Deutsche und französische Kultur im Elsass/068

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Deutsche und französische Kultur im Elsass
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eine selbständige Beteiligung der Bevölkerung am öffentlichen Leben oder an der sozialen Bewegung ermöglichen oder aber eine Kontrolle der Verwaltung zum Zweck haben, teils gar nicht, teils nur sehr unvollkommen ausgebildet.

So zeigt die bestehende Verwaltungsgerichtsbarkeit grosse Mängel. Die Bezirksräte und der kaiserliche Rat, die Verwaltungsgerichte im Elsass, haben nur eine beschränkte Zuständigkeit und bestehen ausschliesslich aus Verwaltungsbeamten. Eine umfassende Rechtskontrolle der Verwaltung, wie sie der französische Staatsrat gewährleistet, und wie sie die beibehaltene französische Verwaltungsorganisation zur notwendigen Voraussetzung hat, fehlt im Elsass.

Auch der Parlamentarismus unterliegt, soweit er besteht, weitgehenden Beschränkungen. Zwar hat der Landesausschuss die Mitwirkung bei der Gesetzgebung und der Führung des Landeshaushalts. Aber das aktive und passive Wahlrecht ist derart eingeengt, dass fast nur Notabeln und von der Regierung abhängige Bürgermeister gewählt werden. Auch hat der Landesausschuss nicht die Befugnis, die Legimitation seiner Mitglieder zu prüfen, und schliesslich ist die Regierung gar nicht unbedingt auf seine Mitwirkung angewiesen. Sie kann mit Übergehung desselben Gesetzentwürfe und Budget auch dem deutschen Reichstag vorlegen.

Auch für die politischen Zeitungen bestehen drückende Bestimmungen. So muss der Herausgeber einer täglich erscheinenden Zeitung eine beträchtliche Summe (12—20 000 M.) als Kaution bei der Staatsdepositenverwaltung hinterlegen. Ferner kann der Statthalter kraft der ihm zustehenden Diktaturbefugnisse jede im Elsass erscheinende Zeitung unterdrücken. Auch die Begründung von Vereinen oder die Abhaltung politischer öffentlicher Versammlungen ist nur mit Genehmigung der Polizeibehörde zulässig. Diese Erlaubnis ist jederzeit widerruflich, und überdies kann der Statthalter kraft seiner Diktaturbefugnisse jede Neugründung eines Vereins verbieten oder einen bestehenden Verein auflösen. Auch sonst stehen dem Statthalter besondere Machtbefugnisse zu. So kann er z. B. sogar Inländer und Reichsangehörige, die sich in irgend einer Weise verdächtig gemacht haben, aus dem Gebiet des Reichslandes ausweisen.

Es ist klar, dass diese unvollkommene Entwickelung freiheitlicher Institutionen und die ausserordentlichen Machtbefugnisse der höchsten Verwaltungsbehörden in erster Linie durch den Umstand bedingt sind, dass das Elsass ein Eroberungsgebiet ist. Man glaubt, dieser Machtmittel zu bedürfen, um das Land beherrschen, in Ruhe erhalten und germanisieren zu können. Es sind also vor allem Gründe der äusseren und inneren Nationalitätspolitik, die diese Institutionen hervorgerufen haben.

Aber diese Übermacht der Bureaukratie und die Beschaffenheit einzelner Institutionen, z. B. des Landesausschusses, haben in der inneren Politik des Landes Wirkungen hervorgebracht, die als solche mit der Nationalitätspolitik nichts zu thun haben und durch diese nur erklärt, nicht aber gerechtfertigt werden können. Zunächst hat sich ein politischer Einfluss der Notabeln entwickelt, der in dieser Stärke bis dahin unbekannt war.

Im Gegensatz dazu fanden ein Hervortreten der unteren Klassen im politischen

Bildunterschrift:
P. Braunagel: Strassburger Strassenkehrer.