Australische Auswandererbriefe (1934)/4

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
GenWiki - Digitale Bibliothek
Der Heimat Bild“ - Australischen Auswandererbriefen nacherzählt von Walter Fläming
Inhalt
<<<Vorherige Seite
[3]
Nächste Seite>>>
[5]
Der Heimat Bild Flaeming 1934.djvu
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht korrekturgelesen und kann somit Fehler enthalten.

„Man müßte dem Landrat Meldung machen. Er führt unsere ehrlichen Menschen hier ins Elend. Man soll ihn in Magdeburg auf der Zitadelle an die Karre schließen!“ ereifert sich der Wirtschaftsinspektor Lucke.

      „Ich bin in den letzten vierzehn Tagen Haus bei Haus im Dorfe rund gegangen, zu sehen, wie weit der Auswanderungsrummel schon gediehen ist“, berichtet schlicht der ehrwürdige Tucheimer Kantor. „Mit Gründen der Vernunft ist denen tatsächlich kaum noch beizukommen. Sie sind fest entschlossen. In der „Kolonie“ steht es wohl am schlimmsten. Was hält mir gestern der Leinweber Trinne vor? Sehen Sie, Herr Kantor, sagt er. Hier ist meine Erbverschreibung vom Großvater her, von Anno 1763. Ein Kolonistenhaus mit Walmdach, Stube und Kummer enthaltend, Heustall auf dem Hausboden, einen Anbau für den Schweinekoben. Hühner und Gänse sitzen über den Futtertrögen, ein Bretterschuppen mit einer einzigen Lehmstakenwand als Stall für die Kuh. Wert 150 Taler. Dazu 1½ Morgen Gartenland und gegen den ortsüblichen Hirtenlohn die Berechtigung, eine Kuh, ein Schwein, einen Gänter mit 6 Gänsen auf die Weide zu treiben. So hat's mein Großvater aus der Hand des großen Königs empfangen, weil er ihm im Regiment von Saldern 24 Jahre treu diente und 10 lange Kriegsjahre über die schlesischen, sächsischen und böhmischen Schlachtfelder für ihn stürmte. Ein Gnadengeschenk, an dem man seine schwere Last trägt. Ich bin der dritte Trinne, der darum ringt, dus bißchen Fachwerk hier in seinen Fugen zusammenzuhalten. Sie haben meinen Großvater noch gekannt; mein Vater ist zu ihnen in die Schule gegangen; ich habe bei Ihnen mein Einmaleins gelernt, und heute schicke ich meine Kinder in Ihren Unterricht. Sie kennen 4 Trinnegenerationen. Da ist keiner, der aus der Art schlug. Von der ausgehenden Sonne an bis in die sinkende Nacht hinein haben wir uns Jahr um Jahr abgerackert; im Frühjahr und Sommer aus dem Rittergut als Tagelöhner, im Herbst in den Torflöchern, wintertags hinter dem Webstuhl. Nicht einen einzigen Schritt vorwärts sind wir gekommen. Immer hart an der Not vorbei geht unser Weg. Ich habe das Leben hier satt, das Leben immer nur von der Hand in den Mund. So erzählt ganz kaltschnäuzig Trinne, einer der Verständigsten dort unten in der Kolonie; und - ich habe dem Schicksal dieser Menschen nachgegrübelt - er hat in der Tat recht. Es gibt vor der Hand bei den augenblicklichen wirtschaftlichen Verhältnissen keine Möglichkeit hier in Tucheim, ihre Luge zu bessern. Böse kann man dem Trinne nicht sein, weil er nun endlich voran will.“

      „Warum denn aber gleich bis nach Australien!“ fällt ihm Meerwaldt ins Wort. „Da sitzen die paar Tucheimer mitten im Busch unter lauter ausgekochten Engländern; denn, Gevattern, dieses Australien ist englische Strafkolonie. Da läßt es sich wohlvorstellen, was für unlautere Patrone über sie herfallen. Verraten und verkauft sind sie da. Und wer in ein paar Jahren dort drüben nach den Tucheimern fragt, wird keine Spur von ihnen finden. Wenn sich über dieser und jener doch durchbeißen sollte, so wird aus dem deutschen Kolonisten in ganz kurzer Zeit der typische Kolonialengländer. Dazu sind mir die einfachen, ehrlichen Leute denn doch zu schade.“

      „Hilft alles nichts“, ereifert sich der junge Lehrer Lindstedt, „der Schuster hat zu gute Informationen von dort drüben. Die überzeugen. Was wissen wir denn schon über Natur und Kultur des jüngsten Kontinents. Unsere Karten zeigen knapp die Umrisse des neuen Erdteils und im Innern eine große, weiße, völlig unerforschte Fläche. Nur ein winzig schmaler Küstensaum ist uns bekannt, und darin an drei Stellen Andeutungen von Städten, die erst geboren, aber kaum schon gewachsen sind. Damit und mit den dürftigen Berichten in unserem „Kinderfreund“ über das Tier- und Pflanzenleben Australiens operieren wir in der Schule. Doch das alles stimmt nicht mehr. Die großen Lehrbücher geben ein ganz anderes Bild vom Zustand dieses Landes.