Kirchspiel im Rheinland und in Westfalen

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Einleitung

Parochia

Das lateinische Wort „parochia“, wird im Mittelalter sowohl für den kirchlichen Pfarrbezirk, als auch für den Dienstbezirk einer landesherrlichen Lokaltät als Ort gebraucht. Der einzelne Bauernhof und Kötter auf dem Lande stand im Verbund mit einer „Honschaft“, einem „Hook“ oder Nachbarschaft, hatte eine Bauerschaft gebildet und sich in einer Markgenossenschaft mit eigenem Rechtsstatus organisiert. Sichtbarer Mittelpunkt dieser Genossenschaften war der tatsächlich zentral gelegene Gemeinschaftsbesitz an Wald und Heide, die Mark.

Die später in der Feldflur, meist auf den Haupthöfen der Stifter oder des Territorialherrn, gegründeten Pfarrkirchen bildeten dann einen anderen Mittelpunkt des neu gegründeten Kirchspiels, welchem nun in unterschiedlichen Nachbarschaften organisierte Bauernhöfe verschiedener Markengenossenschaften angehören konnten, während nun andererseits an der Markgenossenschaft Bauern aus verschiedenen Kirchspielen oder Bauerschaften beteiligt waren.

Trennung von Stadt und Kirchspiel

Die Zusammensetzung und Begrifflichkeit dieser „parochien“ änderte sich mit der festen Ausbildung der Territorialherrschaften ab dem 13. Jahrhundert und der damit einhergehenden Gründungswelle von Städten und Minderstädten.

Manche Kirchspiele erhielten nämlich von den Territorialherren zur Hebung von Handel und Wandel Marktrechte. Die dafür notwendigen öffentlichen Plätze wurden dann regelmäßig in der Nähe der Kirche und an oder auf einem Haupthof des Landesherren angelegt und ein- oder mehrmal im Jahr zur Durchführung öffentlicher Veranstaltungen genutzt.

Als nächster Schritt verlieh der Territorialherr einem bestimmten Bezirk um die Kirche und seinem Haupthof herum das Recht einer Minderstadt oder Stadt und erteilte dieser später auch das Recht zur Befestigung.

Nunmehr konnte ein Pfarrsprengel eine Örtlichkeit beinhalten, welche aus der Stadt selber innerhalb der Mauern bestand und dem gleichnamigen Kirchspiel außerhalb der Mauern, mit seinen zugehörigen Bauerschaften, womit wiederum zwei unterschiedliche neue kommunale Rechtsbezirke innerhalb einer Pfarrei geschaffen waren.

Filialkirchen im Kirchspiel

Dabei gab es durchaus Bauerschaften in einem Pfarrbezirk, in denen sich ein Kirchengebäude oder eine Kapelle befand, welche von einem Läutepriester, Frühmeßner oder Vikar der zuständigen Mutterkirche mit betreut wurde, welche aber weder eine völlig selbständige Pfarre in der Diözese, noch einen politisch selbständigen Ort in der Territoialherrschaft bilden konnten. In den Steuer- und Abgabelisten der Territorialherren in der Zeit des Heiligen Römischen Reiches bis 1802 werden dies Bauerschaften daher auch innerhalb des übergeordneten Kirchspiels geführt.

Kirchspiel im Rheinland und Westfalen

Unter dem Begriff „Kirchspiel“ verstand man ab dem ausgehenden Mittelalter demnach am Niederrhein und in Westfalen die Gesamtheit der Bauerschaften, welche außerhalb der Städte oder auf dem platten Lande um solch einer (älteren) „Hauptkirche“ lagen, auch wenn in einer Bauerschaft bereits eine „Filialkirche“ mit eigenem Pfarrdistrikt (Parochie) vorhanden war.

Die meist auf Haupthöfen des Territorialherren oder Stifter erbauten Altkirchen auf dem platten Lande, bildeten von alters her den Mittelpunkt der dann sogenannten Kirch- oder Dorfbauerschaft („Dorfbur“ oder „Kerkbur“).

Ihr geschlossenes Aussehen als Ortszentrum entwickelten diese Dorfbauerschaften erst im 19. Jahrhundert mit Beginn des Industriealisierung und dadurch bedingten Zuzügen von Arbeitern, Angestellten, Handel und Gewerbe.

Kirchspielverwaltung

Beispiel: Herbern

  • 1801 ist Herbern eine von 14 Kirchspielsgemeinden im Amt Werne (historisch) im Fürstbistum Münster
  • Gemeindevertretung Herbern 1801:
    • der Amtsdroste (Vorsitzender) und Amtsrentmeister
    • der Rezeptor oder Schatzungseinnehmer
    • die Vertreter von 8 adeligen und 6 geistlichen Gütern
    • die Bauerrichter der Kirchspielsgemeinde, sie hatten kein Stimmrecht, mußten aber Rechenschaft ablegen und Auskunft geben.
      • Der Amtsrentmeister und Amtsschreiber wurden durch Zuschüsse der 14 Kirchspielsgemeinden besoldet, die Kirchspielsrechnung des Gemeindehaushalts wurde in Müster im Hofsaal gelegt.

Beispiel: Amt Altena (historisch)

  • Amt Altena (historisch) als Teil der Grafschaft Mark seit 1614 zu Preußen gehörig
    • Zum Amt Altena (historisch) gehörten 1797 11 Kirchspiele mit ihren Bauerschaften
    • 1797 Kirchspielstage unter Vorsitz des Landrates
    • Mitglieder eines Kirchspieltages Adelige und Bauern
    • Die für den Haushalt fällige Summe wurde auf die Bauerschaften verteilt, für die das Simplum feststand.
    • Als Organ tritt hier besonders der Rezeptor hervor, der hier kommunale und staatliche Aufgaben in einer Hand vereint. Jede Kirchspielsgemeinde hat einen eigenen Haushalt.

Beispiel: Minden - Ravensberg, Tecklenburg und Lingen

Die preußische Dorfordnung von 1755 machte es hier dem Amtmann zur Pflicht, die von der Regierung nach Anhörung der Gemeinden ernannten Vorsteher zu vereidigen und zu beaufsichtigen, ihre Gemeinderechnungen zu kontrollieren und die Durchführung der Pflichtaufgaben (Armenpflege, Straßenbau, Feuerschutz) zu überwachen.

Beispiel: Herzogtum Westfalen

Beispiel: Vest Recklinghausen

  • Vorsitzender: Gewählte Kirchspiels- oder Ortsvorsteher (durch jährliche Kirspielsversammlung)
    • Beigeordneter Kirchspielsbote
    • Kirspielsversammlung nur durch spezielle Erlaubnis des Amtmanns oder Statthalters
    • Ein Amtsfron zog die Dienste oder Abgaben in den Kirchspielsgemeinden ein
    • Ein Amtsführer sorgte wie ein Landjäger für Ruhe und Ordnung

Beispiel: Grafschaft Dortmund

In den 13 Kirchspielsdörfern der Grafschaft Dortmund wurden die sonst den Ämtern zustehenden Geschäfte durch den Kämmerer der Stadt Dortmund besorgt.

Beispiel: Herzogtum Kleve

  • Die Klevischen Amts- oder Erbentage gleichen den Kirchspielskonventionen der Grafschaft Mark und des Fürstbistums Münster
  • Auch im Herzogtum Kleve geb es Bauerschaften und Kirchspiele welche gemeinsam von Bauermeistern verwaltet wurden.
  • Der Haushalt der einzelnen Kirchspiele wurde aber unter Vorsitz des Amtsdrosten auf den Amts- oder Erbentagen fesgesetzt und abgerechnet.

Beispiel: Herzogtum Berg

Im Herzogtum Berg sind über Jahrhunderte Kirchspielsgemeinden nachweisbar, welche ähnlich denen im Münsterland keinen besonderen Vorsteher hatten. Auch sie wurden vom Amtsschulten mitverwaltet. So gliederte sich das Amt Steinbach (Berg) in Kirchspiele, welche als Mittelstelle zwischen Amt und Kommune nicht nur Auftragsangelegenheiten übernahm, sondern auch Selbstverwaltungangelegenheiten regelte. Die Vorsteher der einzelnen Gemeinden wurden zur Anhörung vom Amtsschulten einberufen.

Beispiel: Kurfürstentum Trier

Die historischen Ämter im Kurfürstentum Trier gliederten sich wiederum in Verwaltungsbezirke, welchen mit dem Schwerpunkt Westerwald „Zechen“ nannte. Sie wurden geleitet von den, von der Regierung ernannten, sogenannten „Heimburgen“. Diese entstammten vorzüglich den heimalichen Ämtern und wurden auch von dort wahrscheinlich in Vorschlag gebracht.

Diese kurtrierischen „Heimburgen“ waren von daher auch auf die landesherrliche Ortsverwaltung beschränkt und glichen daher eher dem späteren preußischen Amtsvorsteher in den östlichen preußischen Provinzen.

Beispiel: Patrimonialverwaltung

Da, wo ganze Kirchspiele einzelnen Adeldhäusern oder Herrlichkeiten überschrieben waren, kümmerte sich das zuständige Adelshaus um die Inanspruchnahme des Kirchspiels durch den Territorialherrn, das war unter anderem die lokale Steuererhebung, Armenpflege, Wegeerhaltung, Landfolge, Gebote und Verbote, Ernennung der Bauerschaftsvorsteher etc.

Kirchspiele an den Landesübergängen

Im Osnabrückschen

  • Vor 1802 gab es im Hochstift Osnabrück 7 Ämter. Dem Amtsdrosten standen ein rechtsgelehrter Rentmeister und ein Amtsschreiber zur Seite, dazu kamen jeweils etwa 6 bis 10 Vögte, von denen jeder ein oder mehrere Kirchspielsgemeinden betreute.
    • Die Vögte hatten (wie im Fürstbistum Münster die Amtsführer) in den ihnen anvertrauten Kirchspielen Polizeiaufgaben wahrzunehmen, die wehrbare Mannschaft zu führen und die Steuern zu erheben. Sie waren die lokalen Organe des Amtsdrosten.
      • Die Selbstverwaltung der Landbewohner beschränkte sich auf die Markenberechtigten, welche ihre Marken selbst verwalteten und ihren Holzgrafen selber wählen konnten. Für die Kirchspielsrechnung der einzelnen Kirchspiele war das einzelne Amt allein zuständig.

Im Oldenburgschen

Bereits im 17./18. Jahrhundert gab es im „Herzogtum Oldenburg“ weltliche Kirchspielsgemeinden, deren Bauerschaften aber das Recht eigener Vetretung und Verwaltung behielten. Sie konnten alledings die „Offizialen“ des Kirchspiels für ihre Verwaltung in Anspruch nehmen. Erst 1934 entstanden durch die entsprechende Gesetzgebung die Oldenburger Großgemeinden.

Im Hannoverschen

Die Verwaltung der Kirchspielsgemeinden mit ihren Bauerschaften im Kurfürstentum Hannover war weitestgehend privatrechtlicher Natur und umfaßte daher die gesamt mögliche Verwaltungspalette, welche sich demnach auch von Ort zu Ort unterschiedlich darstellte.

Quellenauswertung

Bibliografie

  • Hoffmeyer: Geschichte der Stadt und des Regierungsbezirks Osnabrück, Schöningh, Osnabrück 1920
  • Lehmann, M. Freiherr von Stein (Leipzig 1902)
  • Liedhegener: Die Behörden, insbesondere die Ämterorganisation im Herzogtum Westfalen…, in Zeitschrift Westfalen XVIII (1933)
  • Schwieters, Julius Geschichtliche Nachrichten über den östlichen Teil des Kreises Lüdinghausen (Münster 1888)
  • Schütte, Leopold: Markenrecht und Markengerichtsbarkeit in Nordwestdeutschland, 2004
  • Schütte, Leopold: Ortsflur und Gemeindebildung im mittleren Ruhrtal am Beispiel von Geisecke und Lichtendorf, 2001
  • Schütte, Leopold: "Weichbilde" und "Freiheiten" in Westfalen, 1999
  • Schütte, Leopold: Die Verfassung ländlicher Siedlungen in Westfalen vor 1800 im Spiegel ihrer räumlichen Struktur,
  • Schütte, Leopold: Beobachtungen zur Siedlungs- und Flurgeschichte im münsterländischen Streusiedlungsgebiet am Beispiel des Kirchspiels Schöppingen, 1991
  • Scotti, Gesetzessammlung
  • Steinbach, Franz: Ursprung und Wesen der Landgemeinde nach rheinischen Quellen 1932 (u.a.)
  • Stüve, Karl Bertram: Wesen und Verfassung der Landgemeinden und des ländlichen Grundbesitzes in Niedersachsen und Westfalen, Jena 1851