Grundsätzliches über zeitgeschichtliche Darstellungen (Rösch)/Seite 1

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Grundsätzliches über zeitgeschichtliche Darstellungen (Rösch)
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Grundsätzliches über zeitgeschichtliche Darstellungen

Von Siegfried Rösch

Herr Liebich, der mir in seinen letzten Jahren mehrfach von der beabsichtigten Neuauflage seiner Abhandlung von 1933 über „Zeichnerische Darstellungen familiengeschichtlicher Forschungsergebnisse" (Prakt. f. Familienforscher H. 26) erzählte, hat deren Vollendung leider nicht mehr erlebt. Am 3.Dezember 1966 mußte er endgültig die Feder aus der fleißigen Hand legen. Als der Verlag an mich mit der Bitte herantrat, das begonnene Werk zu Ende zu führen, waren meine Gefühle zwiespältig. Auch ich sah die dringende Notwendigkeit ein und begrüßte sie, dieses schöne und seinerzeit bahnbrechende Büchlein wieder verfügbar und dem genealogischen Nachwuchs dienlich zu machen, und war freudig bereit, dabei mitzuhelfen. Andererseits fordert die in der Zwischenzeit von 36 Jahren enorm angewachsene einschlägige Literatur erhebliche Erweiterungen, Änderungen und Anpassungen, die leicht etwas entstehen lassen, was dann nicht mehr das Liebichsche Gesicht trägt. Insbesondere würde ich eine solche Gelegenheit gar gern benutzen zu einem generellen Durchdenken der hier zur Debatte stehenden Zeichnungstypen, was zu einer Art Vereinheitlichungsvorschlag führen würde, über den hier einiges gesagt werden soll.

Es läßt sich nicht verheimlichen, daß unsere genealogischen zeichnerischen Darstellungen seit langer Zeit uneinheitlich erfolgen, was bei ihrer Ausführung durch die verschiedensten Menschen und für die verschiedensten Zwecke durchaus verständlich ist. Leider führt dies aber oft zu Mißverständnissen, mindestens aber zur Erschwerung ihrer Lesbarkeit und beim Vergleich mit den in immer engere Beziehung zur Genealogie tretenden Nachbarwissenschaften zu Inkonsequenzen. Die Hauptsorge macht hierbei eine scheinbar lächerlich belanglose Kleinigkeit: Die Darstellungen der Folge genealogischen Geschehens sind nun einmal sehr stark mit dem Zeitbegriff verknüpft, und daher spielt wie in vielen anderen verwandten Wissensgebieten dessen einheitliche Darstellung eine nicht unwichtige Rolle. Bei horizontaler Anordnung der Zeitskala tritt hier nur selten eine Schwierigkeit auf: Wohl jedermann wird heute zustimmen (wenigstens in unserem europäischen Kulturkreis), daß die Zeit sinngemäß im Bild von links nach rechts fortschreiten soll, was auch mit unserer Gepflogenheit harmoniert (und sicher eng zusammengehängt), im gleichen Richtungssinn zu schreiben. Nur bei zeichnerischen oder textlichen Darstellungen von Ahnenfolgen ist vielleicht der Hinweis nützlich, daß folgerichtig auch dabei einheitlich links die ältesten Ahnengenerationen, rechts die dem Probanden nächsten stehen sollten.

Viel schlimmer ist es aber bestellt bei den zahlreichen Gelegenheiten vertikaler Zeitskalenanordnung, die sich uns bieten. Wie sieht es da in unserem Fachgebiet aus? Der uralte „Stammbaum“ streckt seine jungen Triebe nach oben in den Himmel der Zukunft, während die Ahnen gewissermaßen dem Wurzelwerk entsprechen, das unter der Erde sich verzweigt und aus seinen vielen Kanälen von unten nach oben den Stamm aufbaut und ernährt.

Aus diesem Stammbaumschema ist, wie man so sagt, sowohl unsere Ahnenschafts- als unsere Nachfahrenschafts-Darstellung entstanden. Betrachten wir diese kritisch, so bemerken wir aber eine seltsame Veränderung: Wir haben uns meist angewöhnt, die Kindergeneration unter die Eltern zu schreiben; Stammfolgen werden in ihrem historischen Verlauf von oben nach unten geschrieben[1], gezeichnete Ahnentafeln und


  1. Der „Stammbaum Christi“ am Beginn des Matthäus-Evangeliums ist ein bekanntes Beispiel, wahrscheinlich eines der ältesten.