Sagen aus dem Kreis Heydekrug

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Quelle der Sagen

Die Sagen entstammen folgendem Werke: FÜLLHAASE, Albert (Präzentor in Kinten): Geschichtliche Heimatkunde des Kreises Heydekrug: Für Schule und Haus, Heydekrug 1904.


Zu der Herkunft der Sagen schreibt der Verfasser:

  • Sage 1-3 beruht auf Hörensagen.
  • Sage 4 ist aus JANKUS, M.: Lietuwininkai bei Lietuwos Rusidawimai, Bittehnen 1897, S. 2-3 entnommen.
  • Sage 5 hat den Verfasser teils die Vermutung, teils die Überlieferung geführt.
  • Sage 6 bot den Stoff die Romanbibliothek zu „Über Land und Meer,“ 13. Jahrgang, S. 1166 u. f.


Der Algeberg

Zwischen Jugnaten und Maßellen befindet sich die höchste Erhebung unseres Kreises, der Algeberg. Die Sage erzählt:

„Hier stand in alter Zeit ein festes und gewaltiges Schloß. Die Bewohner desselben wurden ihren Göttern untreu und ließen sich von den Männern in weißen Mänteln, den Deutschen Rittern taufen. Die alten Götter, darüber erzürnt, verwünschten die Bewohner mitsamt dem Schloß, und eines Tages, als all die Abgefallenen beisammen waren und ein frohes Familienfest feierten, versank das Schloß plötzlich unter gewaltigem Heulen und Krachen in den sich öffnenden Abgrund. Keine Seele von den frohen Insassen vermochte sich zu retten. Auf der Spitze des Berges, da, wo heute ein starkes Gerüst zum Zwecke trigonometrischer Vermessungen steht, hat man bis in die Neuzeit hinein eine Vertiefung bemerkt. Hier soll der Schornstein des versunkenen Schlosses gewesen sein. Ein schwerer, harter Gegenstand in die Öffnung hineingeworfen, gab einen deutlich hörbaren Schall von sich, als ob er auf die Fliesen des Schlossbodens aufgeschlagen habe.

Der Verfasser merkt noch an:

Die höchste Erhebung des Kreises Heydekrug wird geographisch mit „Algeberg“ bezeichnet. Bei dem anwohnenden Volke führt sie aber den Namen „Alt-Kalnas“ oder Höckerberg. Seitdem der Alkberg auf seiner Spitze das imposante Gerüst trägt, wird er während der Frühlings- und Sommerzeit gerne von der Jugend der umliegenden Ortschaften aufgesucht, um sich da an arbeitsfreien Abenden mutwillig zu belustigen. Wild, mutwillig, toll, übermütig sein, nennt der Litauer „dykte.“ Daher wird die in Rede stehende Erhebung zur Zeit „Dykkalnas,“ Tollberg, genannt.


Potrimpen

Das forstfiskalische Gut Norkaiten hieß in alter Zeit Potrimpen. Der letztgenannte Name weist auf eine Sage hin:

„In Potrimpen, und zwar in der nächsten Nähe der jetzigen Oberförsterei Norkaiten, stand eine sehr hohe, uralte Linde, deren Stamm so dick war, dass drei Männer sie kaum zu umfassen vermochten. Im Schutze dieses mächtigen Baumes hatten die alten Preußen ihre Götzenbilder aufgestellt. Besonders wurde hier Potrimpos, der Gott des Frühlings und des Getreides verehrt. Das Bild, aus Holz geschnitzt, stellte einen fröhlichen Jüngling mit bartlosem Gesicht dar, dessen Haupt mit einem Kranz von Roggenähren geschmückt war. Weil er den Lenz mit Gras, Blumen und Kräutern brachte und das Getreide gedeihen ließ, wurde ihm hier zu Ehren das Frühlingsfest um Johanni gefeiert. Nicht weit davon stand eine zweite Riesin des Urwaldes von Potrimpen, eine mächtige Eiche, deren Stumpf noch heutedie Stelle anzeigt, wo sie viele Jahrhunderte gestanden hat. Im Bereiche und Schutze dieses Baumes haben unsere Vorfahren ihren Göttern Opfer gebracht.


Perkunen

Etwa 2 km südlich von Schakuhnen liegt die Ortschaft Perkunen. Eine dem Donnergotte Perkunos geweihte Eiche, die Zierde und der Anziehungspunkt der ganzen Gegend, thronte dort auf einer Anhöhe viele Jahrhunderte hindurch. Den heidnischen Preußen ist dieser Baum von derselben Bedeutung gewesen, von welcher die bewußte Eiche in Geismar den alten Deutschen einst war. Später nahten sich auch die dort anwohnenden Christen dieser Eiche mit Ehrerbietung und heiliger Scheu. Um das Jahr 1680 verbreitete sich an einem Frühmorgen die Nachricht, dass der Zeuge aus alter Zeit, vom Sturm überwältigt, darniederliege. Alt und jung, groß und klein wanderte dorthin, um noch einmal das gewesene Heiligtum der Alten in Augenschein zu nehmen. Als Axt und Säge an demselben seine Schuldigkeit getan, nahm ein jeder von dem alten Bekannten etwas zum Andenken oder als Reliquie für sein Haus mit. Der Ort, wohin Äste oder Szakos getragen wurden, heißt Schakuhnen und das Dorf, deren Bewohner sich mit Zweigen oder mit Szakeles begnügt hatten, nennt man heute Schakunellen.

Perkunenkalwe

Auf der Insel Perkunenkalwe, im Kurischen Haff, der Ruß- oder Atmatmündung gegenübergelegen, hatten die alten Preußen auch ein Romowe. Im Schatten einer immergrünenden Eiche standen die Götzenbilder Perkunos, Pikollos und Potrimpos. Neben der Eiche befand sich der Götzentempel oder die Zynyczia – das Haus des Sehers – in welchem die Opfer den Götzen dargebracht wurden und man ein ewiges Feuer, genährt mit Eichenholz, unterhielt. Nur von den Priestern durfte dieser Ort betreten werden, und das Volk betete draußen während der Stunde des Räucherns. Unweit dieses Priestertempels befand sich die Wohnung des Kriewe oder Oberpriesters. Letzterer hielt sich nur selten hier auf; aber seine Unterpriester hatten daselbst ihre ständige Wohnstätte. Teils durch die Wogen des Haffs, teils infolge der Senkung des Bodens fand die Insel ihren Untergang und die Sage von Perkunenkalwe spinnt sich aus in die Sage vom


Wente und Zynen

Wente, eine Verstümmelung von Szwente oder heilig, wird auch heute noch das Dorf Windenburg von den Litauern genannt. Nachdem die Insel Perkunenkalwen mit den altpreußischen Heiligtümern der Zerstörung anheimgefallen war, nahmen die Heidenpriester ihren Wohnsitz auf der Windenburger Ecke. Als ihnen der Aufenthalt auch hier nicht mehr sicher genug schien, verlegten sie ihren Sitz in die Gegend des jetzigen Dorfes Michelsakuten, wo heute das Dorf Zynen durch seinen Namen den einstigen Aufentaltsort der Heidenpriester Kennzeichnet.


Balapilis

Etwa um`s Jahr 1390 befand sich in unserem Kreise eine unbezwingliche Heidenburg, Balapilis, auch Trußiupilis geheißen. Sie stand inmitten eines weiten, unwegsamen Sumpflandes, das den Ordensherren eine Belagerung unmöglich machte. Hohes Schilfrohr umgab sie wie ein Wald und deckte die Bewegung des Feindes. Nur ein schmaler Pfad führte über die bodenlosen Sümpfe; aber wo dieser lief, das war ein strengbewahrtes Geheimnis der Preußen. Diese Burg zu zerstören, war das nächste Ziel des Ordensmeisters; denn von hier aus wurde der Widerstand gegen ihn geleitet, hier fanden alle unruhigen Köpfe seines Landes Schutz und leichtes Entkommen über die Grenze zu dem gefährlichen Nachbar, dem Litauerherzoge. Einer von den Rittern hatte die Bekanntschaft eines schönen Preußenkindes gemacht, das ihm wohlgefiel und dessen Herz sich ihm gleichfalls zugewandt hatte. Diesem vertraute er seine Wünsche an und sprach von der Belohnung, die der Hochmeister auf die Entdeckung des Pfades gesetzt hatte. Er merkte, dass die Kleine das Geheimnis kannte, aber selbst seinen Bitten und Liebkosungen wollte es lange nicht gelingen, ihr dasselbe zu entlocken. Als er aber drohte, das Land zu verlassen und nie wieder zu kehren, da war ihr Widerstand gebrochen. Sie wies ihm im hohem Schilf die Merkzeichen des Pfades und lieferte ihm damit die Schlüssel zur Burg. Nun erbat sich unser Ritter eine Schar auserlesener Krieger und versprach dem Hochmeister, ihm zum Herrn der feindlichen Feste zu machen. Der hohe Herr seinerseits aber gelobte, dass Herr Konrad, so hieß der Ritter, nach gelungenem Handstreich so viel Landbesitz erhalten solle, als er von Sonnenaufgang bis Mittag umreiten könne und gab ihm darauf seinen ritterlichen Handschlag. Die Tat gelang, die feindliche Feste fiel. Nun aber wurde dem Hochmeister sein großmütiges Versprechen leid, und er suchte es zu umgehen, ohne dabei wortbrüchig zu werden. Er wies dem Helfer in der Not ein elendes Stück Land an, Steingeröll und Sand, auf der einen Seite von Heidestrecken, auf der anderen von den unwegsamen Sümpfen begrenzt. Herr Konrad empfand die Arglist tief und war entschlossen, auf den Ritt zu verzichten, der ihm nichts als eine große Strecke unfruchtbaren Sandes eingetragen hätte. Aber es sollte ihm Hilfe kommen. Als er in seinem Unmute daran dachte, dem Hochmeister den Dienst zu kündigen und hinwegzureisen, da trat ein zierlicher Preußenknabe zu ihm, in dem er das hübsche kleine Mädchen erkannte, dass ihm schon einmal geholfen hatte. Sie brachte ihm ein Pferd von edler Zucht, von dem sie rühmte, dass es leichfüßig genug sei, ihn über die Sümpfe zu tragen, die das Sandland von dem fruchtbaren Marschboden trennten. Im Besitze dieses Pferdes wagte unser Held den Ritt. Derselbe fand statt in Gegenwart des Hochmeisters und vieler vornehmer Gäste. Als Herr Konrad die Richtung nach den Sümpfen einschlug, riefen ihm die Herren warnend nach. Er aber ließ sich nicht irre machen. Als er über die dünne Grasnarbe dahinraste, die ihn vom bodenlosen Abgrund trennte, fühlte er, wie sie unter den Hufen seines Rosses auf- und abwogte, wie ein wellenschlagendes Meer. Auch das Pferd mochte fühlen, dass der Tod hinter ihm ritt, denn es jagte dahin wie eine Wetterwolke. Es ließ die Sümpfe hinter sich und umkreiste eine meilenlange Strecke fruchtbaren Marschlandes. Und als die Sonne in Mittagshöhe stand, War Herr Konrad Herr eines der größten Güter unseres Kreises.


Neringa, die Strandriesin

1.
Wo aus den blauen Fluten hell
Die nackten Hügel ragen,
Des Meeres und des Haffes Well´
Am Sand zerstörend nagen:
Umkränzte einst ein dichter Wald,
Durch den der Ostsee Brandung schallt`,
Der Dörfer grüne Auen,
Gar lieblich anzuschauen.

2.
Und aus dem Dickicht hob empor
Ein mächtig Haus die Zinnen,
Auf Pfeilern des Gesimses Thor
Hatt´ große Zimmer drinnen;
Von Holz nur war es ausgeführt,
Jedoch mit Schnitzwerk reich verziert,
Auch prangten an den Ecken
Viel Muscheln und viel Schnecken.

3.
Und Blumen strahlten freundlich bunt
Im schönen großen Garten;
Nur zarter Sinn, das tat sich kund,
Konnt´ so der Pflanzung warten.
Durch Blütenschmelz und Farbenpracht
Und dunkler Gänge Schattennacht
Sah man zur Waldhöhspitze,
Der Laime heil´gem Sitze.

4.
Von hier erblickte man die See
In unermess`ner Weite,
Wie hingezaubert von der Fee,
Auch noch das Haff zur Seite.
Und oft, beinahe wunderbar,
Stellt sich das schöne Schauspiel dar:
Die See warf Wogenhügel,
Das Haff lag wie ein Spiegel.

5.
Und auf dem Bleichplatz, weit und frei
War zarte Wäsch` in Menge,
Die Hemden, Tücher hagelneu
(Wer maß wohl ihre Länge!)
Bedeckten einer Wiese Raum;
Und Kleider, schmuck mit buntem Saum,
Zu trocknen in dem Winde,
Fast kaum die höchste Linde.

6.
In Fried` und ungestörter Ruh`,
Dem Glück so recht im Schoße,
Lebt hier, als drückt` ihn nie der Schuh,
Karweit, genannt der Große,
Und ihm zur Seit` ein schmuckes Weib,
Gleich schön an Seele wie an Leib,
Gerühmt von allen Gästen
Als Wirtin hold bei Festen.

7.
Doch neben diesen Gütern all`
Und diesem reichen Segen
In Kisten, Zimmern, Scheun` und Stall,
Auf Feldern, in Gehägen
Fehlt` ihnen doch das höchste Glück,
Das sie noch wünschen vom Geschick:
Ein Kindlein schön zu haben,
An dem sie sich erlaben.

8.
Und Laima endlich hört ihr Fleh`n
Und ihre heißen Bitten;
Sie spricht voll Huld: „Es soll gescheh`n,
Nah` bin ich euren Schritten;
Erprobt seid ihr im Biedersinn;
Die Tugend lohnt euch mit Gewinn;
Die Bitt` will ich erhören,
Was liebes euch gewähren!“

9.
Und als das dritte Jahr begann
Im grünen Kleid` zu prangen,
Der Schnee schon vor der Sonn’ zerrann,
Die lieben Lerchen sangen:
Da schlich mit erstem Sonnenschein
Sich Laima still ins Haus hinein;
Der Vater kaum erwachte,
Ein Töchterlein ihm lachte.

10.
Da wünschten Glück von nah’ und fern
Die Priester und die Gäste;
Man bat sie, und sie blieben gern
Zum frohen Kindbettfeste,
Um Laima’s Lind’ sich alles schart,
Mit Dank hier erst geopfert ward;
Drauf kreist der volle Becher
Am Tisch der wackern Zecher.

11.
Doch Regen folgt auf Sonnenschein,
Auf Tageshell das Dunkel.
Es kehrt ins Haus bald Trauer ein
Durch manch’ geheim’ Gemunkel;
Verwandelt war in Herzeleid
Der Eltern vor’ge Freudigkeit;
Den nie gestörten Schlummer
Scheucht schon ein stiller Kummer.

12.
Bald ward’s der Wächterin zu schwer
Das Kind im Arm zu halten;
Es drückt die große Last zu sehr,
Man ahnt Apmaine’s Walten;
Kaum kann man’s halten auf dem Schoß,
Auch da wird das Gewicht zu groß;
Des Kindes Läng’ und Breite
Erschreckt schon alle Leute.

13.
Besonders war der Kopf sehr groß,
Besetzt mit langen Haaren,
Die, wenn sie hingen frei und los,
Fünf Fuß, auch länger waren.
„Den Wechselbalg hat in der Nacht,“
So sprach man laut, „die Laum’ gebracht;
Sie hat, von Neid entglommen,
Das rechte Kind genommen !“

14.
Und als man zählt der Monden neun,
Konnt’ man sich nicht mehr raten;
Damit das Kind nicht sollte schrei’n,
Gab man ihm Brot und Braten;
Der mächt’ge Magen wollt’ für drei,
Man stopft’ ihn auch mit Grütz’ und Brei;
Dem Balg ließ man den Willen,
Den Hunger sich zu stillen.

15.
Man suchte bei Saitonen Trost,
Befragte die Wejonen;
Burtonen haben sie gelost,
Die Flamm’ geprüft Swakonen,
Zu hören, alles ängstlich lauscht,
Ob wirklich sei das Kind vertauscht,
Und ob man werd’ ergründen,
Wo man’s noch könne finden?

16.
Bedenklich schütteln zwar das Haupt
Die Priester und die Seher;
Doch trösten sie: „Daß Ihr’s nur glaubt,
Nie war das Glück Euch näher!
Das Kind, von Laima Euch geschenkt,
Wird, da das Schicksal es so lenkt,
Dereinst hier auf der Erden
Ein großes Wunder werden!“

17.
„Die Tochter wird zu Eurer Freud’
Bewundert einst von allen,
Bereiten keinem je ein Leid,
Ihr Tugendruf weit schallen.
Doch sorgt bald für ein andres Haus,
Die Höh’ von diesem reicht nicht aus;
Wie wir die Zukunft schauen,
Laßt’s zehnmal größer bauen!“

18.
Wie sie gesagt, so wurd’ es wahr;
Die Tochter wuchs zur Riesin;
Man bracht’ Geschenk und Opfer dar,
Sie ward geehrt, gepriesen.
Schon ganze volle achtzehn Jahr
Erfreute sich das Elternpaar
Der schönsten Maid hienieden,
Die Laima je beschieden.

19.
Den Schiffen half sie auf der See,
Den Böten auf den Flüssen;
In Gründen, wie auch auf der Höh’,
Wenn Not war, konnt’ man wissen,
Neringa sei zum Gutestun
Gleich bei der Hand, und wird’ nicht ruh’n,
Bis sie das Leid geendet,
Das Unglück abgewendet.

20.
Doch so wie schön war sie auch spröd’
Und lachte aller Freier;
Ihr war ja die Natur nicht öd’,
Nur Freiheit schätzt sie teuer.
Manch’ stolzer und manch’ süßer Fant,
Von Liebe zu der Maid entbrannt,
Mocht’ zürnen oder rasen,
Zog ab mit langer Nasen.

21.
Prutena’s Söhn’ erhoben sich,
Sie allzumal zu minnen;
Ein jeder hofft’ noch sicherlich,
Den Preis doch zu gewinnen.
Aus jedem Gau im ganzen Land’
Ein ebenbürt’ger Ries’ sich fand,
Beteuernd es mit Schwüren,
Neringa heimzuführen.

22.
Vereint hat sich der große Tross
Der reichgezierten Männer,
Ein jeder ritt ein stattlich Ross,
Den kühnsten, schönsten Renner;
In pleno so der Zug begann;
setzten Kopf und Kragen dran,
Die Maid so lang’ zu quälen,
Bis sie verspricht zu wählen.

23.
Und schnurstracks, wie gesagt, getan,
Zieh’n sie nun hin zum Schlosse.
Erstaunend sieht Neringa nah’n
Die Helden in dem Trosse,
Sie hielten vor der Residenz,
Und machten ihre Reverenz
Mit hochgeschwung’nen Mützen
Von ihren Rossesitzen.

24.
„Gegrüßet seist Du holde Maid,
Du schönste aller Frauen!
Wir kehren, hör’, auf den Bescheid,
Du kannst den Worten trauen,
Nicht eh’r von hier nach Haus’ zurück,
Dennn ohne Dich, wo währ’ da Glück?—
Bis Du Dein ja gesprochen,
Den Hartsinn mal gebrochen!“

25.
Die Jungfrau nahm darauf das Wort:
Euch alle muß ich ehren,
Ein jeder ist ein edler Hort,
Dem Hof und Land gehören;
Doch der nur soll mein Liebster sein,
Der einen dieser vielen Stein’,
Zum Ärger allen Neidern,
Bis Windenburg kann schleudern!“

26.
Sie lud dann freundlich zu dem Mahl,
Das festlich war bereitet.
Die Dainos hallten in dem Saal,
Vom Zitherspiel begleitet.
Oft tönte bei Alaus und Met
Der Trinkspruch: „ Das der Wurf gerät!“
Der Jungfrau Lob hoch schallte,
Das Blut schon heißer wallte.

27.
Im Sturm ging’s zu den Steinen hin,
Die hier gereihet lagen.
„Der Glückswurf bringt uns Hochgewinn;
An’s Werk! Fort ohne Zagen!“ –
Die Steine brausen durch die Luft,
Wohl plumsen sie ins Haff mit Wucht;
Zur Windenburger Ecke
Macht einer nur die Strecke.

28.
„Der ist’s!“ rief froh die Jungfrau aus,
Der Winder Burggebieter!
Ihr andern zogt vergebens aus,
Kehrt heim auf Eure Güter.
So oft mein Weg zum Haffe führt,
Wird’ ich all’zeit, wie sich’s gebührt,
Erinn’rung froh Euch schenken,
Der Freierstrandung denken!“

29.
Drauf schweift sie weit und rings umher,
Blieb aus dann auch recht lange.
Das Haus wurd’ von den Freiern leer;
Den Eltern wurd’ erst bange,
Als sich von West ein Sturm erhob,
Der dreizehn Jahre grausig schnob,
Als sollt die Welt vergehen
In Jammer und in Wehen.

30.
Die See warf hohe Hügel auf,
Die Namon’s Ausfluss dämmten;
Der Strom nahm einen breiten Lauf,
Den Wies’ und Tal nicht hemmten.
Bald stand die Flut auf Gras und Klee,
Das Haff ward so zum großen See,
Zum Glück noch setzt dem Meere
Neringa feste Wehre.


31.
Erfasst von Schrecken glauben all’,
Die Welt müss’ untergehen;
Die Priester sagten: „Preußens Fall
--Mag auch die Erd’ bestehen,--
Sei leider wohl nicht mehr so fern;
Es werden Kreuz und Not viel Herrn,
Nach Ruhm und Gut zu ringen,
Von Süd und West bald bringen!“ –

32.
In Sorg’ und Hast zur Windenburg
Sieht man Neringa eilen,
Sie schreitet durch das Wasser durch,
Beim Liebsten nur zu weilen,
Zu dessen Burg, das Feld entlang,
Die Flut schon immer näher drang,
Dass alles hätt’ geschwommen,
Wär’ nicht die Braut gekommen.

33.
Kaum hat sie die Gefahr erkannt,
Die ihrem Liebsten drohte,
So kam sie eilig angerannt
Zu Hülf’, ein Rettungsbote;
Sie hat die Schürz’ voll Sand gesackt,
Mit Grand auch noch den Rock bepackt,
Schützt rasch an allen Stellen
Die Burg mit hohen Wällen.

34.
Die Rettung kam zur rechten Zeit,
Als die Gefahr am größten;
Aus Not hat sie den Lieb’ befreit
Und kam ihn oft noch trösten.
Doch macht der Gang ihr gar Beschwer,
Das Wasser kam ihr in die Quer’,
Sie konnte nicht so eilen,
Schwer war’s, die Flut zu teilen.

35.
„Der Weg ist mir doch gar zu naß,
Dem Übel muß ich steuern.
Da kommen mir doch recht zu Paß
Die Steine von den Freiern;
Ich mach’ mir einen festen Damm,
Zum Mörtel nehm ich fetten Schlamm,
Werd’ eine Brücke bauen,
Die Nachwelt soll sie schauen!“

36.
Sie ging nun zu den Steinen schnell,
Warf sie in großen Bogen;
Sie füllte aus die tiefe Stell’,
Wo stark die Fluten zogen.
Drauf reihte sie mit viel Geschick
Die Steine selbst zu einer Brück’,
Konnt’ bald darüber gehen,
Benetzt’ sich kaum die Zehen.

37.
Doch wo nicht Strom noch Tiefe war,
Wollt’ sie sich nicht bemühen;
Denn da konnt sie ganz ohn’ Gefahr
Sich einen Sandweg ziehen.
Sie `holt paar Dünen flugs vom Strand,
Hält wohl die Schürz’ mit fester Hand,
Wollt’ nun den Fußsteg schütten,
Das Band platzt, wie zerschnitten.

38.
Ihr Vorrat für den ganzen Steg
Lag jetzt auf einem Haufen;
Das Wasser spült’ vom Sand’ viel weg;
Sie wollt’ das Haar sich raufen.
Doch was sie konnt’, rafft sie noch schnell
Und warf’s der Läng’ nach in die Well’;
Bracht’ so den Damm zu stande,
Ging über Haff zu Lande.

39.
Und so platzierte sie ein Jahr
Nach Windenburg zur Freite;
Und auf das schöne Riesenpaar
Sah’n freudig alle Leute.
Bald ging’s neun Tag’ im Elternhaus
Gar hoch her bei dem Hochzeitsschmaus;
Der Liebste samt dem Trubel
Führt’ heim die Braut im Jubel.

40.
Doch nicht mehr lange herrschten hier
Auf der Winder Feste
Noch Riesen, einst Schalauens Zier
Im Sand’ ruh’n ihre Reste:
Beim Winde liegen Knochen bloß,
Man staunt, wie sie so stark und groß.
Die Riesen hört man melden,
Sie fielen hier als Helden.

41.
Um’s Jahr elfhundertneunzig war’s,
Als jene Stürme schnoben;
Wie allbekannt desselben Jahr's
Die Ritter sich erhoben.
Nach sechsundachtzig Jahren schon
Da nicht mehr stand des Kriewe Thron,
Gehörte auch Schalauen
Schon ganz „der lieben Frauen“.

42.
Die Stell’, wo’s Schürzenband zerriß,
Wird heute noch gewiesen;
Man nennt sie jetzt „die Edscheris“,
Gedenkt dabei der Riesin.
Den Schiffern ist der Strich bekannt,
Schon mancher Kahn ist draufgerannt;
Früh lenkt man ab vom Sande,
Sonst sitzt man auf dem Strande.

43.
Der Steindamm an der Windenburg,
Der Freiersteine Becken,
Läßt wohl kein Fahrzeug glücklich durch,
Ist allen heut’ ein Schrecken;
Man bringt heraus der Steine viel,
Und wenn man glaubt, man ist am Ziel,
So hat für tausend Hände
Die Arbeit doch kein Ende!


(Von Gisevius poetisch bearbeitet).