Australische Auswandererbriefe (1934)/5

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Der Heimat Bild“ - Australischen Auswandererbriefen nacherzählt von Walter Fläming
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Der Heimat Bild Flaeming 1934.djvu
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Erst neulich habe ich Cannabicts berühmte „Geographie nach den neuesten Staatsverträgen“ studiert. Es erlebte 1846 schon seine 16. Auflage. Der Mann stellt Australien als das „Land von morgen“ hin, ein neues Land der unbeschränkten Möglichkeiten. Ich habe dem Schuster bei seiner Australienschwärmerei aufmerksam zugehört und muß der Wahrheit gemäß bestätigen, er verspricht nicht zuviel. „Junger Freund“, nimmt darauf der Karower Pastor das Wort, „Ihre Sachkenntnis und Ihre ehrliche Studienarbeit in Ehren. Aber, Heimat bleibt Heimat! Bleibe im Lande und nähre dich redlich! Die Freuden, die in der Heimat wohnen, die suchst du vergeblich in fremden Zonen!“

      „Ja, wenn den Leuten hier das Dasein durch des Schusters Tiraden nicht schon längst verekelt wäre!“ wendet Kantor Meerwaldt ein. „Die Freude an ihrer ehrlichen Händearbeit ist ihnen vollständig abhanden gekommen. Nur ein Wunder kann sie wieder zur Vernunft bringen.“

      „Und was für Informationen sind denn das, die den Schuster hier das große Wort führen lassen?“ erkundigt sich der Tucheimer Schulze Braune bei dem jungen Lehrer seines Dorfes. Der lehnt sich in dem Stuhl zurück und berichtet: „Ihnen allen ist bekannt, daß der Schuster Wagner aus den schlesischen Notstandsgebieten zu uns kam. Er hat in der Tat schreckliches Elend dort gesehen. Und wenn ich mir vorstelle, daß auch hier das große Leinewebersterben über kurz oder lang einsetzen wird, überkommt mich das Grausen. Das aber allein hat ihn nicht aus seiner Heimat getrieben. So rabiat er sich hier auch stellt und so mißliebig er sich hier schon gemacht hat - der Mann hat Gewissensnöte. Er gehörte dort inmitten einer rein katholischen Bevölkerung zu einer kleinen, zähen, altlutherischen Diasporagemeinde. Jahre hindurch haben sich diese Leute gegen die Unionsbestrebungen des verewigten Königs gesträubt und sind als fanatische Sektierer ihren Weg gegangen. Und da sie die unierte Kirchenagende von 1822 und ihre Erweiterung von 1829 partout bei ihren Gottesdiensten nicht gebrauchen wollten, machten ihnen die obersten Kirchenbehörden das Leben sauer. So packten viele von ihnen ihr Krämchen, zogen weit weg, oder sie gingen auf und davon nach -Australien. Daher stummen des Schusters eingehende Informationen.“

      Die Mienen der Männer drückten Erstaunen aus. Also so muß man den Schuster Wagner anschauen; in der Tat gewinnt er in ihren Augen, und sie bemühen sich ehrlich, ihm vieles nachzusehen, wenn sie auch noch immer nicht verstehen können, warum er denn andere Leute der Heimat abspenstig machen will.

      „Es stimmt auch nicht ganz, behauptet der Schuster“, fährt Lindstedt fort, „was hier von den Strafkolonien in Australien umgeht. Das ist auch Wagner bekannt; und mein Geograph bestätigt es hervorhebend: Der jüngste Staat dort, Südaustralien, ist nie von Sträflingen heimgesucht worden. Es sind alles freizügige Kolonisten, die da siedeln. Und gerade dahin, nach Südaustralien, will er ja, an den St.-Vincent-Golf, nahe bei Adelaide. Und auch das trifft nicht zu, daß die deutschen Auswanderer dort so einfach und widerstandslos in der englischen Bevölkerung aufgehen. Schon seit 1838 bestehen dort zwei geschlossene deutschstämmige Farmerniederlassungen dicht bei der im Aufbau begriffenen Hauptstadt Adelaide. Neuklemzig und Hahndorf heißen sie. Im ersteren Ort wohnt die ganze geschlossene Gemeinde Klemzig aus dem Kreise Züllichau, die mit ihrem altlutherischen Pastor Kavel und ihrem Kantor übers große Wasser ging. In Hahndorf ließen sich 200 deutsche Siedler nieder - unter ihnen auch einige aus Wagners altem Heimatdorf -, die der deutsche Kapitän Hahn auf dem dänischen Schiff „Zebra“ dort hinbrachte. Da leben sie wie in ihrer Heimat; und kein Engländer hat ihnen etwas in ihre Gemeindeangelegenheiten hineinzureden. Und wer das nicht glauben will, dem zeigt es der Schuster schwarz aus weiß. Seine Freunde in Hahndorf