Schaktarp

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Hochwasser 1914: Von Eis umschlossene Gehöfte in Atmath.

Name

Schaktarp oder Schacktarp ist ein litauisches Wort und bedeutet, dass man während dieser Jahreszeit nur auf Knüppel- oder Strauchwerkdämmen vorankommen kann. Es leitet sich ab von

  • "šaktarpis" = Inseldasein, Abgeschnittensein, hervorgerufen durch schwachen Frost oder Eisschmelze

aber auch

1. Zwischenraum zwischen den Zinken einer Harke

2. Zwischenraum zwischen zwei Ästen (z.B. zwischen den Brettern eines Knüppeldamms)

3. Zwischenraum zwischen zwei Flussarmen


Erklärung

Besonders das von dem Rußstrom, seinen Zuflüssen und Armen durchzogene Memel-Niederungsgelände wird im Winterhalbjahr recht häufig von dem sogenannten Schaktarp heimgesucht. Er stellt sich nach Überschwemmung und nachfolgendem leichteren Froste, wenn das Eis noch schwach ist, oder während des Tauwetters ein, wenn das Eis schon mürbe und für Menschen und Tiere unpassierbar geworden ist. Dann können viele Wege nur durch aufgelegte Baumzweige ("zwischen den Zweigen", siehe oben), also nach Herstellung eines Knüppeldammes, benutzt werden. Zu diesen Zeiten sind die davon betroffenen Gegenden von der Außenwelt abgeschnitten. Zu ihnen kommt keine Post, kein Arzt, kein Geistlicher. Manchmal können die Verstorbenen erst nach Wochen beerdigt werden. Jede Beschäftigung, auch die Fischerei, ruht: Hunger, Mangel an Brennmaterial oder gar ansteckende Krankheiten stellen sich ein. Wenn der Zustand längere Zeit anhält, wird die Lage prekär.

Schließlich bricht das Eis doch auf und fließt mit dem Strom ins Kurische Haff. Oft genug dringt das Hochwasser sogar in die Häuser ein. Starker Ostwind treibt die dicken Eisschollen bis an die Hauswände, wo sie manchmal bis zum Dach hochgeschoben werden. Oft wurden Gebäude ganz zusammengedrückt. Die Geschädigten bauten ihr Gehöft dann nicht mehr auf, sondern kaufen sich Anwesen in höher gelegenen Dörfern. So sind ganze Ortschaften verschwunden. Es wird berichtet, dass auch ganze Wiesen und Äcker, teilweise mit Gebäuden darauf, vom Wasser mitgerissen wurden und aufs Haff trieben.

Nur die Kinder freuen sich, weil sie "Schaktarp-Ferien" bekommen. Tritt stärkerer Frost ein, dann staunt derjenige, der zum ersten Mal in diese Gegend kommt, weil er alt und jung mit Schlitten und Schlittschuhen von Ort zu Ort über die unabsehbaren Eisfelder dahineilen sieht.

Noch gefährlicher als der Schaktarp ist das Hochwasser im Memelstromgebiet.

Schilderungen

Skirwieth

"Am Abend vor dem Osterfeiertag standen die Bewohner von Wiettinnen nach verrichteter Tagesarbeit plaudernd auf dem Deich und schauten nach dem Strom, in dessen Leib sich Leben regte. In hohem Bogen quoll die Mitte, im trockenen Eisschnee glänzend, hervor, und nur die Ränder hielten sich noch krampfhaft an den weitverzweigten Ästen der Weidenbüsche. Man hatte gehört, daß es "oben" stark geregnet hatte. Sie selbst hatten ja im Osten am blauen Himmel das Wetterleuchten gesehen. Ein Frühlingsgewitter hatte die schlafende Erde erschüttert und die Schneemassen in Wasser verwandelt. Hier unten stand aber das Haff noch starr und abweisend, unter keinen Umständen bereit, die Wucht des hergeschleppten Eises aufzunehmen.

Donnerwetter, meinten einige alte Wiettinner, das könnte womöglich ein Hochwasser geben, wie es die Großeltern gesehen haben. Als die Wiettinner am frühen Morgen, vor Sonnenaufgang, das Osterwasser schöpften, war der Bauch des Flusses noch mehr geschwollen, und ein dumpfer, gurgelnder Ton war vernehmbar. Das kam schon von dem fremden Eise, das unter dem gewölbten Bauch der Wiettinne kroch, jeden Augenblick bereit, die Starrheit zu brechen.

Noch einmal legten sich die meisten zur Ruhe. Es war ja in jedem Jahre gut gegangen. Plötzlich knackte und knatterte es wie aus tausend Gewehren, und als die Wiettinner entsetzt aus den Betten sprangen, piepte und quietschte und zirpte es unter den Dielen, als gehe ein Haufen mordgieriger Mäuse zum Sturmangriff vor: durch die Dielenritzen preßte sich das Wasser.

Im Nu war das ganze Dorf in den Ställen. Das Vieh wurde aufgebrückt oder mit vieler Mühe auf den Schuppen gebracht. Dann erst konnte man sich im Hause umsehen, wo im Flur der große buntbemalte Kasten mit dem Osterstreuselkuchen bereits schwamm. Aus den am tieftsen liegenden Häusern schossen die Notflaggen heraus. Aber jeder war mit sich selbst beschäftigt. Erst am Nachmittag konnte aus ledigen jungen Leuten eine Hilfsmannschaft zusammengestellt werden. Ihr gehört auch Kristoph an. Sie fuhren mit dem Kahn zu den überschwemmten Häusern, rissen die Fensterrahmen heraus, schoben den Kahn ein Stück in die Stube und retteten Frauen und Kinder, die auf Tischen bis zum Knie im Wasser standen. ...

Es brach die Nacht herein. In das eintönige Rauschen und Glucksen des Wassers, in das Krachen der splitternden Schollen mischte sich das kreischende Angstgebrüll des zitternden Viehs und das Jaulen der Hunde. Zuweilen klangen abgerissene Worte herüber. Auf den Wiesen stauten sich die Eisberge, und das Haff gab nicht nach. Um Mittternacht riß der Sommerdeich. Gerade neben der Schule. Das Wasser überschlug sich schäumend, spielte mit zentnerschweren Eisblöcken Fangball und bohrte mit kochendem Kreisel tiefe Löcher in die erschreckte Erde. Krachend fuhr ein Stück der Scheune mit. Der alte Schulmeister rettete sich mit einem kleinen Handkahn zu dem nahen Friedhof und watete frierend zwischen den Gräbern. Aber das Wasser kam nach. Es trieb ihn auf die schmalen Sandhügel. Dort klammerte er sich an die Kreuze und wartete mit klatschnassen Kleidern frostklappernd im Nordwind auf das Morgengrauen." ... [1]


Nehrung

Um 1700, Eisschollen im Memeler Tief

"So ging der Winter dahin, und die Märzsonne begann das Haffeis zu zermürben. Eines Tages wehte eine laue Luft. Von den Bäumen rann die Nässe, und die dicke Borke glänzte von tausend Tropfen. Oben in den schwankenden, dünnen Ästen sang der Wind eine andere Melodie. Martin stand hinter dem Stall und hörte die Rinnwasser aus dem Wald kommen. Er atmete wohlig die neue Luft ein und lauschte dem Schrei der ziehenden Wildgänse oben in der diesigen Märzluft. In den Nächten rauschte es über dem Haff, als zögen fremde, große Vögel dahin. Es barst und knallte uferauf und uferab, und dann begann eine tosende Jagd: der Eisgang.

Klirrend wie brechendes Glas, malmend und gurgelnd schossen die Schollen über- und untereinander hinweg. Auf manchen Schollen saß ein verängstigtes Häschen. Wer konnte es retten? Auf anderen lagen Holzstücke, Eimer und Netzstangen. Alles stürmte dahin in einem tollen Wirbel. Manche Jungen sprangen auf eine große Scholle, um die Fahrt mitzumachen. Es gehörte eine große Geschicklichkeit dazu, im rechten Augenblick wieder das Ufer zu gewinnen, und es war schon vorgekommen, daß Kinder auf einer Scholle hinausgetrieben wurden, so daß sie ein Eisbrecher mit großer Mühe retten mußte.

Nach einigen Tagen wurde es still, und das Haff lag da, befreit von seinem monatelangen Winterschlaf. Es rauschte aber nicht wie im Sommer, sondern dunkel und drohend. Das Wasser gurgelte noch gelblich und schmutzig, Kreisel und Strudel bildend." [2]

Kurioses

  • Eine hohe deutsche Behörde verlangte einmal vom Kreisgericht Ruß Auskunft über die Persönlichkeit des "Litauers Schaktarp", da in den Akten stand: "Die Zeugen wurden durch den Schaktarp verhindert zu erscheinen".
  • Der Heydekruger Schulrat berichtete an die Regierung in Gumbinnen: "Der Schaktarp hindert die Kinder am Schulbesuch." - Antwort der Regierung: "Strafantrag gegen Schaktarp stellen !".


Schaktarp in der Dichtung

  • Karschies, Erich: Der Fischmeister, Zeitgeschichte-Verlag, Berlin (um 1940)
  • Naujok, Rudolf: Der Herr der Düne, K.Thienemanns Verlag, Stuttgart, 1955
  • Wichert, Ernst: Der Schaktarp; IN: Litauische Geschichten, verschiedene Ausgaben.

Quellen

  • KITTEL, Arthur: 37 Jahre Landarzt in Preußischen-Litauen 1869-1906, Königsberg 1921.
  • KURSCHAT, Heinrich A.: Das Memelländische ABC: Volkskundliches Wörterbuch des memelländischen Niederdeutsch, Oldenburg (Oldb.) 1964.
  • MEYER, Richard: Heimatkunde des Memelgebiets, Memel 1922.


Einzelnachweise

  1. Karschies, Erich: Der Fischmeister, Zeitgeschichte-Verlag, Berlin (um 1940),S.39ff
  2. Naujok, Rudolf: Der Herr der Düne, K.Thienemanns Verlag, Stuttgart, 1955,S.91f