Die ältesten Siedlungen des Kreises Schloßberg

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Historie Kreis Schloßberg – Quelle: Harburger Kreiskalender 1962, Seite 59 bis 61

von Dr. Herbert Kirrinnis

Wer sich um die Anfänge der kulturlandschaftlichen Entwicklung im Kreise Schloßberg (Ostpreußen) bemüht, braucht nicht weit in der Geschichte zurückzugehen. Es genügen hier etwa viereinhalb Jahrhunderte. Deutlich kann man um 1500 im Gebiet des Ordensstaates zwei völlig verschiedene Räume unterscheiden: 1. das christianisierte und kolonisierte Preußenland zwischen dem unteren Weichselstromgebiet und der Deime-Alle-Linie, von der aus Wachstumsspitzen z. B. memel- und pregelaufwärts nach Osten vorstießen; 2. die urwaldartige „Wildnis", die in ostwärtiger Richtung bis zum mittleren Memellauf reichte. Letztere wurde im Frieden am Meldensee (8. Mai 1422) geteilt, sozusagen halbiert und dadurch im Bereich des Schloßberger Kreises die Scheschuppe zum Grenzfluß Ostpreußens gegen Litauen. Beide Räume, das kolonisierte Preußenland wie die Wildnis, zeigten deshalb, z. B. in der Stadtanlage, bis in unsere Zeit mannigfaltige Unterschiede. Der Kreis Schloßberg lag also in der ehemaligen Wildnis, die siedlungsleer, aber nicht menschenleer war. Ein „Verzeichnis der Dienste der freien bäuerlichen und wüsten Haken und Huben des Amtes Insterburg" vom Jahre 1446 bezeugt, daß ostwärts von Insterburg kein Zins von Grund und Boden gezahlt wurde, dort also bei einer durchzuführenden Kolonisation die Wildnis erst durch „Wiltnis pawrnn geräumt" werden mußte. Die Rodung und Besiedlung begann kurz nach 1500 unter Albrecht, dem letzten Hochmeister und ersten Herzog in Preußen, des Gründers der Königsberger „Albertus"-Universität.

Über die Besiedlung des Kreises Schloßberg ist man in den Grundzügen wie in den Einzelheiten erst in Kenntnis gesetzt worden durch die verdienstvollen Untersuchungen von O t t o N a t a u , Mundart und Siedelung im nordöstlichen Ostpreußen, Königsberg Pr. 1937, hrsg. vom Königsberger Universitätsbund. Seine Ergebnisse sind für die Heimatkunde des Kreises Schloßberg grundlegend und hoch einzuschätzen. Sie sind der Schloßberger Bevölkerung bisher so gut wie unbekannt geblieben, weil sie durch die turbulenten Zeitverhältnisse der beiden letzten Jahrzehnte in Schule und Öffentlichkeit kaum Eingang finden konnten. Hier sollen sie beiden, den Schloßbergern wie den Einheimischen des Patenkreises Harburg, nahe gebracht werden. Vergleiche mit der eigenen Heimatgeschichte werden hierbei sicherlich lohnend sein, und man wird erkennen, wie andersartig die Dinge im deutschen Osten lagen. Die Quellen zur Schloßberger Heimatgeschichte haben den zweiten Weltkrieg überdauert. Sie befinden sich im Königsberger Staatsarchiv (Archivlager) Göttingen unter der Obhut von Archivdirektor Dr. Kurt Forstreuter. Hier sollen vorerst die Anfänge der Besiedlung des Kreises Schloßberg dargestellt werden.

In der Ordens- und Herzogszeit gehörte der größere Teil des späteren Kreises Schloßberg zu Ragnit, unterstand also dem dortigen Komtur des Deutschen Ordens und späteren Amtshauptmann, während der Südwesten des Kreises, etwa die Kirchspiele Kussen und Mallwen (Mallwischken) von Insterburg aus verwaltet wurde, mithin dem Insterburger Komtur und späteren Amtshauptmann unterstellt war. Die Besiedlung erfolgte daher im allgemeinen von Norden (Ragnit) und von Südwesten (Insterburg) her.

Die älteste Siedlung des Kreises ist „allem Anschein nach" (Natau) das Dorf B e i n i c k e n (Beinigkehmen) an der Scheschuppe. Aus einem Protokoll (1525), nach dem ein Streit zwischen Bauern aus Benigk und Calibrast (Kreis Ragnit) geschlichtet wird, ergibt sich, daß der Komtur Konrad Nothafft „die pauren auf Benigk genant besaczt". Er amtierte 1486-90 in Ragnit. Das Dorf Beinicken/Beinigkehmen/Benigk müßte also zwischen 1486 und 1490 gegründet worden sein. Seine Lage gegenüber dem Blocksberg an der Scheschuppe war recht anziehend.

Die wichtigsten Auskünfte über die ältesten Kreissiedlungen gibt ein „Hausbuch von Ragnit", das 1504 begonnen und 1559 abgeschlossen wurde. Von dem nicht mehr in der Wildnis gelegenen Beiningen (Beinigkehmen) erfährt man daraus weiterhin, daß es sich um eine Streusiedlung handelt. Sie umfaßt nämlich weiterhin Anwesen der späteren Dörfer Blockswalde (Maschuiken), Hermannsdorf (Hermoneiten) und Sandwalde (Galwoschen). Beiningen wird im Ragniter Hausbuch im ganzen sechsmal genannt. Man erfährt, daß im Jahre 1515 „Hermann Rapaw fon Masuigka und petter vom Beingk" die sogenannte „lange wisze zw dem agker der Giberlaugker und Galibraster" erhalten. Wegen dieser Wiese haben beide Besitzer bald darauf einen Streit mit den „Newsessen" (1517). In demselben Jahre erhält derselbe „Mayschuika vom Benigk ….. ein stücke waldes . . . . gelegen vom Altsnapper agker an auf beiden Seiten der Scheschuppe hinauf bis an die Jarchea" (Jathia?). Es folgen weitere Erwähnungen des Dorfes Beingk, Beinigk, being, Benigk in den Jahren 1525-26 und 1545.

Nach dem Ragniter Hausbuch kann man eine Gruppe der elf ältesten Siedlungen im Kreise Schloßberg feststellen. Außer dem 1. frühest erwähnten Beinigen (Beinigkehmen) gehören dazu 2. Schloßberg, 3. Schirwindt, also die 1724 zu Städten erhobenen Ortschaften, 4. Ellendtvlis, 5. Rausch, 6. Derwinthin, 7. Altensnappen, 8. Haselpusch, 9. Werssaminigk, 10. Uschpiaunen und 11. Schillnick. Manch alter Schloßberger (Pillkaller) wird dabei den Kopf schütteln. Bekannte und unbekannte Ortschaften treten ihm da in seltsamem Gewande (Namenform und Schreibart) entgegen. Für die Kreisstadt ist Schlosbergk tatsächlich der ältere Name, nicht etwa Pillkallen. Was erfahren wir weiterhin? Dieses Schlosbergk ist nicht identisch mit dem in unserer Zeit bekannten Weichbilde. Das alte Schlosbergk war viel größer. Es gehörten dazu die späteren Dörfer Lindenhaus (Schameitkehmen), Hensken (Henskischken), Kiesdorf (Uschpiaunen), Petershausen (Petereitschen) und Tegnerskrug (Dagutschen).

Schloßberg war also wie Beiningen eine Streusiedlung. Die Kreisstadt wird als Dorf am 14. September 1516 zum ersten Male erwähnt, und zwar erhält Manigkus ein Stück Wald am Schloßberg „auf ein gesindt Zureumen vor 6 Ochsen". Der Kaufpreis des zur Kultivierung verschriebenen Waldes betrug im allgemeinen 2 bis 20 Ochsen. Der erworbene Boden war gewöhnlich 3 Jahre zinsfrei. Es folgen je 2 weitere Verschreibungen in den Jahren 1516 und 1517, z. B. kauft Micola „beym Schlosbergk ein stücke waldes zureumen"; am Sonntag nach Cantate 1525 erhalten Jagel, Manigkus und Mantüdt „auffen Schloszberge ein stügk waldes . . . . Iren forgen disten Zw gudt vor 7 guthen ochsen". Am 15. April 1545 schlichtet der Amtshauptmann Sebastian Perbanth einen Erbschaftsstreit zwischen den 3 Brüdern Jagel, Matheus und Domiksas. Hierbei tritt zum ersten Male für den älteren Namen „Schloßbergk" der Ortsname „pilkaln" auf. Es ist die einfache Übersetzung in das Litauische: pilis = Schloß, kalnas = Berg. Anfänglich liefen beide Formen nebeneinander her; dann setzte sich der Begriff Pillkallen durch, bis er zuerst amtlich durch die große Otsnamenänderung im Jahre 1938 wieder durch „Schloßberg" immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Auf die äußerst komplizierte und interessante Ortsnamenfrage im Kreis kann hier nicht eingegangen werden.

Von Schirwindt hört man zum ersten Male gleichzeitig mit Schloßberg, erfährt aber nur, daß am 16. 9. 1516 Stanisslaw „einen wiesten Agker" erhält.

Ellendtvlis wird den älteren Schloßberger kaum bekannt sein. Es entspricht den Dörfern Tegnerskrug (Dagutschen), Streuhöfen (Gr. Daguthelen) und Steinkirch (Gr. Warningken). Ellendtvlis wird im Jahre 1516 zweimal erwähnt, ist offenbar eine Neugründung und an der Breduppe zu suchen. Am gleichen Tage erhalten die Kolonisten Rimkus und Jugkna je ein Stück Wald zur Urbarmachung.

Rausch hat ebenso wie Ellendtvlis den Namen von dem nächsten Fluß Rauschwe erhalten. Diese Erscheinung findet man im Schloßberger Kreis häufig. Die Siedlung Rausch entspricht den Dörfern Urbanshöhe (Urbantatschen), Schwarzenberge (Schimkuhnen) und Deinen (Daynen).

Derwinthin, auch Dewentin wird 1517 und 1544 im Ragniter Hausbuch erwähnt. Im Jahre 1517 erwirbt Darguß an der Jathia ein Stück Wald; er gilt als der Begründer von Tanneck (Gr. Darguschen). Da die Verschreibung die Lage des Waldes „bei Dewintin" näher bestimmt, muß Dewinthin 1517 schon bestanden haben.

Altensnappen wurde später zu Alxnupönen und erhielt durch die Ortsnamenänderungen 1938 wieder seinen alten Namen. Es wird 1517 zum ersten Male als Dorf erwähnt. Am Mittwoch nach Exaudi erhält die Siedlung „ein Stügk walt, genset der Schischup glege". Der Name rührt von dem Abfluß und See Altensnappen her, d. i. der Willuhner See. Er findet sich auch als Altsnappen, Alten Snappen 1517 in einer Verschreibung, die das Dorf Beinigk betrifft und 1545 ist von einem „Bockdan itzet Schultz zw werssamenigk" die Rede, der von dem Komtur Hans von Loben ein Stück Wald „zwm Alten Snappen" erhalten hatte und „aus Raucher worczell zw agker gemacht".

Haselpusch ist der alte Name für Hasselberg (Lasdehnen), das 1521 als Dorf erwähnt wird, aber bestimmt älter ist. Am Donnerstag nach Exaudi erhält die Siedlung „ein stügk walt zwussen eren agker und einen bruch gelegn".

Werssaminigk (Wersamnigk), d. i. Langenfelde/Gr. Wersmeningken, die engere Heimat der Heimatdichterin Johanna Ambrosius; es wird im Ragniter Hausbuch zum ersten Male 1525 erwähnt, weiterhin 1535, 1544 und 1545.

Usplawne — Kiesdorf (Uschipaunen) entwickelte sich aus der Streusiedlung Schloßberg und wird zuerst 1539 als selbständige Ortschaft erwähnt. Jorg mayssel erhält einen Acker, der 1544 dem ganzen Dorf zugesprochen wird. In diesem Jahre finden sich auch noch zwei weitere Erwähnungen, die für die Feldflur des Dorfes wichtig sind. Schließlich tritt noch in den Anfängen der Kolonisation Schillnick, d. i. Ebertann (Schilleningken) bei Haselberg auf, das 1559 erwähnt wird. Der Ragniter Amtshauptmann erlaubt den beiden Brüdern „peter unnd willun" ein „örtlin waldes ann Iren alten agker gelegn . . . . zw reumen". Für den Südwesten des Kreises sind entsprechende Urkunden des zuständigen Insterburger Hauptamts nicht erhalten. Dennoch muß die Kolonisation hier kurz nach 1500 eingesetzt haben, da in einer Insterburger Steueranlage 1539 bereits 7 Siedlungen aufgeführt werden.

Unter Berücksichtigung gewisser Änderungen, die hier und da einige Ortsnamen wie Gemeindegrenzen betrafen, z. B. durch allmähliche Auflösung der Streusiedlungen, existierten nach einem halben Jahrhundert Wildnisrodung und Kolonisation 1539 - 1540 im Bereich des Kreises Schloßberg,
im Ragniter Amt:
1. Benicken
2. Schlosberck
3. Eglenick (Hensken)
4. Warlauc (vorher Ellendtvlis)
5. Rauschs
6. Scherwint
7. Berckenwerder (bei Schirwindt) (Berßeningken/Fichtenhöhe)
8. Dewintin
9. Serpentusail (Serbenten)
10. Jathia
11. Altensnappen
12. Haselpusch
13. Wersamnik
14. Schilnigk

im Insterburger Amt:
15. Malwischken (Mallwen)
16. Eglinickenn (Kiefernberg/Eggliningken bei Kussen)
17. Bruschey (Kiesfelde/Bruschen)
18. Cussey (Kussen)
19. Rattadeilej (Radenau/Radschen)
20. Eyminischke (Stutbruch/Eymenischken)
21. Boiorgallen (Löbenau/Löbegallen).

Wenn um 1540 Warlauc (Ellendtvlis) mit 32 Zinsern an der Spitze steht, so ist die geringe Dichte bzw. die Weitläufigkeit dieser Streusiedlung zu bedenken. Schloßberg steht mit 27 Zinsern an zweiter Stelle, wobei Eglenick schon aus der Streusiedlung ausgeschieden war. Es folgen Benicken mit 15, ferner Altensnappen mit 14, Haselpusch mit 13, sowie Scherwint, Berckenwerder und Dewintin mit 10 Zinsern. Es wäre aber abwegig, aus diesen Zahlen schon gewisse zentrale Funktionen abzulesen, zumal die „Große Pest" (1709/10) ein allgemeines Sterben mit sich, brachte und durch das „Retablissement" Friedrich Wilhelms I. völlig andere Grundlagen für eine neue Bevölkerungsentwicklung geschaffen wurden.

(NS. Die vor 1938 üblichen Ortsnamen stehen hier in Klammern.)


Würdigung im Schloßberger Heimatbrief 1977, Seite 73:

Wie du im Herzen glaubst,
wird dir das Schicksal begegnen;
was du an anderen tust,
wird dir von anderen geschehen.
Joh. Gottfr. Herder

Wir gedenken unserem Verstorbenen in Trauer und Dankbarkeit.

Dr. Herbert Kirrinnis starb kurz vor der Vollendung seines 70. Lebensjahres am 8. August 1977 in Essen.

Der Verstorbene hat durch seine wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Geographie und Geschichte Ostpreußens, insbesondere der nordöstlichen Kreise, große Verdienste erworben und wesentliche Impulse zu unserer heimatpolitischen Arbeit gegeben.

Dr. Kirrinnis ist ein typischer Ostpreuße. Wer ihn gekannt hat, wird das heimatlich Vertraute seiner Persönlichkeit wohltuend empfunden haben und zu schätzen wissen. Aus einer Gumbinner Beamten- und Handwerkerfamilie stammend, wurde Dr. Kirrinnis am 2. Oktober 1907 in Eydtkuhnen geboren. Nach Erreichung des Abiturs 1928 an der Hindenburg-Oberrealschule in Königsberg/Pr. studierte er Geschichte, Philosophie, Pädagogik und neuere Sprachen in Königsberg und Marburg. 1932 bestand er das Volksschul- und Mittelschullehrerexamen in Königsberg, 1934 promovierte er zum Dr. phil. et Mag. lib. art. an der Albertus-Universität Königsberg/Pr. Seit 1932 an der Herzog-Albrecht-Mittelschule in Tilsit, in Gumbinnen und auch in Königsberg tätig, wurde er 1936 Referendar in Königsberg und 1939 nach Absolvierung des Assessorenexamens in Berlin, Studienrat an der Friedrich-Wilhelm-Schule in Schloßberg.

Am Zweiten Weltkrieg 1939/45 nahm Dr. Kirrinnis als Artillerist teil, zuletzt als Leutnant der Reserve. Nach dem Verlust der ostpreußischen Heimat durch die Kriegsereignisse kam er über Sachsen (Langenau), Thüringen (Gotha), Oldenburg (Wildeshausen) nach Wanne-Eickel. Hier nahm er 1952 sein Lehramt als Studienrat am Jungen-Gymnasium wieder auf. Seit 1959 war er an der Luisenschule in Essen zunächst Studienrat, dann Oberstudienrat und schließlich Studiendirektor bis zu seiner Pensionierung 1971.

Dr. Kirrinnis war seit 1924 verheiratet mit Hertha Sauvant aus Gumbinnen. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen. Manfred wurde 1936 in Tilsit geboren, Lothar 1940 und Anneliese 1943 in Schloßberg, Hartmut 1948 in Gotha. Wir Schloßberger haben mit Dr. Kirrinnis einen bedeutenden Landsmann und guten Historiker verloren, der sich um Ostpreußen große Verdienste erworben hat. Von seinen zahlreichen Publikationen wurden einzelne in den Kreisbüchern, den Heimatbriefen, im Ostpreußenblatt und auch im Harburger Kreiskalender veröffentlicht. Wir werden dem Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren. Seiner Familie gilt unsere herzliche Teilnahme.


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