu übernehmen. Eugen und Poniatowsky hätten am 2ten in Wiazma eintreffen können, blieben jedoch in Fedorowskoïe, um den Marschall Davoust zu unterstützen. Dieser wurde am 3ten, bei dem Marsch durch genanntes Dorf, von Miloradowitsch angegriffen und stark gedrängt; seine Truppen kamen in Unordnung und wurden in große Verlegenheit

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gerathen seyn, wenn nicht Eugen zu ihrer Hülfe herbeigeeilt wäre.

Während sich diese Corps gegen Miloradowitsch schlugen, wurde die über den Bach Ulitza vorgeschobene Vorhut des 3ten Armee-Corps von der Cavalerie des Generals Ouwarof angegriffen, welchen Kutusow, der bereits bis Bykowo vorgerückt war, vorausgeschickt hatte, um bei seiner Avant-garde mitzuwirken. Die Angriffe dieser Cavalerie wurden jedoch von dem provisorischen 1ten Württembergischen Bataillon und dem Rest unserer Reiterei zurückgewiesen, die Stellung hinter der Ulitza behauptet und somit der Rückzug des 1ten, 4ten und 5ten Corps durch Wiazma gesichert, der unter stetem Kampfe mit den hart drängenden Russen Nachmittags erfolgte und bis in einen rückwärts liegenden großen Wald fortgesetzt wurde, worauf der Marschall Ney mit Einbruch der Nacht die Nachhut übernahm.

Es wird dem Kaiser Napoleon der Vorwurf gemacht*)[47]

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diesem Gefechte nicht persönlich angewohnt, oder doch einem der Marschälle die Leitung des Ganzen übertragen zu haben, indem dieselben nicht einig unter sich gewesen seyn sollen, wie solches meistens bei Abwesenheit des Kaisers der Fall war.

Der Verlust der Franzosen wird auf 6000 Mann angegeben, unter denen 2000 Gefangene, zum größern Theil Nachzügler. Unser Verlust war an und für sich sehr empfindlich, er wurde es aber durch die Folgen des Gefechtes noch weit mehr, indem dasselbe auf die Mannszucht der in einem hohen Grade erschöpften Soldaten die nachtheiligste Einwirkung ausübte.

Auf dem Marsch von Borowsk bis Mojaisk fehlte es nicht an Fourage und auch Lebensmittel fanden wir noch, wenn auch spärlich. Das Wetter war ziemlich schön, und begünstigte den Marsch, wogegen die Nächte anfingen empfindlich kalt zu werden. Mit dem Eintreffen auf der verheerten Hauptstraße wuchs aber das Elend in einem hohen Grade: die von Moskau mitgenommenen Vorräthe

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waren aufgezehrt und auf der Straße war alles verwüstet; um Lebensmittel zu finden, mußten Abtheilungen weit abseits der Straße entsendet werden, was die Mannschaft sehr ermüdete und fortwährend der Gefahr aussezte, von den Cosaken oder den bewaffneten Bauern gefangen zu werden, deren Haß durch die von dem Kaiser befohlene Maßregel: daß die Nachhut alle Ortschaften den Flammen preißgeben solle, noch mehr angefacht wurde. Zu der Regel kam die Nachhut auch so spät in der zu nehmenden Stellung an, daß eine Entsendung zum Aufsuchen von Lebensmitteln unmöglich wurde; wir waren daher bereits bei Gjatsk genöthigt, unsere Zuflucht zu dem Fleisch gestürzter Pferde zu nehmen, deren täglich Tausende an Hunger und Erschöpfung umkamen. Der Mangel an Transportmitteln vermehrte sich dadurch mit jedem Tage. Wer krank wurde, blieb in der Regel zurück und fiel dem Feinde in die Hände. Um sich zu erleichteren, warfen die maroden Soldaten Gepäck und Waffen weg. Täglich wuchs die Zahl dieser Unglücklichen,

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von denen die Meisten auf der Straße vor Elend umkamen oder gefangen wurden. Was von Pferden aufzubringen war, wurde an die Artillerie abgegeben und doch mußten, auf dieser Strecke schon Pulverwagen in die Luft gesprengt, ja selbst Kanonen stehen gelassen werden, welche man vernagelte, oder in Bäche, Sümpfe u.s.w. versenkte. Am 3ten November mußte das noch 57. Mann starke 4.te JägerRegiment zu Pferd, 40. seiner besten Pferde an die Artillerie abgeben und war von da an als aufgelöst zu betrachten.

Der Weg hatte uns über das Schlachtfeld von Mojaisk geführt. Die Toden, deren Verwesung durch die Kälte zurückgehalten worden war, bedeckten nach wie vor den Boden, auf dem man so verzweifelt gekämpft hatte. Dieser gräßliche Anblick machte aber wenig Eindruck auf uns; hart geworden durch vieles Leiden und fortwährendes Elend blieb nur das Gefühl der Selbsterhaltung, welches uns antrieb, in stumpfer Gleichgültigkeit vorwärts zu eilen.

In Mojaisk und dem Kloster Kolotskoï fanden wir

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noch viele Verwundete, von denen der größte Theil, aus Mangel an Transportmitteln, der sehr zweifelhaften Großmuth des Feindes überlassen werden mußte. Nicht besser ging es den Meisten von denen, welche mitgenommen wurden, denn sie unterlagen bald vor Hunger und Elend, oft auf die grausamste Weise von ihren eigenen Landsleuten verlassen, welche lieber die Beute Moskaus retten, als diesen Unglücklichen beistehen wollten. Das gräßlichste Loos war aber den russischen Gefangenen vorbehalten: Wer von ihnen aus Ermattung zurückblieb, wurde in der Regel von der Wache erschossen oder erschlagen. An eine Verpflegung der Unglücklichen war nicht zu denken, fand doch die Escorde kaum etwas zu leben. Man schleppte ihnen gewöhnlich in die Scheunen, in die sie Nachts eingesperrt wurden, einige gestürzte Pferde, von deren Fleisch sie kümmerlich ihr elendes Leben fristeten. Viele starben in diesen Nachtlagern und nicht selten fand man, daß die Wirkungen des Hungers die Ueberlebenden zu dem fürchterlichen Entschlusse getrieben hatte, ihre gestorbenen Cameraden anzunagen. –

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Den 4ten November sezte die Armee ihren Marsch fort. –

Die Nachhut lagerte bei Semlewo, nachdem sie fortwährend durch Schwärme von Cosaken beunruhigt worden war. –

Den 6ten kam das 3te Armee-Corps bis Dorogobuy.

In der Nacht vom 4ten auf den 5ten nahm die Kälte zu und in der vom 6ten auf den 7ten fing es so heftig an zu schneien, daß in kurzer Zeit die Erde mit schuhhohem Schnee bedeckt war. Das allgemeine Elend und, als Folge hiervon, die Auflösung der Armee vermehrte sich hierdurch in einem hohen Grade. Die Straße wurde bald so glatt wie ein Spiegel. Das unbedeutendste Defilee, die geringste Anhöhe verursachten den größten Aufenthalt. Die abgematteten nicht geschärften Pferde konnten nur mit unendlicher Anstrengung und Aufopferung der Mannschaft, Kanonen und Wagen fortbringen. Wenn schon in einem Engweg ein einziger umgeworfener Wagen für die Nachfolgenden einen Zeitverlust verursacht, wie viel mehr war es hier der Fall, wo die verlassenen Kanonen und Wagen zu Hunderten auf

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der Straße standen.

Als Nahrung auf diesem schrecklichen Marsch hatte man nur Pferdefleisch. Der Hunger war so groß, daß, wenn ein Pferd stürzte, die grausamen Menschen sich nicht die Mühe gaben, es zu tödten; gierig fielen sie über das noch lebende Thier her um sich der besten Stücke seines magern Fleisches zu bemächtigen. Oft kam es vor, daß ein armes Thier vor Schmerz die lezten Kräfte zusammenraffte, aufsprang, und noch eine Strecke weit mit zerfleischtem Körper fortrannte.

Die Straße war mit den in Moskau geraubten Gegenständen übersät, von denen nur Kleidungsstücke Werth hatten, auch bedeckte sich ein Jeder mit dem Ersten Besten, was ihm einigen Schutz vor der Kälte gewährte, woraus dann die wunderlichsten Aufzüge entstanden. Die Zahl der Nachzügler vermehrte sich stündlich und die Armee bestand größtentheils nur noch aus einer verwirrten Maße von Menschen aller Waffen und Nationen. Der Anblick der Straße war schrecklich; sie war bedeckt mit todten Menschen

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und Pferden, mit Unglücklichen, die sie kaum noch fortschleppen konnten und bald ein Opfer ihrer Wunden, des Hungers und Elendes werden sollten. Aus dem Trieb der Selbsterhaltung entsprang der höchste Grad von Selbstsucht und Härte. Soldaten beraubten ihre noch lebenden Kameraden der Kleidungsstücke. Die Stelle wo die Nacht gelagert worden war, glich am andern Morgen einem Schlachtfelde. Die todten Menschen und Pferde wurden oft wieder frisch überschneit und bildeten kleine Erhöhungen; die Armee schien von der Natur mit einem großen Leichentuche bedeckt worden zu seyn.

Oberstlieutenant von Faber hat in seinen Blättern diese schreckliche Lage darzustellen gesucht*)[48]. Seine Bilder sind zwar sehr getreu, können aber doch nur einen unvollkommenen Begriff von der Wirklichkeit geben. –

Von Dorogobuy aus hatte das 4.te Armee-Corps unter Eugen die Straße über Dukhowtchina nach Witebsk eingeschlagen,

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während der übrige Theil der Armee auf dem geraden Wege nach Smolensk blieb. Dem Hetmann Platow mit seinen Kosaken wurde die Verfolgung des 4.ten Corps übertragen, während Miloradowitsch am 7.ten das 3.te Corps bei Dorogobuy angriff und hart drängte. Am 8.ten verließ er die unwirthliche Straße um sich der russischen Haupt-Armee zu nähern und übertrug unsere Verfolgung einigen Regimentern leichter Reiterei, welche am 8.ten beim Ueberschreiten des Dniepers bei Solowiewo einen Angriff auf die Nachhut machten, bei dem sie jedoch nichts als stehengebliebene Kanonen und Wagen erbeuteten und einige Nachzügler zu Gefangenen machten.

Von den 30. württembergischen Kanonen wurden nur 12. über den Dnieper gebracht, die übrigen 18. hatte man bereits stehen lassen müssen. Die französische Artillerie war in einem noch schlimmern Zustande, denn im Allgemeinen verwendet der Deutsche mehr Sorgfalt auf die Erhaltung seiner Pferde. Zu der Ueberschreitung des Dniepers brauchte es einen ganzen Tag und erst am 13.ten

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trafen die elenden Reste des 3.ten Armee-Corps in Smolensk ein, woselbst das württembergische Hauptquartier bereits am 11.ten angekommen war.

Das 4.te Armee-Corps hatte unter vielen Beschwerden am 9.ten den Wop erreicht und mußte durch dieses Flüßchen waten, indem die geschlagene Brücke durch das Wasser zerstört worden war und Platow stark drängte. Am 10.ten erreichte dasselbe, im höchsten Grad erschöpft, Doukhowtchina, nachdem es den größten Theil seiner Artillerie, sein ganzes Gepäck und viele Gefangene verloren hatte. Der Vicekönig mußte am 11.ten seinen Truppen einen Rasttag gewähren und erreichte am 13.ten Smolensk. Den Weg nach Witebsk hatte er nicht fortsetzen können, weil inmittelst die Nachricht eingetroffen war, daß diese Stadt von einem Theil des Wittgensteinischen Corps besezt worden sey.

Kutusow hatte, nach dem Gefecht von Wiazma, die Hauptarmee den, parallel mit der großen Straße laufenden, Weg über Jelnia nach Krasnoy einschlagen lassen. Es ist ihm der Vorwurf gemacht worden, daß

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er seinen Marsch nicht mehr beschleunigt habe, um mit seiner ganzen Armee in Wiazma vor dem Feind einzutreffen und ihm eine entschiedene Niederlage beizubringen*)[49]. Dem alten Marschall[50] mochte aber diese Niederlage zu unsicher gewesen seyn, und er gedacht haben, daß wir auch ohne Schlacht durch Hunger und Kälte bald zu Grunde gehen würden. Uebrigens hätte auch seine Armee auf der verheerten Hauptstraße großen Mangel zu erleiden gehabt, wogegen der eingeschlagene Weg über Jelnia Subsistenzmittel aller Art darbot.

Gegen Jelnia war, von der in Smolensk befindlichen Division des Generals Baraguay-d’Hilliers, eine Brigade bis nach Liakhowo vorgeschoben worden, um die daselbst errichteten Magazine zu decken. Diese Brigade wurde am 9.ten von der Vorhut der rußischen Armee angegriffen und nach einem heftigen Widerstande gezwungen, die Waffen zu strecken.

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So vereinigte sich Alles, um uns die gehegte Hoffnung zu rauben, daß wir in Smolensk das Ende unserer Leiden finden würden, und es war nicht mehr zu bezweifeln, daß wir neuen Schrecknissen jeglicher Art entgegen gehen sollten.

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Es war mir gelungen, mich in diesem allgemeinen Elend möglichst gut durchzubringen. Von Gjatsk an hatte meine Nahrung meistens in Pferde- und Hunde-Fleisch bestanden. Gebrach es an Zeit zum Abkochen, so wurde ein Stück Pferdefleisch an die Spitze des Säbels gesteckt und über dem Feuer geröstet. Hatte ich dazu ein Stückchen vom schwärzesten Brod, welches nur selten mit Geld aufzubringen war, und ein wenig Salz, so glaubte ich ein köstliches Mahl gehalten zu haben. Auch ein Brei von Kleie mit Talg geschmalzt, war nicht zu verachten. Bei Wiazma, am 2.ten November verzehrten Wildermuth und ich den ersten Hund, dessen Fleisch uns weit schmackhafter dünkte, als das der Pferde. Was uns bei dieser schlechten Kost eigentlich erhielt, war Kaffe, den wir in größt möglichster Menge von Moskau mitgenommen

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hatten und als ein kostbares Gut bewahrten. Er war immer das Erste, was zum Feuer gestellt wurde.

Am Morgen des 7.ten Novembers trennte ich mich von Freund Wildermuth, der immer noch den Adjutantendienst bei dem 2.ten provisorischen Bataillon versah, um nach Smolensk vorauszugehen und, je nach den Umständen, Anordnungen zu unserm weiteren Fortkommen zu treffen, denn wir hatten beschlossen uns von dort an nicht mehr zu trennen, sondern gemeinsam zu ertragen, was uns das Schicksal bescheiden würde. Der treue Freund theilte beim Abschied ein Restchen getrocknete Feigen mit mir, die er seit Moskau für den ärgsten Hunger aufbewahrt hatte. Ich nahm zwei Soldaten und drei Pferde mit. Der Schnee fiel in dicken Flocken, so daß man nur auf kurze Entfernung vor sich sehen konnte. Trotz aller Anstrengung war es nicht möglich an diesem Tage den Dnieper zu erreichen, es blieb daher nichts übrig, als in dem großen Tannenwalde, in dem wir den ganzen Tag marschirt waren, einen möglichst guten Lagerplatz zu suchen.

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Für die Pferde hatten wir in einem Dorfe etwas Stroh gefunden, uns fehlte es aber an Allem, weshalb es nöthig wurde, eines der Pferde zu tödten, von dem wir dann die besten Stücke: Zunge und Fleisch aus den Keulen, verzehrten. Am 8.ten Morgens überschritten wir den Dnieper. Es war mir gelungen von einem französischen Offizier einen gut beleibten Hund zu erbeuten, indem ich unbemerkt den Strick abschnitt, an welchem er ihn führte. Dieser gestohlene Hund nun sollte uns zum leckern Mahle dienen, was wir jedoch ungestört verzehren wollten; da es nun unumgänglich nöthig war unseren, kaum noch fortzubringenden Pferden etwas Futter zu verschaffen, so wendeten wir uns gegen Abend links der Straße um ein Obdach zu suchen. Wir fanden auch, nachdem ich unterwegs Gelegenheit gehabt hatte, ein Stück sogenanntes Brod, d.h. auf einer Handmühle etwas geschrotete und dann zusammengebackene Roggenkörner, zu kaufen, ungefähr eine halbe Stunde seitwärts eine Scheune und in dieser herrliches Haberstroh für die Pferde. Die Hundekeule stand

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bereits am Feuer und mit Sehnsucht erwarteten wir, daß sie hinlänglich gekocht sey, da erschien eine Abtheilung Soldaten von der jungen Garde, die uns vom Feuer und aus der Scheune jagen wollten. Nur mit vieler Mühe gelang es meinen Vorstellungen, daß sie uns an unserem eigenen Feuer duldeten, und des Hungerdefleisches[51] nicht beraubten, was uns denn auch herrlich schmeckte.

Die Garden waren der ausschließliche Gegenstand aller Sorgfalt des Kaisers; sie allein erhielten die geringen Vorräthe von Lebensmitteln, die sich noch hin und wieder fanden, und durften auch die übrigen Truppen berauben, ohne daß die dagegen erhobenen Klagen von Erfolg gewesen wären. Sie waren daher auch bei der Armee verhaßt.

Am Morgen des 9.ten brachen wir nach Smolensk auf. Das Schlachtfeld von Valutina-Gora, welches wir zu überschreiten hatten, glich einem großen Kirchhofe, denn es war fortwährend mit den Trümmern der Schlacht und mit halbverwesten Leichnamen bedeckt, die unter dem Schnee kleine Hügel bildeten. Man hatte sich

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nicht einmal die Mühe gegeben, die Leichname aus dem Wege zu räumen, Fuhrwerke, Pferde, Alles war über sie weggegangen.

In der Vorstadt von Smolensk angekommen, stieß ich auf die Garde, welche im Begriff war über die Brücke zu marschiren. Ich hoffte, mich an diese Truppe anschließend, in die Stadt gelangen zu können, die Wache wies mich jedoch zurück, weil auf Befehl des Kaisers einem jedem einzelnen Militair der Eintritt in die Stadt verboten sey. Ich sah mich daher genöthigt, in den Trümmern der Vorstadt, welche wir drei Monate früher mit stürmender Hand eingenommen hatten, eine Unterkunft zu suchen. Kaum daß ich an einer Mauer Schutz vor dem schneidenden Nordwinde finden konnte. Nach und nach versammelten sich Einzelne um mein Feuerchen unter denen mehrere Württemberger. Der Rest meines Hundes diente uns und ein wenig mitgebrachtes Stroh meinen Pferden zur kärglichen Nahrung, mir mein, auf dem Schnee ausgebreitetes, Bärenfell zum Lager und ein abgetragener Mantel zur

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Bedeckung. Vor dem Einschlafen wurden die Zügel der Pferde um den Arm geschlungen, welche Vorsicht sehr nöthig war, wenn man sich nicht beraubt sehen wollte. Am andern Morgen lag der Schnee hoch auf mir, das Feuer war verloschen und um mich her eine öde Stille, denn Ermattung hatte Alle in den tiefsten Schlaf versenkt. Bald waren wir jedoch zum Aufbruche gerüstet und diesesmal gelang es uns durch das offene Thor einzutreten, indem die Wache vor der Kälte Schutz gesucht und den Eingang ohne Aufsicht gelassen hatte. Nach einigem Suchen fanden wir das württembergische Hospital, dessen Arzt Gärtner, bei dem 1.ten Infanterie-Regiment als Oberarzt stand. Wir erfreuten uns einer herzlichen Aufnahme, warmer Zimmer und einer, für die Verhältnisse herrlichen Kost, auch unsere Pferde konnten wir unterbringen, nur fehlte es sehr an Futter.

Bei dem Versuche am Tage zuvor in die Stadt zu gelangen, sprach ich mit einem der alten Schnurrbärte der Garde, welcher mir erzählte, daß in Paris ein

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Unternehmen, die Regierung des Kaisers zu stürtzen, statt gefunden habe, aber glücklicherweise mißlungen sey. Es war dieses das bekannte Unternehmen des Generals Malet, welches anfänglich einen unbegreiflich glücklichen Erfolg hatte, aber schnell unterdrückt wurde, indem es ein isolirtes Beginnen war, ohne die geringste Aussicht auf Erfolg. Bei der Armee machte diese Nachricht gar keinen Eindruck; ein Jeder war zu sehr durch seine Selbsterhaltung in Anspruch genommen, als daß er andern Gedanken hätte Raum geben können.

Freund Wildermuth hatte am 10.ten die Erlaubniß erhalten voraus zu gehen, indem die Mannschaft des provisorischen 2.ten Bataillons so zusammengeschmolzen war, daß einem Hauptmann das Commando übertragen wurde. Am 11.ten kam er in Begleitung zweier Soldaten, des Corporals Rösch und dessen Frau an das Thor, wurde aber auch nicht eingelassen, und mußte den größten Theil der Nacht an der Stadtmauer zubringen. Erst gegen Morgen gelang es ihm in die Stadt zu kommen. Ein Pochen am

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Fenster und die wohlbekannte Stimme meines Freundes, der Einlaß begehrte, weckte mich aus dem Schlafe. –

Große Freude hatten wir uns wieder zu sehen, denn in den wenigen Tagen der Trennung lagen so viele Gefahren, daß man wohl fürchten konnte, sich nicht wieder zu finden.

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Abschnitt IX.

Zustand der Armee bei ihrem Eintreffen in Smolensk. Nothwendigkeit den Rückzug fortzusetzen. Stärke und Marsch der rußischen Armee. Gefechte bei Krasnoy. Rückzug nach Orsza. Merkwürdiger Rückzug des Marschalls Ney über den Dnieper nach Orsza. Zustand der französischen Armee bei ihrem Eintreffen in Orsza. Meine Verhältnisse in diesem Zeitraum.
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Von den 104,000 Mann, die von Moskau ausmarschirt waren, hatten 70,000. Smolensk erreicht und von diesen war kaum die Hälfte noch kampffähig, die andere Hälfte bestand aus elenden, aller Vertheidigung unfähigen Geschöpfen; 400. Kanonen waren auf dem Wege nach Smolensk verloren gegangen und von der ganzen Cavalerie waren ungefähr noch 5000. Mann schlecht beritten. –

Die Württembergische Artillerie brachte noch 11. Kanonen

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nach Smolensk, von denen jedoch 8. dort zurückgelassen werden mußten. Die Reiterei war gänzlich aufgelöst und die 1500. Mann Infanterie waren zwischen Moskau und Smolensk auf 700. zusammengeschmolzen. Wir trafen hier einige reconvalescirte Offiziere und Soldaten, gleich wie die Grenadier-Compagnie des Regimentes Kronprinz, welche, nach der Abreise dieses Prinzen von Wilna, der Armee entgegen marschirt war.

In Smolensk fand Napoleon noch einige Tausend Mann ausgeruhter Truppen, was war aber das gegen die ungeheuern Verluste aller Art, welche die Armee erlitten hatte!? Der Kaiser mußte daher seinen anfänglichen Plan: die Armee zwischen dem Dnieper und der Düna in Cantonierungen zu verlegen, um so mehr aufgeben und an die schleunige Fortsetzung des Rückzuges denken, als die Armee Kutusow's bedeutend überlegen war, ihm bereits auf gleicher Höhe zur Seite stand und auch im Rücken der Armee der Plan des rußischen Kaisers: uns den Rückzug über die Berezina und Ula zu sperren,

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seiner Verwirklichung immer näher rückte.

In die Vertheilung der bedeutenden in Smolensk vorgefundenen, Vorräthe wurde keine Ordnung gebracht. Nur die stets bevorzugten Garden, welche am 9.ten mit dem Kaiser daselbst eingetroffen waren, erhielten regelmäßige Austheilungen, wogegen die immer größer werdende Anzahl der ankommenden vereinzelten Soldaten vor den Magazinen vergebens auf Austheilungen von Lebensmitteln wartete und am Ende, von Wuth ergriffen, die Magazine stürmte, was den Kaiser zu dem bereits früher erwähnten Befehle veranlaßte, keine einzelnen Militairs mehr in die Stadt zu lassen.

Wir fanden, durch die Fürsorge unseres Königs, Schuhe, Reis und Geld, eine Hülfe, deren sich wahrscheinlich Wenige zu erfreuen hatten.

Am 13.ten begann eine Division der Garde und des 8.ten Armee-Corps den Rückzug. Am 14.ten folgte der Kaiser mit dem Rest der Garden. Auch das württembergische Hauptquartier sezte sich an diesem Tage mit dem 1.ten und

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2.ten provisorischen Bataillon in Marsch, wogegen das 3.te bei dem Marschall Ney blieb. Allen nicht eingetheilten Offizieren wurde es überlassen für ihr Fortkommen nach Minsk, welche Stadt zum Sammelplatz bestimmt war, selbst Sorge zu tragen. Am 15.ten sollte Eugen abmarschiren und am 16.ten und 17.ten sollten Davoust und Ney folgen, welch Lezterem die Reste des 5.ten Armee-Corps untergeordnet wurden. Die Kälte, welche am 13.ten auf 18. Grade gestiegen war, ließ am 14.ten glücklicherweise nach, doch blieb sie immer noch sehr empfindlich.

Während sich die französische Armee in Marsch sezte, verfolgte Kutusow den seinigen langsam gegen Krasnoy. Die rußische Armee war 90,000. Mann stark, hatte 500. gut bespannte Geschütze und eine zahlreiche gut berittene Cavalerie.*)[52]

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Am 14.ten bemächtigte sich der Parteigänger Garowsky des Städtchens Krasnoy, welches nur schwach besezt war, zog sich aber bei Annäherung der am 13.ten von Smolensk abmarschirten Garde Division zurück. Napoleon wurde auf dem Marsch von dem Feinde zwar stark beunruhigt, aber nicht aufgehalten. Er traf am 15.ten Abends in Krasnoy ein und ließ in der Nacht den unfern stehenden Garowsky durch eine Division der jungen Garde angreifen und mit Verlust zurückwerfen.

Die Reste der württembergischen Division hatten am 14.ten bey Korytnia gelagert und erreichten erst am 15.ten in der Nacht Krasnoy, nachdem sie auf ihrem Marsch durch Kosaken beunruhigt worden waren und viel durch Artillerie-Feuer gelitten hatten.*)[53] Der Rest der Artillerie mußte an dem lezten Defilee vor Krasnoy zurückgelassen werden.

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Am 16.ten schien endlich Kutusow aus seiner unbegreiflichen Unthätigkeit erwachen zu wollen, indem er sich mit seiner ganzen Armee vor Krasnoy zeigte. Napoleon fühlte wohl das Kritische seiner Lage und die Nothwendigkeit sich so schnell als möglich zurückzuziehen. In diesem Falle wären aber die Corps von Eugen, Davoust und Ney verloren gewesen; er beschloß daher, einestheils auf die Unentschlossenheit und Furchtsamkeit seines Gegners rechnend, anderntheils auf sein Glück vertrauend, das Städtchen nur gezwungen zu verlassen und mit seiner Garde dem fünfmal stärkern Feinde die Stirne zu bieten, der ihn jeden Augenblick umzingeln und zernichten konnte.

Eugen war am 15.ten von Smolensk abmarschirt und wurde am 16.ten gegen Abend eine Stunde von Krasnoy durch Miloradowitsch angegriffen. Die Unentschlossenheit der Rußen und die Nacht retteten ihn vom gänzlichen Untergange; er war aber von Krasnoy abgeschnitten und hatte kein anderes Mittel diese Stadt zu erreichen, als rechts in einem Bogen den Feind zu umgehen, was

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ihm auch gelang. Um Mitternacht stieß er zur Garde. Napoleon entschloß sich am 17.ten die Rußen anzugreifen, um dem am 16.ten von Smolensk abmarschirten Davoust die Vereinigung mit dem Hauptcorps zu erleichtern. Das kühne Unternehmen gelang, denn der furchtsame Kutusow zog Miloradowitsch an sich, wodurch es dem Marschall Davoust möglich wurde, sich am 17.ten in der Früh mit dem Kaiser zu vereinigen, worauf dieser den Rückzug antreten ließ, nachdem alle Angriffe der Rußen auf Krasnoy abgeschlagen worden waren, deren Trophäen in nicht viel mehr als verlassenen Kanonen, Bagagewagen und mehreren Tausend Nachzüglern bestanden. Napoleon nahm sein Hauptquartier in Liady und traf am 19.ten in Orsza ein, von dem Feinde nur schwach verfolgt. – Kutusow gab seinen Truppen einige Tage Rast, beauftragte aber Miloradowitsch mit 40,000 Mann, das 3.te Armeecorps, welches allein noch zurück war, in Empfang zu nehmen.

Ney war am 17.ten von Smolensk abmarschirt. Er

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hatte noch 6000. Mann Infanterie, 300. Reiter und 12.Kanonen; ungefähr 7000. Nachzügler folgten seiner Colonne. Auf Befehl des Kaisers mußte er bei seinem Abzuge die Mauern der Stadt sprengen; eine unnütze Rache, welche die Rußen nur noch mehr aufbrachte und das Loos der vielen unglücklichen Kranken und Verwundeten, die in Smolensk zurückblieben, nur verschlimmerte. Einige Gebäude, in denen sich Verwundete befanden, stürzten mit den Mauern ein und begruben die Aermsten unter ihrem Schutt.

Am 18.ten erschien Ney im Angesicht des Städtchens Krasnoy, fand jedoch die Schlucht des Loßmina-Baches durch Miloradowitsch besezt. Er befahl der vorderen Colonne sich auf den Feind zu stürtzen; es gelang, troz dem heftigsten Artilleriefeuer dessen erste und zweite Linie zu durchbrechen, hier wurde aber die Colonne durch wiederholte Reiterangriffe aufgehalten und genöthigt, sich mit großem Verluste wieder über die Schlucht zurückzuziehen. Wäre Miloradowitsch gefolgt, so würde Ney unfehlbar

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verloren gewesen seyn. Dieser zog sich etwas zurück, wartete die Nacht ab und marschirte alsdann in aller Stille an den Dnieper, den er zwischen Syrokocenié und Gußinoïe zu überschreiten beschloß, um längs dem rechten Ufer Orsza zu erreichen. Das Eis war schwach und brach an beiden Ufern, weshalb Pferde und Kanonen zurückgelassen werden mußten und es blos den Fußgängern gelang, bis an den Gürtel im Wasser watend, das jenseitige Ufer zu erreichen. Hier angekommen, war das Corps noch 3.000 Mann stark; ungefähr ebenso viele Nachzügler folgten ihm. In Gußinoïe erfuhr Ney, daß Platow nicht weit von ihm stehe weshalb er seinen Truppen nur einige Stunden Ruhe gönnte. Von den Kosaken fortwährend gedrängt, erreichte er endlich am 21.ten in der Nacht mit noch ungefähr 800. Mann die französischen Vorposten und am Morgen dieses Tages Orsza. Nur durch den unerschütterlichen Muth und die Ausdauer, welche den Marschall in einem so hohen Grade auszeichneten, war es möglich geworden, diesen fabelhaften Rückzug zu bewerkstelligen.

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Von dem 3.ten provisorischen Bataillon kamen nicht mehr als 1. Offizier und 7. Mann nach Orsza.

Die Rußen selbst sind der Ansicht,*)[54] daß die französische Armee gänzlich hätte aufgerieben werden können, wenn der alte Kutusow im Augenblick der Entscheidung, weniger unschlüssig gewesen wäre, einen Theil seiner Armee auf die Straße zwischen Krasnoy und Liady vorgeschoben und mit dem Rest einen directen Angriff auf erst genannten Ort unternommen hätte, wozu es nicht an Zeit gebrach, indem er der französischen Armee völlig zuvorgekommen war. Sie suchen ihn damit zu entschuldigen, daß er seine Armee habe schonen wollen, voraussehend, daß die Kälte und Entbehrungen aller Art unsern Untergang später doch herbeiführen müße. Das Wahre an der Sache dürfte wohl seyn, daß Kutusow den Gegner noch fürchtete und sich deshalb in kein entscheidendes Gefecht einlassen wollte. Obschon er nun

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für dieses, an Unfähigkeit grenzende, Benehmen eher Tadel als Lob verdient hätte, so gab ihm doch der Kaiser für die Tage von Krasnoy den stolzen Beinahmen: „der Smolensker“. –

Der Zustand der französischen Armee hatte sich in den wenigen Tagen des Marsches von Smolensk nach Orsza auf eine jammervolle Weise verschlimmert. –

Das Heer zählte nur noch ungefähr 40,000. kraftlose, ausgehungerte und halbnackte Soldaten, von denen nicht die Hälfte mehr kampffähig war. Ueber 100. Kanonen hatte man stehen lassen müssen; vom 7.ten bis 19.ten November waren 30,000 Pferde gestürzt und die Reiterei konnte als gänzlich aufgelöst betrachtet werden. Lezteres veranlaßte den Kaiser, auf dem Zuge nach Orsza, aus den noch berittenen Offizieren der Cavalerie eine Leibwache, die heiligen Schaar genannt, zu bilden; sie wurden in 4. Schwadronen eingetheilt, welche der König von Neapel befehligte. Auch erließ der Kaiser, nach seinem Eintreffen in Orsza, einen strengen

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Tagesbefehl, nach welchem es, unter Androhung standrechtlichen Verfahrens, allen einzelnen Soldaten zur Pflicht gemacht wurde, sich bei ihren Fahnen einzufinden. Diesem, unter Trommelschlag bekannt gemachten, Befehle konnte aber, wegen der unausgesezten Dauer des Marsches, der großen Zügellosigkeit, welche bei der Armee eingerissen war und weil die Zahl der Nachzügler die der streitbaren Mannschaft überstieg, kaum Nachdruck gegeben werden und blieb daher ohne Erfolg.

Die ganze württembergische Infanterie zählte in Orsza noch 300. Mann unter den Waffen. Im Lager von Krasnoy waren die Fahnen von den Stangen losgetrennt und leztere verbrannt worden. Die Fahnen selbst hatte man den kräftigsten Unteroffizieren der Grenadier-Compagnie des Regimentes Kronprinz übergeben, welche sie um den Leib wickelten. Auf diese Weise wurden dieselben bis auf eine gerettet, welche sich jedoch nicht unter den in Petersburg aufgestellten Trophäen befindet und wahrscheinlich mit ihrem

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umgekommenen Träger der Verwesung anheim gefallen ist.

Aus den Trümmern der Armeecorps hatten sich ein Menge Vereine gebildet, aus 6. bis 10. Individuen bestehend, in der Absicht, den Weg zusammen fortzusetzen und die vorhandenen oder aufzufindenden Hülfsmittel als Gemeingut zu betrachten. Eine jede dieser kleinen Gesellschaften hatte ein oder mehrere Conys, (kleine Pferde) um die Bagage und Lebensmittel zu tragen. In Ermanglung der Pferde hingen die Menschen Küchengeräthe und Lebensmittel selbst auf den Rücken. Diese kleinen, Zigeunerbanden gleichenden, Vereine existirten abgesondert für sich und stießen alles was nicht zu ihnen gehörte, von sich, daher denn auch alle Mitglieder der Familie aufgeschlossen marschirten, um nicht im Gedränge getrennt zu werden, denn wer seine Gesellschaft verlassen hatte, um den bekümmerte sich Niemand mehr und er war in der Regel verloren. Ohne Mitleid ward er von jedem Feuer, aus jedem

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Zufluchtsorte vertrieben, und das Recht des Stärkern im vollen Maße ausgeübt. Es wurde wenig oder auch gar keine Rücksicht mehr auf Rang genommen; alle gesellschaftliche Bande waren zerrissen, alle Waffenbrüderschaft, alles Gefühl von Menschlichkeit und Mitleiden in dem instinktmäßigen Trieb der Selbsterhaltung untergegangen.

Jede Sprache war anfänglich ein Beweggrund zu besonderer Verbindung zwischen denen die sie redeten, so bildeten sich Nationalvereine, welche sich, weit entfernt einander zu unterstützen, feindlich begegneten, was besonders gegen die Franzosen der Fall war, mit denen oft Schlägereien entstanden. Die unbedeutendste Ursache erregte Streit zwischen den verschiedenen Gesellschaften oder einzelnen Menschen; die abscheulichsten Flüche, die schmutzigsten Schimpfnamen wurden gehört und das Ende war gewöhnlich, daß sie über einander herfielen und sich prügelten. Wuth war in allen Herzen, man hätte sich zerfleischen mögen.

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Es gehörte eine kraftvolle Seele und unerschütterlicher Muth dazu, diesem fürchterlichen Jammer zu widerstehen. Man mußte sein Herz gegen jedes Gefühl von Erbarmen und Mitleiden verschließen, wenn man nicht selbst zu Grunde gehen wollte.

In Liady betraten wir wieder den altpolnischen Boden und fanden, obschon das Land sehr verheert war, doch noch hin und wieder Dörfer und in ihnen Juden, von denen man für Geld Ein und das Andere bekommen konnte. – Am 19.ten trat entschiedenes Thauwetter ein. – Eine andere Plage gesellte sich aber jezt zu dem allgemeinen Elend, nemlich die Kleiderläuse, ein in Polen einheimisches schreckliches Thier.

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Nachdem Freund Wildermuth und ich die allgemein ertheilte Weisung erhalten hatten, auf gut Glück den Weg nach Minsk einzuschlagen, entschlossen wir uns schon den 13.ten von Smolensk nach Krasnoy aufzubrechen, um einen Vorsprung vor der großen Masse zu gewinnen.

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Wir marschirten mit unserer kleinen Caravane, bestehend aus dem Corporal Rösch, seiner Frau und vier Soldaten, an diesem Tage ungefähr halb Wegs und wendeten uns Nachmittags etwas links der Straße, um ein Obdach zu suchen, welches wir auch in einem kleinen verlassenen Dörfchen fanden. Ich war an der Spitze des Zuges und erblickte am andern Ende des Ortes einen Bauern, der eine Kuh fortzuführen im Begriff war. Ich eilte ihm nach, faßte die Kuh am Schwanz und kämpfte nun mit dem Bauern so lange um den Raub[55] das Thier, bis meine Leute herbeikamen, worauf der Bauer die Flucht ergriff. – Was wir von der Kuh nicht verzehrten, wurde als kostbares Gut auf die Pferde geladen und mitgenommen. Am 14.ten Nachmittags kamen wir nach Krasnoy, kurz nachdem die Rußen von der Garde aus dem Städtchen vertrieben worden waren. Gerne hätten wir unsern Marsch noch weiter fortgesezt, die Kosaken schwärmten aber überall herum, was uns nöthigte in einem verfallenen Stall eine abscheuliche Nacht zuzubringen,

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denn die wenigen Häuser waren mit Truppen so überlegt, daß für uns nicht daran zu denken war, eine Unterkunft darin zu finden. Die Nacht ging ruhig vorüber, wie ich mir denn überhaupt nicht erinnere, daß die Kosaken einen nächtlichen Ueberfall gewagt hätten. – Am 15.ten erreichten wir Liady , wo wir in einem Judenhause, ganz am Ausgang des Städtchens, über Mittag blieben, um alsdann noch einige Stunden weiter zu ziehen. Wir waren auch auf der ziemlich leeren Straße bereits eine Viertelstunde weit fortgewandert, als wir französische Gendarmen, die in einem Dorfe vorwärts von Kosaken überfallen worden waren, von diesen verfolgt, auf uns zueilen sahen. Ich war einige hundert Schritte voraus und gerade in einem Thale, so daß ich keine freie Aussicht hatte, und wäre deshalb und weil ich das Rufen vom Wildermuth nicht hörte, beinahe von den Kosaken gefangen worden. Es blieb, unter diesen Umständen, nichts übrig, als in das Judenhaus zurückzukehren und den 16.ten recht zeitig aufzubrechen. Wir kamen an

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diesem Tage bis in ein an der Straße gelegenes Dorf, in welchem wir, durch den erhaltenen Vorsprung begünstigt, noch einige Einwohner und Gelegenheit fanden, Schlitten anzuschaffen, in denen wir am 17.ten nach Orsza fuhren. Die Nacht hatte uns erreicht, wir zogen daher vor, in einem, auf dem linken Ufer des Dniepers gelegenen, Dorfe zu übernachten, wo wir gutes Futter für unsre Pferde fanden. Am 18.ten wollten wir über die Brücke gehen, an derselbe aufgestellte Gendarmen verweigerten uns aber die Erlaubniß dazu, indem alle einzelne Militairs in ein links der Straße gelegenes Kloster sich begeben müßten, um daselbst in Marschbataillone eingetheilt zu werden. Da wir nun aber gar keine Lust hatten, in ein so gemischtes Corps einzutreten, so zogen wir vor, in unser Dorf zurückzukehren und den Rasttag zur Reinigung unserer Körper und Kleider zu benutzen. Nachmittags füllte sich das Dorf mit Nachzüglern, ein Zeichen von der Annäherung der Armee. In der Nacht trat Thauwetter ein, was uns nöthigte,

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die Schlitten stehen zu lassen. Am 19.ten fanden wir keine Schwierigkeiten mehr die Brücke zu überschreiten. Jenseits trafen wir den Hauptmann von Sattler, welcher uns die traurige Nachricht mittheilte, daß der Feind Minsk genommen habe und wir daher die Ankunft der Armee erwarten müßten. –

In dem Städtchen war alles überfüllt und ein schreckliches Gedränge, wir suchten daher auf einem Hofe, eine halbe Stunde von der Stadt eine Unterkunft. Französische Chaßeurs wollten uns daraus vertreiben, wir behaupteten uns aber, wobei sich Soldat Geiger durch wackeres Zuschlagen auszeichnete. Um jedoch vor weitern Zusprüchen der Art geschüzt zu seyn, nahmen wir einige holländische Garde-Uhlanen und unser ganzes Jäger-Regiment zu Pferd König auf, bestehend aus 13. Mann. Wildermuth begab sich, während ich unsern Zufluchtsort behauptete, in die Stadt, um Erkundigungen über den weitern Marsch einzuziehen. Er kam zurück mit der allgemeinen Nachricht, daß der Rückzug fortgesezt werde,

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aber unbestimmt, wohin. Er brachte auch Reis und Schuhe mit, die in Orsza abermals durch unser Kriegs-Commissariat von den dort vorgefundenen Vorräthen ausgetheilt worden waren.

Unsre Vorsorge, zeitig von Smolensk aufzubrechen, hatte uns den Vortheil verschafft, die Strecke bis Orsza, auf der so Viele verunglückten, ohne bedeutendes Ungemach zurück zu legen.

Zur Würdigung unserer damaligen Lage ist es nöthig eine kurze Schilderung der Begebenheiten im Rücken der Armee zu geben.

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Abschnitt X.

Begebenheiten im Rücken der Armee bis zu ihrem Eintreffen in Orsza. Rückzug nach Borisow. Eroberung dieser Stadt durch Tschischagof. Oudinot erobert Borisow wieder. Napoleon läßt in Studenki zwei Brücken über die Berezina schlagen. Uebergang und Gefechte bei diesem Ort. Rückzug bis Zembin. Folgen welche diese Gefechte auf den Zustand der Armee hatten. Meine Lage in diesem Zeitabschnitte.
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In dem VII.ten Abschnitt ist bereits erwähnt worden, daß Ende Oktober Tschischagof gegen Minsk aufgebrochen war und den General Sacken mit 25,000 Mann gegen Schwarzenberg hatte stehen lassen; daß ferner Wittgenstein bis an die Ula vorgerückt war, wo sich gegenüber von ihm St. Cyr mit Victor vereinigt hatte.

Tschischagof erschien am 16.ten November vor Minsk und zwang den dortigen Gouverneuer, General Bronikowsky,

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sich, unter bedeutendem Verlusten, mit seiner schwachen Besatzung in der Richtung von Borisow zurückzuziehen und ihm die großen, in Minsk aufgehäuften, Vorräthe zu überlassen. Zu den 3000. Mann Bronikowsky´s stießen am 20.ten in Borisow die, nur noch 4500 Mann starke, Division des Generald Dombrowsky. Am 31.ten Oktober bestand Victor ein nachtheiliges Gefecht bei Czaiznicky gegen Wittgenstein und zog sich nach Senno zurück. Er entfernte sich dadurch von Witebsk, was die Rußen benutzten und diesen Ort am 7.ten November mit Sturm nahmen, wobei Besatzung und Magazine verloren gingen. Nach dem Treffen bei Czaiznicky theilten sich die beiden französischen Corps; das zweite, dessen Oberbefehl Oudinot wieder übernommen hatte, marschirte nach Bobr.

Victor griff am 14.ten November die Rußen bei Smoliany an, konnte aber nichts ausrichten und zog sich nach Czernja zurück, wo er bis zur Ankunft Napoleons stehen blieb.

Der Verlust von Minsk, welchen der Kaiser am

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18.ten in Dubrowna erfahren hatte, so wie die Nothwendigkeit Kutusow einige Marsche abzugewinnen, zwangen Napoleon den Rückzug unverweilt fortzusetzen, obschon Ruhe seiner zerrüttenen Armee im höchsten Grade nöthig gewesen wäre. Er verließ Orsza am 20.ten Abends. Am 21.ten folgte die Armee, nachdem die Brücken über den Dnieper verbrannt worden waren. Am 22.ten, beim Eintreffen in Toloczin, erhielt der Kaiser die Nachricht, daß Borisow von den Rußen genommen worden sey, was ihn zu dem Ausruf veranlaßte: Il est donc décidé que nous ne ferons que des sottises![56]

Die Rußen hatten am 21.ten den Brückenkopf von Borisow mit großer Uebermacht angegriffen und denselben, nach einem zehnstündigen heftigen Gefecht, erobert, worauf Dombrowsky die Stadt räumte und sich bis Bobr, auf der Straße nach Orsza zurückzog, wo ihn der Marschall Oudinot aufnahm.

In diesem und den vorangegangenen Gefechten hatte das 7.te württembergische InfanterieRegiment, welches

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von Danzig aus der Armee gefolgt und in Minsk zurückgehalten worden war, sehr brav gefochten, aber auch großen Verlust erlitten.

Victor hatte Czernja am 22.ten verlassen und erreichte den 23.ten Kolopeniczi, von dem noch einmal so starken Wittgenstein nur schwach verfolgt.

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Kutusow war am 20.ten aus der Gegend von Krasnoy aufgebrochen und hatte sich links nach Lanniki gewendet, wo er zwei Tage verweilte. Erst am 25.ten erreichte er Kopys, und überschritt daselbst den Dnieper.

Platow verfolgte unsere Nachhut, die sich fortwährend durch Parteigänger in ihren Flanken beunruhigt sah. Die Lage der französischen Armee wurde auf diese Weise im höchsten Grade kritisch, denn sie war nachgerade von allen Seiten eingeschlossen. Dazu kam, daß am 24.ten die Kälte wieder zunahm und tiefer Schnee den Marsch erschwerte.

Oudinot überfiel am 23.ten die vorwärts von Borisow

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stehenden Rußen, nahm die Stadt mit Sturm und zwang den Feind sich, unter bedeutendem Verlust an Mannschaft und Bagage,*)[57] über die Brücke zurückzuziehen, konnte aber deren Zerstörung nicht verhindern. Er erhielt den Befehl, den Feind durch falsche Bewegungen auf die Vermuthung zu führen, daß die Armee unterhalb Borisow übergehen werde, während dessen aber einen Uebergangspunkt oberhalb über die Berezina zu suchen. Derselbe fand sich bei Studenki, vier Stunden von Borisow. Das Dorf Studenki liegt ungefähr 150. Schritte von dem linken Ufer der Berezina an dem Abhange eines Hügels. Der Boden auf dem linken Ufer ist fest, auf dem rechten Ufer dagegen befindet sich ein breiter Morast der von einer Anhöhe beherrscht wird, die dem Feind eine vortheilhafte Stellung gewähren konnte. Eine Viertelstunde von dem Uebergangspunkte entfernt, zieht parallel mit dem Fluße die Straße von Borisow nach Zembin.

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Dieselbe wendet sich da, wo sie in den Weg von Weselowo nach Zembin fällt, links, tritt dort in einen morastigen Wald, wo sie oft nur die Breite für einen Wagen hat und führt auf drei langen Brücken über das Flüßchen Gaina und dessen sumpfige Zuflüsse. Hätten die Rußen diese Brücken zerstört, so würde die französische Armee den Weg über Zembin nach Wilna nicht haben einschlagen können und ihr in dieser verzweiflungsvollen Lage nur der einzige Ausweg übrig geblieben seyn, das Corps von Tschischagof anzugreifen und sich mit Gewalt den Weg nach Minsk zu erzwingen, was eine sehr mißliche Sache gewesen wäre, indem die französische Armee, alles gerechnet kaum noch 30,000. Mann unter den Waffen zählte, wogegen Tschischagof und Wittgenstein zusammen mehr als noch einmal so stark waren.

Zum Brückenschlagen fehlte es an Pontons, denn die lezten 60, waren bei Orsza verbrannt worden, es blieb daher nichts übrig, als Häuser abzubrechen und das auf

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diese Weise gewonnene schlechte Material zum Brückenbau zu verwenden.

Napoleon war am 25.ten in Borisow eingetroffen, und verfügte sich den 26.ten in aller Früh nach Studenki. Um acht Uhr Morgens befahl er dem allgemein verehrten Artillerie General Eblé, den Bau zweier Brücken zu beginnen, während einige hundert Mann nach und nach auf Flößen übergesezt wurden, um in Gemeinschaft mit der auf dem dieseitigen Ufer aufgefahrenen Artillerie die Arbeiten zu beschützen. Tschischagof hatte sich durch die Demonstrationen unterhalb Borisow täuschen lassen und die Division Tschaplitz, die zwischen Zembin und Borisow die Berezina beobachtete, näher herangezogen. Die übergesezten Truppen fanden daher wenig Widerstand und trieben die feindlichen Posten aus dem, gegenüber Studenki liegenden Dorfe Brill, und so weit zurück, daß ihr Feuer die Arbeiter nicht mehr störte. Der Fluß ist gegen 400. Fuße breit; seine größte Tiefe betrug 6.Fuße. Er ging stark

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mit Treibeis und war stellenweis ausgetreten, weshalb die Brücken Auffahrten hatten, die aber noch im Wasser standen.

Um ein Uhr war die zum Uebergang der Infanterie und Cavalerie bestimmte Brücke vollendet, sie war aber mit schlechten Brettern belegt, welche sich verrückten, so daß die Pferde oft durchtraten, weshalb die Brücke mit Heu bedeckt wurde.

Das 2.te Corps, 7,000 Mann stark überschritt dieselbe, griff die Rußen an und zwang sie, sich bis Bolchoi-Stakhow über eine Stunde weit zurückzuziehen. Oudinot entsendete gleich nach dem Uebergange eine Truppenabtheilung nach Zembin, um sich der Pässe über die Gaina zu versichern.

Die zweite Brücke wurde um vier Uhr vollendet. In Ermanglung von Brettern hatte man dieselbe mit runden Balken belegt, was beim Uebergang der Fuhrwerke ein stetes Stoßen verursachte, wodurch nach Verlauf von einigen Stunden ein Bruch in der Brücke entstand.

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Nach drei Stunden der angestrengtesten Arbeit konnte dieselbe wieder befahren werden. Das gleiche Unglück wiederholte sich zweimal und verzögerte natürlich den Uebergang sehr. Nur durch die bewunderungswürdige Ausdauer und Selbstverläugnung der Pontoniere konnte die Armee gerettet werden.

Der Sumpf auf dem jenseitigen Ufer war ziemlich fest gefroren und trug das Fuhrwerk, was zwei Tage früher nicht der Fall gewesen wäre.

Die verschiedenen Armee-Corps näherten sich dem Uebergangspunkte. Victor übernahm die Nachhut von Davoust und zog sich am 26.ten bis Borisow zurück. Ney ging in der Nacht vom 26.ten auf den 27.ten über die Brücke und schloß sich an Oudinot an. Die württembergische Division zählte an diesem Tage ungefähr noch 150. Mann in Reih und Glied. Victor erreichte am 27.ten in der Früh Studenki und nahm eine Stellung oberhalb des Dorfes. Er hatte die Division Partouneaux bei Borisow als Nachhut stehen lassen. Eugen und

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Davoust trafen im Laufe des Tages bei Studenki ein. Napoleon ging Nachmittags über die Brücke und nahm sein Hauptquartier in einem nahe an Brill gelegenen Hofe. Die Garde folgte ihm und stellte sich bei lezterem Dorfe als Reserve auf. Tschischagof verhielt sich an diesem Tage ganz ruhig.

Bis zum 27.ten war es gelungen einige Ordnung bei den Brücken zu erhalten. Jezt kamen aber die vereinzelten Militairs und die Nachzügler in Masse an, und versperrten durch ihr Aufdrängen und den ungeheuern Troß den Raum zwischen dem Dorfe und den Brücken so, daß man nur mit der größten Mühe und Gefahr zu lezteren gelangen konnte. Es war unmöglich, Ordnung herzustellen und der Uebergang wurde häufig durch heftigen Andrang und Streitigkeiten verzögert, denn ein Jeder wollte zuerst hinüber. Mit Einbruch der Nacht ließ das Drängen gegen die Brücken nach, die Menschen hatten sich unter den Trümmern des Dorfes Studenki und zwischen der Masse von Wagen

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gelagert, welche einen großen Kreis um die Zugänge der Brücken bildeten.

Eugen und Davoust bahnten sich in der Nacht mit der streitbaren Mannschaft ihrer Corps nicht ohne große Mühe einen Weg über den Fluß und es blieben nur noch zwei Divisionen Infanterie und etwas Cavalerie auf dem linken Ufer.

Wittgenstein rückte am 27.ten gegen Borisow vor, welches noch von der Division Partouneaux besezt und mit einer Menge Nachzügler angefüllt war, und schnitt ihnen den Rückzug nach Studenki ab. Partouneaux hatte noch ungefähr 4000. Mann und beschloß den Durchgang zu erzwingen, wurde jedoch mit großem Verlust zurückgeworfen und für seine Person gefangen. Die Reste seiner Division ergaben sich am 28.ten in der Früh, mit ihnen fielen gegen 6000 Nachzügler und eine Menge Bagage in die Hände der Rußen.

Am 28.ten Morgens hatte Victor noch mit 4000. Mann und 300. Pferden den Zugang zu der Brücke besezt.

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Er wurde von Wittgenstein mit einer fünfmal stärkern Macht angegriffen, vertheidigte aber trotz dem seine Stellung mit einer bewunderungswerthen Tapferkeit wobei sich der Margraf Wilhelm von Baden und die unter seinen Befehlen stehenden Badischen und Hessischen Truppen sehr auszeichneten. Die Rußen hatten ein Gehölz besezt, von wo aus ihre Artillerie die Brücke beschoß. Victor ließ sie aus demselben vertreiben und behauptete seine Stellung bis in die Nacht.

Das Feuer der Rußen hatte die Menschenmasse die vor den Brücken zusammengedrängt war, zur Verzweiflung gebracht. Alles stürzte sich gegen dieselben. Man kannte sich nicht mehr; wie im Wahnsinn trieben sich die Menschen umher. Mit Säbelhieben bahnten sich Viele einen Weg und stießen alles, was sie vor sich fanden, zu Boden. Die Wagen fuhren gegen einander, stürzten um und versperrten den Weg; die hingefallenen Menschen und Pferde wurden erbarmungslos zerquetscht und mitten unter diesem abscheulichen

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Lärm hörte man kaum das Geschrei derer, die mit Füßen getreten, und die Flüche, die überall ausgestoßen wurden. Viele wurden in den Fluß gedrängt, andere sprangen freiwillig hinein, in der Hoffnung sich schwimmend zu retten; Nur wenigen gelang es das jenseitige Ufer zu erreichen, die meisten wurden vom Treibeis fortgerissen. Jeder Schuß richtete in dieser gedrängten Masse fürchterliche Verheerungen an. In das von allen Seiten erhobene gräßliche Geschrei mischte sich das Aechzen der Verwundeten. Die beispiellose Verwirrung hatte den höchsten Grad erreicht*). [58]

Tschischagof griff am Morgen des 28.ten mit 26.000 Mann Oudinot und Ney an, die ihm kaum 10,000. Mann, die Garde mit inbegriffen, entgegenstellen konnten. Oudinot wurde verwundet und Ney übernahm das alleinige Commando. Er kämpfte nicht minder tapfer als Victor und hielt, trotz der großen Ueberlegenheit

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des Feindes, den ganzen Tag zwischen Brill und Stakhow. Auch hier machte die Nacht dem Kampfe ein Ende.

Die Brücken waren durch die Massen von Wagen und Pferden gewißermaßen gesperrt und nur mit vieler Mühe konnte für Victor, der sich in der Nacht zurückzog, ein Durchgang aufgeräumt werden. Es blieb noch auf dem linken Ufer eine Masse von vereinzelten Militäirs, Bedienten, Marketendern und Flüchtlingen, von denen viele in der Nacht über den Fluß hätten gelangen können, wenn sie ihre Wagen und Pferde hätten im Stich lassen wollen. Eine Menge von ihnen waren verwundet oder krank, andere hatte das Uebermaß von Unglück in einen Grad von Apathie versezt, an der alle vernünftige Vorstellungen scheitern. Um 7. Uhr wurden auch die äußersten Posten über die Brücken gezogen, gegen welche sich nun auch diese Unglücklichen stürzten und neue Unordnungen verursachten. Die Brücken wurden, da sich kein Feind zeigte, erst um ½9. Uhr zerstört. Das linke Ufer

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erschallte nun von dem verzweiflungsvollen Geschrei der Zurückgebliebenen; die einen stürzten sich in das Wasser, um über den Fluß zu schwimmen, andere suchten über das schwache Eis oberhalb der Brücke zu gehen, brachen aber ein; die meisten aber, namentlich die Verwundeten und Kranken, sezten sich ergeben in ihr Schicksal nieder, den Schnee mit starren Blicken betrachtend, der bald ihr Grab werden sollte. –

Die Kosaken erschienen um neun Uhr und bemächtigten sich, neben ungefähr 5,000 dieser Unglücklichen beider Geschlechter, einer ungeheuern Beute,*) [59] unter welcher sich auch die sogenannten von Moskau mitgenommenen Trophäen befanden.**) [60]

Napoleon war mit der Garde am 29.ten in der Früh nach Kamen aufgebrochen. Ney hatte die Nachhut und ließ die über die Gaina führenden Brücken

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verbrennen. Die Reste der ganzen Armee lagerten in und in der Umgegend von Zembin. Tschischagof hatte sich begnügt der Nachhut zu folgen und sie zu beobachten. Wittgenstein hatte Brücken schlagen lassen und ging über den Fluß.

Die Schlacht an der Berezina war sehr blutig gewesen. Obschon alle Angriffe der Rußen zurückgeschlagen worden waren, so hatte doch die strenge Kälte und die ungeheuere Anstrengung, verbunden mit Mangel aller Art, die gänzliche Auflösung der großen Armee zur Folge, welche von nun an in militärischer Beziehung zu existiren aufhörte. Ohne die unbegreiflichen Fehler der drei rußischen Feldherrn*)[61], hätte kein Mann der von Moskau zurückkehrenden Armee über die Berezina kommen können. Uneinigkeit Neid und Mangel an höherer Intelligenz retteten die erbärmlichen Ueberreste dieser stolzen sieggewohnten Armee.

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Wildermuth und ich waren am 21.ten in der Früh mit unserer kleinen Karawane von Orsza aufgebrochen, der Straße nach Borisow folgend. Wir hatten einige Stunden zurückgelegt, als auf einmal Flüchtlinge gegen uns kamen mit der Nachricht, daß sie von Kosaken angegriffen worden wären, was uns veranlaßte anzuhalten. Nach und nach kamen mehrere Offiziere heran, unter andern die Generale von Hügel und von Koch mit ihren Bagage-Wägen. Rechts, einen Büchsenschuß von der Straße lag ein Dorf, vor uns ein Gebüsch. Wir glaubten schon daß es ein falscher Lärm sey, als mit einemmale einzelne Kosaken aus dem Dorfe und dem Gebüsche hervorbrachen und die Straße vor uns besezten. Ihnen folgte eine geschlossene Truppe, ungefähr 200. Pferde stark, welche sich quer auf der Straße aufstellte und Heldenthaten an den einzelnen Flüchtlingen, die nicht hatten entkommen können, ausübten. Unter andern warfen sie einen verwundeten französischen Offizier aus seinem Wagen und

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stachen ihn auf dem Boden todt.

Wir hatten die Bagagewägen der Generale in eine kleine Wagenburg zusammen fahren lassen und die Bedeckungsmannschaft dahinter vertheilt. Ich war etwas vorgeritten, um das Treiben der Kosaken besser beobachten zu können. Einer von ihnen kam gegen mich, kehrte aber um, als er meine Pistole sah. Als mehrere kamen, zog ich mich zurück. Einige Flintenschüße der ungefähr 10.-12. Mann starken Bedeckung reichten hin, die Feiglinge entfernt zu halten. Dieser Zustand mochte ungefähr eine Viertelstunde gedauert haben, da verkündigte Trommelschlag die Annäherung von Infanterie. Die Kosaken beeilten sich in den Wald zurückzukehren, wohin ihnen ein Soldat vom Regiment Kronprinz nachlief, und einen der feigen Bursche herunter schoß, worauf die andern das Reisaus ergriffen und sich nicht einmal Zeit nahmen, das Pferd des getödteten Kameraden mit fortzuführen, auf welchem der einzelne Soldat siegreich zurückkehrte.

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Die sich nähernde Infanterie war die italienische Garde, an die wir uns anschloßen und spät Abends einen Bivouac in einem Wäldchen bezogen. An diesem Tage wurde auch der kranke Oberstlieutenant v. Bismak, der jezige General, von den Kosaken gefangen, bis aufs Hemd ausgezogen und durchgeprügelt, worauf sie ihn wieder gehen ließen.

Am 22.ten marschirten wir bis Kokhanow. Kurz vor der Stadt entstand ein Kosakenlärm, diesesmal aber ein falscher, den die Bauern erregt hatten, um sich der plündernden Franzosen zu entledigen. Dieser Lärm kam uns zu gut, denn wir blieben ungestört in der Scheuer, die wir vor der Stadt zum Nachtquartier gewählt hatten, fanden Futter für die Pferde und durch Geigers Industrie zum Nachtessen eine Gans und Erbsen, die er einem Franzosen geraubt hatte. Am 24.ten kamen wir nach Bobr, wo wir die Reste des 7.ten württembergischen InfanterieRegiments antrafen, welches bei Borisow so viel gelitten hatte.

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Den 25.ten begegneten wir dem Kaiser. Er war zu Pferd und in einen grünen, mit goldnen Schnüren besezten Pelz gekleidet und trug eine Mütze von gleicher Farbe. Wir bivouakirten nicht weit von einem großen Dorfe. Es schneite stark und fing wieder an empfindlich kalt zu werden. Am 26.ten früh Morgens brachen wir nach Borisow auf, durchschritten einen Theil der Stadt und wendeten uns hierauf rechts in der Richtung von Studenki. Ungefähr zwei Stunden von leztgenanntem Dorfe führte der Weg um einen kleinen zugefrornen See herum. Vor uns gingen mehrere Leute über denselben um zuzustrecken. – Wir hielten das Eis für fest, und folgten ihnen. An der Spitze der Karawane befand sich Wildermuth, wogegen ich den Zug schloß, eine Maßregel, die wir immer beobachteten, um die Streitigkeiten, in die man täglich gerieth, schneller schlichten zu können. Wildermuth war ungefähr noch zehn Schritte vom Ufer entfernt, da brach unter ihm und einigen Franzosen mit Pack-Pferden

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das Eis; Geiger, der ihm folgte, hatte kaum Zeit sein Pferd zurückzureißen, um nicht nachzustürzen. Die Franzosen verschwanden unter dem Wasser und von Wildermuth ragte nur noch Kopf und Brust heraus. Von seinem Schimmel, einem vortrefflichen polnischen Pferde, sah man nur noch die Nase, welche es schnaubend herausstreckte. Unsere Angst um den theuern Freund dauerte jedoch nur wenige Augenblicke, denn das Pferd raffte alle seine Kräfte zusammen, und erreichte in einigen Sätzen das jenseitige Ufer. Unsere erste Sorge mußte nun seyn, ein Obdach zu finden, wo sich Wildermuth trocknen konnte, dem die Kleider am Leibe anfroren. Wir fanden auch links von dem Wege in dem Dorfe Nowoi-Stakhow Platz in einer Scheuer und in der Fruchtdörre, die gewöhnlich an jeder polnischen Scheuer angehängt ist, ein passendes Local, wo er sich auskleiden und trocknen konnte. Während dieses geschah, ging ich in dem Dorfe, welches die Einwohner erst kurz vor unserer Ankunft

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verlassen haben mußten, herum, nach Lebensmitteln spähend und war auch so glücklich, mittelst eines Pistolenschußes ein Schwein zu erlegen. Nach und nach füllte sich das Dorf mit vereinzelten Soldaten. Wir saßen gerade am Eßen, da kam der Lärm, die Rußen seien vor dem Ort. Von einem panischen Schrecken ergriffen, flohen Alle, ohne zu wissen wohin. Unser Hof war geschlossen und deshalb zur Vertheidigung gegen Kosaken geeignet, wir blieben daher, mit dem Vorsatz, nur einem ernsten Angriff zu weichen, und dann unsern Rückzug nach einem nahe gelegenen Wald zu nehmen. Unserem Zureden und Beispiele Folge gebend, schloßen sich ungefähr 40. Soldaten, französische, deutsche und polnische von allen Waffen an uns an. Wir richteten uns zur Vertheidigung ein, und schickten eine Recognoscirung aus, welche zurückkam, ohne etwas feindliches gesehen zu haben, denn der Lärm war falsch gewesen. Wie wir später hörten hatten Einwohner eines in der Nähe

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gelegenen Dorfes plündernde Franzosen angegriffen und es war dieses von polnischen Soldaten benuzt worden, den Lärm bei uns für einen Angriff der Rußen auszugeben, in der Hoffnung, daß wir davon gehen und ihnen Platz machen würden, eine List, die sie öfters mit Erfolg anwendeten und die ihnen auch hier, wenigstens theilweise, gelang. Die getäuschten Flüchtlinge kamen nach und nach zurück, fanden aber ihre inne gehabten Wohnungen größtentheils durch eben diese polnischen Soldaten und andere, während der Zeit angekommene, Gesellschaften besezt.

Wir hörten deutlich den ganzen Nachmittag über das Kanonenfeuer von Oudinot´s Angriff auf die Stellung der Rußen jenseits des Flusses. – Die Nacht verging ganz ruhig. Am 27.ten brachen wir vor Tag nach Studenki auf und gingen gerade auf die Brücken los; der Andrang war aber so groß, daß ich einen Versuch, bis zu denselben

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vorzudringen, aufgab, denn es wäre unmöglich gewesen mit den Pferden und unserer kleinen Habe durchzukommen. Wir hatten auf dem Weg nach Studenki, den Oberst von Missani, Kommandant des 2.ten Bataillons von unserm Regiment, getroffen und berathschlagten nun mit ihm was anzufangen sey. Er und ich, die wir beide uns nicht wohl befanden, stimmten dafür, in ein nahe gelegenes Ort zurückzukehren und ein Obdach zu suchen, Wildermuth bestand aber, zu unserm Glück, darauf in der Nähe der Brücke zu bleiben, um den günstigen Augenblick zum Ueberschreiten derselben nicht zu versäumen. Wir wählten in der Nähe des Dorfes eine kleine, mit Gebüsch umgebene, Vertiefung wo uns das Holz von einem nahe stehenden Kreuze zur Feuerung diente. Von Zeit zu Zeit ging einer von uns nach der Brücke, um zu forschen, ob es noch nicht möglich sey, hinüber zu gehen, denn bei der argen Kälte und einem heftigen Schneegestöber wurde uns die Zeit gewaltig

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lang. Erst gegen Mitternacht war der Zeitpunkt gekommen, wo wir uns mit unsern Pferden durch das Chaos von Wagen und Menschen durcharbeiten und die Brücke überschreiten konnten. Das eine Viertelstunde von dem jenseitigen Ufer entfernte Dorf Brill war ganz mit Menschen angefüllt, welche sich nicht mehr um den Aufenthalt in den Häusern stritten, sondern um das Holz von welchen sie erbaut waren. Die Soldaten fingen zuerst an, dieselben abzudecken, endlich ganz abzubrechen, so daß das Dorf beim Abmarsch beinahe ganz in Bivouacfeuern aufgegangen war*)[62]. Hier ereignete es sich, daß Grenadiere der französischen Garde das Haus, in welchem Murat seine Wohnung genommen hatte, abdeckten. Der König ließ ihnen solches durch seine Adjutanten mehreremal verbieten, als dieses nichts half, trat er selbst heraus,

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und fragte: ob sie ihn kennten. Sie antworteten, o ja, sie seyen jedoch so gut Menschen wie er. Der König, wüthend, rief ihnen zu: que le plus brave de vous misérables scélérats descende donc et se mesure avec moi[63], worauf sie das Dach verließen.

In diesem Dorfe war es unmöglich, einen Platz zu finden, wo wir den Rest der Nacht hätten zubringen können, auch konnte uns Niemand über den einzuschlagenden Weg Bescheid ertheilen, weshalb nichts übrig blieb, als in einem nahe gelegenen Gebüsch den Tag abzuwarten, bis zu dessen Erscheinen wir die Minuten zählten, denn wir konnten kein Feuer anmachen und hatten keine andere Wahl, als auf den Schnee hinzuliegen. Nach einer so schlecht zugebrachten Nacht war etwas Ruhe Bedürfniß geworden, wir wendeten uns daher nach dem ungefähr eine Stunde weit etwas rechts von der Straße gelegenen Dorfe Kostuki, in der Hoffnung, daselbst die Nacht zubringen zu können.

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Wir hatten von dort die Aussicht nach Studenki, wo sich das Gefecht immer mehr der Brücke näherte und die oben beschriebene graußenvolle Verwirrung veranlaßte. Wir sahen ganz deutlich, wie die Flüchtlinge, in der Hoffnung, einen Uebergang zu finden, am F(l)uße aufwärts eilten und dort den überall lauernden Kosaken in die Hände fielen. Die Sorge, es könnte diesen gelingen, einen Uebergangspunkt zu finden und auch uns zu überfallen, veranlaßten Wildermuth auf den Aufbruch zu bestehen, der mir gar nicht behagen wollte, indem ich mich krank fühlte. Oberst Missani hatte sich in diesem Ort von uns getrennt. Auf der durch den Wald nach Zembin führenden, schmalen Straße entstand ein großes Gedränge, was uns bewog, jenseits des Sumpfes, auf einer Wiese, wo große Heuhaufen standen, anzuhalten und Kaffe zu trinken. Mit Einbruch der Nacht sezten wir unsern Marsch nach Zembin, und da es dort sehr

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voll war, weiter bis in ein Dorf fort, wo wir den Tag abzuwarten beschloßen, aus Furcht in die Hände der Kosaken zu gerathen. Diese Furcht war nicht ungegründet, denn wir fanden später, daß ein rußischer Streifcorps am 29.ten das unweit entfernte Städtchen Pletezenitza überfallen und beinahe den verwundeten Marschall Oudinot gefangen genommen hatte.

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Abschnitt XI .
Marsch nach Molodeczno. Das 29te Bülletin. Napoleon verläßt die Armee, deren Kommando er an Murat überträgt, und reist nach Paris. Rückzug über Wilna und Kowno hinter die Weichsel. Marsch der rußischen Armee. Rückzug Macdonald’s. Abfall des preußischen Corps. Rückzug Schwarzenberg´s. Dislocation der Armee hinter der Weichsel. Meine Reise von Zembin nach Thorn.
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Napoleon marschirte mit den traurigen Ueberresten, der noch vor sechs Monaten so herrlichen Armee, auf dem Weg nach Wilna. Er traf am 3.ten December in Molodeczno ein, mit ihm kaum noch 7000 Mann unter den Waffen. Tschischagof folgte auf dieser Straße. Kutusow hatte mit der Hauptarmee unterhalb Borisow die Berezina überschritten

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und die Richtung auf Minsk genommen. Wittgenstein schlug von Kamen aus den Weg nach Weleika ein, in der Absicht die französische Armee in ihrer Rechten zu beunruhigen. – In dem VII. Abschnitt ist bereits gesagt worden, daß die Baiern unter Wrede in Danilowicze stehen geblieben waren, mit dem Auftrage, Wilna zu decken. Sie hatten sich seitdem nach Weleika gewendet, wo sie Befehl erhielten, sich auf Seitenwegen nach Wilna zurückzuziehen, um die rechte Flanke der Armee zu sichern.

Es lag in der Absicht des Kaisers seiner erschöpften Armee in Molodeczno einige Tage Ruhe zu gönnen; er mußte jedoch diesen Plan aufgeben, weil die Nachhut nicht im Stande gewesen seyn würde, den stets nachfolgenden Feind aufzuhalten. In Molodeczno erließ Napoleon das bekannte 29.te Bülletin. Dasselbe bleibt in der Schilderung der ungeheuern Verluste und der grauenvollen Lage der Armee weit hinter der Wirklichkeit, machte

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aber dennoch in Frankreich und in den mit ihm verbundenen Ländern, wo man bis dahin den wahren Zustand der Armee zu verbergen gewußt hatte, einen schwer zu beschreibenden Eindruck. Napoleon schreibt in diesem Bülletin den Hauptgrund des Unglückes der Kälte zu, wogegen derselbe hauptsächlich in den Entbehrungen aller Art zu suchen ist, welche die Armee schon auf dem Hinmarsche, in einem viel höhern Grade aber auf dem Rückmarsche als Folge des widersinnigen schnellen Vergehens und der Vernachläßigung aller Verpflegsanstalten, zu ertragen hatte. Die durch Hunger und Elend erschöpften Menschen und Pferde mußten natürlich der Kälte bald unterliegen. Die Garde widerstand ihr am längsten, weil für ihre Verpflegung allein noch gesorgt worden war.

Napoleon traf am 4.ten in Bicnitza ein. Die aus Reservetruppen bestehende Division Loison war von Wilna aus der Armee entgegen marschirt und kam am 5.ten in Oszmiany an. Ein Theil des württembergischen

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Reserve-Infanterie-Regimentes hatte an diesem Tage bereits Smorgoni erreicht, der Rest desselben war aber mit Proviantwägen in Oszmiany geblieben.

Napoleon beschloß die Armee zu verlassen und nach Paris zurückzukehren. Er machte solches am 5.ten in Smorgoni seinen Marschällen bekannt, übergab das Commando an Murat und reiste Abends ab. Es fehlte nicht viel, so wäre er in Oszmiany von dem rußischen Parteigänger Kaisarof gefangen worden. Er traf am 6.ten in Wilna ein, am 10.ten in Warschau, am 14.ten in Dresden und am 19.ten in Paris, wo das 29.te Bülletin am 17.ten veröffentlicht worden war.

Murat erreichte am 8.ten Wilna, wo die Armee vergeblich Ruhe und Erholung zu finden hoffte. Napoleon hatte den Befehl gegeben, dort anzuhalten und Winterquartiere zu beziehen, was aber nicht ausführbar war, so lange der Feind seine Verfolgung nicht einstellte. In Wilna war man sehr erstaund die

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einzelnen Flüchtlinge in einem Zustand des höchsten Elendes ankommen zu sehen, denn bis zum 6.ten hatten die Einwohner noch an die Existenz der großen Armee geglaubt.

Die Nachhut konnte das Vordringen des Feindes nicht aufhalten. Victor, dessen Corps sich aufgelöst hatte, übernahm solche mit der Division Loison, an welche sich am 9.ten in der Früh Wrede in Kukoni, drei Stunden von Wilna, anschloß. Dort übernahm Ney das Commando der Nachhut. Nachmittags zog sich dieselbe bis an die Stadt zurück, alle Angriffe der Kosaken zurückweisend, denen es übrigens gelang, auf einer andern Seite in die Stadt zu dringen, aus der sie aber bald wieder verjagt wurden.

Murat, welchem vorgeworfen wird, in diesem kritischen Moment die Sorge der Befehlsgebung vernachläßigt und nicht die an ihm gewohnte Entschlossenheit gezeigt zu haben,*)[64]

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verließ Wilna am 10.ten Morgens 4.Uhr mit dem Rest der Garde, um möglichst schnell Kowno zu erreichen, woselbst er am 11.ten eintraf. Was von dem 1.ten, 2.ten, 3.ten, 4.ten und 9.ten Armeecorps an bewaffneter Mannschaft noch übrig war, nemlich 300 Mann, größtentheils Offiziere und Unteroffiziere, welche ihre Adler escortirten, hatten sich der Garde angeschlossen. Die Polen und die unberittene Cavalerie, waren über Troki und Olita dirigirt worden.

Der Marschall Ney erhielt den Befehl mit den Divisionen Loison und Wrede, die noch 2500 Mann stark waren, fortfortwährend die Nachhut zu bilden. Er verließ Wilna, von den Kosaken hart gedrängt, den 10.ten um 10. Uhr Morgens. Die ganze Armee zählte bei dem Abmarsch noch 4,300 Mann unter den Waffen.

In Wilna blieben ungefähr 20,000 Verwundete, Kranke und Marode zurück. Mit ihnen fielen dem

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Feind ungeheurre Vorräthe in die Hände.

Murat verließ am 13.ten in aller Früh Kowno, um sich nach Gumbinen zu wenden. Ney traf mit der, nur noch 1,000 Mann starken, Nachhut im Laufe des 13.ten in Kowno ein, wo er sich möglichst lang halten sollte, was aber nicht ausführbar war, denn die leicht befestigte Stadt konnte, da der Niemen und die Wilia fest zugefroren waren, von allen Seiten umgangen werden. Nur seiner außerordentlichen Geistesgegenwart und Tapferkeit gelang es, sich bis zum Einbruch der Nacht gegen die Angriffe Platofs zu vertheidigen, worauf er mit 200 Mann die Stadt verließ und ebenfalls den Wag nach Gumbinen einschlug. – Am 14.ten zählte die ganze Armee noch 1000 Mann unter den Waffen. Bis Kowno war dieselbe nur durch Parteigänger beunruhigt worden, die rußischen Corps selbst hatten die traurigen Ueberreste der französischen Armee nicht mehr erreichen können.

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Für Platof wäre es ein Leichtes gewesen, ungehindert bis Königsberg vorzudringen, er erhielt jedoch Befehl, an der preußischen Grenze anzuhalten. Murat benutzte die Ruhe, welche ihm der Feind gönnte, um die Trümmer der Armee hinter der Weichsel zu sammeln.

Tschischagof kam am 11.ten nach Wilna und erreichte am 28.ten den Niemen bei Prenn. – Die Hauptarmee unter Kutusow traf am 12.ten in Wilna ein, wo sie Cantonnements bezog. Wittgenstein war nach Georgenburg an den Niemen marschirt um Macdonald abzuschneiden. Dieser war am 19.ten von Mitau aufgebrochen, traf den 27.ten mit seiner Vorhut in Tilsit ein und wartete dort auf den General v. York, welcher aber, unter dem Vorgeben von Macdonald abgeschnitten zu seyn, die bekannte Convention von Tauroggen abschloß. Macdonald entkam mit Mühe dem verfolgenden Wittgenstein, erreichte am 3.ten Januar Königsberg, und zog sich von da hinter die

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Weichsel zurück, wohin ihn Wittgenstein auf eigne Verantwortung folgte und so gewißermaßendie die rußische Armee nach Deutschland hineinzog.

Schwarzenberg hatte Reynier gegen Sacken stehen lassen und war Tschischagof in der Richtung von Minsk gefolgt, mußte aber umkehren, und Reynier zu Hülfe eilen, welcher sich hart bedrängt sah. Sacken wurde geschlagen und bis Kowel verfolgt. In Kobrin erhielt Schwarzenberg den Befehl auf Minsk zu marschiren, was er am 27.ten November that. Am 14.ten December befand er sich in Slonim, von wo er, in Folge der Begebenheiten bei der großen Armee, seinen Rückzug über Bialystok nach Ostrolenka fortsezte, während Reynier, von Sacken verfolgt, nach Wengrow ging.

Den übrigen Corps wurden folgende Sammelplätze angewiesen:

dem 5.ten - Warschau
 -"-   6.ten - Plock
Dem 1.ten und 8.ten und der württemb. Division - Thorn,
 -"-   2.ten und 3.ten - Marienburg
 -"-   4.ten und 9.ten - Marienwerder.

Die Garde blieb in Insterburg, wurde jedoch bald durch die Division Heudelet vom 11.n Armee-Corps abgelöst, die später, unter die Befehle Macdonald's gestellt, sich mit dessen Corps nach Danzig zurückzog.

__________


Am 29.ten November hatte unsere kleine Karawane ihren Weg bis in ein Dorf fortgesezt, wo wir Lebensmittel fanden, und ungestört bleiben zu können hofften. In der Nacht traf aber die verwünschte Garde ein, die uns aus unserem Haus vertrieb, und kaum ein Plätzchen im Stalle gönnte. – Den 30.ten Abends nahmen wir, in einem großen Dorfe an der Straße, Besitz von einer kleinen Scheuer, aus welcher uns der italiänische General Dombowsky, ein geborner Pole, vertreiben wollte. Auf Wildermuths Bitten, mich, seinen kranken Kameraden, dieses Obdaches

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nicht zu berauben, da wir ja Alle Platz in der Scheuer hätten, willigte der artige Mann, der an der Berezina seine ganze Bagage verloren hatte, demnach nicht viel Platz brauchte, in diesen Vorschlag und theilte mit uns das elende Lager und die magre Kost. Er schenkte mir ein Päckchen spanische Cigarren und ließ mich von seinem Brandwein trinken, wogegen ihm unser Kaffe gut schmeckte. In der Unterhaltung äußerte er, daß dieses sein 19.ter Feldzug sey, daß er aber in keinem so viel gelitten habe, als in diesem.

Den 1.ten December fiel nichts bemerkenswerthes vor. Am 2.ten bezogen wir gegen Abend in einem Dorfe rechts der Straße eine Scheuer, denn in der Regel wurde man aus den Häusern vertrieben und fand nachher gar keine Unterkunft. Aber auch in dieser Scheuer wurden wir vielfach beunruhigt und erhielten uns darin nur durch eine List Wildermuths, der mich für einen kranken Obersten und sich für meinen Adjutanten ausgab. Mein Unwohlsein hatte

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bedeutend zugenommen; ich hatte entsezliche Kopfschmerzen und Fieber und es schien eine tüchtige Krankheit im Anmarsch zu seyn, denn bei einem Versuch von meinem Strohlager aufstehen zu wollen, wurde ich dreimal ohnmächtig und Wildermuth sagte mir, ich hätte öfters fantasirt. Kaffe und ein wenig Chocolade, welche Wildermuth noch von Moskau her hatte, waren das Einzige, was ich genießen konnte. Wildermuth fand in diesem Dorfe unsern freundlichen General Dombowsky, der zu uns kam und mir seine Wohnung anbot, eine Aufmerksamkeit, die in den damaligen Verhältnissen als etwas Unerhörtes betrachtet werden konnte.

Am 3.ten December kamen wir ein ein Dorf, unweit dessen sich Napoleons Hauptquartier in einem Edelhofe befand. Wildermuth wäre gerne weiter gegangen, um nicht mit der widerwärtigen Garde in Berührung zu kommen, ich fühlte mich jedoch sehr erschöpft, weshalb sich der treue

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Freund in meinen Wunsch fügte und blieb. Wir wurden aus unserem Haus und später auch aus einer Scheuer vertrieben und genöthigt, die Nacht im Freien zu bleiben. Ich kroch in einen Hundestall, wo ich eine abscheuliche Nacht zubrachte. Wildermuth hatte sich einen Schlitten zu verschaffen gewußt, in welchem ich am andern Morgen den Weg fortsezte. An diesem Tage, gleich wie den 5.ten und 6.ten fanden wir ziemlich gute Unterkunft, auch ereignete sich nichts besonderes.

Seit dem Uebergang der Berezina war der Mangel an Lebensmitteln weniger fühlbar, dagegen vermehrten sich die übrigen Leiden auf eine furchtbare Weise: Die Kälte stieg am 3.ten , und erreichte am 7.ten 26.Grade, später sogar 30*)[65]. Das Kopfhaar war mit Duft bedeckt und wie gepudert, am Bart hingen lange Eiszapfen, und sogar in den

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Augenwimpern sezte sich Eis an, was am Sehen hinderte. Der Schnee knitterte unter den Füßen der Menschen und die Luft hatte den Anschein mit lauter Feuerfunken angefüllt zu seyn. Es war sehr gefährlich Brantwein zu trinken, indem derselbe augenblicklich aufregte, aber Erschlaffung und Neigung zum Ausruhen folgen ließ, was bei der großen Kälte zu einem schnellen Tode führte, dem Viele unterlagen. Die Straße war übersät mit todten Menschen und Pferden, wer hinfiel und sich nicht schnell aufraffte, war verloren. Er war noch nicht todt, so zogen ihn die Nächsten aus, um sich mit seinen Lumpen zu bedecken.

Characteristisch ist folgender Zug: Ein Grenadier sah seinen Obersten vor Ermattung niedersinken, und eilte hinzu, den Leichnam zu entkleiden. Da richtete sich der Oberst auf und stammelte: Peste je ne suis pas mort.[66] Ehrerbietig trat der Grenadier zurück, und erwiederte kalt:

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Eh bien mon colonel, j´attendrais.[67].

Die Straße wurde so glatt, wie ein Spiegel, weshalb jeden Tag Bagage und Artillerie-Wagen stehen bleiben mußten. Mit untergeschlagenen Armen und tief verhüllten Gesichtern gingen Generale, Offiziere und Soldaten in dumpfer Betäubung neben einander her. Ein Jeder hatte das erste beste, was er gefunden, umgehängt, um eine Hülle mehr gegen die Kälte zu haben. Von Disciplin war keine Rede mehr, es galt nur das Recht des Stärkeren.

Alle Häuser und Scheuern wurden verbrannt, auf jeder Brandstätte lagen ganze Haufen von Toden. Von Rauch und Schmutz ganz schwarz, schlichen noch Lebende wie Gespenster auf den Brandstätten unter ihren todten Kameraden umher, bis sie hinfielen und auch starben. Mit bloßen Füßen, die vom Frost blau und dick geschwollen waren, hinkten noch Manche auf dem

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Wege bewustlos fort; Andere hatten die Sprache verloren und Viele waren in eine wahnsinnige Betäubung gefallen, in der sie freiwillig ins Feuer hineinkrochen und wimmernd verbrannten.

Die Kosaken zeigten sich gewöhnlich Vormittags zwischen 9. und 10. Uhr. Auf den Ruf: „Die Kosaken“, sezte sich die verworrene Masse in einen kurzen Trab, obschon einige Flintenschüsse hingereicht hätten, die feigen Bursche entfernt zu halten, auch wagten sie nicht ernstlich auf die Masse einzudringen, sondern begnügten sich einzelne Wehrlose zu tödten und die stehen gebliebene Bagage zu plündern.

Am 7.ten suchten wir eine Unterkunft in einem rechts der Straße gelegenen Schloße, welches aber bereits so besezt war, daß wir in einem untern Zimmer auf dem Boden liegen mußten. Ich war so hinfällig, daß ich meinen Freund bat, mich hier meinem Schicksale zu überlassen und den

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Weg allein fortzusetzen, indem ich für ihn nur eine Last sey. Zu meinem Glück zwang er mich zum Aufbruch und blieb auch den Tag über, taub gegen mein Verlangen, anzuhalten, denn wir wären sonst unwiederbringlich verloren gewesen, da die Kosaken uns auf dem Fuße folgten.

Wir brachten die Nacht in einer großen leeren Scheuer zu. Kaum hatten wir uns ein Feuer angemacht, so kamen Franzosen und vertrieben uns von demselben, und an dem zweiten wurden wir die ganze Nacht beunruhigt. Wenn ich glaubte ein gutes Plätzchen zu haben und zu schlafen, so legte sich ein unverschämter Bursche zwischen mich und das Feuer. Zum Ueberfluß zündeten uns die Buben, während wir noch frühstückten, die Scheuer über dem Kopfe an. Das Feuer griff in dem, ganz von Holz gebauten, und mit Stroh bedeckten, Gebäude so schnell um sich, daß sich mehrere kranke Franzosen nicht mehr retten

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konnten und wir kaum noch Zeit fanden, die, zum Glück schon gepackten, Pferde, herauszuziehen, es verbrannten aber unsere Hüte und Säbel und der größte Theil unseres kleinen Lebensmittelvorrathes. Meinen Schlitten hatten die Schurken schon früher verbrannt.

Mein Anzug bestand in einem Uniformsfrack, darüber ein kurzer Pelzrock, den ich mir in Moskau hatte verfertigen lassen, und ein schlechter blauer Mantel; halbverbrannte Beinkleider und zerrissene Commisschuhe. Auf dem Kopfe trug ich eine, ebenfalls von Moskau mitgenommene, blaue baumwollene Zipfelkappe und eine früher sehr schöne mit Silber besezte, jezt aber ganz schmutzige, leichte Mütze von blauem Tuch, welche ich in Leipzig gekauft hatte. Wäsche hatte ich seit Orsza nicht gewechselt, auch hatten sich die Läuse auf eine höchst lästige Weise vermehrt. Ihr Hauptsitz war im Jabot meines

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Hemdes, weshalb ich diesen abtrennte. Kam man in die Wärme, so fingen sie an, sich zu rühren. Mich hatten sie auf der Brust ganz wund gebissen, so daß man noch Jahrelang die Narben davon sehen konnte. Saß man in einem geschüzten Raum, am Feuer, so war ein gutes, öfters zur Anwendung gekommenes, Mittel, sich wenigstens der gröbsten unter ihnen zu entledigen, daß man das Hemd auszog, fest zusammenwickelte und dann über dem Feuer aufrollen ließ. An dem Knacken konnte man entnehmen, ob man sich vieler dieser lästigen Gäste entledigt hatte. −

Wildermuth war nicht besser gekleidet als ich und litt auch nicht weniger vom Ungeziefer. In diesem Aufzuge kamen wir am 9.ten Nachmittags nach Wilna, die Kosaken dicht hinter uns. Ich war so schwach, daß mich in der lezten Stunde Wildermuth und mein Bursch führten; der zweite Soldat, den ich bei mir hatte, war den Tag vorher

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verschwunden.

Unser Hauptquartier hatte ein Haus in der Vorstadt Minsk im Besitz, neben diesem war ein anderes, in welchem sich unser Depot und eine Menge Offiziere befanden. In dieser leztern brachte mich Wildermuth. In einem großen Zimmer zusammengedrängt standen oder lagen wir auf dem Boden umher. Der Hauptmann Graf zur Lippe, jeziger General, der bei Smolensk hart verwundet worden war und sich schon längere Zeit in Wilna befunden hatte, bot mir ein Glas Punsch an; ich trank solches so heiß wie möglich hinunter und schlief hierauf, auf dem Boden liegend, ein. Nach einigen Stunden wachte ich auf, noch sehr schwach, aber hell in meinen Begriffen. Der Punsch schien eine Crisis in meiner Krankheit hervorgebracht zu haben. Ich kroch in dem Saale umher und fand den Oberst von Missani, der mir sagte, daß ich einen Platz in einem Courierwagen

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bekommen könne, der zu seiner und des Prinzen Hohenlohe, jezigen Fürsten von Kirchberg, Disposition gestellt worden sey, aber doch wohl thun würde, die Erlaubniß dazu bei dem Generallieutenant von Scheeler einzuholen. Ich schleppte mich, vom Wildermuth unterstüzt, in das nebenstehende Haus, wo mir Graf Scheeler sehr freundlich diese Erlaubniß ertheilte, mir jedoch den Rath gab, bei meinem schlechten Gesundheitszustand in dem Spital zu bleiben, welches er möglichst mit Bedürfnissen habe versehen lassen und in dem ein Arzt /: der jezige Leibmedicus Ludwig :/ als commandirt zurück bleibe. Um keinen Preis wäre ich jedoch hierauf eingegangen, ich fühlte noch so viele Seelenstärke in mir, neuen Entbehrungen und Gefahren zu trotzen, die doch bald ein Ende nehmen mußten, denn bis an den Niemen waren es nur noch drei Tagemärsche und für mein Fortkommen war ja einstweilen gesorgt.

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Viele verwundete und kranke Offiziere waren körperlich so schwach, daß sie in Wilna zurückbleiben mußten; andern fehlte es an moralischer Kraft sich neuen Entbehrungen auszusetzen: der augenblickliche Genuß warmer Zimmer und guter Kost ließ sie vergessen, daß sie bald dem Feinde in die Hände fallen und dann noch großerem Elende und zwar für eine lange, schwer zu berechnende, Zeit entgegen gehen mußten.

Das württembergische Reserve-Infanterie-Regiment, ungefähr 1400 Mann ausmarschirt, war von Smorgoni bis Wilna auf 60.Mann zusammengeschmolzen. Dieses kleine Häufchen escortirte am 10.ten unser Hauptquartier, an das sich alles anschloß, was von uns noch fortkommen konnte.

Das Schicksal der Zurückgebliebenen war schrecklich. Die christlichen Einwohner benahmen

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sich in der Regel menschlich gegen sie, aber die dortigen Juden, eine verworfene Race, nicht allein zufrieden, uns auf alle mögliche Weise betrogen zu haben, gingen mitunter so weit, Kranke und Verwundete in ihre Häuser zu locken, sie zu berauben und nachher, bei der Ankunft der Russen, nackt und halbtodt auf die Straße zu stoßen; es gab sogar welche unter ihnen, die sich ein Verdienst daraus machten, diese armen Unglücklichen noch auf alle mögliche Weise zu quälen, bis sie ihr elendes Leben aushauchten.

Für die Spitäler wurde in den ersten 6. - 8.Tagen nach unserm Abmarsch gar nicht gesorgt. Tode und Lebende blieben unter einander liegen. Die rußischen Soldaten drangen in dieselben ein, plünderten was sie fanden und prügelten die armen Kranken noch obendrein. Kaum daß man ihnen einige Stücke verdorbenes Brod hinwarf,

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um ihr elendes Dasein zu fristen. Später wurden Schutzwachen in den Spitälern aufgestellt und die Toden entfernt; die Aufwärter warfen sie zu den Fenstern hinaus, oder schleppten sie an den Beinen die Treppen hinunter, wobei sie oft nicht warteten, bis sie ganz todt waren. Die aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Kameraden haben mir erzählt, daß es ein schreckliches Gefühl gewesen sey, zu hören, wie die Köpfe auf den Treppenstufen aufgeschlagen wären, denn unwillkührlich habe sich hiermit der Gedanke verknüpft, in Kurzem, vielleicht noch lebend, einem gleichen Loos anheimzufallen.

Nur die große Kälte errettete die Einwohner Wilna´s vor ansteckenden Krankheiten, welche die in den Straßen und Gebäuden umherliegenden, Tausende von Leichnamen unfehlbar verbreitet haben würden. Erst im April 1813. wurden die in den Spitälern befindlich gewesenen Offiziere und Soldaten in das Innere von Rußland abgeführt.

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Ungefähr zwei Stunden von Wilna führt bei Ponary die Straße über einen, an und für sich unbedeutenden, Berg, dessen Abhang aber so glatt geworden war, daß es unmöglich wurde, Wagen hinauf zu bringen; selbst Reiter und Fußgänger konnten ihn nur zur Seite der Straße durch den Wald ersteigen. An diesem Defile blieb alles, was von Fuhrwerken noch übrig war, stehen, unter diesen, viele Wagen mit Verwundeten und Kranken, die gehofft hatten, sich fortzubringen, die Equipagen des Kaisers und der Schatz mit zehn Millionen Franken, welcher von den Soldaten geplündert wurde. Man erzählt, daß sich die Kosaken unter die plündernden Soldaten gemischt und in ihrer Geldgier die Feindseligkeiten eingestellt hätten.

Der Berg bei Ponary wäre leicht zu umgehen und diese Catastrophe zu vermeiden gewesen. Man schien aber hierin, gleich wie an so Vieles, nicht gedacht zu haben.

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Unser, mit vier Trainpferden bespannter und von zwei Trainsoldaten geführter, Wagen konnte unmöglich diesen Berg hinaufkommen. Zum Glück hatten wir uns dem Wagen des Generals v. Kerner angeschlossen, der vom Grafen Scheeler den Auftrag erhalten hatte, voraus in das Vaterland zu eilen, um dem König mündlich unser Schicksal zu berichten, was schriftlich nicht wohl möglich war. General v. Kerner hatte einen Juden als Wegeweiser mitgenommen, der uns einen ganz mit Schnee bedeckten Seitenweg links den Berg hinauf führte. – Was von württembergischen Soldaten noch übrig war, schlug ebenfalls diesen Weg ein, und half uns über die schlechten, oft gefährlichen Stellen hinweg. So kamen wir endlich oben auf dem Berge wieder auf die Straße, wo uns der General v. Kerner ersuchte, den Hauptmann Grafen von Faucigny in unsern Wagen zu nehmen. – Wildermuth war mit dem Hauptquartier von Wilna abmarschirt,

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trennte sich aber an dem Berg von uns. Nachdem er ihn mit Mühe erstiegen hatte und nun auf das Chaos von Wägen am Fuße desselben herabsah, rief Geiger in seiner rohen, nichts desto weniger aber große Anhänglichkeit verrathenden, Weise: „Jezt haben wir den Baumbach so lange nachgeschleppt und nun ist er doch . . . . . . .“ Ich war aber, wie gesagt, bereits oben angelangt und sezte meinen Weg in dem Courierwagen fort. Zu verwundern ist es, daß wir nicht in demselben erfroren, denn er war offen und wir schlecht bekleidet. Wir fuhren so weit die Pferde nur gehen konnten und hielten nur einige Stunden in einem überfüllten Dorfe an, um zu füttern und zu genießen, was wir von Wilna mitgenommen hatten. In der Nacht wurde einer der Trainsoldaten so schwach, daß ein Soldat, den wir mitgenommen hatten, statt seiner fahren mußte; wir banden ihn hinten auf dem Wagen fest, er starb aber, bevor wir Kowno erreichten,

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was am 11.ten Abends der Fall war. Auch zwei Pferde waren gestürzt und der zweite Trainsoldat starb in Kowno. Mit großer Mühe fanden wir in der Nacht eine schlechte Unterkunft für uns und unsere Pferde. Es war noch ziemlich ruhig in Kowno, so daß wir uns am andern Tag, den 12.ten in einer Restauration erwärmten und ein ordentliches Mittagessen einnehmen konnten, das erste seit langer Zeit. – Ich fand dort den badischen General von Frank, einen gebornen Hessen. Nachmittags fuhren wir über den Niemen und bis auf einen Edelhof, wo wir ein warmes Zimmer und Futter für unsere Pferde fanden, die sehr ermattet waren.

In der Nacht traf die Nachricht ein, die Kosaken seien über den Niemen gegangen und wir nicht mehr sicher, von ihnen aufgehoben zu werden, was uns veranlaßte noch vor Tag aufzubrechen. Wir waren noch nicht weit auf der Straße nach

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Stalupönen fortgefahren, als uns der ungeschickte Soldat, der die erfrornen Trainsoldaten ersezt hatte, umwarf. Mit Mühe richteten wir den Wagen wieder auf und erreichten nach einigen Stunden eine polnische Poststation. Die Pferde konnten nicht mehr fort, wir mußten daher auf andere Transportmittel denken. Vorspann konnten wir nicht haben, denn die Bauern gaben uns freiwillig keine, und sie dazu zu zwingen, waren wir zu unmächtig; es blieb daher nichts übrig, als uns für Geld und gute Worte Schlitten zu verschaffen und den Wagen und die nicht mehr fortzubringenden Pferde stehen zu lassen. Geld hatten nur der Prinz Hohenlohe und Faucigny, die sich jedoch bereit erklärten, Missani und mir einstweilen welches vorzuschießen. Mit vieler Mühe gelang es uns zwei Schlitten aufzutreiben. Nach mancherlei Widerwärtigkeiten kamen wir nach Stalupönen, dem 1.ten preußischen Städtchen.

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Hier übernachteten wir seit sieben Monaten zum erstenmal wieder in Betten. Das Ungewohnte mochte der Grund seyn, daß ich trotz großer Ermattung, schlecht schlief. Am andern Morgen kaufte ich mir für meinen lezten Dukaten ein Hemd, was eine große Wohlthat war, denn ich entledigte mich dadurch eines großen Theils der abscheulichen Läuse. Ein höchst angenehmes Gefühl war es, im warmen Wirthszimmer aus anständigem Geschirr Kaffe zu trinken und Milchbrod zu essen. Der Eindruck den diese, in einem ganz gewöhnlichen Wirthshause zugebrachte, Nacht auf mich machte, war so tief, daß ich noch jezt, nach 25. Jahren, das Bett, die Stube, in der wir frühstückten, und das Kaffegeschirr malen könnte. – Mit meiner Gesundheit ging es täglich besser, dagegen stellten sich aber arge Schmerzen in den erfrornen Füßen ein, die am stärksten waren, wenn ich in ein warmes Zimmer kam. Mancherlei Mittel wurden mir angegeben, unter denen ich heiße

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Fußbäder, in denen Alaun aufgelöst worden war, als recht wirksam fand.

Theils mit Post, theils mit Vorspann, sezten wir unsern Weg über Gumbinen, Insterburg, Wehlau, Friedland, Eylau, Mehlsack nach Elbingen fort. Ueberall wurden wir sehr freundlich aufgenommen, wozu der Name „Hohenlohe“ viel beitragen mochte, denn der Vetter des Prinzen, der preußische General Fürst Hohenlohe Oehringen, war in dieser Gegend commandirender General gewesen und stand in einem sehr guten Andenken. Die Franzosen hatten sich keines so guten Empfanges zu erfreuen, die Preußen verhehlten nicht mehr die Erbitterung, welche sie gegen ihre Unterdrücker im Herzen trugen.

Wir hatten auf dieser Reise, neben der Kälte, mit nichts als mit der Unschlüssigkeit und den Eigenheiten des Prinzen zu kämpfen, der nie vor Mittag aufstehen wollte, so daß wir immer bis tief in die Nacht hineinfahren mußten. Wo wir hinkamen

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versammelten sich die Menschen um uns, und verlangten, daß wir ihnen unsere Schicksale erzählen sollten, was nachgerade lästig wurde.

In Elbingen hofften wir den Kriegs-Commissair Herdegen /: den jezigen Finanzminister :/ zu finden, der Geld und vom König den Auftrag hatte, einem Jeden zu geben, so viel er brauche. – Er war aber schon nach Marienburg voraus gereist, weshalb ich den Auftrag übernahm ihm nachzueilen und Geld für uns Alle zu verlangen. Ich traf ihn auch wie er gerade im Begriff war, weiter zu gehen, nahm das Geld in Empfang und erwartete hierauf die Ankunft der übrigen Reisegefährten. – Zwischen Marienburg und Marienwerder wurden wir umgeworfen, wobei ich einen heftigen Stoß auf die Brust bekam, der mir längere Zeit Schmerzen verursachte. Die Eigenheiten des Prinzen Hohenlohe langweilten den Obersten Missani, weshalb er mich veranlaßte, uns von den beiden andern Reisegefährten

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zu trennen und nach Thorn voraus zu gehen, wo wir den 23.ten December ankamen. Graf Scheler war einige Stunden vor uns eingetroffen. Er empfing mich recht freundlich und schien sich über meine Rettung aufrichtig zu freuen; nach dem Zustande in dem ich mich in Wilna befunden hätte, habe er nicht erwarten können, mich wieder zu sehen. –

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Abschnitt XII .
Zustand der Armee nach ihrem Eintreffen hinter der Weichsel. Lage der rußischen Armee. Rückzug der Oestereicher nach Gallizien. Napoleon entzieht Murat das Armeecommando und überträgt es dem Vice-König. Die französische Armee zieht sich hinter die Oder zurück. Mein Aufenthalt in Thorn und Rückreise über Nentershausen nach Heilbronn.
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Die traurigen Ueberreste der französischen Armee, welche sich hinter der Weichsel sammelten, betrugen, nach einer approximativen Berechnung: 23,000 Mann, von denen aber kaum die Hälfte im Stande war, die Waffen zu tragen. Die Oestereicher und Preußen hatten noch 40,000. Mann, es waren also ungefähr 63,000 Mann zurückgekommen. Nun war aber, nach der in

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der Einleitung aufgestellten Berechnung, die Armee 610,000 Mann stark gewesen, von denen jedoch die Garnisonen in den Festungen an der Weichsel und Oder, gleich wie die in Preußen stehen gebliebenen Division Morand des 11.ten Armeecorps, zusammen ungefähr 60,000. Mann *) [68] abgezogen werden müßen. – Der ganze Verlust läßt sich daher auf 487,000 Menschen berechnen, wozu noch ungefähr 167,000 Pferde und 1200 Geschüze zu zählen sind! – **) [69]

Der Verlust an Menschen vertheilt sich auf die verschiedenen Nationen, welche Theil an dem Kriege nahmen, ungefähr wie folgt:

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Nationen Es marschierten
nach Rußland:
Es kamen zurück,
die Besatzungen
mit inbegriffen:
Folglich gingen
verloren:
Franzosen 297,100. 34,100. 263,000.
Spanier 4,000.
-
4,000.
Portugiesen 6,000.
-
6,000.
Italiener, Illyrier, Croaten 40,000. 10,000. 30,000.
Schweizer 10,000. 1,000. 9,000.
Polen 80,000. 15,000. 65,000.
Oestereicher 30,000. 25,000. 5,000.
Preußen 20,000. 15,000. 5,000.
Truppen des rheinischen Bundes 122,900. 22,900. 100,000.
Zusammen 610,000. 123,000. 487,000.


Aber auch die rußische Armee hatte durch die außerordentliche Kälte, die anstrengenden Märsche, die Bivouacs und den Mangel, dem sie auf der verwüsteten Straße ausgesezt gewesen war, große Verluste erlitten. Ihre Stärke betrug zu der Zeit, als Kutusow in Wilna eintraf, alles in allem noch

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100,000 Mann und war daher nicht im Stand, die französische Armee mit Nachdruck zu verfolgen. Erst nach der Ankunft des Kaisers Alexander in Wilna, am 22.ten December, erhielt Platof den Befehl, auf das preußische Gebiet vorzudringen. Tschischagof kam den 3.ten Januar nach Insterburg.

Murat verlegte sein Hauptquartier am 11.ten von Elbing nach Posen. Am 16.ten trafen die lezten Truppen Macdonalds in Danzig ein, welche Festung am 21.ten vom Wittgensteinischen Corps gänzlich eingeschlossen wurde. General Rapp übernahm das Commando der 35,934 Mann starken Garnison, von denen jedoch 5919 Mann in den Spitälern lagen.*)[70] Tschischagof wendete sich gegen Thorn.

(271 ≡)

Auf Befehl des Kaiser Alexander waren die Feindseligkeiten gegen Schwarzenberg eingestellt worden, wodurch stillschweigend ein Waffenstillstand eintrat, der einen Theil des Januars über dauerte und der sich auch, unter dem Schutz der östereichischen Vorposten, auf das 7.te Armeecorps ausdehnte.

Am 22.ten Januar erhielt Schwarzenberg von seinem Hofe den Befehl, sich nach Gallizien zurückzuziehen. Reynier begann am 4.ten Februar seinen Rückzug nach Kalisch, und Poniatofsky den seinigen nach Krakau. Den 8.ten Februar rückten die Rußen in Warschau ein.

Napoleon, unzufrieden mit der Heerführung seines Schwagers Murat, entzog ihm dieselbe und übertrug sie dem Vicekönig von Italien, der am 17.ten Januar in Posen eintraf. Am 11.ten Februar verließ Eugen Posen und am 18.ten hatten sich die Franzosen gänzlich auf das linke Ufer der Oder zurückgezogen. Mit dem bald darauf erfolgten Uebertritt

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Preußens zu den Rußen und dem Rückzug der französischen Armee hinter die Elbe beginnt der Feldzug 1813.

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Die württembergische Division wurde in Thorn unter die Befehle Jünots gestellt, der das 8.te Armee-Corps, die Westphalen commandirte. Er wies unsrer Division Inowraslaw zum Sammelplatze an, einem 10. Stunden von Thorn auf der Straße nach Posen gelegenen Städtchen, dessen Bewohner größtentheils Juden sind. Graf Scheeler gab mir den Befehl in Thorn zu bleiben und alles, was von uns dort eintreffe, nach Inowraslaw zu instratiren, vorher aber die waffenfähige Mannschaft mit Gewehren zu versehen, wozu ich in Thorn Anweisung auf das dortige Waffendepot bekam. Ich mußte jeden Morgen zum Herzog von Abrantes hinken, denn das Gehen ging noch schlecht, und ihm Rapport erstatten, wie viel Leute den Tag zuvor nach Inowraslaw abgesendet worden seien. Deren waren aber nicht viele.

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Im Ganzen wurden ungefähr 600 Mann dort gesammelt, von denen nur 200. als dienstfähig in Posen in Garnison bleiben mußten und später nach Cüstrin verlegt wurden.

Ich hatte in Thorn viel auf dem Quartieramt zu thun, mit dem ich nicht immer einig war. Eines Tages hatte ich mich auch mit den Herrn gezankt und riß die Thüre auf, um zu dem Gouverneur zu gehen und mich zu beschweren. Da trat mir Freund Stark entgegen, der sich ein Quartierbillet holen wollte. Dieses war also das zweitemal, daß wir uns nach großen überstandenen Gefahren unversehrt wieder sahen. Er blieb, zu meiner großen Freude, in Thorn.

Am 31.ten December traf auch Freund Wildermuth mit Geiger in Thorn ein, aber in einem betrübten Zustande, denn er hatte den linken Fuß so erfroren, daß er von einem Wagen in den andern getragen werden mußte. Er hatte zwischen Wilna und der

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preußischen Grenze noch mancherlei Gefahren und Mühseligkeiten zu bestehen gehabt, in Kowno sein und mein Packpferd mit unserer ganzen Habseligkeit verloren und war von dem Corporal Rösch und seiner Frau getrennt worden. Auf meinen Wunsch blieb er einen Tag in Thorn und fuhr hierauf nach Inowraslaw. Einige Tage später kam auch Corporal Rösch, seine Frau und mein Bursch mit einem meiner Pferde an. – Sie hatten Wildermuth in Kowno verloren und den Weg nach Tilsit eingeschlagen, während er den nach Stalupönen genommen hatte. Die Packpferde, gaben sie an, seien von Franzosen geraubt worden.

In Thorn ging mir´s gut: ich hatte Geld und konnte mich frisch kleiden, auch fand ich in einem Gasthof recht gute Kost. Hier war es, wo ich die Bekanntschaft eines alten freundlichen Herrn Sartorius machte, der in der Nähe von Inowraslaw ein Gut Kopelnick besaß. Er schien Gefallen an mir

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und einem Lieutenant Schenk von Winterstetten zu finden, der bei unsern Jägern zu Pferd stand, und einer der schönsten Männer war, die ich je gesehen habe. Sartorius schlug uns vor, bei ihm auf seinem Gute zu verweilen, bis wir abreisen würden. Wir, Schenk und ich, kamen daher überein, die Rückreise in das Vaterland gemeinschaftlich fortzusetzen, zu welchem Ende ich ihn, nach Beendigung meines Auftrages in Thorn, in Kopelnick abholen sollte.

Am 9.ten Januar erhielt ich den Befehl mich nach Inowraslaw zu verfügen, indem sich bereits Kosaken in der Nähe gezeigt hatten und deshalb die Festung in Belagerungszustand erklärt worden war. Ich reiste daher mit Post ab, traf Abends in Inowraslaw ein, ließ mir im Hauptquartier meine Marschroute nach Posen geben und fuhr noch in der Nacht nach Kopelnick.

Am 10.ten verließen die Reste unserer Division Inowraslaw. Die Offiziere, welche nicht bei der

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gesunden Mannschaft eingetheilt worden waren, reisten für sich. Die Kranken wurden in einen Transport vereinigt, der seinen Weg über Frankfurt an der Oder, Leipzig, Gotha und Würzburg nach dem Vaterlande nahm. – Freund Wildermuth befand sich bei demselben und hatte die Güte, mein Pferd mitzunehmen.

In Kopelnick blieb ich den 10.ten. Ich machte dort die Bekanntschaft eines Herrn von Schwanenfeld, Neffen und Erben des alten Sartorius, eines kleinen bucklichten Kerlchens, der weniger Freude an uns zu haben schien, als sein alter Onkel. Der Zufall wollte, daß wir uns im Jahr 1831. in Frankfurt a. M. wiedersehen sollten, wo er mit seiner Frau und seinem Bruder, einem preußischen Major, den Winter zubrachte. Der alte Onkel war gestorben und er durch dessen Erbschaft ein vermögender Mann geworden.

Sartorius verkaufte uns um einen so geringen

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Preiß, daß wir es als ein Geschenk betrachten konnten, zwei Pferde und einen Leiterwagen, auf welchem wir, in jeder Beziehung von seiner Güte überhäuft, am 11.ten unsern Weg nach Posen fortsezten. Dort wurde uns freigestellt, über Glogau und Dresden, oder über Frankfurt a. d. Oder und Leipzig nach der Heimath zu reisen. Wir wählten lezteren Weg, weil ich die Absicht hatte von Eisenach aus die Heimath zu besuchen, wohin ich von Thorn aus Kunde von meiner glücklichen Ankunft daselbst gegeben hatte. In Lüben vertauschten wir unsere Pferde und den Leiterwagen gegen einen Korbwagen, um schneller fortzukommen. In Gotha, wohin meine gute Mutter die Nachricht von meiner Reise gegeben hatte, fand ich eine Einladung auf dem Quartieramt, bei meinem Onkel, dem Schloßhauptmann von Wangenheim, zu wohnen, wo ich sehr freundlich aufgenommen wurde.

Schenk willigte in meine Bitte, anstatt direct

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nach Meiningen zu gehen, den Weg über Berka zu nehmen und einen Abstecher nach Nentershausen zu machen. Es wurde bereits Nacht als wir nach Sues kamen; es lag tiefer Schnee und war gefährlich den Weg zu Wagen fortzusetzen, weshalb wir denselben über das Bauhaus schickten und zu Fuß den Stangenpfad hinunter gingen, was für einen wenig geübten Fußgänger wie Schenk, keine Kleinigkeit war.

Ich fand meine gute Mutter allein in ihrem Zimmer, die Geschwister alle und der Onkel Ernst waren bei der Tante Mariane zum Thee. Die Freude dieses Wiedersehens ist nicht mit Worten zu beschreiben. – Wir blieben drei Tage lang in Nentershausen, in denen sich Schenk mit den Beschwerden des Herzberges vollkommen auszusöhnen schien, und fuhren dann über Berka und Wach nach Salzungen. Kurz vor der Stadt wurden wir umgeworfen, ohne jedoch Schaden zu nehmen.

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Von dort reisten wir, ohne Aufenthalt, über Meinungen[71] und Würzburg nach Heilbronn, wo mein Regiment neu errichtet wurde. Schenk begab sich zu dem seinigen nach Ludwigsburg.

Ich war am 28.ten Januar in Heilbronn eingetroffen. Wildermuth kam erst am 23.ten Februar an, immer noch unfähig, seinen Fuß zu gebrauchen.


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  1. GenWiki-Red.: „Am 6. Nobember 1837 trafen sich über hundert württembergische «Rußländer» im früheren Stuttgarter «Königsbad» in Anwesenheit von König Wilhelm I., ihres damaligen Feldzugskommandanten (damals noch Kronprinz), zur 25. Jahresfeier, um ihrer Leidenszeit wieder zu gedenken“, schreibt Gerhardt im Jahr 1937. Es ist denkbar, dass diese Gedenkfeier letztlich den Anstoß für von Baumbach gab, auch seine Erinnerungen zu Papier zu bringen, nachdem es schon so viele seiner Leidensgenossen getan hatten.
  2. *) Chambray, histoire de l´expédition de Russie, und Clausewitz, 7ter Band, S. 91
  3. *) Clausewitz 7ter Band, S: 45 und
          Boutourlin, histoire militaire de la campagne de Russie, T:1r p. 152.
          Aus diesem Werke eines Rußen sind überhaupt die Angaben über die Stärke der rußischen Armee entlehnt.
  4. GenWiki-Red.: ... von Württemberg
  5. GenWiki-Red.: Oberst von Dernbach
  6. GenWiki-Red.: Oberst Dernbach
  7. GenWiki-Red.: Wieviel ist das ?
  8. GenWiki-Red.: Diesen Aufruf gab Napoleon als Tagesbefehl 22. Juni 1812 von Wilkowiszki aus aus. (E. Labaume: Ausführliche Erzählung von dem Feldzuge in Russland im Jahr 1812, Leipzig 1812, S. 19.)
  9. *) Faber, Blätter aus meinem Porte-feuille No 4.
  10. *) Clausewitz, 7ter Band, Seite 15
  11. **) Boutourlin, 1ter Band, Seite 152.
  12. *) Blätter aus meinem Porte-feuille, No 8, 22.
  13. *) Fabers Blätter, No 12.
  14. *) Fabers Blätter No 36, 37 und 38.
  15. GenWiki-Red.:" Labaume gibt die Erzählungen eines Freundes wider (S. 89f.): „Sie können sich, sagte dieser Offizier, keine Vorstellung von der schrecklichen Verheerung machen, welche das Innere von Smolensk darbot. Mein Tritt in diese Stadt macht in meinem Leben einen wichtigen Zeitpunkt aus. Stellen Sie sich alle Straßen, alle Plätze mit todten oder sterbenden Russen angefüllt, und die Flammen vor, welche in weiter Ferne dies schreckliche Gemälde beleuchten!“
  16. *) Die Beschreibung der Stellungen der rußischen Corps und die Namen der Ortschaften und Flüßchen, sind dem Werke des rußischen Oberst Boutourlin entlehnt, welchem ohne Zweifel in dieser Beziehung bessere Hülfsquellen zu Gebot gestanden sind, als den französischen und deutschen Autoren.
  17. *) Chambray, 1ter Band, Seite 189.
  18. *) Boutourlin, 1ter Band, Seite 268 und 285
  19. **) Clausewitz, 7ter Band, Seite 125
  20. *) Chambray, 1ter Theil, S. 191, Clausewitz, 7ter Band, S. 123
  21. **) Boutourlin, 1ter Theil, S. 252
  22. GenWiki-Red.: Napoleon
  23. *) Clausewitz, 7ter Band, S. 131.
  24. GenWiki-Red.: Kutusow wurde am 19. September 1815 siebzig Jahre alt, war also im Jahr 1812 68 Jahre.
  25. *) Boutourlin, 1ter Band, S. 295 und 309.
  26. *) Fabers Blätter, No 22 und 49.
  27. GenWiki-Red.: 2 Gulden 24 Kreuzer
  28. *) Clausewitz, 7ter Band, S. 141. Seine Angaben dürften von allen die richtigen seyn.
  29. *) Fabers Blätter No 54. Dieses Blatt soll den geschilderten Moment der Schlacht vorstellen. Die Lage der Schanze und unsre Aufstellung ist nicht ganz richtig, dagegen sind die verschiedenen Uniformen und namentlich das theatralische Costüme des Königs von Neapel sehr gut dargestellt.
  30. GenWiki-Red.: Text wurde nachträglich übergeschrieben.
  31. *) Segür, 1ter Theil, Seite 391 und 402
  32. *) Chambray 1ter Theil, Seite 316; Segür, 1ter Theil, Seite 420.
  33. *) Boutourlin, 1ter Band, S: 349; Chambray 1ter Band, S: 314.
  34. *) Fabers Blätter, No 59
  35. GenWiki-Red.: Im Original nachträglich eingefügt.
  36. *) Boutourlin, 1ter Theil, Seite 356
  37. *) Clausewitz, 7ter Band, S. 169. Die Angaben dieses Schriftstellers scheinen überhaupt, was die Armeen betrifft, am meisten Glauben zu verdienen.
  38. *) Clausewitz, Band 7, S: 182. Segür, Band 2, S: 28
  39. GenWiki-Red.: Der Name des Schlößchens wurde von gleicher Hand übergeschrieben.
  40. *) Fabers Blätter, No 65 bis 76
  41. *) Chambray, 2ter Band, Seite 79
  42. *) Fabers Blätter No 76
  43. *) Boutourlin, 2ter Band, Seite 168
  44. *) Fabers Blätter No 78
  45. GenWiki-Red.: Im Original in lateinischer Schrift.
  46. GenWiki-Red.: Ab hier wechselt die Handschrift!
  47. *) Chambray, 2ter Theil, Seite 135.
  48. *) Fabers Blätter, N.ro 79. bis 83.
  49. *) Boutourlin, 2 ter Band, Seite 193.
  50. GenWiki-Red.: gemeint ist: Kutusow
  51. GenWiki-Red.:Durchstreichung im Original.
  52. *) Chambray, 2.r Band, Seite 194. Boutourlin, 2.r Band, Seite 232, giebt die Stärke der rußischen Armee nur zu 50,000. Mann an, was wohl, neben dem, daß er ein Ruße ist, seinen Grund darin finden mag, daß er das was bei Krasnoy unter den Waffen stand, berechnet, ohne die Detachements hinzuzuzählen.
  53. *) Fabers Blätter, Nro 84 und 85.
  54. *) Boutourlin, 2.r Band, Seite 220.
  55. GenWiki-Red.: Übergeschriebenes ist unleserlich, scheint ausradiert zu sein.
  56. GenWiki-Red.: Damit ist klar, daß wir nur Mißerfolg haben werden!
  57. *) Boutourlin, 2r Band, Seite 356.
  58. *) Fabers Blätter, N.ro 90.
  59. Bourtourlin, 2r Band, Seite 385.
  60. Chambray, 2r Band, Seite 372. gibt an, daß die Trophäen erst bei Wilna verloren gegangen seyen.
  61. Chambray, 2r Band, Seite 324.-331.
  62. Fabers Blätter, Nro 89.
  63. GenWiki-Red.: (frz.) Möge der mutigste von Euch elenden Schurken herunterkommen und sich mit mir messen.
    eigentlich: descendre
  64. Chambray, 2r Band, Seite 368.
  65. Boutourlin, 2.r Band, Seite 408.
  66. GenWiki-Red.: (frz.) „Die Pest, ich bin nicht tot.“
  67. GenWiki-Red.: (frz.) „Ja gut, mein Oberst, dann warte ich.“
  68. Plotho, 1r Theil, Seite 34.
  69. Chambray, 2r Theil, Seite 398. und Clausewitz 7.ter Band, Seite 91. – Letzterer hat aber bei seiner Berechnung die Garnisonen in den Festungen nicht in Abzug gebracht.
  70. Chambray, 2.r Theil, Seite 400. – Andere Schriftsteller berechnen die Stärke der Garnison nur auf 20,000 Mann, auf welchen Stand sie wohl später heruntergekommen seyn mag.
  71. GenWiki-Red.: Verschrieben für Meiningen.


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