Landkreis Leobschütz/Adressbuch 1935/Beschreibung der Stadt Leobschütz

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Stadt Leobschütz OS.

Verkehr. Leobschütz lag schon in alter Zeit an einer der bedeutendsten Handelsstraßen. Diese führte von der Donau durch die mährische Pforte über Troppau und Leobschütz zur Oder bei Krappitz und dann weiter nordwärts über Polen nach den Gestaden der Ostsee. Wie alle Städte an diesen Straßen genoß auch Leobschütz das Niederlagerecht, wonach die ankommenden Kaufleute ihre Waren drei Tage lang im städtischen Kaufhause auslegen mußten, ehe ihnen gestattet wurde, weiterzuziehen. Das Kaufhaus befand sich seit 1298 auf der Mitte des Marktplatzes, an dessen Stelle 1570 das erste Rathaus erbaut wurde, das der Unzulänglichkeit wegen 1864 dem heutigen weichen mußte. Handeslgegenstände jener Zeit waren aus dem Süden Wein, Hopfen, Salz, Nüsse, Gewürze, Seidenzeuge und Edelsteine. Aus dem Norden brachte man Pelzwaren, Fett, Talg, Honig, Wachs und den geschätzten Bernstein. Leobschütz erzeugte selbst Tuche und Leinwand, die in den Tuchkammern und Gewandhäusern feilgeboten wurden.

Postverkehr erhielt Leobschütz im Jahre 1663, und zwar durch einen reitenden Boten mit der Stadt Jägerndorf. Dagegen bewegte sich von dieser Zeit an zwischen Ratibor und Neisse über Leobschütz die schwerfällige Postkutsche in ausgefahrenen Gleisen, um deren Instandsetzung sich niemand kümmerte. Heute verbindet ein weitverzweigtes Chausseenetz fast sämtliche Ortschaften des Kreises mit der Kreisstadt. Durch die 1856 errichtete Bahnlinie Leobschütz – Ratibor bekam unsere Stadt endlich den ersehnten Bahnanschluß. Die Strecken Jägerndorf und Rasselwitz wurden 1873 und 1876 eröffnet. Fernsprechverkehr haben wir seit 1900.

Wirtschaft. Die Hauptbeschäftigung der Städter war von jeher weniger die Landwirtschaft als das Handwerk. Während die Landwirte ihre Gehöfte immer mehr vor die Tore der Stadt verlegten, betrieben die Handwerker ihr Gewerbe fast nur im Innern der Stadt. Sie bildeten mit der Zeit den Hauptteil der Bürgerschaft. Durch zunftmäßigen Zusammenschluß unter dem Schutze des Meilenrechts brachten sie es zu Ansehen und Wohlstand. Die 1810 erfolgte Einführung der Gewerbefreiheit versetzt dem Handwerk einen mächtigen Stoß. Maschineller Betrieb setzte ein, die Anfänge der Industrie waren zu spüren, dem Handwerk drohte der Untergang. Zu seinem Schutz erließ 1869 die Regierung die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund. Auf Grund dieser Verordnung fanden sich wieder die einzelnen Handwerke in sogenannen Innungen zusammen. Aus dem Zusammenschluß der Innungen entstand im Jahre 1880 der Handwerkerverein zwecks Pflege des Gemeinschaftsgeistes und Wahrung der Standesehre. Zur Erleichterung des wirtschaftlichen Betriebs rief dieser Verein 1897 die Handwerkerbank ins Leben, die sich zu einem recht notwendigen Institut entwickelte und seit 1927 die Bezeichnung Gewerbebank führt. Unter Hinzuziehung aller Handwerker vom Lande entstand 1928 in Leobschütz der Verband für Handwerk und Gwerbe. Dieser stellt sich zur Aufgabe, die Mitglieder in wirtschaftlichen Fragen zu beraten, in der Führung der Geschäftsbücher zu unterweisen und Beistand und Vertretung vor Gericht und Steuerbehörden zu gewähren.

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Die Industrie nahm in Leobschütz in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts einen vielversprechenden Aufschwung. Es entstanden zunächst zwei größere Wollwarenfabriken, denen sich mit der Zeit noch sieben kleine zugesellten. Durch den Mangel an Absatzmöglichkeit, durch die Ungunst der Verhältnisse nach dem Weltkriege, stellten fast sämtliche den Betrieb ein oder beschränkten ihn bis aufs äußerste. Nur die älteste, die Teichmannsche Fabrik, die an die Firma Merkur m Liegnitz übergegangen

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ist, vermag sich durch günstige geschäftliche Beziehungen nicht nur zu behaupten, sondern die Fabrikation noch zu erhöhen. Die vor etlichen Jahren neugegründete Strumpffabrik des W. Grauer bietet einer ziemlichen Anzahl Heimarbeitern lohnende Erwerbsmöglichkeit. Die drei hiesigen Mälzereien sind in voller Tätigkeit, während von den vier ehemaligen Brauereien nur noch die Weberbauersche existiert und sogar floriert. Sie dürfte zur Zeit die bedeutendste Oberschlesiens sein.

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Für die Stadt Leobschütz bedeutet der Rückgang der Industrie einen erheblichen Ausfall an Steuern. Auch das Einkommen der Stadt aus eigenem Feld- und Waldbesitz hat sich vermindert. Von den ehemaligen Gütern und Zinsdörfern der Stadt ist nur wenig übrig geblieben, und der 1000 Hektar umfassende Wald wirft seit Jahren nur einen geringen Ueberschuß ab. Trotzdem ist dieser Wald unser idealer Reichtum und Stolz. Hier suchen unsere Bürger nach angestrengter Tätigkeit Erholung und Erfrischung. Ja, auf die gesamte Bevölkerung Oberschlesiens übt unser Stadtforst, nachdem die widersinnige Grenzziehung den Industriestädten alle ihre beliebten Ausflugsorte raubte, mit seinen gutgepflegten Wegen seine Anziehungskraft aus.

Volkstum. Nach dem Urteil der bedeutendsten Gelehrten in ethnographischen Fragen gehörten die Ureinwohner unserer Gegend dem deutschen Volksstamme der Vadalen an. Zu Beginn des fünften Jahrhunderts nach Chr. kam von Osten her ein slawischer Volksstamm in unser Gebiet und verdrängte die Deutschen nach Westen hin. Ein Teil der Deutschen blieb jedoch in den den Slawen nicht begehrenswerten und weniger zugänglichen Gebirgstälern zurück. Wie in Schlesien die Piastenherzöge im dreizehnten Jahrhundert wieder Deutsche als Siedler in ihr Land zogen, so riefen auch die Przemysliden, die über das Oppaland und somit auch über Leobschütz herrschten, deutsche Leute in ihre noch schwach bevölkerten Gaue. Sie schätzten die Deutschen wegen ihrer besseren Sitten und ihrer Tüchtigkeit im Handwerk und in der Landwirtschaft. Man war überzeugt, daß deutscher Geist und deutsche Arbeit Stadt und Land auf eine höhere Kulturstufe bringen könne. Unsere Siedler stammten, wie ein Dr. Inngandreas in einem Vortrage über Besiedlungsgeschichte bemerkt, besonders aus Hessen und Bayern. Jedenfalls waren es [.] Germanen. Auch ihre Familiennamen, die wir in alten Urkunden und Verzeichnissen finden, sind durchweg deutsch. Auch die in späterer Zeit in Leobschütz ansässig gewordenen Familien mit polnischem Namen sind keine Polen, sondern gehören dem oberschlesischen Mischvolke an, entstanden durch Vermengung Deutscher mit Polen.

Leobschütz war bis Anfang des vorigen Jahrhunderts nicht nur eine der größten Städte Oberschlesiens, sondern stand auch kulturell auf einer höheren Stufe als die Industriestädte, die sich erst später zu ihrer heutigen Größe emporschwangen. Die erste oberschlesische Zeitung, „Der Oberschlesische Volksfreund“, wurde 1848 in Leobschütz gedruckt und 1849 hatte Leobschütz schon ein eigenes Lokalblatt, „Leobschützer Krakeler“ genannt. Die erste oberschlesische Steindruckerei befand sich in Leobschütz. Sie wurde um das Jahr 1826 von dem Bürgermeister Richter gegründet, der als Leobschützer Kind nach beendetem juristischen Studium zum Stadtoberhaupt gewählt wurde. Die Leobschützer Bevölkerung [zählt] zur Zeit rund 14000 Seelen [...].[1]

Anmerkungen
  1. Vorgenommene Kürzungen betreffen politisch motivierte Aussagen.